KOMISCHE KNOCHEN
KOMISCHE KNOCHEN - beschreiber.de
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In seinem Atelier beschäftigt<br />
Hyungkoo Lee Mitarbeiter, die<br />
ihm helfen, die von ihm<br />
gestalteten Negativformen<br />
aus Silikon mit Kunstharz<br />
auszugießen, um möglichst<br />
„lebensechte“ Comic-Knochen<br />
zu erhalten.<br />
Nichts wie hinterher! Willi Koyote in<br />
typischer Rennpose. Zum<br />
ersten Mal allerdings als Skelett.<br />
Wie ein fossiler Fund sieht<br />
das Comictier dadurch aus. Unten<br />
eine kolorierte Vorzeichnung<br />
für den Totenkopf von Micky Maus.<br />
Foto: Arario Gallery,/Hyungkoo Lee<br />
auf dem riesigen Holztisch jede<br />
Menge Knochen zwischen anatomischen<br />
Werken und Fläschchen<br />
mit Chemikalien; Zangen<br />
und Pinsel, Messlehren, Pinzetten<br />
und allerlei andere Gerätschaften<br />
liegen neben einem altmodischen<br />
Mikroskop, wie es<br />
schon Georges Cuvier oder Alexander<br />
von Humboldt benutzt<br />
haben könnten. Auf dem Boden<br />
häufen sich neben einem Rucksack<br />
aus grobem Leinen Gesteinsproben<br />
und ein Geologenhammer,<br />
während die Wände<br />
von alten Vitrinen und Schubladenschränken<br />
gesäumt sind.<br />
Ein ehemals weißer, zünftig befleckter<br />
Arbeitskittel hängt lässig<br />
über einem menschlichen Skelett; die abgelegte Lesebrille<br />
und eine leere Kaffeetasse auf dem Tisch vervollständigen<br />
den Eindruck, dass der Gelehrte nur mal<br />
eben aus dem Raum gegangen ist. Ein romantisches<br />
Naturforscheridyll, fast schöner als in Wirklichkeit.<br />
Und tatsächlich hat Lees Arbeit viel mit der Vorgehensweise<br />
eines Forschers gemein. Jedem Objekt<br />
geht ein intensives Studium der Anatomie voraus,<br />
etwa anhand von Büchern; dann folgt die Auseinandersetzung<br />
mit dem jeweiligen Tier, dem er sich zunächst<br />
zeichnend nähert. So bekommt er ein Gefühl<br />
für die Proportionen und die anatomischen Eigenheiten.<br />
Auch diese, mit altmeisterlicher Sorgfalt angefertigten<br />
Zeichnungen sind faszinierend, weil sie den<br />
Erkenntnisprozess sichtbar machen, der in den<br />
fertigen Skeletten kaum mehr zu erahnen<br />
ist. Nach dem Zeichnen folgt dann<br />
der eigentliche Bau des Skeletts, ein<br />
kreativer, schöpferischer Akt im wahrsten<br />
Sinn des Wortes. Jeder einzelne Knochen,<br />
vom Schädel über die Wirbelsäule<br />
bis zum kleinsten Fingerknöchelchen,<br />
wird zunächst präzise aus Knete<br />
geformt. Dieses Positiv führt zu einer<br />
Negativform aus Silikon, in der wiederum<br />
der endgültige „Knochen“ aus<br />
Kunstharz gegossen wird. Nach dem<br />
Die mit geradezu<br />
altmeisterlicher<br />
Sorgfalt gefertigten<br />
Zeichnungen sind<br />
faszinierend, weil<br />
sie den Erkenntnisprozess<br />
sichtbar<br />
machen<br />
Erstarren wird der „Knochen“ aus der Silikonform<br />
gelöst und weiter bearbeitet: geschliffen, poliert und<br />
mit einer Patina aus Ölfarbe versehen, bis er realistischer<br />
wirkt als so mancher echte Knochen.<br />
Wie sehr sich der Künstler dabei in die Anatomie<br />
seiner Figuren einarbeiten und welche schwierigen<br />
Entscheidungen er im Lauf des Prozesses treffen<br />
muss, zeigt sich immer wieder auf überraschende<br />
Weise. Die Erfinder von Donald Duck, Willi Koyote<br />
oder Bugs Bunny haben sich ja keine Gedanken darüber<br />
gemacht, ob ihre Geschöpfe auch aus Fleisch<br />
und Blut existieren könnten. Lee aber muss das,<br />
wenn er realistische Skelette bauen will. Und dabei<br />
stellt er natürlich fest, dass ein Kaninchen gar nicht so<br />
aufgerichtet gehen könnte, wie Bugs Bunny es tut, weil<br />
die Wirbel seiner Wirbelsäule dazu in<br />
die falsche Richtung stehen. Um aufrecht<br />
gehen zu können, braucht Bugs<br />
Bunny eine Wirbelsäule, die so ausgerichtet<br />
ist wie die des Menschen. Auch<br />
Willi Koyote hätte seine Schwierigkeiten<br />
mit dem aufrechten Gang: Das Hinterhauptsloch,<br />
durch das in Verlängerung<br />
der Wirbelsäule die Halsschlagader<br />
und die Hauptnervenstränge in<br />
den Kopf führen, liegt beim Koyoten<br />
wie bei allen Vierbeinern hinten am<br />
kunst + kultur www.natur.de 08/2008 79