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Lernwirksamer Unterricht in heterogenen Klassen, Referat Reusser

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<strong>Lernwirksamer</strong> <strong>Unterricht</strong> <strong>in</strong> <strong>heterogenen</strong><br />

<strong>Klassen</strong>: Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen und<br />

Qualitätsmerkmale<br />

Übersicht<br />

QUIMS-Netzwerktagung 2009<br />

Zürich, 31. Oktober 2009<br />

Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Institut für Erziehungswissenschaft,<br />

Lehrstuhl Pädagogische Psychologie und Didaktik<br />

1. Heterogenität als Normalfall - Neue<br />

Strategien des <strong>in</strong>stitutionellen Umgangs<br />

2. <strong>Unterricht</strong>squalität und Lernwirksamkeit -<br />

Wo ist Entwicklungsbedarf?<br />

3. Didaktischer Umgang mit Heterogenität<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

2


Umgang mit Individualität und Heterogenität<br />

Individualität des<br />

e<strong>in</strong>zelnes K<strong>in</strong>des<br />

Heterogenität<br />

der Lerngruppe<br />

Seit es Schulen gibt, stellt sich die Frage nach dem<br />

<strong>in</strong>stitutionellen und <strong>in</strong>dividuellen Umgang mit Heterogenität<br />

und Vielfalt, d.h. mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen<br />

von K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> Schulklassen und Lerngruppen.<br />

Wahrnehmung von Heterogenität als<br />

problematische Differenz, Normalität oder Bereicherung<br />

Heterogenität<br />

- e<strong>in</strong>e mehrdimensionales Phänomen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich<br />

! Fachleistung<br />

! kognitiver Fähigkeit, Begabung<br />

! Interesse, Motivation, Arbeitshaltung<br />

! Verhalten, Sozialisation, Persönlichkeit<br />

! Beherrschung der deutschen Sprache<br />

! soziokultureller (Migrations-) H<strong>in</strong>tergrund,<br />

elterliches Stützsystem<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

3<br />

4


Vier Reaktionsarten auf Heterogenität<br />

(nach We<strong>in</strong>ert)<br />

! Ignorieren von Lern- und Leistungsunterschieden<br />

! Anpassung der Schüler an die Anforderungen<br />

des <strong>Unterricht</strong>s<br />

! Anpassung des <strong>Unterricht</strong>s an die <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lernvoraussetzungen der Schüler<br />

! Gezielte Förderung der e<strong>in</strong>zelnen Schüler<br />

Probleme der Schule mit Heterogenität<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Problem 1: PISA - Die Mühen der Schule mit bildungsfernen Schichten<br />

Deutschland und die Schweiz gehören zu den Ländern, <strong>in</strong> denen die<br />

Bildungsbeteiligung und der Schulerfolg der Heranwachsenden besonders<br />

eng mit der sozialen Herkunft der Schüler zusammenhängen (z.B. Stanat<br />

2006)<br />

Problem 2: Gescheiterte Separationsstrategie (äussere Differenzierung) im<br />

Umgangs mit Heterogenität - v.a. <strong>in</strong> der Sonderpädagogik<br />

Massive Zunahme (teurer) separierender Bildungsstrukturen seit 1980<br />

ohne dass die erhofften Förder-Effekte sich e<strong>in</strong>stellten (z.B. Kronig, 2007)<br />

Problem 3: Schwach entwickelte Didaktik der Individualisierung<br />

Triviales Verständnis von <strong>in</strong>dividueller Lernunterstützung und Förderung <strong>in</strong><br />

der Regelschule (z.B. Krammer 2009), ger<strong>in</strong>ge Adaptivität des <strong>Unterricht</strong>s;<br />

„<strong>in</strong>nere Differenzierung“ entspricht ke<strong>in</strong>er gelebten Realität<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

5<br />

6


PISA<br />

2003<br />

Folie: Prof. Petra Stanat, 2007; Vortrag an der Universität Zürich<br />

Migrantenk<strong>in</strong>der und Jugendliche <strong>in</strong><br />

Deutschland<br />

! überdurchschnittliches Schulversagen<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

! Diagnose als ‚lernbeh<strong>in</strong>dert‘ 2 x höher<br />

! Gymnasialempfehlung 5 x tiefer<br />

! [bei Kontrolle von sozialem Status und Lesekompetenz] 1,7x<br />

tiefer<br />

! besuchen die Hauptschule 2 x höher<br />

(Allemann-Ghionda, C., Auernheimer, G., Grabbe, G. & Krämer, A. (2006). Beobachtung und<br />

Beurteilung <strong>in</strong> soziokulturell und sprachlich <strong>heterogenen</strong> <strong>Klassen</strong>: die Kompetenzen der<br />

Lehrpersonen. Z.f.Päd., 52. Jg., 51. Beiheft.<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

7<br />

8


Infragestellung des separierenden Umgangs mit<br />

Heterogenität (u.a. sonderpädagogische Forschung)<br />

2007<br />

Bildungserfolg ist weit weniger als man annehmen würde das Ergebnis<br />

von <strong>in</strong>dividuellen Fähigkeiten und persönlicher<br />

Anstrengungsbereitschaft. Er ist auch das Produkt von Privilegien und<br />

von Zufällen. Dazu gehört auch, ob man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Regelklasse“ oder <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er „Sonderklasse“ unterrichtet wird.<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Forschungs-Fazit zum Thema<br />

Separation versus Integration auf der <strong>in</strong>stitutionellen Ebene<br />

! Das Angebot an besonderen <strong>Klassen</strong> steuert die Separation<br />

stärker als jeder andere Faktor<br />

! Fremdsprachige und K<strong>in</strong>der mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund werden<br />

öfter separiert und f<strong>in</strong>den sich seltener <strong>in</strong> höheren Schultypen<br />

! Integriert geschulte (<strong>in</strong>sbesondere lernschwache) K<strong>in</strong>der machen<br />

im allgeme<strong>in</strong>en grössere Lernforschritte als separiert geschulte<br />

! Lange Separation wirkt sich auf die spätere berufliche<br />

Entwicklung nachteilig aus<br />

! Separation und Sitzenbleiben werden als Stigmatisierung erlebt<br />

! Separation <strong>in</strong> der bisher praktizierten Grössenordnung ist sehr<br />

teuer und deshalb auch bildungsökonomisch problematisch<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

9<br />

10


Pädagogischer E<strong>in</strong>stellungswandel bezüglich des<br />

Umgangs mit „Problemschülern“<br />

Von ...<br />

! ... „dieser Schüler gehört nicht <strong>in</strong> diese Klasse!“<br />

Gleiche Lernziele für alle, Orientierung an Gruppennorm; Homogenisierung von<br />

Lerngruppen und Lernwegen; Strategie der separierenden, äusseren<br />

Differenzierung<br />

zu ...<br />

! ... „wie kann dieser Schüler <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Klasse gefördert werden?<br />

Individuelle Leistungsfortschrittsnorm; Sichtweise von Heterogenität als soziale,<br />

pädagogische und didaktische Chance; Strategie der <strong>in</strong>tegrativen Förderung durch<br />

e<strong>in</strong>e flexible, b<strong>in</strong>nendifferenzierende Lernorganisation<br />

11<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Pädagogischer E<strong>in</strong>stellungswandel bezüglich des<br />

Umgangs mit „Problemschülern“<br />

Von ...<br />

! ... „dieser Schüler gehört nicht <strong>in</strong> diese Klasse“<br />

Der schweizweite Trend:<br />

„Integrative Schule“ - „<strong>in</strong>tegrative Förderung“:<br />

Gleiche Lernziele für alle, Orientierung an Gruppennorm; Homogenisierung von<br />

Lerngruppen und Lernwegen; Strategie der separierenden, äusseren<br />

Differenzierung<br />

Förderung e<strong>in</strong>er grösstmöglichen Zahl<br />

Zu ...<br />

von K<strong>in</strong>dern mit Lernschwierigkeiten<br />

<strong>in</strong> Regelklassen<br />

! ... „wie kann dieser Schüler <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Klasse gefördert werden?<br />

Individuelle Leistungsfortschrittsnorm; Sichtweise von Heterogenität als soziale,<br />

pädagogische und didaktische Chance; Strategie der <strong>in</strong>tegrativen Förderung durch<br />

e<strong>in</strong>e flexible, b<strong>in</strong>nendifferenzierende Lernorganisation<br />

12<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


System<br />

Schule<br />

Familie<br />

Klasse<br />

Individuum<br />

System<br />

Schule<br />

Familie<br />

Klasse<br />

Individuum<br />

(<strong>Reusser</strong> & Pauli, 1999; 2003; nach Fend, 1998; Wang, Haertel & Walberg, 1993)<br />

Bildungsangebote<br />

System-Architektur,<br />

Lehrplan und<br />

Pädagogische<br />

Traditionen<br />

Lehrerbildung,<br />

Qualifikation, Ausund<br />

Fortbildung<br />

der Lehrpersonen<br />

Merkmale der E<strong>in</strong>zelschule:<br />

Organisation, Ressourcen,<br />

Schulleitung, Leitbild, Standards<br />

Lehrermerkmale<br />

Professionelle<br />

Kompetenzen,<br />

Überzeugungen,<br />

Erfahrung, Wissen<br />

Selbstwirksamkeit<br />

Angebots-Nutzungs-Modell<br />

von <strong>Unterricht</strong>squalität und Lernwirksamkeit<br />

<strong>Klassen</strong>kontext, Normen, Klima, Beziehungen<br />

UNTERRICHT<br />

Qualität und<br />

Quantität des<br />

Lehrangebots<br />

Nutzung der Bildungsangebote<br />

Qualität<br />

der Nutzung<br />

des Angebots<br />

Soziokultureller<br />

Kontext<br />

Familie, Peers:<br />

Ökonomisches, soziales<br />

und kulturelles Kapital<br />

MEHRDIMENSIONALE BILDUNGSWIRKUNGEN<br />

Leistung und Kompetenz, Motivation und<br />

Interesse, Lernstrategien, Lernfreude,<br />

Lerne<strong>in</strong>stellung, Selbstkonzept<br />

Bildungsangebote<br />

System-Architektur,<br />

Lehrplan und<br />

Pädagogische<br />

Traditionen<br />

Lehrermerkmale<br />

Professionelle<br />

Kompetenzen,<br />

Überzeugungen,<br />

Erfahrung, Wissen<br />

Selbstwirksamkeit<br />

Angebots-Nutzungs-Modell<br />

von <strong>Unterricht</strong>squalität und Lernwirksamkeit<br />

Lehrerbildung,<br />

Qualifikation, Ausund<br />

Fortbildung<br />

der Lehrpersonen<br />

<strong>Klassen</strong>kontext, Normen, Klima, Beziehungen<br />

Qualität und<br />

Quantität des<br />

Lehrangebots<br />

UNTERRICHT<br />

Schülermerkmale<br />

Kognitive, motivationale<br />

und soziale<br />

Fähigkeiten und<br />

Dispositionen<br />

13<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

(<strong>Reusser</strong> & Pauli, 1999; 2003; nach Fend, 1998; Wang, Haertel & Walberg, 1993)<br />

Nutzung der Bildungsangebote<br />

Qualität<br />

der Nutzung<br />

des Angebots<br />

Soziokultureller<br />

Kontext<br />

Merkmale der E<strong>in</strong>zelschule:<br />

S<strong>in</strong>d bei e<strong>in</strong>em solch komplexen<br />

Organisation, Ressourcen,<br />

Schulleitung, Leitbild, Standards<br />

systemischen Geschehen<br />

Lehrpersonen überhaupt bedeutsam?<br />

Familie, Peers:<br />

Ökonomisches, soziales<br />

und kulturelles Kapital<br />

MEHRDIMENSIONALE BILDUNGSWIRKUNGEN<br />

Leistung und Kompetenz, Motivation und<br />

Interesse, Lernstrategien, Lernfreude,<br />

Lerne<strong>in</strong>stellung, Selbstkonzept<br />

Schülermerkmale<br />

Kognitive, motivationale<br />

und soziale<br />

Fähigkeiten und<br />

Dispositionen<br />

14<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Forschungssynthese:<br />

Bedeutung von <strong>Unterricht</strong> und Lehrpersonen:<br />

„Teachers make a difference“ (Hattie, 2003)<br />

Gegen 30% der Leistungsunterschiede zwischen Schülern können durch<br />

Merkmale des <strong>Unterricht</strong>s und der Lehrpersonen erklärt werden.<br />

Familie<br />

Lehrer<br />

Peers Schule Schulleitung<br />

Schüler<br />

Forschungssynthese:<br />

Bedeutung von <strong>Unterricht</strong> und Lehrpersonen:<br />

„Teachers make a difference“ (Hattie, 2003)<br />

Familie<br />

Lehrer<br />

Peers Schule Schulleitung<br />

Folienübersetzung: Frank Lipowsky, 2008 15<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Gegen An 30% der Qualität Leistungsunterschiede professionell zwischen gestalteter Schülern Lernräume können durch<br />

Merkmale des <strong>Unterricht</strong>s und der Lehrpersonen erklärt werden.<br />

bemisst sich die Wirkungskraft von Schule und <strong>Unterricht</strong>.<br />

Vor allem die „Leistungsfortschritte<br />

mittelmässig begabter Schüler/<strong>in</strong>nen<br />

hängen Schüler entscheidend davon ab, ob<br />

sie von pädagogisch-psychologisch<br />

und didaktisch sehr gut oder eher<br />

schlecht qualifizierten Lehrpersonen<br />

unterrichtet werden“.<br />

(Barber und Mourshed, 2007)<br />

Folienübersetzung: Frank Lipowsky, 2008 16<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Mangelnde Leistungen von Migrantenk<strong>in</strong>dern:<br />

Vorsicht bei der Ursachenzuschreibung der Defizite!<br />

! K<strong>in</strong>der, Familien<br />

– sprachliche Defizite<br />

– allgeme<strong>in</strong>e Sozialisationsdefizite<br />

– Mangel an familiären Ressourcen<br />

– mangelnde Bildungsaufgeschlossenheit<br />

und -<strong>in</strong>formiertheit<br />

! Bildungssystem, Lehrpersonen<br />

– unzureichende Förderung der Zweitsprache<br />

– mangelnde Wertschätzung der<br />

Zweisprachigkeit (z.B. HSK)<br />

– Wenig adaptive <strong>Unterricht</strong>sgestaltung<br />

– Fehlende, unzureichende (Sprach-)Diagnostik,<br />

<strong>in</strong>kl. Instrumente der Sprachstandserfassung<br />

– Formen <strong>in</strong>stitutioneller Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />

(vgl.: Allemann-Ghionda, C., Auernheimer, G., Grabbe, G. & Krämer, A. (2006). Beobachtung und Beurteilung <strong>in</strong><br />

soziokulturell und sprachlich <strong>heterogenen</strong> <strong>Klassen</strong>: die Kompetenzen der Lehrpersonen. Z.f.Päd.,<br />

52. Jg., 51. Beiheft.<br />

Übersicht<br />

nicht nur<br />

1. Heterogenität als Normalfall - Neue<br />

Strategien des Umgangs<br />

„Bildungsferne<br />

K<strong>in</strong>der & Eltern“<br />

sondern auch<br />

„schulische<br />

Förderdefizite“<br />

17<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

2. <strong>Unterricht</strong>squalität und Lernwirksamkeit -<br />

Wo ist Entwicklungsbedarf?<br />

3. Didaktischer Umgang mit Heterogenität<br />

18<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


<strong>Unterricht</strong> zu gestalten ist die<br />

Kernaufgabe von Lehrpersonen -<br />

Was aber ist „guter <strong>Unterricht</strong>“?<br />

Gibt es wissenschaftlich erhärtete<br />

Indikatoren se<strong>in</strong>er Qualität<br />

19<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Die Figur des didaktischen Dreiecks steht<br />

für den Kernauftrag von Lehrpersonen<br />

Lehrperson<br />

Gegenstand<br />

Von LP<br />

Zu gestaltender<br />

Lehr-Lernraum<br />

Lernende<br />

Lernende<br />

20<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Drei Basisdimensionen von <strong>Unterricht</strong>squalität<br />

(<strong>Reusser</strong> 2006, 2009)<br />

Lehrperson<br />

Stoffkultur<br />

Personale und kulturelle<br />

Signifikanz der Inhalte<br />

Aufgabenqualität<br />

Lehrstofforganisation<br />

Gegenstand<br />

Lehr-Lernkultur<br />

Qualität der Lernprozesse<br />

Verstehen, Kompetenzaufbau<br />

Kognitive (Ko-)Konstruktion<br />

Strukturaufbau<br />

Interaktions- und Dialogkultur<br />

Kommunikations- und Unterstützungsqualität, Gesprächskultur<br />

und Lernklima<br />

Lernende<br />

Lernende<br />

21<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Kernbereiche und Merkmale lernwirksamen<br />

<strong>Unterricht</strong>s<br />

Ziel- und<br />

Stoffkultur<br />

Lernprozess- und<br />

Methodenkultur<br />

Dialog- und Interaktionskultur<br />

Fachkulturelle Bedeutung der Inhalte<br />

Klare Ziele und Standards<br />

Qualität der Lernaufgaben, Aufgabenkultur<br />

Sachlogischer Stoffaufbau<br />

Qualität der Lehrmittel und Wissensmedien<br />

<strong>Klassen</strong>führung, Zeitnutzung<br />

Variabilität und Vielfalt der Methoden<br />

Verstehensklarheit und S<strong>in</strong>nfluss<br />

Kognitive Aktivierung, Motivierungsqualität<br />

Konsolidierung, <strong>in</strong>telligentes Üben<br />

Adaptive Instruktion und <strong>in</strong>dividuelle<br />

Lernbegleitung<br />

Förderung von Selbstregulation und Lernstrategien<br />

Positives Sozialklima, Wertschätzung, Wärme,<br />

S<strong>in</strong>nstiftende Gesprächsführung, <strong>in</strong>dividuelle<br />

Schülerorientierung, diagnostische Kompetenz<br />

Klare Leistungserwartungen und Feedbackkultur<br />

22<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Die Schweiz?<br />

TIMSS Videostudie (2000)<br />

Internationale Videostudie zum<br />

Mathematikunterricht (8. Schuljahr) <strong>in</strong> 7 Ländern<br />

(USA, Australien, Japan, Schweiz, Niederlande, Hongkong,<br />

Tschechische Republik)<br />

Je 100 Lektionen pro Land (Schweiz: 156), zufällig ausgewählt,<br />

über das Schuljahr verteilt<br />

23<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

<strong>Reusser</strong>, K. & Pauli, C. (Hrsg.). (2003). Mathematikunterricht <strong>in</strong> der Schweiz und <strong>in</strong><br />

weiteren sechs Ländern. Bericht über die Ergebnisse e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen und<br />

schweizerischen Video-<strong>Unterricht</strong>sstudie. Doppel-CD-ROM.<br />

<strong>Reusser</strong>, K., Pauli, C. & Waldis, M. (im Druck). <strong>Unterricht</strong>sgestaltung und<br />

<strong>Unterricht</strong>squalität – Ergebnisse e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen und schweizerischen Videostudie<br />

zum Mathematikunterricht. Münster: Waxmann.<br />

24<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


K<br />

S<br />

I<br />

D<br />

N<br />

I<br />

Videostudie: Vergleich Schweiz - Deutschland<br />

<strong>Klassen</strong>führung<br />

K<br />

S<br />

A<br />

M<br />

L<br />

C<br />

4.5<br />

4.0<br />

3.5<br />

3.0<br />

2.5<br />

2.0<br />

1.5<br />

1.0<br />

6050<br />

4030<br />

2010<br />

0 102030405060<br />

Count Count<br />

Individualisierung<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

50 40 30 20 10<br />

Count<br />

0 10 20 30 40 50<br />

Count<br />

Clausen, <strong>Reusser</strong><br />

& Klieme, 2003<br />

COUNTRY<br />

Germany<br />

Switzerland<br />

25<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Clausen, <strong>Reusser</strong><br />

& Klieme, 2003<br />

COUNTRY<br />

Germany<br />

Switzerland<br />

26<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Erweiterte Lehr- und Lernformen (ELF)<br />

- e<strong>in</strong>e taugliche didaktische Antwort auf das<br />

Problem heterogener <strong>Klassen</strong>?<br />

Wie steht es um die Lernwirksamkeit von<br />

„offenem“ <strong>Unterricht</strong>?<br />

27<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

„Erweiterte Lernformen“ und „offener <strong>Unterricht</strong>“<br />

- e<strong>in</strong> Schlüssel zur <strong>in</strong>dividuellen Lernförderung?<br />

CH: ELF:<br />

• Schulentwicklungsprojekt der NW EDK<br />

• 1990 – 1995 <strong>in</strong> sieben Kantonen<br />

• 80 Teilprojekte<br />

Deutschland:<br />

„Offener <strong>Unterricht</strong>“ (z.B. Peschel 2003 ff)<br />

28<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Phänotypus e<strong>in</strong>er "erweiterten“, "neuen<br />

Lernkultur" („offener <strong>Unterricht</strong>“)<br />

! Entdeckendes Lernen<br />

! Wochenplanunterricht /Planarbeit<br />

! Arbeit mit Lernverträgen<br />

! Werkstattunterricht / Stationenarbeit<br />

! Freiwahlarbeit<br />

! Projektunterricht<br />

! Planspiele<br />

! Fallstudien / Fallarbeit<br />

29<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Deklariertes Ziel von ELF: Individualisiertes Lernen!<br />

„Im S<strong>in</strong>ne der Schulentwicklung sollen Lernformen<br />

entwickelt und erprobt werden, welche unterschiedliche<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler je spezifisch fordern und<br />

fördern, Selbsttätigkeit und Selbständigkeit besser<br />

ermöglichen, gleichzeitig aber auf Teamfähigkeit h<strong>in</strong><br />

angelegt s<strong>in</strong>d“<br />

(NW EDK, 1998, zitiert nach Croci et al., 1995, S. 10)<br />

30<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


"<br />

ELF - e<strong>in</strong> Lösungsansatz für <strong>in</strong>dividualisiertes<br />

Lernen <strong>in</strong> <strong>heterogenen</strong> <strong>Klassen</strong>?<br />

(USA, Australien, Japan, Schweiz, Niederlande, Hongkong, Tschechische<br />

Republik) Je 100 Lektionen (Schweiz: 156) über das Schuljahr verteilt<br />

Führen „Erweiterte Lernformen“ zu<br />

produktiverem Lernen und zu besseren<br />

Lernergebnissen?<br />

Pauli, C., <strong>Reusser</strong>, K., Waldis, M. & Grob, U. (2003). !rweiterte Lehr- und<br />

Lernformen im Mathematikunterricht der Deutschschweiz.<br />

<strong>Unterricht</strong>swissenschaft, 31(4), 291-320.<br />

31<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Erweiterte Lernformen<br />

Aussensicht von geschulten Beobachtern<br />

" sig.<br />

" sig.<br />

" sig.<br />

32<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


"<br />

Erweiterte Lernformen<br />

Aussensicht von geschulten Beobachtern<br />

" sig.<br />

" sig.<br />

Auch die Schüler/<strong>in</strong>nen schätzen den<br />

ELF-<strong>Unterricht</strong> positiver e<strong>in</strong>!<br />

Das Wohlbef<strong>in</strong>den im <strong>Unterricht</strong> steigt!<br />

" sig.<br />

33<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Ke<strong>in</strong>e Leistungsunterschiede: ELF vs. Nicht-ELF<br />

mathematische Leistungen<br />

Unterscheiden sich die mathematischen Leistungen von<br />

Schülern/-<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> traditionellen und erweiterten Lernformen?<br />

N= ca. 1200 Schüler/-<strong>in</strong>nen aus 66 <strong>Klassen</strong><br />

n.s. n.s.<br />

n.s.: nicht signifikant<br />

34<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Studien zur Wirksamkeit „offener“<br />

<strong>Unterricht</strong>sformen <strong>in</strong>kl. „ELF“ zeigen<br />

# Das Formenspektrum des <strong>Unterricht</strong>s wird breiter und führt zu<br />

e<strong>in</strong>er flexibleren Handlungsorganisation an der<br />

<strong>Unterricht</strong>soberfläche<br />

# Die <strong>in</strong>dividuellen Handlungsspielräume der Schüler werden<br />

grösser<br />

# Der <strong>Unterricht</strong> wird <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Qualität positiver wahrgenommen,<br />

sowohl von Schülern als auch von Experten<br />

# Das Wohlbef<strong>in</strong>den der Schüler (positives emotionales<br />

Lernerleben) steigt<br />

Studien zur Wirksamkeit „offener“<br />

<strong>Unterricht</strong>sformen <strong>in</strong>kl. „ELF“ zeigen<br />

35<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

# Das Formenspektrum des <strong>Unterricht</strong>s wird breiter und führt zu<br />

e<strong>in</strong>er flexibleren Handlungsorganisation an der<br />

<strong>Unterricht</strong>soberfläche<br />

# Die <strong>in</strong>dividuellen Handlungsspielräume der Schüler werden<br />

grösser<br />

# Der <strong>Unterricht</strong> wird <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Qualität positiver wahrgenommen,<br />

sowohl von Schülern als auch von Experten<br />

# Das Wohlbef<strong>in</strong>den der Schüler (positives emotionales<br />

Lernerleben) steigt<br />

JEDOCH ...<br />

36<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Studien zur Wirksamkeit „offener“<br />

<strong>Unterricht</strong>sformen <strong>in</strong>kl. „ELF“ zeigen<br />

$ Lehrpersonen, die ELF praktizieren, zeigen ke<strong>in</strong>e<br />

konstruktivistischere Lernorientierung als traditionell unterrichtende<br />

Lehrpersonen<br />

$ E<strong>in</strong> von Lehrpersonen zum Ziel erklärte Individualisierung des<br />

Lernens schlägt sich nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em verstärkt kognitiv aktivierenden<br />

und verstehensorientierten <strong>Unterricht</strong> nieder<br />

$ Ke<strong>in</strong>e bessere Aufgabenqualität und auch ke<strong>in</strong>e erhöhte Denk- und<br />

Problemlöseorientierung<br />

$ Gelegenheiten zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuell-adaptiven, Lernunterstützung<br />

werden nur begrenzt genutzt (Defizite <strong>in</strong> der Lehrerrolle)<br />

$ Kaum Interesse- und Fachleistungsunterschiede gegenüber<br />

traditionellem <strong>Unterricht</strong><br />

37<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Fazit: Die Potenziale offenerer <strong>Unterricht</strong>sformen für die<br />

<strong>in</strong>dividuelle Lernförderung werden suboptimal genutzt<br />

Die <strong>Unterricht</strong>sorganisation ist zwar flexibler geworden,<br />

jedoch ist die Qualität der Lernunterstützung und der<br />

damit e<strong>in</strong>her gehenden Mikroprozesse des<br />

Schülerlernens nicht unbed<strong>in</strong>gt besser geworden<br />

Weil die Reform h<strong>in</strong> zu offeneren <strong>Unterricht</strong>sformen vor<br />

allem auf lernorganisatorische Freiräume und kaum auf<br />

die psychologischen Tiefenschichten des<br />

Schülerlernens fokussiert hat, ist sie auf halbem Wege<br />

stehen geblieben.<br />

38<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Was es für e<strong>in</strong>en lernwirksamen <strong>Unterricht</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>heterogenen</strong> <strong>Klassen</strong> braucht, ist<br />

e<strong>in</strong>e erweiterte didaktische Aufmerksamkeit<br />

... auf die kognitiven und motivationalen Tiefenstrukturen des<br />

Lernens von Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern, se<strong>in</strong>e<br />

gegenstandsspezifischen Anforderungen, <strong>in</strong>dividuellen Verläufe,<br />

Schwierigkeiten und personalen Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Der geschulte psychologisch-fachdidaktische Blick auf die<br />

spezifischen Lernprozesse der Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

ist die Grundlage jeder wirksamen Lernunterstützung<br />

- und die Basis e<strong>in</strong>er erweiterten Lehrerrolle.<br />

39<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Wandel des didaktischen Rollenverständnisses von<br />

Lehrpersonen (<strong>Reusser</strong> 1999)<br />

Traditionelles<br />

Rollenverständnis:<br />

Lehrperson als Stoffdarsteller/<strong>in</strong><br />

– Planer/<strong>in</strong><br />

– <strong>Klassen</strong>-Instruktionsperson<br />

– Gestalter/<strong>in</strong> von Lernwegen<br />

– Überwacher/<strong>in</strong><br />

– Beurteiler/<strong>in</strong><br />

– Kommunikationsdirigent/<strong>in</strong><br />

Modell der direkten Instruktion<br />

Erweitertes Rollenverständnis:<br />

Lehrperson als Lerncoach<br />

– Kognitives Verhaltensmodell<br />

– Adaptives Lerngerüst, Coach<br />

– Lerndiagnostiker/<strong>in</strong><br />

– Lernberater/<strong>in</strong> und Moderator/<strong>in</strong><br />

– Partner/<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lerndialog<br />

– Gestalter/<strong>in</strong> von Lernumgebungen<br />

Modell der <strong>in</strong>direkten<br />

Instruktion<br />

Entwicklung von adaptiven Kompetenzen<br />

der didaktischen Kommunikation und der Lernunterstützung<br />

Erweiterung des eigenen didaktischen Repertoires<br />

40<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Übersicht<br />

1. Heterogenität als Normalfall - Neue<br />

Strategien des <strong>in</strong>stitutionellen Umgangs<br />

2. <strong>Unterricht</strong>squalität und Lernwirksamkeit -<br />

Wo ist Entwicklungsbedarf?<br />

3. Didaktischer Umgang mit Heterogenität<br />

41<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Der didaktische Dreischritt e<strong>in</strong>er “kognitiven<br />

Meisterlehre" (cognitive apprenticeship)<br />

MODELING<br />

Lehrperson Modellieren e<strong>in</strong>er<br />

Methode, Denkform<br />

Schüler/<strong>in</strong><br />

<strong>Reusser</strong> 1995<br />

Kontrolle - Steuerung<br />

Beobachten<br />

Nachmachen<br />

SCAFFOLDING<br />

COACHING<br />

Selektive Hilfe<br />

und Anleitung<br />

Angeleitetes, Hilfegestütztes<br />

Üben<br />

FADING<br />

Zurücktreten<br />

Selbständige Ausführungakademischer<br />

Tätigkeiten<br />

Kontrolle - Steuerung<br />

42<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Die Rolle des "Coachs" beim Lernen<br />

Lehrperson <strong>in</strong> der Funktion des Lernhelfers, Lerngerüsts und<br />

Lernberaters beim selbständigen Lernen<br />

! Diagnostiker und Analytiker von Lern- und Arbeitsprozessen<br />

! E<strong>in</strong>fühlender Zuhörer und Dialogpartner<br />

! Fragensteller, "Geburtshelfer"<br />

! Spiegel, der durch Feedback dem Lernenden dessen Verhalten<br />

reflektiert<br />

! Fachexperte, Agent der Realität<br />

! Expertenhaftes Verhaltensmodell und Lerngerüst<br />

! Motivator, Provokateur, Herausforderer der besten Kräfte des<br />

Lernenden<br />

! Häufig auch e<strong>in</strong> Therapeut, der e<strong>in</strong>em Lernenden aus e<strong>in</strong>er Krise<br />

hilft<br />

Effektive <strong>in</strong>dividuelle Lernberatung<br />

und -begleitung<br />

setzt e<strong>in</strong>e dreifache Kompetenz voraus:<br />

43<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

I das Verstehen der Sache und der Klippen ihrer<br />

Aneignung<br />

II das Verstehen (wollen) des/der Lernenden:<br />

Kognitive Empathie bzw. E<strong>in</strong>denken <strong>in</strong> die<br />

Lern- und Denkwelt des Schülers<br />

(Diagnostische Kompetenz)<br />

III Interaktionale Kompetenz: Fähigkeit zum<br />

Führen von Lehr-Lern-Dialogen<br />

44<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Adaptiver <strong>Unterricht</strong> und Individualisierung<br />

Adaptiver <strong>Unterricht</strong> als Sammelbegriff für Strategien und<br />

Verfahren der Differenzierung und Individualisierung von <strong>Unterricht</strong><br />

Differenzierung<br />

Individualisierung<br />

des Bildungs-<br />

Angebots<br />

der Nutzung<br />

des Angebots<br />

Äussere Differenzierung: Zuweisung zu<br />

Schultypen, Spezialschulen, -klassen<br />

Traditionelle Differenzierung: Zuweisung von Schülern<br />

zu Aufgaben, Gruppen, Lernzielanforderungen<br />

Natürliche Differenzierung: Strukturierten Zugänge zu<br />

Aufgaben und Lernangeboten schaffen<br />

variable Zeitbudgets und Sozialformen<br />

variable <strong>in</strong>struktionale Unterstützung und Lernhilfe<br />

Modifikation der <strong>in</strong>neren Bed<strong>in</strong>gungen des Lernens<br />

(Lernstrategien, Lernmotivation)<br />

45<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Zentrale Elemente beim didaktischen Umgang<br />

mit Heterogenität<br />

! Diagnose <strong>in</strong>dividueller Lernstände und Lerndefizite<br />

! Schaffung verschiedener Zugänge zum Lerngegenstand<br />

! B<strong>in</strong>nendifferenzierende und <strong>in</strong>dividualisierende Lernangebote und<br />

<strong>Unterricht</strong>sformen <strong>in</strong>kl. offener <strong>Unterricht</strong><br />

! Förderung von eigenverantwortlichem, <strong>in</strong>dividuellem und<br />

kooperativem Lernen<br />

! Die Lehrperson als adaptiver Coach und Lernberater<br />

! Individuelle Leistungsrückmeldungen<br />

! Besondere Förderung von leistungsschwachen und<br />

leistungsstarken Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern sowie von solchem<br />

mit besonderem Förderbedarf im Rahmen e<strong>in</strong>es Förderkonzepts<br />

! Balance zwischen Fördern und Fordern, zwischen (<strong>in</strong>struktionaler)<br />

Steuerung und eigenverantwortlichem Lernen<br />

Nach: Schreder, G. & Brömer, B. (2009)<br />

46<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Zentrale Elemente beim didaktischen Umgang<br />

mit Heterogenität<br />

! Diagnose <strong>in</strong>dividueller Lernstände und Lerndefizite<br />

! Schaffung verschiedener Zugänge zum Lerngegenstand<br />

! B<strong>in</strong>nendifferenzierende und <strong>in</strong>dividualisierende Lernangebote und<br />

<strong>Unterricht</strong>sformen <strong>in</strong>kl. offener <strong>Unterricht</strong><br />

! Förderung von eigenverantwortlichem, <strong>in</strong>dividuellem und<br />

kooperativem Lernen (offene <strong>Unterricht</strong>sformen)<br />

! Die Lehrperson als adaptiver Coach und Lernberater<br />

! Individuelle Leistungsrückmeldungen<br />

! Besondere Förderung von leistungsschwachen und<br />

leistungsstarken Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern sowie von<br />

solchem mit besonderem Förderbedarf im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />

Förderkonzepts<br />

! Balance zwischen Fördern und Fordern, zwischen (<strong>in</strong>struktionaler)<br />

Steuerung und eigenverantwortlichem Lernen<br />

Nach: Schreder, G. & Brömer, B. (2009)<br />

„Individuelle Lernförderung“ (IF)<br />

3 <strong>Klassen</strong>lehrpersonen<br />

1 IF-Lehrer<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em verfügbaren IF-Pool von 10 Wochenstunden<br />

1 Logopäd<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em Pool von 8 Stunden<br />

47<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

entwickeln zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Quartals im Team für 6 Schüler (3. bis 8. Klasse)<br />

<strong>in</strong>dividuelle Förderpläne für spezifische Themen <strong>in</strong> den Bereichen Mathematik<br />

und Sprache<br />

Später werden auch die Schüler/<strong>in</strong>nen und ihre Eltern <strong>in</strong> die Planung<br />

e<strong>in</strong>bezogen; ggf wird der Förderplan als Lernvertrag geme<strong>in</strong>sam<br />

unterzeichnet<br />

48<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Arbeitsformen <strong>in</strong> der Integrativen Förderung<br />

c) Die Schulische Heilpädagog<strong>in</strong> unterrichtet<br />

im IF- Zimmer e<strong>in</strong>e Gruppe von K<strong>in</strong>dern mit<br />

speziellen Bedürfnissen.<br />

(Quelle: Amt für Volksschulbildung Kanton Luzern. Integrative Förderung. S. 15)<br />

Personalisierte Lernumgebungen - Utopie oder<br />

Kernidee e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>klusiven Volksschule?<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Das pädagogische Postulat der Individualisierung<br />

konsequent umzusetzen würde heissen, für jede/n<br />

Schüler / jeder Schüler<strong>in</strong> e<strong>in</strong> eigenes Lernprogramm /<br />

Förderprogramm zu entwickeln und im <strong>Unterricht</strong><br />

umzusetzen.<br />

! e<strong>in</strong>e Utopie?<br />

! notwendig, z.B. bei Risikoschülern<br />

der Sekundarstufe => ...<br />

50<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


„Case management“: Früherkennung und Begleitung von<br />

Jugendlichen, deren spätere Integration <strong>in</strong> die Berufsbildung gefährdet<br />

ersche<strong>in</strong>t<br />

(Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement. Bundesamt für Berufsbildung<br />

und Technologie BBT (2007). Case Management Berufsbildung)<br />

„Case management“ (Fallführung)<br />

51<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Im Berufsbildungsbereich ist Case Management zu<br />

umschreiben als e<strong>in</strong> strukturiertes Verfahren, um<br />

adäquate Massnahmen für Jugendliche sicher zu<br />

stellen, deren E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Berufswelt stark gefährdet<br />

ist<br />

Früherkennung von Jugendlichen, deren spätere<br />

Integration <strong>in</strong> die Berufsbildung gefährdet se<strong>in</strong> könnte.<br />

52<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Zugänge schaffen über Lernaufgaben<br />

Beispiel: „Riesenschuhe“<br />

Gute Lernaufgaben (<strong>Reusser</strong>, 2006)<br />

Aus: Blum, Werner. Möglichkeiten und<br />

Probleme für Modellieren im<br />

Mathematikunterricht - neue Blicke auf<br />

e<strong>in</strong> altes Thema<br />

Vortrag an der ETH, 14.12.2006<br />

• Wie gross wäre der<br />

Riesenmensch<br />

ungefähr, dem dieses<br />

Paar Schuhe passen<br />

würde? Beschreibe<br />

de<strong>in</strong>en Lösungsweg.<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

! lassen sich auf unterschiedlichen Niveaus lösen<br />

! s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>heterogenen</strong> <strong>Klassen</strong> e<strong>in</strong>setzbar für schwächere<br />

und starke Schüler/<strong>in</strong>nen<br />

! repräsentieren fachliche Kernideen<br />

! besitzen Motivierungsqualität: durch Authentizität,<br />

Alltagsbezug, Rätselcharakter, Humor ...<br />

! erlauben unterschiedliche Denk- und Lernwege<br />

! laden e<strong>in</strong> zu Exploration, Problemlösen und kooperativem,<br />

<strong>in</strong>teraktivem Lernen<br />

! tra<strong>in</strong>ieren Problemlöse- und Lernstrategien<br />

Attraktive Lernaufgaben stellen e<strong>in</strong>e der zentralen<br />

Herausforderungen bei fast allen Formen<br />

e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>dividualisierten und „offeneren“ <strong>Unterricht</strong>s dar!<br />

54<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Unten stehende DVD kann auf der Homepage bestellt werden<br />

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit!<br />

http://www.didac.uzh.ch/<br />

55<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

56<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Literatur<br />

Allemann-Ghionda, C, Auernheimer, G. & Grabbe, H. (2006). Beobachtung und Beurteilung <strong>in</strong><br />

soziokulturell und sprachlich <strong>heterogenen</strong> <strong>Klassen</strong>. Die Kompetenzen der Lehrpersonen. Zeitschrift für<br />

Pädagogik, 52, 51. Beiheft, 250-266.<br />

Amt für Volksschulbildung Kanton Luzern (2008). Integrative Förderung. Luzern: Bildungs- und<br />

Kulturdepartement, Amt für Volksschulbildung.<br />

Barber, M. & Mourshed, M. (2007). How the world’s best-perform<strong>in</strong>g school systems come out on top.<br />

Mc K<strong>in</strong>sey & Company. Verfügbar unter:<br />

http://www.mck<strong>in</strong>sey.com/clientservice/socialsector/resources/pdf/Worlds_School_Systems_F<strong>in</strong>al.pdf<br />

[Stand: 01.09.2008].<br />

Blum, W. (2006). Möglichkeiten und Probleme für Modellieren im Mathematikunterricht - neue Blicke<br />

auf e<strong>in</strong> altes Thema. Vortrag an der ETH Zürich, 14.12.2006. Zürich: Eidgenössische Technische<br />

Hochschule (ETH).<br />

Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT (2007). Case Management Berufsbildung.<br />

Grundsätze und Umsetzung <strong>in</strong> den Kantonen. Bern: Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement,<br />

Bundesamt für Berufsbildung und Technologie, Berufsbildung.<br />

Clausen, M., <strong>Reusser</strong>, K. & Klieme, E. (2003). <strong>Unterricht</strong>squalität auf der Basis hoch-<strong>in</strong>ferenter<br />

<strong>Unterricht</strong>sbeurteilungen. E<strong>in</strong> Vergleich zwischen Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz.<br />

<strong>Unterricht</strong>swissenschaft, 31 (2), 122-141.<br />

Literatur<br />

57<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich<br />

Croci, A., Imgrüth, P., Landwehr, N. & Spr<strong>in</strong>g, K. (1995). ELF – e<strong>in</strong> Projekt macht Schule. Magaz<strong>in</strong><br />

zum Thema erweiterte Lernformen. Aarau: Nordwestschweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz.<br />

Fend, H. (1998). Qualität im Bildungswesen. Schulforschung zu Systembed<strong>in</strong>gungen, Schulprofilen<br />

und Lehrerleistung. We<strong>in</strong>heim: Juventa.<br />

Hattie, J. (2003). Teachers Make a Difference: What ist the research evidence? Australian Council for<br />

Educational Research Annual Conference on: Build<strong>in</strong>g Teacher Quality. Auckland: University of<br />

Auckland.<br />

Krammer, K., Hugener, I. & <strong>Reusser</strong>, K. (2007). Adaptiver <strong>Unterricht</strong> mit Arbeitsplänen. DVD 3.<br />

Zürich: Universität Zürich, Institut für Erziehungswissenschaft.<br />

Kronig, W. (2007). Die systematische Zufälligkeit des Bildungserfolgs: theoretische Erklärungen und<br />

empirische Untersuchungen zur Lernentwicklung und zur Leistungsbewertung <strong>in</strong> unterschiedlichen<br />

Schulklassen. Bern: Haupt.<br />

Pauli, C., <strong>Reusser</strong>, K., Waldis, M. & Grob. U. (2003). Erweiterte Lehr- und Lernformen im<br />

Mathematikunterricht der Deutschschweiz. <strong>Unterricht</strong>swissenschaft, 31 (4), 291-320.<br />

<strong>Reusser</strong>, K. (1995). Lehr-Lernkultur im Wandel: Zur Neuorientierung <strong>in</strong> der kognitiven Lernforschung.<br />

In R. Dubs & R. Dörig (Hrsg.), Dialog Wissenschaft und Praxis. Berufsbildungstage St. Gallen (S.164-<br />

190). St. Gallen: Universität St. Gallen, Institut für Wirtschaftspädagogik IWP.<br />

<strong>Reusser</strong>, K. (1999). „Und sie bewegt sich doch“ – Aber man behalte die Richtung im Auge. Zum<br />

Wandel der Schule und zum neu-alten pädagogischen Rollenverständnis von Lehrer<strong>in</strong>nen und<br />

Lehrern. die neue Schulpraxis, 7/8, 11-15.<br />

58<br />

© Prof. Dr. Kurt <strong>Reusser</strong>, Universität Zürich


Literatur<br />

<strong>Reusser</strong>, K. & Pauli, C. (2003). Mathematikunterricht <strong>in</strong> der Schweiz und <strong>in</strong> weiteren sechs Ländern.<br />

Bericht über die Ergebnisse e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen und schweizerischen Video-<strong>Unterricht</strong>sstudie.<br />

Doppel-CD-ROM. Zürich: Universität Zürich.<br />

<strong>Reusser</strong>, K. (2006). Konstruktivismus – vom epistemologischen Leitbegriff zur Erneuerung der<br />

didaktischen Kultur. In M. Baer, M. Fuchs, P. Füglister, F. <strong>Reusser</strong> & H. Wyss (Hrsg.), Didaktik auf<br />

psychologischer Grundlage. Von Hans Aeblis kognitionspsychologischer Didaktik zur modernen Lehrund<br />

Lernforschung (S. 151-168). Bern: h.e.p.<br />

<strong>Reusser</strong>, K. (2009). <strong>Unterricht</strong>. In S. Andresen, R. Casale, T. Gabriel, R. Horlacher, S. Larcher Klee &<br />

J. Oelkers (Hrsg.), Handwörterbuch Erziehungswissenschaft (S. 881-896). We<strong>in</strong>heim: Beltz.<br />

<strong>Reusser</strong>, K., Pauli, C. & Waldis, M. (im Druck). <strong>Unterricht</strong>sgestaltung und <strong>Unterricht</strong>squalität –<br />

Ergebnisse e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalen und schweizerischen Videostudie zum Mathematikunterricht.<br />

Münster: Waxmann.<br />

Schreder, G. & Brömer, B. (2009). Dimension VI.3. Umgang mit <strong>heterogenen</strong> Lernvoraussetzungen.<br />

In Hessisches Kultusm<strong>in</strong>isterium , Institut für Qualitätsentwicklung (Hrsg.), Lehren und Lernen.<br />

Erläuterungen und Praxisbeispiele zum Qualitätsbereich VI des Hessischen Referenzrahmens<br />

Schulqualität (S. 43-63). Wiesbaden: Druckerei des Amtes für Lehrerbildung.<br />

Stanat, P. (2006). Schulleistungen von Jugendlichen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund: die Rolle der<br />

Zusammensetzung der Schülerschaft. In S. Baumert, P. Stanat & R. Watermann (Hrsg.),<br />

Herkunftsbed<strong>in</strong>gte Disparitäten im Bildungswesen: Differenzielle Bildungsprozesse und Probleme der<br />

Verteilungsgerechtigkeit. Verteilende Analysen im Rahmen von PISA 2000 (S. 189-219). Wiesbaden:<br />

VS Verlag für Sozialwissenschaften. 59<br />

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