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WER WAR HANNAH ARENDT?

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RADIKALITÄT/BANALITÄT DES BÖSENIn Anlehnung an Immanuel Kant spricht Arendt von derRadikalität des Bösen. Wie sie in einem ihrerHauptwerke, „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“,erklärt, ist das Böse dann radikal, wenn keinerlei Motiv fürein Verbrechen ausgemacht werden kann. So lässt sichder Mord an sechs Millionen Juden weder durch Habgier,Missgunst, Eifersucht oder Neid hinreichend erklären,ausschlaggebend war hierfür einzig und allein eine irrationaleantisemitische Ideologie. Arendt ging es jedoch nichtum das Ausmaß, sondern um die Art der Verbrechen, diesie als historisch neuartig beschrieb. Die Kehrseite dieserRadikalität ist für Arendt die Banalität des Bösen –ein Begriff, den sie in ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess prägte. Die Verbrechen, die der Nazi-Schreibtisch -täter Adolf Eichmann auf sich lud, beruhen demnach eherauf Gedankenlosigkeit und Dummheit als auf Bösartigkeit.Diese Deutung stieß auf heftige Kritik seitens der jüdischenGemeinden in aller Welt. Arendt wurde vorgeworfen, dieNS-Verbrechen zu verharmlosen und Eichmann aus seinerVerantwortung zu entlassen. Einen wesentlichen Punkthat die Radikalität allerdings mit der Banalität des Bösengemein: In beiden Fällen liegt kein klassisches Tatmotivvor. Auch Eichmann ging es nicht darum, sich selbst zubereichern, sondern er folgte blind einer Ideologie.DENKEN, WOLLEN, URTEILENSo wie sie bei den praktischen Tätigkeiten zwischen Arbeiten,Herstellen und Handeln differenzierte, unterschiedArendt bei den geistigen Tätigkeiten zwischen Denken,Wollen und Urteilen. Denken ist das stille Zwiegesprächeines Menschen mit sich selbst, es geht dabei keineswegsum konkrete Resultate. Das Wollen ist zielstrebig und richtetsich, im Unterschied zu dem an Gegenwart und Vergangenheitorientierten Denken, auf die Zukunft. Es ist willkürlich,zuweilen ungerecht und schließt die Möglichkeit des Nichtwollensein. Das Urteilen, das sich wiederum auf Vergangenheitund Gegenwart bezieht, erfordert die Einnahme einerMetaperspektive, in der auch die Sichtweisen anderer vorkommen.Es abstrahiert von persönlichen Vorlieben undInteressen und kommt zu einem Ergebnis, das auch anderemögliche Sichtweisen einschließt. Während das Denkenund das Wollen im Singular stattfinden, setzt das Urteilendie Existenz einer Vielzahl von Menschen – zumindest inder Vorstellung des Urteilenden – ebenso voraus, wie einenvorübergehenden Rückzug aus der menschlichen Gesellschaft.Einen Mangel an Urteilskraft, den Arendt in Anschlussan Kant als die Unfähigkeit zum induktiven Denkenbezeichnet, ist ihr zufolge unheilbare Dummheit.Ferner wird das Erinnern, nach Arendt keine eigenständigeTätigkeit des Geistes, als besonderes Moment desDenkens wie auch des Urteilens klassifiziert.REVOLUTIONDer Begriff der Revolution ist abgeleitet von dem lateinischenVerb revolvere, was so viel heißt wie „wiederkehren“oder „sich wiederholen“. Arendt wendet sich entschiedengegen diese konservative Bedeutungskomponente,indem sie betont, dass eine Revolution im modernen Sinngerade nicht die Rückkehr zu etwas Altem, sondern denAufbruch zu etwas ganz Neuem bezeichnet. Im Unterschiedzu anderen Theoretikern geht sie jedoch nicht davon aus,dass Revolutionen immer gewaltsam verlaufen. Vielmehrkann das Neue – in der Regel der Wechsel zu einer demokratischenStaatsform – auch friedlich herbeigeführtwerden. Entscheidend ist, dass sich zu diesem Zweckviele Menschen zusammenschließen und gemeinsam denöffentlichen Raum erobern. Die gelungenste Revolution istihn Arendts Augen weder die Französische von 1789 nochdie Oktoberrevolution von 1917, sondern die AmerikanischeRevolution von 1760, die in den Augen vieler Historikerkeine Revolution, sondern eher eine Steuerrevolte war.Arendt favorisierte dieses Ereignis, weil dabei weder Hassauf die Herrschenden noch Mitleid mit den Armen oderUnterdrückten als Motiv ausschlaggebend war, sonderneinzig der Wille, der Freiheit einen Raum zu geben.Dass dies keineswegs selbstverständlich war, zeigt fürArendt die Französische Revolution: Ging es 1789 nochum das Erlangen von Freiheit, verkam die neue Republikbald selbst zur Tyrannei.17

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