nahostkonflikt_weltreligionen
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
-16-<br />
das Banner Gottes über jedem Zipfel Palästinas aufrichten (Artikel 6). Palästina<br />
sei islamisches Stiftungsland. „Die Muslime der Eroberungszeit haben es den<br />
muslimischen Generationen bis zum Tag der Auferstehung als waqf [Stiftung]<br />
übertragen“. Nach der Eroberung habe der Kalif entschieden, dass das Land in<br />
der Hand seiner Bewohner bleiben sollte, die Einkünfte daraus aber auf ewig<br />
einer gemeinnützigen Verwendung zufließen sollten (Art. 11). Mit dieser<br />
Deutung griff Hamas ein Konzept auf, das erst im 20. Jahrhundert in<br />
Auseinandersetzung mit dem Zionismus seine heutige Bedeutung erhalten hat. 45<br />
Zwar geht die Institution des waqf als solche auf den Propheten zurück. Dieser<br />
hatte es einem Mitkämpfer angeraten, eroberte Ländereien den Bedürftigen als<br />
Almosen zu übertragen und damit unveräußerlich zu machen. Doch die<br />
Übertragung auf Palästina als ganzem ist neueren Datums. In den dreißiger<br />
Jahren sprachen sich islamische Gelehrte gegen einen Verkauf palästinensischen<br />
Landes an Juden aus, bis schließlich der Mufti Palästinas, Amin al-Husaini,<br />
1935 in einer Fatwa Palästina als anvertrautes Gut (amana) der Muslime<br />
reklamierte und diejenigen, die das Land verkauften. als Abtrünnige verurteilte.<br />
In Analogie zur jüdischen Idee einer ‚Erlösung’ des Bodens forderten Muslime<br />
seine ‚Rettung’.<br />
Durch die Einbeziehung eines alten islamischen Rechtsinstitutes in die<br />
Situationsdeutung wurde der palästinensische Nationalismus im Islam verankert.<br />
„Der Patriotismus (wataniya) … ist ein Teil der Religion“, heißt es in der Charta<br />
daher weiter. Der Kampf gegen die Besatzung ist die Erfüllung eines alten<br />
Gebotes. Friedliche Lösungen dürfe es nicht geben. „Keine Lösung der<br />
Palästinafrage außer durch den Jihad“ (Art. 13). „Der Jihad für die Befreiung<br />
Palästinas ist die Pflicht jedes Muslims. An dem Tag, an dem die Feinde ein<br />
Territorium der Muslime erbeuten, wird der Jihad individuelle Pflicht für jeden<br />
Muslim“ (Art. 15). Die Begründung für die Deutung des Landes als waqf fügte<br />
dem Nationalismus eine soziale Dimension hinzu. Die Bewegung hielt sich<br />
zugute, die soziale Solidarität und die Fürsorge für die Bedürftigen zu ihrer<br />
Aufgabe zu machen. Die islamische Gesellschaft sei eine kooperative (Art. 20<br />
und 21). Hamas achte und respektiere andere islamische Bewegungen, da jede<br />
das Recht zur eigenständigen Interpretation des Islam (ijtihad) habe (Art. 23).<br />
Die PLO sei ein enger Gefährte, habe allerdings den Fehler begangen, die Idee<br />
45<br />
Krämer, Geschichte Palästinas, S. 292-296; zur Rechtsinstitution des waqf siehe Jan-Peter Hartung,<br />
“Die fromme Stiftung [waqf]. Eine islamische Analogie zur Körperschaft“. In: Hans G. Kippenberg/<br />
Gunnar Folke Schuppert (Hg.), Die verrechtlichte Religion. Der Öffentlichkeitsstatus von<br />
Religionsgemeinschaften. Tübingen: Mohr Siebeck 2005, S. 287-314, hier S. 298-303.