Chan 3011 front.qxd - Chandos
Chan 3011 front.qxd - Chandos
Chan 3011 front.qxd - Chandos
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
CHAN <strong>3011</strong> BOOK.<strong>qxd</strong> 15/10/07 11:05 am Page 26<br />
zweiteiligen Auftrittsarie unverkennbar ihren<br />
Charakter kund. Ebenso Ernesto in “Sogno<br />
soave e casto” (Never again shall I find you) –<br />
sein trauriger Traum von Glück scheint ihm zu<br />
entgleiten, da Pasquales Heiratspläne ihn um<br />
sein Erbe zu bringen drohen. In einem<br />
Rezitativ mit anschließender Arie und<br />
Cabaletta zu Anfang des 2. Aktes (“Povero<br />
Ernesto!… Cercherò lontana terra… E se fia”<br />
(Poor, lost Ernesto… I shall go, no more<br />
returning… And if you ever…)) entschließt er<br />
sich dann, sein Glück anderswo zu suchen.<br />
Dies ist eine wunderbar abwechslungsreiche<br />
Szene für lyrischen Tenor und fordert sowohl<br />
ein nuanciertes Klangspektrum als auch<br />
stimmliches Geschick, wie es Tito Schipa in<br />
der bahnbrechenden Aufnahme der Oper aus<br />
den 30er Jahren unter Beweis stellte.<br />
Im 3. Akt findet Ernesto schließlich sein<br />
Glück und singt, begleitet von Gitarrenakkorden<br />
und einem Chor hinter der Szene,<br />
der dem verführerischen Gesang des Tenors<br />
eine besondere Atmosphäre verleiht, eine<br />
ausgesprochen gefühlvolle Serenade “Com’è<br />
gentil” (The night is calm). Ihr folgt ein<br />
Nocturne-Duett voll ineinander<br />
verschlungener Terzen und Sexten zwischen<br />
Ernesto und seiner geliebten Norina “Tornami<br />
a dir” (Come, say the words I long for), als sich<br />
das Liebespaar im tiefen Schatten von<br />
Pasquales Garten trifft. Vom Kompositorischen<br />
her sind diese letzten Szenen zwar eher<br />
konservativ, im Kontext der gesamten Oper<br />
bilden sie aber einen perfekten Kontrast zu den<br />
komischen Eskapaden des obenerwähnten<br />
parlando-Duetts zwischen Malatesta und<br />
Pasquale “Cheti, cheti, immantinente”<br />
(No more words, not even whispers).<br />
Indem Donizetti keine großen Finale<br />
schreibt, scheut er die Konvention. Der 1. Akt<br />
endet mit dem obengenannten Duett<br />
Norina/Malatesta, der 2. Akt mit einem<br />
kurzweiligen Quartett für die Hauptdarsteller,<br />
und den dritten beschließt ein Sextett mit<br />
“Happy End”. Auch neu in diesem Genre ist<br />
der Verzicht auf jegliche Art von<br />
Tasteninstrument in den Rezitativen. Statt<br />
dessen bevorzugt der Komponist fließende<br />
Streicherakkorde, wodurch Dialoge und Arien<br />
bzw. Ensembles viel nahtloser ineinander<br />
übergehen. Überhaupt erzeugt das Werk den<br />
Eindruck, aus einem einzigen Eingebungs- und<br />
Phantasieguß entstanden zu sein.<br />
Was bleibt noch hinzuzufügen? Die<br />
Ouvertüre gewährt uns einen Vorgeschmack<br />
auf viele der herrlichen Melodien, mit denen<br />
die Oper durchsetzt ist, und verbreitet so ein<br />
angenehmes Gefühl der Vorfreude auf die<br />
bevorstehenden Ereignisse. Die Behandlung des<br />
Chores ist ausgesprochen detailliert, und<br />
besonders wirkungsvoll ist er im 3. Akt, wenn<br />
er in der Rolle der beobachtenden Dienerschaft<br />
versucht, mit den von Norina in Pasquales<br />
Domizil eingeführten Unmengen neuer<br />
Gegenstände fertig zu werden. Später folgt<br />
noch eine reizende Nummer, in der der Chor<br />
die komischen Vorkommnisse im Hause<br />
kommentiert. Diese Chöre sind ein Beweis<br />
dafür, daß Donizetti einfallslose Szenen fremd<br />
sind.<br />
Don Pasquale stellt die Quintessenz eines<br />
Genres dar, das mehr als hundert Jahre<br />
fortbestanden hatte. Verdis Falstaff, der<br />
50 Jahre später entstand, steht offensichtlich in<br />
Donizettis Schuld, aber zu diesem Zeitpunkt<br />
waren Opernkomponisten schon ein ganzes<br />
Stück weiter. Heute sieht und hört man<br />
deutlich, daß Don Pasquale ein Ende und nicht<br />
einen Anfang bedeutet. Es ist aber ein Werk,<br />
das man vor allem wegen seines Reichtums an<br />
Erfindung und Charakter genießen sollte.<br />
Inhaltsangabe<br />
© 1998 Alan Blyth<br />
Übersetzung: Bettina Reinke-Welsh<br />
I. Akt<br />
Szene 1<br />
Don Pasquale, ein reicher, aber ältlicher<br />
26 27<br />
Junggeselle, hat zu heiraten beschlossen.<br />
Außerdem beabsichtigt Pasquale, seinen Neffen<br />
Ernesto zum Alleinerben zu machen, aber nur,<br />
wenn dieser eine gute Partie macht. Ernesto<br />
weigert sich, denn er ist in die mittellose<br />
Norina verliebt.<br />
Pasquale möchte seinen eigenen Sohn und<br />
Erben zeugen und hat seinen Freund Doktor<br />
Malatesta gebeten, eine geeignete Braut zu<br />
beschaffen. Malatesta erscheint, um seine Wahl<br />
bekanntzugeben: ein unschuldiges, im Kloster<br />
erzogenes junges Mädchen, schön wie ein<br />
Engel und im übrigen seine eigene Schwester.<br />
Pasquale verlangt sie augenblicklich zu sehen<br />
und bekundet, sobald er allein ist, unbändige<br />
Lust, Vater einer großen Familie zu werden.<br />
Ernesto findet das Vorhaben seines Onkels<br />
zunächst lächerlich, dann beunruhigend im<br />
Hinblick auf seine eigenen Aussichten; er ist<br />
bestürzt, als er erfährt, daß Malatesta ihn<br />
verraten hat, indem er seine eigene Schwester<br />
als Pasquales Braut vorgeschlagen hat.<br />
2. Szene<br />
In einem anderen Teil der Stadt blättert Norina<br />
in einem Liebesroman, gelangt jedoch zu dem<br />
Schluß, daß sie in solchen Fragen kaum der<br />
Belehrung bedarf. Sie erfährt brieflich, daß<br />
Ernesto enterbt worden ist und Rom verlassen<br />
will. Malatesta trifft ein; er beruhigt Norina