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<strong>Free</strong> <strong>Like</strong> A <strong>Sparrow</strong><br />

Kurzgeschichte mit den Jackson 5<br />

© by Sky* 01-2016


„Mike komm mit! Unten steht 'n Kickertisch.“<br />

Jermaine buffte seinen kleineren Bruder an, so wie Brüder das halt<br />

tun.<br />

„Nein, ich... will das noch zu ende lesen.“<br />

Der Kleinere mit dem gleichen Afro wie sie ihn alle fünf trugen, hielt<br />

sein Comic-Buch in die Luft. Dagobert Duck streckte auf dem Cover<br />

seinen Stock in die Höhe und tanzte glücklich im Goldtaler-Regen.<br />

Randy war was das Tischfußball-Spiel anging pragmatisch.<br />

„Vier paschen eh bescha alsch fünf“, nuschelte er, den Mund voller<br />

Pop Corn und schob den größten von ihnen vor sich aus der Tür.<br />

Seine Finger zu Ringen geformt wie ein Brille, rollte Tito wild mit<br />

den Augen.<br />

„Du Bücherwurm. Bald brauchste auch so'n Monockel wie der olle<br />

Dagobert.“<br />

Als Jermaine ihm ein paar Trauben in den Halsausschnitt steckte,<br />

schnellte er herum und wehrte ihn mit ein paar angetäuschten<br />

Fausthieben ab. Die Stehlampe neben dem Sofa bekam dabei einen<br />

Stoß. Bevor sie umfallen konnte, erwischte Tito noch den<br />

Lampenschirm. Dass der ab nun etwas schief hing, störte die beiden<br />

nicht weiter. Sie trollten sich rangelnd davon.<br />

Oh ja, seine Brüder waren ein lebhafter Haufen, der unablässig zu<br />

zum Teil sogar rüden Scherzen aufgelegt war. Nicht selten war<br />

allerdings er selbst der Anführer ihrer Streiche. Vorzugsweise nasser<br />

Streiche. Meistens traf es Bill, ihren treuen Sicherheitsmann. Manch<br />

Wassereimer hatte sich beim Öffnen einer Hoteltür schon über den<br />

ergossen. Ja, das Leben seiner Brüder und sein eigenes war voller<br />

Menschen, Aufgaben und Hektik. Irgendwer sagte ihm immer was er<br />

wann und wie zu tun habe. Selbst auf den langen Fahrten zu den<br />

Veranstaltungsorten versah Ms. Fine, ihre Privatlehrerin, sie mit<br />

Lernaufgaben.<br />

Deswegen schloss er nun die Garderobentür. – Endlich alleine.


Ruhe schenkte ihm Raum zu träumen und schuf damit Platz sich<br />

allabendlich ganz der Musik hingeben zu können.<br />

So jung er auch noch war, und so gerne wie er die Bühne betrat,<br />

eines wusste er: In der Stille lag ein unerschöpflicher Vorrat an Kraft<br />

und Kreativität.<br />

Stille – auch das monotone Rauschen der Klimaanlage musste noch<br />

weichen. Er stellte sie aus.<br />

Zufrieden mit diesen Anpassungen, versuchte er zurück in die<br />

Geschichte um Donald Duck zu finden. Seine Augen erfassten die<br />

Zeichnungen, sein Verstand las die Sprechblasen – aber etwas schlich<br />

wie ein schnurrendes Kätzchen um die Beine seiner Konzentration.<br />

Er hob den Kopf. Die Geräusche vor dem Fenster wurden lauter.<br />

Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, erhob er sich vom<br />

knarzenden Ledersofa und schritt auf leisen Sohlen Richtung<br />

Glasscheibe.<br />

Ein langer Tisch auf dem Getränke und Süßigkeiten angerichtet<br />

waren, hinderte ihn daran das Geschehen überblicken zu können. Er<br />

machte sich lang, schob die Verriegelung auf und den Flügel einen<br />

Spalt hoch.<br />

„Eins, zwei, Freddy kommt vorbei, drei, vier, verschließ bloß deine<br />

Tür. Fünf, sechs, nimm dein Kruzifix. Sieben, acht, schlaf nicht ein<br />

bei Nacht...“<br />

Glockenklar war der gesungene Abzählreim.<br />

„Neun, zehn, wir woll'n nicht schlafen gehen...“<br />

Wenn er sich auf die Zehen stellte, konnte er die Köpfe von den drei<br />

Mädchen ausmachen, die sich im Schatten des Gebäudes aufgestellt<br />

hatten. Bei der Mittleren führten die Schleifen an ihren Zöpfen bei<br />

jedem Sprung lustig einen Tanz durch die Luft auf.<br />

„Elf - zwölf...“, sang sie atemlos mit.<br />

Das Zischen des Springseils das seinen höchsten Punkt vor dem<br />

Fenster fand, wirkte wie ein Taktgeber für den Gesang.<br />

Kurzerhand rückte er Soft Drinks samt Obstschalen zur Seite und<br />

kletterte auf den Tisch; allerdings seitlich der Fensteröffnung, damit<br />

man ihn nicht sah.


Etwas abseits stellten sich gerade zwei weitere Mädchen einander<br />

gegenüber auf. Sie wirkten jünger, vielleicht siebenjährig und<br />

begannen geschickt ihre Hände abzuklatschen.<br />

„Bei Müller hat's gebrannt – brannt – brannt. Da sind wir hin<br />

gerannt – rannt – rannt...“<br />

Es war gerade Schulschluss. Alle Kinder trugen Uniformen. Die<br />

Mädchen weiße Kniestrümpfe und Shirts zu dunkelblauen<br />

Trägerröcken, die Jungs zu kurzen Hosen.<br />

Eine handvoll waren gerade auf Rädern herbeigekommen und<br />

lehnten die gegen den zerrissenen Maschendrahtzaun. Ein Basketball<br />

flog im Bogen über den Zaun, während die ersten durch ein Loch<br />

hereinkletterten. Dumpf wurde der Ball auf den Boden geprellt und<br />

begleitet von kämpferischen Rufen versuchte man sich auszutricksen<br />

und als erstes den Korb zu machen.<br />

Bunte Kreidespuren verrieten, dass auf dem von Rissen übersäten<br />

Beton manchmal auch Huckekästchen gespielt wurde. Der Platz lag<br />

zwischen drei Gebäude gequetscht, ausgestattet mit zwei<br />

windschiefen Basketballkörben und besagtem löchrigen Zaun an der<br />

vierten Seite. Ihr gegenüber lag die schattenspendende rote<br />

Backsteinwand hinter deren Fenster der jüngste der Brüder sich<br />

verbarg – irgendwo in Charlotte, North Carolina.<br />

Der hielt das stille Beobachten nicht weiter durch. Er setzte seine<br />

Schirmmütze ab, schob den unteren Flügel weiter auf und steckte<br />

seinen Kopf hinaus. Die warme Luft eines Julisommertages schlug<br />

ihm entgegen. Aus dem offenen Verdeck eines vorbeifahrenden<br />

Wagens schallte 'Me & Bobby McGee' von Janis Joplin. Das<br />

Mädchen, welches ihn durch ihren Gesang angelockt hatte, hob den<br />

Blick. Er befand sich gut acht Fuß über dem Boden. Sie winkte<br />

lächelnd mit der freien Hand. Dadurch aufmerksam geworden,<br />

wandten ihm auch die beiden anderen ihre Gesichter zu – und ließen<br />

den Reim verstummen.<br />

Sofort reute ihn sein Entschluss sich zu zeigen.<br />

„Hi“, grüßte er scheu.<br />

Das Springseil fiel schlaff auf dem Boden zusammen und die drei<br />

kamen neugierig näher.


„Was machst du da oben?“<br />

„Ich warte.“<br />

Ohne zu fragen worauf, schlug die mit den von gelben Schleifen zu<br />

Affenschaukeln gebundenen Haaren vor:<br />

„Komm doch zu uns!“<br />

„Das geht nicht.“<br />

In dieser Tatsache schwang Sehnsucht mit.<br />

„Aber wenn du doch sowieso nur wartest?“, zuckte die Zierliche mit<br />

dem roten Haarband ihre Schultern.<br />

Sie erntete ein bedauerndes Kopfschütteln von ihm. Gleichzeitig wog<br />

er ab, ob es eine Chance gäbe durch dieses Fenster hinaus und wieder<br />

hinein zu gelangen. Hinunterzuspringen würde er sich ohne weiteres<br />

zutrauen, und hinauf würde es mit Hilfe einer Räuberleiter sicher<br />

auch klappen.<br />

Wenn es doch so einfach wäre...<br />

„Ich bin Ruby. Das sind meine besten Freundinnen Didi und<br />

Esther“, tippte das Mädchen mit dem Haarband auf die Schultern der<br />

benannten Mädchen. „Wie heißt du?“<br />

„Hi Ruby, hi Esther und hi Didi. Ich heiße Michael“, winkte er nun<br />

weniger scheu. Die Unkompliziertheit des Mädchens, das eindeutig<br />

die Wortführerin war, wehte seine Befangenheit so luftig leicht<br />

hinfort wie ein Windhauch die Schirmchen einer Pusteblume.<br />

Jedenfalls für einen schönen Augenblick.<br />

„'Ohhh, never can say goodbeye'!“, sprang plötzlich Didi – oder war<br />

es Esther – völlig aus dem Häuschen auf der Stelle. „Du bist von den<br />

Jackson 5!“ Unwillkürlich duckte Michael den Kopf zwischen die<br />

Schultern, da kreischte die andere auch schon:<br />

„Jaaa, du bist M i c h a e l J a c k s o n!“<br />

Ja, er war 'Michael Jackson'. Und ja, sie kannten ihren aktuellen<br />

Song. Deswegen saß er wartend in diesem Raum, der sich täglich<br />

gegen irgendwelche andere Räume irgendwo im Land austauschte.


Nur wenn man den kleinsten der Jackson 5 näher kannte, sah man<br />

die Enttäuschung in seinem Gesicht aufflammen. Sein Lächeln blieb<br />

wunderschön, da gab es nichts zu finden.<br />

Es waren seine dunklen Augen, deren Glanz einen Dämpfer erfahren<br />

hatten.<br />

Die Aufregung und das laute „Even tho' the pain and heartache<br />

seem to follow me wherever I go-hoo...“, alarmierten auch die Jungs<br />

mit dem Basketball. Sie brachen ihr Spiel ab, tuschelten kurz und<br />

kamen herbeigelaufen.<br />

Neugierig richteten sich alle Augenpaare auf ihn und die Stimmen<br />

vermischten sich im aufgeregten Durcheinander. Bedauernd blickte<br />

Michael auf das Geschehen.<br />

Er hatte den Zauber des Augenblicks zerstört!<br />

Ach, hätte er doch weiter nur heimlich aus dem Fensterspalt gelugt<br />

– ihr Spiel unberührt gelassen...<br />

Einfach gemocht werden, um seiner selbst willen – die Chance war<br />

zunichte.<br />

Freundlich hatte er ihre Fragen beantwortet und ihnen auch die<br />

eine oder andere stellen können. Dann hatte er begonnen Softdrinks<br />

und Süßigkeiten zu verteilen. Plötzlich war alles zu einem Spiel<br />

geworden, in dem er ein 'Kioskbesitzer' war.<br />

Auf seinen Wunsch hatte Ruby sogar nochmal den Abzählreim<br />

gesungen.<br />

„Du hast eine schöne Stimme“, hatte er über die Lippen gebracht und<br />

seine Ohren heiß werden gespürt.<br />

„Ich mag deine Haare und deine Augen. Sie sind toll“, hatte das<br />

Mädchen keck erwidert.<br />

Wie hatte sie es nur geschafft, gar nicht schüchtern zu sein?<br />

Er hatte ihr sein Disney-Buch geschenkt und damit auch noch<br />

seinen Wangen ein Brennen beschert. Ihre Freude über das Buch,<br />

hatte ihn kein Wort mehr über seine Lippen finden lassen.


Zum Glück hatte sie es nicht bemerkt, weil sie etwas von ihrem<br />

Träger zu lösen versuchte. Dann probierte sie das Etwas zu ihm<br />

hochzuwerfen. Als das nicht gelang, hatte einer der Jungs seine<br />

Finger zu einer Tritthilfe verschränkt und Ruby damit geholfen ihr<br />

kleines Geschenk persönlich in Michaels Hand legen zu können.<br />

I never can say goodbye girl<br />

Ohh, ohh, baby,<br />

Don't wanna let you go, girl<br />

I never can say goodbye,<br />

No, no, no, no, no, no...<br />

Über den Spielplatz waren schon längst die abendlichen Schatten<br />

gefallen und seine lauten Brüder waren zurückgekehrt, da hielt<br />

Michael mit dem Schlüsselanhänger noch das schöne Gefühl fest,<br />

dass Mädchen wie Ruby oder Jungs wie Todd mit dem roten Fahrrad,<br />

ihn gerne zum Freund haben würden.<br />

Beim gemeinsamen Spiel hatten sie schnell vergessen seine Stimme<br />

von den Jackson 5 aus dem Radio zu kennen.<br />

Nächstes Mal würde er ein paar Körbe mit ihnen werfen und wäre<br />

einer von ihnen.<br />

Oh, ich kann gut Körbe werfen!<br />

Lächelnd spielten seine Finger an den ausgebreiteten Flügeln des<br />

kleinen Plastikvogels.<br />

<strong>Free</strong> <strong>Like</strong> a <strong>Sparrow</strong> – das wäre was.<br />

♥♥♥

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