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(<strong>KED</strong>)<br />

<strong>ELTERN</strong><br />

forum3-2009<br />

Bildungschancen – für alle?<br />

Kinder und religiöse Sozialisation<br />

Hauptschule – wohin?


Auf ein Wort...<br />

Liebe Leserinnen und Leser!<br />

mit Spannung habe ich dem Erscheinungstermin des Romans „Aufbruch“ entgegen gesehen. Jetzt<br />

im September hat das Buch Einzug in die Buchhandlungen gehalten und ist momentan meine<br />

Lieblingslektüre. „Aufbruch“... da ist Hilla Palm, einem Kind „kleiner Leute“ („dat Kind vun nem<br />

Prolete“) der Sprung zum Aufbaugymnasium geglückt., Es hat die ungeliebte Lehrstelle aufgegeben<br />

und erhält während des laufenden Schuljahres noch die Chance, als Quereinsteiger mitzumachen.<br />

„Aufbruch“ ist der autobiographisch gefärbte Roman der Lyrikerin Ulla Hahn. Vor einigen Jahren<br />

erschien der Vorgängerband „Das verborgene Wort“. Die beiden Bücher zeigen (ohne diese<br />

literarisch faszinierenden Bücher auf pädagogische Inhalte reduzieren zu wollen), wie schwierig<br />

es im Nachkriegsdeutschland für ein katholisches Mädchen aus einem Dorf im Rheinland war, aus<br />

seinem Milieu auszubrechen und die Volksschule zu verlassen. Hilla Palm hatte Fürsprecher: Lehrer<br />

und Pfarrer suchten die Eltern auf, um dem begabten Mädchen eine angemessene Schulbildung<br />

zu ermöglichen... und viel Überzeugungskraft war dazu notwendig.<br />

„Das katholische Mädchen vom Land“ ist heute kein Problemfeld mehr im Bildungsgefüge. Die<br />

Statistiken sprechen eher für eine Krise der Erziehung von Jungen. Weitere Problemfelder haben<br />

sich aufgetan. Elternhäuser, die nicht mehr in der Lage sind, ohne professionelle Hilfe ihren Alltag<br />

zu organisieren, Kinder mit Zuwanderungsgeschichte, deren Fähigkeiten oft hinter mangelnden<br />

Sprachkenntnissen verborgen bleiben; Kinder, die in anregungsarmen Vierteln aufwachsen ... aber<br />

auch Kinder, auf denen zu große Erwartungen lasten, die hohem Leistungsdruck ausgesetzt sind,<br />

Kinder, die am Computer sozial vereinsamen … Gehen wir achtsam mit ihnen um – in der<br />

Nachbarschaft, im Kindergarten, in der Schule? Bestärken wir diese Kinder in dem, was sie können<br />

oder ausschließlich in ihren Defiziten?<br />

Neue Wege der Förderung, der Akzeptanz, der Begleitung sind gesucht und – wie manche Artikel<br />

dieses Heftes zeigen – auch positive Ansätze und Projekte auf dem Weg.<br />

Nach den Sommerferien hat für viele Kinder ein neuer Abschnitt begonnen: mit dem Eintritt in den<br />

Kindergarten, in die Grundschule und andere Schulformen. Jedes Kind braucht dazu Ermutigung,<br />

Selbstvertrauen sowie liebe- und maßvolle Begleitung. Meine Großmutter pflegte noch zu sagen:<br />

„Aller Anfang ist schwer“, ich bevorzuge die Worte Hermann Hesses: „Und jedem Anfang wohnt<br />

ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“<br />

Ihnen eine schöne Herbstzeit mit anregenden Lektüren<br />

und herzlichen Grüßen<br />

Ihre<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

3


Inhalt<br />

SCHWERPUNKTTHEMA<br />

6 „Vielfalt gestalten“<br />

in der Elternarbeit<br />

Donja Amirpur<br />

10 Verantwortung von 0 bis 18<br />

Aufstieg aus der Unterschicht:<br />

Kommunen, Bildungs- und Sozialeinrichtungen<br />

suchen nach Wegen aus der Armut<br />

Philipp Krohn<br />

24 Man kann sich in<br />

der deutschen Sprache sonnen<br />

und sogar darin baden<br />

Heike Schmoll<br />

2. TITELTHEMA<br />

12 Wenn dein Kind dich fragt …<br />

Heike Helmchen-Menke<br />

32 Damit die Welt ein Zuhause wird<br />

Iris Macke<br />

34 Ein Lob auf den Sonntag<br />

Von der Liebe zu einem besonderen Tag<br />

3. TITELTHEMA<br />

28 Hauptschule – wohin?<br />

Reiner Düchting<br />

Die neue homepage der<br />

Katholischen Elternschaft Deutschlands (<strong>KED</strong>)<br />

erreichen Sie unter<br />

www.katholische-elternschaft.de<br />

4 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

BILDUNG HEUTE<br />

15 Doping vor dem Unterricht<br />

Immer mehr Schüler schlucken leistungssteigernde<br />

Tabletten, teils ohne ärztliche Aufsicht<br />

Helene Jeschke<br />

16 GLAUBENleben<br />

Heinz Withake<br />

18 <strong>KED</strong> folgt Einladung nach Wien<br />

Thomas Reuß<br />

23 Pinnwand<br />

31 Dämpft die Wirtschaftskrise den<br />

Kinderwunsch?<br />

Ergebnisse der Vorwerk-Familienstudie 2009<br />

36 Amoklauf an Schulen –<br />

Ein Elternbrief<br />

Können Schulen sich vor Amokattacken schützen?<br />

38 Kinderseite<br />

BUCHBESPRECHUNG<br />

Seiten 19 , 20, 21 und 22:<br />

Lesen – Hören – Sehen<br />

<strong>KED</strong> AKTUELL<br />

26 Der <strong>KED</strong>-Newsletter<br />

26 Grundgesetz hin,<br />

Verfassungsgericht her<br />

Bernhard Huber<br />

26 Neue Diözesanbeauftragte<br />

wurde Beatrix Funk<br />

27 „Ohne Eltern geht die Schule nicht“<br />

<strong>KED</strong>-Broschüre bietet praktische Hilfen<br />

für die Elternmitwirkung<br />

27 „Chancen für alle von Anfang an“<br />

Einladung zum Seminar für mehr Elternmitwirkung in Kitas<br />

Für die Unterstützung unserer Arbeit durch Schaltung von Anzeigen in unserem Eltern-Verbandsblatt <strong>ELTERN</strong>forum danken wir<br />

den Sponsoren BBBank (Badische Bank), DBV-Winterthur Versicherungen (im Konzern AXA AG), Scandlines Deutschland und<br />

Wüstenrot Bausparkasse AG und bitten unsere Leser um freundliche Kenntnisnahme.


Wer–Was–Wo?<br />

Höchste Auszeichnung für Walter Eykmann<br />

Unserem Ehrenvorsitzenden, Prof. Dr. Walter Eykmann, wurde<br />

die höchste Auszeichnung der Universität Würzburg verliehen:<br />

Ehrensenator der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er<br />

hat als erster Abgeordneter diese Ehrung erhalten.<br />

Dorothee Wroblewski<br />

verstorben<br />

Am 20. Juni 2009 verstarb Frau Dorothee<br />

Wroblewski im Alter von 83 Jahren.<br />

Über dreißig Jahre wirkte sie in der Katholischen<br />

Elternschaft Deutschlands, Diözese<br />

Regensburg, als Schriftführerin und<br />

z. T. als stellvertretende Vorsitzende. Ihr<br />

Einsatz war geprägt von einer Begeisterung<br />

für ihre Überzeugungen und getragen<br />

von einem festen Glauben.<br />

Zusammen mit ihrem Ehemann<br />

Wroblewski hat sie von 1968 an das<br />

Bildungswerk der <strong>KED</strong> Regensburg aufgebaut,<br />

durch das bis heute weit über<br />

6.000 Referate, Vorträge, Seminare oder<br />

Elternabende in Schulen, Kindergärten<br />

und Pfarreien angeboten werden konnten,<br />

die sich mit Fragen rund um Bildung<br />

und Erziehung auf einem christlichen<br />

Wertefundament auseinandersetzen.<br />

Frau Wroblewski begegnete stets mit<br />

einer gewinnenden Freundlichkeit. Ihr<br />

Leben war geprägt von vielfachem ehrenamtlichen<br />

Engagement im kirchlichen Bereich<br />

bis ins hohe Alter hinein, sei es im<br />

Dekanatsrat Regensburg-Stadt, im Sachausschuss<br />

Ehe und Familie des Diözesanrates,<br />

im Pfarrgemeinderat der Pfarrei<br />

St. Cäcilia, bei der Cursillo-Bewegung<br />

oder in der Seniorenarbeit. Die Erinnerung<br />

an Frau Wroblewski bleibt verbunden<br />

mit großer Dankbarkeit für ihr<br />

Wirken. Möge sie ruhen in Gottes<br />

Frieden.<br />

Wir zitieren aus der Laudatio des Würzburger Universitätspräsidenten,<br />

Prof. Dr. Axel Haase, nachdem er in groben Zügen<br />

den Lebenslauf von Walter Eykmann geschildert hat, unter<br />

anderem auch seine knapp 15-jährige Tätigkeit als Bundesvorsitzender<br />

der <strong>KED</strong>. Haase weiter:<br />

„Von seiner großen Kompetenz in Fragen der Pädagogik und<br />

Bildung zeugt die lange Liste und die inhaltliche Bandbreite der<br />

Publikationen, die er zu diesem Themenbereich veröffentlichte.<br />

Walter Eykmann ist jedoch nicht nur seit mehreren Jahrzehnten<br />

ein ausgesprochen engagierter und vielseitiger Lobbyist in allen<br />

Angelegenheiten, die mit Bildung und Pädagogik allgemein zu<br />

haben.<br />

Er war in all diesen Jahren auch stets einer der wichtigsten<br />

Vertreter der Belange der Julius-Maximilians-Universität und ein<br />

beharrlicher Streiter für ihre Interessen im Landtag und in der<br />

bayerischen Politik generell. So hat er sich mit großem Nachdruck<br />

dafür eingesetzt, dass wir im Jahr 2005 die wegweisende<br />

erste Professur für Gymnasialpädagogik in Bayern erhalten<br />

haben, ebenso dafür, dass wir nach langen Jahren, in denen wir<br />

uns darum bemüht haben, dann endlich Technische Studiengänge<br />

einrichten konnten. Auch wenn es um die Finanzierung<br />

wichtiger Bauprojekte unserer Universität ging, hatten wir in ihm<br />

stets einen zuverlässigen und ausgesprochen energischen<br />

Fürsprecher.“<br />

Die Katholische Elternschaft Deutschlands schließt sich den<br />

anerkennenden Worten an und gratuliert ihrem Ehrenvorsitzenden<br />

ebenfalls auf das Herzlichste.<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

5


SCHWERPUNKTTHEMA<br />

6 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

„Vielfalt gestalten“<br />

in der Elternarbeit<br />

Bessere Kommunikation zwischen Eltern und Erziehern<br />

Donja Amirpur<br />

Elternarbeit gehört neben der Arbeit mit den Kindern zu den Hauptaufgaben der<br />

ErzieherInnen. Schließlich gehört es zu ihrem Arbeitsauftrag, die Eltern an den<br />

Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen.<br />

Es scheint sich bei dieser Aufgabe aber auch um eine der schwierigsten<br />

zu handeln. Die intensive Begleitung von drei Bonner Kita-Teams über zwei Jahre<br />

durch das Projekt „Vielfalt gestalten – Integration im Kindergarten“ hat das noch<br />

einmal deutlich gemacht.<br />

Leider lassen sich Eltern oft nicht wie gewünscht<br />

einbeziehen, besonders bei Migranteneltern<br />

kommen zu den Schwierigkeiten,<br />

die Eltern und ErzieherInnen häufig<br />

miteinander haben, sprachliche und<br />

kulturelle Unterschiede hinzu, die für die<br />

pädagogischen Fachkräfte oft unüberwindbar<br />

scheinen. Häufig kommen nur<br />

wenige zu den Elternabenden und im<br />

stressigen Kitaalltag gibt es auch kaum<br />

eine Gelegenheit, mit den Eltern ins Gespräch<br />

zu kommen.<br />

Vielfalt gestalten, das Projekt von AktionCourage<br />

e. V., hat sich in Kooperation<br />

mit dem Verband binationaler Familien<br />

und Partnerschaften in Entwicklungswerkstätten<br />

und Selbstreflexionsseminaren<br />

gemeinsam mit den ErzieherInnen<br />

mit diesen und anderen Problemen<br />

des Kitaalltags auseinandergesetzt.<br />

Ziel war die Schaffung eines nachhaltigen<br />

interkulturellen Gesamtkonzepts für<br />

die jeweilige Einrichtung, das die Vielfalt<br />

der Lebenswelten und Familienkulturen<br />

der Kinder und ihrer Familien in die Erziehungskonzepte<br />

der Kindergärten<br />

gleichberechtigt einbezieht. Grundlage<br />

der Trainings – ausgeführt von zwei ausgebildeten<br />

Trainerinnen des Verbandes<br />

binationaler Familien und Partnerschaften<br />

– ist das Konzept der vorurteilsbewussten<br />

Bildung und Erziehung. 1)<br />

Dafür gelten folgende Kriterien: 2)<br />

Individualität – Gleichwertigkeit: „Jeder<br />

Mensch ist etwas Besonderes!“<br />

Positive Identität: „Ich bin okay so, wie ich<br />

bin!“<br />

Wertschätzung: „Was ich mitbringe, ist<br />

wichtig!“;<br />

Repräsentanz: „Bei uns findet jeder ein<br />

Stück zu Hause!“<br />

Die heimlichen Botschaften erkennen:<br />

„Was andere verletzt, ist nicht harmlos!“<br />

Den Blickwinkel ändern: „Meine Sicht ist<br />

nur eine von vielen!“<br />

Gemeinsamkeiten entdecken: „Wenn wir<br />

zusammen spielen und lernen, finden wir<br />

vieles, was uns verbindet!“<br />

Solidarität fördern: „Wir halten zusammen<br />

und können uns wehren!“<br />

Die Besonderheiten der Kinder und ihrer<br />

Familien sollen in der Kita thematisiert<br />

werden. Dabei gilt Gleichwertigkeit statt<br />

„wir sind alle gleich“, denn „gleich“ sind<br />

Im Elterncafé der Kita Unterm Regenbogen in Bonn<br />

Foto: Verband binationaler Familien und Partnerschaften


sie nun einmal nicht. Kinder sollen auch<br />

darin bestärkt werden, Ungerechtigkeiten<br />

und unfaires Verhalten zu thematisieren.<br />

Wichtig ist, dass die Kinder Vielfalt erleben<br />

dürfen und diese als etwas Normales<br />

anerkannt wird. Kinder, die diskriminiert<br />

werden, sollen gestärkt werden,<br />

aber auch die, die diskriminieren, können<br />

lernen, dass sie ihre Stärken nicht aus der<br />

Abwertung anderer beziehen.<br />

Grundlegend war dabei zunächst, dass<br />

Erzieherinnen sich selbst als die Verantwortlichen<br />

für die Gestaltung Erziehungspartnerschaft<br />

zwischen Eltern und ErzieherInnen<br />

sehen und nicht darauf warten,<br />

dass die Eltern auf sie zugehen und Interesse<br />

an der pädagogischen Arbeit äußern.<br />

Schließlich sind die PädagogInnen<br />

die Profis.<br />

Nicht nur die Kinder, sondern auch die<br />

Familien sollen in der Einrichtung willkommen<br />

geheißen werden. Die Familie<br />

ist die wichtigste Bezugsgruppe des Kindes,<br />

mit der es sich identifiziert. Daher<br />

sollen die Kinder die Möglichkeit haben,<br />

ihre Familien zu zeigen, darzustellen und<br />

stolz auf sie zu sein.<br />

Die Kinder sollen lernen, dass es viele<br />

Varianten und Familienkonstellationen<br />

gibt, erleben, dass diese gleichwertig<br />

sind und es keine „besseren“ oder<br />

„schlechteren“ Familien, sondern nur<br />

verschiedene gibt.<br />

„Wie können die vielfältigen Familienkulturen<br />

der Kinder in der Einrichtung<br />

sichtbar werden?“ fragten sich die Kita-<br />

Teams in der ersten Fortbildungsreihe und<br />

entwickelten gemeinsam Ideen: In den<br />

Kitas entstanden Familienwände und<br />

Familienbücher, Bilder der Familienmitglieder<br />

zierten die Wände. Die Eltern<br />

machten sich zuhause auf die Suche nach<br />

schönen Fotos, kleinen Geschichten, Erinnerungsstücken,<br />

Gemaltem und Gebasteltem<br />

und brachten sie zu Elternabenden<br />

mit. Das gemeinsame Anliegen der Eltern<br />

und ErzieherInnen, Anknüpfungspunkte<br />

für Gespräche über Unterschiede zu<br />

bieten, zeigt erste positive Wirkungen:<br />

Kinder und Eltern kommen ins Gespräch.<br />

Zu den Familienkulturen zählen natürlich<br />

auch die Sprachen der Kinder. Deutsch<br />

lernen – und die anderen Sprachen, die<br />

Bilder der Familienmitglieder der Kindergartenkinder zieren die Wände in dieser Bonner<br />

Kita. Foto: Kita unterm Regenbogen in Bonn<br />

in den Familien gesprochen werden, nicht<br />

zu verlieren, sondern zu fördern, ist eine<br />

entscheidende Herausforderung in der<br />

Einwanderungsgesellschaft. Die Herkunftssprachen,<br />

ein wertvolles Potential<br />

der Kinder, können auch im Kindergarten<br />

gefördert werden. Dafür müssen die ErzieherInnen<br />

keine Fremdsprachen sprechen.<br />

Sie haben schließlich die Eltern, die<br />

darin die Profis sind.<br />

Auf der Fachtagung „Sprachen fördern in<br />

Kindergarten und Elternhaus“ des Projektes<br />

Vielfalt gestalten im März 2009 in<br />

Bonn erfuhren die ErzieherInnen durch<br />

die Kieler Sprachwissenschaftlerin<br />

Reyhan Kuyumcu viele neue Ideen und<br />

Aspekte zur Förderung von Mehrsprachigkeit<br />

in der Kita. ErzieherInnen haben<br />

bemerkt, dass in vielen Migrantenfamilien<br />

wenig vorgelesen wird. An sich ist<br />

Schrift in vielen Familien nicht präsent.<br />

Das ist nicht nur eine Frage der Bildungsferne<br />

der Eltern. Es kann auch kultur-<br />

bedingt sein. In der türkischen Kultur beispielweise,<br />

so Kuyumcu, aber auch in<br />

vielen anderen, stehe Oralität im Vordergrund,<br />

d.h., während in einer deutschen<br />

Familie Lesen, Vorlesen, Einkaufslisten,<br />

Terminkalender oder Bücherbesitz der<br />

Kinder eher der Normalfall sei, steht in<br />

türkischen Familien Geschichtenerzählen<br />

und Witze erzählen, also gesprochene<br />

Sprache, im Vordergrund. „Der Hinweis,<br />

die Eltern daher besser persönlich anzusprechen<br />

und sie nicht nur per Brief zu<br />

den Elternabenden einzuladen, hat uns<br />

sehr geholfen“, berichtet eine Erzieherin<br />

aus der Kita Lummerland in Bonn-<br />

Tannenbusch.<br />

„Das Wichtige ist, dass wir uns immer<br />

wieder fragen, ob wir genug für die<br />

Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus<br />

und Kita getan haben oder ob wir<br />

vielleicht eine Möglichkeit ausgelassen<br />

haben, um die Eltern in die Kita zu holen.<br />

Oft geht es so einfach. Man muss nur<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

7


Familienkulturen können mit Hilfe gestalteter Fotowände sichtbar gemacht werden.<br />

Foto: Kita unterm Regenbogen in Bonn<br />

wissen wie.“ Auch die Idee der mehrsprachigen<br />

Hörbücher hat die ErzieherInnen<br />

zum Nachahmen angeregt: Gemeinsam<br />

werden in der Kita mit Eltern<br />

und Geschwistern der Kinder Hörbücher<br />

auf CD aufgenommen, so können die<br />

Kinder eine Geschichte auf Deutsch und<br />

in anderen Sprachen hintereinander<br />

hören. Hier können die Eltern und ältere<br />

Geschwister eine Vorbildfunktion entwickeln,<br />

wenn sie die vielen Geschichten<br />

in beiden Sprachen vorlesen. So werden<br />

die Literalität und die Mehrsprachigkeit<br />

der Kinder gefördert, und die Eltern<br />

beteiligen sich aktiv am Bildungsangebot<br />

der jeweiligen Einrichtung.<br />

Die Entwicklungswerkstätten des Projektes<br />

zu den Themen „Familienkulturen<br />

sichtbar machen“, „Sprachen fördern in<br />

Kindergarten und Elternhaus“ und „Interkulturelle<br />

Arbeitsmaterialien“ sind nun<br />

abgeschlossen. Die Erziehungszusammenarbeit<br />

zwischen Elternhaus und Kita<br />

begleitete kontinuierlich die Arbeit zu den<br />

thematischen Schwerpunkten im Rahmen<br />

der Werkstätten, und es wurden immer<br />

wieder Ansatzpunkte für die Elternarbeit<br />

ermöglicht.<br />

Das Projekt öffnet sich in der letzten<br />

Projektphase nun für ErzieherInnen aus<br />

8 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

anderen Einrichtungen und bietet eine<br />

7-tägige Fortbildung von Oktober 2009<br />

bis Februar 2010 zum Thema „Vorurteilsbewusste<br />

Bildung und Erziehung im Kindergarten“<br />

in Bonn an, dabei wird auch<br />

die Frage der Erziehungspartnerschaft<br />

immer wieder Thema sein. Weitere Informationen<br />

und ein Anmeldeformular finden<br />

Sie unter www.aktioncourage.de/<br />

vielfalt_gestalten. Eine ausführliche Dokumentation<br />

der Ergebnisse der Fortbildungen<br />

werden Anfang 2010 veröffentlicht.<br />

„Vielfalt gestalten“ in NRW<br />

Das Infoportal „Vielfalt gestalten“<br />

(www.aktioncourage.de/vielfalt_gestalten),<br />

das allen Interessierten zugänglich ist,<br />

wertet die Erfahrungen in interkultureller<br />

Arbeit für den Elementarbereich aus. Das<br />

Projektteam gibt Literatur- und Veranstaltungshinweise,<br />

informiert über Bildungspolitik<br />

im Elementar- und Primarbereich,<br />

recherchiert aktuelle Nachrichten zur<br />

Bildungspolitik aus NRW und stellt die<br />

eigenen Praxiserfahrungen anderen<br />

Kitas, Elternnetzwerken und Migrantenorganisationen<br />

zur Verfügung.<br />

Alle drei Monate erscheint zudem der in<br />

ganz NRW verbreitete Newsletter „Kindergarten<br />

für alle“. Er bietet Eltern und<br />

ErzieherInnen interessante Themenschwerpunkte<br />

und einen niedrigschwelligen<br />

Einstieg in interkulturelle Fragestellungen.<br />

Die bereits erschienenen Ausgaben<br />

zu den Themen Ramadan, Opferfest,<br />

interkulturelle Arbeitsmaterialien,<br />

Mehrsprachigkeit uvm. sind im Newsletterarchiv<br />

der Projektinternetseite zu<br />

finden. Den Newsletter erhalten durch<br />

diverse Kooperationen fast alle Kindertageseinrichtungen<br />

sowie 1.500 weitere<br />

relevante Akteure aus NRW. Dazu zählen<br />

Integrationsbeauftragte der Kommunen,<br />

Jugendämter, Kommunalpolitiker, Ministerien,<br />

ErzieherInnenfachschulen, Hochschulen<br />

und Fachhochschulen, Verlage,<br />

Stiftungen etc. Zudem finden auf NRW-<br />

Ebene ein fachlicher Austausch und eine<br />

Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen<br />

und Beratungsstellen statt.<br />

Vielfalt gestalten – Integration im Kindergarten<br />

wird gefördert von Aktion<br />

Mensch, der RheinEnergieStiftung Familie<br />

und der Stiftung Jugendhilfe der<br />

Sparkasse Bonn.<br />

1 Der pädagogische Ansatz wurde von Petra Wagner<br />

und ihrem Berliner Team des Projektes KINDERWELTEN<br />

von den USA nach Deutschland transportiert und für den<br />

Kindergartenbereich weiterentwickelt. Kinderwelten ist<br />

ein Projekt des Instituts für den Situationsansatz/Internationale<br />

Akademie gGmbh an der Freien Universität<br />

Berlin.<br />

2 Vlg. Weltkinderspiele. Verband binationaler Familien<br />

und Partnerschaften – iaf e. V.<br />

Donja Amirpur leitet das Projekt<br />

„Vielfalt gestalten“, sie ist<br />

Kommunikationsforscherin und<br />

Islamwissenschaftlerin und lebt in<br />

Bonn.


SCHWERPUNKTTHEMA<br />

Verantwortung<br />

von 0 bis 18<br />

Aufstieg aus der Unterschicht:<br />

Kommunen, Bildungs- und Sozialeinrichtungen<br />

suchen nach Wegen aus der Armut<br />

Philipp Krohn<br />

Alleinerziehende, Ausländer, Arbeitslose – drei Gruppen sind die Hauptbetroffenen<br />

von Armut. Einige Parteien, Sozialverbände und Kirchen werben<br />

dafür, die Hartz-IV-Regelsätze zu erhöhen. Erfolgreicher aber dürfte die<br />

Prävention sein: Eine bessere Bildung und die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt<br />

sind Schlüssel, um prekären Lebensverhältnissen zu entkommen,<br />

argumentieren Armutsforscher übereinstimmend.<br />

MONHEIM, 3. August. Stadtteile wie<br />

das Berliner Viertel in Monheim gibt es in<br />

jeder Kommune. Vierstöckige Plattenbauten<br />

ziehen sich durch ganze Straßenreihen;<br />

Wohnschlangen werden sie genannt.<br />

Hier wohnen die armen Monheimer,<br />

die Arbeitslosen, die Zuwanderer,<br />

die Alleinerziehenden. 11.000 der<br />

44.000 Einwohner leben hier, rund ein<br />

Fünftel ist auf Sozialtransfers angewiesen.<br />

Dieses Quartier wird auch mit<br />

einem Medienereignis verbunden, das in<br />

ganz Deutschland Aufsehen erregt hat.<br />

„Crash-Kid Andi“ stammt von hier, der<br />

seit 1998 mehrfach Lastwagen gestohlen<br />

hatte, bis er zwei Jahre später im Alter<br />

von 14 Jahren einen niederländischen<br />

Polizisten tot fuhr.<br />

Mehrere teure Aufenthalte in Jugendheimen<br />

hatte er hinter sich; auch eine<br />

Therapie auf Gomera war erfolglos geblieben.<br />

„Deshalb haben wir uns gefragt,<br />

warum es eigentlich immer nur der Reparaturbetrieb<br />

sein muss“, sagt Bürgermeister<br />

Thomas Dünchheim. Bevor der<br />

CDU-Politiker 1999 Bürgermeister wurde,<br />

waren die Kosten für Heimunterbringungen<br />

auf schwindelerregende<br />

Höhen geschnellt. Wenn man dieses Geld<br />

10 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

einsetzen würde, um gezielt etwas gegen<br />

Kinderarmut zu tun, würde das sehr viel<br />

erfolgreicher sein, dachten sich Dünchheim,<br />

seine Jugendamtsleiterin und die<br />

Arbeiterwohlfahrt (AWO).<br />

Die Ergebnisse der Überlegungen wurde<br />

drei Jahre später als „Mo.Ki – Monheim<br />

für Kinder“ in einem Modellprojekt verwirklicht.<br />

Es gewann 2004 den Präventionspreis<br />

von Bertelsmann-Stiftung und<br />

Bundesgesundheitsministerium und wurde<br />

in einer OECD-Bildungsstudie als<br />

„beispielhaftes Projekt“ vorgestellt. Der<br />

Kerngedanke des Programms ist eine<br />

stärkere Vernetzung. „Keine Stadt, kein<br />

Träger von Kindertagesstätten allein kann<br />

etwas gegen Armut tun – und auch nicht<br />

Inge Nowak“, sagt Inge Nowak, die das<br />

Projekt als Mitarbeiterin der Stadt koordiniert.<br />

Im ersten Schritt öffneten sich die fünf<br />

Kindertagesstätten im Viertel für eine Zusammenarbeit:<br />

AWO, evangelische und<br />

katholische Kirche und die Stadt sahen<br />

sich nicht mehr als Konkurrenten – und sie<br />

kommunizierten enger mit dem Jugendund<br />

dem Gesundheitsamt. Für Erzieher<br />

wurden kostenlose Fortbildungen ange-<br />

boten, die ihnen vermittelten, wie man<br />

Stärken stärkt (Marte Meo). Das Geld<br />

wurde aus dem städtischen Haushalt umgeschichtet:<br />

Stunden der Familienhelfer<br />

wurden statt für akute Beratungen für<br />

Fortbildungen genutzt. Außerdem können<br />

die Einrichtungen Etatmittel und<br />

Spenden einsetzen, um Kindern Sportangebote,<br />

Kunstschulungen und Musikerziehung<br />

zu ermöglichen.<br />

Die Fortbildung beschränkt sich allerdings<br />

nicht auf die Mitarbeiter, sondern<br />

wird auch Eltern angeboten. „Früher waren<br />

wir froh, wenn sie um 9 Uhr die Kita<br />

verließen. Heute sind sie willkommen“,<br />

berichtet Nowak. Gülsüm Erdogan wurde<br />

in drei Seminaren zur Familienmoderatorin<br />

fortgebildet. Einmal im Monat<br />

wird die gebürtige Türkin von anderen<br />

Müttern eingeladen, um Erziehungsthemen<br />

zu besprechen. „Meist bekommen<br />

sie die Lösungen durch Gespräche heraus;<br />

erst wenn die Probleme größer sind,<br />

gehe ich zur Erziehungsberatungsstelle“,<br />

erzählt sie. An Werktagen treffen sich<br />

viele der ausländischen Mütter im Familiencafé.<br />

Zahnprophylaxe und Vorlesetraining<br />

sind weitere Angebote, über die<br />

Eltern hier informiert werden. Durch die<br />

Koordinationsarbeit von Inge Nowak<br />

weiß jede Institution über alle Hilfen Bescheid.<br />

Und statt im Rathaus hat sie ihr<br />

Büro im sozialen Brennpunkt.<br />

„Unser Ziel war von Anfang an, eine Präventionskette<br />

von der Geburt bis zur Berufsausbildung<br />

zu bieten“, sagt Bürgermeister<br />

Dünchheim. Deshalb wurde<br />

Mo.Ki nach und nach um mehrere Stufen<br />

erweitert. Damit die Unterstützung nicht<br />

plötzlich abbricht, wenn die Kinder in die<br />

Schule kommen, hat die Stadt zwei Sozialarbeiterinnen<br />

entsandt. An den bei-


Triste Vorstädte gibt es in fast jedem größeren Ort in Deutschland. Foto: Bardewyk/pixelio<br />

den Grundschulen des Viertels haben sie<br />

ebenfalls Elterncafés eingerichtet, wo<br />

neue altersspezifische Angebote an die<br />

Familien gerichtet werden. „Wenn Eltern<br />

das schon aus einer früheren Phase kennen,<br />

nehmen sie Hilfen auch schneller in<br />

Anspruch“, sagt Corinna Hartmann, eine<br />

der Mitarbeiterinnen. Als Teil des Marte-<br />

Meo-Erziehungskonzepts filmt sie Grundschullehrer,<br />

mit denen sie anschließend<br />

analysiert, wie sie noch gezielter die Konzentrationsfähigkeit<br />

der Kinder trainieren<br />

können.<br />

Vergangenen Herbst startete die Stufe<br />

„Mo.Ki unter 3“, für die die AWO vier<br />

Stellen mit Hilfe der Stiftung Wohlfahrtspflege<br />

Nordrhein-Westfalen finanziert.<br />

Neugeborene bekommen ein Begrüßungspaket,<br />

wodurch die Stadt frühzeitig<br />

dokumentiert, dass sie die Verantwortung<br />

für die Kinder mitübernimmt. Eine Familienhebamme,<br />

die zusätzlich in einer<br />

gynäkologischen Praxis arbeitet, nimmt<br />

frühzeitig Kontakt zu Risikofamilien auf<br />

und vermittelt ihnen bei Bedarf weiterführende<br />

Hilfen wie zum Beispiel Elternkompetenzkurse.<br />

Wissenschaftliche Studien<br />

haben gezeigt, dass nicht jedes<br />

arme Kind unter Deprivationserscheinungen<br />

leiden muss; aber je länger die<br />

Armut andauert, desto wahrscheinlicher<br />

werden sie. „Das kann zu unterschiedlichen<br />

Zeitpunkten akut werden“, sagt<br />

Inge Nowak. „Und unsere Präventionskette<br />

erlaubt uns, darauf zu reagieren.“<br />

Die Erfolge des Projekts sind naturgemäß<br />

nicht einfach zu messen. „Aber unsere<br />

Quote von ambulanter und stationärer<br />

Jugendhilfe weist mit 70 zu 30 den besten<br />

Wert aller geprüften Kommunen des<br />

Landes auf“, sagt Jugendamtsleiterin<br />

Annette Berg. Im Durchschnitt liegt die<br />

Quote in Nordrhein-Westfalen bei 44 zu<br />

56. Koordinatorin Inge Nowak nennt ein<br />

anderes Erfolgsmaß: 128 Kinder aus<br />

dem abgehängten Berliner Viertel hätten<br />

2009 am alljährlichen Stadtlauf teilge-<br />

"Armut kann<br />

zu verschiedenen Zeiten<br />

akut werden.<br />

Unsere Präventionskette<br />

erlaubt uns zu reagieren."<br />

Inge Nowak,<br />

Mo.Ki-Projektleiterin<br />

nommen, sechs Jahre zuvor war es kein<br />

einziges. Sie fühlten sich zunehmend als<br />

Teil der Kommune. Eine Erzieherin berichtet,<br />

dass vom Berliner Viertel nicht<br />

mehr als „Asi-Stadtteil“ gesprochen wird,<br />

stattdessen werde oft gefragt, wann<br />

Mo.Ki den nächsten Preis zugesprochen<br />

bekomme. Die Zahl der Angebote für<br />

Familien wachse stetig, berichtet Inge<br />

Nowak; auch größere Kommunen wie<br />

München oder Gelsenkirchen suchten Rat<br />

bei ihr.<br />

Monheim habe mit seinem Ansatz erreicht,<br />

dass keiner in der Stadt mehr<br />

sagen könne, Armut gehe ihn nichts an,<br />

sagt die Frankfurter Sozialforscherin<br />

Gerda Holz, die das Projekt wissenschaftlich<br />

begleitet hat. „Zunächst wurde<br />

die Tabuisierung aufgehoben und dadurch<br />

war keine Handlungsoption mehr<br />

ausgeschlossen“, erklärt die Mitarbeiterin<br />

des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik.<br />

Das sei nichts Besonderes,<br />

findet Bürgermeister Thomas Dünchheim.<br />

„Man sollte das Problem nicht leugnen –<br />

nur weil es vermeintlich nicht zum Stadtmarketing<br />

passt.“ Dankbar sei er für die<br />

Anschubfinanzierung der Stiftung Wohlfahrtspflege<br />

und des Landschaftsverbandes.<br />

Am Ende aber lohne sich die<br />

Prävention auch finanziell. Und deshalb<br />

sollen demnächst Mo.Ki 3 und 4 für<br />

weiterführende und Berufsschulen eingeführt<br />

werden.<br />

entnommen der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom<br />

04.08.2009, Nr. 178, S. 10<br />

Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am<br />

Main<br />

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<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

11


2. TITELTHEMA<br />

Heike Helmchen-Menke<br />

Die Bildungsoffensive in Deutschland<br />

wirkt sich auch positiv auf die religiöse<br />

Erziehung aus. Kinder und ihre religiösen<br />

Bedürfnisse rücken mehr in den Vordergrund<br />

– bei den Familien, bei den<br />

Einrichtungen, in denen Kinder tagsüber<br />

betreut, erzogen und gebildet werden,<br />

und in der öffentlichen Wahrnehmung.<br />

Der Buchmarkt bietet mittlerweile in stetig<br />

wachsendem Umfang gute religionspädagogische<br />

Literatur, nicht nur für das<br />

familiäre Umfeld, sondern auch für Erzieherinnen<br />

und Erzieher. Unter Pädagogen<br />

ist es heute nahezu unbestritten,<br />

dass die Auseinandersetzung mit Religion<br />

zur ganzheitlichen Entwicklung der<br />

Persönlichkeit aller Kinder dazugehört.<br />

Mit diesen Erkenntnissen und Entwicklungen<br />

scheint „Religion für Kinder“<br />

wieder gesellschaftsfähiger zu werden.<br />

Als wichtiges Anzeichen dafür darf man<br />

werten, dass fast alle Bundesländer in<br />

ihren neuen Bildungs- und Orientierungsplänen<br />

die Bereiche „Religion“, „Sinn“<br />

und „Werte“ als verpflichtende Bildungsziele<br />

verankert haben – unabhängig von<br />

der Trägerschaft der Einrichtungen (vgl.<br />

CIG Nr. 28/2008, S. 313).<br />

Wie ging die Auferstehung?<br />

Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang<br />

ein Interview in der „Frankfurter<br />

Allgemeinen“ kurz vor Ostern, das<br />

so noch vor ein paar Jahren kaum vorstellbar<br />

gewesen wäre. Darin wurden<br />

dem Tübinger Religionspädagogen<br />

Albert Biesinger Fragen gestellt, wie sie<br />

Eltern oft begegnen: Wie konnte Gott<br />

12 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

Wenn dein Kind<br />

dich fragt …<br />

Kirchliche Kindergärten und Kindertagesstätten beobachten, dass immer mehr<br />

Eltern von ihnen Hilfestellung und Unterstützung erwarten, wenn es um die<br />

Vermittlung von Lebenssinn, Glauben und Religion geht.<br />

zulassen, dass Jesus gekreuzigt wurde?<br />

Warum hat sich Jesus nicht gewehrt? Wie<br />

ging das mit der Auferstehung? Der<br />

Professor zeigte gut verständlich auf, dass<br />

gerade im Leiden Jesu deutlich wird, wie<br />

sich Gott wirklich dem Menschen zugewandt<br />

hat. „Jesus ist keiner, der immer<br />

nur lächelt und siegt.“ Vielmehr erging es<br />

ihm genauso wie den<br />

vielen leidenden Menschen<br />

früher und heute:<br />

„Jesus hat all das erlebt,<br />

damit er den<br />

Menschen, die leiden,<br />

nahe ist.“<br />

Und weil Gott den<br />

Menschen zeigen wollte,<br />

dass mit dem Tod<br />

nicht alles zu Ende ist,<br />

musste sein Sohn<br />

„durch den Tod hindurchgehen.<br />

Jesus kam<br />

nach seinem Tod wieder<br />

zu Gott, durch die<br />

Auferstehung.“<br />

Schließlich bekennt<br />

Biesinger ganz persönlich<br />

die Bedeutung der<br />

Auferstehung Jesu für<br />

uns heute: „Ich glaube,<br />

dass Jesus uns in der<br />

Stunde unseres Todes in<br />

die göttliche Welt begleitet,<br />

in ein neues<br />

Leben.“ Hier wird Eltern<br />

– und anderen fragenden<br />

Menschen –<br />

auf eine gute Weise das Wesentliche des<br />

christlichen Glaubens erschlossen.<br />

Auch kirchlicherseits rückt die religiöse<br />

Erziehung und Bildung von Kindern derzeit<br />

wieder mehr in den Blickpunkt. So<br />

haben sich in jüngster Zeit die Bischofskonferenz<br />

aber auch einzelne Bischöfe<br />

zu Wort gemeldet.<br />

Mit einem Fastenhirtenbrief hat sich der<br />

Paderborner Erzbischof Hans-Josef<br />

Becker an junge Eltern und andere Erwachsene<br />

gewandt, die mit Kindern<br />

leben oder arbeiten. Unter dem Titel<br />

„Wenn dein Kind dich morgen fragt? …<br />

Von der Verkündigung des Glaubens an<br />

Religiöse Nachdenklichkeit verdanken viele Kinder und Jugendliche nicht<br />

nur dem Vorbild ihrer Eltern, sondern im Idealfall auch ihren Erziehern.<br />

Foto: von Melis/pixelio


die kommende Generation“ gibt er<br />

Anstöße, sich mit der religiösen Entwicklung<br />

und Erziehung der Kinder auseinanderzusetzen.<br />

Der Erzbischof ermutigt<br />

die Erwachsenen, sich durch die<br />

Fragen der Kinder nach Leben, Krankheit,<br />

Sterben, Tod und dem Sinn des<br />

Lebens selbst wieder religiös herausfordern<br />

zu lassen.<br />

Religiöse Erziehung geschieht also nicht,<br />

indem einfach Wissen weitergegeben<br />

wird. Vielmehr empfiehlt Becker, dass die<br />

existenziellen Fragen der Kinder nach<br />

dem Woher und Wohin zur Grundlage<br />

für Gespräche werden. Die Erwachsenen<br />

sollen sie „so konkret und anschaulich wie<br />

möglich – am besten mit einer Geschichte<br />

– beantworten, sei es nun mit einer Erzählung<br />

aus der Bibel oder mit einer<br />

persönlichen Glaubens- oder Lebenserfahrung“.<br />

Gerade aber auch die religiösen<br />

Fragen, auf die Erwachsene keine<br />

Antwort haben, Fragen, nach deren Antworten<br />

wir unser Leben lang suchen,<br />

können „die Chance zu einem fruchtbaren<br />

Gespräch mit den Kindern sein“.<br />

Becker stellt heraus, dass das religiöse<br />

Fragen sowohl die Kinder als auch die<br />

Erwachsenen in ihrer Entwicklung weiterbringt.<br />

Um diese Weiterentwicklung ihres<br />

Glaubens sollen sich gerade auch die<br />

Erwachsenen ernsthaft bemühen, denn<br />

die „christliche Gotteserfahrung ist sehr<br />

viel facettenreicher, als uns dies oft bewusst<br />

ist“. Gleichzeitig stellt Becker klar,<br />

dass es zur religiösen Erziehung „kein<br />

abgeschlossenes Theologiestudium“<br />

braucht, „sondern die eigene Glaubensüberzeugung<br />

und einige gute Gewohnheiten,<br />

die den Alltag begleiten“. Er<br />

benennt – neben dem Gespräch mit den<br />

Kindern – die klassischen christlichen<br />

Rituale: Gebete, Segnungen und das Mitfeiern<br />

von kindgemäßen Gottesdiensten.<br />

Besonders in den Gottesdiensten können<br />

Kinder die Erfahrung religiöser Gemeinschaft<br />

machen.<br />

Flügel wie die Vögel<br />

Andere Bischöfe haben sich direkt an die<br />

Kinder gewandt. Zum Beispiel hat der<br />

Kölner Kardinal Joachim Meisner im<br />

letzten Jahr einen solchen Hirtenbrief<br />

geschrieben mit dem Titel: „Glaube gibt<br />

Flügel“.<br />

Beim Spielen im Kindergarten erlernen die Kinder vor allem soziale Kompetenz, doch auch die religiöse<br />

Erziehung spielt eine immer größere Rolle. Foto: Hofschläger/pixelio<br />

Anschaulich versucht er, das Mehr des<br />

Glaubens zu beschreiben. „Unser Glaube<br />

an Gott ist so etwas wie die Flügel für<br />

die Vögel. Der Glaube lässt uns Menschen<br />

über uns selbst hinauskommen.“<br />

Dabei gibt er Einblick in verschiedene<br />

Facetten des persönlichen Betens. Auch<br />

Meisner betont, wie wichtig es ist, seinen<br />

Glauben zusammen mit anderen zu<br />

leben, zu teilen und zu feiern. Er bittet die<br />

Kinder, in Jugendgruppen der Gemeinde<br />

einzutreten, damit sie, „durch die<br />

Gemeinschaft mitgetragen“, die Liturgie<br />

mitfeiern, ihre Freundschaft zu Jesus vertiefen<br />

und sich gegenseitig stärken<br />

können.<br />

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz,<br />

der Freiburger Erzbischof Robert<br />

Zollitsch, wandte sich neulich mit einem<br />

besonderen Brief an die etwa 20.000<br />

Erstkommunionkinder seiner Erzdiözese.<br />

Er betont die Gemeinschaft mit Jesus und<br />

das Miteinander der Glaubenden: „Die<br />

Gemeinschaft des Glaubens macht uns<br />

stark“ bei Erfahrungen von Glück und<br />

Freude, aber auch, „wenn wir Angst<br />

haben und traurig sind“. Auch Zollitsch<br />

ermutigt die Kinder, „mit Jesus und mit<br />

anderen Christen“ in Kontakt zu bleiben<br />

und am Gemeindeleben teilzunehmen. Er<br />

schreibt dies, weil er weiß, wie wichtig<br />

frühe eigene Erfahrungen mit Religion,<br />

Glaube und Kirche sind. Diese Erfahrungen<br />

tragen in hohem Maß zur religiösen<br />

Bildung bei.<br />

Bei solchen Einladungen zu religiösen<br />

Gemeinschaftserfahrungen stehen die<br />

Ortsgemeinden vor einer besonderen<br />

Herausforderung. Sie sollen für Kinder<br />

und Eltern Orte des gemeinsam gelebten<br />

Glaubens sein. In diesem Rahmen kommt<br />

den Kindertagesstätten eine tragende<br />

Rolle zu. Ihre Bedeutung hat vor kurzem<br />

die Bischofskonferenz hervorgehoben.<br />

Auf ihrer Frühjahrsvollversammlung verabschiedete<br />

sie eine Erklärung, die den<br />

Auftrag der kirchlichen Kindergärten in<br />

den Blick nimmt: „Welt entdecken, Glauben<br />

leben. Zum Bildungs- und Erziehungsauftrag<br />

katholischer Kindertageseinrichtungen“.<br />

Immer öfter nur ein Elternteil<br />

Dieses Dokument beginnt mit einem<br />

Bekenntnis zur Rolle der Familie: „Die<br />

Familie ist in allen Entwicklungsphasen<br />

des Kindes die grundlegende Erziehungsund<br />

Bildungsinstitution, deren Leistungen<br />

durch andere Institutionen kaum zu ersetzen<br />

sind.“ Die Kindertageseinrichtungen<br />

können (und sollen) die Aufgaben<br />

der Familie nicht übernehmen. Vielmehr<br />

unterstützen und ergänzen sie „die familiäre<br />

Erziehung und Bildung“.<br />

Diese Erklärung setzt bei den aktuellen<br />

gesellschaftlichen Bedingungen an, unter<br />

denen Kinder aufwachsen. Das heißt:<br />

Leben in der Kleinfamilie, oft ohne Geschwister,<br />

immer öfter mit nur einem<br />

Elternteil; Konfrontation mit verschiede-<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

13


Erziehende solten sich an der christlichen Symbolik und dem Brauchtum orientieren: So erfahren die Kinder,<br />

dass Ostern mehr bedeutet, als der Eier bemalende Osterhase. Foto: Altmann/pixelio<br />

nen Kulturen und Religionen; ohne gelebte<br />

Religion; mit elektronischen Medien; in<br />

Migrantenfamilien und/oder in materieller<br />

Armut.<br />

Erwartungen an<br />

Kindertagesstätten<br />

Die Bischöfe beleuchten – durchaus auch<br />

kritisch – die Erwartungen, die von Eltern,<br />

Trägern und Schulen heute vielfach an<br />

Kindertagesstätten gerichtet werden.<br />

Zwar sehen auch sie Kindertagesstätten<br />

als Orte, an denen herkunftsbedingte<br />

Defizite bei Kindern frühzeitig ausgeglichen<br />

werden können und so Bildungsarmut<br />

vermieden werden kann. Sie betonen<br />

jedoch, dass die Einrichtungen in<br />

erster Linie dem Wohl und der guten<br />

Entwicklung der Persönlichkeit der Kinder<br />

verpflichtet sind. Diese muss Vorrang<br />

haben vor manchen Ansprüchen von<br />

Eltern und Schulen, schon in der Elementarpädagogik<br />

die Kinder möglichst früh<br />

fit für die Schule und die Arbeitswelt zu<br />

machen. Als zentrales Qualitätsmerkmal<br />

kirchlicher Kindertagesstätten wird die<br />

religiöse Erziehung und Bildung benannt.<br />

Kann das gelingen, wenn die Kinder<br />

kaum religiöse Erfahrungen von zu<br />

Hause mitbringen? Den erkennbaren<br />

Mangel an religiöser Erziehung innerhalb<br />

der Familie wollen die Bischöfe<br />

„nicht einfach als Indiz für ein religiöses<br />

Desinteresse der Eltern gedeutet“ sehen.<br />

„Die Gründe liegen vielmehr in der<br />

Glaubensunsicherheit und in der reli-<br />

14 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

giösen Sprachlosigkeit vieler Eltern.“ Und<br />

vor diesem Hintergrund „schätzen sie (die<br />

Eltern) auch die Qualität religiöser<br />

Erziehung in kirchlichen Einrichtungen“.<br />

Der Text beschreibt, wie die Erzieherinnen<br />

den Kindern helfen können, sich<br />

verschiedene Weltzugänge zu eröffnen,<br />

etwa über Sprache, Kommunikation,<br />

Kultur, Kunst, Musik, Mathematik, Naturwissenschaften<br />

und Technik. All diese<br />

Bereiche können für die religiöse Dimension<br />

durchlässig sein. So sollen kirchliche<br />

Kindertagesstätten „großen Wert darauf<br />

legen, den Kindern die christliche Prägung<br />

unserer Kultur und Geschichte zu<br />

erschließen“ oder „die Natur als Gottes<br />

Schöpfung“ zu begreifen und aufgrund<br />

christlicher Werte gelingendes Miteinander<br />

einzuüben. Glaube und Religion<br />

eröffnen „einen eigenen Zugang zur<br />

Wirklichkeit, der durch keine andere Art<br />

der Welterfahrung ersetzt werden kann“.<br />

So werden Kinder in ihrer Identitätsentwicklung<br />

unterstützt. „Für das Zusammenleben<br />

in unserer pluralistischen Gesellschaft<br />

ist es von großer Bedeutung,<br />

dass Kinder schon im Vorschulalter lernen,<br />

religiöse und kulturelle Unterschiede<br />

wahrzunehmen, ein Bewusstsein der<br />

eigenen religiösen und kulturellen Zugehörigkeit<br />

zu entwickeln und sich mit<br />

anderen zu verständigen.“<br />

Das Ganze soll im Rahmen eines<br />

„integrativen Bildungskonzeptes“ ge-<br />

schehen. „Das heißt, Erzieherinnen und<br />

Erzieher verbinden die verschiedenen<br />

Dimensionen in der Planung und Gestaltung<br />

von Lernsituationen.“ Dabei sollen<br />

sie, so oft es geht, von den konkreten Fragen<br />

der Kinder ausgehen. Außer im<br />

Gespräch lernen Kinder vor allem „handlungs-,<br />

erfahrungs- und erlebnisbezogen“.<br />

Daher sollen sich die Erziehenden<br />

an der christlichen Symbolik und dem<br />

Brauchtum orientieren, denn das „veranschaulicht<br />

den christlichen Glauben und<br />

erschließt damit den Kindern und Eltern<br />

einen sinnlichen und erlebnisorientierten<br />

Zugang zum Glauben“.<br />

Hier werden also hohe Anforderungen<br />

an die religionspädagogische Kompetenz<br />

von Erzieherinnen formuliert. Konsequenterweise<br />

fordern die Bischöfe von<br />

den Trägern und den Verantwortlichen in<br />

der Aus- und Fortbildung Unterstützung<br />

für die religiöse Bildung der Erzieherinnen<br />

und Erzieher.<br />

Die Bischöfe sehen eine besondere Aufgabe<br />

kirchlicher Kindertagesstätten in<br />

deren Verantwortung für die „religiöse<br />

Beheimatung“ der Kinder. Denn „Kinder<br />

lernen den Glauben, indem sie ihn erleben“.<br />

Auch das Wissen um „die Bedeutung<br />

der Feste, Rituale und Symbole“<br />

muss ihnen erschlossen werden, denn „im<br />

Zentrum der religiösen Erziehung und<br />

Bildung steht die Gottesfrage“. Und bei<br />

allen berechtigten Bildungsansprüchen<br />

sollen Kindertagesstätten Orte sein, „an<br />

denen das Kind Kind sein darf und in<br />

kindgemäßer Weise die Welt entdecken<br />

und Glauben leben kann“.<br />

Und die Adressaten? In vielen Familien<br />

und Kindertageseinrichtungen zeigt sich<br />

in der Tat ein Trend, die Auseinandersetzung<br />

mit Religion und Glauben wieder<br />

ausdrücklicher zu gestalten. Dabei wird<br />

(wenn auch oft noch zaghaft) die Nähe<br />

zur Kirchengemeinde und zu christlichen<br />

Ritualen gesucht. Dieser Aufbruch ist eine<br />

große Chance für alle Beteiligten. Von<br />

den jüngsten Veröffentlichungen der<br />

Bischöfe dürfen sie sich ermutigt fühlen,<br />

Kinder wieder mehr in die Mitte zu<br />

stellen.<br />

entnommen der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ –<br />

Nr. 20/09 vom 17. Mai 2009


Doping vor dem Unterricht<br />

Immer mehr Schüler schlucken leistungssteigernde<br />

Tabletten, teils ohne ärztliche Aufsicht<br />

Helene Jeschke<br />

Die Zahl der Schüler, die regelmäßig leistungssteigernde Tabletten einnehmen, ist<br />

in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Expertenschätzungen zufolge<br />

nimmt jeder zehnte Schüler in Deutschland Psychopharmaka, bevor er zum<br />

Unterricht geht.<br />

Am Anfang steht der Stress: Laut einer<br />

Umfrage der Krankenkasse DAK bemerken<br />

42 Prozent der Eltern bei ihren<br />

Kindern Stresssymptome. Bei jedem fünften<br />

Schulkind treten sie sogar häufig bis<br />

sehr häufig auf. Rund 57 Prozent der<br />

Schüler reagieren unkonzentriert, nervös<br />

und überdreht.<br />

Ständiger Stress verursacht schon bei<br />

Kindern und Jugendlichen ernste psychische<br />

Erkrankungen. So werden bereits<br />

Zehn- bis 15-Jährigen auffallend häufig<br />

Psychopharmaka verordnet. Die Symptome<br />

bei den Schülern reichen von Kopfund<br />

Bauchschmerzen über Aufmerksamkeitsstörungen<br />

bis hin zu Depressionen<br />

und Schlafproblemen. Jungen sind<br />

häufiger betroffen als Mädchen.<br />

Vor allem bei kleineren Kindern spielt die<br />

Erwartungshaltung der Eltern eine große<br />

Rolle. Pädagogen raten den Eltern, sich<br />

zu überlegen: Setze ich meinem Kind zu<br />

hohe Ziele – oder tut es das sogar selbst?<br />

Grundschullehrer beobachten, dass Kinder<br />

die unausgesprochenen Erwartungen<br />

von Eltern zu ihren eigenen machen und<br />

sich selbst unter Leistungsdruck setzen.<br />

Immer mehr Eltern landen dann über kurz<br />

oder lang mit ihren Kindern beim Arzt –<br />

und bekommen Psychopharmaka verschrieben.<br />

„Etwa jedes zehnte Kind<br />

nimmt inzwischen regelmäßig leistungssteigernde<br />

Tabletten“, berichtet der<br />

Augsburger Weihbischof Anton Losinger,<br />

der sich im Deutschen Ethikrat mit dem<br />

Thema beschäftigt hat.<br />

Spätfolgen sind überhaupt<br />

nicht abschätzbar<br />

Besonders problematisch sei zudem die<br />

hohe Dunkelziffer von Eltern, die sich –<br />

am Arzt vorbei – relativ leicht übers Internet<br />

Medikamente für ihre Kinder besorgten.<br />

Methylphenidat etwa, bekannter<br />

unter dem Markennamen Ritalin, das<br />

ansonsten bei der Behandlung des sogenannten<br />

„Zappelphilipp-Syndroms“<br />

(ADS/ADHS) zum Einsatz kommt. Bei<br />

gesunden Kindern steigert es die Leistung<br />

des Gehirns.<br />

„Dieses Gehirndoping ist sehr gefährlich,<br />

da die gesundheitlichen Auswirkungen<br />

und Spätfolgen noch überhaupt nicht abschätzbar<br />

sind“, so Losinger. „Außerdem<br />

führt gerade die unkontrollierte Medikamentenabgabe<br />

häufig zu Verhaltensauffälligkeiten<br />

bei den Schülern.“<br />

Als Schulreferent seines Bistums macht<br />

Losinger die Erfahrung, dass vor allem in<br />

den Übergangsklassen zu den weiterführenden<br />

Schulen leistungssteigernde<br />

Psychopharmaka gehäuft zum Einsatz<br />

kommen. „In unsere Beratungsstellen<br />

kommt seit einigen Jahren eine hohe Zahl<br />

von Schülern mit ihren Eltern, die mit<br />

diesen Problemen kämpfen.“ Auch die<br />

Seelsorger der Schulpastoral registrierten<br />

eine Zunahme von Schülern, die Medikamente<br />

zur „mentalen Aufhellung“ einnähmen.<br />

In den USA gilt Ritalin bereits als Modedroge<br />

unter Jugendlichen. Etwa zehn<br />

Prozent aller Studenten geben an, das<br />

BILDUNG HEUTE<br />

Mittel regelmäßig zur Leistungsstei- gerung<br />

einzunehmen. Auch in Deutschland<br />

ist die Tendenz steigend. Von Verhältnissen<br />

wie in den USA ist man zwar noch<br />

weit entfernt, aber auch in deutschen<br />

Schulen wird Ritalin längst unter Jugendlichen<br />

getauscht.<br />

Losinger sieht hinter dem Ganzen auch<br />

eine gesellschafts-ethische Dimension:<br />

„Es herrscht eine enorme Leistungserwartung,<br />

die auch schon an Kinder im<br />

frühesten Schulalter gestellt wird. Hinzu<br />

kommt ein Konformitäts-druck.“ Konkret:<br />

Kindern, die nicht einwandfrei „funktionieren“<br />

und den gesellschaftlichen Anforderungen<br />

an Leistung und Anpassungsfähigkeit<br />

nicht genügen, werden mit chemischen<br />

Mitteln auf Erfolg und Konformität<br />

getrimmt. „Das ist ganz klar eine<br />

gesellschaftliche Fehlstellung, wenn solch<br />

ein Druck auf Kinder herrscht“, kritisiert<br />

Losinger.<br />

Probleme in der Schule sind<br />

keine Katastrophe<br />

Die Pädagogin und Buchautorin Heidemarie<br />

Brosche macht Eltern Mut, sich<br />

nicht vom Strudel aus Leistungsdruck und<br />

Zukunftssorgen mitreißen zu lassen. Sie<br />

rät vor allem zu Gelassenheit. Weder<br />

Schwierigkeiten in der Schule noch die<br />

Tatsache, dass das Kind das Gymnasium<br />

nicht packt, seien eine Katastrophe. Das<br />

Kind anzunehmen, wie es ist, und sich<br />

nicht aus der Ruhe bringen lassen, hilft<br />

nach Überzeugung der dreifachen Mutter<br />

besser als Druck, Angst oder gar<br />

Psychopharmaka.<br />

Buchtipp:<br />

Heidemarie Brosche:<br />

Warum es nicht so schlimm ist, in der<br />

Schule schlecht zu sein.<br />

Schulschwierigkeiten gelassen meistern.<br />

Kösel,14,95 Euro.<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

15


BILDUNG HEUTE<br />

GLAUBENleben<br />

„Weg mit den<br />

Fünfen und<br />

Sechsen!“<br />

Dieser sehnliche Wunsch eines wahrscheinlich<br />

jugendlichen Sprayers<br />

schmückte lange Zeit die Hauswand unserer<br />

Jugendbüros in Münster. Die bunte<br />

Wand wurde übermalt, doch der Sprayer<br />

blieb hartnäckig. Inzwischen steht an<br />

dieser Stelle ein anderes Haus. Wenn<br />

ich dort vorbeikomme, erinnere ich mich<br />

gern an die vielen zugedeckten Wünsche.<br />

Hinter dem „Weg mit den Fünfen<br />

und Sechsen“ verbergen sich die Ängste<br />

vor Abwertungen und Niederlagen aller<br />

Art, die Angst vor Kränkung – ganz<br />

unten zu sein – nie auf einen grünen<br />

Zweig zu kommen – nicht geachtet zu<br />

werden – einfach nicht mitzukommen.<br />

Das gilt für Kinder, Jugendliche und<br />

Erwachsene.<br />

Jeder hätte es lieber, wenn er sich mit<br />

1,0 auf dem Siegertreppchen wieder<br />

finden könnte. Doch die Plätze auf dem<br />

Siegertreppchen sind rar. Sie füllen Gedankenwelten,<br />

ermöglichen Schlagzeilen,<br />

prägen Mentalitäten, sind reserviert<br />

für die Erfolgreichen und Schönen.<br />

Die Siegertreppchen und die Fünfen und<br />

Sechsen markieren überdeutlich den<br />

Unterschied zwischen unten und oben.<br />

Nach meiner Meinung wird es weiterhin<br />

Sieg und Niederlage geben. Die große<br />

16 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

Kunst ist es, damit umzugehen. „In der<br />

Niederlage zeigt sich, was ich für ein<br />

Mensch bin“, sagte mir ein Politiker.<br />

Wenn einer seine innere Unabhängigkeit<br />

nicht verliert, wenn er seine Selbstachtung<br />

bewahrt, nicht mit Geringachtung anderer<br />

reagiert, kann er weiterhin aufrecht<br />

an seinem Platz leben. Aber einfach ist<br />

das nicht! Auch der „Sieger“ bleibt nur<br />

lebendig, wenn er nicht „abhebt“ sondern<br />

in Augenhöhe Mensch unter<br />

Menschen bleibt.<br />

Notwendigkeiten – Fragen –<br />

Wünsche<br />

● Jedes Kind, jeder Schüler braucht die<br />

Chance, das zu entwickeln, was er<br />

kann, was ihm möglich ist. Alles andere<br />

ist unter seiner Würde. Alle Lehrpläne<br />

sind unter dieser Rücksicht mit<br />

Vorsicht zu behandeln.<br />

Eine Schule ist immer<br />

„Ressourcenschule!“<br />

● In der Welt von unten und oben ist es<br />

notwendig, eine Sprache einzuüben,<br />

die Wertschätzung und Achtung atmet,<br />

die ein Klima von Kränkung und<br />

Geringachtung verhindert. Auch – oft<br />

unbedachte – Worte können Waffen<br />

sein.<br />

● Eine hohe Kunst ist es, sich nicht klein<br />

und böse machen zu lassen. Das beschädigt<br />

die Würde und verführt dazu,<br />

anderen in die „Waden zu<br />

beißen“.<br />

● Wie kann ich eine Geisteshaltung einüben,<br />

die mich fühlen lässt, dass alle<br />

Menschen gleich groß und gleich klein<br />

sind? Denn zugewandte Worte ohne<br />

innere Achtung und Wertschätzung<br />

klingen hohl.<br />

● „Jede Fünf macht uns härter!“ – posaunt<br />

der Schüler und verbirgt dahinter<br />

seine Verwundbarkeit. Wie<br />

kann die Aufmerksamkeit wachsen<br />

für das, was sich hinter den Worten<br />

verbirgt? Welche Art von „Härte“ ist<br />

notwendig, welche Verhärtung<br />

verhindert Lebendigkeit?<br />

● „Gewinner“ und „Verlierer“ sind auf<br />

unterschiedliche Weise und in gleichem<br />

Maße bedürftig. Sie brauchen<br />

Wertschätzung, Kontakt, Nähe, um<br />

lebenstüchtige Menschen werden zu<br />

können.<br />

Aus meiner Sicht ist die Bibel ein<br />

kostbarer Schatz, der die Würde des<br />

Menschen und die Gleichheit aller Menschen<br />

in vielen Worten, Liedern und<br />

Bildern zum Ausdruck bringt. Niemals<br />

abgehoben und idealisiert, immer in<br />

Kontakt mit der konkreten, begrenzten<br />

Lebenswirklichkeit.<br />

Als die schwangere<br />

Maria ihre ebenfalls<br />

schwangere Verwandte<br />

Elisabeth besucht, wird<br />

Man kann sich nicht immer auf dem Siegertreppchen wiederfinden. Foto: Hofschlaeger/pixelio<br />

ihr ein Lied in den Mund gelegt. Darin<br />

heißt es u. a.:<br />

„Er vollbringt mit seinem Arm macht<br />

volle Taten: Er zerstreut die im Herzen<br />

voll Hochmut sind;<br />

Er stürzt die Mächtigen vom Thron und<br />

erhöht die Niedrigen.<br />

Die Hungernden beschenkt er mit seinen<br />

Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.<br />

Er nimmt sich seines Knechtes Israel an<br />

und denkt an sein Erbarmen,<br />

das er unsern Vätern verheißen hat,<br />

Abraham und seinen Nachkommen auf<br />

ewig. (Lk 1,51-55)<br />

Heinz Withake<br />

Heinz Withake ist seit Mai 2006 Geistlicher Beirat<br />

der <strong>KED</strong> und war zuletzt stellv. Leiter der<br />

Hauptabteilung Schule im Generalvikariat Münster


BILDUNG HEUTE<br />

Thomas Reuß<br />

<strong>KED</strong> folgt Einladung<br />

nach Wien<br />

Am 5. Juni 2009 feierte der Hauptverband<br />

der Katholischen Elternvereine<br />

Österreichs in Wien sein 60-jähriges<br />

Bestehen. An diesem Festakt unserer<br />

österreichischen Freunde nahm ich auch<br />

als stellvertretender <strong>KED</strong>-Bundesvorsitzender<br />

teil.<br />

Die Schottenkirche<br />

Bereits am Vorabend der Feier traf ich<br />

mich mit dem Präsidenten des Hauptverbandes,<br />

Stefan Mandahus, zum Austausch<br />

und um eine noch engere Zusammenarbeit<br />

zwischen den katholischen Elternverbänden<br />

beider Länder zu vereinbaren.<br />

Dabei betonten wir, wie wichtig es<br />

ist, dass sich die deutschsprachigen Eltern<br />

zusammenschließen, um anstehende Probleme<br />

gemeinsam anzugehen.<br />

Die Jubiläumsfeier begann mit einem<br />

Festgottesdienst in der Schottenkirche im<br />

1. Wiener Bezirk. Als Zelebrant feierte<br />

Probst Maximilian Fürnsinn mit der Festgemeinde<br />

die Heilige Messe. In seiner<br />

Predigt betonte er die Bedeutung der katholischen<br />

Schulen für die Schullandschaft<br />

in Österreich und hob zudem die vielen<br />

Verdienste des Hauptverbandes der Katholischen<br />

Elternvereine hervor. Er dankte<br />

dem derzeitigen Präsidenten und seinen<br />

Vorgängern für ihre Arbeit.<br />

Beim sich anschließenden Festakt im Fest-<br />

18 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

saal des Schottenstiftes begrüßte Präsident<br />

Mandahus zahlreiche Ehrengäste<br />

aus Politik, Wirtschaft und Schule, darunter<br />

einige Schuldirektoren, zahlreiche<br />

Elternvertreter der einzelnen Mitgliedsverbände,<br />

Vertreter von Lehrerverbänden<br />

und auch uns von der <strong>KED</strong>.<br />

In meinem Grußwort bedankte ich mich<br />

für das große Engagement der katholischen<br />

Eltern auch in Österreich für die<br />

Erziehung und Bildung der Kinder und<br />

Jugendlichen. Ich machte Mut, auch<br />

weiterhin durch den ehrenamtlichen Einsatz<br />

Wirkung zu erzielen.<br />

Rückblickend auf die vergangenen 60<br />

Jahre erinnerte der frühere Präsident des<br />

Hauptverbandes, Dr. Karl Vogler, an viele<br />

Erfolge der katholischen Schulen mit<br />

ihren Eltern für das ganze Schulwesen in<br />

Österreich. Er stellte aber auch einige<br />

Brennpunkte dar, die es in den kommenden<br />

Jahren anzugehen heißt.<br />

Innerhalb seines Schlusswortes betonte<br />

Präsident Stefan Mandahus ausdrücklich<br />

nochmals die Bedeutung der Zusammenarbeit<br />

zwischen dem Österreichischen<br />

Hauptverband und dem Bundesvorstand<br />

der <strong>KED</strong> und machte sie zu einem Teil seines<br />

Programmes für die nächsten Jahre.<br />

Er schloss mit einem Zitat von Karl Krauss:<br />

„Wenn der Wind bläst, bauen die einen<br />

Mauern, die anderen Windmühlen.<br />

Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht,<br />

werfen auch Zwerge Schatten.“<br />

Bei den Wortbeiträgen anlässlich dieser<br />

Feier zeigte sich, dass die österreichischen<br />

katholischen Eltern sehr großen<br />

Einfluss auf ihre Schullandschaft und die<br />

aktuelle Schuldebatte haben. Das liegt<br />

auch mit darin begründet, dass dort die<br />

Katholische Privatschulen einen Großteil<br />

der Schulen gleich welchen Schultypes<br />

ausmachen.<br />

Stefan Mandahus wurde im Übrigen bei<br />

der am 6. Juni 09 abgehaltenen Mitgliederversammlung<br />

mit großer Zustimmung<br />

für die kommenden drei Jahre in seinem<br />

Amt als Präsident bestätigt.<br />

Es wurde in den Tagen erneut deutlich,<br />

dass die wesentlichen Arbeitsschwerpunkte<br />

der einzelnen katholischen Elternverbände<br />

im deutschsprachigen Raum<br />

sehr ähnlich sind und daher ein regelmäßiger<br />

Austausch zwischen den Vorständen<br />

sinnvoll ist. Durch die gegenseitigen<br />

Besuche zwischen <strong>KED</strong> und<br />

Hauptverband in Österreich ist hier ein<br />

wichtiger erster Schritt getan, der in den<br />

nächsten Zeit verstärkt und auf katholische<br />

Elternverbände im deutschsprachigen<br />

Raum ausgeweitet werden soll.<br />

Baumeister Mandahus im Schottenstift<br />

Wir im Bundesvorstand der <strong>KED</strong> freuen<br />

uns auf die noch stärkere Zusammenarbeit<br />

mit dem Hauptverband Katholischer<br />

Elternvereine Österreichs.<br />

Herr Thomas Reuß ist<br />

stellvertretender Bundesvorsitzender<br />

der <strong>KED</strong> und war<br />

in dieser Eigenschaft in Wien.


Lene März/Barbara Scholz<br />

Haltet den Dieb!<br />

Eine wimmelige Verfolgungsjagd in<br />

Reimen<br />

Thienemann Verlag Stuttgart 2009<br />

ISBN 978-3-522-43627-4, 12,90 €<br />

Der Schlossgeist wird beklaut. Der Dieb stiehlt seinen Schatz und der Geist heftet sich<br />

an seine Fersen. Nach und nach wird der Reigen der Verfolger immer länger. Beim<br />

Pommes- und Würstchenessen freunden sich Geist und Dieb schließlich an und erleben<br />

zusammen wundersame Abenteuer! Für entdeckungslustige Kinder ab 4 Jahre<br />

BUCHBESPRECHUNG<br />

Lesen – Hören – Sehen<br />

Mein erstes Sudoku-Buch<br />

Logikspaß für Schulanfänger<br />

Ensslin Verlag 2009<br />

ISBN 978-3-401-41422-5, 4,95 €<br />

Ab 6 Jahren<br />

Diese Sudokus sind extra für Kinder ab 6 Jahren<br />

konzipiert: Die Zahlen reichen nur von 1 bis 4,<br />

außerdem gibt es Rätsel mit Formen und Bildern.<br />

Alle Sudokus sind farbig, das hilft beim Merken der<br />

einzelnen<br />

Elemente.<br />

Nina Zimmer<br />

Emil besucht van Gogh<br />

Nicolai Verlag Berlin, 2009<br />

ISBN 978-3-89479-521-4,<br />

12,95 €<br />

Emil macht mit seinen Eltern<br />

Ferien in Südfrankreich. Dort<br />

trifft er den berühmten Maler Vincent van<br />

Gogh. Gemeinsam machen sie einen<br />

Spaziergang durch die duftende, farbenprächtige<br />

Landschaft der Provence, und<br />

Emil lernt einige der schönsten Bilder van<br />

Goghs kennen. Ein Kunstbuch für Kinder<br />

ab 6 Jahre.<br />

Joscha Remus/Sibylle Vogel<br />

Berlin – Stadtführer für Kinder<br />

Picus Verlag Wien<br />

ISBN 978-3-85452-145-7, 10,90 €<br />

Joscha Remus, Reisejournalist und<br />

Weltenbummler, gibt kundige Einblicke<br />

in seine Lieblingsmetropole. Auf<br />

das Verständnis und die Interessen<br />

von Kindern im Alter von acht bis<br />

zwölf Jahren zugeschnitten führt der<br />

Autor auf sechs abwechslungsreichen<br />

Spaziergängen zu den<br />

wesentlichen Sehenswürdigkeiten<br />

der Stadt. Als ideale Anregung<br />

finden sich nicht nur konkrete<br />

Gehrouten, sondern auch jede Menge Tipps für<br />

Unternehmungen in und um Berlin.<br />

Malte Arkona/Katrin Zipse<br />

Warum haben wir keinen<br />

König?<br />

Herder Verlag Freiburg 2009<br />

ISBN 978-3-451-70933-3, 13,95 €<br />

Malte fragt nach: Beim Bundesinnenminister,<br />

beim Stuttgarter Oberbürgermeister,<br />

bei einer Polizistin, bei der<br />

Logo!-Moderatorin, aber auch Kinder<br />

kommen zu Wort. So ist Politik auch ein<br />

Thema für Kinder. Ab 10 Jahren.<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />

19


BUCHBESPRECHUNG<br />

Alle Buchbesprechungen stammen von Monika Korthaus-Lindner.<br />

Michael Leidner<br />

Englisch im Kindergarten<br />

Reinhardt Verlag München 2007<br />

ISBN 978-3-497-01923-6, 19,90 €<br />

Englisch im Kindergarten? Was Erzieher/innen<br />

und über Englisch-Lehrangebote<br />

für Kindergartenkinder wissen<br />

müssen, finden sie in diesem Buch. Neben<br />

Grundlagen zum Spracherwerb und<br />

Besonderheiten der englischen Sprache<br />

erläutert der Autor alle Schritte, die bei<br />

einem guten Englischangebot zu bedenken<br />

sind.<br />

Bettina Herrmann/Sybille Wittmann<br />

Treffpunkt Kinderkirche<br />

Gottesdienstmodelle für Kinder<br />

Don Bosco Verlag 2009<br />

ISBN 978-3-7698-1732-4, 16,90 €<br />

Vielfältige Angebote für Kinder ab 2<br />

Jahren, Einsatz im Gottesdienst oder in<br />

der Kinderkrippe.<br />

Uwe Saegner<br />

Sarahs Mama<br />

Wenn die Mutter stirbt – ein Kinderbuch<br />

der hospiz verlag Wuppertal 2008<br />

ISBN 978-3-941251-29-8, 17,90 €<br />

Sarahs Mutter ist gestorben. Sarah trauert, aber Sarah ist nicht<br />

allein. Jemand ist bei ihr, geht mit ihr durch den Tag, versteht sie,<br />

steht ihr bei.<br />

„Was glaubst du, wo Mama jetzt ist?“ Gemeinsam suchen sie nach<br />

Antworten. Seit den Bindungstheorien von Bowlby wissen wir, dass<br />

Kinder den Tod der Mutter wirklich bewältigen können. Dieses<br />

Kinderbuch möchte Betroffenen Mut machen, möchte die<br />

Bewältigung unterstützen.<br />

20<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />

Anke M. Leitzgen/Angela Schuh<br />

Freunde, Eltern, Lehrer und<br />

andere Probleme<br />

Reihe Hanser, dtv 2009<br />

ISBN 978-3-423-62417-6, 7,95 €<br />

Womit habe ich ausgerechnet diese<br />

Schwester verdient? Warum wurde ich mit<br />

diesem Bruder gestraft? Wieso habe ich<br />

so oft Krach mit meinen Freunden?<br />

Warum gibt’s mit meinen Eltern dauernd<br />

Stress wegen der Hausaufgaben? Und<br />

überhaupt: Warum mischen sich Eltern in<br />

alles ein? Alle Neun- bis Dreizehnjährigen<br />

kennen solche Fragen. Und<br />

viele von ihnen erleben ab und zu rabenschwarze<br />

Momente, in denen sie nicht<br />

mehr weiterwissen … Aber: Muss das so<br />

sein? Oder geht es vielleicht auch anders?<br />

Ein Ratgeber für Kinder ab 9<br />

Jahren.<br />

Gerlinde Unverzagt<br />

Kinder fragen nach dem Tod<br />

Herder Verlag Freiburg 2007<br />

ISBN 978-3-451-05829-5, 8,90 €<br />

Kinder konfrontieren uns mit Tabuthemen, sie<br />

fragen auch nach Tod und Sterben und lösen<br />

damit bei Eltern Unsicherheit und Unbehagen<br />

aus. Sich richtig darauf einzulassen, die<br />

eigene Position zu finden, sich den Fragen zu<br />

stellen, mit Kindern ins Gespräch kommen,<br />

Antworten zu finden ohne zu überfordern –<br />

dazu hilft Gerlinde Unverzagt in diesem<br />

Leitfaden.


Kerstin Schmale<br />

Sankt Martin, Nikolaus & Co.<br />

Mit Kindern Wintertage<br />

feiern und gestalten<br />

Schwabenverlag Ostfildern 2009<br />

ISBN 978-3-7966-1395-1, 11,90 €<br />

Gerade im Winter, wenn Kinder nicht so<br />

oft draußen spielen können, sind immer<br />

neue Ideen gefragt, um diese Zeit zu gestalten.<br />

Rund um die Feste der Winterheiligen<br />

Martin, Barbara, Nikolaus und<br />

Lucia bietet dieses Buch alles, um die Zeit<br />

zu einem Erlebnis für Kinder werden zu<br />

lassen: Bastelideen, Rezepte, Lieder und<br />

Gedichte. Und die Legenden, die sich um<br />

die Heiligen ranken, erzählt die Autorin<br />

Kerstin Schmale noch einmal ganz neu.<br />

Christine Knödler<br />

In wenigen Worten die ganze Welt<br />

Gedichte für Erwachsene und Kinder<br />

Thienemann-Verlag Stuttgart 2009<br />

ISBN 978-3-522-18178-5, 19,90 €<br />

In wenigen Worten die ganze Welt – das können<br />

nur Gedichte. Jeder entdeckt darin etwas anderes<br />

und besonders spannend wird es, wenn man die<br />

Gedichte zusammen mit Kindern liest. Auch oder<br />

gerade weil nicht alle Texte in diesem Band eigens<br />

für Kinder geschrieben wurden.<br />

Sylvia Becker-Pröbstel<br />

Wie ist das mit dem Essen?<br />

Gabriel Verlag 2009<br />

ISBN 978-3-522-30170-1, 11,90 €<br />

Woher kommt die Milch? Warum essen wir so<br />

gern Süßes? Die Ernährungsexpertin Sylvia<br />

Becker-Pröbstel erzählt von Kindern, die viel<br />

Neues und Spannendes rund um unsere<br />

Ernährung entdecken, und macht Vorschläge,<br />

wie man sich richtig ernährt. Ab ca. 8 Jahre<br />

Petra Linzbach<br />

Die lichtvolle Rache<br />

Rediroma Verlag Remscheid 2009<br />

ISBN 978-3-86870-098-5, 10,95 €<br />

In die Abenteuer dieses Buches tauchen<br />

sowohl jugendliche als auch erwachsene<br />

Leser ein. Sie fühlen sich wie ein Teil der<br />

Geschichte, bangen, hoffen und freuen<br />

sich mit der Hauptfigur und seinen<br />

Begleitern. Die Gruppe besteht aus dem<br />

Jungen Lino sowie Gnomen und<br />

sprechenden Tieren. Sie wandern durch<br />

herrliche andalusische Landschaften, die<br />

eindrucksvoll beschrieben werden.<br />

Während ihrer Reise begegnen ihnen<br />

Themen wie Kameradschaft, Vertrauen,<br />

Freiheit und sie erleben, wie sich Hass,<br />

Rache und Vergeltung in Vergebung<br />

umwandeln kann. Dieses Buch ist voller<br />

Lebensweisheiten und ohne Zeigefinger<br />

geschrieben.<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />

21


DIEBÜCHERECKE<br />

für die Eltern<br />

DIEBÜCHERECKEfür<br />

Klaus Fritz/Irene Zimmermann<br />

Gymnasium<br />

Ein Ratgeber für Eltern<br />

dtv München 2009<br />

ISBN 978-3-423-34558-3, 9,90 €<br />

Ihr Kind sitzt den ganzen Nachmittag<br />

ohne erkennbares Ergebnis über den<br />

Hausaufgaben? Es führt sich vom Lehrer<br />

schlecht behandelt? Die Klassenarbeit<br />

wurde ungerecht benotet? In der Klasse<br />

wird gemobbt? Viele Hürden sind auf<br />

dem Weg durchs Gymnasium zu nehmen,<br />

aber er ist nicht nur mit Steinen gepflastert.<br />

Ein hilfreicher Ratgeber für den gymnasialen<br />

Schulalltag. Mit vielen praktischen<br />

Tipps und Hinweisen zu weiterführenden<br />

Adressen<br />

22 <strong>ELTERN</strong>forum 2-2009<br />

Karin Jeromin<br />

Die große Kinderbibel<br />

Katholisches Bibelwerk<br />

ISBN 978-3-460-24506-8,<br />

24,90 €<br />

Die große Kinderbibel enthält<br />

125 Geschichten aus dem ALTEN<br />

und NEUEN TESTAMENT sowie<br />

eine Fülle von Sachinformationen,<br />

Erläuterungen und kindgemäßen<br />

Verständnishilfen. Ab ca. 8 Jahre<br />

und als Familienbuch geeignet.<br />

Wachsen mit Büchern & Medien<br />

Tipps für die Kindertagesstätte<br />

velber Verlag 2009<br />

ISBN 978-3-86613-419-5, 19,90 €<br />

Dieses wichtige Nachschlagewerk zum<br />

Thema „Lese- und Schreibentwicklung<br />

von Kindern“ ist eine unentbehrliche<br />

Fundgrube für alle Mitarbeiter/innen in<br />

Kindertagesstätten und für Interessierte<br />

im Bereich frühkindliche Bildung. Der<br />

Ordner bietet eine Fülle von Informationen<br />

und praktischen Vorschlägen<br />

sowie umfangreiche Materiallisten.<br />

Rudolf Seitz<br />

Kreative Kinder<br />

Das Praxisbuch für Eltern und Pädagogen<br />

Kösel Verlag München 2009<br />

ISBN 978-3-466-30835-4, 19,95 €<br />

Heike Tenta<br />

… acht, neun, zehn<br />

Die Zahlen von 0 bis 10 im<br />

Kindergarten spielerisch kennenlernen<br />

Don Bosco Verlag 2008<br />

ISBN 978-3-7698-1725-6, 14,90 €<br />

Zahlen und Zählen, das lieben schon<br />

Kindergartenkinder heiß und innig. Und<br />

im Vergleichen sind sie Weltmeister: Ich<br />

bin älter als du, ich habe weniger<br />

gekriegt als ihr und ich habe neun Sticker<br />

von Lucas Podolski. Mit diesen allerersten<br />

Spielen, Anregungen und Bastelvorschlägen<br />

erkunden die Kinder den<br />

Zahlenraum von 0 bis 10 und malen ihr<br />

eigenes Zahlenbuch. So gelangen sie zu<br />

einem tieferen Verständnis für die Welt<br />

der Zahlen und begeistern sich für die<br />

ersten Rechenübungen in der Vorschule.<br />

Dem Buch lieben Bastelvorlagen und ein<br />

Zahlenposter bei.<br />

Kinder möchten sich nicht nur in Worten, sondern auch in Bildern ausdrücken. In den<br />

Zeichnungen dokumentiert sich ihre wachsende Wahrnehmung der Welt. Rudolf Seitz<br />

verdeutlicht in diesem umfassenden Praxisbuch die einzelnen Entwicklungsphasen der<br />

Kinderzeichnung und zeigt, wie wichtig es ist, die Kreativität der Kinder zu fördern.


Integration und<br />

schulischer Erfolg<br />

Projekt „frühstart“ setzt bereits im Kindergarten an<br />

Sprachförderung, interkulturelle Bildung und Elternarbeit sind die drei<br />

Pfeiler, auf denen der Erfolg des Projektes „frühstart” ruht. Dabei gehen<br />

die Initiatoren davon aus, dass gute Deutschkenntnisse eine Grundvoraussetzung<br />

für gelingende Integration sind, und wo könnte man<br />

besser ansetzen, als im Kindergarten, wo schon die Dreijährigen eine<br />

optimale Form der Sprachförderung erhalten. Dies betrifft vor allem die<br />

Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Getragen unter anderem<br />

von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, wurde das Projekt „frühstart”<br />

im Jahr 2004 entwickelt, um den Kindern in hessischen Städten mit<br />

hohem Migrantenanteil, wie etwa Frankfurt und Wetzlar, bessere<br />

Chancen einzuräumen. Dazu bedurfte es intensiver Fortbildungsmaßnahmen<br />

der Erzieherinnen, die sowohl die Sprachförderung als<br />

auch die interkulturelle Erziehung betraf. Zusätzlich gibt es so genannte<br />

zweisprachige Elternbegleiter, die als Vermittler zwischen Kindertagesstätten,<br />

Elternhäusern und Ausländervereinen wirken. So konnte<br />

bei den Eltern das Interesse an einer aktiven Begleitung des Bildungsweges<br />

ihrer Kinder geweckt werden. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich<br />

warten, denn im Vergleich zur Anfangssituation verbesserten sich die<br />

Kenntnisse der deutschen Sprache bei den beteiligten Kindern enorm.<br />

Im September vergangenen Jahres wurden daher weitere 24 hessische<br />

Kindergärten in insgesamt zehn Städten in das Programm aufgenommen.<br />

Infos unter www.projekt-fruehstart.de<br />

Deutscher Schulpreis 2010<br />

Motto des Wettbewerb: Dem Lernen Flügel verleihen<br />

Die Teilnahme lohnt sich: Schulen, die herausragende pädagogische<br />

Leistungen vollbringen und damit öffentlich und bundesweit<br />

Vorbilder für die Schulentwicklung sein wollen, haben noch<br />

bis zum 30. September Zeit, beim Wettbewerb der Robert Bosch<br />

Stiftung und der Heidehof Stiftung in Kooperation mit der Zeitschrift<br />

Stern und ARD mitzumachen. Zum vierten Mal wird jetzt dieser<br />

größte und am höchsten dotierte Schulwettbewerb ausgeschrieben.<br />

Denn die Initiatoren sind überzeugt davon, und konnten sich<br />

in den vergangenen drei Jahre bei rund 900 Bewerbungen der<br />

verschiedensten Schulformen auch immer wieder davon überzeugen,<br />

dass es trotz aller Kritik am deutschen Schulsystem viele<br />

gute Schulen gibt, die sich durch individuelle Förderung, besondere<br />

Angebote und ein besonders gutes Lernklima auszeichnen.<br />

Grundlage des Wettbewerbs ist dabei ein umfassendes Verständnis<br />

von Lernen und Leistung. Über die bloße Wissensvermittlung<br />

hinaus gilt es, die individuellen, sozialen und schöpferischen<br />

Fähigkeiten der Schüler zu berücksichtigen und zu fördern.<br />

Der Deutsche Schulpreis ist mit einem Hauptpreis von 100.000<br />

Euro dotiert, vier weitere Schulen erhalten je 25.000 Euro. Dazu<br />

kommen zwei Zusatzauszeichnungen im Wert von je 15.000<br />

Euro. Die Bewerbungsunterlagen und weitere Infos gibt es unter<br />

www.deutscher-schulpreis.de<br />

Pinnwand<br />

Deutschland hat zu wenig<br />

Hochschulabsolventen<br />

OECD Studie vergleicht die Bildungssysteme der Industrienationen<br />

Durchschnittlich 57 Prozent der jungen Erwachsenen innerhalb der 30<br />

wichtigsten Industrienationen nehmen ein Studium auf. In Deutschland<br />

dagegen zieht es erheblich weniger Menschen in die Hörsäle. Nur etwa<br />

35 bis 37 Prozent eines Jahrgangs beginnen ein Studium, insgesamt<br />

erreichen nur 21 Prozent eines Jahrgangs einen Hochschulabschluss.<br />

Das ist ein Ergebnis des OECD Jahresberichtes 2008, den die Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz<br />

OECD, in der Studie „Bildung auf einen Blick” bekannt gibt. Doch<br />

Länder, die die internationale Bildungsexpansion nicht mitmachen,<br />

„gefährden ihre wirtschaftliche Existenz”, warnt OECD Bildungsdirektorin<br />

Barbara Ischinger.<br />

Deutschlands Bildungswesen habe aber auch seine Stärken, so die<br />

Studie weiter. Das Bildungsniveau insgesamt sei recht hoch, da 84<br />

Prozent der 25- bis 34-Jährigen über eine abgeschlossene Berufsausbildung<br />

oder das Abitur verfügen. Im OECD Schnitt sind es 78 Prozent.<br />

Auffällig ist der Vergleich der Bildungsausgaben. Im Schnitt der OECD<br />

Länder stiegen die Ausgaben zwischen 2000 und 2005 etwa um ein<br />

Fünftel, in Deutschland blieben sie etwa auf dem gleichen Niveau.<br />

Auch wenn man den Anteil der Aufwendungen im Vergleich zu den<br />

Gesamtausgaben der öffentlichen Hand betrachtet, liegt Deutschland<br />

mit weniger als zehn Prozent gegen rund 13 Prozent der anderen<br />

Nationen unter dem Durchschnitt.<br />

Lesen lernen leicht gemacht<br />

Der Verein Mentor – Die Leselernhelfer setzt sich für Kinder ein<br />

„61 Prozent aller 15-Jährigen Jungen haben noch nie aus<br />

eigenem Antrieb ein Buch gelesen.” Diese erschreckende Zahl und<br />

die Pisa Ergebnisse, die immer wieder enorme Defizite der Lese-,<br />

Schreib- und Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler in<br />

Deutschland zu Tage gebracht haben, waren vor einigen Jahren<br />

der Anlass, den Verein Mentor-Die Leselernhelfer in Hannover zu<br />

gründen. Unter dem Motto: „Das wollen wir ändern” startete ein<br />

Projekt, das sich inzwischen in weit über 30 Städten in ganz<br />

Deutschland etabliert hat und Kindern hilft, die Schwierigkeiten im<br />

Umgang mit der deutschen Sprache haben. Außerhalb des<br />

regulären Schulunterrichts gehen ehrenamtliche Helfer und<br />

Helferinnen, die so genannten Mentoren, auf den individuellen<br />

Förderbedarf der Kinder ein, lesen mit ihnen altersgemäße Texte<br />

und führen ein gemeinsames Gespräch über das Gelesene. Der<br />

Verein organisiert und betreut die Zusammenarbeit zwischen<br />

Mentoren, Kindern und Schulen. Die Auswahl förderbedürftiger<br />

und förderwilliger, sozial benachteiligter Kinder wird dabei<br />

ausschließlich von den Lehrkräften und nur mit Zustimmung der<br />

Eltern vorgenommen.<br />

Mentor kann jeder werden, der mindestens für die Dauer eines<br />

halben Jahres genug Zeit und Motivation mitbringt, Schüler aller<br />

Schultypen mit dem Schwerpunkt Grund- und Hauptschulen<br />

durch gemeinsames Lesen und Sprechen zu fördern. Nähere<br />

Informationen unter www.mentor-leselernhelfer.de


SCHWERPUNKTTHEMA<br />

Man kann sich in der<br />

deutschen Sprache sonnen<br />

und sogar darin baden<br />

Heike Schmoll<br />

In Sommerseminaren lernen Frankfurter Schüler spielerisch, Vertrauen zu sich<br />

selbst und zu ihrer Sprachfähigkeit zu fassen.<br />

Aber vor den Ferien konntest du das doch<br />

noch“, sagen Lehrer vor allem zu ihren<br />

leistungsschwächeren Schülern nach den<br />

Sommerferien. In der unterrichtsfreien<br />

Zeit vergessen viele von ihnen den Stoff<br />

eines ganzen Schuljahres, bestätigen die<br />

Leistungsstudien. Das Max-Planck-Institut<br />

für Bildungsforschung erprobte daher im<br />

schwächsten Bundesland, in Bremen,<br />

gemeinsam mit der Jacobs Foundation<br />

sogenannte Feriencamps während der<br />

Sommerferien für leistungsschwächere<br />

Schüler mit und ohne Migrationshintergrund.<br />

In Frankfurt hat sich die Stiftung<br />

Polytechnische Gesellschaft, die ausschließlich<br />

dort tätig ist, die guten Bremer<br />

Erfahrungen zunutze gemacht und das<br />

Bremer Modell zum „Frankfurter Deutschsommer“<br />

unter dem Motto „Ferien, die<br />

schlau machen“ weiterentwickelt. Der<br />

Deutschsommer wird anteilig von der<br />

Stiftung, dem Land Hessen und den<br />

Kommunen finanziert. Einzelne Stipendien<br />

für die Schüler haben auch andere<br />

Stiftungen übernommen.<br />

Während der drei Wochen zusätzlicher<br />

Förderung in den Sommerferien geht es<br />

bei weitem nicht nur um die Verbesserung<br />

der Leistungen. Es geht vor allem darum,<br />

diesen Kindern ein wenig von dem zu<br />

geben, was ihnen am meisten fehlt: um<br />

positive Bilder von sich selbst, um Selbstvertrauen.<br />

Viele Projekte zur Förderung<br />

von Kindern, die Schwierigkeiten mit der<br />

deutschen Sprache haben, scheitern daran,<br />

dass sie vor allem auf Leistung setzen.<br />

Dabei hat sich bei allen sprachlichen<br />

Förderprogrammen längst herausgestellt,<br />

24 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

dass es nicht so sehr auf die Einzelheiten<br />

des jeweiligen Programms ankommt. Die<br />

Leistungen können vor allem dadurch gesteigert<br />

werden, dass sich feste Bezugspersonen<br />

über einige Zeit überhaupt um<br />

diese Kinder kümmern und ihnen in<br />

zwangloser Umgebung eine spielerische<br />

Erfahrung mit deutscher Kultur und Sprache<br />

ermöglichen. In der ersten Woche<br />

werden die Schüler täglich mit dem Bus<br />

zwischen Frankfurt und den Seminarorten<br />

hin und her transportiert, in der<br />

zweiten und dritten Woche übernachten<br />

sie auch an den drei Standorten.<br />

Für die spielerischen Arbeitseinheiten<br />

sind jeweils ein Pädagoge mit Erfahrungen<br />

aus dem Bereich Deutsch als<br />

Zweitsprache sowie ein Theaterpädagoge<br />

und ein Sozialpädagoge zuständig.<br />

Sie werden durch eine bundesweite Ausschreibung<br />

geworben und in einem zweitägigen<br />

Assessment Center durch Vertreter<br />

der Volkshochschule, des Amts für<br />

multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt<br />

sowie der Fachberatung und der Projektleitung<br />

ausgewählt. Die drei Fachberater<br />

besuchen die jeweiligen Standorte<br />

regelmäßig und stehen ihren Kollegen<br />

kontinuierlich mit Ratschlägen zur Seite.<br />

Täglich erhalten die Schüler zwei Stunden<br />

Deutschunterricht und üben sich weitere<br />

zwei Stunden in sprachintensivem Theaterspiel.<br />

Lesen, Schreiben, Wortschatz,<br />

Grammatik gehören zu den Schwerpunkten.<br />

Vor allem beim Theaterspielen<br />

können die Kinder nicht nur das Auftreten,<br />

sondern auch das laute und vernehmliche<br />

Sprechen sowie den freien<br />

Umgang mit Sprache trainieren. Sie spielen<br />

zwar eine Rolle, der Text ist aber nicht<br />

festgelegt. An einem der drei Standorte<br />

für den Deutschsommer in der Umgebung<br />

von Frankfurt reißt ein türkischer Junge<br />

einem vermummten Dieb die Maske vom<br />

Gesicht und sagt zu seinem schwarzen<br />

Mitschüler: „Das ist ja ein schwarzer<br />

Neger.“<br />

Am letzten Abend des Deutschsommers<br />

führen die Kinder ein Theaterstück in<br />

deutscher Sprache auf. Eltern und Lehrer<br />

sind zur Aufführung eingeladen und<br />

können sich bei dieser Gelegenheit auch<br />

mit den Deutschsommer-Pädagogen<br />

unterhalten. Beim Sprechen sind alle<br />

Kinder – die meisten sind sogenannte<br />

Passdeutsche, deren Eltern aber im Ausland<br />

geboren wurden und häufig eine<br />

andere Sprache sprechen – einigermaßen<br />

gewandt. Sie gehören häufig<br />

schon der dritten Generation an, in der<br />

sich eine ablehnende Haltung gegenüber<br />

der Schule verstärkt. Sie beherrschen<br />

allerdings auch virtuos eine Umgangssprache,<br />

um sich durchzumogeln, Endsilben<br />

zu verschlucken, Artikel und Präpositionen<br />

zu umgehen. Kurz: Sie bewegen<br />

sich auf dünnem Eis, das spätestens<br />

bei schriftlichen Aufgaben einzubrechen<br />

droht.<br />

Wie fragil das Fundament bei vielen<br />

dieser Drittklässler ist, zeigt sich bei einer<br />

Schreibaufgabe, die spielerisch eingeführt<br />

wird. Drago, ein grünes Stofftier, hat<br />

das Ende einer Geschichte verloren. Die<br />

Schüler sollen es erfinden. Manchen gelingt<br />

es, eine halbe Heftseite zu füllen –<br />

mit durchaus originellen Ideen. Andere<br />

schaffen mit Mühe zwei oder drei Sätze,<br />

in denen es vor Rechtschreibfehlern<br />

wimmelt. Viele lesen zwar Texte, aber sie<br />

erfassen den Textzusammenhang nicht.<br />

Vor allem jedoch haben sie den Mut<br />

verloren nachzufragen. Für die Lehrer ist


es ein Drahtseilakt, Falsches nicht zu bestärken<br />

und so zu korrigieren, dass den<br />

Schülern nicht weitere Kränkungen zugefügt<br />

werden. Grundlage für den Sprachunterricht<br />

ist ein eigens für das Projekt<br />

entwickelter Lehrplan, der Sprache spielerisch<br />

einübt. Täglich lesen die Kinder im<br />

Kurzgeschichtenband „Die besten Leselöwen<br />

Abenteuergeschichten“. Täglich<br />

gibt es drei Vorleseangebote, aber auch<br />

einen Raum zum Ausruhen. Jeden Nachmittag<br />

bieten die Sozialarbeiter ein Fußballspiel<br />

an, außerdem systematisches<br />

Basteln und Ausflüge, die Sprechanlässe<br />

für ein in der Schule normalerweise nicht<br />

geübtes Schuldeutsch bieten. An einem<br />

der Standorte hat ein Schüler von sich aus<br />

einen Insektenclub gegründet.<br />

Die Deutschsommer-Kinder machen<br />

selbst eine Zeitung und lesen täglich Texte<br />

aus dieser Zeitung. Altersabhängig sind<br />

es vor allem Sportmeldungen und Meldungen<br />

aus dem Vermischten oder die<br />

Wettervorhersage. Nach dem Deutschsommer<br />

verbessern sich die Schulnoten<br />

der Teilnehmer erheblich. In der Gruppe<br />

mit den Schulnoten 1 bis 3 liegt der<br />

Zuwachs bei fast 41 Prozent, 32 Prozent<br />

bewegen sich allerdings auch im November<br />

noch zwischen 3,5 und 5. Viele<br />

Eltern, die ihre sprachlich wendigeren<br />

Kinder häufig als Ansporn verstehen, ihre<br />

eigenen Deutschkenntnisse zu verbessern,<br />

berichten vor allem von einem gestärkten<br />

Selbstbewusstsein, was sich dann<br />

im Umgang mit anderen Kindern zeige.<br />

Bei jedem Deutschsommer gibt es auch<br />

verhaltensauffällige Kinder, die viel Aufmerksamkeit<br />

brauchen. Zugleich muss<br />

die Gruppe vor ihnen geschützt werden,<br />

ohne dass sie abgesondert werden.<br />

Vier Wochen nach dem Deutschsommer<br />

findet der sogenannte Spätsommer statt.<br />

Dabei informieren die Klassenlehrer die<br />

diesjährigen Deutschsommer-Kinder und<br />

die kommende Generation über die Ergebnisse.<br />

In jedem Jahr findet eine zweitägige<br />

Lehrerfortbildung statt, bei der<br />

interessierte Lehrer der Deutschsommer-<br />

Schulen einen intensiven und praxisnahen<br />

Einblick in Konzept und Methodik<br />

der Ferienaktivität gewinnen. In der letzten<br />

Woche der Weihnachtsferien, beim<br />

sogenannten Endspurt, haben die Kinder<br />

die Möglichkeit, ihre im Deutschsommer<br />

erworbenen Kenntnisse noch einmal zu<br />

stärken. „Wir wollen nicht, dass Kinder<br />

aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse<br />

an ihrer Laufbahn gehindert werden“,<br />

sagt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung<br />

Polytechnische Gesellschaft, Roland<br />

Kaehlbrandt, der eine Projektkette von<br />

der Geburt bis zur Ausbildungszeit aufbauen<br />

will. Ihm geht es darum, die Kinder<br />

aus den sogenannten bildungsfernen<br />

Schichten mit dem Deutschen und den<br />

bürgerlichen Kulturtechniken vertraut zu<br />

machen. So soll ihnen die Eingliederung<br />

erleichtert werden.<br />

Kinder, die den Deutschsommer erfolgreich<br />

durchlaufen haben und/oder von<br />

ihrer Grundschule empfohlen wurden,<br />

können in der vierten Grundschulklasse<br />

für zwei Jahre in das Programm des Diesterweg-Stipendiums<br />

aufgenommen werden.<br />

Das Programm richtet sich ausdrücklich<br />

an Kinder mit gutem Leistungspotential,<br />

aber mit förderbedürftigen<br />

Deutschkenntnissen. Es handelt sich dabei<br />

um die erste deutsche Familienstiftung,<br />

die Eltern und Geschwister, aber<br />

auch andere nahe Verwandte des förderbedürftigen<br />

Kindes mit einbezieht, Elternund<br />

parallele Kinderakademien an Wochenenden<br />

anbietet. Für besondere bildungsbezogene<br />

Anschaffungen wie Bücher,<br />

Musik- und Tanzunterricht oder ein<br />

Fahrrad für die Fahrradprüfung können<br />

die Eltern bis zu 600 Euro im Jahr aus<br />

Dass die deutsche Sprache ihre Tücken hat,<br />

werden die Teilnehmer an den Sommerkursen<br />

sicher auch bestätigen. Foto: Rodinge/pixelio<br />

dem Bildungsfonds beantragen. Das gilt<br />

natürlich nur für finanziell wirklich bedürftige<br />

Eltern. Der erste Jahrgang mit 22<br />

Kindern aus 21 Familien (13 Herkunftsländer)<br />

und 20 Grundschulen in 19<br />

Frankfurter Stadtteilen wurde im vergangenen<br />

Jahr feierlich aufgenommen.<br />

Für die Eltern ist es ein Erlebnis, eine<br />

Universität von innen zu sehen und dort<br />

etwas über die Arbeitsabläufe zu erfahren,<br />

mit Professoren sprechen zu<br />

können, das Goethe-Institut zu besuchen<br />

oder über die vielfältigen Wege des<br />

deutschen Bildungssystems informiert zu<br />

werden. Gisela von Auer, die 30 Jahre an<br />

einer Frankfurter Brennpunktschule im<br />

Grundschulbereich und in der Deutschförderung<br />

unterrichtete, leitet das Projekt.<br />

Sie wird zur Hälfte vom Land bezahlt,<br />

was ihr den Zugang zu öffentlichen<br />

Schulen und ehemaligen Kollegen erheblich<br />

erleichtert. Sie steht den Eltern auch<br />

in Einzelsprechstunden und an Elternabenden<br />

zur Verfügung. Da die Eltern<br />

einen Vertrag unterschrieben haben,<br />

nehmen sie ihre Anwesenheitspflichten<br />

ernst. Wie alle Eltern wollen sie die<br />

bestmögliche Bildung für ihr Kind. Und<br />

sie wissen auch: Eine Gymnasialempfehlung<br />

ist noch keine Garantie für<br />

die erfolgreiche Bewältigung der Eingangsstufe,<br />

in der die deutsche Sprachfähigkeit<br />

gefestigt sein muss. In Frankfurt<br />

hat man längst verstanden, dass Eltern<br />

ausländischer Herkunft nur über persönliche<br />

Beziehungen, nicht aber über unpersönliche<br />

Informationsblätter oder Flyer<br />

zu gewinnen sind, selbst wenn sie nicht<br />

auf Deutsch verfasst sind.<br />

Ein chinesisches Mädchen, das vor vier<br />

Jahren ohne ein Wort Deutsch nach<br />

Frankfurt kam und anfangs kein Wort<br />

sagte, hat es inzwischen geschafft. Sie<br />

spricht wesentlich flüssiger als ihre Mutter<br />

und wird nun auf das mit Englisch und<br />

Latein beginnende Gagern-Gymnasium<br />

gehen. Die Mutter kam im Jahre 2004, ist<br />

verwitwet und voll berufstätig, um ihren<br />

beiden Töchtern die Ausbildung zu ermöglichen.<br />

Gemeinsam mit ihren<br />

Töchtern entdeckt sie über das Diesterweg-Stipendium<br />

Frankfurt und verbessert<br />

gleichzeitig ihre Deutschkenntnisse.<br />

entnommen der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom<br />

03.09.2009, Nr. 204, S. 8<br />

Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am<br />

Main<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

25


<strong>KED</strong> AKTUELL<br />

Neues kostenloses Informationsangebot der<br />

Katholischen Elternschaft Deutschlands:<br />

Der <strong>KED</strong>-Newsletter<br />

Sehr geehrte Leserinnen und Leser des<br />

<strong>ELTERN</strong>forums,<br />

seit Anfang 2009 gibt die <strong>KED</strong><br />

zusätzlich zur Zeitschrift „<strong>ELTERN</strong>forum“<br />

den „<strong>KED</strong>-Newsletter“ heraus.<br />

Der <strong>KED</strong>-Newsletter ist ein kostenloser<br />

Informationsdienst für die katholische<br />

Elternarbeit. Er informiert zeitnah über<br />

die Aktivitäten des Verbandes sowie<br />

über Aktuelles aus Politik, Wissenschaft<br />

und Gesellschaft rund um den<br />

Themenkreis Bildung und Erziehung in<br />

Schule und Kindergarten. Damit wollen<br />

wir Impulse für die Elternarbeit vor Ort<br />

geben und Mut machen, selbst in der<br />

<strong>KED</strong> oder in anderen Zusammenhängen<br />

Das Verhältnis dieser Gesellschaft zu<br />

ihren Familien ist kein geordnetes. Dabei<br />

böte das Grundgesetz eine ausgezeichnete<br />

Grundlage dafür, zumal das Verfassungsgericht<br />

seit vielen Jahren dafür<br />

den Handlungsrahmen absteckt.<br />

Insbesondere hat die Politik die Eltern aus<br />

dem Blick verloren. Deren Aufgabe ist es,<br />

eine liebevolle Beziehung zu ihren Kindern<br />

zu pflegen, was Zeit und Geld kostet.<br />

Häufig werden sie jedoch durch ihre<br />

wirtschaftliche Lage dazu gedrängt, der<br />

Erwerbsarbeit mehr Zeit einzuräumen als<br />

ihnen und den Kindern lieb ist. Zu Beginn<br />

der 1960er Jahre wendeten die damals<br />

meist alleinverdienenden Väter pro<br />

Woche 48 Stunden für die Erwerbsarbeit<br />

auf. Inzwischen sind es für beide Eltern<br />

mehr als 70 Stunden. Das bedeutet zwar<br />

mehr Geld für die Familien, aber auch<br />

weniger Zeit für die Erziehung daheim.<br />

Das Friede-Freude-Eierkuche-Motto „Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Familie“ kaschiert<br />

nur notdürftig, dass den Eltern<br />

diese Zeit vorenthalten wird, letztlich ein<br />

Eingriff in ihre grundgesetzlich garan-<br />

26 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

für unsere Kinder aktiv zu werden.<br />

Der <strong>KED</strong>-Newsletter wird per E-Mail<br />

verschickt und steht zusätzlich unter<br />

www.katholische-elternschaft.de zum<br />

Download zur Verfügung. Wenn Sie<br />

den <strong>KED</strong>-Newsletter beziehen wollen,<br />

dann schicken Sie uns bitte eine<br />

Nachricht an info@katholische-elternschaft.de.<br />

Über den Newsletter-Verteiler<br />

erhalten Sie dann zukünftig auch unsere<br />

aktuellen Pressemitteilungen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Elisabeth Brauckmann<br />

Bundesgeschäftsführerin<br />

Grundgesetz hin, Verfassungsgericht her<br />

Die Politik hat die Eltern aus dem Blick verloren<br />

von Bernhard Huber<br />

tierte Erziehungsfreiheit. Die besagt nach<br />

Aussage des Verfassungsgerichts, dass<br />

die Betreuung der Kinder in der jeweils<br />

von den Eltern gewählten Form zu ermöglichen<br />

und zu fördern ist. Das familienpolitische<br />

Gebot des Grundgesetzes<br />

lautet damit Wahlfreiheit und nicht die<br />

blickverengende Vereinbarkeit.<br />

Es genügt also nicht, die außerfamiliäre<br />

Betreuung, darunter die Ganztagsschule,<br />

auszubauen. Dies ist eine Option nur für<br />

die Eltern, die erwerbstätig sein wollen.<br />

Für diejenigen, die erwerbstätig sein<br />

müssen, ist dieses Angebot alternativlos,<br />

solange sie dem Dilemma Zeit oder Geld<br />

für ihre Kider ausgeliefert sind. Geradezu<br />

zynisch ist es, diesen Eltern in vorgeblicher<br />

Gutmenschenart die professionelle<br />

Betreuung ihrer Kinder ab 0 (!) Jahren<br />

auch noch als unersetzlichen Beitrag für<br />

deren Bildung anzudienen und die existentielle<br />

Bindung, die die Kinder natürlicherweise<br />

zu ihren Eltern aufbauen, zu<br />

relativieren. Echte, ihre Erziehung<br />

respektierende und ermöglichende Wahlfreiheit<br />

für die Eltern ist – Grundgesetz<br />

hin, Verfassungsgericht her – immer noch<br />

<strong>KED</strong> in Bayern<br />

<strong>KED</strong> Bamberg – Mit Wirkung vom 15.<br />

Juni 2009 wurde Beatrix Funk vom<br />

Erzbischof von Bamberg, Dr. Ludwig<br />

Schick, zur Diözesanbeauftragten der<br />

Katholischen Elternschaft Deutschlands<br />

ernannt. Sie tritt damit die Nachfolge von<br />

Maria Grüner an, die am 11. April 2009<br />

verstorben ist. Laut Satzung ist Frau Funk<br />

in ihrer neuen Funktion zugleich Vorstandsmitglied<br />

des Diözesanfamilienrates,<br />

dem Beschlussorgan von Familienbund<br />

und Katholischer Elternschaft im Erzbistum.<br />

Frau Funk war bereits seit 1990<br />

Mitglied im Diözesanfamilienrat, und<br />

befasst sich seitdem in äußerst sachkundiger<br />

Weise mit Themen aus dem<br />

Schul- und Erziehungsbereich, was auch<br />

durch ihre ehrenamtliche Arbeit als bisherige<br />

stellvertretende <strong>KED</strong>-Landesvorsitzende<br />

besonders zum Ausdruck kommt.<br />

nicht das gängige framilienpolitische<br />

Leitbild.<br />

Natürlich: Der Staat ziert sich generell,<br />

wenn es ums Geldverteilen geht. Aber<br />

dass er gerade bei den Familien derart<br />

nachhaltig auf die Bremse tritt, fällt<br />

besonders auf, wo sie doch für unser aller<br />

Wohlergehen so unentbehrlich sein sollen.<br />

Er gibt sogar vor, dies im Interesse<br />

der Kinder zu tun, denen er keine unzumutbaren<br />

Schulden hinterlassen will. Also<br />

lässt er die Eltern mit ihrer finanziellen<br />

Last allein und überantwortet sie dem<br />

Arbeitsmarkt, auf dem es so nur noch<br />

enger wird.<br />

An die Zukunft der Kinder denken, ist<br />

schön und gut. Allerdings will die Politik<br />

vor lauter Kindern die Eltlern nicht sehen.<br />

Zukunft ist jedoch nur über die Gegenwart,<br />

hier also über die Eltern zu erreichen.<br />

Außerdem: Die Zukunft der Kinder<br />

heute ist deren morgige Gegenwart<br />

als Erwachsene. Dann werden sie ihre<br />

Entscheidung, ob auch sie Eltern werden<br />

wollen, nicht zuletzt von ihren Erfahrungen<br />

als Kinder abhängig machen.<br />

Eltern unter Dauerstress werden ihnen<br />

kein nachahmenswertes Vorbild sein.<br />

Aus: Gemeinde creativ, 4/2009, Seite 13


„Ohne Eltern geht die Schule nicht“<br />

<strong>KED</strong>-Broschüre bietet praktische Hilfen für die Elternmitwirkung<br />

Bonn, 01. September 2009 – Die<br />

Katholische Elternschaft Deutschlands<br />

(<strong>KED</strong>) bietet ab sofort die beliebte Broschüre<br />

Nr. 35 „Ohne Eltern geht die<br />

Schule nicht“ in überarbeiteter Auflage<br />

an. „Interessierte Eltern finden darin alles,<br />

was sie für eine gelingende Elternmitwirkung<br />

benötigen.“, so die <strong>KED</strong>-Bundesvorsitzende<br />

Marie-Theres Kastner, MdL.<br />

„Die erstmals im Jahre 2000 herausgegebene<br />

Broschüre wurde aufgrund der<br />

hohen Nachfrage nun zum zweiten Mal<br />

den aktuellen Anforderungen entsprechend<br />

überarbeitet. Sie enthält viele praktische<br />

Tipps für die Zusammenarbeit zwischen<br />

Eltern und Pädagogen, für die Planung<br />

und Durchführung von Elternversammlungen<br />

und für die Jahresplanung<br />

sowie hilfreiche Informationen über die<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen der<br />

Elternmitwirkung. Mustervorlagen für<br />

Einladungen, Tagesordnungen und<br />

Protokolle sowie Checklisten erleichtern<br />

die konkrete Arbeit. Abgerundet wird die<br />

„Chancen für alle von Anfang an“<br />

Veröffentlichung durch ein ‚ABC für<br />

Eltern’ und einen Adressteil.“<br />

Kastner weiter: „Die Katholische Elternschaft<br />

Deutschlands setzt sich seit über<br />

60 Jahren für eine Stärkung der Elternmitwirkung<br />

im Bildungssystem ein. Sie ist<br />

mit insgesamt 34 Diözesan- und Landesverbänden<br />

in der ganzen Bundesrepublik<br />

vertreten. Die aktuellen Diskussionen um<br />

Chancengerechtigkeit, ganzheitliche individuelle<br />

Bildung und Religionsunterricht<br />

machen das Engagement von Eltern in<br />

Schulen wichtiger denn je. Die Bundes-<br />

<strong>KED</strong> stärkt die Arbeit der Eltern vor Ort<br />

mit Veröffentlichungen, Veranstaltungen,<br />

Lobbyarbeit und vieles mehr. Die Handreichung<br />

ist hierzu ein wichtiger Beitrag.“<br />

Ohne Eltern geht die Schule<br />

nicht<br />

Der Elternabend – Rechtliche Rahmenbedingungen<br />

– ABC für Eltern“<br />

Preis: 2,50 Euro inklusive Versandkosten<br />

Einladung zum Seminar für mehr Elternmitwirkung in Kitas<br />

Bonn, 8. September 2009 – Die<br />

Katholische Elternschaft Deutschlands<br />

(<strong>KED</strong>) veranstaltet zusammen mit der<br />

Katholischen Erziehergemeinschaft (KEG)<br />

in Kooperation mit dem Bundesverband<br />

Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder<br />

(KTK) vom 24. bis 25. Oktober 2009<br />

in Freiburg ein Seminar zur Stärkung der<br />

Erziehungskompetenz und Mitwirkung<br />

von Eltern in Kitas und Familienzentren.<br />

In zwei Workshops werden modellhafte<br />

Konzepte aus dem Bundesgebiet gemeinsam<br />

von Erziehern und Eltern vorgestellt.<br />

Angereichert wird dieser Praxisteil durch<br />

die wissenschaftlichen Beiträge von Professor<br />

Dr. Rainer Strätz (Sozialpädagogisches<br />

Institut NRW) und Prof. Dr. Klaus<br />

Fröhlich-Gildhoff (Evangelische Hochschule<br />

Freiburg). Auf Basis aller Beiträge<br />

sollen praxisnahe Handlungsempfehlungen<br />

für mehr Elternmitwirkung und<br />

Chancengerechtigkeit in Einrichtungen<br />

der frühkindlichen Bildung erarbeitet<br />

werden. Diese Handlungsempfehlungen<br />

können dann als Handreichung weiteren<br />

interessierten Eltern zur Verfügung gestellt<br />

werden.<br />

Warum dieses Seminar? Studien zeigen,<br />

dass immer noch Nachholbedarf bei der<br />

frühen Förderung von Kindern in unserem<br />

Land besteht. Besonders betroffen sind<br />

Kinder, deren Eltern sich aus unterschiedlichen<br />

Gründen nicht ausreichend um ihre<br />

Kinder und deren Bildungsprozess kümmern<br />

können. Konzepte der gegenseitigen<br />

Stärkung im Sinne von „Eltern für<br />

Eltern“ können hier Abhilfe schaffen und<br />

bilden die Voraussetzung für eine gelingende<br />

Erziehungspartnerschaft zwischen<br />

Pädagogen und Eltern.<br />

Die <strong>KED</strong> setzt sich mit ihren 34 Mitgliedsverbänden<br />

seit jeher für mehr ganzheitliche<br />

Bildung, Bildungsgerechtigkeit<br />

und Elternmitwirkung in Deutschland ein.<br />

Mit der Veranstaltung will sie zusammen<br />

mit ihren Partnern einen Beitrag zur<br />

Bestellungen an:<br />

<strong>KED</strong>-Bundesgeschäftsstelle<br />

E-Mail: info@katholische-elternschaft.de<br />

Fax: 0228-696217<br />

Weitere Informationen zur Broschüre mit<br />

Inhaltsverzeichnis und Informationen<br />

über die Arbeit der <strong>KED</strong> finden Sie unter<br />

www.katholische-elternschaft.de.<br />

Verbesserung der Chancengerechtigkeit<br />

von Kindern in unserem Lande leisten.<br />

Wir laden Eltern, Fachkräfte und Interessierte<br />

herzlich ein, an diesem Seminar<br />

teilzunehmen!<br />

Programm und Anmeldeformular finden Sie unter<br />

www.katholische-elternschaft.de<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

27


3. TITELTHEMA<br />

Hauptschule – wohin ?<br />

Reiner Düchting<br />

Die aktuellen Anmeldezahlen zu Hauptschulen<br />

in den Städten und Ländern, in<br />

denen es mit der Hauptschule das klassische<br />

dreigliedrige Schulsystem ergänzt<br />

um die Gesamtschule noch gibt, dürfen<br />

nach solchen und vielen ähnlichen<br />

Schlagzeilen und Kommentaren („Restschule“,<br />

„Sackgasse“, „Auslaufmodell“,<br />

„Schüler ohne Chance“, „Die Sitzenbleiber“)<br />

nicht verwundern. Das Beispiel<br />

der Stadt Essen mit bisher 14 Hauptschulen<br />

macht diese Entwicklung und den<br />

Trend deutlich: Die Übergangsquote von<br />

der Grundschule zur Hauptschule betrug<br />

landesweit im Jahre 2008 ca. 15 %. Sie<br />

ist hier auf eine Quote von weniger 5,3 %<br />

gesunken. Lediglich 195 Mädchen und<br />

Jungen werden in dieser Stadt im Sommer<br />

2009 auf 10 öffentliche Hauptschulen<br />

wechseln. Allein die Hauptschule<br />

des Bistums Essen, die Hauptschule im<br />

Schulzentrum Am Stoppenberg, weist mit<br />

74 Anmeldungen und 63 Aufnahmen in<br />

drei Klassen konstante Anmeldezahlen<br />

auf. Für drei weitere Schulen hatte die<br />

Stadt als Schulträger bereits vorher das<br />

Aus beschlossen und keine Anmeldungen<br />

für die 5. Jahrgänge mehr zugelassen.<br />

Doch offenbar ging die Absicht nicht auf,<br />

die verbleibenden Schüler auf eine geringere<br />

Anzahl von Hauptschulen umzulenken<br />

und damit die Schulform insgesamt<br />

zu stabilisieren. Im Frühsommer, so<br />

Kein Abgesang auf eine Schulform<br />

„... Daher kann es für Grundschullehrer nur eine verantwortliche Entscheidung<br />

geben: Stellen sie keinem Kind am Ende des vierten Schuljahres eine Empfehlung<br />

für die Hauptschule aus!“ So kommentierte eine Journalistin des WDR um die<br />

Jahreswende 2008/09 appellativ Diskussionen um Schlagzeilen wie<br />

„Kultusminister wollen Hauptschulen von allgemeinen Bildungsstandards<br />

abkoppeln“.<br />

28 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

kündigte die Stadt an, sei daher mit der<br />

Schließung weiterer vier Hauptschulen in<br />

Essen zu rechnen. Auch die vielfach<br />

öffentlich bekundete Unterstützung der<br />

Hauptschule durch Landesregierung und<br />

Schulministerium, die Ganztagsoffensive,<br />

das „1.000-Schulen-Programm“, die<br />

„Qualitätsoffensive Hauptschule NRW“,<br />

die NRW-Initiative „Komm Mit! – Fördern<br />

statt Sitzenbleiben“ weckte bei Eltern<br />

offenbar mehr Zweifel als Zutrauen in die<br />

Hauptschule. Die Fülle an Wettbewerben,<br />

Auszeichnungen und Preisen (u. a. der<br />

Hauptschulpreis) brachte nicht die erhoffte<br />

Stabilisierung oder gar Wende in<br />

den Anmeldezahlen.<br />

Doch was wird aus Mädchen und Jungen,<br />

wenn sie vielleicht künftig nach der<br />

Klasse 4 trotz deutlicher Lern- und Leistungsdefizite<br />

keine Empfehlung zur<br />

Hauptschule bekommen? Was geschieht<br />

mit Mädchen und Jungen, die dann<br />

vielleicht auf Schulen und Systeme mit<br />

1.000 oder mehr SchülerInnen angewiesen<br />

sind? Wie werden sich Schülerinnen<br />

und Schüler entwickeln, auf die in<br />

immer mehr Jahrgängen „Lernstandserhebungen“<br />

und „Zentrale Prüfungen“<br />

der Maßstab aller Dinge sind? Auf welche<br />

Weise und unter welchen Bedingungen<br />

werden diese SchülerInnen künftig<br />

lernen, wenn Ernst Rösners „Hauptschule<br />

am Ende – Ein Nachruf“ 1) wahr wird?<br />

Auch in Zukunft gilt: Ob in der Hauptschule,<br />

in der neuen Form einer Sekundarschule<br />

mit gemeinsamen oder getrennten<br />

Haupt- und Realschul-Bildungswegen,<br />

in einer Gemeinschaftsschule<br />

oder in einer Gesamtschule:<br />

Die Kinder, die bisher die Hauptschule<br />

besuchen, benötigen eine besondere<br />

Form des Unterrichts und der Erziehung.<br />

Als Eckpunkte haben Hauptschulen in vier<br />

Jahrzehnten folgende Wege entwickelt:<br />

Ermutigung – Kindern, die in der Primarstufe<br />

über die Dauer von vier oder sechs<br />

Jahren erfahren haben, dass ihre Leistungen<br />

durchweg deutlich im unteren Bereich<br />

lagen, wird durch Tests, Zeugnisse,<br />

Klassenwiederholungen, durch immer<br />

neue Untersuchungen und Förderbemühungen,<br />

durch Gespräche und Gesten<br />

bewusst, dass sie hinter den Hoffnungen<br />

ihrer Eltern, hinter den Erwartungen ihrer<br />

Lehrer, hinter den Erfolgen ihrer Freunde<br />

zurückbleiben. Dies bleibt nicht ohne<br />

Auswirkungen auf das schwindende<br />

Selbstwertgefühl und lässt sich auch nicht<br />

allein durch Erfolge im Fußballverein und<br />

im Chor kompensieren. Weiterführendes<br />

Lernen setzt daher zunächst voraus, dass<br />

sie wieder Vertrauen in eigenes Leistungsvermögen<br />

finden. Nicht nur die Kinder,<br />

auch deren Eltern müssen und können<br />

ermutigt und neu zur aktiven Mitarbeit<br />

und zur Erziehungspartnerschaft für ihre<br />

Kinder gewonnen werden.<br />

Zuverlässige persönliche Zuwendung –<br />

Kinder, die in dieser Weise „lern- und<br />

schul-sozialisiert“ wurden, benötigen<br />

Menschen, Lehrerinnen und Lehrer, die<br />

nicht nur in der Planung und Gestaltung<br />

eines fachlich qualifizierten Unterrichts,<br />

sondern auch und besonders in ihrem<br />

Erziehungsauftrag eine selbstverständliche<br />

und zentrale Aufgabe ihrer täg-


Auch die Hauptschulen bieten zahlreiche Schulabschlüsse an und eröffnen ihren Schülern und Schülerinnen<br />

so verschiedenste Bildungsperspektiven. Foto: Schütz/pixelio<br />

lichen Arbeit sehen. Sie benötigen die<br />

persönliche Zuwendung, einen sensiblen<br />

Umgang – auch wenn gerade sie eine<br />

solche Sensibilität im Umgang mit Erwachsenen<br />

und Kindern nicht praktizieren<br />

und zunächst häufig nicht spiegeln<br />

können.<br />

Verlässliche Rahmenbedingungen –<br />

Kinder, deren künftiger Bildungsweg,<br />

deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten<br />

Schülergruppe und Klasse, deren Verbindung<br />

zu Lehrerinnen und Lehrern fragil,<br />

kurzfristig, unzuverlässig und wechselhaft<br />

waren, benötigen Rahmenbedingungen,<br />

die ihnen Sicherheit vermitteln. Sie benötigen<br />

Menschen, überschaubare Räume,<br />

kleine Klassen, transparente und verbindliche<br />

Regeln, Rituale und Abläufe, die von<br />

vereinbarten Werten abgeleitet sind, die<br />

ihnen zugesichert und vorgelebt werden.<br />

Integration – Kinder mit Lern- und Leistungsdefiziten,<br />

mit Versagenserfahrungen<br />

aus Realschule und Gymnasium, mit<br />

durch Behinderungen bedingtem speziellen<br />

Förderbedarf, mit Migrationserfahrungen,<br />

mit mangelnden sozialen<br />

Kontakten und Unterstützungen in Familie,<br />

Freizeit- und Altersgruppen benötigen<br />

spezifische Maßnahmen zur Integration.<br />

Dies wird eine Schule, wird ein Lehrerkollegium<br />

nicht aus eigenen Kräften leisten<br />

können. Dazu sind Experten (Sonderpädagogen,<br />

Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen,<br />

Schulseelsorger, Erzieh-<br />

ungsberatungsstellen …) als Mitglieder<br />

des Lehrerkollegiums erforderlich, dazu<br />

ist eine Schulgemeinde mit Eltern, Schülern<br />

und Lehrerinnen erforderlich, die<br />

solche Schülerinnen und Schüler gemeinsam<br />

trägt.<br />

Offene Lern- und Unterrichtsformen –<br />

Kinder mit wenig ausgeprägter intrinsischer<br />

Lernmotivation, mit Defiziten in<br />

allgemeinen Lernkompetenzen sind in besonderem<br />

Maße auf ein Lernen angewiesen,<br />

in dem ihre aktuellen Erfahrungen,<br />

ihre Fragen, ihr Probleme, ja, sie<br />

selbst zum Ausgangspunkt und Gegenstand<br />

des Lernens gemacht werden. Auch<br />

dieser induktive Ansatz wird auf Dauer<br />

ein „Lernen für das Leben“ sein, wird zu<br />

allgemeinen und übertragbaren Kenntnissen<br />

und Fertigkeiten führen; doch die<br />

Bereitschaft, sich auf Lernprozesse einzulassen,<br />

die Kinder und Jugendliche zunächst<br />

aus ihren unmittelbaren Erfahrungen<br />

abholen, die ihnen Antworten auf<br />

ihre Fragen geben, weckt die Bereitschaft,<br />

sich auf diese und auf weiterführende<br />

Lernprozesse einzulassen.<br />

Praxis- und projektorientiertes Lernen –<br />

Kinder und Jugendliche lernen und arbeiten<br />

in allen Stufen und Jahrgängen der<br />

Hauptschule immer wieder an spezifischen<br />

Lernorten: „Familienpraktika“,<br />

intensiv begleitete berufsorientierende<br />

und berufsvorbereitende Praktikumsstellen<br />

in Industrie, Handwerk, Handel,<br />

Verwaltung und Landwirtschaft, Auslandspraktika<br />

und Schüleraustausch,<br />

Comenius-Projekte, Schulgärten, „Baustellen“<br />

innerhalb und außerhalb des<br />

Schulgeländes, die große Palette der<br />

Schul- und Schülerfirmen, Schulsanitätsbereiche,<br />

Verkehrslotsen, Schülercafeterien,<br />

Technikwerkstätten, Streitschlichter-Gruppen<br />

und Buddy-Projekte, Maßnahmen<br />

im Rahmen der Compassion-<br />

Idee, selbst organisierten Schülerhilfen<br />

usw. sind zu festen Lern- und Erfahrungsräumen<br />

der Schüler geworden. In Gesprächen<br />

begegnen sie „vor Ort“ oder in<br />

der Schule “Originalen“ und knüpfen<br />

damit direkten Kontakt zu Themen und<br />

Inhalten der Curricula.<br />

Unterstützungssysteme und Netzwerke<br />

– Kinder, Schulgemeinden und Schulen<br />

konnten sich in den vergangenen Jahrzehnten<br />

durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit<br />

in immer höheren Maße auf die<br />

Begleitung und Unterstützung von Verbänden,<br />

Unternehmen, Ehrenamtlichen,<br />

„Partnern für Schule“, Senior-Experten,<br />

Einrichtungen zur Berufsorientierung, Jugendhilfe-Organisationen<br />

stützen, konnten<br />

diese personellen, fachlichen, finanziellen,<br />

lokalen Ressourcen als verbindliche<br />

Stützungssysteme in ihr Schulprogramm<br />

integrieren. So haben sie schulund<br />

standortspezifische Netzwerke entwickelt.<br />

In einzelnen Schulen entstanden<br />

daraus feste Förder- und Entwicklungskreise<br />

als Kuratorium der Schule, das<br />

allen Mitwirkungsgremien zur Beratung<br />

und Unterstützung zur Verfügung steht.<br />

Perspektiven – Kindern, die die Hauptschule<br />

besuchen, war und ist dieser Bildungsweg<br />

keine Sackgasse. Sie eröffnet<br />

ihren Schülerinnen und Schülern den<br />

Zugang zu allen möglichen Schulabschlüssen:<br />

Hauptschulabschlüsse nach<br />

Klasse 9 und 10, die Fachoberschulreife<br />

nach der qualifizierten Klasse 10, den<br />

Weg in Berufskollegs mit differenzierten<br />

Bildungsgängen und Abschlüssen oder<br />

den Schritt in die gymnasiale Oberstufe<br />

mit dem Ziel der allgemeinen Hochschulreife.<br />

In Kooperation mit der Agentur für<br />

Arbeit, mit Einrichtungen in Industrie und<br />

Handwerk, gestützt durch ein feinmaschiges<br />

System von Interessen- und Leistungschecks,<br />

von Vorbereitungen und Trainingsphasen,<br />

begleitet von Experten<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

29


innerhalb (z.B. den Studien- und Berufswahlkoordinator)<br />

und außerhalb der<br />

Schule, erfahren die SchülerInnen eine<br />

Berufsorientierung, die sie langfristig gemeinsam<br />

mit ihren Eltern an die persönliche<br />

Berufsentscheidung heranführt.<br />

Zeit – lernen, benötigen aufgrund ihrer<br />

differenzierten individuellen Voraussetzungen<br />

flexible, den jeweiligen Fächern,<br />

Zielen, Projekten und Prozessen angemessene<br />

Arbeitszeiten. Das starre Raster<br />

der 45-Minuten-Stunden ist dabei ebenso<br />

wenig hilfreich wie ein fixer 60- oder 90-<br />

Minuten-Rhythmus oder der Unterrichtsschluss<br />

um 13:20 Uhr. Die enge Kooperation<br />

in überschaubaren Lehrerkollegien,<br />

eine flexible Zeiteinteilung und das<br />

gemeinsame Lernen über den ganzen Tag<br />

erlauben es, Vorhaben, Projekte, fächerverbindendes<br />

Lernen, Exkursionen, neue<br />

Formen des Lernens zu praktizieren und<br />

weiter zu entwickeln.<br />

Seit 1968 haben die Lehrerkollegien von<br />

Hauptschulen in und mit ihren Schulgemeinden<br />

diese Lernstandards und<br />

Rahmenbedingungen entwickelt, die<br />

ihren Schülerinnen und Schülern bei den<br />

wechselnden Anforderungen der Jahrzehnte<br />

vielfältige Möglichkeiten der<br />

dauerhaften gesellschaftlichen Teilhabe<br />

ermöglichten, haben ihnen Lebens- und<br />

Lernvoraussetzungen vermittelt, um als<br />

selbstständige und selbstbewusste Persönlichkeiten<br />

in Beruf, Partnerschaft,<br />

Familie und Gemeinde ihre Frau und<br />

ihren Mann „zu stehen“.<br />

Ob die Schulform Hauptschule in allen<br />

Bundesländern den Drang von Politikern<br />

und Eltern nach „höheren“ Abschlüssen<br />

und den damit verbundenen Erwartungen<br />

nach besseren Zugängen zu Ausbildung,<br />

Beruf und Studium in den kommenden<br />

Jahren überstehen wird oder ob sie<br />

weiterhin die Möglichkeit der konstruktiven<br />

Arbeit unter angemessenen Bedingungen<br />

erhält, ist offen. Offen ist damit<br />

ebenso, ob diese Mädchen und Jungen<br />

künftig Schulen oder Schulsysteme vorfinden,<br />

die ihnen und ihren besonderen<br />

Bildungsbiografien gerecht werden.<br />

Nachdenklich rufen daher Wissenschaftler<br />

nicht einfach nach dem Ende der<br />

Hauptschule und schreiben entsprechen-<br />

30 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

Nur noch wenige Grundschüler finden nach der vierten Klasse den Weg in die Hauptschule.<br />

Foto: Havlena/pixelio<br />

de Nachrufe. Sie suchen für diese Schüler<br />

auch im Blick auf die Ergebnisse der<br />

PISA-Studien nach differenzierten und<br />

konstruktiven Wegen in eine allgemeine<br />

schulische Zukunft: Trautwein, Baumert,<br />

Maaz: „Es sollte nicht vergessen werden,<br />

dass über den Erfolg oder Misserfolg von<br />

Schule in besonderer Weise das Lehrerhandeln<br />

im Unterricht entscheidet, das<br />

nur teilweise von Faktoren wie Schulformzugehörigkeit<br />

oder Klassenzusammensetzung<br />

bestimmt ist. Der Analyse und<br />

Verbesserung von Unterrichtsqualität gebührt<br />

deshalb eine besondere Aufmerksamkeit<br />

in Wissenschaft, Lehrerschaft und<br />

Öffentlichkeit.“ 2) Oder: Karl G. Zenke:<br />

„In der Hauptschulmisere konzentrieren<br />

sich die Defizite der gesamten Verfassung<br />

des dreigliedrigen Schulwesens. Die prekäre<br />

Lage der Hauptschule zu überwinden<br />

wird folglich nur gelingen, wenn<br />

Struktur und Arbeitsweise, also Aufbau,<br />

Gliederung, Funktionslogik und Unterrichtsqualität<br />

des gesamten Schulwesens<br />

erneuert werden. Jedes Entweder – Oder<br />

ist unsinnig!“ 3)<br />

Andernfalls wird eine Schulform abgeschafft,<br />

werden pädagogische Erfahrungen<br />

verschwinden, werden diese Kinder<br />

als „Problemfälle“ in Schulen weitergereicht,<br />

die sich bisher von ihnen mit der<br />

Begründung getrennt haben, sie sähen<br />

sich außer Stande, diesen Mädchen und<br />

Jungen die erforderlichen Lern- und Lebensbedingungen<br />

sowie die notwendigen<br />

Fördermöglichkeiten zu geben.<br />

„Ein freies demokratisches Gemeinwesen<br />

kann es nicht hinnehmen, dass ein hoher<br />

Prozentsatz der Jugendlichen in schulischer<br />

Hinsicht vernachlässigt wird und<br />

bleibt. (...) Die Schule muss aufgrund<br />

neuer bzw. anderer Rahmenbedingungen<br />

in die Lage versetzt werden, dass alle<br />

jungen Menschen eine umfassende und<br />

qualifizierte Erziehung und Bildung erfahren,<br />

auf der sie ihr Leben in persönlicher<br />

und beruflicher Hinsicht aufbauen<br />

können.“ 4)<br />

Es bleibt zu hoffen, dass diese Schüler<br />

auch künftig Schulstrukturen und Menschen<br />

finden, von denen sie ermutigt werden,<br />

sich für die Gestaltung ihrer Zukunft<br />

und für die Entwicklung unserer Gesellschaft<br />

zu engagieren.<br />

1) Rösner, Ernst, Hauptschule am Ende, Ein Nachruf,<br />

2007, Münster (Waxmann) 2007<br />

2) Baumert, Maaz, Trautwein, Hauptschulen = Problemschulen?<br />

in: Aus Politik und Zeitgeschehen<br />

(APuZ 28 /2007) S. 46<br />

3) Zenke, Karl G., Wege aus der Hauptschulkrise, in: Die<br />

Deutsche Schule 99, (4) S.<br />

4 )Den Schüler stark machen, Neue Wege in (Haupt-)<br />

Schule und Beruf, Deutsche Bischofskonferenz,<br />

Kommission für Erziehung und Schule, Bonn 2004<br />

Herr Düchting ist Schulleiter des<br />

Schulzentrums Am Stoppenberg<br />

Hauptschule,<br />

Tagesheimschule<br />

des Bistums Essen<br />

Im Mühlenbruch 45<br />

45141 Essen<br />

www.hsstoppi.de


Dämpft die Wirtschaftskrise<br />

den Kinderwunsch?<br />

Ergebnisse der Vorwerk-Familienstudie 2009<br />

Welche Stimmung herrscht in den Familien und wie wird Familienarbeit eigentlich<br />

wertgeschätzt und wahrgenommen? Das sind Fragen, mit denen sich das<br />

Familienunternehmen Vorwerk schon seit einigen Jahren beschäftigt. Auch für<br />

2009, dem Jahr der Wirtschaftskrise, liegen jetzt die Ergebnisse vor, die das<br />

beauftragte Institut für Demoskopie Allensbach herausgefunden hat....<br />

Die Wirtschaftskrise bereitet vielen Familien<br />

Sorgen. Doch von ihren Auswirkungen<br />

sind sehr viel weniger betroffen,<br />

als die Stimmung vermuten lässt. Dies<br />

offenbart die „Vorwerk Familienstudie<br />

2009“. Zwar fürchten 59 Prozent der<br />

Befragten, die Wirtschaftskrise treffe in<br />

Deutschland viele Familien so hart, dass<br />

auch die Kinder die Folgen zu spüren<br />

bekommen. Doch nur 7 Prozent geben<br />

an, selbst tatsächlich betroffen zu sein.<br />

Ingesamt 80 Prozent sind der Meinung,<br />

dass die Krise ihr Leben bisher nicht beeinflusst<br />

oder sie kommen trotz gewisser<br />

Einschränkungen gut über die Runden.<br />

Auch in emotionaler Hinsicht fällt die<br />

Wahrnehmung der Krise düsterer aus als<br />

ihre tatsächlichen Folgen: 57 Prozent<br />

glauben, dass die wirtschaftliche Schieflage<br />

die Stimmung in den Familien<br />

dämpft, aber nur 18 Prozent berichten<br />

dies aus ihrer eigenen Familie. Und auch<br />

der Geburtenrate scheint eine Krise bevorzustehen:<br />

60 Prozent der Befragten<br />

erwarten, dass sich infolge der Wirtschaftskrise<br />

weniger Paare entschließen,<br />

Kinder zu bekommen.<br />

Zum fünften Mal seit 2005 hat das<br />

Wuppertaler Familienunternehmen Vorwerk<br />

das Institut für Demoskopie Allensbach<br />

(IFD) mit der Untersuchung verschiedener<br />

Aspekte zu den Themen „Familie<br />

und Familienarbeit“ beauftragt.<br />

Vorwerk setzt sich damit für mehr Anerkennung<br />

von Familienarbeit ein. Für die<br />

repräsentative „Vorwerk Familienstudie<br />

2009“ wurden insgesamt 1.832<br />

Personen ab 16 Jahre befragt. Neben<br />

den Auswirkungen der Wirtschaftskrise<br />

stehen auch Fragen nach der Anerkennung<br />

von Familienarbeit, der Aufgabenverteilung<br />

im Haushalt und der<br />

Mithilfe der Kinder sowie nach der Rolle<br />

der Großeltern im Mittelpunkt der Studie.<br />

Weitere ausgewählte Ergebnisse:<br />

Frauen machen die Arbeit –<br />

Männer werden gelobt<br />

Familienarbeit ist noch immer vor allem<br />

BILDUNG HEUTE<br />

Frauensache: 77 Prozent der Mütter leisten<br />

den Löwenanteil oder übernehmen<br />

sogar die gesamte Arbeit. Die Mehrheit<br />

der befragten Väter bekennt, „nur den<br />

kleineren Teil“ oder „praktisch gar nichts“<br />

beizutragen. Dafür bekommen sie deutlich<br />

mehr Lob: Nur 48 Prozent der Frauen,<br />

aber 72 Prozent der Männer meinen,<br />

dass ihr Beitrag zur Familien- und Hausarbeit<br />

vom Partner/von der Partnerin<br />

genügend anerkannt wird.<br />

Kinder sollen mehr im<br />

Haushalt helfen – doch Jungs<br />

werden geschont<br />

Ab dem siebten, achten Lebensjahr erwarten<br />

Eltern, dass ihre Sprösslinge im<br />

Haushalt mithelfen. Väter sehen die<br />

Kinder sogar früher in der Pflicht, nämlich<br />

mit rund sechseinhalb Jahren als die<br />

Mütter, die das von ihren Kindern mit<br />

etwa acht Jahren erwarten. Mädchen<br />

müssen dabei deutlich mehr Aufgaben<br />

übernehmen als Jungen – dies sagen 53<br />

Die Stimmung in den Familien ist besser als es die Wirtschaftskrise vermuten lässt. Foto: Vorwerk<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

31


Prozent der Befragten. Somit wachsen<br />

viele Jungs in dem Bewusstsein auf, dass<br />

Hausarbeit nicht ihr Job ist. Und aus den<br />

kleinen Paschas werden später große.<br />

Die traditionelle Rollenverteilung wird<br />

also fortgeschrieben.<br />

Engagierte „Best Ager“: Ohne<br />

Oma und Opa geht in vielen<br />

Familien nichts<br />

Sie reisen gerne und oft, surfen im<br />

Internet – und sie sind wichtige Stützen für<br />

die Familien. Zwei Drittel der Befragten<br />

können bei der Familien- und Hausarbeit<br />

auf Unterstützung durch die Großeltern<br />

bauen. Von egoistischen „Best Agern“<br />

kann also wirklich keine Rede sein.<br />

Gesellschaftliche Anerkennung<br />

für Familienarbeit gesunken<br />

Die Wertschätzung der Familien- und<br />

Hausarbeit ist in den vergangenen Jahren<br />

gestiegen. Jetzt aber geht sie laut der<br />

Allensbach Untersuchung wieder zurück:<br />

67 Prozent der Befragten, das sind<br />

5 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr,<br />

Iris Macke<br />

2. TITELTHEMA<br />

Wir haben es getan. Wir haben unseren<br />

Sohn taufen lassen. Gerade mal ein<br />

halbes Jahr war er da alt. Unsere Freunde<br />

waren kritisch. „Warum lasst ihr ihn nicht<br />

später selbst entscheiden, ob er einer<br />

Religion angehören will?“<br />

32 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

klagen über mangelnde Anerkennung,<br />

insbesondere vonseiten der Arbeitgeber<br />

(71 Prozent), der Politik (67 Prozent) und<br />

der Medien (51 Prozent).<br />

Damit die Welt<br />

ein Zuhause wird<br />

Kinder werden stark durch verlässliche Bindungen. Sie brauchen ein Fundament,<br />

auf dem sie stehen können. Und sie brauchen Antworten, die im Leben tragen.<br />

Unsere Autorin hat ihr Kind taufen lassen – und hält ein Plädoyer für Klarheit in<br />

der Erziehung.<br />

Ich gönne meinem Kind einen so<br />

menschenfreundlichen Gott, wie ihn die<br />

christliche Tradition vermittelt. Kinder<br />

werden stark durch verlässliche Bindungen.<br />

Die Taufe ist Gottes Zusage: Hier ist<br />

einer, der dich liebt, mit all deinen Fehlern<br />

Der Bericht fasst die Ergebnisse der 5. Familienstudie<br />

zusammen, die das Institut für Demoskopie Allenbach im<br />

Auftrag des Wuppertaler Familienunternehmens Vorwerk<br />

durchgeführt hat.<br />

und Schwächen. Was auch immer dir mit<br />

Menschen geschehen mag: Es gibt etwas,<br />

das maßgeblicher ist als alles, was dir in<br />

dieser Welt begegnet. „Der dich behütet,<br />

schläft nicht.“ (Psalm 121,3) Wer sich so<br />

angenommen weiß, hat erst einmal eine<br />

feste Basis. Von dort aus kann er neugierig<br />

und unternehmungslustig die Welt<br />

entdecken, darf fragen und auch zweifeln.<br />

Auf dieses Fundament kann er sich<br />

zurückziehen, wenn er Schutz sucht. Ich<br />

selbst habe als Kind voller Inbrunst das<br />

bekannte Mutmachlied gesungen: „Gott<br />

sagt zu dir: Ich hab dich lieb. Ich wär’ so<br />

gern dein Freund! Und das, was du allein<br />

nicht schaffst, das schaffen wir vereint.“


Ich will meinem Kind helfen, die<br />

religiösen Traditionen des christlichen<br />

Abendlandes zu verstehen. Warum läuten<br />

die Glocken? Weshalb hängt Jesus<br />

am Kreuz? Was feiern wir zu Ostern? Die<br />

Antworten darauf gehören ebenso zur<br />

religiösen Erziehung wie das Versprechen,<br />

das Eltern und Paten mit der Taufe<br />

geben: Wir wollen unserem Kind christliche<br />

Werte vermitteln. Rücksichtnahme,<br />

Hilfsbereitschaft, Sorge für Kranke und<br />

Schwache. Eine Ethik, die in kindgerechten<br />

Geschichten wie der vom barmherzigen<br />

Samariter (Lukas 10, 29-37)<br />

eine klare Richtung bietet.<br />

Ich will meinem Kind die Geborgenheit<br />

christlicher Rituale vermitteln. Sie bieten<br />

Heranwachsenden, die täglich von neuen<br />

Eindrücken überflutet werden, Halt und<br />

Orientierung. Wenn ich unseren einjährigen<br />

Sohn abends ins Bett bringe, zeichne<br />

ich ihm mit dem Finger ein Kreuz auf<br />

die Stirn. „Schlaf gut, Gott segne dich.“ Ist<br />

das Kind älter, können Gebete den Tagesablauf<br />

mitgestalten: Im Tischgebet dankt<br />

die Familie Gott und bekennt, dass<br />

Wachsen und Gedeihen nicht in Menschenhand<br />

liegen. Beten Eltern gemeinsam<br />

mit ihrem Kind, zeigen sie ihm:<br />

Selbst große Menschen müssen ihr Leben<br />

nicht alleine schaffen, sondern können es<br />

in Gottes Hand legen. Erwachsene tun<br />

sich oft schwer mit einem frei formulierten<br />

Gebet. Kinder bringen ihre Sorgen und<br />

Fragen unbefangen vor Gott. Im Gebet<br />

können sie eigene Ängste formulieren<br />

und so überschaubar machen.<br />

Die Zeit der eigenen<br />

Entscheidungen kommt später<br />

Ich will mit meinem Kind auch meine<br />

eigenen religiösen Vorstellungen neu<br />

durchdenken. Wenn Kinder ins Fragealter<br />

kommen, brechen für Eltern andere<br />

Zeiten an. Alles muss hinterfragt werden.<br />

Doch manchmal haben auch Erwachsene<br />

keine Antwort. „Wohin geht mein Kaninchen,<br />

wenn es tot ist?“ Wo Eltern auf<br />

solche Fragen mit ihrem persönlichen<br />

Glauben antworten, hat religiöse Erziehung<br />

ihren Platz mitten im Alltag. „Ich<br />

weiß nicht, wohin dein Kaninchen geht.<br />

Aber ich glaube, dass es ihm sehr gut<br />

geht, da, wo es jetzt ist. Vielleicht ist es im<br />

Himmel? Wie stellst du dir den vor?“ Wer<br />

offen ist, sich berühren zu lassen, geht<br />

den einen oder anderen Frageweg mit<br />

seinem Kind gemeinsam. Staunt über<br />

Antworten. Wird für einen Moment selbst<br />

wieder Kind. Ich will meinem Kind den<br />

Halt einer kirchlichen Gemeinschaft<br />

geben. In unserer Nachbargemeinde<br />

steht im Eingangsbereich der Kirche ein<br />

Baum. Daran hängen Fotos aller Täuflinge<br />

aus dem jeweiligen Kirchenjahr.<br />

Viele Eltern sind davon fasziniert: Schon<br />

als Baby werden ihre Kinder Teil einer<br />

Gemeinschaft, die sie beim Aufwachsen<br />

begleitet und ihnen den Rücken stärkt. Im<br />

gemeinsamen Singen und Spielen im<br />

Kindergottesdienst oder an Kinderbibeltagen<br />

erleben Kinder diese Gemeinschaft<br />

spielerisch.<br />

Das sind meine Antworten an unsere<br />

kritischen Freunde. Mein Kind taufen zu<br />

lassen heißt für mich, dass ich ihm ein<br />

echtes Plus mit auf den Weg geben kann.<br />

Es darf darauf vertrauen, dass Gott bei<br />

ihm ist. Johannes Rau gehörte einer<br />

anderen Generation an als ich. Doch<br />

auch er hatte Antworten:<br />

Wenn Menschen meiner Generation<br />

mich fragen, was sie denn weitergeben<br />

sollten, dann sage ich ihnen dies:<br />

Sagt euren Kindern, dass euer Leben<br />

ist dem Lebenswillen Gottes.<br />

Sagt ihnen, dass euer Mut geliehen war<br />

von der Zuversicht Gottes.<br />

Sagt ihnen, dass eure Verzweiflung<br />

geborgen war in der Gegenwart des<br />

Schöpfers.<br />

Sagt ihnen, dass wir auf den Schultern<br />

unserer Mütter und Väter stehen.<br />

Sagt ihnen, dass wir ohne innere<br />

Heimat<br />

keine Reisen unternehmen können.<br />

Denn<br />

wer nirgendwo zu Hause ist, der kann<br />

auch keine Nachbarn haben.<br />

Mein Kind soll Nachbarn haben. Und ein<br />

Zuhause, das weiter reicht als das Elternhaus.<br />

Solange mein Sohn klein ist, ent-<br />

scheide ich in allen Bereichen seines<br />

Lebens für ihn – stellvertretend. Was er zu<br />

Essen bekommt, dass er sich die Zähne<br />

putzt, in welche Schule er gehen wird. Die<br />

Zeit der eigenen Entscheidungen kommt<br />

später. Dann kann er auch sagen, ob er<br />

meiner Religion angehören will. Doch um<br />

für oder gegen etwas zu sein, sollte er<br />

wissen, womit er es zu tun hat. Deswegen<br />

kann ich meinen kritischen Freunden<br />

auch antworten: Nur was mir vertraut ist,<br />

kann ich ablehnen oder annehmen.<br />

entnommen der Zeitschrift „Andere Zeiten – Magazin<br />

zum Kirchenjahr“, Heft 1/2009<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

33


Lieber Sonntag,<br />

Ein Lob auf den Sonntag<br />

Von der Liebe zu einem besonderen Tag<br />

wir kennen uns jetzt schon so lange. Ein<br />

ganzes Leben. Du hast all unsere Veränderungen<br />

mitgemacht, warst nicht beleidigt,<br />

wenn wir dich ignorierten, hast<br />

milde drüber hinweg gesehen, wenn wir<br />

beklagten, wie langweilig Du bist.<br />

Wie schwierig Du für uns als Kinder<br />

warst! Steife Kleider mussten wir tragen,<br />

die wir auf keinen Fall schmutzig machen<br />

durften. Gesittet sollten wir neben Mama<br />

und Papa durch den Park spazieren, wo<br />

wir lieber einen Fußball getreten hätten.<br />

Tanten kamen zu Besuch, deren feuchte<br />

Wangenküsse wir hassten, andererseits<br />

gab es dazu Buttercremetorte, die uns<br />

den Rest ertragen ließ. Manchmal nahm<br />

uns Opa mit in den Gottesdienst, und<br />

auch, wenn wir nichts verstanden, waren<br />

die Gesänge geheimnisvoll schön.<br />

Dann wurden wir Teenager. Das machte<br />

unser Miteinander nicht leichter. Jetzt<br />

wurden die Kirchgänge Pflicht. Uns<br />

morgens um 9.00 aus dem Bett zu<br />

quälen, schien pure Folter. Wir flüsterten<br />

und kicherten in den vorderen Kirchenbänken<br />

(da mussten wir sitzen!) und<br />

ernteten des Pfarrers zornfunkende<br />

Blicke. Aber wir erhielten ein Sternchen<br />

für Anwesenheit, und die Konfirmation<br />

war wieder ein Stück näher gerückt.<br />

34<br />

2. TITELTHEMA<br />

Die verkaufsoffenen Sonntage häufen sich. In manchen Städten wird darüber<br />

nachgedacht, jeden Adventssonntag freizugeben, und es somit den Händlern zu<br />

ermöglichen, ihr Geschäft zu öffnen. Doch neben den Verkäufern und Verkäuferinnen,<br />

die davon betroffen wären, gibt es auch viele andere Berufsgruppen, für<br />

die der Sonntag oftmals ein normaler Arbeitstag ist. Doch ein „Sonntag“ ist mehr<br />

als das. Die Redaktion der Zeitschrift „Andere Zeiten“ hat sich ihre eigenen<br />

Gedanken zu diesem besonderen Tag gemacht. Lesen Sie, was ein Sonntag so<br />

alles sein kann und wie er sich im Laufe eines Lebens verändert.<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

Am Abend wünschten wir uns dann,<br />

Deine Minuten mögen zu Stunden werden.<br />

Das Matheheft lag unberührt und<br />

vorwurfsvoll auf unserem Schreibtisch,<br />

und auch die Lateinvokabeln waren noch<br />

nicht in unser Hirn vorgedrungen. Wir<br />

wussten natürlich, dass wir all dies den<br />

ganzen Nachmittag hätten erledigen<br />

können, den wir ohnehin öde fanden.<br />

Aber ein Teenagerherz ist nicht von Vernunft<br />

getrieben, also haderten wir so<br />

lange, bis als Ausweg nur noch das Heft<br />

der Sitznachbarin am Montagmorgen<br />

blieb.<br />

Aber auch das ging vorbei. Zum Glück!<br />

Denn dann kam die Studienzeit, und die<br />

Dinge entspannten sich. Auf einmal probierten<br />

wir all jenes, was wir noch zwei<br />

Jahre zuvor empört als spießig abgetan<br />

hatten: Wir luden Freunde zum Frühstück<br />

ein und kochten ihnen ein Ei. Wir bestückten<br />

Spaziergänge mit Picknickkörben.<br />

Wir kochten, nur dass der Braten<br />

nicht Punkt 12.00 auf dem Tisch stand<br />

und auch kein Braten, sondern ein<br />

Nudelauflauf war. Wir entdeckten, dass<br />

es Gottesdienste auch zu genehmeren<br />

Zeiten, zum Beispiel am Abend, gab.<br />

Und danach versammelten wir uns vor<br />

dem Fernseher irgendeiner WG, um<br />

gemeinsam den „Tatort“ zu zelebrieren.<br />

Lieber Sonntag, das war der zarte Beginn<br />

unserer Liebe zu Dir. Wir entdeckten neue<br />

Auch wilde Abenteuer zu erleben und seiner Phantasie im wahrsten Sinne des Wortes Flügel zu verleihen,<br />

ist am Sonntag möglich. Foto: Andere Zeiten


Seiten. Aus dem grauen Mauerblümchen<br />

wurde eine Persönlichkeit voll ungeahnter<br />

Facetten. Wir staunten!<br />

Als dann das Arbeitsleben begann, erkannten<br />

wir, dass Du eine Oase bist. Ein<br />

Freigeist. Du bietest hundert Möglichkeiten.<br />

Wir brauchen Dich. Ein Tag in der<br />

Woche, an dem wir tun dürfen, was<br />

schön ist – und nicht, was sein muss. Wir<br />

bringen unsere Seelen ins Lot. Wir ordnen<br />

die Welt mit Freunden. Wir bauen<br />

mit Lena und Lukas stundenlang Bauklotztürme.<br />

Wir vergraben uns in ungelesenen<br />

Zeitungen. Wir träumen rosa Wolken in<br />

den Himmel, wir entwerfen Utopien, die<br />

uns in den Montag tragen. Du bist der<br />

Tag, an dem niemand etwas von uns<br />

fordert. Und wer es doch tut, wird mit<br />

einem milden Lächeln auf Deine Existenz<br />

verwiesen. Du bist wie ein großer Bruder.<br />

Du beschützt uns vor Zeitdieben, Stressmachern,<br />

Immermehrwollern. Wir sinken<br />

in Deine Arme und denken wohlig: Uns<br />

kriegt ihr nicht!<br />

Wir lieben Dich. Deshalb haben wir Dir<br />

ein Buch gewidmet. Und hoffen, wir<br />

haben Dich von Deiner besten Seite getroffen.<br />

„Sonntags. Erfindung der Freiheit“<br />

heißt das Buch, mit dem Sie Ihre Sonntagsoasen<br />

entdecken können. 52 Themen<br />

laden auf 144 Seiten zum Träu-<br />

men, Denken, Gestalten ein, vom „Tatort“<br />

bis zur Auferstehung, vom Sonntagsbraten<br />

bis zum Grundgesetz.<br />

Lassen Sie sich ein Jahr begleiten und<br />

machen Sie den Sonntag zu Ihrem<br />

Sonntag! Das Buch misst 22,5 cm im<br />

Quadrat, gebunden in orange-leuchtendem<br />

Seidentaft. Es kostet 12,00 €<br />

und kann unter 040/47112727 oder<br />

info@anderezeiten.de bestellt werden.<br />

Das Buch ist Teil der Kampagne „Mach<br />

mal Sonntag!“ Mit ihr wollen die<br />

Initiatoren Lust auf diesen Ausnahmetag<br />

machen und Ideen geben, ihn zu<br />

feiern. Mehr finden Sie im Internet<br />

unter www.machmalsonntag.de


BILDUNG HEUTE<br />

Amoklauf an Schulen –<br />

Ein Elternbrief<br />

Können Schulen sich vor Amokattacken schützen?<br />

Der nachfolgende Text wurde von Dr. h.c. Hans Biegert, dem Leitenden Schuldirektor<br />

und Schulträger der HEBO-Schule, einer Privaten Ergänzungsschule zur<br />

Vorbereitung auf Abitur und mittlere Reife in Bonn-Bad Godesberg (Am Büchel<br />

100, 53173 Bonn-Bad Godesberg) verfasst und am Ende des Schuljahres 2008/09<br />

allen Eltern übermittelt. Der neuerliche Amoklauf von Ansbach veranlasst uns<br />

zum Abdruck dieses Briefes.<br />

Der Amoklauf von Winnenden und seine<br />

Folgen war kaum aus den Nachrichten<br />

(aber noch lange nicht aus den Köpfen<br />

der Kolleginnen und Kollegen), nun der<br />

versuchte Amoklauf im Schulzentrum St.<br />

Augustin! Und nach jedem Amoklauf –<br />

oder auch „nur“ Versuch, wie am<br />

11.05.2009 in St. Augustin, bleiben<br />

neben Betroffenheit, Fassungslosigkeit<br />

die großen Fragezeichen:<br />

„Warum“<br />

und<br />

„Können sich Schulen letztendlich vor<br />

Amokattacken schützen?<br />

Beide Fragen hängen im Übrigen zusammen,<br />

denn die Suche nach möglichen<br />

Ursachen<br />

a) in der Person des Täters/der Täterin<br />

hängt immer auch zusammen mit<br />

b) dessen/deren Lebensbedingungen<br />

und -umständen und dazu gehört<br />

Schule mit an oberster Stelle.<br />

Wissenschaftlliche Studien belegen, dass<br />

die Täter(innen)-Profile der bisherigen<br />

Amokläufe an Schulen erstaunliche<br />

Gemeinsamkeiten aufweisen:<br />

I.●Das Gefühl des Fehlens von Anerkennung<br />

● des Fehlens von sozialen Bezugspersonen<br />

● des Fehlens von positiven Sozialintegrationserfahrungen,<br />

also dazuzugehören,<br />

gewollt, anerkannt zu sein<br />

● das Gefühl, sozial isoliert zu sein<br />

● aber auch das Unvermögen, mit<br />

kommunikativer, interaktionaler Krän-<br />

36 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

kung überhaupt, geschweige denn<br />

konstruktiv umgehen zu können.<br />

Schulen sind u.a. auch deshalb von<br />

Amokläufen betroffen, weil Schule jener<br />

Sozialraum ist, indem besonders zwischen<br />

dem 10. und 16. Lebensjahr die<br />

nachhaltigsten Erfahrungen in den Bedingungen<br />

(iwe unter I. beschrieben) stattfinden,<br />

die gleichzeitig in eine für dieses<br />

Alter sehr bedeutsame entwicklungspsychologische<br />

Phase fallen, in der es<br />

u.a. um die qualitative Ausprägung geht<br />

von:<br />

● Selbstbild:<br />

wen oder was stelle ich dar, bin ich der<br />

„Looser“ der Klasse oder bin ich gemocht,<br />

gar akzeptiert, geachtet und<br />

aerkannt?<br />

● Selbstwirksamkeit:<br />

kann ich „was ausrichten“, werde ich<br />

gefragt und gehört, wenn es um<br />

„Weichenstellungen“ in der Klasse<br />

geht oder „pfeifen“ die Klassenkameraden<br />

auf meine Meinung; gar<br />

schlimmer noch, werd’ ich erst gar<br />

nicht gefragt, sogar von vorn herein<br />

ignoriert/„geschnitten“?<br />

● Selbstkonzept:<br />

was habe ich in mir für ein Bild, wie<br />

mich die anderen sehen? Bin ich<br />

davon überzeugt, dass die anderen in<br />

mir den Außenseiter, den „Blödmann“<br />

sehen, oder dass die anderen in mir<br />

den „Könner“ sehen, einen, dem man<br />

zuhört, wenn er den Mund aufmacht?<br />

Und bei diesem ist Schule für Jugendliche<br />

in dem genannten Alter der bedeut-<br />

samste Sozialraum, und daher eint eine<br />

ganz wesentliche Erfahrung alle Täter(innen),<br />

die an Schulamokläufen<br />

beteiligt waren (so Dr. Frank Robertz,<br />

Leiter des Instituts für Gewaltprävention<br />

und angewandte Kriminologie in Berlin,<br />

einer der international anerkanntesten<br />

Fachleute zum Thema „Amoklauf an<br />

Schulen“): für sie, die Täter(in), war/ist<br />

„Schule der Ort der größten<br />

Kränkungen“ (F. Robertz 2009).<br />

Mit Schule und den Mitschülern/innen<br />

und den Lehrerinnen und Lehrern<br />

identifizieren sie (die Täter/innen) den<br />

Ort und die Personen, die ihnen jene<br />

Erfahrungen von „unermesslicher Kränkung“<br />

bescherten, wie sie oben unter I.<br />

beschrieben sind.<br />

Wenn dem so ist, dann kann Schule und<br />

können Lehrerinnen und Lehrer präventiv,<br />

neben der selbstverständlichen Einrichtung<br />

von Alarmplänen, Kriseninterventionstrainings,<br />

sachlich materiellen<br />

Schutzvorrichtungen … dazu beitragen,<br />

dass Schule und Unterricht abseits der<br />

Bedeutung von allem Kognitiven, dem<br />

Erzielen von Lernfortschritten, dem Erreichen<br />

von qualitativen und quantitativen<br />

Lernstandards zu den Abschlussprüfungen<br />

etc. auch (wieder) zu einem<br />

Sozialraum wird, in dem alle Kinder und<br />

Jugendliche – und der Anspruch müsste<br />

lauten: ohne Ausnahme! –<br />

■ das Gefühl von Anerkennung erleben:<br />

Anerkennung nicht nur dann,<br />

wenn die Leistungen stimmen. Anerkennung<br />

nicht nur dann, wenn Verhalten<br />

angepasst und erwartungsgemäß<br />

ist, Anerkennung heißt, dass<br />

Schüler verlässlich in allen „Hochs“<br />

und „Tiefs“ auf ihre Lehrer zählen<br />

können.<br />

■ soziale Bezugspersonen vorfinden,<br />

heißt: Lehrerinnen und Lehrer zu haben,<br />

die neben allem Kognitiven, der<br />

Lernstoffvermittlung, für Schülerinnen


und Schüler auch sozialpädagogische<br />

Bezugspersonen darstellen, die von<br />

sich aus ein ebenso großes Interesse<br />

am Sozialbefinden ihrer Schüler haben,<br />

wie an deren Lernfortschritten.<br />

■ positive Sozialintegrationserfahrungen<br />

machen; heißt: wo Lehrerinnen<br />

und Lehrer mitbekommen und gegenhalten,<br />

wenn eine(r) oder einzelne<br />

ausgeschlossen werden, isoliert sind,<br />

ggf. sogar gemobbt werden. Hier ist<br />

jeder Lehrer gefragt; dies ist nicht delegierbar<br />

auf Klassenlehrer, Schulleiter<br />

oder Schulsozialarbeiter.<br />

■ wo Lehrerinnen und Lehrer frühzeitig<br />

mitbekommen, ob da ein Kind, ein<br />

Jugendlicher ist, der/die große Probleme<br />

im alters- und jahrgangsstufenadäquaten<br />

Umgang mit Kränkungen<br />

hat, dem/der es schwerfällt konstruktiv<br />

mit selbst „kleinen“ Kränkungs- und<br />

Ausgrenzungserfahrungen umzugehen.<br />

Dann nämlich den Kontakt zu den<br />

Eltern suchen, dann gemeinsam für Lösungen<br />

und Abhilfe sorgen, bis hin zur<br />

Anbahnung von Kontakten zu Psychologen/Therapeuten,<br />

jedenfalls derartiges<br />

niemals aus den Augen zu verlieren;<br />

solches Verhalten können wir<br />

Lehrerinnen und Lehrer nicht ernst<br />

genug nehmen, und (!) – dranbleiben<br />

müssen wir!<br />

Ob dies in der Gesamtheit bereits eine<br />

hinreichende Garantie gibt, dass eine<br />

Schule vor Amokattacken geschützt ist,<br />

bleibt derzeit unbeantwortbar. Ganz<br />

sicherlich aber ist dies eine unverzichtbar<br />

notwendige Bedingung. Unbestritten sind<br />

dies Anstrengungen, die absolut in die<br />

richtige Richtung weisen (siehe I) und<br />

dementsprechend ganz sicherlich auch<br />

risikominimierende/protektionäre Wirkung<br />

zeigen.<br />

Ferner befindet sich eine Schule, die bewusst<br />

und stets auf positiv-sozialemotionales<br />

Schulklima setzt, auch im Sinne<br />

von Schulqualität, Professionalität und<br />

Unterrichts- und Lernwirksamkeit, damit<br />

in „bester Gesellschaft“. Wissenschaftliche<br />

Untersuchungen, wie die von Andreas<br />

Helmke (Universität Koblenz-<br />

Landau), die bis in die 90er Jahre zurück<br />

gehen, aber auch neueste Studien (Andreas<br />

Helmke, Unterrichtsqualität und<br />

Lehrerprofessionalität, 2008) bestätigen:<br />

Neben Klassenführung und Adaptivität<br />

gehört<br />

das positive<br />

sozial-emotionale Schulklima<br />

zu den drei unverzichtbaren Intentionalund<br />

Struktursäulen einer professionellen,<br />

schülerorientierten und lernwirksamen<br />

Schul- und Unterrichtsgestaltung, heißt in<br />

der Praxis:<br />

● Eine in der Schule gelebte Positiv-<br />

Feedback-Kultur<br />

● Anerkennung und positive Rückmeldung<br />

bei Anstrengungsbereitschaft<br />

und positiver Verhaltensentwicklung<br />

● Lob bei/für gute Leistungen, für Fleiß<br />

und Anstrengung, für Kooperation und<br />

Teamgeist.<br />

● Sorge tragen für die soziale Integration<br />

eines jeden Schülers.<br />

● Sich auf neue Schüler freuen und sie<br />

aktiv in die soziale Gemeinschaft der<br />

Klasse integrieren<br />

● Einfühlendes Verstehen. Mitbekommen,<br />

was im Kinde vorgeht, sein Verhalten<br />

hinterfragen, statt ggf. vorzuverurteilen.<br />

● Eine angstfreie Lernatmosphäre, in der<br />

ein Kind Fragen stellen kann, ohne<br />

bloß gestellt zu werden, in der Kinder<br />

auf-gerichtet werden, anstatt „unter“richtet<br />

zu werden.<br />

● Achtung und Akzeptanz. Partielles<br />

Nichtkönnen eines Schülers akzeptieren<br />

(bedeutet nicht, tatenlos hinnehmen),<br />

achten und es entsprechend<br />

durch individuelle Förderung mindern.<br />

Ein ADHS-Kind kann nicht dauerhaft<br />

aufpassen (anstatt zu unterstellen, es<br />

wolle nicht)! Ständige Ermahnungen<br />

und der Tadel des Lehrers richten hier<br />

mehr Schaden an, als die Aufmerksamkeit<br />

zu verbessern.<br />

● Gesprächsbereitschaft, die dem Kind<br />

seine Bedeutsamkeit spiegelt. Ein Bewusstsein<br />

haben für die Wichtigkeit<br />

des eigenen Vorbildes, und demgemäß<br />

gegenüber Schülern handeln<br />

und sich verhalten.<br />

● Aber auch klare Regeln, Rituale, konsequentes<br />

Hinsehen, Klarheit und<br />

Orientierung vermitteln, so etwa „Handyverbot<br />

in der Schule“, mindestens<br />

aber Verbot von Handys mit Foto-<br />

Video-Bluetooth-Funktion, dann aber<br />

auch stringentes Controlling und Einschreiten<br />

zur Vermeidung etwa von<br />

diffamierender Mitschülerfotos oder<br />

Nach dem Amoklauf am Gutenberg Gymnasium in<br />

Erfurt war die Betroffenheit groß. Vor dem Dom<br />

wurden unzählige Blumen abgelegt.<br />

Foto: Mühmer/pixelio<br />

gewaltverherrlichender Videoclips auf<br />

Handys.<br />

● Von wirklich positivem Schulklima<br />

kann nur die Rede sein, wenn es gelingt,<br />

die Kooperation zwischen Schule<br />

und Elternhaus wieder den ihrer Bedeutsamkeit<br />

entsprechenden Stellenwert<br />

auch in der schulischen Praxis zu<br />

verleihen. „Gute Schule“ kann nur im<br />

Team gelingen, und dies bedeutet, die<br />

Eltern gehören mit ins Boot „Schule“.<br />

Wir haben in und an unserem Schulsystem<br />

in den letzten Jahren bundesweit<br />

viel reformiert; vieles, was längst überfällig<br />

war. Winnenden, St. Augustin …<br />

konnten wir nicht verhindern; vielleicht ist<br />

dies – der Bedeutsamkeit eines positiven<br />

sozial-emotionalen Schulklimas in Schulen<br />

wieder Priorität zu verleihen – der<br />

zweite Punkt auf dem ü, der Reformbemühungen,<br />

den der ehemalige NRW-<br />

Kultusminister Jürgen Girgensohn<br />

(1970 – 1983) im Hinblick auf Schulreformen<br />

sehr treffend, aber auch Betroffenheit<br />

auslösend, so formulierte:<br />

„Wenn es uns gelänge,<br />

lediglich Entmutigungen<br />

aus unseren Schulen<br />

zu verbannen,<br />

wäre dies<br />

die effizienteste Schulreform<br />

und jene, die den Namen<br />

wirklich verdiente!“<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

37


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38 <strong>ELTERN</strong>forum 3-2009<br />

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<strong>ELTERN</strong>forum ist die Zeitschrift für<br />

Bildungs- und Erziehungsfragen,<br />

herausgegeben von der <strong>KED</strong>.<br />

<strong>ELTERN</strong>forum<br />

■ informiert Sie über aktuelle Bildungs- und Erziehungsfragen<br />

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■ verfügt über berufene und qualifizierte Fachleute als Autoren<br />

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<strong>ELTERN</strong>forum<br />

Zeitschrift der Katholischen Elternschaft Deutschlands,<br />

ISSN 0934-8662<br />

Herausgeber:<br />

Katholische Elternschaft Deutschlands (<strong>KED</strong>)<br />

Am Hofgarten 12, 53113 Bonn<br />

Telefon 02 28 / 65 00 52, Fax 02 28 / 69 62 17<br />

E-mail: info@katholische-elternschaft.de<br />

Internet: www.katholische-elternschaft.de<br />

Verantwortlich für den Vorstand:<br />

Marie-Theres Kastner, MdL, Bundesvorsitzende<br />

Prof. Dr. Walter Eykmann, Ehrenvorsitzender<br />

Redaktion: Monika Korthaus-Lindner, Christiane<br />

Bleumer, Anne Ossenkamp, Edmund Speiseder<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />

unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die<br />

Redaktion freut sich über Leserbriefe. Sie behält sich<br />

jedoch vor, diese sinngemäß zu kürzen.<br />

Gestaltungskonzeption:<br />

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<strong>ELTERN</strong>forum erscheint vierteljährlich.<br />

Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein Jahr,<br />

wenn nicht spätestens drei Monate vor Ende des<br />

laufenden Kalenderjahres schriftlich gekündigt wird.<br />

42. Jahrgang<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 3/2009<br />

Unverlangt eingesandte Manuskripte und Bücher<br />

werden nicht zurückgesandt. Verlag und Redaktion<br />

übernehmen keine Haftung.<br />

Redaktionsschluss für<br />

<strong>ELTERN</strong>forum 4/2009 ist der<br />

04. November 2009.<br />

Titelbild: Kita unterm Regenbogen in Bonn<br />

Redaktion <strong>ELTERN</strong>forum<br />

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