50Technical and tactical analysisBallbesitzVorteile beim Ballbesitz garantierten nichtimmer den Sieg, sondern waren manchmalschlicht darauf zurückzuführen, dass dasbetreffende Team den Ball lange in deneigenen Reihen hielt, ohne eine Lücke in dergegnerischen Abwehr zu finden. Das Turnierbestätigte den Trend zu einem auf Ballbesitzausgerichteten Passspiel; allerdings konntenMannschaften wie Mexiko oder Argentinienaus ihren durchschnittlich 65 % Ballbesitzkein Kapital schlagen und schieden in derGruppenphase aus. Den Brasilianern und denSerben gelang es am besten, zwischen sorgfältigemSpielaufbau und schnellen Attacken zuvariieren, indem sie sich nach einem Ballgewinnim Mittelfeld so lange kurze und präzisePässe zuspielten, bis der Gegner aus demGleichgewicht geriet und damit der richtigeMoment für einen Vorstoss gekommen war.Schnelles UmschaltenDas schnelle Umschalten von Abwehr auf Angriffund umgekehrt wurde von allen Teamsangestrebt und erwies sich einmal mehr alswirkungsvolles taktisches Mittel. Nach einemBallverlust wurde der Gegner oft schon inseiner eigenen Platzhälfte früh unter Druckgesetzt, was – wie z. B. Brasilien demonstrierte– grosse Laufbereitschaft und gesundeZweikampfhärte bedingte. Die Effektivität desKonterspiels hängt vor allem davon ab, wieschnell die Spieler nach einem Ballgewinn dieSituation erfassen und entsprechend reagieren,sind es doch die ersten paar Sekunden, indenen sich der Gegner neu formiert, die überErfolg oder Misserfolg eines Konters entscheiden.Die höchste Qualität im Umschaltspiel legtenSerbien, Brasilien, Portugal, Deutschlandund Mali an den Tag. Grossen Einfluss auf dieAngriffsauslösung ihrer Teams hatten insbesondereMaksimovic und Zivkovic (Serbien),Gelson Martins (Portugal), Marcos Guilherme(Brasilien) und Adama Traoré (19, Mali).PressingDas neuseeländische Klima erleichterte dasPressing, was einige Mannschaften dazunutzten, den Druck permanent sehr hochzu halten. Teams wie Serbien, Brasilien oderMali waren jederzeit in der Lage, den Gegnerauf diese Weise weit vom eigenen Torfernzuhalten, und insbesondere die Brasilianerpraktizierten durch Jaja, Danilo und Boschilia,die stets sehr weit vorrückten, ein äusserstintensives Mittelfeldpressing. Die Möglichkeitzum frühen Pressing hing von der jeweiligenOffensivstrategie ab: Mannschaften, diegeschlossen nach vorne stiessen, hatten dannin der Regel auch vier oder fünf Spieler amrichtigen Ort, um einen verlorenen Ball rasch
Technical and tactical analysis 51zurückzuerobern, was bei Teams, die eindirekteres Spiel mit weiten Pässen in die Spitzebevorzugten, meist nicht der Fall war. Zieldes kollektiven hohen Pressings war es, denballführenden Gegenspieler zu bedrängen,seine Kurzpasswege zu unterbinden und dieRäume eng zu machen. Pressing, vor allem imMittelfeld, wurde von vielen Teams bewusstals taktisches Mittel eingesetzt (z. B. von Serbien,Brasilien, Deutschland und Mali).KonterEin hoher Anteil der aus dem Spiel herauserzielten Tore wurde durch Mittelfeldspielereingeleitet, die nach einem Ballgewinn blitzschnellreagierten und im Zusammenspiel mitmehreren Teamkollegen nach vorne stiessen,bevor der Gegner seine Defensivpositioneneinnehmen konnte. Einige Mannschaften,unter ihnen Serbien, die Ukraine und Senegal,verteidigten kompakt und tief, um dann imrichtigen Moment überraschend vorzupreschen.Die meisten der erfolgreichen Teams, soz. B. Brasilien, Deutschland, Mali und Portugal,überzeugten mit einer guten Mischungvon sorgfältigem Spielaufbau und schnellemKonterspiel, die sie dem Spielstand und demGegner anpassten.PasskombinationenDie erfolgreichen Mannschaften hielten denBall flach und pflegten ein schnörkelloses,aber varianten- und temporeiches Passspiel,wie es insbesondere auch die Konter von Serbienund Mali auszeichnete. Vor allem in derAbwehr und im Mittelfeld liessen die Spielerden Ball präzise und sicher zirkulieren. DasPassspiel vieler Teams war von hoher Qualität,ebenso wie ihre Fähigkeit, die Angriffe zuvariieren (z. B. Brasilien) und auch unter Druckden Ballbesitz zu wahren.Technische QualitätEin herausragendes Merkmal dieses Turnierswar die hohe technische Qualität. GuteBeispiele dafür waren die flüssigen Kombinationender Brasilianer oder die individuelleund kollektive Brillanz der Malier bei ihremdritten Tor gegen Senegal durch Samassekou(8) im Anschluss an einen Freistoss. Durch eineerstklassige Technik zeichneten sich nicht nurOffensivspieler, sondern auch viele Verteidigeraus, so wie etwa Panamas Escobar (6),der nach einem Doppelpass von ausserhalbdes Strafraums abzog und einen herrlichenTreffer erzielte. Der moderne, schnelle Fussballverlangt auf jeder Position grosse technischeVersiertheit. Die vier brasilianischen Abwehrspielerwaren alle jederzeit in der Lage, sichin den Angriff einzuschalten, ebenso wie dieVerteidiger Malis, Senegals, Portugals undSerbiens. Neben Mannschaftsdienlichkeiterwarteten die Trainer von ihren Schützlingenvor allem Entschlusskraft, Genauigkeit undSchnelligkeit.StandardsituationenDie FIFA U-20-Weltmeisterschaft 2015 belegteeinmal mehr die grosse Bedeutung von Standardsituationen,die zu 45 der 154 Turniertrefferführten – das sind stolze 29 %, was denhohen Aufwand zweifellos rechtfertigt, denmanche Spieler für das Üben von Freistössenund Eckbällen betreiben. Allgemein waren dieFreistösse aus allen Winkeln und Entfernungenvon hoher Qualität. Einige Trainer hattenoffensichtlich in der Vorbereitung mehr Wertauf diesen Aspekt gelegt als andere, was sichdenn auch bezahlt machen sollte.