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Lakshman bei der Wundversorgung<br />
Rajesh erklärt Bhumeswahr den neuen Inhalator.<br />
Eines Tages brach in der Nähe unserer Straßenklinik ein Junge zusammen, er krampfte und zuckte. Wir wurden herbeigerufen<br />
und brachten den Jungen schnell in ein Krankenhaus, wo seine Epilepsie diagnostiziert wurde. „Wie hast du den bösen Geist<br />
vertrieben?“, wollte Lakshman anschließend erstaunt von mir wissen und vertraute mir an, dass seine Tochter im Dorf dieselbe<br />
Art Zusammenbrüche hätte. „Wir haben alles versucht. Wir haben Pujas (Gottesdienste) abgehalten und dem Tempel Opfer<br />
gebracht. Meine Frau und meine Tochter fasten regelmäßig, um den bösen Geist auszutreiben, doch nichts hat geholfen.“ Ich<br />
erklärte daraufhin Lakshman, dass es eine Therapie gäbe, die auch seiner Tochter ermöglichen würde, ein weitgehend normales<br />
Leben zu führen.<br />
Lakshman reiste umgehend in sein Dorf und brachte seine Tochter mit. Wir ließen sie untersuchen und medikamentös einstellen,<br />
so dass sie schon bald in ihr Dorf zurückkehren konnte. Seitdem sie die Medikamente nimmt, hat sie ihre Epilepsie viel besser<br />
unter Kontrolle. Auf diese Weise konnte sie schließlich auch problemlos verheiratet werden. Denn Lakshman befürchtete<br />
zuvor, wenn ihre Krankheit für alle sichtbar wäre, sie niemand als Braut akzeptieren würde. Unverheiratet zu sein, gilt in Indien<br />
als Makel.<br />
Schmunzelnd erinnere ich mich noch heute gern an jenen Tag, als Lakshman mich wegen seiner Brille ansprach, die er von<br />
uns Jahre zuvor erhalten hatte. Damals war er begeistert gewesen, wieder besser sehen zu können. Nun waren seine Augen<br />
schlechter geworden, die Sehstärke der Gläser stimmte nicht mehr. Doch das wusste er nicht und nahm anscheinend an, dass<br />
es sich bei einer Brille um ein technisches Gerät handelt, bei dem vielleicht die Batterien entladen waren oder der Motor defekt<br />
war. Er deutete auf die Brille und sagte mit großen Augen: „Power finished...“ („Energie zu Ende“).<br />
Bhumeshwar und Lakshman nahmen nicht nur an der Lepratherapie erfolgreich teil, sondern ergriffen auch die Chance, in<br />
unseren damaligen Workshops, Handarbeiten herzustellen, um sich ein Sparguthaben zu erarbeiten. Für die Leprakranken war<br />
das damals die erste Möglichkeit, nach Ausbruch ihrer Krankheit, durch eigene Tätigkeit Geld zu verdienen, anstatt nur auf<br />
das Betteln angewiesen zu sein. Diese nahmen sie alle mit großem Enthusiasmus wahr. Ihr Selbstwertgefühl war wieder ein<br />
kleines Stück zurückgekehrt.<br />
Für Lakshman kaufte ich damals ein ganzes Set Scheren, Kämme, Rasierer und Spiegel, so dass er den Bettlern und den anderen<br />
Leprakranken die Haare schneiden und die Bärte rasieren konnte. Fortan verdiente er sich damit ein Zubrot. Mein Ziel war,<br />
dass jeder Einzelne von Ihnen genügend Geld ansparte, damit er einen wirklichen Schritt vorwärts gehen konnte. Diese Sparguthaben<br />
sollten sie als geheilte Leprabetroffene wieder im normalen Leben integrieren.<br />
Manche wünschten sich, ein Haus in einer Leprakolonie zu bauen. Andere wollten, ausgerüstet mit einem Wasserbüffel, einer<br />
Kuh oder einer Wasserpumpe zur Bewässerung der Felder, die Rückkehr in ihr Dorf wagen. Einigen ist das tatsächlich<br />
gelungen, da sie nicht als Bettler – also nicht mit leeren Händen<br />
– kamen. Bhumeshwar und Lakshman verbrachten nun<br />
ihr Leben pendelnd zwischen ihren Dörfern und der Straße:<br />
Während großer Götterfeste, wenn sich das Betteln lohnte,<br />
kehrten sie nach Benares zurück, ansonsten waren sie bei<br />
ihren Familien. Doch die vielen Jahre mit Lepra und anderen<br />
Krankheiten, die sie während ihres Straßenlebens gequält<br />
hatten, schwächten die beiden Männer zunehmend.<br />
Lakshman hatte schon das letzte Jahr schwer mit einer halbseitigen<br />
Lähmung zu kämpfen. In den letzten Wochen hatte<br />
sich sein Zustand stetig verschlechtert, doch zumindest konnte<br />
er in seinem Heimatdorf friedlich einschlafen. Bhumesh- war<br />
litt in Folge der Lepraerkrankungen schon 8 Jahre an Asthma<br />
und Atemproblemen. Letztere nahmen im Oktober immer<br />
mehr zu, auch ärztliche Versorgung und Medizin brachten<br />
schließlich keine Besserung mehr. Back to Life wird natürlich<br />
die monatliche finanzielle Unterstützung sowie sozialen<br />
Hilfen für die Ehefrauen und Kinder fortsetzen.<br />
Stella Deetjen<br />
Stella Deetjen im Kreis der Lepra-Betroffenen<br />
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