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Historischer Exkurs - Schreinerhandwerk Bayern

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<strong>Historischer</strong> <strong>Exkurs</strong><br />

Die Entwicklung des Handwerks und seiner Organisationen seit dem Mittelalter<br />

Von Eckhard Heyelmann<br />

Der goldene Boden<br />

Das städtische Handwerk war<br />

vom Spätmittelalter bis zur Einführung<br />

der Gewerbefreiheit im 19.<br />

Jahrhundert in Interessenvereinigungen,<br />

den Zünften, organisiert. Diese<br />

garantierten ökonomische und soziale<br />

Sicherheit, berufliche Bildung,<br />

handwerkliche Erfahrung und Tradition,<br />

kulturelle Identität und religiöse<br />

Gemeinschaft. Gleichzeitig fungierten<br />

die Zünfte mit Unterstützung<br />

der Städte und Landesfürsten<br />

als Instrumente städtischer Wirtschaftspolitik,<br />

indem sie die Versorgung<br />

der Bevölkerung gewährleisteten<br />

und Kunden sowie Käufer vor<br />

finanzieller Übervorteilung schützten.<br />

Mittel dieses marktbeherrschenden<br />

und politischen Einflusses<br />

waren zum einen der den Zünften<br />

verliehene sogenannte „Zunftzwang“.<br />

Darunter wurde das Recht<br />

verstanden, jeden Handwerker, der<br />

ein Zunftgewerbe betrieb, zum Eintritt<br />

in die Zunft und zur Einhaltung<br />

der „Zunftstatuten“ zu zwingen.<br />

Als Ordnungsinstitutionen regelten<br />

die Zünfte bis ins Kleinste die<br />

berufliche Tätigkeit ihrer Mitglieder,<br />

die von der Privatsphäre nicht zu<br />

trennen war. Sie legten die gültigen<br />

Ausbildungsrichtlinien und die<br />

Anforderungen für Gesellen- und<br />

Meisterprüfung fest, regelten die<br />

Konkurrenz durch strenge Niederlassungsbestimmungen,<br />

bestimmten<br />

die Arbeitszeit, den Werkstoffeinkauf,<br />

die Menge und Qualität der<br />

Warenproduktion, grenzten den<br />

Bereich der verschiedenen Arbeitsgebiete<br />

ab, traten als Schiedsstelle<br />

bei Streitigkeiten auf und waren<br />

Sprachrohr und Vermittler gegenüber<br />

der Obrigkeit . Der Geltungsbereich<br />

der schriftlich niedergelegten<br />

Zunftordnungen erstreckte sich prinzipiell<br />

auf alle im Handwerk Tätigen,<br />

Verstöße dagegen wurden hart<br />

geahndet. Die außerzünftigen „Pfuscher“,<br />

“Stümper“ oder „Störer“<br />

standen abseits vom Schutz der<br />

Gemeinschaft und wurden von dieser<br />

mit unterschiedlichem Erfolg<br />

bekämpft und bestraft. In den<br />

Landstädten und –märkten fand das<br />

Zunftsystem der großen Städte und<br />

Residenzen in eigenen Verbänden<br />

seinen Niederschlag.<br />

Im 14.-16. Jahrhundert - in ihrer<br />

Blütezeit - waren die Zünfte wirtschaftlich<br />

und sozial so bedeutsam<br />

und selbstbewusst geworden, dass<br />

sie sich gegen die feudalen Stad-<br />

therren nach zünftiger Autonomie<br />

und rechtlich politischer Teilhabe an<br />

der bürgerlichen Ratsherrschaft<br />

bemühten und diese in vielen Fällen<br />

auch bekamen. Das Handwerk war<br />

Kernstück des Mittelstandes, Zunftzwang,<br />

Zunftordnung und die Tätigkeit<br />

der Meister hatten eine verstärkte<br />

wirtschaftliche Produktion<br />

zur Folge. Damit wurden der Wohlstand<br />

aller Gewerke jener Jahre und<br />

die kulturelle und wirtschaftliche<br />

Blüte der Städte gefördert.<br />

In der Zeit der Gotik war es<br />

zunächst die alte Oberschicht – adlige<br />

Landesherren und vor allem der<br />

Klerus – die als Auftraggeber z.B.<br />

für Chorgestühle und Altäre höhere<br />

Anforderungen an die schreinerische<br />

Kunstfertigkeit und Geschikklichkeit<br />

stellte. Mit der Erfindung<br />

der Sägemühle zu Beginn des 14.<br />

Jahrhunderts war das Schneiden<br />

dünner Bretter möglich. Dies bildete<br />

die Voraussetzung für die Einführung<br />

des Rahmenbaus, der eine der<br />

markantesten Zäsuren im Möbelbau<br />

darstellte.<br />

Die verfeinerte Wohnkultur und<br />

ein daraus entstandener vermehrter<br />

Bedarf des wohlhabenden Bürgertums<br />

nach Ausstattung der Räume<br />

105


mit verbesserten Innenausbauten<br />

und Möbeln führte dazu, dass sich<br />

das Tischlerhandwerk, das zunächst<br />

in einem natürlichen Verband mit<br />

anderen verwandten Gewerben der<br />

Holzbearbeitung, vor allem mit der<br />

Zimmerei stand, aus dem Zimmermannsberuf<br />

entwickelte. Um 1308<br />

taucht erstmalig die Bezeichnung<br />

Tischler (weitere Namen u.a. Kistler,<br />

Kästner, Schreiner) auf. Kistler- und<br />

Schreinerzünfte gibt es seit etwa<br />

1400. In der Folge blieben dem Zimmermann<br />

die rohen, genagelten,<br />

derberen Arbeiten, die feinere und<br />

die geleimte Arbeit war Sache des<br />

Schreiners. Bevor es zu einer klaren<br />

Abgrenzung und Verselbständigung<br />

des Tischlerhandwerks kam, ist es<br />

zweifellos zu harten Zunftkämpfen<br />

gekommen.<br />

Unter den Auswirkungen großer<br />

Entdeckungen und Erfindungen im<br />

14.-15.Jahrhundert sowie durch den<br />

Einfluß von Renaissance und Humanismus,<br />

die gleichermaßen auf antike<br />

Quellen zurückgreifen, änderte<br />

sich das Weltverständnis. Es<br />

erwuchsen eine auf den Menschen<br />

gerichtete, das Diesseits bejahende<br />

Lebensauffassung und Kultur.<br />

Zunehmender Wohlstand in den<br />

106<br />

Städten führte zu gesteigerten<br />

Bedürfnissen nach geistigen und<br />

kulturellen Werten und der Nachfrage<br />

nach einer Vielfalt von hochentwickelten<br />

hand- und kunsthandwerklichen<br />

Erzeugnissen. Dies hatte<br />

eine Aufgliederung der Stammhandwerke<br />

in weitere spezialisierte<br />

Berufstätigkeiten und einen Aufschwung<br />

der Gewerbe zur Folge.<br />

Letztlich führte es auch zu einer Blütezeit<br />

des deutschen Kunstgewerbes,<br />

das in der innigen Verbindung<br />

von Kunst und Handwerk seine<br />

Stärke hatte. Auch das städtische<br />

<strong>Schreinerhandwerk</strong> brachte in dieser<br />

Phase herausragende Leistungen in<br />

der Formgebung und Ausführung<br />

von gediegenen Möbeln hervor, z.B<br />

in Nürnberg und Augsburg. Man<br />

nahm aus Italien Gestaltungsprinzipien<br />

für die Flächengliederung und<br />

neue Techniken wie z.B. die Intarsia<br />

auf und setzte sie in eigenständigen<br />

Entwürfen um. Einige Schreinereien<br />

entwickelten sich zu Kunstschreinereien,<br />

und so wurde der Schreiner<br />

zum Kunstschreiner, zum Ebenisten.<br />

Die Kunstschreiner jener Zeit waren<br />

gerühmt und gesucht. Fürsten hielten<br />

sich eigene Hofebenisten (so<br />

benannt nach den Ebenholzmöbeln)<br />

nicht zuletzt, um die strenge Regle-<br />

mentierung der Zünfte zu umgehen.<br />

Zeichen des Verfalls<br />

Schon in der Zeit, in der das<br />

Handwerkertum seinen Höhepunkt<br />

erreichte, als Wohlhabenheit und<br />

Bürgerstolz weit verbreitet waren,<br />

zeigten sich die ersten Zeichen des<br />

Niedergangs.<br />

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts<br />

wurden die Zunftbestimmungen<br />

immer kleinlicher und engherziger,<br />

die Vergehen gegen diese<br />

Bestimmungen zunehmend strenger<br />

geahndet. Die einschneidenden Produktions-<br />

und Verkaufsbestimmungen<br />

sollten zwar dem Handwerker<br />

helfen, in Wirklichkeit erwiesen sie<br />

sich jedoch in der Folge als Hemmschuh.<br />

Sie erwuchsen letztlich aus<br />

der Konkurrenzangst der eingesessenen<br />

Meister.<br />

Um den enger werdenden<br />

Lebensraum in den Städten für die<br />

bereits Selbständigen abzusichern,<br />

versperrte man vielfach den Gesellen<br />

zunehmend mehr den Aufstieg<br />

in die Selbständigkeit dadurch, dass<br />

die Zugangsvoraussetzungen zur<br />

Zunft höher gesetzt wurden. In zeitlicher<br />

Hinsicht durch Forderungen<br />

an eine längere Dauer der Ausbildungs-<br />

und Gesellenzeit sowie der


Wanderschaft, in finanzieller Hinsicht<br />

durch unangemessen hohe<br />

Forderungen an Aufnahmegebühren<br />

und oft zudem durch den verbürgten<br />

Nachweis der Verfügung<br />

über beträchtliches eigenes Vermögen.<br />

Vom ausgehenden 16. bis zum<br />

beginnenden 17. Jahrhundert wurden<br />

die Zunftschranken immer starrer,<br />

es entstanden sog. „geschlossene<br />

Zünfte“. Das bedeutete, dass<br />

eine Höchstzahl an Meistern pro<br />

Zunft festgesetzt wurde. Der Erwerb<br />

der Meisterschaft wurde damit<br />

erschwert und fremden, zugewanderten<br />

Gesellen oft unmöglich<br />

gemacht. Gleichzeitig schwächte<br />

sich das soziale Pflichtbewußtsein<br />

ab, und die Zünfte erstarrten in Formalismus,<br />

Geldstrafensystemen und<br />

anderen regulierenden Maßnahmen.<br />

Diese Entwicklung brachte das<br />

Handwerk und die Zünfte in Mißkredit.<br />

Diese ersten inneren Anzeichen<br />

des Niedergangs verstärkten sich<br />

deutlich durch äußere in der folgenden<br />

Zeit des Dreißigjährigen Krieges<br />

(1618-1648), der die Bevölkerung<br />

durch Tod und Krankheiten drastisch<br />

dezimierte, viele Städte und<br />

Dörfer zerstörte, Elend und wirt-<br />

schaftliche Armut in einem bisher<br />

nicht gekannten Ausmaß mit sich<br />

brachte und in dem Gewerbe und<br />

Handel weitgehend zum Erliegen<br />

kamen. In manchen Städten führte<br />

er das Handwerk seiner völligen<br />

Auflösung entgegen. Viele handwerkliche<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

gingen ganz verloren, Materialgefühl,<br />

Maßbewußtsein, Formempfinden,<br />

Füge- und Verbindungstechniken<br />

sowie Geschmack und künstlerische<br />

Fertigkeiten verkümmerten,<br />

die Kunst verödete. Erst viel später<br />

wurde einiges von der Kunstfertigkeit<br />

der Werkstätten wieder entdeckt<br />

oder durch die Einwanderer<br />

der kommenden Jahrzehnte wiederbelebt.<br />

In den bayerischen Landschaften<br />

führten Truppendurchzüge<br />

zu schweren Schäden, ehe sie<br />

besonders in den Jahren ab 1631<br />

von feindlichen Soldaten besetzt<br />

und verwüstet wurden.<br />

Im „Westfälischen Frieden“ wurden<br />

den deutschen Reichsfürsten<br />

und den reichsfreien Städten die<br />

volle Landeshoheit und ein Bündnisrecht<br />

zugestanden. Dies führte zu<br />

einer weiteren Aufspaltung<br />

Deutschlands in zahllose Einzelstaaten.<br />

Das Oberhaupt des Reiches, der<br />

Kaiser, war nahezu völlig machtlos<br />

geworden. Die politische Macht verlagerte<br />

sich jetzt von den Städten<br />

auf die Territorialfürsten, der<br />

Anspruch der Stände als organisierter<br />

Körperschaft auf politische Mitbestimmung<br />

wurde weitgehend<br />

beseitigt, das Gleichgewicht zwischen<br />

Fürst und den drei Landständen<br />

(Adel, Geistlichkeit und Städte)<br />

zugunsten der souveränen Fürsten<br />

verschoben.<br />

Die Behebung der Schäden des<br />

30-jährigen Krieges erforderten in<br />

besonderem Maße das Eingreifen<br />

der Landesherren, dies führte zur<br />

Ausbildung des „höfischen“ oder<br />

„fürstlichen“ Absolutismus, der<br />

Regierungsform des Barock, wie er<br />

sich beispielhaft unter Ludwig XIV,<br />

dem „Sonnenkönig“, herausgebildet<br />

hatte.<br />

Früher als im übrigen Deutschland<br />

kommt es in <strong>Bayern</strong> zur Entfaltung<br />

des Absolutismus. Schon zu<br />

Beginn des 17. Jahrhunderts war es<br />

hier zu einer Machtkonzentration<br />

auf den Landesherrn gekommen,<br />

dem 1623 die Kurwürde verliehen<br />

worden war. Die Stände wurden<br />

entmachtet, die Verwaltung modernisiert,<br />

eine moderne Armee ins<br />

107


Leben gerufen und ein Landrecht<br />

organisiert, das die Rechtseinheit in<br />

<strong>Bayern</strong> herstellte. Die Wirren des<br />

30-jährigen Krieges hatten den Ausbau<br />

des modernen Staatswesens<br />

mit absolutistischer Prägung<br />

gebremst, jetzt konnte er zügig fortgesetzt<br />

und vollendet werden. An<br />

die Verwaltungszentren zogen Adel,<br />

Beamtentum und Offiziere und<br />

prägten nun das Bild der Residenzstädte.<br />

In der Folgezeit bestimmte<br />

das Streben nach einer Rangerhöhung<br />

des Kurfürsten die bayerische<br />

Politik.<br />

Höfisches Fest, höfisches Zeremoniell<br />

und repräsentative Schloßbauten<br />

verliehen dem fürstlichen<br />

Machtanspruch sichtbaren Ausdruck.<br />

In <strong>Bayern</strong> wird München das<br />

einflußreichste Kunstzentrum. Die<br />

älteren Sitze kunstgewerblicher Produktion,<br />

Städte wie Augsburg und<br />

Nürnberg, sind nur mehr Sitz der<br />

ausführenden Meister. Bei der Ausstattung<br />

mit Möbeln bilden<br />

zunächst italienische, später vor<br />

allem französische Importe Vorbilder<br />

für die einheimische Produktion.<br />

Paris wurde die hohe Schule der<br />

Kunstschreiner. Man liess sich, wenn<br />

es etwas Besonderes galt, zuweilen<br />

Ebenisten von dort kommen oder<br />

108<br />

schickte die seinen dorthin, um sie<br />

ausbilden zu lassen. Für die Ausstattung<br />

der Bauten werden eigene<br />

große Hofschreinereien gegründet,<br />

an denen besonders qualifizierte<br />

Meister und Gesellen beschäftigt<br />

wurden. Es entstehen Möbel, die<br />

den höfischen Anforderungen entsprechend<br />

Schönheit, Pracht sowie<br />

Kraft und Pathos ausdrücken. Auch<br />

der Bequemlichkeit wird durch Polsterung<br />

von Stühlen und Sesseln<br />

jetzt Rechnung getragen. Eine in<br />

Frankreich entwickelte Einlegetechnik<br />

auf holzfremden Materialien, die<br />

sog. Boulle-Technik, wird eingeführt,<br />

vielfach angewendet und<br />

kommt wie die weiterentwickelte<br />

Furniertechnik zur Blüte. In der Folgezeit<br />

des Rokoko werden der<br />

Ornamentreichtum größer, das<br />

Dekor extravagant und exotisch, die<br />

Motive häufig fernöstlicher Kunst<br />

entlehnt. Das Mobiliar wird ergänzt<br />

und steht in Bezug zur Innenarchitektur,<br />

die Raumgestaltung verwandelt<br />

Schwere und Pathos des<br />

Barocks in Anmut, Grazie und heiter-festliche<br />

Leichtigkeit. In den Zentren<br />

München, Würzburg , Bayreuth<br />

u.a. fanden neben Kunstschreinerei<br />

verwandte Gewerbe der Holzbearbeitung<br />

wie die Schnitzerei, Bildhau-<br />

erei und Vergolderei in dem üppigen<br />

Schmuck-und Rankenwerk des<br />

Rokokostils reiche Aufgaben.<br />

Zur Finanzierung dieser Aufgaben<br />

reichten die Einnahmen des<br />

Kurfürsten und die Beiträge der<br />

Landstände nicht aus. Eine staatliche<br />

Wirtschaftspolitik, die auf die<br />

Stärkung und Förderung der Wirtschafts-<br />

und Finanzkraft des Staates<br />

abzielte (Merkantilismus), sollte<br />

Abhilfe schaffen. Dahinter standen<br />

die Bestrebungen der Landesfürsten,<br />

die gewerbliche Produktion<br />

und ihren Export zu fördern und<br />

gleichzeitig die Importe einzuschränken,<br />

umgekehrt bei Rohstoffen.<br />

Ziel war es, durch Exportüberschuß<br />

eine aktive Handelsbilanz zu<br />

erreichen. Die Gewerbepolitik sah in<br />

erster Linie die Gründung und Förderung<br />

arbeitsteilig arbeitender<br />

Großbetriebe (Manufakturen) vor,<br />

die durch die Bildung von Monopolen<br />

und Schutzzöllen gegenüber der<br />

ausländischen Konkurrenz wettbewerbsfähig<br />

gemacht werden sollte.<br />

Erst in zweiter Linie galt das Interesse<br />

der Förderung, Weiterentwikklung<br />

und dem Wohlergehen des<br />

zünftigen Handwerks. Die Synthese<br />

von Absolutismus und aufgeklärtem


Gedankengut, der sogenannte<br />

"aufgeklärte" Absolutismus, entsprach<br />

in <strong>Bayern</strong> nur sehr bedingt<br />

dem Staatsverständnis des Fürsten.<br />

Er blieb bei den Folgerungen, die<br />

sich aus seinem Selbstverständnis<br />

„von Gottes Gnaden“ ergaben und<br />

betrachte den Staat als seinen Privatbesitz.<br />

Während die Zünfte früher einmal<br />

ein wichtiges tragendes Element<br />

der Staatsgewalt dargestellt<br />

hatten, erstarrten sie jetzt zu<br />

inhaltsleeren Formen und traten<br />

nun immer mehr in Widerspruch zur<br />

wachsenden absoluten Staatsidee<br />

In dieser Wechselwirkung von<br />

äußeren Einflüssen und innerem<br />

Verharren wuchsen die<br />

Verkrustung und der Stillstand<br />

im Handwerk, und die Missbräuche<br />

der ehemals sinnvollen und ehrlichen<br />

Gebote wurden in verstärktem<br />

Maße von den Landesherren<br />

nicht mehr toleriert. Um gegen die<br />

allgemeine Verelendung und die<br />

durch die Zunftordnungen bedingten<br />

Mängel vorzugehen, wurde <strong>Bayern</strong><br />

bereits durch den Reichstagsabschied<br />

von 1654 die Neuregelung<br />

seines Handwerkswesens übertragen.<br />

Die landesherrliche Staatsgewalt<br />

reichte aber zu diesem Zeit-<br />

punkt nicht immer aus, um Regelungen<br />

zur Behebung von Mißbräuchen<br />

gegen den Widerstand der<br />

Zünfte und der Städte durchzusetzen<br />

und durchzuführen.<br />

1672 beriet der Reichstag das<br />

Reichsgutachten zur Abstellung der<br />

Handwerksmißbräuche, es bildete<br />

die Grundlinie, auf der sich die<br />

Gewerbegesetzgebung des 18.<br />

Jahrhunderts bewegte. Die immer<br />

stärkere Einflussnahme auf die<br />

Zunftgesetzgebungen fand 1731<br />

ihren ersten Abschluss im Reichsbeschluss,<br />

der großen “Reichszunftordnung”.<br />

Mit ihr wurden zentrale<br />

Privilegien angegriffen, da sie u. a.<br />

die ständische Gerichtsbarkeit und<br />

das Versammlungsrecht einschränkte,<br />

den schriftliche Verkehr von<br />

Zunft zu Zunft ebenso verbot wie<br />

den „blauen Montag“. Damit<br />

wurde die Autonomie der Zünfte<br />

beseitigt, und sie wurden unter<br />

staatliche Kontrolle gestellt.<br />

Zwar ließen sich die Bestimmungen<br />

des Gesetzes in den Reichsstädten<br />

und Territorien nicht durchsetzen,<br />

die alten Verhältnisse blieben,<br />

aber die Verrechtlichung des Handwerks<br />

hatte damit ihren Anfang<br />

genommen. Die Zünfte verloren in<br />

der Folge ihre Bedeutung als Selbstverwaltungskörperschaften<br />

und,<br />

bedingt durch die ökonomische Entwicklung<br />

(Ausbildung des Verlagsund<br />

Manufakturwesens), an politischer<br />

und ökonomischer Macht.<br />

Die Gewerbefreiheit<br />

und ihre Folgen<br />

Die Verhältnisse änderten sich<br />

unter dem Einfluß der amerikanischenMenschenrechtserklärung(1776),<br />

des Gedankenguts der<br />

Aufklärung (Thomas Hobbes und<br />

John Locke) und des darin wurzelnden<br />

Liberalismus (Adam Smith) und<br />

vor allem den Folgen der französischen<br />

Revolution (1789-99) und den<br />

Auswirkungen der Napoleonischen<br />

Herrschaft und Kriege (1799-1815)<br />

sowie mit der beginnenden „industriellen<br />

Revolution“.<br />

Gewerbefreiheit wurde in<br />

Deutschland zunächst Anfang des<br />

19. Jahrhunderts in jenen Regionen<br />

eingeführt, die sich während der<br />

Zeit Napoleons I. unter französischer<br />

Herrschaft befanden. Es war<br />

erkannt worden, dass die staatliche<br />

Wirtschaftslenkung im merkantilistischen<br />

System mit seinen Ständebindungen<br />

Kräfte für die wirtschaftli-<br />

109


che Entwicklung lahmlegte.<br />

Als erster Staat folgte Preußen<br />

über die Einführung einer Gewerbesteuer<br />

durch Edikte von 1810 und<br />

1811, orientiert am französischen<br />

Vorbild und unter dem Druck der<br />

Finanznot des Königreichs, die neue<br />

Steuerquellen zu erschließen zwang.<br />

Die Kriegsniederlage 1806/7 und die<br />

dabei erlittenen großen Gebietsverluste<br />

bewirkten grundlegende innere<br />

Reformen (Stein/Hardenberg)<br />

auch des Gewerbewesens.<br />

Voraussetzung für den Betrieb<br />

eines Gewerbes wurde der Erwerb<br />

eines Gewerbescheines. Die zuvor<br />

geforderte Mitgliedschaft in einer<br />

Zunft (Zunftzwang) bzw. das bisherige<br />

Verfahren einer behördlichen<br />

Genehmigung (Konzession) wurde<br />

aufgehoben. Nur einige polizeiliche<br />

Beschränkungen wurden aufrecht<br />

erhalten. Die Zünfte blieben als freie<br />

Körperschaften bestehen. In Preußen<br />

forderte schon kurz nach dem<br />

Befreiungskrieg (1815) der Freiherr<br />

von Stein die Zurückführung der<br />

Gewerbefreiheit in gesetzmäßige<br />

Grenzen. Unter dem Eindruck der<br />

nicht mehr zu übersehenden Mißstände<br />

auf handwerklichem Gebiet<br />

schränkte Preußen in der Gewerbeordnung<br />

von 1845 und nochmals<br />

110<br />

mehr in der Ergänzungsverordnung<br />

von 1849 die Gewerbefreiheit wieder<br />

ein. Für eine große Anzahl von<br />

Gewerben wurde die Zulassung<br />

davon abhängig gemacht, ob der<br />

interessierte Handwerker einen<br />

Befähigungsnachweis erbringt. Die<br />

Gesellen und Gehilfen wurden<br />

gesetzlich verpflichtet, nur bei Meistern<br />

ihres Fachs Arbeit aufzunehmen.<br />

Die Innungen (der Begriff<br />

taucht hier erstmals auf) hatte das<br />

alleinige Recht der Lehrlingsaufsicht.<br />

Eine entschieden wieder liberalere<br />

Wende dieser Gewerbepolitik sollte<br />

erst zwanzig Jahre später erfolgen.<br />

Für die Entwicklung des modernen<br />

Staatsbayern ist die französische<br />

Revolution besonders prägend.<br />

<strong>Bayern</strong> geht als der Hauptnutznießer<br />

aus der von Napoleon eingeleiteten<br />

„politischen Flurbereinigung“(Säkularisation<br />

und Mediatisierung)<br />

hervor. Das alte Kurfürstentum<br />

<strong>Bayern</strong> hatte nur Ober- und<br />

Niederbayern sowie die Oberpfalz<br />

umfaßt, Gebiete mit einer geschlossen<br />

katholischen Bevölkerung. Nach<br />

1803 wurde das bayerische Staatsterritorium<br />

jedoch um die gemischtkonfessionellen<br />

Gebiete Frankens,<br />

Ostschwabens und die territorial<br />

getrennte Rheinpfalz sowie um ehemaligen<br />

Reichsstädte wie Regensburg,<br />

Nürnberg und Augsburg<br />

erweitert. Diese Länder unterschiedlichster<br />

Größe, Struktur und Tradition<br />

sahen sich damit, in manchen<br />

Fällen gegen ihren Willen, in einem<br />

Gesamtstaat vereint.<br />

1806 schlossen sich <strong>Bayern</strong> und<br />

andere deutsche Mittelstaaten mit<br />

dem Kaiser der Franzosen im Rheinbund<br />

zusammen und sagten sich<br />

damit vom Reich los. Franz I. legte<br />

daraufhin die Kaiserkrone nieder,<br />

das Heilige Römische Reich Deutscher<br />

Nation war endgültig erloschen.<br />

<strong>Bayern</strong>s Herrscher aber<br />

erhielt seine Belohnung: Als Max I.<br />

Joseph (1806-1825) wurde er erster<br />

bayerischer König.<br />

Die Formierung zum modernen<br />

Staatswesen oblag dem "allmächtigen<br />

Minister" Maximilian Graf von<br />

Montgelas, der bis 1817 eine wirksame<br />

Staatsverwaltung mit hochqualifizierter<br />

Beamtenschaft, Zentralregierung<br />

und Fachministerien<br />

schuf, das Rechtswesen neue ordnete<br />

und eine Wirtschaftsreform<br />

durchführte (Vereinheitlichung der<br />

Maße und Zölle, Abschaffung der<br />

Grundherrschaft und Aberkennung<br />

des alten Status der Zünfte). Mit der


Konstitution von 1808 und insbesondere<br />

der Verfassung von 1818<br />

vollzog <strong>Bayern</strong> zugleich den wenn<br />

auch erst allmählich spürbar werdenden<br />

Übergang vom Absolutismus<br />

zu einem konstitutionellen<br />

Staatswesen mit Parlament und Teilhabe<br />

der Volksvertretung an der<br />

Gesetzgebung.<br />

Bereits mit der Gewerbeordnung<br />

von 1804 werden das Zunftwesen<br />

modernisiert und der Zunftzwang<br />

eingeschränkt. In mehreren Verordnungen<br />

von 1804-07 wurden -<br />

durch die Verleihung von staatlichen<br />

Gewerbekonzessionen auf Lebenszeit<br />

– die monopolistische Zulassungsgewalt<br />

der Zünfte zur gewerblichen<br />

Niederlassung geschwächt.<br />

Als 1818 das Gewerbekonzessionsrecht<br />

erst an den Staat und<br />

dann an die Kommunen überging,<br />

führte das zu einem Rückgang der<br />

Zulassungen. Das Gewerbegesetz<br />

von 1824/25 setzte den Gewerbevereinen<br />

als Nachfolger der Zünfte<br />

obrigkeitliche Kommissäre vor, ohne<br />

deren Vorsitz keine Beschlüsse<br />

gefasst werden konnten und die im<br />

Einzelfall einer Konzession zustimmen<br />

mussten („Prüfung des Nahrungsstandes“).<br />

In den Jahren 1825-<br />

26 kam es zur Auflösung der Zünfte,<br />

und an ihre Stelle traten die<br />

Gewerbevereine (Innungen). In den<br />

folgenden Jahrzehnten gründete<br />

sich eine Vielzahl von Gewerbevereinen,<br />

deren Mitglieder sich aus Meistern<br />

unterschiedlicher Gewerbe<br />

zusammensetzten. Unter maßgeblicher<br />

Beteiligung des <strong>Schreinerhandwerk</strong>s<br />

z.B. in Fürth (1843),<br />

Memmingen und Mindelheim<br />

(1848) und in München (1848). Als<br />

Selbsthilfeorganisationen und z.T.<br />

auch als Dachorganisationen bestehender<br />

Innungen, vertraten sie die<br />

Interessen des Handwerks.<br />

Auch im weiteren Verlauf betrieb<br />

<strong>Bayern</strong> mit den Verordnungen von<br />

1834 und 1853 eine „zunftfreundliche“<br />

Gewerbepolitik, die mit<br />

erweiterten Kriterien für die Vergabe<br />

von Konzessionen und einer verschärften<br />

Befähigungsüberprüfung<br />

die Weitervermehrung der Gewerberechte<br />

wirksam drosselte. Doch<br />

all diese Verordnungen konnten den<br />

tendenziell stärkeren Einzug des<br />

Liberalismus in die Politik nicht aufhalten.<br />

Im Zuge der Revolution von<br />

1848 fand sich parallel zur tagenden<br />

Reichsversammlung in Frankfurt<br />

ein „Handwerkerparlament“ (Handwerker<br />

und Gewerbekongress)<br />

zusammen, das grundlegende Forderungen<br />

zur Neuordnung des<br />

Handwerks in der sich formierenden<br />

Industriegesellschaft aufstellte. Die<br />

Errichtung von Pflichtinnungen, ein<br />

Prüfungs- und Befähigungsnachweis,<br />

die Einschränkung der Meisterzahl,<br />

eine dreijährige Lehrzeit<br />

und die Einrichtung von Gewerbekammern<br />

gehörten dazu. Die handwerklichen<br />

Proteste waren Ausdruck<br />

von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung<br />

aber auch „Angst vor<br />

der Proletarisierung“ Mit dem Scheitern<br />

der Nationalversammlung,<br />

gelang es weder, dem deutschen<br />

Volk die erhoffte staatliche Einheit<br />

und Freiheit zu bringen, noch eine<br />

sichernde Ordnung für die Zukunft<br />

des Handwerks zu schaffen.<br />

Im Krieg von 1866 fiel endgültig<br />

die Entscheidung zugunsten Preußens<br />

und der kleindeutschen<br />

Lösung. Bismarck, der preußische<br />

Ministerpräsident, bestrafte <strong>Bayern</strong>,<br />

das im Bund mit Österreich den<br />

Krieg verloren hatte, mit Gebietsabtretungen<br />

und Kriegskostenentschädigungen.<br />

Zugleich aber band er<br />

durchSchutz- und Trutzbündnisse<br />

die süddeutschen Staaten an den<br />

111


neu gegründeten Norddeutschen<br />

Bund. Durch die Vereinheitlichung<br />

der Zölle (Zollverein) wurden die<br />

Wirtschaftseinheit gestärkt und Voraussetzungen<br />

für die Errichtung des<br />

preußisch-deutschen Reiches als<br />

Bundesstaat geschaffen.<br />

Seither war die bayerische Politik<br />

zunehmend auf Preußen ausgerichtet.<br />

So wundert es nicht, dass die<br />

bayerische Staatregierung mit der<br />

Gewerbeordnung vom 30. Januar<br />

1868 eine neue, aber im Trend liegende<br />

Richtung einschlug und die<br />

volle Gewerbefreiheit einführte.<br />

Durch das Gewerbefreiheitsgesetz<br />

erfolgte die formelle Auflösung der<br />

wenigen noch bestehenden Innungen.<br />

Sie konnten sich nur als freie<br />

Gewerbevereine erhalten, wenn die<br />

Satzungen dieser Vereine staatlich<br />

genehmigt wurden.<br />

1870 trat <strong>Bayern</strong> im Bündnis mit<br />

Preußen in den Krieg gegen Frankreich<br />

ein, den Bismarck geschickt<br />

inszeniert hatte und der mit der Proklamation<br />

des preußischen Königs<br />

Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser<br />

am 18.1.1871 in Versailles endete.<br />

<strong>Bayern</strong> trat dem deutschen Reich<br />

bei, behielt jedoch weitgehend eine<br />

112<br />

staatliche Selbständigkeit. 1873<br />

übernahm <strong>Bayern</strong> wie bereits vorher<br />

andere süddeutsche Staaten die<br />

Gewerbeordnung des Norddeutschen<br />

Bundes von 1869, die wieder<br />

den Grundsatz der völligen Gewerbefreiheit<br />

proklamierte.<br />

Mit der Gründung des deutschen<br />

Kaiserreichs beginnt eine<br />

Konjunkturphase, die sog. „Gründerzeit“,<br />

sie wird von der industriellen<br />

Produktion und von einer regen<br />

Bautätigkeit begleitet.<br />

Die nachfolgenden Jahre (1871-<br />

74) des wirtschaftlichen Aufschwungs,<br />

der zunächst durch die<br />

von Frankreich gezahlte Kriegsentschädigung<br />

und den Zollabbau<br />

beflügelt wurde, werden vielfach als<br />

„Gründerjahre“ bezeichnet. Sie<br />

lösten eine Wachstumseuphorie und<br />

eine Welle von Firmengründungen<br />

auf spekulativer Basis aus. Die<br />

Möbel-, Wohn- und Baukultur der<br />

Gründerzeit, die sich in der Spätphase<br />

des Historismus insbesondere<br />

als „Neorenaissance“ („altdeutscher<br />

Stil“) ausprägt, erlebte eine einzigartige<br />

Hochkonjunktur, die breiteste<br />

Bevölkerungsschichten in Stadt und<br />

Land erreichte. Um und nach 1890<br />

konkurrieren andere Neostile und<br />

der Jugendstil (1894-1906) mit der<br />

Gründerzeit. Trotz aller stilistischen<br />

Einflüsse aber bleibt die Gründerzeit<br />

bis 1914 der vorherrschende Wohnund<br />

Möbelstil.<br />

Vieles von dem, was in der Stilentwicklung<br />

der Gründerzeit<br />

bedeutsam wird, bahnt sich bereits<br />

Ende des 18. bis zum frühen<br />

19.Jahrhundert in drei Phasen des<br />

Klassizismus an. Die Abkehr vom<br />

barocken Formenüberschwang<br />

hatte sich bereits im Zopfstil bzw.<br />

im Stil Louis XVI durch eine klarere<br />

und sparsamere Formgebung angekündigt.<br />

Hier waren aber nicht nur<br />

ästhetische Gründe maßgebend,<br />

sondern auch eine zunehmende Kritik<br />

an der absolutistischen Gesellschaftsform,<br />

als deren Ausdruck<br />

man den Barock und Rokoko empfand.<br />

Mit der französischen Revolution<br />

gelangte der Wille zu einer<br />

neuen Kultur an seinen Höhepunkt.<br />

Als Quelle für neue Formvorstellungen<br />

hatte man die griechische und<br />

römische Antike wiederendeckt.<br />

Hauptanliegen der Gestaltung<br />

waren gerade Flächen, klare Umris-


se und übersichtliche Gliederungen<br />

an den meist kantigen Grundformen.<br />

Hinzu kamen Säulenmotive<br />

und antike Ornamente. Das Empire<br />

behält allerdings in der Auschmükkung,<br />

entsprechend dem Machtanspruch<br />

des französischen Kaisers,<br />

noch repräsentativen Charakter.<br />

Nach der politischen Niederlage<br />

Napoleons 1815 versuchten die<br />

Machthaber Europas, die alten Verhältnisse<br />

im Sinne des Absolutismus<br />

wiederherzustellen („Restauration“),<br />

aber das einmal erwachte politische<br />

und kulturelle Bewußtsein der Bürger<br />

ließ sich nicht mehr auslöschen.<br />

Mit dem von der Generation der<br />

Freiheitskriege getragenen Biedermeier<br />

bildeten sich bis zur Revolution<br />

von 1848 neue, spezifisch bürgerliche<br />

Ausdrucksformen, die in<br />

der Möbel- und Wohnraumgestaltung<br />

eine echte Alternative zu den<br />

vorher weitgehend stilprägenden<br />

Formen der aristokratischen Gesellschaft<br />

schufen. Die klassizistischen<br />

Vorbilder des Empire, aber auch<br />

noch des Louis XVI und der englischen<br />

Möbelentwerfer (z.B. Th. Sheraton)<br />

boten ein genügend großes<br />

Formenrepertoire, aus dem man<br />

schöpfen konnte. Die einfachen,<br />

zweckmäßigen, handwerklich soli-<br />

de gefertigten Möbel sollten in<br />

behäbigen Wohnhäusern den Rahmen<br />

für eine intime gemütliche<br />

Wohnlichkeit schaffen.<br />

Während das erste Drittel des<br />

19. Jahrhunderts vom Klassizismus<br />

und seinen Stilen Empire und Biedermeier<br />

beherrscht wird und die<br />

Abfolge der Stile sukzessive ersichtlich<br />

ist, kommt es ab ca.1830-40 bis<br />

1890 zu einem Stilpluralismus und<br />

einer eklektizistischen Stilvermischung.<br />

Es entsteht eine auffällige<br />

Wohnkultur mit der Tendenz zur<br />

Fülle und zur Repräsentation, die<br />

der Selbstdarstellung des gründerzeitlichen<br />

Bürgertums entgegenkommt.<br />

Dieser aufwändige, großbürgerliche<br />

Einrichtungsstil ist durch<br />

Rückgriffe auf frühere Stilepochen<br />

gekennzeichnet, die er zitiert, adaptiert<br />

und aktualisiert. So entwickeln<br />

sich nacheinander und nebeneinander<br />

vor allem „Neogotik“ oder<br />

„Neugotik“, „Zweites Rokoko (Louis<br />

Philippe)“, „Neorenaissance“. Das<br />

Zusammenwirken von nationaler<br />

Einheit, politischer Stärke, wirtschaftlichem<br />

Aufschwung, voranschreitender<br />

Industriealisierung, allgemeiner<br />

Mobilität, gefördertem Bildungswesen<br />

und kunststilistischer<br />

Fixierung bilden die Basis für die<br />

auffällige Wohnkultur der Gründerzeit.<br />

Die Nachfrage von seiten der vor<br />

allem in den Großstädten gewachsenen<br />

Bevölkerung nach einem ihrer<br />

ideellen Haltung entsprechenden<br />

identifikationsfähigen Einrichtungsstil<br />

ist derart hoch, dass im ganzen<br />

Land Möbel entworfen, geschreinert<br />

und vertrieben werden. Besonders<br />

auffällig ist die Entwicklung des<br />

Schreinergewerbes in den Städten.<br />

München nimmt auch in dieser<br />

Zeit seine Stellung als Wirtschaftsund<br />

Kulturmetropole ein. Viele<br />

Anregungen und Förderungen<br />

gehen hier vom Hof aus. König Ludwigs<br />

II. rege Bautätigkeit in und um<br />

München und die damit verbundenen<br />

staatlichen Einrichtungsaufräge<br />

geben auch dem bayerischen<br />

<strong>Schreinerhandwerk</strong> einen kräftigen<br />

Impuls.<br />

Markt wie neue Technologien<br />

entfalten ihre eigene Dynamik,<br />

wobei sich unter den veränderten<br />

wirtschaftlichen und sozialen Vorzeichen<br />

des neuen Jahrhunderts im<br />

Prinzip durchaus vergleichbare Konstellationen<br />

im <strong>Schreinerhandwerk</strong><br />

113


herausbildeten, wie sie bereits im<br />

18. Jahrhundert vorzufinden waren.<br />

Auf der einen Seite standen die traditionell<br />

arbeitenden Kleinbetriebe,<br />

auf der anderen Seite die Möbelfabriken,<br />

die – fast als getreue Nachfolger<br />

der Hofschreinereien –<br />

schließlich auch das werbewirksame<br />

Firmenschild einer „Hof-Möbelfabrik“<br />

anbringen durften. Wer für<br />

den örtlichen Bedarf und gegen<br />

Auftrag oder allenfalls beschränkte<br />

Nachfrage arbeitete, der war in die<br />

Grenzen des Kleinbetriebs gewiesen.<br />

Die Betriebsführung und damit<br />

zusammenhängend die Betriebsgröße<br />

mit bis zu fünf Beschäftigten<br />

blieb weitgehend unverändert , die<br />

selbständigen Kleinunternehmer<br />

planten gleichsam „auf Sicht“. Die<br />

Auftragslage spielte die entscheidende<br />

Rolle. In den Städten war sie<br />

etwas günstiger als auf dem Lande,<br />

so dass dort die Anzahl der Betriebe<br />

und die darin beschäftigten Gesellen<br />

durchaus wuchsen.<br />

Auch solche Kleinbetriebe nutzten<br />

eingeschränkt arbeitsteilige Produktion.<br />

Feine Schnitzer-, Drechsler-,<br />

Polsterer- und Lackierarbeiten wurden<br />

nach aussen vergeben, gelegentlich<br />

kaufte man Versatzstücke<br />

114<br />

hinzu und baute sie<br />

ein. Holzeinkauf und<br />

zeichnerischer Entwurf<br />

lagen in den<br />

Händen des Meisters.<br />

Die schulische Ausbildung<br />

wie die Fortbildungseinrichtungen<br />

suchten gerade in<br />

diesem Bereich die<br />

notwendigen Kenntnisse<br />

zu vermitteln.<br />

Die neu entstandenenMöbelmagazine<br />

übernahmen in<br />

immer stärkerem<br />

Umfang die Vermarktung<br />

von Möbeln aus<br />

Fabriken und kleinen<br />

Werkstätten. Viele<br />

der an den lokalen<br />

Absatz gebundenen<br />

Kleinbetriebe verloren<br />

ihre Privatkunden. Der Kunde kaufte<br />

ab Lager und ging stärker mit der<br />

Mode. Die Mehrzahl der Schreiner<br />

produzierte überwiegend für den<br />

Handel und damit für den anonymen<br />

Markt. Ein Teil versuchte, mit<br />

Anzeigen oder eigenen Lagern seine<br />

Produkte wieder selbst direkt zu verkaufen.<br />

Profile aus dem Musterbuch einer Kehlleistenfabrik<br />

Die technisch anspruchsvolle<br />

Herstellung von Möbeln blieb bis in<br />

das 20. Jahrhundert hinein weitgehend<br />

handwerklich bestimmt. Auch<br />

in Betrieben, die sich zu „Möbel-<br />

Fabriken“ entwickeln, fertigen ausgebildete<br />

Schreiner in werkstattähnlichen<br />

Zusammenhängen die Möbel<br />

an. Zur stiltypischen Ausschmük-


kung des Möbels werden z.B. vorgefertigte<br />

Applikationen, Profilleisten<br />

oder Füße benutzt, die im Zuge<br />

der Spezialisierung andere Betriebe<br />

als Fertigprodukte anbieten. Drechsler,<br />

Bildhauer , Tapezierer übernahmen<br />

die Veredlung. In der Mehrzahl<br />

der „Möbel-Fabriken“ wurde vor<br />

der Jahrhundertwende statt großer<br />

Serien gleicher Möbel eine Produktpalette<br />

gefertigt. Sie arbeiteten<br />

nicht nur für den Handel,<br />

sondern auch für die Privatkundschaft.<br />

Sie fertigten in handwerklicher<br />

Qualität „Stil“-Möbel,<br />

Kirchenausstattungen, Hotel-,<br />

Büro- und Ladeneinrichtungen<br />

und übernahmen den Innenausbau<br />

von Wohnungen, Villen und<br />

Schlössern . So übernimmt z.B.<br />

die Möbelfirma Anton Pössenmacher<br />

in München als „Königlich-Bayerischer-Hoflieferant“<br />

die<br />

Lieferung von Möbeln für die<br />

Königsschlösser, daneben fertigt<br />

die Firma die Ausstattung von<br />

bürgerlichen Wohnungen. Im<br />

Raum Oberpfalz tut sich in<br />

Cham die Möbelfabrik Andreas<br />

Schoyerer hervor. Auch die Firma<br />

Anton Schoyerer liefert Schloßeinrichtungen<br />

und bürgerliche<br />

Wohnungseinrichtungen.<br />

„Buffet“ um 1880, ausgeführt von<br />

Anton Pössenbacher, München<br />

Die massenhafte Herstellung einfacher<br />

Möbel für die Möbelmagazine<br />

blieb dagegen vorerst die Aufgabe<br />

kleinerer Werkstätten in den<br />

Städten und in Stadtnähe auf dem<br />

Land. Diese Kleinbetriebe spezialisierten<br />

sich oft nur auf wenige Produkte.<br />

Sie fertigten für den Händler<br />

große Stückzahlen nach gleichen<br />

„Salon Schrank“ Federskizze<br />

(zwischen 1895-1900)<br />

Andreas Schoyerer junior<br />

Mustern, z.B. Polstergestelle, die<br />

sie entweder als Rohware ablieferten<br />

oder selbst mit industriell produzierten<br />

Halbfabrikaten veredelten.<br />

Die Abhängigkeit solcher Betriebe<br />

vom Handel war groß und der<br />

Verdienst gering. Die starke Spezialisierung<br />

machte es dem Handwerker<br />

schwer, auf die Anforderungen<br />

115


Die wichtigsten Handwerkzeuge einer Schreinerei im 19. Jahrhundert<br />

(Lithographie um 1875, München Deutsches Museum<br />

von Privatkunden einzugehen.<br />

Spezialisierte Betriebe entzogen<br />

den Handwerksbetrieben die Produktion<br />

von Stühlen, Möbelgestellen,<br />

Matrazenrahmen, Schatullen,<br />

Kindermöbeln u.a.m. Diese<br />

besonders maschinengerechten Artikel<br />

wurden schon früh in großen<br />

Serien fabrikmäßig hergestellt. In<br />

den Bereichen der Spiegelrahmenherstellung,<br />

der Parkett- oder Jalousie-Fabrikation<br />

entstanden schnell<br />

Großbetriebe.<br />

Das Werkzeug des Schreiners hat<br />

seit der Ausbildung des Handwerks<br />

einen nahezu unveränderten technischen<br />

Stand. Säge, Hobel, Stechbei-<br />

116<br />

tel und Bohrer sind bis in das 19.<br />

Jahrhundert hinein die wesentlichen<br />

Werkzeuge zur Herstellung von<br />

Möbeln.<br />

Entscheidende und für das<br />

ganze 19. Jahrhundert wichtigere<br />

Neuerungen bringen die Holzbearbeitungsmaschinen.<br />

Kurz vor 1800<br />

und in der ersten Hälfte des 19.<br />

Jahrhunderts wurden, vor allem in<br />

England aber auch in Frankreich<br />

Maschinen für das <strong>Schreinerhandwerk</strong><br />

entwickelt, die einen entscheidenden<br />

Bruch mit der Vergangenheit<br />

brachten. Die Frühformen von<br />

Hobel- und Furnierschneidemaschinen,<br />

Band- und Kreissägen, Fräs-,<br />

Bohr- und Stemmmaschinenwurden,<br />

in Europa,<br />

vor allem aber in<br />

Amerika zu leistungsstarken<br />

Standard- und<br />

Spezialmaschinen<br />

weiterentwickelt<br />

und im letzten<br />

Drittel des 19.<br />

Jahrhunderts in<br />

Großbetrieben<br />

vermehrt kostensparend<br />

für Teilar-<br />

beiten eingesetzt. Dabei bewirkte<br />

der Einsatz von Maschinen keine<br />

grundsätzliche Änderung der Produktionsweise,<br />

sondern lediglich<br />

eine Beschleunigung, bestenfalls<br />

eine Präzisierung. Durch den<br />

Maschineneinsatz verlagerte sich die<br />

Möbelproduktion zunehmend in<br />

Großbetriebe, die in den großen<br />

Städten angesiedelten kleinen<br />

Werkstattbetriebe mit weniger als<br />

zehn Mitarbeitern verloren an<br />

Bedeutung. Sie blieben nur noch<br />

bedingt konkurrenzfähig und gerieten<br />

mehr und mehr als Zulieferbetriebe<br />

in Abhängigkeit oder mußten<br />

sich auf das reparieren von Möbeln<br />

beschränken.<br />

Bevor jedoch Holzbearbeitungsmaschinen<br />

in kleineren Betrieben<br />

wirklich genutzt werden konnten,<br />

mußte die Frage des Antriebs gelöst<br />

sein. Dampfmaschinen waren technisch<br />

aufwendig, sehr teuer und<br />

daher nur für große Betriebe geeignet.<br />

Eine andere Möglichkeit waren<br />

schon früher genutzte Wasserräder.<br />

Gegen Ende des Jahrhunderts<br />

kamen Gas- oder Benzinmotor<br />

dazu. Letztlich blieb für die Maschinen<br />

die menschliche Muskelkraft<br />

der einzige Antrieb, die durch Über-


Vielzweckmaschine um 1903 - bestehend<br />

aus Bandsäge, Dekoupiersäge, vertikaler<br />

Bohrmaschine, Kreissäge, Fräsmaschine,<br />

Langloch- und Horizontalbohrmaschine<br />

setzungssysteme bei gringem Aufwand<br />

zu größeren Ergebnissen führte.<br />

Die Mehrzahl der kleineren<br />

Betriebe mußte mit dieser Lösung<br />

zunächst vorliebnehmen. Wirkungsvoll<br />

war das nicht, da auf diese<br />

Weise keine hohen Drehzahlen<br />

erreicht werden konnten. Wo es<br />

irgend ging wurde das Holz zur<br />

Bearbeitung in eine nahegelegene<br />

Fabrik mit Dampfbetrieb gebracht.<br />

Speziell auf dem Land, aber auch<br />

in den kleinstädtischen Schreinereien<br />

kam die durchgängige Mechanisierung<br />

aufgrund dieser Bedingungen<br />

nur langsam voran. Zudem<br />

war das Festhalten am alten und<br />

das Mißtrauen gegenüber einem<br />

umfassenden Maschineneinsatz weit<br />

verbreitet.<br />

Die starke Konkurrenz ausländischer<br />

Waren insbesondere die billigen<br />

Importe aus England, dessen<br />

Industriealisierung früher – mit der<br />

Erfindung der Dampfmaschine 1769<br />

– eingeleitet wurde, prägten das<br />

Bewußtsein von der Rückständigkeit<br />

der allgemeinen wie auch der bayerischen<br />

Verhältnisse. Dieses Selbstverständnis<br />

wurde<br />

bestärkt als mit dem Einsetzen<br />

der Industriealisierung in Deutschland<br />

1835 zum Zeitpunkt der Eröffnung<br />

der Ludwigs- Eisenbahn von<br />

Nürnberg nach Fürth – erstmals<br />

Massenkonsumgüter auf den Markt<br />

kamen, die die bisher handwerkliche<br />

Produktion ersetzen. Mit dem<br />

Ziel der Modernisierung sollten nun<br />

mehr naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnisse stärker in die Technologie<br />

einbezogen werden, die die<br />

Arbeitsweise in den Werkstätten<br />

bestimmte. Daneben richtete sich<br />

nach 1820 die Aufmerksamkeit allmählich<br />

auch auf gestalterische<br />

Aspekte als wichtigen Faktor für die<br />

Marktfähigkeit.<br />

Eine wesentliche Rolle bei der<br />

Erneuerung und Förderung des<br />

Handwerks wurde der Allgemeinwie<br />

der Fachbildung beigemessen.<br />

Einen wichtigen Beitrag dazu leisteten<br />

die großen Vereine, wie z.B. der<br />

Polytechnische Verein in Würzburg,<br />

die das Ziel verfolgten die Produktionen<br />

auf den technisch-gewerblichen<br />

Fortschritt hin auszurichten.<br />

Sie vermittelten in ihren Vereinszeitschriften<br />

Orientierungen sowie spezielle<br />

Kenntnisse über Rohstoffe,<br />

Halb- und Fertigerzeugnisse, Werkzeuge,<br />

Maschinen und Arbeitsweisen.<br />

Örtliche Gewerbevereine entstanden<br />

vor allem nach 1848,<br />

manchmal gründeten sie auch Fortbildungsschulen,<br />

wie z.B 1856 der<br />

Gewerbeverein Memmingen.<br />

Gegenüber der traditionellen<br />

Ausbildung mit Lehr- und Gesellenjahren<br />

in der Werkstatt erlangte das<br />

sich entfaltende Schulwesen zunehmend<br />

an Gewicht. Manche Vereine<br />

betrieben oder förderten Zeichenund<br />

Sonntagsschulen, an deren<br />

Stelle später die gewerblichen Fortbildungsschulen<br />

traten. Andere<br />

Schulen machten es sich zur Aufgabe<br />

den kunstgewerblichen Nachwuchs<br />

auszubilden, wie ab 1855 die<br />

„Zeichen- und Modellierschule“ des<br />

117


1851 gegründeten<br />

„Vereins zur Ausbildung<br />

der Gewerke“(ab<br />

1868 Bayerischer<br />

Kunstgewerbeverein)<br />

in München oder dienten<br />

der heimischen<br />

handwerlichen Gewerbeförderung<br />

wie die<br />

1869 gegründete<br />

„Distrikts- Zeichenund<br />

Schnitzschule<br />

Werdenfels“ (Die<br />

bereits bestehenden<br />

„Filial-Zeichnungsanstalten“,<br />

Garmisch,<br />

Partenkirchen, Oberammergau<br />

und Mittenwald<br />

wurden der neu<br />

gegründeten Schule<br />

angegliedert). Ein zentralerUnterrichtsgegenstand<br />

war das<br />

Zeichnen. Von ihm<br />

wurde bei der Aneignung von Neuerungen<br />

oder von fremden Entwürfen,<br />

bei der Darstellung und Umsetzung<br />

von Arbeitsvorhaben wie allgemein<br />

für die ästhetische Erziehung<br />

große Wirksamkeit erwartet.<br />

Bedingt durch die Auflösung der<br />

alten Arbeitswelt und den Verlust<br />

118<br />

Warenproduktion im Schuljahr 1883<br />

„Distrikts-Zeichen- und Schnitzschule Werdenfels“ Partenkrichen<br />

an eigenständiger Gestaltungsqualifikation<br />

erschien die Bereitstellung<br />

von Vorlagen und Vorbildern für die<br />

Werkstatt wichtig. Man versprach<br />

sich von der Zuwendung zu diesen<br />

Vorbildern – zunächst vor allem aus<br />

der Gotik und der Renaissance –<br />

eine Wiederherstellung der alten<br />

Verbindung zwischen Kunst und<br />

Handwerk. Diese Bestrebungen verfolgte<br />

mit weitreichender Resonanz<br />

der 1851 in München entstandene<br />

Verein zur Ausbildung der Gewerke,<br />

der sich 1868 in Bayerischer Kunstgewerbeverein<br />

umbenannte, mit<br />

seiner Zeitschrift und großen Ausstellungen<br />

( Kunstgewerbeausstellungen<br />

von 1863 und 1876 im Glaspalast<br />

in München und „Deutsch-<br />

Nationale Kunstgewerbe-Ausstellung“<br />

in den Ausstellungsbauten<br />

am Isarufer). In die gleiche Richtung<br />

zielte eine Teil der Aktivitäten des<br />

Bayerischen Gewerbemuseums in<br />

Nürnberg, das 1872 seine Arbeit<br />

aufnahm.<br />

Ab der Jahrhundertmitte nahm<br />

die Abfolge von Kunst- und Kunstgewerbeausstellungen<br />

zu, so dass<br />

man sich laufend über den Zeitgeschmack<br />

informieren konnte. Eine<br />

erweiterte Sicht des internationalen<br />

Entwicklungsstandes handwerklicher<br />

und industrieller Produktion<br />

der bürgerlichen Gesellschaft vermittelten<br />

die Weltausstellungen,<br />

deren erste 1851 im Kristallpalast in<br />

London stattfand. Sie gab mit ihrer<br />

systematisch gegliederten Exposition<br />

von Rohstoffen – also Naturstoffen<br />

und daraus hergestellten Produkten


Ausstellungsraum der Deutschen Kunst- und Industrieausstellung 1876 in München<br />

und Maschinen einen aufschlußreichen<br />

Überblick.<br />

Zu einer wichtigen technischen<br />

Informationsquelle auch für das<br />

bayerische <strong>Schreinerhandwerk</strong> wurden<br />

Ausstellungen in München<br />

(1854 „Allg. deutsche Industrie-<br />

Ausstellung“ im Glaspalast sowie<br />

1888 und 1889 „Kraft- und Arbeits-<br />

maschinen- Ausstellung“) und<br />

Nürnberg (1882, 1896 „Landes -<br />

Industrie -Gewerbe- und Kunstaustellung“).<br />

Sie zeigten den Stand<br />

der Entwicklung der Maschinen-,<br />

Elektro- und Werkzeugtechnik und<br />

stellten Anwendungsbereiche vor.<br />

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts<br />

nahm der Einsatz von<br />

Holzbearbeitungsmaschinen in den<br />

Betrieben stetig zu. Damit stieg<br />

auch die Zahl der Arbeitsunfälle, da<br />

es eine gezielte Unterweisung im<br />

sicheren Umgang mit Holzbearbeitungsmaschinen<br />

noch nicht gab,<br />

Schutzvorrichtungen unzureichend<br />

waren oder fehlten, so dass deren<br />

sachgerechter Einsatz nur sehr<br />

bedingt oder gar nicht stattfand.<br />

Zum anderen stellten die Dampfmaschinen,<br />

die im letzten Drittel des<br />

Jahrhunderts zunehmend als<br />

Antriebsmaschinen verwendet wurden,<br />

ein großes Gefahrenpotential<br />

dar. Aufgrund des hohen Drucks<br />

des Wasserdampfes im Kessel und<br />

mangelhafter Wartung kam es<br />

immer wieder zu Explosionen, die<br />

verheerende Zerstörungen, zahlreiche<br />

Unfälle und Todesopfer zur<br />

Folge hatten. Dies hatte dazu<br />

geführt, dass u.a. Dampfmaschinen<br />

zu den sog. „überwachungsbedürftigen“<br />

Betriebsanlagen gehörten,<br />

die einer staatlichen Überprüfung<br />

unterlagen.<br />

Die Gewerbeordnung des Norddeutschen<br />

Bundes von 1869, die<br />

seit 1873 auch für <strong>Bayern</strong> galt, enthielt<br />

die Verpflichtung zur Durchführung<br />

des Unfall- und Gesund-<br />

119


Blick in die Maschinenhalle der Landesausstellung 1896 auf dem Maxfeld in Nürnberg<br />

heitsschutzes, aufgrund der seit<br />

1839 erlassenen Gesetze. Für den<br />

Vollzug der in ihr enthaltenen<br />

Gesetze waren Fabrikinspektoren<br />

zuständig. Dadurch vollzog sich<br />

kurze Zeit später die Umbenennung<br />

der Fabrikinspektoren in Gewerbeaufsicht.<br />

Damit war die Frage der sozialen<br />

Sicherung von Arbeitern, die einen<br />

Arbeitsunfall erlitten hatten, jedoch<br />

nicht geklärt. Sie fand eine Antwort<br />

erst in der Fassung des ersten<br />

120<br />

Unfallversicherungsgesetz von 1884,<br />

dem ersten in der Welt. Es war - im<br />

Rahmen der Bismarckschen Sozialgesetzgebung<br />

im Deutschen Kaiserreich<br />

von 1883-89 – nach mehreren<br />

Gesetzesvorlagen und nach langen<br />

Diskussionen verabschiedet worden.<br />

Diese Erörterungen wurden vor<br />

dem Hintergrund einer bereits<br />

bestehenden Tradition der sozialen<br />

Fürsorge in Teilen der Gesellschaft<br />

geführt. Die im patriarchalischen<br />

Verhältnis von Meister zu Gesellen<br />

und Lehrling gewachsene Fürsorge-<br />

pflicht setzte sich nicht aus sich heraus<br />

in dem Verhältnis von Unternehmer<br />

zu Arbeitnehmer in Fabriken<br />

fort. Eine – gleich aus welchen<br />

Motiven entstandene – Übertragung<br />

der sozialen Verantwortung für den<br />

abhängig Beschäftigten auf Arbeitsverhältnisse<br />

in Fabriken war dringend<br />

notwendig geworden.<br />

Dies Gesetz forderte die Bildung<br />

von Berufsgenossenschaften und<br />

bildete mit der Aufnahme der<br />

Arbeit der Holzberufsgenossenschaft<br />

im Jahr 1885 auch die<br />

Grundlage für deren Aktivitäten. Die<br />

branchenbezogenen, selbstverwalteten<br />

Genossenschaften mit ihren<br />

vom Gesetz geregelten Aufgaben<br />

waren umso erfolgreicher, je größer<br />

die Zahl der pflichtversicherten Mitglieder<br />

war. Viele Betriebe waren<br />

weder erfasst noch angemeldet und<br />

sträubten sich gegen eine Anmeldung<br />

unter Verneinung ihrer Versicherungspflicht.<br />

Vorbereitende<br />

Arbeiten bestanden darin, aus den<br />

700 zur Holz-BG gehörigen Gewerben<br />

ausreichend große Gruppen<br />

vergleichbaren Risikos zu bilden und<br />

die Aufstellung eines für alle Tätigkeiten<br />

und Gewerbezweige gerechten<br />

Gefahrtarifs. Erfahrungswerte<br />

gab es nicht. Zum anderen erfolg-


ten häufig zeitgemäße Ergänzungen<br />

und Veränderungen, so wurde z.B.<br />

1887 die Versicherungspflicht auf<br />

handwerksmäßige Bauschreinereien<br />

erweitert. Dies alles führte in den<br />

ersten Jahren der Arbeit der Berufsgenossenschaft<br />

zu mehreren Beitragserhöhungen<br />

und Unklarheiten<br />

darüber, welche Betriebe zur Mitgliedschaft<br />

verpflichtet waren. Der<br />

hohe Beitragssatz, dessen mehrmalige<br />

Erhöhung und die letzliche Erfassung<br />

aller Betriebe, wurden vom<br />

<strong>Schreinerhandwerk</strong> heftig kritisiert.<br />

Hinzu kamen Probleme aufgrund<br />

der Doppelzuständigkeit von staatlicher<br />

Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften.<br />

Sie betrafen die<br />

Aufsicht sowohl in ihrer Organisation<br />

und Durchführung als auch<br />

hinsichtlich der Rechtsvorschriften,<br />

die von der jeweiligen Aufsichtsperson<br />

zu überwachen waren. Wegen<br />

mangelnder Abstimmung der<br />

Zuständigkeiten kam es zu widersprüchlichen<br />

Anordnungen im<br />

Betrieb und zu Überschneidungen<br />

der Betriebsrevisionen. Diese negativen<br />

Auswirkungen der Doppelzuständigkeit<br />

blieben im wesentlichen<br />

weiter bestehen, auch nachdem<br />

1900 durch das Gewerbe-Unfallversicherungsgesetz<br />

eine rechtliche<br />

Klarstellung erfolgte.<br />

Danach wurden die Berufsgenossenschaften<br />

verpflichtet, durch technische<br />

Aufsichtsbeamte die Einhaltung<br />

der Unfallverhütungsvorschriften<br />

zu überwachen.<br />

Informationsmangel seitens der<br />

Betriebe war sicherlich auch eine<br />

der Ursachen, weshalb in der<br />

Anfangsphase die Tätigkeiten der<br />

Beauftragten der Holzberufsgenossenschaften,<br />

die der Umsetzung<br />

und Überwachung der Unfallverhütungsvorschriften<br />

galten, Empörung<br />

und heftige Diskussionen auslösten.<br />

Ein weiteres Problem für die<br />

Schreinereibetriebe stellte die Höhe<br />

der festgesetzten Brandschutzversicherungsbeiträge<br />

dar.<br />

Aufgrund mangelnden Sicherheitsvorkehrungen,<br />

der Staubentwicklung,<br />

Art der Holz- und Spänelagerung,<br />

Ofenheizung, Ofentisch<br />

für die Heißverleimung, Reibungswärme<br />

beim Maschineneinsatz und<br />

der Kraftübertragung sowie – wenn<br />

vorhanden durch maschinelle<br />

Antriebsaggregate – und vor allem<br />

durch das Gefahrenpotential der<br />

Dampfmaschinen gab es in den<br />

Schreinereien und Fabriken häufig<br />

Brände. Versicherungsschutz für<br />

Brandschäden im industriellen und<br />

gewerblichem Bereich wurde zur<br />

damaligen Zeit fast ausnahmslos nur<br />

von privaten Feuerversicherungsgesellschaften<br />

angeboten. Bereits<br />

1871 hatte sich der Verband der privatenFeuerversicherungsgesellschaften<br />

gegründet. Er wuchs zu<br />

einem Syndikat heran, Versicherungsgesellschaften<br />

bildeten Kartelle,<br />

die unter Ausschluss des Wettbewerbs<br />

die Prämienhöhe und Versicherungsbedingungen<br />

regelten. In<br />

der Wirtschaft regte sich immer<br />

mehr Widerstand. Nicht zuletzt aus<br />

diesem Grund wurde 1875 in <strong>Bayern</strong><br />

das Gesetz zur Errichtung der<br />

„Königlichen Brandversicherungs -<br />

Kammer“ erlassen. Damit wurde die<br />

seit 1811 tätige Landesbrandversicherungsanstalt<br />

, die Rechtsvorgängerin<br />

der Bayerischen Versicherungskammer,<br />

in die Verwaltung<br />

einer zentralen öffentlichen Staatsbehörde<br />

überführt. Da auch hier ein<br />

Mangel an Erfahrung bezüglich<br />

einer differenzierten Erfassung der<br />

Gefahrtarife für Schreinereien und<br />

Fabriken vorlag, führte auch dies<br />

anfänglich zu einer ungerechtfertigt<br />

hohen Einstufung der Betriebe als<br />

„feuergefährliches Handwerk“.<br />

121


Auch dieses Thema wurde auf<br />

Innungsversammlungen häufig<br />

debattiert und war Anlaß von<br />

Beschwerden vieler Schreinermeister.<br />

Noch in der ersten Jahrhunderthälfte<br />

war eine Handwerkerbewegung<br />

aus Handwerkervereinen und<br />

Gewerbevereinen entstanden, die<br />

gegen den wirtschaftlichen Liberalismus<br />

und die fortschreitende Industrialisierung<br />

ankämpfte. Sie<br />

bemühte sich um staatlichen Schutz<br />

und Förderung des Handwerks<br />

durch den Staat. Als einzelne Gruppierungen<br />

von Handwerkern nach<br />

1870 erfolglos versucht hatten, den<br />

Reichstag für ihre Anliegen zu<br />

gewinnen, bildeten sich – besonders<br />

in der Phase der Konjunktur-Krisen<br />

zwischen 1873 und 1896 - größere<br />

Interessenverbände wie z.B. der<br />

„Verein selbständiger Handwerker<br />

und Fabrikanten“ (1873) ,der „Verband<br />

bayerischer Gewerbevereine“<br />

(1874), der „Bayerischer Handwerkerbund“<br />

(1883) und der „Allgemeine<br />

Deutsche Handwerkerbund“.<br />

Als Träger der politisch orientierten<br />

Handwerkerbewegung fungierten<br />

die Handwerkertage, wie z.B. der<br />

„Allgemeine Deutsche Handwerker-<br />

122<br />

tag“, der 1888 in München stattfand.<br />

Sie alle forderten eine Veränderung<br />

der Gewerbeordnung. Das<br />

Verlangen zielte vor allem auf die<br />

notwendige Verbesserung der unzureichende<br />

Berufsausbildung, um die<br />

Qualität handwerklicher und industrieller<br />

Erzeugnisse zu verbessern<br />

und damit mit den übrigen westeuropäischen<br />

Ländern auf dem Weltmarkt<br />

konkurrieren zu können.<br />

Unter dem Druck des handwerklichen<br />

Mittelstandes und mit Hilfe<br />

handwerksfreundlicher Parteien<br />

konnten einige Novellen zur Gewerbeordnung<br />

erzielt werden. Stationen<br />

auf dem Wege waren Gewerberechtsnovellen<br />

von 1881 bis<br />

1887, die die Innungen im Interesse<br />

der Erneuerung der Berufsausbildung<br />

wieder mit öffentlich-rechtlichen<br />

Befugnissen ausstatteten und<br />

u.a. die Befugnis zur Ausbildung<br />

von Lehrlingen auf die Mitglieder<br />

von Innungen beschränkten.<br />

Danach gründeten sich zahlreiche<br />

bayerische Schreiner-Innungen:<br />

1886 in Nürnberg, 1988 in München,<br />

1899 in Augsburg, Regensburg,<br />

Bamberg und Ingolstadt,<br />

1900 Aschaffenburg.<br />

Die entscheidenden Schritte<br />

erfolgten durch das „Handwerksge-<br />

setz „vom 26.7.1897 mit der Errichtung<br />

der Handwerkskammern und<br />

der fakultativen Zwangsinnungen<br />

sowie der Neuregelung des Lehrlingswesens<br />

und der Befugnis, den<br />

Meistertitel zu führen. Die Forderung<br />

des Handwerks nach einem<br />

Befähigungsnachweis wurde nicht<br />

erfüllt.<br />

Das Innungswesen bekam einen<br />

neuen Auftrieb, als im Jahr 1900 die<br />

Handwerkskammern gegründet<br />

wurden, so z.B. die Handwerkskammer<br />

für München und Oberbayern<br />

am 1.4.1900<br />

Die Probleme mit den Berufsgenossenschaften<br />

und der Brandversicherung<br />

waren über lange Zeit<br />

Anlass für zahlreiche Diskussionen<br />

im bayerischen <strong>Schreinerhandwerk</strong><br />

und in den bestehenden Innungen<br />

mit dem Ergebnis, sich zusammen<br />

zu schließen und einen gemeinsamen<br />

Verband zu gründen. Dies<br />

erfolgte schließlich mit der Gründung<br />

des „Landesverbandes Bayerischer<br />

Schreinermeister“ am 9./10.<br />

November 1902.

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