November_2015
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Liebe Angehörigen unserer Pfarreiengemeinschaft,<br />
liebe Leserinnen und Leser unseres Pfarrbriefes,<br />
in meiner Kinder- und Jugendzeit war es für mich und meine Geschwister<br />
immer ein besonderes Erlebnis, zusammen mit unseren Eltern<br />
am Abend von Allerheiligen bzw. Allerseelen die Gräber unserer<br />
verstorbenen Großeltern zu besuchen. Durch die vielen Lichter, die<br />
auf jedem der liebevoll geschmückten Gräber brannten, herrschte eine<br />
besondere, ja beinahe festliche Stimmung. Die Lichter brachen die<br />
Nacht auf und vertrieben die Dunkelheit.<br />
Was wir Kinder damals noch nicht so richtig verstehen konnten, war<br />
der tiefere Sinn, der hinter diesem Brauch steht. Der Ursprung liegt<br />
wohl weit zurück in den vorchristlichen Totenkulten. Es gab dort die<br />
Vorstellung, dass die Geister der Toten ruhelos umherirren müssen, so<br />
lange nicht die Schuld aus ihrem irdischen Dasein gesühnt war. Darum<br />
war es Sitte, den Verstorbenen neben Waffen, Kleidungsstücken und<br />
Nahrungsmitteln, auch Lichter und Fackeln mit ins Grab zu geben.<br />
Durch das Anzünden dieser Opferlichter wollten die Lebenden den<br />
Toten helfen, ihren Frieden zu finden, d.h. in die „ewige Ruhe“ einzuziehen.<br />
Rein äußerlich betrachtet haben wir Christen den heidnischen<br />
Kultbrauch übernommen, ihn aber inhaltlich mit neuem Leben gefüllt.<br />
So brennen das ganze Jahr hindurch, besonders aber jetzt im <strong>November</strong>,<br />
in den Ampeln auf den Gräbern die kleinen roten Lichter. Sie gehören<br />
wie selbstverständlich zu unserer Friedhofskultur. Diese Lichter<br />
wollen allerdings nicht – wie bei unseren heidnischen Vorfahren – den<br />
Geistern der Verstorbenen heimleuchten, sondern Zeichen dafür sein,<br />
dass unseren Verstorbenen das „ewige Licht“ leuchten wird. Sicher<br />
sind sie oft „Platzhalter“ für uns und unsere Gebete, die in ihnen weiterbrennen<br />
sollen. Die stillen Flammen sind aber auch Sinnbilder der<br />
Auferstehung und setzen so Zeichen der Hoffnung wider die scheinbare<br />
Sinnlosigkeit des Sterbens.<br />
Der Grund dieser Hoffnung lässt sich bereits in der Geschichte Israels<br />
ausmachen. Gott wurde als Lebender und Lebenspendender erfahren,<br />
der alles Dunkle und Festgefahrene auf eine neue Zukunft und einen<br />
neuen, befreienden und erfüllenden Sinn hin aufbrach. Diese Urerfahrung<br />
wird in der Auferstehung Jesu dann eindeutig und endgültig<br />
ausgeweitet. Gott belässt es nicht bei dem scheinbar vergeblichen<br />
Leben Jesu, sondern verfügt über Möglichkeiten, alles in eine heilvolle,<br />
vollendete Zukunft aufzubrechen. In der Auferweckung Jesu erweist<br />
sich Gott als der Gott, dessen Zukunft nichts auslässt und sich<br />
gegen alle Widerstände und Sinnwidrigkeit durchsetzt.<br />
Wir Christen können uns daher auf das Wagnis der Hoffnung einlassen<br />
und glaubend darauf vertrauen, dass der Gott, der Jesus von den Toten<br />
auferweckt hat, alles zu einem guten Ende führen wird. Wenn wir<br />
also in den Tagen um Allerheiligen unserer Verstorbenen gedenken<br />
und ihre Gräber besuchen, dann tun wir das aus der Hoffnung heraus,<br />
dass mit dem Tod eben nicht alles aus ist, sondern dass Jesus Christus<br />
uns auf den Weg zum Vater mitnimmt und uns an seiner Herrlichkeit<br />
teilhaben lässt, denn „wie in Adam alle sterben, so werden in Christus<br />
alle lebendig gemacht werden“ (1 Kor 15,22).<br />
Die Ampeln und Kerzen sind über Jahrhunderte hinweg Leuchtsignale<br />
dieses Glaubens. Dort, wo der Tod allmächtig erscheint, wo er gewissermaßen<br />
allgegenwärtig ist, stellen wir Lichter auf gegen die Trauer<br />
und die Hoffnungslosigkeit. Die Lichter protestieren für das Leben,<br />
das nicht auf dem Friedhof endet, sondern in Gottes „ewigem Licht“<br />
weiterlebt.<br />
Vielleicht zünden Sie daher gerade in diesen Tagen eine Kerze an und<br />
lassen Sie sie für sich „beten“. Und wenn Sie auf den Friedhof zu den<br />
Gräbern ihrer Verstorbenen gehen, dann zünden Sie auch dort ein<br />
Licht an. Dazu können Sie gerne beten: „Herr, gib ihnen die ewige<br />
Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen.“ Und vielleicht fügen Sie<br />
noch einen kleinen Gebetsvers für sich selbst an: „Herr, hilf mir, aus<br />
der Dunkelheit mit dir ins Reich des Lichtes gehn; und lass dereinst<br />
auch meinen Leib verklärt zum Leben auferstehn.“<br />
Ihr Kaplan Carsten Scher<br />
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