ELTERN - KED
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(<strong>KED</strong>)<br />
<strong>ELTERN</strong><br />
forum3-2009<br />
Bildungschancen – für alle?<br />
Kinder und religiöse Sozialisation<br />
Hauptschule – wohin?
Auf ein Wort...<br />
Liebe Leserinnen und Leser!<br />
mit Spannung habe ich dem Erscheinungstermin des Romans „Aufbruch“ entgegen gesehen. Jetzt<br />
im September hat das Buch Einzug in die Buchhandlungen gehalten und ist momentan meine<br />
Lieblingslektüre. „Aufbruch“... da ist Hilla Palm, einem Kind „kleiner Leute“ („dat Kind vun nem<br />
Prolete“) der Sprung zum Aufbaugymnasium geglückt., Es hat die ungeliebte Lehrstelle aufgegeben<br />
und erhält während des laufenden Schuljahres noch die Chance, als Quereinsteiger mitzumachen.<br />
„Aufbruch“ ist der autobiographisch gefärbte Roman der Lyrikerin Ulla Hahn. Vor einigen Jahren<br />
erschien der Vorgängerband „Das verborgene Wort“. Die beiden Bücher zeigen (ohne diese<br />
literarisch faszinierenden Bücher auf pädagogische Inhalte reduzieren zu wollen), wie schwierig<br />
es im Nachkriegsdeutschland für ein katholisches Mädchen aus einem Dorf im Rheinland war, aus<br />
seinem Milieu auszubrechen und die Volksschule zu verlassen. Hilla Palm hatte Fürsprecher: Lehrer<br />
und Pfarrer suchten die Eltern auf, um dem begabten Mädchen eine angemessene Schulbildung<br />
zu ermöglichen... und viel Überzeugungskraft war dazu notwendig.<br />
„Das katholische Mädchen vom Land“ ist heute kein Problemfeld mehr im Bildungsgefüge. Die<br />
Statistiken sprechen eher für eine Krise der Erziehung von Jungen. Weitere Problemfelder haben<br />
sich aufgetan. Elternhäuser, die nicht mehr in der Lage sind, ohne professionelle Hilfe ihren Alltag<br />
zu organisieren, Kinder mit Zuwanderungsgeschichte, deren Fähigkeiten oft hinter mangelnden<br />
Sprachkenntnissen verborgen bleiben; Kinder, die in anregungsarmen Vierteln aufwachsen ... aber<br />
auch Kinder, auf denen zu große Erwartungen lasten, die hohem Leistungsdruck ausgesetzt sind,<br />
Kinder, die am Computer sozial vereinsamen … Gehen wir achtsam mit ihnen um – in der<br />
Nachbarschaft, im Kindergarten, in der Schule? Bestärken wir diese Kinder in dem, was sie können<br />
oder ausschließlich in ihren Defiziten?<br />
Neue Wege der Förderung, der Akzeptanz, der Begleitung sind gesucht und – wie manche Artikel<br />
dieses Heftes zeigen – auch positive Ansätze und Projekte auf dem Weg.<br />
Nach den Sommerferien hat für viele Kinder ein neuer Abschnitt begonnen: mit dem Eintritt in den<br />
Kindergarten, in die Grundschule und andere Schulformen. Jedes Kind braucht dazu Ermutigung,<br />
Selbstvertrauen sowie liebe- und maßvolle Begleitung. Meine Großmutter pflegte noch zu sagen:<br />
„Aller Anfang ist schwer“, ich bevorzuge die Worte Hermann Hesses: „Und jedem Anfang wohnt<br />
ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“<br />
Ihnen eine schöne Herbstzeit mit anregenden Lektüren<br />
und herzlichen Grüßen<br />
Ihre<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
3
Inhalt<br />
SCHWERPUNKTTHEMA<br />
6 „Vielfalt gestalten“<br />
in der Elternarbeit<br />
Donja Amirpur<br />
10 Verantwortung von 0 bis 18<br />
Aufstieg aus der Unterschicht:<br />
Kommunen, Bildungs- und Sozialeinrichtungen<br />
suchen nach Wegen aus der Armut<br />
Philipp Krohn<br />
24 Man kann sich in<br />
der deutschen Sprache sonnen<br />
und sogar darin baden<br />
Heike Schmoll<br />
2. TITELTHEMA<br />
12 Wenn dein Kind dich fragt …<br />
Heike Helmchen-Menke<br />
32 Damit die Welt ein Zuhause wird<br />
Iris Macke<br />
34 Ein Lob auf den Sonntag<br />
Von der Liebe zu einem besonderen Tag<br />
3. TITELTHEMA<br />
28 Hauptschule – wohin?<br />
Reiner Düchting<br />
Die neue homepage der<br />
Katholischen Elternschaft Deutschlands (<strong>KED</strong>)<br />
erreichen Sie unter<br />
www.katholische-elternschaft.de<br />
4 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
BILDUNG HEUTE<br />
15 Doping vor dem Unterricht<br />
Immer mehr Schüler schlucken leistungssteigernde<br />
Tabletten, teils ohne ärztliche Aufsicht<br />
Helene Jeschke<br />
16 GLAUBENleben<br />
Heinz Withake<br />
18 <strong>KED</strong> folgt Einladung nach Wien<br />
Thomas Reuß<br />
23 Pinnwand<br />
31 Dämpft die Wirtschaftskrise den<br />
Kinderwunsch?<br />
Ergebnisse der Vorwerk-Familienstudie 2009<br />
36 Amoklauf an Schulen –<br />
Ein Elternbrief<br />
Können Schulen sich vor Amokattacken schützen?<br />
38 Kinderseite<br />
BUCHBESPRECHUNG<br />
Seiten 19 , 20, 21 und 22:<br />
Lesen – Hören – Sehen<br />
<strong>KED</strong> AKTUELL<br />
26 Der <strong>KED</strong>-Newsletter<br />
26 Grundgesetz hin,<br />
Verfassungsgericht her<br />
Bernhard Huber<br />
26 Neue Diözesanbeauftragte<br />
wurde Beatrix Funk<br />
27 „Ohne Eltern geht die Schule nicht“<br />
<strong>KED</strong>-Broschüre bietet praktische Hilfen<br />
für die Elternmitwirkung<br />
27 „Chancen für alle von Anfang an“<br />
Einladung zum Seminar für mehr Elternmitwirkung in Kitas<br />
Für die Unterstützung unserer Arbeit durch Schaltung von Anzeigen in unserem Eltern-Verbandsblatt <strong>ELTERN</strong>forum danken wir<br />
den Sponsoren BBBank (Badische Bank), DBV-Winterthur Versicherungen (im Konzern AXA AG), Scandlines Deutschland und<br />
Wüstenrot Bausparkasse AG und bitten unsere Leser um freundliche Kenntnisnahme.
Wer–Was–Wo?<br />
Höchste Auszeichnung für Walter Eykmann<br />
Unserem Ehrenvorsitzenden, Prof. Dr. Walter Eykmann, wurde<br />
die höchste Auszeichnung der Universität Würzburg verliehen:<br />
Ehrensenator der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er<br />
hat als erster Abgeordneter diese Ehrung erhalten.<br />
Dorothee Wroblewski<br />
verstorben<br />
Am 20. Juni 2009 verstarb Frau Dorothee<br />
Wroblewski im Alter von 83 Jahren.<br />
Über dreißig Jahre wirkte sie in der Katholischen<br />
Elternschaft Deutschlands, Diözese<br />
Regensburg, als Schriftführerin und<br />
z. T. als stellvertretende Vorsitzende. Ihr<br />
Einsatz war geprägt von einer Begeisterung<br />
für ihre Überzeugungen und getragen<br />
von einem festen Glauben.<br />
Zusammen mit ihrem Ehemann<br />
Wroblewski hat sie von 1968 an das<br />
Bildungswerk der <strong>KED</strong> Regensburg aufgebaut,<br />
durch das bis heute weit über<br />
6.000 Referate, Vorträge, Seminare oder<br />
Elternabende in Schulen, Kindergärten<br />
und Pfarreien angeboten werden konnten,<br />
die sich mit Fragen rund um Bildung<br />
und Erziehung auf einem christlichen<br />
Wertefundament auseinandersetzen.<br />
Frau Wroblewski begegnete stets mit<br />
einer gewinnenden Freundlichkeit. Ihr<br />
Leben war geprägt von vielfachem ehrenamtlichen<br />
Engagement im kirchlichen Bereich<br />
bis ins hohe Alter hinein, sei es im<br />
Dekanatsrat Regensburg-Stadt, im Sachausschuss<br />
Ehe und Familie des Diözesanrates,<br />
im Pfarrgemeinderat der Pfarrei<br />
St. Cäcilia, bei der Cursillo-Bewegung<br />
oder in der Seniorenarbeit. Die Erinnerung<br />
an Frau Wroblewski bleibt verbunden<br />
mit großer Dankbarkeit für ihr<br />
Wirken. Möge sie ruhen in Gottes<br />
Frieden.<br />
Wir zitieren aus der Laudatio des Würzburger Universitätspräsidenten,<br />
Prof. Dr. Axel Haase, nachdem er in groben Zügen<br />
den Lebenslauf von Walter Eykmann geschildert hat, unter<br />
anderem auch seine knapp 15-jährige Tätigkeit als Bundesvorsitzender<br />
der <strong>KED</strong>. Haase weiter:<br />
„Von seiner großen Kompetenz in Fragen der Pädagogik und<br />
Bildung zeugt die lange Liste und die inhaltliche Bandbreite der<br />
Publikationen, die er zu diesem Themenbereich veröffentlichte.<br />
Walter Eykmann ist jedoch nicht nur seit mehreren Jahrzehnten<br />
ein ausgesprochen engagierter und vielseitiger Lobbyist in allen<br />
Angelegenheiten, die mit Bildung und Pädagogik allgemein zu<br />
haben.<br />
Er war in all diesen Jahren auch stets einer der wichtigsten<br />
Vertreter der Belange der Julius-Maximilians-Universität und ein<br />
beharrlicher Streiter für ihre Interessen im Landtag und in der<br />
bayerischen Politik generell. So hat er sich mit großem Nachdruck<br />
dafür eingesetzt, dass wir im Jahr 2005 die wegweisende<br />
erste Professur für Gymnasialpädagogik in Bayern erhalten<br />
haben, ebenso dafür, dass wir nach langen Jahren, in denen wir<br />
uns darum bemüht haben, dann endlich Technische Studiengänge<br />
einrichten konnten. Auch wenn es um die Finanzierung<br />
wichtiger Bauprojekte unserer Universität ging, hatten wir in ihm<br />
stets einen zuverlässigen und ausgesprochen energischen<br />
Fürsprecher.“<br />
Die Katholische Elternschaft Deutschlands schließt sich den<br />
anerkennenden Worten an und gratuliert ihrem Ehrenvorsitzenden<br />
ebenfalls auf das Herzlichste.<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
5
SCHWERPUNKTTHEMA<br />
6 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
„Vielfalt gestalten“<br />
in der Elternarbeit<br />
Bessere Kommunikation zwischen Eltern und Erziehern<br />
Donja Amirpur<br />
Elternarbeit gehört neben der Arbeit mit den Kindern zu den Hauptaufgaben der<br />
ErzieherInnen. Schließlich gehört es zu ihrem Arbeitsauftrag, die Eltern an den<br />
Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen.<br />
Es scheint sich bei dieser Aufgabe aber auch um eine der schwierigsten<br />
zu handeln. Die intensive Begleitung von drei Bonner Kita-Teams über zwei Jahre<br />
durch das Projekt „Vielfalt gestalten – Integration im Kindergarten“ hat das noch<br />
einmal deutlich gemacht.<br />
Leider lassen sich Eltern oft nicht wie gewünscht<br />
einbeziehen, besonders bei Migranteneltern<br />
kommen zu den Schwierigkeiten,<br />
die Eltern und ErzieherInnen häufig<br />
miteinander haben, sprachliche und<br />
kulturelle Unterschiede hinzu, die für die<br />
pädagogischen Fachkräfte oft unüberwindbar<br />
scheinen. Häufig kommen nur<br />
wenige zu den Elternabenden und im<br />
stressigen Kitaalltag gibt es auch kaum<br />
eine Gelegenheit, mit den Eltern ins Gespräch<br />
zu kommen.<br />
Vielfalt gestalten, das Projekt von AktionCourage<br />
e. V., hat sich in Kooperation<br />
mit dem Verband binationaler Familien<br />
und Partnerschaften in Entwicklungswerkstätten<br />
und Selbstreflexionsseminaren<br />
gemeinsam mit den ErzieherInnen<br />
mit diesen und anderen Problemen<br />
des Kitaalltags auseinandergesetzt.<br />
Ziel war die Schaffung eines nachhaltigen<br />
interkulturellen Gesamtkonzepts für<br />
die jeweilige Einrichtung, das die Vielfalt<br />
der Lebenswelten und Familienkulturen<br />
der Kinder und ihrer Familien in die Erziehungskonzepte<br />
der Kindergärten<br />
gleichberechtigt einbezieht. Grundlage<br />
der Trainings – ausgeführt von zwei ausgebildeten<br />
Trainerinnen des Verbandes<br />
binationaler Familien und Partnerschaften<br />
– ist das Konzept der vorurteilsbewussten<br />
Bildung und Erziehung. 1)<br />
Dafür gelten folgende Kriterien: 2)<br />
Individualität – Gleichwertigkeit: „Jeder<br />
Mensch ist etwas Besonderes!“<br />
Positive Identität: „Ich bin okay so, wie ich<br />
bin!“<br />
Wertschätzung: „Was ich mitbringe, ist<br />
wichtig!“;<br />
Repräsentanz: „Bei uns findet jeder ein<br />
Stück zu Hause!“<br />
Die heimlichen Botschaften erkennen:<br />
„Was andere verletzt, ist nicht harmlos!“<br />
Den Blickwinkel ändern: „Meine Sicht ist<br />
nur eine von vielen!“<br />
Gemeinsamkeiten entdecken: „Wenn wir<br />
zusammen spielen und lernen, finden wir<br />
vieles, was uns verbindet!“<br />
Solidarität fördern: „Wir halten zusammen<br />
und können uns wehren!“<br />
Die Besonderheiten der Kinder und ihrer<br />
Familien sollen in der Kita thematisiert<br />
werden. Dabei gilt Gleichwertigkeit statt<br />
„wir sind alle gleich“, denn „gleich“ sind<br />
Im Elterncafé der Kita Unterm Regenbogen in Bonn<br />
Foto: Verband binationaler Familien und Partnerschaften
sie nun einmal nicht. Kinder sollen auch<br />
darin bestärkt werden, Ungerechtigkeiten<br />
und unfaires Verhalten zu thematisieren.<br />
Wichtig ist, dass die Kinder Vielfalt erleben<br />
dürfen und diese als etwas Normales<br />
anerkannt wird. Kinder, die diskriminiert<br />
werden, sollen gestärkt werden,<br />
aber auch die, die diskriminieren, können<br />
lernen, dass sie ihre Stärken nicht aus der<br />
Abwertung anderer beziehen.<br />
Grundlegend war dabei zunächst, dass<br />
Erzieherinnen sich selbst als die Verantwortlichen<br />
für die Gestaltung Erziehungspartnerschaft<br />
zwischen Eltern und ErzieherInnen<br />
sehen und nicht darauf warten,<br />
dass die Eltern auf sie zugehen und Interesse<br />
an der pädagogischen Arbeit äußern.<br />
Schließlich sind die PädagogInnen<br />
die Profis.<br />
Nicht nur die Kinder, sondern auch die<br />
Familien sollen in der Einrichtung willkommen<br />
geheißen werden. Die Familie<br />
ist die wichtigste Bezugsgruppe des Kindes,<br />
mit der es sich identifiziert. Daher<br />
sollen die Kinder die Möglichkeit haben,<br />
ihre Familien zu zeigen, darzustellen und<br />
stolz auf sie zu sein.<br />
Die Kinder sollen lernen, dass es viele<br />
Varianten und Familienkonstellationen<br />
gibt, erleben, dass diese gleichwertig<br />
sind und es keine „besseren“ oder<br />
„schlechteren“ Familien, sondern nur<br />
verschiedene gibt.<br />
„Wie können die vielfältigen Familienkulturen<br />
der Kinder in der Einrichtung<br />
sichtbar werden?“ fragten sich die Kita-<br />
Teams in der ersten Fortbildungsreihe und<br />
entwickelten gemeinsam Ideen: In den<br />
Kitas entstanden Familienwände und<br />
Familienbücher, Bilder der Familienmitglieder<br />
zierten die Wände. Die Eltern<br />
machten sich zuhause auf die Suche nach<br />
schönen Fotos, kleinen Geschichten, Erinnerungsstücken,<br />
Gemaltem und Gebasteltem<br />
und brachten sie zu Elternabenden<br />
mit. Das gemeinsame Anliegen der Eltern<br />
und ErzieherInnen, Anknüpfungspunkte<br />
für Gespräche über Unterschiede zu<br />
bieten, zeigt erste positive Wirkungen:<br />
Kinder und Eltern kommen ins Gespräch.<br />
Zu den Familienkulturen zählen natürlich<br />
auch die Sprachen der Kinder. Deutsch<br />
lernen – und die anderen Sprachen, die<br />
Bilder der Familienmitglieder der Kindergartenkinder zieren die Wände in dieser Bonner<br />
Kita. Foto: Kita unterm Regenbogen in Bonn<br />
in den Familien gesprochen werden, nicht<br />
zu verlieren, sondern zu fördern, ist eine<br />
entscheidende Herausforderung in der<br />
Einwanderungsgesellschaft. Die Herkunftssprachen,<br />
ein wertvolles Potential<br />
der Kinder, können auch im Kindergarten<br />
gefördert werden. Dafür müssen die ErzieherInnen<br />
keine Fremdsprachen sprechen.<br />
Sie haben schließlich die Eltern, die<br />
darin die Profis sind.<br />
Auf der Fachtagung „Sprachen fördern in<br />
Kindergarten und Elternhaus“ des Projektes<br />
Vielfalt gestalten im März 2009 in<br />
Bonn erfuhren die ErzieherInnen durch<br />
die Kieler Sprachwissenschaftlerin<br />
Reyhan Kuyumcu viele neue Ideen und<br />
Aspekte zur Förderung von Mehrsprachigkeit<br />
in der Kita. ErzieherInnen haben<br />
bemerkt, dass in vielen Migrantenfamilien<br />
wenig vorgelesen wird. An sich ist<br />
Schrift in vielen Familien nicht präsent.<br />
Das ist nicht nur eine Frage der Bildungsferne<br />
der Eltern. Es kann auch kultur-<br />
bedingt sein. In der türkischen Kultur beispielweise,<br />
so Kuyumcu, aber auch in<br />
vielen anderen, stehe Oralität im Vordergrund,<br />
d.h., während in einer deutschen<br />
Familie Lesen, Vorlesen, Einkaufslisten,<br />
Terminkalender oder Bücherbesitz der<br />
Kinder eher der Normalfall sei, steht in<br />
türkischen Familien Geschichtenerzählen<br />
und Witze erzählen, also gesprochene<br />
Sprache, im Vordergrund. „Der Hinweis,<br />
die Eltern daher besser persönlich anzusprechen<br />
und sie nicht nur per Brief zu<br />
den Elternabenden einzuladen, hat uns<br />
sehr geholfen“, berichtet eine Erzieherin<br />
aus der Kita Lummerland in Bonn-<br />
Tannenbusch.<br />
„Das Wichtige ist, dass wir uns immer<br />
wieder fragen, ob wir genug für die<br />
Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus<br />
und Kita getan haben oder ob wir<br />
vielleicht eine Möglichkeit ausgelassen<br />
haben, um die Eltern in die Kita zu holen.<br />
Oft geht es so einfach. Man muss nur<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
7
Familienkulturen können mit Hilfe gestalteter Fotowände sichtbar gemacht werden.<br />
Foto: Kita unterm Regenbogen in Bonn<br />
wissen wie.“ Auch die Idee der mehrsprachigen<br />
Hörbücher hat die ErzieherInnen<br />
zum Nachahmen angeregt: Gemeinsam<br />
werden in der Kita mit Eltern<br />
und Geschwistern der Kinder Hörbücher<br />
auf CD aufgenommen, so können die<br />
Kinder eine Geschichte auf Deutsch und<br />
in anderen Sprachen hintereinander<br />
hören. Hier können die Eltern und ältere<br />
Geschwister eine Vorbildfunktion entwickeln,<br />
wenn sie die vielen Geschichten<br />
in beiden Sprachen vorlesen. So werden<br />
die Literalität und die Mehrsprachigkeit<br />
der Kinder gefördert, und die Eltern<br />
beteiligen sich aktiv am Bildungsangebot<br />
der jeweiligen Einrichtung.<br />
Die Entwicklungswerkstätten des Projektes<br />
zu den Themen „Familienkulturen<br />
sichtbar machen“, „Sprachen fördern in<br />
Kindergarten und Elternhaus“ und „Interkulturelle<br />
Arbeitsmaterialien“ sind nun<br />
abgeschlossen. Die Erziehungszusammenarbeit<br />
zwischen Elternhaus und Kita<br />
begleitete kontinuierlich die Arbeit zu den<br />
thematischen Schwerpunkten im Rahmen<br />
der Werkstätten, und es wurden immer<br />
wieder Ansatzpunkte für die Elternarbeit<br />
ermöglicht.<br />
Das Projekt öffnet sich in der letzten<br />
Projektphase nun für ErzieherInnen aus<br />
8 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
anderen Einrichtungen und bietet eine<br />
7-tägige Fortbildung von Oktober 2009<br />
bis Februar 2010 zum Thema „Vorurteilsbewusste<br />
Bildung und Erziehung im Kindergarten“<br />
in Bonn an, dabei wird auch<br />
die Frage der Erziehungspartnerschaft<br />
immer wieder Thema sein. Weitere Informationen<br />
und ein Anmeldeformular finden<br />
Sie unter www.aktioncourage.de/<br />
vielfalt_gestalten. Eine ausführliche Dokumentation<br />
der Ergebnisse der Fortbildungen<br />
werden Anfang 2010 veröffentlicht.<br />
„Vielfalt gestalten“ in NRW<br />
Das Infoportal „Vielfalt gestalten“<br />
(www.aktioncourage.de/vielfalt_gestalten),<br />
das allen Interessierten zugänglich ist,<br />
wertet die Erfahrungen in interkultureller<br />
Arbeit für den Elementarbereich aus. Das<br />
Projektteam gibt Literatur- und Veranstaltungshinweise,<br />
informiert über Bildungspolitik<br />
im Elementar- und Primarbereich,<br />
recherchiert aktuelle Nachrichten zur<br />
Bildungspolitik aus NRW und stellt die<br />
eigenen Praxiserfahrungen anderen<br />
Kitas, Elternnetzwerken und Migrantenorganisationen<br />
zur Verfügung.<br />
Alle drei Monate erscheint zudem der in<br />
ganz NRW verbreitete Newsletter „Kindergarten<br />
für alle“. Er bietet Eltern und<br />
ErzieherInnen interessante Themenschwerpunkte<br />
und einen niedrigschwelligen<br />
Einstieg in interkulturelle Fragestellungen.<br />
Die bereits erschienenen Ausgaben<br />
zu den Themen Ramadan, Opferfest,<br />
interkulturelle Arbeitsmaterialien,<br />
Mehrsprachigkeit uvm. sind im Newsletterarchiv<br />
der Projektinternetseite zu<br />
finden. Den Newsletter erhalten durch<br />
diverse Kooperationen fast alle Kindertageseinrichtungen<br />
sowie 1.500 weitere<br />
relevante Akteure aus NRW. Dazu zählen<br />
Integrationsbeauftragte der Kommunen,<br />
Jugendämter, Kommunalpolitiker, Ministerien,<br />
ErzieherInnenfachschulen, Hochschulen<br />
und Fachhochschulen, Verlage,<br />
Stiftungen etc. Zudem finden auf NRW-<br />
Ebene ein fachlicher Austausch und eine<br />
Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen<br />
und Beratungsstellen statt.<br />
Vielfalt gestalten – Integration im Kindergarten<br />
wird gefördert von Aktion<br />
Mensch, der RheinEnergieStiftung Familie<br />
und der Stiftung Jugendhilfe der<br />
Sparkasse Bonn.<br />
1 Der pädagogische Ansatz wurde von Petra Wagner<br />
und ihrem Berliner Team des Projektes KINDERWELTEN<br />
von den USA nach Deutschland transportiert und für den<br />
Kindergartenbereich weiterentwickelt. Kinderwelten ist<br />
ein Projekt des Instituts für den Situationsansatz/Internationale<br />
Akademie gGmbh an der Freien Universität<br />
Berlin.<br />
2 Vlg. Weltkinderspiele. Verband binationaler Familien<br />
und Partnerschaften – iaf e. V.<br />
Donja Amirpur leitet das Projekt<br />
„Vielfalt gestalten“, sie ist<br />
Kommunikationsforscherin und<br />
Islamwissenschaftlerin und lebt in<br />
Bonn.
SCHWERPUNKTTHEMA<br />
Verantwortung<br />
von 0 bis 18<br />
Aufstieg aus der Unterschicht:<br />
Kommunen, Bildungs- und Sozialeinrichtungen<br />
suchen nach Wegen aus der Armut<br />
Philipp Krohn<br />
Alleinerziehende, Ausländer, Arbeitslose – drei Gruppen sind die Hauptbetroffenen<br />
von Armut. Einige Parteien, Sozialverbände und Kirchen werben<br />
dafür, die Hartz-IV-Regelsätze zu erhöhen. Erfolgreicher aber dürfte die<br />
Prävention sein: Eine bessere Bildung und die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt<br />
sind Schlüssel, um prekären Lebensverhältnissen zu entkommen,<br />
argumentieren Armutsforscher übereinstimmend.<br />
MONHEIM, 3. August. Stadtteile wie<br />
das Berliner Viertel in Monheim gibt es in<br />
jeder Kommune. Vierstöckige Plattenbauten<br />
ziehen sich durch ganze Straßenreihen;<br />
Wohnschlangen werden sie genannt.<br />
Hier wohnen die armen Monheimer,<br />
die Arbeitslosen, die Zuwanderer,<br />
die Alleinerziehenden. 11.000 der<br />
44.000 Einwohner leben hier, rund ein<br />
Fünftel ist auf Sozialtransfers angewiesen.<br />
Dieses Quartier wird auch mit<br />
einem Medienereignis verbunden, das in<br />
ganz Deutschland Aufsehen erregt hat.<br />
„Crash-Kid Andi“ stammt von hier, der<br />
seit 1998 mehrfach Lastwagen gestohlen<br />
hatte, bis er zwei Jahre später im Alter<br />
von 14 Jahren einen niederländischen<br />
Polizisten tot fuhr.<br />
Mehrere teure Aufenthalte in Jugendheimen<br />
hatte er hinter sich; auch eine<br />
Therapie auf Gomera war erfolglos geblieben.<br />
„Deshalb haben wir uns gefragt,<br />
warum es eigentlich immer nur der Reparaturbetrieb<br />
sein muss“, sagt Bürgermeister<br />
Thomas Dünchheim. Bevor der<br />
CDU-Politiker 1999 Bürgermeister wurde,<br />
waren die Kosten für Heimunterbringungen<br />
auf schwindelerregende<br />
Höhen geschnellt. Wenn man dieses Geld<br />
10 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
einsetzen würde, um gezielt etwas gegen<br />
Kinderarmut zu tun, würde das sehr viel<br />
erfolgreicher sein, dachten sich Dünchheim,<br />
seine Jugendamtsleiterin und die<br />
Arbeiterwohlfahrt (AWO).<br />
Die Ergebnisse der Überlegungen wurde<br />
drei Jahre später als „Mo.Ki – Monheim<br />
für Kinder“ in einem Modellprojekt verwirklicht.<br />
Es gewann 2004 den Präventionspreis<br />
von Bertelsmann-Stiftung und<br />
Bundesgesundheitsministerium und wurde<br />
in einer OECD-Bildungsstudie als<br />
„beispielhaftes Projekt“ vorgestellt. Der<br />
Kerngedanke des Programms ist eine<br />
stärkere Vernetzung. „Keine Stadt, kein<br />
Träger von Kindertagesstätten allein kann<br />
etwas gegen Armut tun – und auch nicht<br />
Inge Nowak“, sagt Inge Nowak, die das<br />
Projekt als Mitarbeiterin der Stadt koordiniert.<br />
Im ersten Schritt öffneten sich die fünf<br />
Kindertagesstätten im Viertel für eine Zusammenarbeit:<br />
AWO, evangelische und<br />
katholische Kirche und die Stadt sahen<br />
sich nicht mehr als Konkurrenten – und sie<br />
kommunizierten enger mit dem Jugendund<br />
dem Gesundheitsamt. Für Erzieher<br />
wurden kostenlose Fortbildungen ange-<br />
boten, die ihnen vermittelten, wie man<br />
Stärken stärkt (Marte Meo). Das Geld<br />
wurde aus dem städtischen Haushalt umgeschichtet:<br />
Stunden der Familienhelfer<br />
wurden statt für akute Beratungen für<br />
Fortbildungen genutzt. Außerdem können<br />
die Einrichtungen Etatmittel und<br />
Spenden einsetzen, um Kindern Sportangebote,<br />
Kunstschulungen und Musikerziehung<br />
zu ermöglichen.<br />
Die Fortbildung beschränkt sich allerdings<br />
nicht auf die Mitarbeiter, sondern<br />
wird auch Eltern angeboten. „Früher waren<br />
wir froh, wenn sie um 9 Uhr die Kita<br />
verließen. Heute sind sie willkommen“,<br />
berichtet Nowak. Gülsüm Erdogan wurde<br />
in drei Seminaren zur Familienmoderatorin<br />
fortgebildet. Einmal im Monat<br />
wird die gebürtige Türkin von anderen<br />
Müttern eingeladen, um Erziehungsthemen<br />
zu besprechen. „Meist bekommen<br />
sie die Lösungen durch Gespräche heraus;<br />
erst wenn die Probleme größer sind,<br />
gehe ich zur Erziehungsberatungsstelle“,<br />
erzählt sie. An Werktagen treffen sich<br />
viele der ausländischen Mütter im Familiencafé.<br />
Zahnprophylaxe und Vorlesetraining<br />
sind weitere Angebote, über die<br />
Eltern hier informiert werden. Durch die<br />
Koordinationsarbeit von Inge Nowak<br />
weiß jede Institution über alle Hilfen Bescheid.<br />
Und statt im Rathaus hat sie ihr<br />
Büro im sozialen Brennpunkt.<br />
„Unser Ziel war von Anfang an, eine Präventionskette<br />
von der Geburt bis zur Berufsausbildung<br />
zu bieten“, sagt Bürgermeister<br />
Dünchheim. Deshalb wurde<br />
Mo.Ki nach und nach um mehrere Stufen<br />
erweitert. Damit die Unterstützung nicht<br />
plötzlich abbricht, wenn die Kinder in die<br />
Schule kommen, hat die Stadt zwei Sozialarbeiterinnen<br />
entsandt. An den bei-
Triste Vorstädte gibt es in fast jedem größeren Ort in Deutschland. Foto: Bardewyk/pixelio<br />
den Grundschulen des Viertels haben sie<br />
ebenfalls Elterncafés eingerichtet, wo<br />
neue altersspezifische Angebote an die<br />
Familien gerichtet werden. „Wenn Eltern<br />
das schon aus einer früheren Phase kennen,<br />
nehmen sie Hilfen auch schneller in<br />
Anspruch“, sagt Corinna Hartmann, eine<br />
der Mitarbeiterinnen. Als Teil des Marte-<br />
Meo-Erziehungskonzepts filmt sie Grundschullehrer,<br />
mit denen sie anschließend<br />
analysiert, wie sie noch gezielter die Konzentrationsfähigkeit<br />
der Kinder trainieren<br />
können.<br />
Vergangenen Herbst startete die Stufe<br />
„Mo.Ki unter 3“, für die die AWO vier<br />
Stellen mit Hilfe der Stiftung Wohlfahrtspflege<br />
Nordrhein-Westfalen finanziert.<br />
Neugeborene bekommen ein Begrüßungspaket,<br />
wodurch die Stadt frühzeitig<br />
dokumentiert, dass sie die Verantwortung<br />
für die Kinder mitübernimmt. Eine Familienhebamme,<br />
die zusätzlich in einer<br />
gynäkologischen Praxis arbeitet, nimmt<br />
frühzeitig Kontakt zu Risikofamilien auf<br />
und vermittelt ihnen bei Bedarf weiterführende<br />
Hilfen wie zum Beispiel Elternkompetenzkurse.<br />
Wissenschaftliche Studien<br />
haben gezeigt, dass nicht jedes<br />
arme Kind unter Deprivationserscheinungen<br />
leiden muss; aber je länger die<br />
Armut andauert, desto wahrscheinlicher<br />
werden sie. „Das kann zu unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten akut werden“, sagt<br />
Inge Nowak. „Und unsere Präventionskette<br />
erlaubt uns, darauf zu reagieren.“<br />
Die Erfolge des Projekts sind naturgemäß<br />
nicht einfach zu messen. „Aber unsere<br />
Quote von ambulanter und stationärer<br />
Jugendhilfe weist mit 70 zu 30 den besten<br />
Wert aller geprüften Kommunen des<br />
Landes auf“, sagt Jugendamtsleiterin<br />
Annette Berg. Im Durchschnitt liegt die<br />
Quote in Nordrhein-Westfalen bei 44 zu<br />
56. Koordinatorin Inge Nowak nennt ein<br />
anderes Erfolgsmaß: 128 Kinder aus<br />
dem abgehängten Berliner Viertel hätten<br />
2009 am alljährlichen Stadtlauf teilge-<br />
"Armut kann<br />
zu verschiedenen Zeiten<br />
akut werden.<br />
Unsere Präventionskette<br />
erlaubt uns zu reagieren."<br />
Inge Nowak,<br />
Mo.Ki-Projektleiterin<br />
nommen, sechs Jahre zuvor war es kein<br />
einziges. Sie fühlten sich zunehmend als<br />
Teil der Kommune. Eine Erzieherin berichtet,<br />
dass vom Berliner Viertel nicht<br />
mehr als „Asi-Stadtteil“ gesprochen wird,<br />
stattdessen werde oft gefragt, wann<br />
Mo.Ki den nächsten Preis zugesprochen<br />
bekomme. Die Zahl der Angebote für<br />
Familien wachse stetig, berichtet Inge<br />
Nowak; auch größere Kommunen wie<br />
München oder Gelsenkirchen suchten Rat<br />
bei ihr.<br />
Monheim habe mit seinem Ansatz erreicht,<br />
dass keiner in der Stadt mehr<br />
sagen könne, Armut gehe ihn nichts an,<br />
sagt die Frankfurter Sozialforscherin<br />
Gerda Holz, die das Projekt wissenschaftlich<br />
begleitet hat. „Zunächst wurde<br />
die Tabuisierung aufgehoben und dadurch<br />
war keine Handlungsoption mehr<br />
ausgeschlossen“, erklärt die Mitarbeiterin<br />
des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik.<br />
Das sei nichts Besonderes,<br />
findet Bürgermeister Thomas Dünchheim.<br />
„Man sollte das Problem nicht leugnen –<br />
nur weil es vermeintlich nicht zum Stadtmarketing<br />
passt.“ Dankbar sei er für die<br />
Anschubfinanzierung der Stiftung Wohlfahrtspflege<br />
und des Landschaftsverbandes.<br />
Am Ende aber lohne sich die<br />
Prävention auch finanziell. Und deshalb<br />
sollen demnächst Mo.Ki 3 und 4 für<br />
weiterführende und Berufsschulen eingeführt<br />
werden.<br />
entnommen der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom<br />
04.08.2009, Nr. 178, S. 10<br />
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am<br />
Main<br />
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<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
11
2. TITELTHEMA<br />
Heike Helmchen-Menke<br />
Die Bildungsoffensive in Deutschland<br />
wirkt sich auch positiv auf die religiöse<br />
Erziehung aus. Kinder und ihre religiösen<br />
Bedürfnisse rücken mehr in den Vordergrund<br />
– bei den Familien, bei den<br />
Einrichtungen, in denen Kinder tagsüber<br />
betreut, erzogen und gebildet werden,<br />
und in der öffentlichen Wahrnehmung.<br />
Der Buchmarkt bietet mittlerweile in stetig<br />
wachsendem Umfang gute religionspädagogische<br />
Literatur, nicht nur für das<br />
familiäre Umfeld, sondern auch für Erzieherinnen<br />
und Erzieher. Unter Pädagogen<br />
ist es heute nahezu unbestritten,<br />
dass die Auseinandersetzung mit Religion<br />
zur ganzheitlichen Entwicklung der<br />
Persönlichkeit aller Kinder dazugehört.<br />
Mit diesen Erkenntnissen und Entwicklungen<br />
scheint „Religion für Kinder“<br />
wieder gesellschaftsfähiger zu werden.<br />
Als wichtiges Anzeichen dafür darf man<br />
werten, dass fast alle Bundesländer in<br />
ihren neuen Bildungs- und Orientierungsplänen<br />
die Bereiche „Religion“, „Sinn“<br />
und „Werte“ als verpflichtende Bildungsziele<br />
verankert haben – unabhängig von<br />
der Trägerschaft der Einrichtungen (vgl.<br />
CIG Nr. 28/2008, S. 313).<br />
Wie ging die Auferstehung?<br />
Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang<br />
ein Interview in der „Frankfurter<br />
Allgemeinen“ kurz vor Ostern, das<br />
so noch vor ein paar Jahren kaum vorstellbar<br />
gewesen wäre. Darin wurden<br />
dem Tübinger Religionspädagogen<br />
Albert Biesinger Fragen gestellt, wie sie<br />
Eltern oft begegnen: Wie konnte Gott<br />
12 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
Wenn dein Kind<br />
dich fragt …<br />
Kirchliche Kindergärten und Kindertagesstätten beobachten, dass immer mehr<br />
Eltern von ihnen Hilfestellung und Unterstützung erwarten, wenn es um die<br />
Vermittlung von Lebenssinn, Glauben und Religion geht.<br />
zulassen, dass Jesus gekreuzigt wurde?<br />
Warum hat sich Jesus nicht gewehrt? Wie<br />
ging das mit der Auferstehung? Der<br />
Professor zeigte gut verständlich auf, dass<br />
gerade im Leiden Jesu deutlich wird, wie<br />
sich Gott wirklich dem Menschen zugewandt<br />
hat. „Jesus ist keiner, der immer<br />
nur lächelt und siegt.“ Vielmehr erging es<br />
ihm genauso wie den<br />
vielen leidenden Menschen<br />
früher und heute:<br />
„Jesus hat all das erlebt,<br />
damit er den<br />
Menschen, die leiden,<br />
nahe ist.“<br />
Und weil Gott den<br />
Menschen zeigen wollte,<br />
dass mit dem Tod<br />
nicht alles zu Ende ist,<br />
musste sein Sohn<br />
„durch den Tod hindurchgehen.<br />
Jesus kam<br />
nach seinem Tod wieder<br />
zu Gott, durch die<br />
Auferstehung.“<br />
Schließlich bekennt<br />
Biesinger ganz persönlich<br />
die Bedeutung der<br />
Auferstehung Jesu für<br />
uns heute: „Ich glaube,<br />
dass Jesus uns in der<br />
Stunde unseres Todes in<br />
die göttliche Welt begleitet,<br />
in ein neues<br />
Leben.“ Hier wird Eltern<br />
– und anderen fragenden<br />
Menschen –<br />
auf eine gute Weise das Wesentliche des<br />
christlichen Glaubens erschlossen.<br />
Auch kirchlicherseits rückt die religiöse<br />
Erziehung und Bildung von Kindern derzeit<br />
wieder mehr in den Blickpunkt. So<br />
haben sich in jüngster Zeit die Bischofskonferenz<br />
aber auch einzelne Bischöfe<br />
zu Wort gemeldet.<br />
Mit einem Fastenhirtenbrief hat sich der<br />
Paderborner Erzbischof Hans-Josef<br />
Becker an junge Eltern und andere Erwachsene<br />
gewandt, die mit Kindern<br />
leben oder arbeiten. Unter dem Titel<br />
„Wenn dein Kind dich morgen fragt? …<br />
Von der Verkündigung des Glaubens an<br />
Religiöse Nachdenklichkeit verdanken viele Kinder und Jugendliche nicht<br />
nur dem Vorbild ihrer Eltern, sondern im Idealfall auch ihren Erziehern.<br />
Foto: von Melis/pixelio
die kommende Generation“ gibt er<br />
Anstöße, sich mit der religiösen Entwicklung<br />
und Erziehung der Kinder auseinanderzusetzen.<br />
Der Erzbischof ermutigt<br />
die Erwachsenen, sich durch die<br />
Fragen der Kinder nach Leben, Krankheit,<br />
Sterben, Tod und dem Sinn des<br />
Lebens selbst wieder religiös herausfordern<br />
zu lassen.<br />
Religiöse Erziehung geschieht also nicht,<br />
indem einfach Wissen weitergegeben<br />
wird. Vielmehr empfiehlt Becker, dass die<br />
existenziellen Fragen der Kinder nach<br />
dem Woher und Wohin zur Grundlage<br />
für Gespräche werden. Die Erwachsenen<br />
sollen sie „so konkret und anschaulich wie<br />
möglich – am besten mit einer Geschichte<br />
– beantworten, sei es nun mit einer Erzählung<br />
aus der Bibel oder mit einer<br />
persönlichen Glaubens- oder Lebenserfahrung“.<br />
Gerade aber auch die religiösen<br />
Fragen, auf die Erwachsene keine<br />
Antwort haben, Fragen, nach deren Antworten<br />
wir unser Leben lang suchen,<br />
können „die Chance zu einem fruchtbaren<br />
Gespräch mit den Kindern sein“.<br />
Becker stellt heraus, dass das religiöse<br />
Fragen sowohl die Kinder als auch die<br />
Erwachsenen in ihrer Entwicklung weiterbringt.<br />
Um diese Weiterentwicklung ihres<br />
Glaubens sollen sich gerade auch die<br />
Erwachsenen ernsthaft bemühen, denn<br />
die „christliche Gotteserfahrung ist sehr<br />
viel facettenreicher, als uns dies oft bewusst<br />
ist“. Gleichzeitig stellt Becker klar,<br />
dass es zur religiösen Erziehung „kein<br />
abgeschlossenes Theologiestudium“<br />
braucht, „sondern die eigene Glaubensüberzeugung<br />
und einige gute Gewohnheiten,<br />
die den Alltag begleiten“. Er<br />
benennt – neben dem Gespräch mit den<br />
Kindern – die klassischen christlichen<br />
Rituale: Gebete, Segnungen und das Mitfeiern<br />
von kindgemäßen Gottesdiensten.<br />
Besonders in den Gottesdiensten können<br />
Kinder die Erfahrung religiöser Gemeinschaft<br />
machen.<br />
Flügel wie die Vögel<br />
Andere Bischöfe haben sich direkt an die<br />
Kinder gewandt. Zum Beispiel hat der<br />
Kölner Kardinal Joachim Meisner im<br />
letzten Jahr einen solchen Hirtenbrief<br />
geschrieben mit dem Titel: „Glaube gibt<br />
Flügel“.<br />
Beim Spielen im Kindergarten erlernen die Kinder vor allem soziale Kompetenz, doch auch die religiöse<br />
Erziehung spielt eine immer größere Rolle. Foto: Hofschläger/pixelio<br />
Anschaulich versucht er, das Mehr des<br />
Glaubens zu beschreiben. „Unser Glaube<br />
an Gott ist so etwas wie die Flügel für<br />
die Vögel. Der Glaube lässt uns Menschen<br />
über uns selbst hinauskommen.“<br />
Dabei gibt er Einblick in verschiedene<br />
Facetten des persönlichen Betens. Auch<br />
Meisner betont, wie wichtig es ist, seinen<br />
Glauben zusammen mit anderen zu<br />
leben, zu teilen und zu feiern. Er bittet die<br />
Kinder, in Jugendgruppen der Gemeinde<br />
einzutreten, damit sie, „durch die<br />
Gemeinschaft mitgetragen“, die Liturgie<br />
mitfeiern, ihre Freundschaft zu Jesus vertiefen<br />
und sich gegenseitig stärken<br />
können.<br />
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz,<br />
der Freiburger Erzbischof Robert<br />
Zollitsch, wandte sich neulich mit einem<br />
besonderen Brief an die etwa 20.000<br />
Erstkommunionkinder seiner Erzdiözese.<br />
Er betont die Gemeinschaft mit Jesus und<br />
das Miteinander der Glaubenden: „Die<br />
Gemeinschaft des Glaubens macht uns<br />
stark“ bei Erfahrungen von Glück und<br />
Freude, aber auch, „wenn wir Angst<br />
haben und traurig sind“. Auch Zollitsch<br />
ermutigt die Kinder, „mit Jesus und mit<br />
anderen Christen“ in Kontakt zu bleiben<br />
und am Gemeindeleben teilzunehmen. Er<br />
schreibt dies, weil er weiß, wie wichtig<br />
frühe eigene Erfahrungen mit Religion,<br />
Glaube und Kirche sind. Diese Erfahrungen<br />
tragen in hohem Maß zur religiösen<br />
Bildung bei.<br />
Bei solchen Einladungen zu religiösen<br />
Gemeinschaftserfahrungen stehen die<br />
Ortsgemeinden vor einer besonderen<br />
Herausforderung. Sie sollen für Kinder<br />
und Eltern Orte des gemeinsam gelebten<br />
Glaubens sein. In diesem Rahmen kommt<br />
den Kindertagesstätten eine tragende<br />
Rolle zu. Ihre Bedeutung hat vor kurzem<br />
die Bischofskonferenz hervorgehoben.<br />
Auf ihrer Frühjahrsvollversammlung verabschiedete<br />
sie eine Erklärung, die den<br />
Auftrag der kirchlichen Kindergärten in<br />
den Blick nimmt: „Welt entdecken, Glauben<br />
leben. Zum Bildungs- und Erziehungsauftrag<br />
katholischer Kindertageseinrichtungen“.<br />
Immer öfter nur ein Elternteil<br />
Dieses Dokument beginnt mit einem<br />
Bekenntnis zur Rolle der Familie: „Die<br />
Familie ist in allen Entwicklungsphasen<br />
des Kindes die grundlegende Erziehungsund<br />
Bildungsinstitution, deren Leistungen<br />
durch andere Institutionen kaum zu ersetzen<br />
sind.“ Die Kindertageseinrichtungen<br />
können (und sollen) die Aufgaben<br />
der Familie nicht übernehmen. Vielmehr<br />
unterstützen und ergänzen sie „die familiäre<br />
Erziehung und Bildung“.<br />
Diese Erklärung setzt bei den aktuellen<br />
gesellschaftlichen Bedingungen an, unter<br />
denen Kinder aufwachsen. Das heißt:<br />
Leben in der Kleinfamilie, oft ohne Geschwister,<br />
immer öfter mit nur einem<br />
Elternteil; Konfrontation mit verschiede-<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
13
Erziehende solten sich an der christlichen Symbolik und dem Brauchtum orientieren: So erfahren die Kinder,<br />
dass Ostern mehr bedeutet, als der Eier bemalende Osterhase. Foto: Altmann/pixelio<br />
nen Kulturen und Religionen; ohne gelebte<br />
Religion; mit elektronischen Medien; in<br />
Migrantenfamilien und/oder in materieller<br />
Armut.<br />
Erwartungen an<br />
Kindertagesstätten<br />
Die Bischöfe beleuchten – durchaus auch<br />
kritisch – die Erwartungen, die von Eltern,<br />
Trägern und Schulen heute vielfach an<br />
Kindertagesstätten gerichtet werden.<br />
Zwar sehen auch sie Kindertagesstätten<br />
als Orte, an denen herkunftsbedingte<br />
Defizite bei Kindern frühzeitig ausgeglichen<br />
werden können und so Bildungsarmut<br />
vermieden werden kann. Sie betonen<br />
jedoch, dass die Einrichtungen in<br />
erster Linie dem Wohl und der guten<br />
Entwicklung der Persönlichkeit der Kinder<br />
verpflichtet sind. Diese muss Vorrang<br />
haben vor manchen Ansprüchen von<br />
Eltern und Schulen, schon in der Elementarpädagogik<br />
die Kinder möglichst früh<br />
fit für die Schule und die Arbeitswelt zu<br />
machen. Als zentrales Qualitätsmerkmal<br />
kirchlicher Kindertagesstätten wird die<br />
religiöse Erziehung und Bildung benannt.<br />
Kann das gelingen, wenn die Kinder<br />
kaum religiöse Erfahrungen von zu<br />
Hause mitbringen? Den erkennbaren<br />
Mangel an religiöser Erziehung innerhalb<br />
der Familie wollen die Bischöfe<br />
„nicht einfach als Indiz für ein religiöses<br />
Desinteresse der Eltern gedeutet“ sehen.<br />
„Die Gründe liegen vielmehr in der<br />
Glaubensunsicherheit und in der reli-<br />
14 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
giösen Sprachlosigkeit vieler Eltern.“ Und<br />
vor diesem Hintergrund „schätzen sie (die<br />
Eltern) auch die Qualität religiöser<br />
Erziehung in kirchlichen Einrichtungen“.<br />
Der Text beschreibt, wie die Erzieherinnen<br />
den Kindern helfen können, sich<br />
verschiedene Weltzugänge zu eröffnen,<br />
etwa über Sprache, Kommunikation,<br />
Kultur, Kunst, Musik, Mathematik, Naturwissenschaften<br />
und Technik. All diese<br />
Bereiche können für die religiöse Dimension<br />
durchlässig sein. So sollen kirchliche<br />
Kindertagesstätten „großen Wert darauf<br />
legen, den Kindern die christliche Prägung<br />
unserer Kultur und Geschichte zu<br />
erschließen“ oder „die Natur als Gottes<br />
Schöpfung“ zu begreifen und aufgrund<br />
christlicher Werte gelingendes Miteinander<br />
einzuüben. Glaube und Religion<br />
eröffnen „einen eigenen Zugang zur<br />
Wirklichkeit, der durch keine andere Art<br />
der Welterfahrung ersetzt werden kann“.<br />
So werden Kinder in ihrer Identitätsentwicklung<br />
unterstützt. „Für das Zusammenleben<br />
in unserer pluralistischen Gesellschaft<br />
ist es von großer Bedeutung,<br />
dass Kinder schon im Vorschulalter lernen,<br />
religiöse und kulturelle Unterschiede<br />
wahrzunehmen, ein Bewusstsein der<br />
eigenen religiösen und kulturellen Zugehörigkeit<br />
zu entwickeln und sich mit<br />
anderen zu verständigen.“<br />
Das Ganze soll im Rahmen eines<br />
„integrativen Bildungskonzeptes“ ge-<br />
schehen. „Das heißt, Erzieherinnen und<br />
Erzieher verbinden die verschiedenen<br />
Dimensionen in der Planung und Gestaltung<br />
von Lernsituationen.“ Dabei sollen<br />
sie, so oft es geht, von den konkreten Fragen<br />
der Kinder ausgehen. Außer im<br />
Gespräch lernen Kinder vor allem „handlungs-,<br />
erfahrungs- und erlebnisbezogen“.<br />
Daher sollen sich die Erziehenden<br />
an der christlichen Symbolik und dem<br />
Brauchtum orientieren, denn das „veranschaulicht<br />
den christlichen Glauben und<br />
erschließt damit den Kindern und Eltern<br />
einen sinnlichen und erlebnisorientierten<br />
Zugang zum Glauben“.<br />
Hier werden also hohe Anforderungen<br />
an die religionspädagogische Kompetenz<br />
von Erzieherinnen formuliert. Konsequenterweise<br />
fordern die Bischöfe von<br />
den Trägern und den Verantwortlichen in<br />
der Aus- und Fortbildung Unterstützung<br />
für die religiöse Bildung der Erzieherinnen<br />
und Erzieher.<br />
Die Bischöfe sehen eine besondere Aufgabe<br />
kirchlicher Kindertagesstätten in<br />
deren Verantwortung für die „religiöse<br />
Beheimatung“ der Kinder. Denn „Kinder<br />
lernen den Glauben, indem sie ihn erleben“.<br />
Auch das Wissen um „die Bedeutung<br />
der Feste, Rituale und Symbole“<br />
muss ihnen erschlossen werden, denn „im<br />
Zentrum der religiösen Erziehung und<br />
Bildung steht die Gottesfrage“. Und bei<br />
allen berechtigten Bildungsansprüchen<br />
sollen Kindertagesstätten Orte sein, „an<br />
denen das Kind Kind sein darf und in<br />
kindgemäßer Weise die Welt entdecken<br />
und Glauben leben kann“.<br />
Und die Adressaten? In vielen Familien<br />
und Kindertageseinrichtungen zeigt sich<br />
in der Tat ein Trend, die Auseinandersetzung<br />
mit Religion und Glauben wieder<br />
ausdrücklicher zu gestalten. Dabei wird<br />
(wenn auch oft noch zaghaft) die Nähe<br />
zur Kirchengemeinde und zu christlichen<br />
Ritualen gesucht. Dieser Aufbruch ist eine<br />
große Chance für alle Beteiligten. Von<br />
den jüngsten Veröffentlichungen der<br />
Bischöfe dürfen sie sich ermutigt fühlen,<br />
Kinder wieder mehr in die Mitte zu<br />
stellen.<br />
entnommen der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ –<br />
Nr. 20/09 vom 17. Mai 2009
Doping vor dem Unterricht<br />
Immer mehr Schüler schlucken leistungssteigernde<br />
Tabletten, teils ohne ärztliche Aufsicht<br />
Helene Jeschke<br />
Die Zahl der Schüler, die regelmäßig leistungssteigernde Tabletten einnehmen, ist<br />
in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Expertenschätzungen zufolge<br />
nimmt jeder zehnte Schüler in Deutschland Psychopharmaka, bevor er zum<br />
Unterricht geht.<br />
Am Anfang steht der Stress: Laut einer<br />
Umfrage der Krankenkasse DAK bemerken<br />
42 Prozent der Eltern bei ihren<br />
Kindern Stresssymptome. Bei jedem fünften<br />
Schulkind treten sie sogar häufig bis<br />
sehr häufig auf. Rund 57 Prozent der<br />
Schüler reagieren unkonzentriert, nervös<br />
und überdreht.<br />
Ständiger Stress verursacht schon bei<br />
Kindern und Jugendlichen ernste psychische<br />
Erkrankungen. So werden bereits<br />
Zehn- bis 15-Jährigen auffallend häufig<br />
Psychopharmaka verordnet. Die Symptome<br />
bei den Schülern reichen von Kopfund<br />
Bauchschmerzen über Aufmerksamkeitsstörungen<br />
bis hin zu Depressionen<br />
und Schlafproblemen. Jungen sind<br />
häufiger betroffen als Mädchen.<br />
Vor allem bei kleineren Kindern spielt die<br />
Erwartungshaltung der Eltern eine große<br />
Rolle. Pädagogen raten den Eltern, sich<br />
zu überlegen: Setze ich meinem Kind zu<br />
hohe Ziele – oder tut es das sogar selbst?<br />
Grundschullehrer beobachten, dass Kinder<br />
die unausgesprochenen Erwartungen<br />
von Eltern zu ihren eigenen machen und<br />
sich selbst unter Leistungsdruck setzen.<br />
Immer mehr Eltern landen dann über kurz<br />
oder lang mit ihren Kindern beim Arzt –<br />
und bekommen Psychopharmaka verschrieben.<br />
„Etwa jedes zehnte Kind<br />
nimmt inzwischen regelmäßig leistungssteigernde<br />
Tabletten“, berichtet der<br />
Augsburger Weihbischof Anton Losinger,<br />
der sich im Deutschen Ethikrat mit dem<br />
Thema beschäftigt hat.<br />
Spätfolgen sind überhaupt<br />
nicht abschätzbar<br />
Besonders problematisch sei zudem die<br />
hohe Dunkelziffer von Eltern, die sich –<br />
am Arzt vorbei – relativ leicht übers Internet<br />
Medikamente für ihre Kinder besorgten.<br />
Methylphenidat etwa, bekannter<br />
unter dem Markennamen Ritalin, das<br />
ansonsten bei der Behandlung des sogenannten<br />
„Zappelphilipp-Syndroms“<br />
(ADS/ADHS) zum Einsatz kommt. Bei<br />
gesunden Kindern steigert es die Leistung<br />
des Gehirns.<br />
„Dieses Gehirndoping ist sehr gefährlich,<br />
da die gesundheitlichen Auswirkungen<br />
und Spätfolgen noch überhaupt nicht abschätzbar<br />
sind“, so Losinger. „Außerdem<br />
führt gerade die unkontrollierte Medikamentenabgabe<br />
häufig zu Verhaltensauffälligkeiten<br />
bei den Schülern.“<br />
Als Schulreferent seines Bistums macht<br />
Losinger die Erfahrung, dass vor allem in<br />
den Übergangsklassen zu den weiterführenden<br />
Schulen leistungssteigernde<br />
Psychopharmaka gehäuft zum Einsatz<br />
kommen. „In unsere Beratungsstellen<br />
kommt seit einigen Jahren eine hohe Zahl<br />
von Schülern mit ihren Eltern, die mit<br />
diesen Problemen kämpfen.“ Auch die<br />
Seelsorger der Schulpastoral registrierten<br />
eine Zunahme von Schülern, die Medikamente<br />
zur „mentalen Aufhellung“ einnähmen.<br />
In den USA gilt Ritalin bereits als Modedroge<br />
unter Jugendlichen. Etwa zehn<br />
Prozent aller Studenten geben an, das<br />
BILDUNG HEUTE<br />
Mittel regelmäßig zur Leistungsstei- gerung<br />
einzunehmen. Auch in Deutschland<br />
ist die Tendenz steigend. Von Verhältnissen<br />
wie in den USA ist man zwar noch<br />
weit entfernt, aber auch in deutschen<br />
Schulen wird Ritalin längst unter Jugendlichen<br />
getauscht.<br />
Losinger sieht hinter dem Ganzen auch<br />
eine gesellschafts-ethische Dimension:<br />
„Es herrscht eine enorme Leistungserwartung,<br />
die auch schon an Kinder im<br />
frühesten Schulalter gestellt wird. Hinzu<br />
kommt ein Konformitäts-druck.“ Konkret:<br />
Kindern, die nicht einwandfrei „funktionieren“<br />
und den gesellschaftlichen Anforderungen<br />
an Leistung und Anpassungsfähigkeit<br />
nicht genügen, werden mit chemischen<br />
Mitteln auf Erfolg und Konformität<br />
getrimmt. „Das ist ganz klar eine<br />
gesellschaftliche Fehlstellung, wenn solch<br />
ein Druck auf Kinder herrscht“, kritisiert<br />
Losinger.<br />
Probleme in der Schule sind<br />
keine Katastrophe<br />
Die Pädagogin und Buchautorin Heidemarie<br />
Brosche macht Eltern Mut, sich<br />
nicht vom Strudel aus Leistungsdruck und<br />
Zukunftssorgen mitreißen zu lassen. Sie<br />
rät vor allem zu Gelassenheit. Weder<br />
Schwierigkeiten in der Schule noch die<br />
Tatsache, dass das Kind das Gymnasium<br />
nicht packt, seien eine Katastrophe. Das<br />
Kind anzunehmen, wie es ist, und sich<br />
nicht aus der Ruhe bringen lassen, hilft<br />
nach Überzeugung der dreifachen Mutter<br />
besser als Druck, Angst oder gar<br />
Psychopharmaka.<br />
Buchtipp:<br />
Heidemarie Brosche:<br />
Warum es nicht so schlimm ist, in der<br />
Schule schlecht zu sein.<br />
Schulschwierigkeiten gelassen meistern.<br />
Kösel,14,95 Euro.<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
15
BILDUNG HEUTE<br />
GLAUBENleben<br />
„Weg mit den<br />
Fünfen und<br />
Sechsen!“<br />
Dieser sehnliche Wunsch eines wahrscheinlich<br />
jugendlichen Sprayers<br />
schmückte lange Zeit die Hauswand unserer<br />
Jugendbüros in Münster. Die bunte<br />
Wand wurde übermalt, doch der Sprayer<br />
blieb hartnäckig. Inzwischen steht an<br />
dieser Stelle ein anderes Haus. Wenn<br />
ich dort vorbeikomme, erinnere ich mich<br />
gern an die vielen zugedeckten Wünsche.<br />
Hinter dem „Weg mit den Fünfen<br />
und Sechsen“ verbergen sich die Ängste<br />
vor Abwertungen und Niederlagen aller<br />
Art, die Angst vor Kränkung – ganz<br />
unten zu sein – nie auf einen grünen<br />
Zweig zu kommen – nicht geachtet zu<br />
werden – einfach nicht mitzukommen.<br />
Das gilt für Kinder, Jugendliche und<br />
Erwachsene.<br />
Jeder hätte es lieber, wenn er sich mit<br />
1,0 auf dem Siegertreppchen wieder<br />
finden könnte. Doch die Plätze auf dem<br />
Siegertreppchen sind rar. Sie füllen Gedankenwelten,<br />
ermöglichen Schlagzeilen,<br />
prägen Mentalitäten, sind reserviert<br />
für die Erfolgreichen und Schönen.<br />
Die Siegertreppchen und die Fünfen und<br />
Sechsen markieren überdeutlich den<br />
Unterschied zwischen unten und oben.<br />
Nach meiner Meinung wird es weiterhin<br />
Sieg und Niederlage geben. Die große<br />
16 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
Kunst ist es, damit umzugehen. „In der<br />
Niederlage zeigt sich, was ich für ein<br />
Mensch bin“, sagte mir ein Politiker.<br />
Wenn einer seine innere Unabhängigkeit<br />
nicht verliert, wenn er seine Selbstachtung<br />
bewahrt, nicht mit Geringachtung anderer<br />
reagiert, kann er weiterhin aufrecht<br />
an seinem Platz leben. Aber einfach ist<br />
das nicht! Auch der „Sieger“ bleibt nur<br />
lebendig, wenn er nicht „abhebt“ sondern<br />
in Augenhöhe Mensch unter<br />
Menschen bleibt.<br />
Notwendigkeiten – Fragen –<br />
Wünsche<br />
● Jedes Kind, jeder Schüler braucht die<br />
Chance, das zu entwickeln, was er<br />
kann, was ihm möglich ist. Alles andere<br />
ist unter seiner Würde. Alle Lehrpläne<br />
sind unter dieser Rücksicht mit<br />
Vorsicht zu behandeln.<br />
Eine Schule ist immer<br />
„Ressourcenschule!“<br />
● In der Welt von unten und oben ist es<br />
notwendig, eine Sprache einzuüben,<br />
die Wertschätzung und Achtung atmet,<br />
die ein Klima von Kränkung und<br />
Geringachtung verhindert. Auch – oft<br />
unbedachte – Worte können Waffen<br />
sein.<br />
● Eine hohe Kunst ist es, sich nicht klein<br />
und böse machen zu lassen. Das beschädigt<br />
die Würde und verführt dazu,<br />
anderen in die „Waden zu<br />
beißen“.<br />
● Wie kann ich eine Geisteshaltung einüben,<br />
die mich fühlen lässt, dass alle<br />
Menschen gleich groß und gleich klein<br />
sind? Denn zugewandte Worte ohne<br />
innere Achtung und Wertschätzung<br />
klingen hohl.<br />
● „Jede Fünf macht uns härter!“ – posaunt<br />
der Schüler und verbirgt dahinter<br />
seine Verwundbarkeit. Wie<br />
kann die Aufmerksamkeit wachsen<br />
für das, was sich hinter den Worten<br />
verbirgt? Welche Art von „Härte“ ist<br />
notwendig, welche Verhärtung<br />
verhindert Lebendigkeit?<br />
● „Gewinner“ und „Verlierer“ sind auf<br />
unterschiedliche Weise und in gleichem<br />
Maße bedürftig. Sie brauchen<br />
Wertschätzung, Kontakt, Nähe, um<br />
lebenstüchtige Menschen werden zu<br />
können.<br />
Aus meiner Sicht ist die Bibel ein<br />
kostbarer Schatz, der die Würde des<br />
Menschen und die Gleichheit aller Menschen<br />
in vielen Worten, Liedern und<br />
Bildern zum Ausdruck bringt. Niemals<br />
abgehoben und idealisiert, immer in<br />
Kontakt mit der konkreten, begrenzten<br />
Lebenswirklichkeit.<br />
Als die schwangere<br />
Maria ihre ebenfalls<br />
schwangere Verwandte<br />
Elisabeth besucht, wird<br />
Man kann sich nicht immer auf dem Siegertreppchen wiederfinden. Foto: Hofschlaeger/pixelio<br />
ihr ein Lied in den Mund gelegt. Darin<br />
heißt es u. a.:<br />
„Er vollbringt mit seinem Arm macht<br />
volle Taten: Er zerstreut die im Herzen<br />
voll Hochmut sind;<br />
Er stürzt die Mächtigen vom Thron und<br />
erhöht die Niedrigen.<br />
Die Hungernden beschenkt er mit seinen<br />
Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.<br />
Er nimmt sich seines Knechtes Israel an<br />
und denkt an sein Erbarmen,<br />
das er unsern Vätern verheißen hat,<br />
Abraham und seinen Nachkommen auf<br />
ewig. (Lk 1,51-55)<br />
Heinz Withake<br />
Heinz Withake ist seit Mai 2006 Geistlicher Beirat<br />
der <strong>KED</strong> und war zuletzt stellv. Leiter der<br />
Hauptabteilung Schule im Generalvikariat Münster
BILDUNG HEUTE<br />
Thomas Reuß<br />
<strong>KED</strong> folgt Einladung<br />
nach Wien<br />
Am 5. Juni 2009 feierte der Hauptverband<br />
der Katholischen Elternvereine<br />
Österreichs in Wien sein 60-jähriges<br />
Bestehen. An diesem Festakt unserer<br />
österreichischen Freunde nahm ich auch<br />
als stellvertretender <strong>KED</strong>-Bundesvorsitzender<br />
teil.<br />
Die Schottenkirche<br />
Bereits am Vorabend der Feier traf ich<br />
mich mit dem Präsidenten des Hauptverbandes,<br />
Stefan Mandahus, zum Austausch<br />
und um eine noch engere Zusammenarbeit<br />
zwischen den katholischen Elternverbänden<br />
beider Länder zu vereinbaren.<br />
Dabei betonten wir, wie wichtig es<br />
ist, dass sich die deutschsprachigen Eltern<br />
zusammenschließen, um anstehende Probleme<br />
gemeinsam anzugehen.<br />
Die Jubiläumsfeier begann mit einem<br />
Festgottesdienst in der Schottenkirche im<br />
1. Wiener Bezirk. Als Zelebrant feierte<br />
Probst Maximilian Fürnsinn mit der Festgemeinde<br />
die Heilige Messe. In seiner<br />
Predigt betonte er die Bedeutung der katholischen<br />
Schulen für die Schullandschaft<br />
in Österreich und hob zudem die vielen<br />
Verdienste des Hauptverbandes der Katholischen<br />
Elternvereine hervor. Er dankte<br />
dem derzeitigen Präsidenten und seinen<br />
Vorgängern für ihre Arbeit.<br />
Beim sich anschließenden Festakt im Fest-<br />
18 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
saal des Schottenstiftes begrüßte Präsident<br />
Mandahus zahlreiche Ehrengäste<br />
aus Politik, Wirtschaft und Schule, darunter<br />
einige Schuldirektoren, zahlreiche<br />
Elternvertreter der einzelnen Mitgliedsverbände,<br />
Vertreter von Lehrerverbänden<br />
und auch uns von der <strong>KED</strong>.<br />
In meinem Grußwort bedankte ich mich<br />
für das große Engagement der katholischen<br />
Eltern auch in Österreich für die<br />
Erziehung und Bildung der Kinder und<br />
Jugendlichen. Ich machte Mut, auch<br />
weiterhin durch den ehrenamtlichen Einsatz<br />
Wirkung zu erzielen.<br />
Rückblickend auf die vergangenen 60<br />
Jahre erinnerte der frühere Präsident des<br />
Hauptverbandes, Dr. Karl Vogler, an viele<br />
Erfolge der katholischen Schulen mit<br />
ihren Eltern für das ganze Schulwesen in<br />
Österreich. Er stellte aber auch einige<br />
Brennpunkte dar, die es in den kommenden<br />
Jahren anzugehen heißt.<br />
Innerhalb seines Schlusswortes betonte<br />
Präsident Stefan Mandahus ausdrücklich<br />
nochmals die Bedeutung der Zusammenarbeit<br />
zwischen dem Österreichischen<br />
Hauptverband und dem Bundesvorstand<br />
der <strong>KED</strong> und machte sie zu einem Teil seines<br />
Programmes für die nächsten Jahre.<br />
Er schloss mit einem Zitat von Karl Krauss:<br />
„Wenn der Wind bläst, bauen die einen<br />
Mauern, die anderen Windmühlen.<br />
Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht,<br />
werfen auch Zwerge Schatten.“<br />
Bei den Wortbeiträgen anlässlich dieser<br />
Feier zeigte sich, dass die österreichischen<br />
katholischen Eltern sehr großen<br />
Einfluss auf ihre Schullandschaft und die<br />
aktuelle Schuldebatte haben. Das liegt<br />
auch mit darin begründet, dass dort die<br />
Katholische Privatschulen einen Großteil<br />
der Schulen gleich welchen Schultypes<br />
ausmachen.<br />
Stefan Mandahus wurde im Übrigen bei<br />
der am 6. Juni 09 abgehaltenen Mitgliederversammlung<br />
mit großer Zustimmung<br />
für die kommenden drei Jahre in seinem<br />
Amt als Präsident bestätigt.<br />
Es wurde in den Tagen erneut deutlich,<br />
dass die wesentlichen Arbeitsschwerpunkte<br />
der einzelnen katholischen Elternverbände<br />
im deutschsprachigen Raum<br />
sehr ähnlich sind und daher ein regelmäßiger<br />
Austausch zwischen den Vorständen<br />
sinnvoll ist. Durch die gegenseitigen<br />
Besuche zwischen <strong>KED</strong> und<br />
Hauptverband in Österreich ist hier ein<br />
wichtiger erster Schritt getan, der in den<br />
nächsten Zeit verstärkt und auf katholische<br />
Elternverbände im deutschsprachigen<br />
Raum ausgeweitet werden soll.<br />
Baumeister Mandahus im Schottenstift<br />
Wir im Bundesvorstand der <strong>KED</strong> freuen<br />
uns auf die noch stärkere Zusammenarbeit<br />
mit dem Hauptverband Katholischer<br />
Elternvereine Österreichs.<br />
Herr Thomas Reuß ist<br />
stellvertretender Bundesvorsitzender<br />
der <strong>KED</strong> und war<br />
in dieser Eigenschaft in Wien.
Lene März/Barbara Scholz<br />
Haltet den Dieb!<br />
Eine wimmelige Verfolgungsjagd in<br />
Reimen<br />
Thienemann Verlag Stuttgart 2009<br />
ISBN 978-3-522-43627-4, 12,90 €<br />
Der Schlossgeist wird beklaut. Der Dieb stiehlt seinen Schatz und der Geist heftet sich<br />
an seine Fersen. Nach und nach wird der Reigen der Verfolger immer länger. Beim<br />
Pommes- und Würstchenessen freunden sich Geist und Dieb schließlich an und erleben<br />
zusammen wundersame Abenteuer! Für entdeckungslustige Kinder ab 4 Jahre<br />
BUCHBESPRECHUNG<br />
Lesen – Hören – Sehen<br />
Mein erstes Sudoku-Buch<br />
Logikspaß für Schulanfänger<br />
Ensslin Verlag 2009<br />
ISBN 978-3-401-41422-5, 4,95 €<br />
Ab 6 Jahren<br />
Diese Sudokus sind extra für Kinder ab 6 Jahren<br />
konzipiert: Die Zahlen reichen nur von 1 bis 4,<br />
außerdem gibt es Rätsel mit Formen und Bildern.<br />
Alle Sudokus sind farbig, das hilft beim Merken der<br />
einzelnen<br />
Elemente.<br />
Nina Zimmer<br />
Emil besucht van Gogh<br />
Nicolai Verlag Berlin, 2009<br />
ISBN 978-3-89479-521-4,<br />
12,95 €<br />
Emil macht mit seinen Eltern<br />
Ferien in Südfrankreich. Dort<br />
trifft er den berühmten Maler Vincent van<br />
Gogh. Gemeinsam machen sie einen<br />
Spaziergang durch die duftende, farbenprächtige<br />
Landschaft der Provence, und<br />
Emil lernt einige der schönsten Bilder van<br />
Goghs kennen. Ein Kunstbuch für Kinder<br />
ab 6 Jahre.<br />
Joscha Remus/Sibylle Vogel<br />
Berlin – Stadtführer für Kinder<br />
Picus Verlag Wien<br />
ISBN 978-3-85452-145-7, 10,90 €<br />
Joscha Remus, Reisejournalist und<br />
Weltenbummler, gibt kundige Einblicke<br />
in seine Lieblingsmetropole. Auf<br />
das Verständnis und die Interessen<br />
von Kindern im Alter von acht bis<br />
zwölf Jahren zugeschnitten führt der<br />
Autor auf sechs abwechslungsreichen<br />
Spaziergängen zu den<br />
wesentlichen Sehenswürdigkeiten<br />
der Stadt. Als ideale Anregung<br />
finden sich nicht nur konkrete<br />
Gehrouten, sondern auch jede Menge Tipps für<br />
Unternehmungen in und um Berlin.<br />
Malte Arkona/Katrin Zipse<br />
Warum haben wir keinen<br />
König?<br />
Herder Verlag Freiburg 2009<br />
ISBN 978-3-451-70933-3, 13,95 €<br />
Malte fragt nach: Beim Bundesinnenminister,<br />
beim Stuttgarter Oberbürgermeister,<br />
bei einer Polizistin, bei der<br />
Logo!-Moderatorin, aber auch Kinder<br />
kommen zu Wort. So ist Politik auch ein<br />
Thema für Kinder. Ab 10 Jahren.<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />
19
BUCHBESPRECHUNG<br />
Alle Buchbesprechungen stammen von Monika Korthaus-Lindner.<br />
Michael Leidner<br />
Englisch im Kindergarten<br />
Reinhardt Verlag München 2007<br />
ISBN 978-3-497-01923-6, 19,90 €<br />
Englisch im Kindergarten? Was Erzieher/innen<br />
und über Englisch-Lehrangebote<br />
für Kindergartenkinder wissen<br />
müssen, finden sie in diesem Buch. Neben<br />
Grundlagen zum Spracherwerb und<br />
Besonderheiten der englischen Sprache<br />
erläutert der Autor alle Schritte, die bei<br />
einem guten Englischangebot zu bedenken<br />
sind.<br />
Bettina Herrmann/Sybille Wittmann<br />
Treffpunkt Kinderkirche<br />
Gottesdienstmodelle für Kinder<br />
Don Bosco Verlag 2009<br />
ISBN 978-3-7698-1732-4, 16,90 €<br />
Vielfältige Angebote für Kinder ab 2<br />
Jahren, Einsatz im Gottesdienst oder in<br />
der Kinderkrippe.<br />
Uwe Saegner<br />
Sarahs Mama<br />
Wenn die Mutter stirbt – ein Kinderbuch<br />
der hospiz verlag Wuppertal 2008<br />
ISBN 978-3-941251-29-8, 17,90 €<br />
Sarahs Mutter ist gestorben. Sarah trauert, aber Sarah ist nicht<br />
allein. Jemand ist bei ihr, geht mit ihr durch den Tag, versteht sie,<br />
steht ihr bei.<br />
„Was glaubst du, wo Mama jetzt ist?“ Gemeinsam suchen sie nach<br />
Antworten. Seit den Bindungstheorien von Bowlby wissen wir, dass<br />
Kinder den Tod der Mutter wirklich bewältigen können. Dieses<br />
Kinderbuch möchte Betroffenen Mut machen, möchte die<br />
Bewältigung unterstützen.<br />
20<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />
Anke M. Leitzgen/Angela Schuh<br />
Freunde, Eltern, Lehrer und<br />
andere Probleme<br />
Reihe Hanser, dtv 2009<br />
ISBN 978-3-423-62417-6, 7,95 €<br />
Womit habe ich ausgerechnet diese<br />
Schwester verdient? Warum wurde ich mit<br />
diesem Bruder gestraft? Wieso habe ich<br />
so oft Krach mit meinen Freunden?<br />
Warum gibt’s mit meinen Eltern dauernd<br />
Stress wegen der Hausaufgaben? Und<br />
überhaupt: Warum mischen sich Eltern in<br />
alles ein? Alle Neun- bis Dreizehnjährigen<br />
kennen solche Fragen. Und<br />
viele von ihnen erleben ab und zu rabenschwarze<br />
Momente, in denen sie nicht<br />
mehr weiterwissen … Aber: Muss das so<br />
sein? Oder geht es vielleicht auch anders?<br />
Ein Ratgeber für Kinder ab 9<br />
Jahren.<br />
Gerlinde Unverzagt<br />
Kinder fragen nach dem Tod<br />
Herder Verlag Freiburg 2007<br />
ISBN 978-3-451-05829-5, 8,90 €<br />
Kinder konfrontieren uns mit Tabuthemen, sie<br />
fragen auch nach Tod und Sterben und lösen<br />
damit bei Eltern Unsicherheit und Unbehagen<br />
aus. Sich richtig darauf einzulassen, die<br />
eigene Position zu finden, sich den Fragen zu<br />
stellen, mit Kindern ins Gespräch kommen,<br />
Antworten zu finden ohne zu überfordern –<br />
dazu hilft Gerlinde Unverzagt in diesem<br />
Leitfaden.
Kerstin Schmale<br />
Sankt Martin, Nikolaus & Co.<br />
Mit Kindern Wintertage<br />
feiern und gestalten<br />
Schwabenverlag Ostfildern 2009<br />
ISBN 978-3-7966-1395-1, 11,90 €<br />
Gerade im Winter, wenn Kinder nicht so<br />
oft draußen spielen können, sind immer<br />
neue Ideen gefragt, um diese Zeit zu gestalten.<br />
Rund um die Feste der Winterheiligen<br />
Martin, Barbara, Nikolaus und<br />
Lucia bietet dieses Buch alles, um die Zeit<br />
zu einem Erlebnis für Kinder werden zu<br />
lassen: Bastelideen, Rezepte, Lieder und<br />
Gedichte. Und die Legenden, die sich um<br />
die Heiligen ranken, erzählt die Autorin<br />
Kerstin Schmale noch einmal ganz neu.<br />
Christine Knödler<br />
In wenigen Worten die ganze Welt<br />
Gedichte für Erwachsene und Kinder<br />
Thienemann-Verlag Stuttgart 2009<br />
ISBN 978-3-522-18178-5, 19,90 €<br />
In wenigen Worten die ganze Welt – das können<br />
nur Gedichte. Jeder entdeckt darin etwas anderes<br />
und besonders spannend wird es, wenn man die<br />
Gedichte zusammen mit Kindern liest. Auch oder<br />
gerade weil nicht alle Texte in diesem Band eigens<br />
für Kinder geschrieben wurden.<br />
Sylvia Becker-Pröbstel<br />
Wie ist das mit dem Essen?<br />
Gabriel Verlag 2009<br />
ISBN 978-3-522-30170-1, 11,90 €<br />
Woher kommt die Milch? Warum essen wir so<br />
gern Süßes? Die Ernährungsexpertin Sylvia<br />
Becker-Pröbstel erzählt von Kindern, die viel<br />
Neues und Spannendes rund um unsere<br />
Ernährung entdecken, und macht Vorschläge,<br />
wie man sich richtig ernährt. Ab ca. 8 Jahre<br />
Petra Linzbach<br />
Die lichtvolle Rache<br />
Rediroma Verlag Remscheid 2009<br />
ISBN 978-3-86870-098-5, 10,95 €<br />
In die Abenteuer dieses Buches tauchen<br />
sowohl jugendliche als auch erwachsene<br />
Leser ein. Sie fühlen sich wie ein Teil der<br />
Geschichte, bangen, hoffen und freuen<br />
sich mit der Hauptfigur und seinen<br />
Begleitern. Die Gruppe besteht aus dem<br />
Jungen Lino sowie Gnomen und<br />
sprechenden Tieren. Sie wandern durch<br />
herrliche andalusische Landschaften, die<br />
eindrucksvoll beschrieben werden.<br />
Während ihrer Reise begegnen ihnen<br />
Themen wie Kameradschaft, Vertrauen,<br />
Freiheit und sie erleben, wie sich Hass,<br />
Rache und Vergeltung in Vergebung<br />
umwandeln kann. Dieses Buch ist voller<br />
Lebensweisheiten und ohne Zeigefinger<br />
geschrieben.<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />
21
DIEBÜCHERECKE<br />
für die Eltern<br />
DIEBÜCHERECKEfür<br />
Klaus Fritz/Irene Zimmermann<br />
Gymnasium<br />
Ein Ratgeber für Eltern<br />
dtv München 2009<br />
ISBN 978-3-423-34558-3, 9,90 €<br />
Ihr Kind sitzt den ganzen Nachmittag<br />
ohne erkennbares Ergebnis über den<br />
Hausaufgaben? Es führt sich vom Lehrer<br />
schlecht behandelt? Die Klassenarbeit<br />
wurde ungerecht benotet? In der Klasse<br />
wird gemobbt? Viele Hürden sind auf<br />
dem Weg durchs Gymnasium zu nehmen,<br />
aber er ist nicht nur mit Steinen gepflastert.<br />
Ein hilfreicher Ratgeber für den gymnasialen<br />
Schulalltag. Mit vielen praktischen<br />
Tipps und Hinweisen zu weiterführenden<br />
Adressen<br />
22 <strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />
Karin Jeromin<br />
Die große Kinderbibel<br />
Katholisches Bibelwerk<br />
ISBN 978-3-460-24506-8,<br />
24,90 €<br />
Die große Kinderbibel enthält<br />
125 Geschichten aus dem ALTEN<br />
und NEUEN TESTAMENT sowie<br />
eine Fülle von Sachinformationen,<br />
Erläuterungen und kindgemäßen<br />
Verständnishilfen. Ab ca. 8 Jahre<br />
und als Familienbuch geeignet.<br />
Wachsen mit Büchern & Medien<br />
Tipps für die Kindertagesstätte<br />
velber Verlag 2009<br />
ISBN 978-3-86613-419-5, 19,90 €<br />
Dieses wichtige Nachschlagewerk zum<br />
Thema „Lese- und Schreibentwicklung<br />
von Kindern“ ist eine unentbehrliche<br />
Fundgrube für alle Mitarbeiter/innen in<br />
Kindertagesstätten und für Interessierte<br />
im Bereich frühkindliche Bildung. Der<br />
Ordner bietet eine Fülle von Informationen<br />
und praktischen Vorschlägen<br />
sowie umfangreiche Materiallisten.<br />
Rudolf Seitz<br />
Kreative Kinder<br />
Das Praxisbuch für Eltern und Pädagogen<br />
Kösel Verlag München 2009<br />
ISBN 978-3-466-30835-4, 19,95 €<br />
Heike Tenta<br />
… acht, neun, zehn<br />
Die Zahlen von 0 bis 10 im<br />
Kindergarten spielerisch kennenlernen<br />
Don Bosco Verlag 2008<br />
ISBN 978-3-7698-1725-6, 14,90 €<br />
Zahlen und Zählen, das lieben schon<br />
Kindergartenkinder heiß und innig. Und<br />
im Vergleichen sind sie Weltmeister: Ich<br />
bin älter als du, ich habe weniger<br />
gekriegt als ihr und ich habe neun Sticker<br />
von Lucas Podolski. Mit diesen allerersten<br />
Spielen, Anregungen und Bastelvorschlägen<br />
erkunden die Kinder den<br />
Zahlenraum von 0 bis 10 und malen ihr<br />
eigenes Zahlenbuch. So gelangen sie zu<br />
einem tieferen Verständnis für die Welt<br />
der Zahlen und begeistern sich für die<br />
ersten Rechenübungen in der Vorschule.<br />
Dem Buch lieben Bastelvorlagen und ein<br />
Zahlenposter bei.<br />
Kinder möchten sich nicht nur in Worten, sondern auch in Bildern ausdrücken. In den<br />
Zeichnungen dokumentiert sich ihre wachsende Wahrnehmung der Welt. Rudolf Seitz<br />
verdeutlicht in diesem umfassenden Praxisbuch die einzelnen Entwicklungsphasen der<br />
Kinderzeichnung und zeigt, wie wichtig es ist, die Kreativität der Kinder zu fördern.
Integration und<br />
schulischer Erfolg<br />
Projekt „frühstart“ setzt bereits im Kindergarten an<br />
Sprachförderung, interkulturelle Bildung und Elternarbeit sind die drei<br />
Pfeiler, auf denen der Erfolg des Projektes „frühstart” ruht. Dabei gehen<br />
die Initiatoren davon aus, dass gute Deutschkenntnisse eine Grundvoraussetzung<br />
für gelingende Integration sind, und wo könnte man<br />
besser ansetzen, als im Kindergarten, wo schon die Dreijährigen eine<br />
optimale Form der Sprachförderung erhalten. Dies betrifft vor allem die<br />
Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Getragen unter anderem<br />
von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, wurde das Projekt „frühstart”<br />
im Jahr 2004 entwickelt, um den Kindern in hessischen Städten mit<br />
hohem Migrantenanteil, wie etwa Frankfurt und Wetzlar, bessere<br />
Chancen einzuräumen. Dazu bedurfte es intensiver Fortbildungsmaßnahmen<br />
der Erzieherinnen, die sowohl die Sprachförderung als<br />
auch die interkulturelle Erziehung betraf. Zusätzlich gibt es so genannte<br />
zweisprachige Elternbegleiter, die als Vermittler zwischen Kindertagesstätten,<br />
Elternhäusern und Ausländervereinen wirken. So konnte<br />
bei den Eltern das Interesse an einer aktiven Begleitung des Bildungsweges<br />
ihrer Kinder geweckt werden. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich<br />
warten, denn im Vergleich zur Anfangssituation verbesserten sich die<br />
Kenntnisse der deutschen Sprache bei den beteiligten Kindern enorm.<br />
Im September vergangenen Jahres wurden daher weitere 24 hessische<br />
Kindergärten in insgesamt zehn Städten in das Programm aufgenommen.<br />
Infos unter www.projekt-fruehstart.de<br />
Deutscher Schulpreis 2010<br />
Motto des Wettbewerb: Dem Lernen Flügel verleihen<br />
Die Teilnahme lohnt sich: Schulen, die herausragende pädagogische<br />
Leistungen vollbringen und damit öffentlich und bundesweit<br />
Vorbilder für die Schulentwicklung sein wollen, haben noch<br />
bis zum 30. September Zeit, beim Wettbewerb der Robert Bosch<br />
Stiftung und der Heidehof Stiftung in Kooperation mit der Zeitschrift<br />
Stern und ARD mitzumachen. Zum vierten Mal wird jetzt dieser<br />
größte und am höchsten dotierte Schulwettbewerb ausgeschrieben.<br />
Denn die Initiatoren sind überzeugt davon, und konnten sich<br />
in den vergangenen drei Jahre bei rund 900 Bewerbungen der<br />
verschiedensten Schulformen auch immer wieder davon überzeugen,<br />
dass es trotz aller Kritik am deutschen Schulsystem viele<br />
gute Schulen gibt, die sich durch individuelle Förderung, besondere<br />
Angebote und ein besonders gutes Lernklima auszeichnen.<br />
Grundlage des Wettbewerbs ist dabei ein umfassendes Verständnis<br />
von Lernen und Leistung. Über die bloße Wissensvermittlung<br />
hinaus gilt es, die individuellen, sozialen und schöpferischen<br />
Fähigkeiten der Schüler zu berücksichtigen und zu fördern.<br />
Der Deutsche Schulpreis ist mit einem Hauptpreis von 100.000<br />
Euro dotiert, vier weitere Schulen erhalten je 25.000 Euro. Dazu<br />
kommen zwei Zusatzauszeichnungen im Wert von je 15.000<br />
Euro. Die Bewerbungsunterlagen und weitere Infos gibt es unter<br />
www.deutscher-schulpreis.de<br />
Pinnwand<br />
Deutschland hat zu wenig<br />
Hochschulabsolventen<br />
OECD Studie vergleicht die Bildungssysteme der Industrienationen<br />
Durchschnittlich 57 Prozent der jungen Erwachsenen innerhalb der 30<br />
wichtigsten Industrienationen nehmen ein Studium auf. In Deutschland<br />
dagegen zieht es erheblich weniger Menschen in die Hörsäle. Nur etwa<br />
35 bis 37 Prozent eines Jahrgangs beginnen ein Studium, insgesamt<br />
erreichen nur 21 Prozent eines Jahrgangs einen Hochschulabschluss.<br />
Das ist ein Ergebnis des OECD Jahresberichtes 2008, den die Organisation<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz<br />
OECD, in der Studie „Bildung auf einen Blick” bekannt gibt. Doch<br />
Länder, die die internationale Bildungsexpansion nicht mitmachen,<br />
„gefährden ihre wirtschaftliche Existenz”, warnt OECD Bildungsdirektorin<br />
Barbara Ischinger.<br />
Deutschlands Bildungswesen habe aber auch seine Stärken, so die<br />
Studie weiter. Das Bildungsniveau insgesamt sei recht hoch, da 84<br />
Prozent der 25- bis 34-Jährigen über eine abgeschlossene Berufsausbildung<br />
oder das Abitur verfügen. Im OECD Schnitt sind es 78 Prozent.<br />
Auffällig ist der Vergleich der Bildungsausgaben. Im Schnitt der OECD<br />
Länder stiegen die Ausgaben zwischen 2000 und 2005 etwa um ein<br />
Fünftel, in Deutschland blieben sie etwa auf dem gleichen Niveau.<br />
Auch wenn man den Anteil der Aufwendungen im Vergleich zu den<br />
Gesamtausgaben der öffentlichen Hand betrachtet, liegt Deutschland<br />
mit weniger als zehn Prozent gegen rund 13 Prozent der anderen<br />
Nationen unter dem Durchschnitt.<br />
Lesen lernen leicht gemacht<br />
Der Verein Mentor – Die Leselernhelfer setzt sich für Kinder ein<br />
„61 Prozent aller 15-Jährigen Jungen haben noch nie aus<br />
eigenem Antrieb ein Buch gelesen.” Diese erschreckende Zahl und<br />
die Pisa Ergebnisse, die immer wieder enorme Defizite der Lese-,<br />
Schreib- und Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler in<br />
Deutschland zu Tage gebracht haben, waren vor einigen Jahren<br />
der Anlass, den Verein Mentor-Die Leselernhelfer in Hannover zu<br />
gründen. Unter dem Motto: „Das wollen wir ändern” startete ein<br />
Projekt, das sich inzwischen in weit über 30 Städten in ganz<br />
Deutschland etabliert hat und Kindern hilft, die Schwierigkeiten im<br />
Umgang mit der deutschen Sprache haben. Außerhalb des<br />
regulären Schulunterrichts gehen ehrenamtliche Helfer und<br />
Helferinnen, die so genannten Mentoren, auf den individuellen<br />
Förderbedarf der Kinder ein, lesen mit ihnen altersgemäße Texte<br />
und führen ein gemeinsames Gespräch über das Gelesene. Der<br />
Verein organisiert und betreut die Zusammenarbeit zwischen<br />
Mentoren, Kindern und Schulen. Die Auswahl förderbedürftiger<br />
und förderwilliger, sozial benachteiligter Kinder wird dabei<br />
ausschließlich von den Lehrkräften und nur mit Zustimmung der<br />
Eltern vorgenommen.<br />
Mentor kann jeder werden, der mindestens für die Dauer eines<br />
halben Jahres genug Zeit und Motivation mitbringt, Schüler aller<br />
Schultypen mit dem Schwerpunkt Grund- und Hauptschulen<br />
durch gemeinsames Lesen und Sprechen zu fördern. Nähere<br />
Informationen unter www.mentor-leselernhelfer.de
SCHWERPUNKTTHEMA<br />
Man kann sich in der<br />
deutschen Sprache sonnen<br />
und sogar darin baden<br />
Heike Schmoll<br />
In Sommerseminaren lernen Frankfurter Schüler spielerisch, Vertrauen zu sich<br />
selbst und zu ihrer Sprachfähigkeit zu fassen.<br />
Aber vor den Ferien konntest du das doch<br />
noch“, sagen Lehrer vor allem zu ihren<br />
leistungsschwächeren Schülern nach den<br />
Sommerferien. In der unterrichtsfreien<br />
Zeit vergessen viele von ihnen den Stoff<br />
eines ganzen Schuljahres, bestätigen die<br />
Leistungsstudien. Das Max-Planck-Institut<br />
für Bildungsforschung erprobte daher im<br />
schwächsten Bundesland, in Bremen,<br />
gemeinsam mit der Jacobs Foundation<br />
sogenannte Feriencamps während der<br />
Sommerferien für leistungsschwächere<br />
Schüler mit und ohne Migrationshintergrund.<br />
In Frankfurt hat sich die Stiftung<br />
Polytechnische Gesellschaft, die ausschließlich<br />
dort tätig ist, die guten Bremer<br />
Erfahrungen zunutze gemacht und das<br />
Bremer Modell zum „Frankfurter Deutschsommer“<br />
unter dem Motto „Ferien, die<br />
schlau machen“ weiterentwickelt. Der<br />
Deutschsommer wird anteilig von der<br />
Stiftung, dem Land Hessen und den<br />
Kommunen finanziert. Einzelne Stipendien<br />
für die Schüler haben auch andere<br />
Stiftungen übernommen.<br />
Während der drei Wochen zusätzlicher<br />
Förderung in den Sommerferien geht es<br />
bei weitem nicht nur um die Verbesserung<br />
der Leistungen. Es geht vor allem darum,<br />
diesen Kindern ein wenig von dem zu<br />
geben, was ihnen am meisten fehlt: um<br />
positive Bilder von sich selbst, um Selbstvertrauen.<br />
Viele Projekte zur Förderung<br />
von Kindern, die Schwierigkeiten mit der<br />
deutschen Sprache haben, scheitern daran,<br />
dass sie vor allem auf Leistung setzen.<br />
Dabei hat sich bei allen sprachlichen<br />
Förderprogrammen längst herausgestellt,<br />
24 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
dass es nicht so sehr auf die Einzelheiten<br />
des jeweiligen Programms ankommt. Die<br />
Leistungen können vor allem dadurch gesteigert<br />
werden, dass sich feste Bezugspersonen<br />
über einige Zeit überhaupt um<br />
diese Kinder kümmern und ihnen in<br />
zwangloser Umgebung eine spielerische<br />
Erfahrung mit deutscher Kultur und Sprache<br />
ermöglichen. In der ersten Woche<br />
werden die Schüler täglich mit dem Bus<br />
zwischen Frankfurt und den Seminarorten<br />
hin und her transportiert, in der<br />
zweiten und dritten Woche übernachten<br />
sie auch an den drei Standorten.<br />
Für die spielerischen Arbeitseinheiten<br />
sind jeweils ein Pädagoge mit Erfahrungen<br />
aus dem Bereich Deutsch als<br />
Zweitsprache sowie ein Theaterpädagoge<br />
und ein Sozialpädagoge zuständig.<br />
Sie werden durch eine bundesweite Ausschreibung<br />
geworben und in einem zweitägigen<br />
Assessment Center durch Vertreter<br />
der Volkshochschule, des Amts für<br />
multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt<br />
sowie der Fachberatung und der Projektleitung<br />
ausgewählt. Die drei Fachberater<br />
besuchen die jeweiligen Standorte<br />
regelmäßig und stehen ihren Kollegen<br />
kontinuierlich mit Ratschlägen zur Seite.<br />
Täglich erhalten die Schüler zwei Stunden<br />
Deutschunterricht und üben sich weitere<br />
zwei Stunden in sprachintensivem Theaterspiel.<br />
Lesen, Schreiben, Wortschatz,<br />
Grammatik gehören zu den Schwerpunkten.<br />
Vor allem beim Theaterspielen<br />
können die Kinder nicht nur das Auftreten,<br />
sondern auch das laute und vernehmliche<br />
Sprechen sowie den freien<br />
Umgang mit Sprache trainieren. Sie spielen<br />
zwar eine Rolle, der Text ist aber nicht<br />
festgelegt. An einem der drei Standorte<br />
für den Deutschsommer in der Umgebung<br />
von Frankfurt reißt ein türkischer Junge<br />
einem vermummten Dieb die Maske vom<br />
Gesicht und sagt zu seinem schwarzen<br />
Mitschüler: „Das ist ja ein schwarzer<br />
Neger.“<br />
Am letzten Abend des Deutschsommers<br />
führen die Kinder ein Theaterstück in<br />
deutscher Sprache auf. Eltern und Lehrer<br />
sind zur Aufführung eingeladen und<br />
können sich bei dieser Gelegenheit auch<br />
mit den Deutschsommer-Pädagogen<br />
unterhalten. Beim Sprechen sind alle<br />
Kinder – die meisten sind sogenannte<br />
Passdeutsche, deren Eltern aber im Ausland<br />
geboren wurden und häufig eine<br />
andere Sprache sprechen – einigermaßen<br />
gewandt. Sie gehören häufig<br />
schon der dritten Generation an, in der<br />
sich eine ablehnende Haltung gegenüber<br />
der Schule verstärkt. Sie beherrschen<br />
allerdings auch virtuos eine Umgangssprache,<br />
um sich durchzumogeln, Endsilben<br />
zu verschlucken, Artikel und Präpositionen<br />
zu umgehen. Kurz: Sie bewegen<br />
sich auf dünnem Eis, das spätestens<br />
bei schriftlichen Aufgaben einzubrechen<br />
droht.<br />
Wie fragil das Fundament bei vielen<br />
dieser Drittklässler ist, zeigt sich bei einer<br />
Schreibaufgabe, die spielerisch eingeführt<br />
wird. Drago, ein grünes Stofftier, hat<br />
das Ende einer Geschichte verloren. Die<br />
Schüler sollen es erfinden. Manchen gelingt<br />
es, eine halbe Heftseite zu füllen –<br />
mit durchaus originellen Ideen. Andere<br />
schaffen mit Mühe zwei oder drei Sätze,<br />
in denen es vor Rechtschreibfehlern<br />
wimmelt. Viele lesen zwar Texte, aber sie<br />
erfassen den Textzusammenhang nicht.<br />
Vor allem jedoch haben sie den Mut<br />
verloren nachzufragen. Für die Lehrer ist
es ein Drahtseilakt, Falsches nicht zu bestärken<br />
und so zu korrigieren, dass den<br />
Schülern nicht weitere Kränkungen zugefügt<br />
werden. Grundlage für den Sprachunterricht<br />
ist ein eigens für das Projekt<br />
entwickelter Lehrplan, der Sprache spielerisch<br />
einübt. Täglich lesen die Kinder im<br />
Kurzgeschichtenband „Die besten Leselöwen<br />
Abenteuergeschichten“. Täglich<br />
gibt es drei Vorleseangebote, aber auch<br />
einen Raum zum Ausruhen. Jeden Nachmittag<br />
bieten die Sozialarbeiter ein Fußballspiel<br />
an, außerdem systematisches<br />
Basteln und Ausflüge, die Sprechanlässe<br />
für ein in der Schule normalerweise nicht<br />
geübtes Schuldeutsch bieten. An einem<br />
der Standorte hat ein Schüler von sich aus<br />
einen Insektenclub gegründet.<br />
Die Deutschsommer-Kinder machen<br />
selbst eine Zeitung und lesen täglich Texte<br />
aus dieser Zeitung. Altersabhängig sind<br />
es vor allem Sportmeldungen und Meldungen<br />
aus dem Vermischten oder die<br />
Wettervorhersage. Nach dem Deutschsommer<br />
verbessern sich die Schulnoten<br />
der Teilnehmer erheblich. In der Gruppe<br />
mit den Schulnoten 1 bis 3 liegt der<br />
Zuwachs bei fast 41 Prozent, 32 Prozent<br />
bewegen sich allerdings auch im November<br />
noch zwischen 3,5 und 5. Viele<br />
Eltern, die ihre sprachlich wendigeren<br />
Kinder häufig als Ansporn verstehen, ihre<br />
eigenen Deutschkenntnisse zu verbessern,<br />
berichten vor allem von einem gestärkten<br />
Selbstbewusstsein, was sich dann<br />
im Umgang mit anderen Kindern zeige.<br />
Bei jedem Deutschsommer gibt es auch<br />
verhaltensauffällige Kinder, die viel Aufmerksamkeit<br />
brauchen. Zugleich muss<br />
die Gruppe vor ihnen geschützt werden,<br />
ohne dass sie abgesondert werden.<br />
Vier Wochen nach dem Deutschsommer<br />
findet der sogenannte Spätsommer statt.<br />
Dabei informieren die Klassenlehrer die<br />
diesjährigen Deutschsommer-Kinder und<br />
die kommende Generation über die Ergebnisse.<br />
In jedem Jahr findet eine zweitägige<br />
Lehrerfortbildung statt, bei der<br />
interessierte Lehrer der Deutschsommer-<br />
Schulen einen intensiven und praxisnahen<br />
Einblick in Konzept und Methodik<br />
der Ferienaktivität gewinnen. In der letzten<br />
Woche der Weihnachtsferien, beim<br />
sogenannten Endspurt, haben die Kinder<br />
die Möglichkeit, ihre im Deutschsommer<br />
erworbenen Kenntnisse noch einmal zu<br />
stärken. „Wir wollen nicht, dass Kinder<br />
aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse<br />
an ihrer Laufbahn gehindert werden“,<br />
sagt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung<br />
Polytechnische Gesellschaft, Roland<br />
Kaehlbrandt, der eine Projektkette von<br />
der Geburt bis zur Ausbildungszeit aufbauen<br />
will. Ihm geht es darum, die Kinder<br />
aus den sogenannten bildungsfernen<br />
Schichten mit dem Deutschen und den<br />
bürgerlichen Kulturtechniken vertraut zu<br />
machen. So soll ihnen die Eingliederung<br />
erleichtert werden.<br />
Kinder, die den Deutschsommer erfolgreich<br />
durchlaufen haben und/oder von<br />
ihrer Grundschule empfohlen wurden,<br />
können in der vierten Grundschulklasse<br />
für zwei Jahre in das Programm des Diesterweg-Stipendiums<br />
aufgenommen werden.<br />
Das Programm richtet sich ausdrücklich<br />
an Kinder mit gutem Leistungspotential,<br />
aber mit förderbedürftigen<br />
Deutschkenntnissen. Es handelt sich dabei<br />
um die erste deutsche Familienstiftung,<br />
die Eltern und Geschwister, aber<br />
auch andere nahe Verwandte des förderbedürftigen<br />
Kindes mit einbezieht, Elternund<br />
parallele Kinderakademien an Wochenenden<br />
anbietet. Für besondere bildungsbezogene<br />
Anschaffungen wie Bücher,<br />
Musik- und Tanzunterricht oder ein<br />
Fahrrad für die Fahrradprüfung können<br />
die Eltern bis zu 600 Euro im Jahr aus<br />
Dass die deutsche Sprache ihre Tücken hat,<br />
werden die Teilnehmer an den Sommerkursen<br />
sicher auch bestätigen. Foto: Rodinge/pixelio<br />
dem Bildungsfonds beantragen. Das gilt<br />
natürlich nur für finanziell wirklich bedürftige<br />
Eltern. Der erste Jahrgang mit 22<br />
Kindern aus 21 Familien (13 Herkunftsländer)<br />
und 20 Grundschulen in 19<br />
Frankfurter Stadtteilen wurde im vergangenen<br />
Jahr feierlich aufgenommen.<br />
Für die Eltern ist es ein Erlebnis, eine<br />
Universität von innen zu sehen und dort<br />
etwas über die Arbeitsabläufe zu erfahren,<br />
mit Professoren sprechen zu<br />
können, das Goethe-Institut zu besuchen<br />
oder über die vielfältigen Wege des<br />
deutschen Bildungssystems informiert zu<br />
werden. Gisela von Auer, die 30 Jahre an<br />
einer Frankfurter Brennpunktschule im<br />
Grundschulbereich und in der Deutschförderung<br />
unterrichtete, leitet das Projekt.<br />
Sie wird zur Hälfte vom Land bezahlt,<br />
was ihr den Zugang zu öffentlichen<br />
Schulen und ehemaligen Kollegen erheblich<br />
erleichtert. Sie steht den Eltern auch<br />
in Einzelsprechstunden und an Elternabenden<br />
zur Verfügung. Da die Eltern<br />
einen Vertrag unterschrieben haben,<br />
nehmen sie ihre Anwesenheitspflichten<br />
ernst. Wie alle Eltern wollen sie die<br />
bestmögliche Bildung für ihr Kind. Und<br />
sie wissen auch: Eine Gymnasialempfehlung<br />
ist noch keine Garantie für<br />
die erfolgreiche Bewältigung der Eingangsstufe,<br />
in der die deutsche Sprachfähigkeit<br />
gefestigt sein muss. In Frankfurt<br />
hat man längst verstanden, dass Eltern<br />
ausländischer Herkunft nur über persönliche<br />
Beziehungen, nicht aber über unpersönliche<br />
Informationsblätter oder Flyer<br />
zu gewinnen sind, selbst wenn sie nicht<br />
auf Deutsch verfasst sind.<br />
Ein chinesisches Mädchen, das vor vier<br />
Jahren ohne ein Wort Deutsch nach<br />
Frankfurt kam und anfangs kein Wort<br />
sagte, hat es inzwischen geschafft. Sie<br />
spricht wesentlich flüssiger als ihre Mutter<br />
und wird nun auf das mit Englisch und<br />
Latein beginnende Gagern-Gymnasium<br />
gehen. Die Mutter kam im Jahre 2004, ist<br />
verwitwet und voll berufstätig, um ihren<br />
beiden Töchtern die Ausbildung zu ermöglichen.<br />
Gemeinsam mit ihren<br />
Töchtern entdeckt sie über das Diesterweg-Stipendium<br />
Frankfurt und verbessert<br />
gleichzeitig ihre Deutschkenntnisse.<br />
entnommen der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom<br />
03.09.2009, Nr. 204, S. 8<br />
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am<br />
Main<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
25
<strong>KED</strong> AKTUELL<br />
Neues kostenloses Informationsangebot der<br />
Katholischen Elternschaft Deutschlands:<br />
Der <strong>KED</strong>-Newsletter<br />
Sehr geehrte Leserinnen und Leser des<br />
<strong>ELTERN</strong>forums,<br />
seit Anfang 2009 gibt die <strong>KED</strong><br />
zusätzlich zur Zeitschrift „<strong>ELTERN</strong>forum“<br />
den „<strong>KED</strong>-Newsletter“ heraus.<br />
Der <strong>KED</strong>-Newsletter ist ein kostenloser<br />
Informationsdienst für die katholische<br />
Elternarbeit. Er informiert zeitnah über<br />
die Aktivitäten des Verbandes sowie<br />
über Aktuelles aus Politik, Wissenschaft<br />
und Gesellschaft rund um den<br />
Themenkreis Bildung und Erziehung in<br />
Schule und Kindergarten. Damit wollen<br />
wir Impulse für die Elternarbeit vor Ort<br />
geben und Mut machen, selbst in der<br />
<strong>KED</strong> oder in anderen Zusammenhängen<br />
Das Verhältnis dieser Gesellschaft zu<br />
ihren Familien ist kein geordnetes. Dabei<br />
böte das Grundgesetz eine ausgezeichnete<br />
Grundlage dafür, zumal das Verfassungsgericht<br />
seit vielen Jahren dafür<br />
den Handlungsrahmen absteckt.<br />
Insbesondere hat die Politik die Eltern aus<br />
dem Blick verloren. Deren Aufgabe ist es,<br />
eine liebevolle Beziehung zu ihren Kindern<br />
zu pflegen, was Zeit und Geld kostet.<br />
Häufig werden sie jedoch durch ihre<br />
wirtschaftliche Lage dazu gedrängt, der<br />
Erwerbsarbeit mehr Zeit einzuräumen als<br />
ihnen und den Kindern lieb ist. Zu Beginn<br />
der 1960er Jahre wendeten die damals<br />
meist alleinverdienenden Väter pro<br />
Woche 48 Stunden für die Erwerbsarbeit<br />
auf. Inzwischen sind es für beide Eltern<br />
mehr als 70 Stunden. Das bedeutet zwar<br />
mehr Geld für die Familien, aber auch<br />
weniger Zeit für die Erziehung daheim.<br />
Das Friede-Freude-Eierkuche-Motto „Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie“ kaschiert<br />
nur notdürftig, dass den Eltern<br />
diese Zeit vorenthalten wird, letztlich ein<br />
Eingriff in ihre grundgesetzlich garan-<br />
26 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
für unsere Kinder aktiv zu werden.<br />
Der <strong>KED</strong>-Newsletter wird per E-Mail<br />
verschickt und steht zusätzlich unter<br />
www.katholische-elternschaft.de zum<br />
Download zur Verfügung. Wenn Sie<br />
den <strong>KED</strong>-Newsletter beziehen wollen,<br />
dann schicken Sie uns bitte eine<br />
Nachricht an info@katholische-elternschaft.de.<br />
Über den Newsletter-Verteiler<br />
erhalten Sie dann zukünftig auch unsere<br />
aktuellen Pressemitteilungen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Elisabeth Brauckmann<br />
Bundesgeschäftsführerin<br />
Grundgesetz hin, Verfassungsgericht her<br />
Die Politik hat die Eltern aus dem Blick verloren<br />
von Bernhard Huber<br />
tierte Erziehungsfreiheit. Die besagt nach<br />
Aussage des Verfassungsgerichts, dass<br />
die Betreuung der Kinder in der jeweils<br />
von den Eltern gewählten Form zu ermöglichen<br />
und zu fördern ist. Das familienpolitische<br />
Gebot des Grundgesetzes<br />
lautet damit Wahlfreiheit und nicht die<br />
blickverengende Vereinbarkeit.<br />
Es genügt also nicht, die außerfamiliäre<br />
Betreuung, darunter die Ganztagsschule,<br />
auszubauen. Dies ist eine Option nur für<br />
die Eltern, die erwerbstätig sein wollen.<br />
Für diejenigen, die erwerbstätig sein<br />
müssen, ist dieses Angebot alternativlos,<br />
solange sie dem Dilemma Zeit oder Geld<br />
für ihre Kider ausgeliefert sind. Geradezu<br />
zynisch ist es, diesen Eltern in vorgeblicher<br />
Gutmenschenart die professionelle<br />
Betreuung ihrer Kinder ab 0 (!) Jahren<br />
auch noch als unersetzlichen Beitrag für<br />
deren Bildung anzudienen und die existentielle<br />
Bindung, die die Kinder natürlicherweise<br />
zu ihren Eltern aufbauen, zu<br />
relativieren. Echte, ihre Erziehung<br />
respektierende und ermöglichende Wahlfreiheit<br />
für die Eltern ist – Grundgesetz<br />
hin, Verfassungsgericht her – immer noch<br />
<strong>KED</strong> in Bayern<br />
<strong>KED</strong> Bamberg – Mit Wirkung vom 15.<br />
Juni 2009 wurde Beatrix Funk vom<br />
Erzbischof von Bamberg, Dr. Ludwig<br />
Schick, zur Diözesanbeauftragten der<br />
Katholischen Elternschaft Deutschlands<br />
ernannt. Sie tritt damit die Nachfolge von<br />
Maria Grüner an, die am 11. April 2009<br />
verstorben ist. Laut Satzung ist Frau Funk<br />
in ihrer neuen Funktion zugleich Vorstandsmitglied<br />
des Diözesanfamilienrates,<br />
dem Beschlussorgan von Familienbund<br />
und Katholischer Elternschaft im Erzbistum.<br />
Frau Funk war bereits seit 1990<br />
Mitglied im Diözesanfamilienrat, und<br />
befasst sich seitdem in äußerst sachkundiger<br />
Weise mit Themen aus dem<br />
Schul- und Erziehungsbereich, was auch<br />
durch ihre ehrenamtliche Arbeit als bisherige<br />
stellvertretende <strong>KED</strong>-Landesvorsitzende<br />
besonders zum Ausdruck kommt.<br />
nicht das gängige framilienpolitische<br />
Leitbild.<br />
Natürlich: Der Staat ziert sich generell,<br />
wenn es ums Geldverteilen geht. Aber<br />
dass er gerade bei den Familien derart<br />
nachhaltig auf die Bremse tritt, fällt<br />
besonders auf, wo sie doch für unser aller<br />
Wohlergehen so unentbehrlich sein sollen.<br />
Er gibt sogar vor, dies im Interesse<br />
der Kinder zu tun, denen er keine unzumutbaren<br />
Schulden hinterlassen will. Also<br />
lässt er die Eltern mit ihrer finanziellen<br />
Last allein und überantwortet sie dem<br />
Arbeitsmarkt, auf dem es so nur noch<br />
enger wird.<br />
An die Zukunft der Kinder denken, ist<br />
schön und gut. Allerdings will die Politik<br />
vor lauter Kindern die Eltlern nicht sehen.<br />
Zukunft ist jedoch nur über die Gegenwart,<br />
hier also über die Eltern zu erreichen.<br />
Außerdem: Die Zukunft der Kinder<br />
heute ist deren morgige Gegenwart<br />
als Erwachsene. Dann werden sie ihre<br />
Entscheidung, ob auch sie Eltern werden<br />
wollen, nicht zuletzt von ihren Erfahrungen<br />
als Kinder abhängig machen.<br />
Eltern unter Dauerstress werden ihnen<br />
kein nachahmenswertes Vorbild sein.<br />
Aus: Gemeinde creativ, 4/2009, Seite 13
„Ohne Eltern geht die Schule nicht“<br />
<strong>KED</strong>-Broschüre bietet praktische Hilfen für die Elternmitwirkung<br />
Bonn, 01. September 2009 – Die<br />
Katholische Elternschaft Deutschlands<br />
(<strong>KED</strong>) bietet ab sofort die beliebte Broschüre<br />
Nr. 35 „Ohne Eltern geht die<br />
Schule nicht“ in überarbeiteter Auflage<br />
an. „Interessierte Eltern finden darin alles,<br />
was sie für eine gelingende Elternmitwirkung<br />
benötigen.“, so die <strong>KED</strong>-Bundesvorsitzende<br />
Marie-Theres Kastner, MdL.<br />
„Die erstmals im Jahre 2000 herausgegebene<br />
Broschüre wurde aufgrund der<br />
hohen Nachfrage nun zum zweiten Mal<br />
den aktuellen Anforderungen entsprechend<br />
überarbeitet. Sie enthält viele praktische<br />
Tipps für die Zusammenarbeit zwischen<br />
Eltern und Pädagogen, für die Planung<br />
und Durchführung von Elternversammlungen<br />
und für die Jahresplanung<br />
sowie hilfreiche Informationen über die<br />
rechtlichen Rahmenbedingungen der<br />
Elternmitwirkung. Mustervorlagen für<br />
Einladungen, Tagesordnungen und<br />
Protokolle sowie Checklisten erleichtern<br />
die konkrete Arbeit. Abgerundet wird die<br />
„Chancen für alle von Anfang an“<br />
Veröffentlichung durch ein ‚ABC für<br />
Eltern’ und einen Adressteil.“<br />
Kastner weiter: „Die Katholische Elternschaft<br />
Deutschlands setzt sich seit über<br />
60 Jahren für eine Stärkung der Elternmitwirkung<br />
im Bildungssystem ein. Sie ist<br />
mit insgesamt 34 Diözesan- und Landesverbänden<br />
in der ganzen Bundesrepublik<br />
vertreten. Die aktuellen Diskussionen um<br />
Chancengerechtigkeit, ganzheitliche individuelle<br />
Bildung und Religionsunterricht<br />
machen das Engagement von Eltern in<br />
Schulen wichtiger denn je. Die Bundes-<br />
<strong>KED</strong> stärkt die Arbeit der Eltern vor Ort<br />
mit Veröffentlichungen, Veranstaltungen,<br />
Lobbyarbeit und vieles mehr. Die Handreichung<br />
ist hierzu ein wichtiger Beitrag.“<br />
Ohne Eltern geht die Schule<br />
nicht<br />
Der Elternabend – Rechtliche Rahmenbedingungen<br />
– ABC für Eltern“<br />
Preis: 2,50 Euro inklusive Versandkosten<br />
Einladung zum Seminar für mehr Elternmitwirkung in Kitas<br />
Bonn, 8. September 2009 – Die<br />
Katholische Elternschaft Deutschlands<br />
(<strong>KED</strong>) veranstaltet zusammen mit der<br />
Katholischen Erziehergemeinschaft (KEG)<br />
in Kooperation mit dem Bundesverband<br />
Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder<br />
(KTK) vom 24. bis 25. Oktober 2009<br />
in Freiburg ein Seminar zur Stärkung der<br />
Erziehungskompetenz und Mitwirkung<br />
von Eltern in Kitas und Familienzentren.<br />
In zwei Workshops werden modellhafte<br />
Konzepte aus dem Bundesgebiet gemeinsam<br />
von Erziehern und Eltern vorgestellt.<br />
Angereichert wird dieser Praxisteil durch<br />
die wissenschaftlichen Beiträge von Professor<br />
Dr. Rainer Strätz (Sozialpädagogisches<br />
Institut NRW) und Prof. Dr. Klaus<br />
Fröhlich-Gildhoff (Evangelische Hochschule<br />
Freiburg). Auf Basis aller Beiträge<br />
sollen praxisnahe Handlungsempfehlungen<br />
für mehr Elternmitwirkung und<br />
Chancengerechtigkeit in Einrichtungen<br />
der frühkindlichen Bildung erarbeitet<br />
werden. Diese Handlungsempfehlungen<br />
können dann als Handreichung weiteren<br />
interessierten Eltern zur Verfügung gestellt<br />
werden.<br />
Warum dieses Seminar? Studien zeigen,<br />
dass immer noch Nachholbedarf bei der<br />
frühen Förderung von Kindern in unserem<br />
Land besteht. Besonders betroffen sind<br />
Kinder, deren Eltern sich aus unterschiedlichen<br />
Gründen nicht ausreichend um ihre<br />
Kinder und deren Bildungsprozess kümmern<br />
können. Konzepte der gegenseitigen<br />
Stärkung im Sinne von „Eltern für<br />
Eltern“ können hier Abhilfe schaffen und<br />
bilden die Voraussetzung für eine gelingende<br />
Erziehungspartnerschaft zwischen<br />
Pädagogen und Eltern.<br />
Die <strong>KED</strong> setzt sich mit ihren 34 Mitgliedsverbänden<br />
seit jeher für mehr ganzheitliche<br />
Bildung, Bildungsgerechtigkeit<br />
und Elternmitwirkung in Deutschland ein.<br />
Mit der Veranstaltung will sie zusammen<br />
mit ihren Partnern einen Beitrag zur<br />
Bestellungen an:<br />
<strong>KED</strong>-Bundesgeschäftsstelle<br />
E-Mail: info@katholische-elternschaft.de<br />
Fax: 0228-696217<br />
Weitere Informationen zur Broschüre mit<br />
Inhaltsverzeichnis und Informationen<br />
über die Arbeit der <strong>KED</strong> finden Sie unter<br />
www.katholische-elternschaft.de.<br />
Verbesserung der Chancengerechtigkeit<br />
von Kindern in unserem Lande leisten.<br />
Wir laden Eltern, Fachkräfte und Interessierte<br />
herzlich ein, an diesem Seminar<br />
teilzunehmen!<br />
Programm und Anmeldeformular finden Sie unter<br />
www.katholische-elternschaft.de<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
27
3. TITELTHEMA<br />
Hauptschule – wohin ?<br />
Reiner Düchting<br />
Die aktuellen Anmeldezahlen zu Hauptschulen<br />
in den Städten und Ländern, in<br />
denen es mit der Hauptschule das klassische<br />
dreigliedrige Schulsystem ergänzt<br />
um die Gesamtschule noch gibt, dürfen<br />
nach solchen und vielen ähnlichen<br />
Schlagzeilen und Kommentaren („Restschule“,<br />
„Sackgasse“, „Auslaufmodell“,<br />
„Schüler ohne Chance“, „Die Sitzenbleiber“)<br />
nicht verwundern. Das Beispiel<br />
der Stadt Essen mit bisher 14 Hauptschulen<br />
macht diese Entwicklung und den<br />
Trend deutlich: Die Übergangsquote von<br />
der Grundschule zur Hauptschule betrug<br />
landesweit im Jahre 2008 ca. 15 %. Sie<br />
ist hier auf eine Quote von weniger 5,3 %<br />
gesunken. Lediglich 195 Mädchen und<br />
Jungen werden in dieser Stadt im Sommer<br />
2009 auf 10 öffentliche Hauptschulen<br />
wechseln. Allein die Hauptschule<br />
des Bistums Essen, die Hauptschule im<br />
Schulzentrum Am Stoppenberg, weist mit<br />
74 Anmeldungen und 63 Aufnahmen in<br />
drei Klassen konstante Anmeldezahlen<br />
auf. Für drei weitere Schulen hatte die<br />
Stadt als Schulträger bereits vorher das<br />
Aus beschlossen und keine Anmeldungen<br />
für die 5. Jahrgänge mehr zugelassen.<br />
Doch offenbar ging die Absicht nicht auf,<br />
die verbleibenden Schüler auf eine geringere<br />
Anzahl von Hauptschulen umzulenken<br />
und damit die Schulform insgesamt<br />
zu stabilisieren. Im Frühsommer, so<br />
Kein Abgesang auf eine Schulform<br />
„... Daher kann es für Grundschullehrer nur eine verantwortliche Entscheidung<br />
geben: Stellen sie keinem Kind am Ende des vierten Schuljahres eine Empfehlung<br />
für die Hauptschule aus!“ So kommentierte eine Journalistin des WDR um die<br />
Jahreswende 2008/09 appellativ Diskussionen um Schlagzeilen wie<br />
„Kultusminister wollen Hauptschulen von allgemeinen Bildungsstandards<br />
abkoppeln“.<br />
28 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
kündigte die Stadt an, sei daher mit der<br />
Schließung weiterer vier Hauptschulen in<br />
Essen zu rechnen. Auch die vielfach<br />
öffentlich bekundete Unterstützung der<br />
Hauptschule durch Landesregierung und<br />
Schulministerium, die Ganztagsoffensive,<br />
das „1.000-Schulen-Programm“, die<br />
„Qualitätsoffensive Hauptschule NRW“,<br />
die NRW-Initiative „Komm Mit! – Fördern<br />
statt Sitzenbleiben“ weckte bei Eltern<br />
offenbar mehr Zweifel als Zutrauen in die<br />
Hauptschule. Die Fülle an Wettbewerben,<br />
Auszeichnungen und Preisen (u. a. der<br />
Hauptschulpreis) brachte nicht die erhoffte<br />
Stabilisierung oder gar Wende in<br />
den Anmeldezahlen.<br />
Doch was wird aus Mädchen und Jungen,<br />
wenn sie vielleicht künftig nach der<br />
Klasse 4 trotz deutlicher Lern- und Leistungsdefizite<br />
keine Empfehlung zur<br />
Hauptschule bekommen? Was geschieht<br />
mit Mädchen und Jungen, die dann<br />
vielleicht auf Schulen und Systeme mit<br />
1.000 oder mehr SchülerInnen angewiesen<br />
sind? Wie werden sich Schülerinnen<br />
und Schüler entwickeln, auf die in<br />
immer mehr Jahrgängen „Lernstandserhebungen“<br />
und „Zentrale Prüfungen“<br />
der Maßstab aller Dinge sind? Auf welche<br />
Weise und unter welchen Bedingungen<br />
werden diese SchülerInnen künftig<br />
lernen, wenn Ernst Rösners „Hauptschule<br />
am Ende – Ein Nachruf“ 1) wahr wird?<br />
Auch in Zukunft gilt: Ob in der Hauptschule,<br />
in der neuen Form einer Sekundarschule<br />
mit gemeinsamen oder getrennten<br />
Haupt- und Realschul-Bildungswegen,<br />
in einer Gemeinschaftsschule<br />
oder in einer Gesamtschule:<br />
Die Kinder, die bisher die Hauptschule<br />
besuchen, benötigen eine besondere<br />
Form des Unterrichts und der Erziehung.<br />
Als Eckpunkte haben Hauptschulen in vier<br />
Jahrzehnten folgende Wege entwickelt:<br />
Ermutigung – Kindern, die in der Primarstufe<br />
über die Dauer von vier oder sechs<br />
Jahren erfahren haben, dass ihre Leistungen<br />
durchweg deutlich im unteren Bereich<br />
lagen, wird durch Tests, Zeugnisse,<br />
Klassenwiederholungen, durch immer<br />
neue Untersuchungen und Förderbemühungen,<br />
durch Gespräche und Gesten<br />
bewusst, dass sie hinter den Hoffnungen<br />
ihrer Eltern, hinter den Erwartungen ihrer<br />
Lehrer, hinter den Erfolgen ihrer Freunde<br />
zurückbleiben. Dies bleibt nicht ohne<br />
Auswirkungen auf das schwindende<br />
Selbstwertgefühl und lässt sich auch nicht<br />
allein durch Erfolge im Fußballverein und<br />
im Chor kompensieren. Weiterführendes<br />
Lernen setzt daher zunächst voraus, dass<br />
sie wieder Vertrauen in eigenes Leistungsvermögen<br />
finden. Nicht nur die Kinder,<br />
auch deren Eltern müssen und können<br />
ermutigt und neu zur aktiven Mitarbeit<br />
und zur Erziehungspartnerschaft für ihre<br />
Kinder gewonnen werden.<br />
Zuverlässige persönliche Zuwendung –<br />
Kinder, die in dieser Weise „lern- und<br />
schul-sozialisiert“ wurden, benötigen<br />
Menschen, Lehrerinnen und Lehrer, die<br />
nicht nur in der Planung und Gestaltung<br />
eines fachlich qualifizierten Unterrichts,<br />
sondern auch und besonders in ihrem<br />
Erziehungsauftrag eine selbstverständliche<br />
und zentrale Aufgabe ihrer täg-
Auch die Hauptschulen bieten zahlreiche Schulabschlüsse an und eröffnen ihren Schülern und Schülerinnen<br />
so verschiedenste Bildungsperspektiven. Foto: Schütz/pixelio<br />
lichen Arbeit sehen. Sie benötigen die<br />
persönliche Zuwendung, einen sensiblen<br />
Umgang – auch wenn gerade sie eine<br />
solche Sensibilität im Umgang mit Erwachsenen<br />
und Kindern nicht praktizieren<br />
und zunächst häufig nicht spiegeln<br />
können.<br />
Verlässliche Rahmenbedingungen –<br />
Kinder, deren künftiger Bildungsweg,<br />
deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten<br />
Schülergruppe und Klasse, deren Verbindung<br />
zu Lehrerinnen und Lehrern fragil,<br />
kurzfristig, unzuverlässig und wechselhaft<br />
waren, benötigen Rahmenbedingungen,<br />
die ihnen Sicherheit vermitteln. Sie benötigen<br />
Menschen, überschaubare Räume,<br />
kleine Klassen, transparente und verbindliche<br />
Regeln, Rituale und Abläufe, die von<br />
vereinbarten Werten abgeleitet sind, die<br />
ihnen zugesichert und vorgelebt werden.<br />
Integration – Kinder mit Lern- und Leistungsdefiziten,<br />
mit Versagenserfahrungen<br />
aus Realschule und Gymnasium, mit<br />
durch Behinderungen bedingtem speziellen<br />
Förderbedarf, mit Migrationserfahrungen,<br />
mit mangelnden sozialen<br />
Kontakten und Unterstützungen in Familie,<br />
Freizeit- und Altersgruppen benötigen<br />
spezifische Maßnahmen zur Integration.<br />
Dies wird eine Schule, wird ein Lehrerkollegium<br />
nicht aus eigenen Kräften leisten<br />
können. Dazu sind Experten (Sonderpädagogen,<br />
Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen,<br />
Schulseelsorger, Erzieh-<br />
ungsberatungsstellen …) als Mitglieder<br />
des Lehrerkollegiums erforderlich, dazu<br />
ist eine Schulgemeinde mit Eltern, Schülern<br />
und Lehrerinnen erforderlich, die<br />
solche Schülerinnen und Schüler gemeinsam<br />
trägt.<br />
Offene Lern- und Unterrichtsformen –<br />
Kinder mit wenig ausgeprägter intrinsischer<br />
Lernmotivation, mit Defiziten in<br />
allgemeinen Lernkompetenzen sind in besonderem<br />
Maße auf ein Lernen angewiesen,<br />
in dem ihre aktuellen Erfahrungen,<br />
ihre Fragen, ihr Probleme, ja, sie<br />
selbst zum Ausgangspunkt und Gegenstand<br />
des Lernens gemacht werden. Auch<br />
dieser induktive Ansatz wird auf Dauer<br />
ein „Lernen für das Leben“ sein, wird zu<br />
allgemeinen und übertragbaren Kenntnissen<br />
und Fertigkeiten führen; doch die<br />
Bereitschaft, sich auf Lernprozesse einzulassen,<br />
die Kinder und Jugendliche zunächst<br />
aus ihren unmittelbaren Erfahrungen<br />
abholen, die ihnen Antworten auf<br />
ihre Fragen geben, weckt die Bereitschaft,<br />
sich auf diese und auf weiterführende<br />
Lernprozesse einzulassen.<br />
Praxis- und projektorientiertes Lernen –<br />
Kinder und Jugendliche lernen und arbeiten<br />
in allen Stufen und Jahrgängen der<br />
Hauptschule immer wieder an spezifischen<br />
Lernorten: „Familienpraktika“,<br />
intensiv begleitete berufsorientierende<br />
und berufsvorbereitende Praktikumsstellen<br />
in Industrie, Handwerk, Handel,<br />
Verwaltung und Landwirtschaft, Auslandspraktika<br />
und Schüleraustausch,<br />
Comenius-Projekte, Schulgärten, „Baustellen“<br />
innerhalb und außerhalb des<br />
Schulgeländes, die große Palette der<br />
Schul- und Schülerfirmen, Schulsanitätsbereiche,<br />
Verkehrslotsen, Schülercafeterien,<br />
Technikwerkstätten, Streitschlichter-Gruppen<br />
und Buddy-Projekte, Maßnahmen<br />
im Rahmen der Compassion-<br />
Idee, selbst organisierten Schülerhilfen<br />
usw. sind zu festen Lern- und Erfahrungsräumen<br />
der Schüler geworden. In Gesprächen<br />
begegnen sie „vor Ort“ oder in<br />
der Schule “Originalen“ und knüpfen<br />
damit direkten Kontakt zu Themen und<br />
Inhalten der Curricula.<br />
Unterstützungssysteme und Netzwerke<br />
– Kinder, Schulgemeinden und Schulen<br />
konnten sich in den vergangenen Jahrzehnten<br />
durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit<br />
in immer höheren Maße auf die<br />
Begleitung und Unterstützung von Verbänden,<br />
Unternehmen, Ehrenamtlichen,<br />
„Partnern für Schule“, Senior-Experten,<br />
Einrichtungen zur Berufsorientierung, Jugendhilfe-Organisationen<br />
stützen, konnten<br />
diese personellen, fachlichen, finanziellen,<br />
lokalen Ressourcen als verbindliche<br />
Stützungssysteme in ihr Schulprogramm<br />
integrieren. So haben sie schulund<br />
standortspezifische Netzwerke entwickelt.<br />
In einzelnen Schulen entstanden<br />
daraus feste Förder- und Entwicklungskreise<br />
als Kuratorium der Schule, das<br />
allen Mitwirkungsgremien zur Beratung<br />
und Unterstützung zur Verfügung steht.<br />
Perspektiven – Kindern, die die Hauptschule<br />
besuchen, war und ist dieser Bildungsweg<br />
keine Sackgasse. Sie eröffnet<br />
ihren Schülerinnen und Schülern den<br />
Zugang zu allen möglichen Schulabschlüssen:<br />
Hauptschulabschlüsse nach<br />
Klasse 9 und 10, die Fachoberschulreife<br />
nach der qualifizierten Klasse 10, den<br />
Weg in Berufskollegs mit differenzierten<br />
Bildungsgängen und Abschlüssen oder<br />
den Schritt in die gymnasiale Oberstufe<br />
mit dem Ziel der allgemeinen Hochschulreife.<br />
In Kooperation mit der Agentur für<br />
Arbeit, mit Einrichtungen in Industrie und<br />
Handwerk, gestützt durch ein feinmaschiges<br />
System von Interessen- und Leistungschecks,<br />
von Vorbereitungen und Trainingsphasen,<br />
begleitet von Experten<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
29
innerhalb (z.B. den Studien- und Berufswahlkoordinator)<br />
und außerhalb der<br />
Schule, erfahren die SchülerInnen eine<br />
Berufsorientierung, die sie langfristig gemeinsam<br />
mit ihren Eltern an die persönliche<br />
Berufsentscheidung heranführt.<br />
Zeit – lernen, benötigen aufgrund ihrer<br />
differenzierten individuellen Voraussetzungen<br />
flexible, den jeweiligen Fächern,<br />
Zielen, Projekten und Prozessen angemessene<br />
Arbeitszeiten. Das starre Raster<br />
der 45-Minuten-Stunden ist dabei ebenso<br />
wenig hilfreich wie ein fixer 60- oder 90-<br />
Minuten-Rhythmus oder der Unterrichtsschluss<br />
um 13:20 Uhr. Die enge Kooperation<br />
in überschaubaren Lehrerkollegien,<br />
eine flexible Zeiteinteilung und das<br />
gemeinsame Lernen über den ganzen Tag<br />
erlauben es, Vorhaben, Projekte, fächerverbindendes<br />
Lernen, Exkursionen, neue<br />
Formen des Lernens zu praktizieren und<br />
weiter zu entwickeln.<br />
Seit 1968 haben die Lehrerkollegien von<br />
Hauptschulen in und mit ihren Schulgemeinden<br />
diese Lernstandards und<br />
Rahmenbedingungen entwickelt, die<br />
ihren Schülerinnen und Schülern bei den<br />
wechselnden Anforderungen der Jahrzehnte<br />
vielfältige Möglichkeiten der<br />
dauerhaften gesellschaftlichen Teilhabe<br />
ermöglichten, haben ihnen Lebens- und<br />
Lernvoraussetzungen vermittelt, um als<br />
selbstständige und selbstbewusste Persönlichkeiten<br />
in Beruf, Partnerschaft,<br />
Familie und Gemeinde ihre Frau und<br />
ihren Mann „zu stehen“.<br />
Ob die Schulform Hauptschule in allen<br />
Bundesländern den Drang von Politikern<br />
und Eltern nach „höheren“ Abschlüssen<br />
und den damit verbundenen Erwartungen<br />
nach besseren Zugängen zu Ausbildung,<br />
Beruf und Studium in den kommenden<br />
Jahren überstehen wird oder ob sie<br />
weiterhin die Möglichkeit der konstruktiven<br />
Arbeit unter angemessenen Bedingungen<br />
erhält, ist offen. Offen ist damit<br />
ebenso, ob diese Mädchen und Jungen<br />
künftig Schulen oder Schulsysteme vorfinden,<br />
die ihnen und ihren besonderen<br />
Bildungsbiografien gerecht werden.<br />
Nachdenklich rufen daher Wissenschaftler<br />
nicht einfach nach dem Ende der<br />
Hauptschule und schreiben entsprechen-<br />
30 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
Nur noch wenige Grundschüler finden nach der vierten Klasse den Weg in die Hauptschule.<br />
Foto: Havlena/pixelio<br />
de Nachrufe. Sie suchen für diese Schüler<br />
auch im Blick auf die Ergebnisse der<br />
PISA-Studien nach differenzierten und<br />
konstruktiven Wegen in eine allgemeine<br />
schulische Zukunft: Trautwein, Baumert,<br />
Maaz: „Es sollte nicht vergessen werden,<br />
dass über den Erfolg oder Misserfolg von<br />
Schule in besonderer Weise das Lehrerhandeln<br />
im Unterricht entscheidet, das<br />
nur teilweise von Faktoren wie Schulformzugehörigkeit<br />
oder Klassenzusammensetzung<br />
bestimmt ist. Der Analyse und<br />
Verbesserung von Unterrichtsqualität gebührt<br />
deshalb eine besondere Aufmerksamkeit<br />
in Wissenschaft, Lehrerschaft und<br />
Öffentlichkeit.“ 2) Oder: Karl G. Zenke:<br />
„In der Hauptschulmisere konzentrieren<br />
sich die Defizite der gesamten Verfassung<br />
des dreigliedrigen Schulwesens. Die prekäre<br />
Lage der Hauptschule zu überwinden<br />
wird folglich nur gelingen, wenn<br />
Struktur und Arbeitsweise, also Aufbau,<br />
Gliederung, Funktionslogik und Unterrichtsqualität<br />
des gesamten Schulwesens<br />
erneuert werden. Jedes Entweder – Oder<br />
ist unsinnig!“ 3)<br />
Andernfalls wird eine Schulform abgeschafft,<br />
werden pädagogische Erfahrungen<br />
verschwinden, werden diese Kinder<br />
als „Problemfälle“ in Schulen weitergereicht,<br />
die sich bisher von ihnen mit der<br />
Begründung getrennt haben, sie sähen<br />
sich außer Stande, diesen Mädchen und<br />
Jungen die erforderlichen Lern- und Lebensbedingungen<br />
sowie die notwendigen<br />
Fördermöglichkeiten zu geben.<br />
„Ein freies demokratisches Gemeinwesen<br />
kann es nicht hinnehmen, dass ein hoher<br />
Prozentsatz der Jugendlichen in schulischer<br />
Hinsicht vernachlässigt wird und<br />
bleibt. (...) Die Schule muss aufgrund<br />
neuer bzw. anderer Rahmenbedingungen<br />
in die Lage versetzt werden, dass alle<br />
jungen Menschen eine umfassende und<br />
qualifizierte Erziehung und Bildung erfahren,<br />
auf der sie ihr Leben in persönlicher<br />
und beruflicher Hinsicht aufbauen<br />
können.“ 4)<br />
Es bleibt zu hoffen, dass diese Schüler<br />
auch künftig Schulstrukturen und Menschen<br />
finden, von denen sie ermutigt werden,<br />
sich für die Gestaltung ihrer Zukunft<br />
und für die Entwicklung unserer Gesellschaft<br />
zu engagieren.<br />
1) Rösner, Ernst, Hauptschule am Ende, Ein Nachruf,<br />
2007, Münster (Waxmann) 2007<br />
2) Baumert, Maaz, Trautwein, Hauptschulen = Problemschulen?<br />
in: Aus Politik und Zeitgeschehen<br />
(APuZ 28 /2007) S. 46<br />
3) Zenke, Karl G., Wege aus der Hauptschulkrise, in: Die<br />
Deutsche Schule 99, (4) S.<br />
4 )Den Schüler stark machen, Neue Wege in (Haupt-)<br />
Schule und Beruf, Deutsche Bischofskonferenz,<br />
Kommission für Erziehung und Schule, Bonn 2004<br />
Herr Düchting ist Schulleiter des<br />
Schulzentrums Am Stoppenberg<br />
Hauptschule,<br />
Tagesheimschule<br />
des Bistums Essen<br />
Im Mühlenbruch 45<br />
45141 Essen<br />
www.hsstoppi.de
Dämpft die Wirtschaftskrise<br />
den Kinderwunsch?<br />
Ergebnisse der Vorwerk-Familienstudie 2009<br />
Welche Stimmung herrscht in den Familien und wie wird Familienarbeit eigentlich<br />
wertgeschätzt und wahrgenommen? Das sind Fragen, mit denen sich das<br />
Familienunternehmen Vorwerk schon seit einigen Jahren beschäftigt. Auch für<br />
2009, dem Jahr der Wirtschaftskrise, liegen jetzt die Ergebnisse vor, die das<br />
beauftragte Institut für Demoskopie Allensbach herausgefunden hat....<br />
Die Wirtschaftskrise bereitet vielen Familien<br />
Sorgen. Doch von ihren Auswirkungen<br />
sind sehr viel weniger betroffen,<br />
als die Stimmung vermuten lässt. Dies<br />
offenbart die „Vorwerk Familienstudie<br />
2009“. Zwar fürchten 59 Prozent der<br />
Befragten, die Wirtschaftskrise treffe in<br />
Deutschland viele Familien so hart, dass<br />
auch die Kinder die Folgen zu spüren<br />
bekommen. Doch nur 7 Prozent geben<br />
an, selbst tatsächlich betroffen zu sein.<br />
Ingesamt 80 Prozent sind der Meinung,<br />
dass die Krise ihr Leben bisher nicht beeinflusst<br />
oder sie kommen trotz gewisser<br />
Einschränkungen gut über die Runden.<br />
Auch in emotionaler Hinsicht fällt die<br />
Wahrnehmung der Krise düsterer aus als<br />
ihre tatsächlichen Folgen: 57 Prozent<br />
glauben, dass die wirtschaftliche Schieflage<br />
die Stimmung in den Familien<br />
dämpft, aber nur 18 Prozent berichten<br />
dies aus ihrer eigenen Familie. Und auch<br />
der Geburtenrate scheint eine Krise bevorzustehen:<br />
60 Prozent der Befragten<br />
erwarten, dass sich infolge der Wirtschaftskrise<br />
weniger Paare entschließen,<br />
Kinder zu bekommen.<br />
Zum fünften Mal seit 2005 hat das<br />
Wuppertaler Familienunternehmen Vorwerk<br />
das Institut für Demoskopie Allensbach<br />
(IFD) mit der Untersuchung verschiedener<br />
Aspekte zu den Themen „Familie<br />
und Familienarbeit“ beauftragt.<br />
Vorwerk setzt sich damit für mehr Anerkennung<br />
von Familienarbeit ein. Für die<br />
repräsentative „Vorwerk Familienstudie<br />
2009“ wurden insgesamt 1.832<br />
Personen ab 16 Jahre befragt. Neben<br />
den Auswirkungen der Wirtschaftskrise<br />
stehen auch Fragen nach der Anerkennung<br />
von Familienarbeit, der Aufgabenverteilung<br />
im Haushalt und der<br />
Mithilfe der Kinder sowie nach der Rolle<br />
der Großeltern im Mittelpunkt der Studie.<br />
Weitere ausgewählte Ergebnisse:<br />
Frauen machen die Arbeit –<br />
Männer werden gelobt<br />
Familienarbeit ist noch immer vor allem<br />
BILDUNG HEUTE<br />
Frauensache: 77 Prozent der Mütter leisten<br />
den Löwenanteil oder übernehmen<br />
sogar die gesamte Arbeit. Die Mehrheit<br />
der befragten Väter bekennt, „nur den<br />
kleineren Teil“ oder „praktisch gar nichts“<br />
beizutragen. Dafür bekommen sie deutlich<br />
mehr Lob: Nur 48 Prozent der Frauen,<br />
aber 72 Prozent der Männer meinen,<br />
dass ihr Beitrag zur Familien- und Hausarbeit<br />
vom Partner/von der Partnerin<br />
genügend anerkannt wird.<br />
Kinder sollen mehr im<br />
Haushalt helfen – doch Jungs<br />
werden geschont<br />
Ab dem siebten, achten Lebensjahr erwarten<br />
Eltern, dass ihre Sprösslinge im<br />
Haushalt mithelfen. Väter sehen die<br />
Kinder sogar früher in der Pflicht, nämlich<br />
mit rund sechseinhalb Jahren als die<br />
Mütter, die das von ihren Kindern mit<br />
etwa acht Jahren erwarten. Mädchen<br />
müssen dabei deutlich mehr Aufgaben<br />
übernehmen als Jungen – dies sagen 53<br />
Die Stimmung in den Familien ist besser als es die Wirtschaftskrise vermuten lässt. Foto: Vorwerk<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
31
Prozent der Befragten. Somit wachsen<br />
viele Jungs in dem Bewusstsein auf, dass<br />
Hausarbeit nicht ihr Job ist. Und aus den<br />
kleinen Paschas werden später große.<br />
Die traditionelle Rollenverteilung wird<br />
also fortgeschrieben.<br />
Engagierte „Best Ager“: Ohne<br />
Oma und Opa geht in vielen<br />
Familien nichts<br />
Sie reisen gerne und oft, surfen im<br />
Internet – und sie sind wichtige Stützen für<br />
die Familien. Zwei Drittel der Befragten<br />
können bei der Familien- und Hausarbeit<br />
auf Unterstützung durch die Großeltern<br />
bauen. Von egoistischen „Best Agern“<br />
kann also wirklich keine Rede sein.<br />
Gesellschaftliche Anerkennung<br />
für Familienarbeit gesunken<br />
Die Wertschätzung der Familien- und<br />
Hausarbeit ist in den vergangenen Jahren<br />
gestiegen. Jetzt aber geht sie laut der<br />
Allensbach Untersuchung wieder zurück:<br />
67 Prozent der Befragten, das sind<br />
5 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr,<br />
Iris Macke<br />
2. TITELTHEMA<br />
Wir haben es getan. Wir haben unseren<br />
Sohn taufen lassen. Gerade mal ein<br />
halbes Jahr war er da alt. Unsere Freunde<br />
waren kritisch. „Warum lasst ihr ihn nicht<br />
später selbst entscheiden, ob er einer<br />
Religion angehören will?“<br />
32 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
klagen über mangelnde Anerkennung,<br />
insbesondere vonseiten der Arbeitgeber<br />
(71 Prozent), der Politik (67 Prozent) und<br />
der Medien (51 Prozent).<br />
Damit die Welt<br />
ein Zuhause wird<br />
Kinder werden stark durch verlässliche Bindungen. Sie brauchen ein Fundament,<br />
auf dem sie stehen können. Und sie brauchen Antworten, die im Leben tragen.<br />
Unsere Autorin hat ihr Kind taufen lassen – und hält ein Plädoyer für Klarheit in<br />
der Erziehung.<br />
Ich gönne meinem Kind einen so<br />
menschenfreundlichen Gott, wie ihn die<br />
christliche Tradition vermittelt. Kinder<br />
werden stark durch verlässliche Bindungen.<br />
Die Taufe ist Gottes Zusage: Hier ist<br />
einer, der dich liebt, mit all deinen Fehlern<br />
Der Bericht fasst die Ergebnisse der 5. Familienstudie<br />
zusammen, die das Institut für Demoskopie Allenbach im<br />
Auftrag des Wuppertaler Familienunternehmens Vorwerk<br />
durchgeführt hat.<br />
und Schwächen. Was auch immer dir mit<br />
Menschen geschehen mag: Es gibt etwas,<br />
das maßgeblicher ist als alles, was dir in<br />
dieser Welt begegnet. „Der dich behütet,<br />
schläft nicht.“ (Psalm 121,3) Wer sich so<br />
angenommen weiß, hat erst einmal eine<br />
feste Basis. Von dort aus kann er neugierig<br />
und unternehmungslustig die Welt<br />
entdecken, darf fragen und auch zweifeln.<br />
Auf dieses Fundament kann er sich<br />
zurückziehen, wenn er Schutz sucht. Ich<br />
selbst habe als Kind voller Inbrunst das<br />
bekannte Mutmachlied gesungen: „Gott<br />
sagt zu dir: Ich hab dich lieb. Ich wär’ so<br />
gern dein Freund! Und das, was du allein<br />
nicht schaffst, das schaffen wir vereint.“
Ich will meinem Kind helfen, die<br />
religiösen Traditionen des christlichen<br />
Abendlandes zu verstehen. Warum läuten<br />
die Glocken? Weshalb hängt Jesus<br />
am Kreuz? Was feiern wir zu Ostern? Die<br />
Antworten darauf gehören ebenso zur<br />
religiösen Erziehung wie das Versprechen,<br />
das Eltern und Paten mit der Taufe<br />
geben: Wir wollen unserem Kind christliche<br />
Werte vermitteln. Rücksichtnahme,<br />
Hilfsbereitschaft, Sorge für Kranke und<br />
Schwache. Eine Ethik, die in kindgerechten<br />
Geschichten wie der vom barmherzigen<br />
Samariter (Lukas 10, 29-37)<br />
eine klare Richtung bietet.<br />
Ich will meinem Kind die Geborgenheit<br />
christlicher Rituale vermitteln. Sie bieten<br />
Heranwachsenden, die täglich von neuen<br />
Eindrücken überflutet werden, Halt und<br />
Orientierung. Wenn ich unseren einjährigen<br />
Sohn abends ins Bett bringe, zeichne<br />
ich ihm mit dem Finger ein Kreuz auf<br />
die Stirn. „Schlaf gut, Gott segne dich.“ Ist<br />
das Kind älter, können Gebete den Tagesablauf<br />
mitgestalten: Im Tischgebet dankt<br />
die Familie Gott und bekennt, dass<br />
Wachsen und Gedeihen nicht in Menschenhand<br />
liegen. Beten Eltern gemeinsam<br />
mit ihrem Kind, zeigen sie ihm:<br />
Selbst große Menschen müssen ihr Leben<br />
nicht alleine schaffen, sondern können es<br />
in Gottes Hand legen. Erwachsene tun<br />
sich oft schwer mit einem frei formulierten<br />
Gebet. Kinder bringen ihre Sorgen und<br />
Fragen unbefangen vor Gott. Im Gebet<br />
können sie eigene Ängste formulieren<br />
und so überschaubar machen.<br />
Die Zeit der eigenen<br />
Entscheidungen kommt später<br />
Ich will mit meinem Kind auch meine<br />
eigenen religiösen Vorstellungen neu<br />
durchdenken. Wenn Kinder ins Fragealter<br />
kommen, brechen für Eltern andere<br />
Zeiten an. Alles muss hinterfragt werden.<br />
Doch manchmal haben auch Erwachsene<br />
keine Antwort. „Wohin geht mein Kaninchen,<br />
wenn es tot ist?“ Wo Eltern auf<br />
solche Fragen mit ihrem persönlichen<br />
Glauben antworten, hat religiöse Erziehung<br />
ihren Platz mitten im Alltag. „Ich<br />
weiß nicht, wohin dein Kaninchen geht.<br />
Aber ich glaube, dass es ihm sehr gut<br />
geht, da, wo es jetzt ist. Vielleicht ist es im<br />
Himmel? Wie stellst du dir den vor?“ Wer<br />
offen ist, sich berühren zu lassen, geht<br />
den einen oder anderen Frageweg mit<br />
seinem Kind gemeinsam. Staunt über<br />
Antworten. Wird für einen Moment selbst<br />
wieder Kind. Ich will meinem Kind den<br />
Halt einer kirchlichen Gemeinschaft<br />
geben. In unserer Nachbargemeinde<br />
steht im Eingangsbereich der Kirche ein<br />
Baum. Daran hängen Fotos aller Täuflinge<br />
aus dem jeweiligen Kirchenjahr.<br />
Viele Eltern sind davon fasziniert: Schon<br />
als Baby werden ihre Kinder Teil einer<br />
Gemeinschaft, die sie beim Aufwachsen<br />
begleitet und ihnen den Rücken stärkt. Im<br />
gemeinsamen Singen und Spielen im<br />
Kindergottesdienst oder an Kinderbibeltagen<br />
erleben Kinder diese Gemeinschaft<br />
spielerisch.<br />
Das sind meine Antworten an unsere<br />
kritischen Freunde. Mein Kind taufen zu<br />
lassen heißt für mich, dass ich ihm ein<br />
echtes Plus mit auf den Weg geben kann.<br />
Es darf darauf vertrauen, dass Gott bei<br />
ihm ist. Johannes Rau gehörte einer<br />
anderen Generation an als ich. Doch<br />
auch er hatte Antworten:<br />
Wenn Menschen meiner Generation<br />
mich fragen, was sie denn weitergeben<br />
sollten, dann sage ich ihnen dies:<br />
Sagt euren Kindern, dass euer Leben<br />
ist dem Lebenswillen Gottes.<br />
Sagt ihnen, dass euer Mut geliehen war<br />
von der Zuversicht Gottes.<br />
Sagt ihnen, dass eure Verzweiflung<br />
geborgen war in der Gegenwart des<br />
Schöpfers.<br />
Sagt ihnen, dass wir auf den Schultern<br />
unserer Mütter und Väter stehen.<br />
Sagt ihnen, dass wir ohne innere<br />
Heimat<br />
keine Reisen unternehmen können.<br />
Denn<br />
wer nirgendwo zu Hause ist, der kann<br />
auch keine Nachbarn haben.<br />
Mein Kind soll Nachbarn haben. Und ein<br />
Zuhause, das weiter reicht als das Elternhaus.<br />
Solange mein Sohn klein ist, ent-<br />
scheide ich in allen Bereichen seines<br />
Lebens für ihn – stellvertretend. Was er zu<br />
Essen bekommt, dass er sich die Zähne<br />
putzt, in welche Schule er gehen wird. Die<br />
Zeit der eigenen Entscheidungen kommt<br />
später. Dann kann er auch sagen, ob er<br />
meiner Religion angehören will. Doch um<br />
für oder gegen etwas zu sein, sollte er<br />
wissen, womit er es zu tun hat. Deswegen<br />
kann ich meinen kritischen Freunden<br />
auch antworten: Nur was mir vertraut ist,<br />
kann ich ablehnen oder annehmen.<br />
entnommen der Zeitschrift „Andere Zeiten – Magazin<br />
zum Kirchenjahr“, Heft 1/2009<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
33
Lieber Sonntag,<br />
Ein Lob auf den Sonntag<br />
Von der Liebe zu einem besonderen Tag<br />
wir kennen uns jetzt schon so lange. Ein<br />
ganzes Leben. Du hast all unsere Veränderungen<br />
mitgemacht, warst nicht beleidigt,<br />
wenn wir dich ignorierten, hast<br />
milde drüber hinweg gesehen, wenn wir<br />
beklagten, wie langweilig Du bist.<br />
Wie schwierig Du für uns als Kinder<br />
warst! Steife Kleider mussten wir tragen,<br />
die wir auf keinen Fall schmutzig machen<br />
durften. Gesittet sollten wir neben Mama<br />
und Papa durch den Park spazieren, wo<br />
wir lieber einen Fußball getreten hätten.<br />
Tanten kamen zu Besuch, deren feuchte<br />
Wangenküsse wir hassten, andererseits<br />
gab es dazu Buttercremetorte, die uns<br />
den Rest ertragen ließ. Manchmal nahm<br />
uns Opa mit in den Gottesdienst, und<br />
auch, wenn wir nichts verstanden, waren<br />
die Gesänge geheimnisvoll schön.<br />
Dann wurden wir Teenager. Das machte<br />
unser Miteinander nicht leichter. Jetzt<br />
wurden die Kirchgänge Pflicht. Uns<br />
morgens um 9.00 aus dem Bett zu<br />
quälen, schien pure Folter. Wir flüsterten<br />
und kicherten in den vorderen Kirchenbänken<br />
(da mussten wir sitzen!) und<br />
ernteten des Pfarrers zornfunkende<br />
Blicke. Aber wir erhielten ein Sternchen<br />
für Anwesenheit, und die Konfirmation<br />
war wieder ein Stück näher gerückt.<br />
34<br />
2. TITELTHEMA<br />
Die verkaufsoffenen Sonntage häufen sich. In manchen Städten wird darüber<br />
nachgedacht, jeden Adventssonntag freizugeben, und es somit den Händlern zu<br />
ermöglichen, ihr Geschäft zu öffnen. Doch neben den Verkäufern und Verkäuferinnen,<br />
die davon betroffen wären, gibt es auch viele andere Berufsgruppen, für<br />
die der Sonntag oftmals ein normaler Arbeitstag ist. Doch ein „Sonntag“ ist mehr<br />
als das. Die Redaktion der Zeitschrift „Andere Zeiten“ hat sich ihre eigenen<br />
Gedanken zu diesem besonderen Tag gemacht. Lesen Sie, was ein Sonntag so<br />
alles sein kann und wie er sich im Laufe eines Lebens verändert.<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
Am Abend wünschten wir uns dann,<br />
Deine Minuten mögen zu Stunden werden.<br />
Das Matheheft lag unberührt und<br />
vorwurfsvoll auf unserem Schreibtisch,<br />
und auch die Lateinvokabeln waren noch<br />
nicht in unser Hirn vorgedrungen. Wir<br />
wussten natürlich, dass wir all dies den<br />
ganzen Nachmittag hätten erledigen<br />
können, den wir ohnehin öde fanden.<br />
Aber ein Teenagerherz ist nicht von Vernunft<br />
getrieben, also haderten wir so<br />
lange, bis als Ausweg nur noch das Heft<br />
der Sitznachbarin am Montagmorgen<br />
blieb.<br />
Aber auch das ging vorbei. Zum Glück!<br />
Denn dann kam die Studienzeit, und die<br />
Dinge entspannten sich. Auf einmal probierten<br />
wir all jenes, was wir noch zwei<br />
Jahre zuvor empört als spießig abgetan<br />
hatten: Wir luden Freunde zum Frühstück<br />
ein und kochten ihnen ein Ei. Wir bestückten<br />
Spaziergänge mit Picknickkörben.<br />
Wir kochten, nur dass der Braten<br />
nicht Punkt 12.00 auf dem Tisch stand<br />
und auch kein Braten, sondern ein<br />
Nudelauflauf war. Wir entdeckten, dass<br />
es Gottesdienste auch zu genehmeren<br />
Zeiten, zum Beispiel am Abend, gab.<br />
Und danach versammelten wir uns vor<br />
dem Fernseher irgendeiner WG, um<br />
gemeinsam den „Tatort“ zu zelebrieren.<br />
Lieber Sonntag, das war der zarte Beginn<br />
unserer Liebe zu Dir. Wir entdeckten neue<br />
Auch wilde Abenteuer zu erleben und seiner Phantasie im wahrsten Sinne des Wortes Flügel zu verleihen,<br />
ist am Sonntag möglich. Foto: Andere Zeiten
Seiten. Aus dem grauen Mauerblümchen<br />
wurde eine Persönlichkeit voll ungeahnter<br />
Facetten. Wir staunten!<br />
Als dann das Arbeitsleben begann, erkannten<br />
wir, dass Du eine Oase bist. Ein<br />
Freigeist. Du bietest hundert Möglichkeiten.<br />
Wir brauchen Dich. Ein Tag in der<br />
Woche, an dem wir tun dürfen, was<br />
schön ist – und nicht, was sein muss. Wir<br />
bringen unsere Seelen ins Lot. Wir ordnen<br />
die Welt mit Freunden. Wir bauen<br />
mit Lena und Lukas stundenlang Bauklotztürme.<br />
Wir vergraben uns in ungelesenen<br />
Zeitungen. Wir träumen rosa Wolken in<br />
den Himmel, wir entwerfen Utopien, die<br />
uns in den Montag tragen. Du bist der<br />
Tag, an dem niemand etwas von uns<br />
fordert. Und wer es doch tut, wird mit<br />
einem milden Lächeln auf Deine Existenz<br />
verwiesen. Du bist wie ein großer Bruder.<br />
Du beschützt uns vor Zeitdieben, Stressmachern,<br />
Immermehrwollern. Wir sinken<br />
in Deine Arme und denken wohlig: Uns<br />
kriegt ihr nicht!<br />
Wir lieben Dich. Deshalb haben wir Dir<br />
ein Buch gewidmet. Und hoffen, wir<br />
haben Dich von Deiner besten Seite getroffen.<br />
„Sonntags. Erfindung der Freiheit“<br />
heißt das Buch, mit dem Sie Ihre Sonntagsoasen<br />
entdecken können. 52 Themen<br />
laden auf 144 Seiten zum Träu-<br />
men, Denken, Gestalten ein, vom „Tatort“<br />
bis zur Auferstehung, vom Sonntagsbraten<br />
bis zum Grundgesetz.<br />
Lassen Sie sich ein Jahr begleiten und<br />
machen Sie den Sonntag zu Ihrem<br />
Sonntag! Das Buch misst 22,5 cm im<br />
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Seidentaft. Es kostet 12,00 €<br />
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Das Buch ist Teil der Kampagne „Mach<br />
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Initiatoren Lust auf diesen Ausnahmetag<br />
machen und Ideen geben, ihn zu<br />
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BILDUNG HEUTE<br />
Amoklauf an Schulen –<br />
Ein Elternbrief<br />
Können Schulen sich vor Amokattacken schützen?<br />
Der nachfolgende Text wurde von Dr. h.c. Hans Biegert, dem Leitenden Schuldirektor<br />
und Schulträger der HEBO-Schule, einer Privaten Ergänzungsschule zur<br />
Vorbereitung auf Abitur und mittlere Reife in Bonn-Bad Godesberg (Am Büchel<br />
100, 53173 Bonn-Bad Godesberg) verfasst und am Ende des Schuljahres 2008/09<br />
allen Eltern übermittelt. Der neuerliche Amoklauf von Ansbach veranlasst uns<br />
zum Abdruck dieses Briefes.<br />
Der Amoklauf von Winnenden und seine<br />
Folgen war kaum aus den Nachrichten<br />
(aber noch lange nicht aus den Köpfen<br />
der Kolleginnen und Kollegen), nun der<br />
versuchte Amoklauf im Schulzentrum St.<br />
Augustin! Und nach jedem Amoklauf –<br />
oder auch „nur“ Versuch, wie am<br />
11.05.2009 in St. Augustin, bleiben<br />
neben Betroffenheit, Fassungslosigkeit<br />
die großen Fragezeichen:<br />
„Warum“<br />
und<br />
„Können sich Schulen letztendlich vor<br />
Amokattacken schützen?<br />
Beide Fragen hängen im Übrigen zusammen,<br />
denn die Suche nach möglichen<br />
Ursachen<br />
a) in der Person des Täters/der Täterin<br />
hängt immer auch zusammen mit<br />
b) dessen/deren Lebensbedingungen<br />
und -umständen und dazu gehört<br />
Schule mit an oberster Stelle.<br />
Wissenschaftlliche Studien belegen, dass<br />
die Täter(innen)-Profile der bisherigen<br />
Amokläufe an Schulen erstaunliche<br />
Gemeinsamkeiten aufweisen:<br />
I.●Das Gefühl des Fehlens von Anerkennung<br />
● des Fehlens von sozialen Bezugspersonen<br />
● des Fehlens von positiven Sozialintegrationserfahrungen,<br />
also dazuzugehören,<br />
gewollt, anerkannt zu sein<br />
● das Gefühl, sozial isoliert zu sein<br />
● aber auch das Unvermögen, mit<br />
kommunikativer, interaktionaler Krän-<br />
36 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
kung überhaupt, geschweige denn<br />
konstruktiv umgehen zu können.<br />
Schulen sind u.a. auch deshalb von<br />
Amokläufen betroffen, weil Schule jener<br />
Sozialraum ist, indem besonders zwischen<br />
dem 10. und 16. Lebensjahr die<br />
nachhaltigsten Erfahrungen in den Bedingungen<br />
(iwe unter I. beschrieben) stattfinden,<br />
die gleichzeitig in eine für dieses<br />
Alter sehr bedeutsame entwicklungspsychologische<br />
Phase fallen, in der es<br />
u.a. um die qualitative Ausprägung geht<br />
von:<br />
● Selbstbild:<br />
wen oder was stelle ich dar, bin ich der<br />
„Looser“ der Klasse oder bin ich gemocht,<br />
gar akzeptiert, geachtet und<br />
aerkannt?<br />
● Selbstwirksamkeit:<br />
kann ich „was ausrichten“, werde ich<br />
gefragt und gehört, wenn es um<br />
„Weichenstellungen“ in der Klasse<br />
geht oder „pfeifen“ die Klassenkameraden<br />
auf meine Meinung; gar<br />
schlimmer noch, werd’ ich erst gar<br />
nicht gefragt, sogar von vorn herein<br />
ignoriert/„geschnitten“?<br />
● Selbstkonzept:<br />
was habe ich in mir für ein Bild, wie<br />
mich die anderen sehen? Bin ich<br />
davon überzeugt, dass die anderen in<br />
mir den Außenseiter, den „Blödmann“<br />
sehen, oder dass die anderen in mir<br />
den „Könner“ sehen, einen, dem man<br />
zuhört, wenn er den Mund aufmacht?<br />
Und bei diesem ist Schule für Jugendliche<br />
in dem genannten Alter der bedeut-<br />
samste Sozialraum, und daher eint eine<br />
ganz wesentliche Erfahrung alle Täter(innen),<br />
die an Schulamokläufen<br />
beteiligt waren (so Dr. Frank Robertz,<br />
Leiter des Instituts für Gewaltprävention<br />
und angewandte Kriminologie in Berlin,<br />
einer der international anerkanntesten<br />
Fachleute zum Thema „Amoklauf an<br />
Schulen“): für sie, die Täter(in), war/ist<br />
„Schule der Ort der größten<br />
Kränkungen“ (F. Robertz 2009).<br />
Mit Schule und den Mitschülern/innen<br />
und den Lehrerinnen und Lehrern<br />
identifizieren sie (die Täter/innen) den<br />
Ort und die Personen, die ihnen jene<br />
Erfahrungen von „unermesslicher Kränkung“<br />
bescherten, wie sie oben unter I.<br />
beschrieben sind.<br />
Wenn dem so ist, dann kann Schule und<br />
können Lehrerinnen und Lehrer präventiv,<br />
neben der selbstverständlichen Einrichtung<br />
von Alarmplänen, Kriseninterventionstrainings,<br />
sachlich materiellen<br />
Schutzvorrichtungen … dazu beitragen,<br />
dass Schule und Unterricht abseits der<br />
Bedeutung von allem Kognitiven, dem<br />
Erzielen von Lernfortschritten, dem Erreichen<br />
von qualitativen und quantitativen<br />
Lernstandards zu den Abschlussprüfungen<br />
etc. auch (wieder) zu einem<br />
Sozialraum wird, in dem alle Kinder und<br />
Jugendliche – und der Anspruch müsste<br />
lauten: ohne Ausnahme! –<br />
■ das Gefühl von Anerkennung erleben:<br />
Anerkennung nicht nur dann,<br />
wenn die Leistungen stimmen. Anerkennung<br />
nicht nur dann, wenn Verhalten<br />
angepasst und erwartungsgemäß<br />
ist, Anerkennung heißt, dass<br />
Schüler verlässlich in allen „Hochs“<br />
und „Tiefs“ auf ihre Lehrer zählen<br />
können.<br />
■ soziale Bezugspersonen vorfinden,<br />
heißt: Lehrerinnen und Lehrer zu haben,<br />
die neben allem Kognitiven, der<br />
Lernstoffvermittlung, für Schülerinnen
und Schüler auch sozialpädagogische<br />
Bezugspersonen darstellen, die von<br />
sich aus ein ebenso großes Interesse<br />
am Sozialbefinden ihrer Schüler haben,<br />
wie an deren Lernfortschritten.<br />
■ positive Sozialintegrationserfahrungen<br />
machen; heißt: wo Lehrerinnen<br />
und Lehrer mitbekommen und gegenhalten,<br />
wenn eine(r) oder einzelne<br />
ausgeschlossen werden, isoliert sind,<br />
ggf. sogar gemobbt werden. Hier ist<br />
jeder Lehrer gefragt; dies ist nicht delegierbar<br />
auf Klassenlehrer, Schulleiter<br />
oder Schulsozialarbeiter.<br />
■ wo Lehrerinnen und Lehrer frühzeitig<br />
mitbekommen, ob da ein Kind, ein<br />
Jugendlicher ist, der/die große Probleme<br />
im alters- und jahrgangsstufenadäquaten<br />
Umgang mit Kränkungen<br />
hat, dem/der es schwerfällt konstruktiv<br />
mit selbst „kleinen“ Kränkungs- und<br />
Ausgrenzungserfahrungen umzugehen.<br />
Dann nämlich den Kontakt zu den<br />
Eltern suchen, dann gemeinsam für Lösungen<br />
und Abhilfe sorgen, bis hin zur<br />
Anbahnung von Kontakten zu Psychologen/Therapeuten,<br />
jedenfalls derartiges<br />
niemals aus den Augen zu verlieren;<br />
solches Verhalten können wir<br />
Lehrerinnen und Lehrer nicht ernst<br />
genug nehmen, und (!) – dranbleiben<br />
müssen wir!<br />
Ob dies in der Gesamtheit bereits eine<br />
hinreichende Garantie gibt, dass eine<br />
Schule vor Amokattacken geschützt ist,<br />
bleibt derzeit unbeantwortbar. Ganz<br />
sicherlich aber ist dies eine unverzichtbar<br />
notwendige Bedingung. Unbestritten sind<br />
dies Anstrengungen, die absolut in die<br />
richtige Richtung weisen (siehe I) und<br />
dementsprechend ganz sicherlich auch<br />
risikominimierende/protektionäre Wirkung<br />
zeigen.<br />
Ferner befindet sich eine Schule, die bewusst<br />
und stets auf positiv-sozialemotionales<br />
Schulklima setzt, auch im Sinne<br />
von Schulqualität, Professionalität und<br />
Unterrichts- und Lernwirksamkeit, damit<br />
in „bester Gesellschaft“. Wissenschaftliche<br />
Untersuchungen, wie die von Andreas<br />
Helmke (Universität Koblenz-<br />
Landau), die bis in die 90er Jahre zurück<br />
gehen, aber auch neueste Studien (Andreas<br />
Helmke, Unterrichtsqualität und<br />
Lehrerprofessionalität, 2008) bestätigen:<br />
Neben Klassenführung und Adaptivität<br />
gehört<br />
das positive<br />
sozial-emotionale Schulklima<br />
zu den drei unverzichtbaren Intentionalund<br />
Struktursäulen einer professionellen,<br />
schülerorientierten und lernwirksamen<br />
Schul- und Unterrichtsgestaltung, heißt in<br />
der Praxis:<br />
● Eine in der Schule gelebte Positiv-<br />
Feedback-Kultur<br />
● Anerkennung und positive Rückmeldung<br />
bei Anstrengungsbereitschaft<br />
und positiver Verhaltensentwicklung<br />
● Lob bei/für gute Leistungen, für Fleiß<br />
und Anstrengung, für Kooperation und<br />
Teamgeist.<br />
● Sorge tragen für die soziale Integration<br />
eines jeden Schülers.<br />
● Sich auf neue Schüler freuen und sie<br />
aktiv in die soziale Gemeinschaft der<br />
Klasse integrieren<br />
● Einfühlendes Verstehen. Mitbekommen,<br />
was im Kinde vorgeht, sein Verhalten<br />
hinterfragen, statt ggf. vorzuverurteilen.<br />
● Eine angstfreie Lernatmosphäre, in der<br />
ein Kind Fragen stellen kann, ohne<br />
bloß gestellt zu werden, in der Kinder<br />
auf-gerichtet werden, anstatt „unter“richtet<br />
zu werden.<br />
● Achtung und Akzeptanz. Partielles<br />
Nichtkönnen eines Schülers akzeptieren<br />
(bedeutet nicht, tatenlos hinnehmen),<br />
achten und es entsprechend<br />
durch individuelle Förderung mindern.<br />
Ein ADHS-Kind kann nicht dauerhaft<br />
aufpassen (anstatt zu unterstellen, es<br />
wolle nicht)! Ständige Ermahnungen<br />
und der Tadel des Lehrers richten hier<br />
mehr Schaden an, als die Aufmerksamkeit<br />
zu verbessern.<br />
● Gesprächsbereitschaft, die dem Kind<br />
seine Bedeutsamkeit spiegelt. Ein Bewusstsein<br />
haben für die Wichtigkeit<br />
des eigenen Vorbildes, und demgemäß<br />
gegenüber Schülern handeln<br />
und sich verhalten.<br />
● Aber auch klare Regeln, Rituale, konsequentes<br />
Hinsehen, Klarheit und<br />
Orientierung vermitteln, so etwa „Handyverbot<br />
in der Schule“, mindestens<br />
aber Verbot von Handys mit Foto-<br />
Video-Bluetooth-Funktion, dann aber<br />
auch stringentes Controlling und Einschreiten<br />
zur Vermeidung etwa von<br />
diffamierender Mitschülerfotos oder<br />
Nach dem Amoklauf am Gutenberg Gymnasium in<br />
Erfurt war die Betroffenheit groß. Vor dem Dom<br />
wurden unzählige Blumen abgelegt.<br />
Foto: Mühmer/pixelio<br />
gewaltverherrlichender Videoclips auf<br />
Handys.<br />
● Von wirklich positivem Schulklima<br />
kann nur die Rede sein, wenn es gelingt,<br />
die Kooperation zwischen Schule<br />
und Elternhaus wieder den ihrer Bedeutsamkeit<br />
entsprechenden Stellenwert<br />
auch in der schulischen Praxis zu<br />
verleihen. „Gute Schule“ kann nur im<br />
Team gelingen, und dies bedeutet, die<br />
Eltern gehören mit ins Boot „Schule“.<br />
Wir haben in und an unserem Schulsystem<br />
in den letzten Jahren bundesweit<br />
viel reformiert; vieles, was längst überfällig<br />
war. Winnenden, St. Augustin …<br />
konnten wir nicht verhindern; vielleicht ist<br />
dies – der Bedeutsamkeit eines positiven<br />
sozial-emotionalen Schulklimas in Schulen<br />
wieder Priorität zu verleihen – der<br />
zweite Punkt auf dem ü, der Reformbemühungen,<br />
den der ehemalige NRW-<br />
Kultusminister Jürgen Girgensohn<br />
(1970 – 1983) im Hinblick auf Schulreformen<br />
sehr treffend, aber auch Betroffenheit<br />
auslösend, so formulierte:<br />
„Wenn es uns gelänge,<br />
lediglich Entmutigungen<br />
aus unseren Schulen<br />
zu verbannen,<br />
wäre dies<br />
die effizienteste Schulreform<br />
und jene, die den Namen<br />
wirklich verdiente!“<br />
<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
37
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38 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />
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