19.08.2015 Views

Steiler Zahn und Co. Rede von Brigitte Bausinger zur ... - Treib-Art

Steiler Zahn und Co. Rede von Brigitte Bausinger zur ... - Treib-Art

Steiler Zahn und Co. Rede von Brigitte Bausinger zur ... - Treib-Art

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

<strong>Steiler</strong> <strong>Zahn</strong> <strong>und</strong> <strong>Co</strong>. <strong>Rede</strong> <strong>von</strong> <strong>Brigitte</strong> <strong>Bausinger</strong> <strong>zur</strong> EröffnungVS-Villingcn 22Juli 2005Es kommt immer öfter vor, ja ist fast schon Mode geworden, dass Kulturan außerordentlichen Orten präsentiert wird: Musik in verödetenFabrikhallen, Lesungen in Schuhgeschäften, <strong>und</strong> Kunst nicht nur inGalerien <strong>und</strong> Museen, sondern auch in Flughäfen <strong>und</strong> Gartenhäusern,Boutiquen <strong>und</strong> Weinkellern <strong>und</strong> eben auch in Arztpraxen. So müssen wiruns auch nicht w<strong>und</strong>ern, dass hier ein kunstliebender <strong>Zahn</strong>arzt seineRäume <strong>und</strong> Wände <strong>zur</strong> Verfügung stellt, sich selbst zum Vergnügen,seinen Patienten <strong>zur</strong> seelischen Stärkung vor mehr oder wenigerbelastenden Proceduren. Aber natürlich ist dies nicht der einzigeNutzeffekt es handelt sich um eine willkommene Chance fürKünstlerinnen <strong>und</strong> Künstler, ihre Werke auszustellen; umso willkommener,nachdem das Mäzenatentum der Banken in den letzten Jahren spürbarnachgelassen hat <strong>und</strong> immer weniger Geldinstitute bereit sind,Ausstellungen zu arrangieren <strong>und</strong> so mit der Kunst auch Menschen zukonfrontieren, die normalerweise die traditionellen Kunsttempel nichtbetreten.Auch was man in Banken erfiihrt, ist gelegentlich schmerzhaft, aber physischnicht so präsent wie immer noch in den <strong>Zahn</strong>arztpiixen. Merkwürdigerweise,denn die technische Verfeinerung hat den Schmerz vielfach Überspielt; - einengewissen Alltagsheroismus fordert der Besuch beim <strong>Zahn</strong>arzt trotzdem immernoch ab, <strong>und</strong> ich stelle mir vor, dass es auf jeden Fall hilfreich ist, wenn diePatienten in der sonst aseptischen Umgebung die farbige Bilderwclt aufnehmenkönnen. Und damit ist auch schon ein gan/es Stück weit erreicht, was dieOrganisatorin dieser Ausstellung, die um sprudelnde Ideen nie verlegene I.Wicche, bewirken will. (T)REIBART nennt sie programmatisch ihre Initiative, diean ungewohntem Ort hautnah Kunst vermittelt.Das Projekt, zu dem die Dres. Jauch einladen nicht nur <strong>zur</strong> Freude ihrerK<strong>und</strong>schaft, sondern auch <strong>zur</strong> Belebung der Kunst in der Doppelstadt <strong>und</strong> alsErinnerung an den Förderverein ftlr Behinderte Feldner Mühle dieses Projekt,an dem sich sieben Künstlerinnen <strong>und</strong> drei Künstler beteiligt haben, trägt denTitel „<strong>Steiler</strong> <strong>Zahn</strong> <strong>und</strong> <strong>Co</strong>. T". <strong>Steiler</strong> <strong>Zahn</strong> das war Anfang der 50er Jahreeine der gängigsten Slang- <strong>und</strong> Modevokabeln, ein Ausdruck flir attraktive


Frauen mit Biss, ein wenig anklingend an Vamp. Für die Jugendlichen, diedamit kokettierten, war der Ausdruck bald wieder out - für sie haben modischeWörter ebenso wie modische Sachen ein enges Verfallsdatum. Für dieErwachsenen dagegen ist der steile <strong>Zahn</strong> oft die Vokabel, die ihnen aus jenerZeit im Kopf geblieben ist. Ich stelle mir jedenfalls einenBesucher der Praxis vor, der an seine Glanzzeilen <strong>zur</strong>ückdenkt, als ihn dieändern um seinen steilen <strong>Zahn</strong> beneidet haben. Als erstes fallt ihm hiervielleicht das Original ins Auge, das auf der Einladungskarte abgebildet ist: einHolzstück mit den charakteristischen Umrissen eines <strong>Zahn</strong>s mit einerimplantierten Goldspur, schaltenwerfend appii/iert auf eine goldgelbeLeinwand, Vielleicht ist es ein Hinweis auf den versteckten Reichtum, denunsere Gesellschaft nicht nur in den Mündern verbirgt, den der Künstler RainerHoffeiner hier angebracht hat.In Illustrierten waren vor nicht all/u langer Zeit zwei übergroße steile Zähneabgedruckt, einer aus Carrara-Marmor auf einem Freiplatz, der andere alsGipsmodell in einem Altonaer Einkaufszentrum. Hier halten sich die Formatezwangsläufig in Grenzen. Aber auch so werden spielerisch Assoziationenabgerufen wie etwa in der Zeitreise <strong>von</strong> Fräulein <strong>Zahn</strong>. Diese Dame, der ihreSchöpferin einen altmodischen Titel verpasste, ist blond (Keine direkteÄhnlichkeit mit meinem schwarzhaarigen ,<strong>Zahn</strong>', denkt der Patient), isstgenüsslich Kuchen, <strong>und</strong> um sie herum gruppieren sich irgendwelcheStadtimprcssionen. Nicht prima vista, sondern erst auf den zweiten Blickerkennt der Betrachter bekannte Bauwerke aus Berlin. Die Metallskulptur ausBerlin-Milte, der Berliner Dom, der Femsehtunn sie rücken zusammen <strong>und</strong>werden in den Umkreis <strong>von</strong> Fräulein <strong>Zahn</strong> geholl. Renate Quast, die sich mitihrer Fotografik längst einen Namen gemachl hat, erfasst mit ihrer Kamera inMehrfachbelichtuugcn lokale Situationen <strong>und</strong> komponiert sie zu zauberhaftenAsso/iationsreihen, zu Suchspiclcn in einer gan/. eigenen Sprache in diesemFall zu einer Zeitreise, treibender Erinncrungsfluss im Kopf der jungen Frau mitBildern aus Osl <strong>und</strong> West, aus Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart.Zeitreisen, Erinnerungssondierungen unternehmen aber auch viele der anderenKünstler. Da ist etwa eine italienische Bildungsreise; eine Station war Ferrara<strong>und</strong> dort als unvergesslicher Eindruck Lukrezia Borgia, steiler <strong>Zahn</strong> derRenaissance, Tochler <strong>von</strong> Papst Alexander VI., schön, begehrt, mehrfach


verheiratet, immer wieder - <strong>und</strong> oft zu Unrecht verleumdet, Attraktion fürDichter <strong>und</strong> Künstler am Hof. Rosenumkränzt, ein Diadem auf der Stirn, mitedlem Gesicht schaut sie auf uns. Manfred Vorreiter aus Esslingen hat sieporträtiert <strong>und</strong> Details aus ihrem Leben mit Farbstift <strong>und</strong> Deckfarben Zu einergroßzügigen <strong>Co</strong>llage zusammen gefügt.In den Bildern <strong>von</strong> Martina Mahle aus Stuttgart ist der steile <strong>Zahn</strong> in die äußerstenFußspitzen gewandert; die Stöckelschuhe sind gewissermaßen der modischeKontrapunkt zum attraktiven <strong>Zahn</strong>, wie dieser am besten geeignet für blankesParkett oder gar - wie in den leuchtend bunten Bildern heiter schwebend überdem Boden.Stefanie Bracht! aus Herrenberg präsentiert ihre steilen Zähne nackt <strong>und</strong> erotisiert,in federleichten Ski/,/en, Spiel <strong>und</strong> Gegenspiel <strong>von</strong> Bildern <strong>und</strong> frechenBildunterschriften, teils in aktuelleren Posen, teils auch mit Assoziationen aus derKunstgeschichte: die immer wieder reproduzierte Nofretete taucht bei ihr alsgeklonter steiler <strong>Zahn</strong> auf. Ob das dreidimensionale Objekt die ummantelte, aufKorken stehende Schneidcrbüste - etwas mit den Anstrengungen derzeichnerischen Arbeit zu tun hat, darauf könnte nur die Künstlerin selbst Auskunftgeben; immerhin sind darin die Relikte <strong>von</strong> vier italienischen Rotweinflaschenverarbeitet, so dass die als Spieluhr fungierende kleine Skulptur wie ein Mementoschaffensseligcr Trunkenheit erscheint.Relativ dicht bei den wirklichen Zähnen ist Monika Krautscheid-Bosse mit ihrenBildern geblieben. Schon die Titel - nicht nur Superzahn, sondern auch Wurzel<strong>und</strong> Gezogener <strong>Zahn</strong> -weisen daraufhin. Von der Laborwirklichkeit sind sie aberweit weg; es sind Übersetzungen <strong>von</strong> Gefühlen ins Bildhafte, was etwa bei denFarbblitzen im Bild vom gezogenen <strong>Zahn</strong> deutlich wird: zuckender Schmerz, deraber in warmen Tönen ausläuft.Auf ein besonderes Objekt stößt der Patient, den wir bei seinem kleinen R<strong>und</strong>gangbegleiten, in Gestalt des kostbaren, in sehr begrenzter Auflage hergestelltenMultiples <strong>von</strong> Friederun Friederichs. Ein Objekt in Form eines kleinen Buchs; mitden beigelegten weißen Handschuhen geöffnet gibt es seine Inhalte preis: Samen<strong>und</strong> Pflanzenteile /.Sehen sich erdig <strong>und</strong> naturgetreu in Aquarellfarben durch dieSeiten, <strong>und</strong> schwebend belebt ein Satyr die Szenerie - auch er, dem Vampirverwandt, ein <strong>Zahn</strong>mensch der phantastischen <strong>Art</strong>, der seine Hauer (<strong>und</strong> nicht nursie) nach Belieben einsetzen kann.


Ein Objekt <strong>von</strong> Gina Breithaupt aus Oldenburg hat im Unterbau die beherrschendeInschrift „M<strong>und</strong>los"; darüber erhebt sich ein farbiger Fächer mit gut eingewurzeltenzahnartigen Gebilden, Das merkwürdige Wort findet seine Erklärung im Titel desObjekts: „Zensur" - wo nichts gesagt werden darf, bündeln sich farbig dieGedanken <strong>und</strong> Bilder im Kopf. Zwei weitere Objekte sind fast mannshohe schmaleSäulen aus versiegeltem Plexiglas, die in bunterKomposition lauter kleine Gegenstände enthalten, die <strong>von</strong> der Patina derErinnerung überzogen sind. Es sind Stücke, welche die Künstlerin durchs Lebenbegleitet haben, keine Wertgegenstände, aber wertvoll als Signale wichtigerErinnerungen. Frau Breithaupt hat diesen Objekten den Titel gegeben: „Alles liebeSachen" - <strong>und</strong> vielleicht denkt der Patient, der auf seine Behandlung wartet, dassdies eigentlich ein Titel für alle Ausstellungsstücke ist, für all die verschiedenensteilen Zähne.Ganz am Ende ist er noch nicht mit seiner Besichtigungstour. Seit einiger Zeitnützen manche Mediziner musikalische Offerten, um ihre Patienten zu beruhigen<strong>und</strong> vielleicht auch abzulenken - wenigstens ist mir das aus einzelnen Klinikenberichtet worden. Ich weiß nicht, ob es solche Ansätze auch im zahnärztlichenBereich gibt, <strong>und</strong> ich weiß erst recht nicht, ob es auch Strategien visuellerAblenkung gibt. Sonst könnte in der Praxis das Video <strong>von</strong> Sibylle Burr <strong>und</strong> Cars tenRoppe eingesetzt werden. Es trägt den Titel „Eflux", abgeleitet vom lateinischeneffluere: das Ausströmende, Wegfließende. Wie <strong>von</strong> Zauberhand dirigiert fallenblaue Farbstoffpigmente in quirligen Arabesken auf den Gr<strong>und</strong> einesWasserglases, füllen es tiefblau bis zum Rand <strong>und</strong> entweichen wieder auf diegleiche zaubrische Weise zu den Klängen meditativer Musik. Ins Farbigeübersetzte Emotionsströme, aber keine reine Esoterik, sondern ein künstlerischaufgehobenes physikalisches Ereignis.„<strong>Steiler</strong> <strong>Zahn</strong> <strong>und</strong> <strong>Co</strong>." heißt die kleine Ausstellung, <strong>und</strong> unter dieser dem <strong>Zahn</strong>beigefügten <strong>Co</strong>mpany kann man sich Verschiedenes vorstellen: die Bilder <strong>und</strong>Objekte, die sich nur locker dem <strong>Zahn</strong>thema anschließen, aber auch die hierversammelte Kompanie der Betrachterinnen <strong>und</strong> Betrachter. Und dieser Kompaniewünsche ich viel Vergnügen, mit der Kunst <strong>und</strong> auch sonst - gemäß demhübschen alten Sprichwort: Gute Zähne haben <strong>und</strong> nichts zu essen ist verdorbenWerk.

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!