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6 SCHLAFSTÖRUNGEN<br />
<strong>Medical</strong> <strong>Tribune</strong> j Nr. <strong>44</strong> j 1. November <strong>2018</strong><br />
Schlaftagebuch hilft Insomnie-Ursache zu finden<br />
VERHALTENSTHERAPIE ■ Drei von vier Erwachsenen kennen es: Man liegt im Bett und kann einfach nicht einschlafen.<br />
Behandlungsbedürftig sind die Beschwerden bei bis zu zehn Prozent der Betroffenen.<br />
DR. ELKE RUCHALLA<br />
Regeln der Schlafhygiene<br />
▶ Nicht länger im Bett bleiben als nötig. Immer zur selben Zeit ins Bett gehen und<br />
aufstehen, auch an freien Tagen.<br />
▶ Tagsüber nicht länger als 20 min schlafen.<br />
▶ Im Schlafzimmer eine angenehme Atmosphäre schaffen und auf Dinge verzichten,<br />
die an Stressoren des Tages erinnern.<br />
▶ Abends nur Leichtverdauliches essen<br />
▶ Auf Alkohol, Koffein sowie Zigaretten verzichten.<br />
▶ Regelmäßig nachmittags Sport treiben, nicht zu spät abends.<br />
▶ Den Abend entspannt gestalten.<br />
▶ Wecker etc. aus dem Blickfeld des Bettes verbannen, nachts nicht auf die Uhr sehen.<br />
▶ Wenn es mit dem Einschlafen nicht sofort klappt: nicht ärgern.<br />
Das Problem bei der Diagnostik<br />
chronischer Schlafstörungen ist ihr<br />
subjektiver Charakter. Bis dato gibt<br />
es keine quantitativen Messmethoden,<br />
mit denen sich die Beschwerden<br />
objektiv erheben lassen. Klagt<br />
Ihr Patient also über einen „unruhigen<br />
Schlaf“, kann weder ein- noch<br />
durchschlafen und fühlt sich tagsüber<br />
matt, müssen Sie herausfinden,<br />
was hinter den Symptomen steckt.<br />
An einer ausführlichen Anamnese<br />
führt nichts vorbei. Erfassen Sie unbedingt<br />
körperliche und psychiatrische<br />
Faktoren sowie psychosoziale<br />
Lebensumstände, die als potenzielle<br />
Übeltäter der Schlafprobleme infrage<br />
kommen, raten Prof. Dr. Geert Mayer<br />
vom Schlafzentrum der Hephata-Klinken<br />
in Schwalmstadt-Treysa<br />
und Kollegen. Ein patientengeführtes<br />
Schlaftagebuch wirkt dabei wahre<br />
Wunder.<br />
Eine echte Insomnie liegt meist<br />
dann vor, wenn die Beschwerden<br />
mehr als dreimal pro Woche über<br />
mindestens einen Monat auftreten<br />
(gemäß neuem ICD-11 drei Monate)<br />
und sich die Betroffenen auch am Tag<br />
stark beeinträchtigt fühlen. Therapeutisch<br />
geben die Autoren nicht-pharmakologischen<br />
Maßnahmen den<br />
Vorzug. Reichen diese nicht aus, sind<br />
„Schlafmittel“ eine Option – nicht<br />
isoliert zu geben, sondern zusammen<br />
mit mindestens einer weiteren medikamentenfreien<br />
Maßnahme.<br />
Kognitive<br />
Verhaltenstherapie<br />
Im Gruppensetting lernt der Patient<br />
in sechs bis acht Doppelstunden verschiedene<br />
Methoden, um seine Beschwerden<br />
in den Griff zu bekommen.<br />
Dazu zählen Entspannungsverfahren<br />
genauso wie die allgemeinen<br />
Regeln der Schlafhygiene (s. links).<br />
Zudem wird er u.a. darüber aufgeklärt,<br />
das Bett nur für das zu nutzen,<br />
wofür es ursprünglich gedacht ist:<br />
zum Schlafen (zwischenmenschliche<br />
Aktivitäten ausgenommen).<br />
Wer länger als 15 Minuten wach<br />
liegt, muss wieder aufstehen. Eine<br />
Schlafrestriktionstherapie soll den<br />
Schlafdruck erhöhen, wobei die Bettzeit<br />
anfangs auf die Schlafzeit begrenzt<br />
(mind. 5–6 Stunden) und dann<br />
wöchentlich um jeweils eine halbe<br />
Stunde verlängert wird.<br />
Kann der Patient eine Verhaltenstherapie<br />
zeitlich oder örtlich nicht<br />
umsetzen, sind wieder Sie am Zug.<br />
Aufklären, Entspannungsverfahren<br />
anleiten oder eine Restriktionstherapie<br />
durchführen geht auch im hausärztlichen<br />
Rahmen, schreiben die<br />
Autoren. Wichtig ist nur, Ihr „Schäfchen“<br />
mindestens einmal pro Woche<br />
zu sehen und zu überprüfen, ob es die<br />
Maßnahmen auch umsetzt (Stichwort<br />
Schlaftagebuch).<br />
Pharmakotherapie zur<br />
Unterstützung<br />
Schlaffördernde Substanzen sollten Sie<br />
nur verschreiben, wenn die oben genannten<br />
Verfahren nicht greifen, regional<br />
nicht verfügbar sind oder von<br />
Betroffenen abgelehnt werden. Bevor<br />
Sie den Rezeptblock zücken, gilt es ein<br />
paar Spielregeln zu beachten: Gesamtbehandlungskonzept<br />
nebst Medikamentenplan<br />
erstellen, organische und<br />
psychiatrische Ursachen ausschließen<br />
und: keine Medikamente für Risikopatienten<br />
mit Abhängigkeits- bzw. Interaktionspotenzial.<br />
In akuten Krisenfällen<br />
kann eine kurzzeitige Gabe entlasten.<br />
Das „ideale“ Hypnotikum wirkt<br />
nach einmaliger Einnahme, stellt das<br />
natürliche Schlafmuster wieder her<br />
und hat möglichst wenige Nebenwirkungen.<br />
Mayer G et al., internistische praxis <strong>2018</strong>; 59:<br />
681–696<br />
Nappen im Nachtdienst<br />
SCHICHTARBEIT ■ Durchwachte Nächte sind im Krankenhaus unvermeidlich. Lässt<br />
sich die Abwärtsspirale zur chronischen Insomnie stoppen? Experten geben Tipps.<br />
MICHAEL BRENDLER<br />
Für Nachtarbeit ist der Mensch nicht<br />
gemacht. In den frühen Morgenstunden,<br />
zwischen drei und fünf Uhr, erreichen<br />
Aufmerksamkeit, kognitive<br />
Fähigkeiten und psychomotorisches<br />
Koordinationsvermögen ihren Tiefpunkt,<br />
schreiben Dr. Helen McKenna<br />
, Intensivmedizinerin am Londoner<br />
Royal Free Hospital, und der Anästhesist<br />
Dr. Matt Wilkes vom Royal Infirmary<br />
in Edinburgh. Am folgenden Tag<br />
muss der Schichtarbeiter wiederum genau<br />
dann seinen Körper zum Schlafen<br />
bringen, wenn seine innere Uhr am<br />
wenigsten darauf eingestellt ist.<br />
Zwei Cochrane Reviews widmeten<br />
sich Techniken, die helfen, den Nachtdienst<br />
besser wegzustecken. Die eingeschlossenen<br />
Studien hatten allerdings<br />
meist nur geringe Qualität. Die Ergebnisse:<br />
Ein Patentrezept existiert nicht.<br />
„Angesichts der Komplexität des Problems<br />
schlagen wir vor, dass sich jeder<br />
seine individuelle Strategie zusammenmixt“,<br />
so die beiden Autoren.<br />
Nachmittags ein Schläfchen<br />
Ihr erster Rat lautet, schon im Vorfeld<br />
die Schlafschuld zu minimieren. Praktisch<br />
bedeutet das, für den Morgen vor<br />
der Schicht am besten keinen Wecker<br />
zu stellen und das Schlafkonto durch<br />
60- bis 90-minütige Nickerchen tagsüber<br />
weiter aufzufüllen – das Nachmittagstief<br />
zwischen 14 bis 18 Uhr eignet<br />
sich hierfür gut. Während der Schicht<br />
können Powernaps neue Lebensgeis ter<br />
wecken – am besten mit einer Dauer<br />
von maximal 30 Minuten. Wer länger<br />
döst, muss damit rechnen, sich anschließend<br />
noch fertiger zu fühlen.<br />
Kaffee hilft natürlich ebenfalls,<br />
wach zu bleiben. Dass Koffein Denkvermögen<br />
und Aufmerksamkeit auf<br />
die Sprünge hilft, bestätigen immerhin<br />
zwölf randomisierte kontrollierte<br />
Studien. Aber Achtung: Angesichts<br />
der Pharmakokinetik des Genussmittels<br />
empfehlen die Kollegen, den Konsum<br />
mindestens drei Stunden vor dem<br />
Zubettgehen einzustellen.<br />
Ohrstöpsel und Schlafmaske<br />
In zwei kleinen Studien förderte Fasten<br />
während der nächtlichen Arbeitszeit<br />
die Leistungsfähigkeit. Da<br />
es schwer durchzuhalten ist, raten<br />
McKenna und Wilkes, kurz vor der<br />
Schicht eine größere Mahlzeit einzunehmen<br />
und während der Arbeit<br />
nur das Nötigste zu essen. Für die<br />
Zeit zwischen den Diensten lautet ihr<br />
Tipp: So viel Schlaf wie möglich herausholen,<br />
z.B. durch eine verbesserte<br />
Schlafqualität. Dazu gehören auch<br />
vorbereitende Aspekte wie das Meiden<br />
blauen Lichts von Computern und<br />
Smartphones und auf dem Heimweg<br />
eine Sonnenbrille zu tragen, um so<br />
dem Tageslicht zu entgehen. „Schaffen<br />
Sie sich eine dunkle, ruhige Umgebung<br />
zum Schlafen“, schreiben die<br />
Autoren und empfehlen neben geschlossenen<br />
Jalousien Schlafmaske,<br />
Ohrenstöpsel und White-Noise-Generatoren.<br />
Kühle Temperaturen würden<br />
ebenfalls beim Einschlafen helfen,<br />
genau wie eine Routine vor dem<br />
Zubettgehen, etwa ein Bad nehmen,<br />
ein Buch lesen oder sanftes Dehnen.<br />
Unter die Leute gehen<br />
Nach mehreren Nachtdiensten muss<br />
man die Schlafschuld abbauen und zu<br />
einem normalen Schlafrhythmus zurückkehren,<br />
erklären die beiden Experten.<br />
Hilfreich sei es, das aufgebaute Defizit<br />
durch regelmäßige, 90 bis 180 Minuten<br />
lange Schläfchen zu beheben.<br />
Um sich wieder in den Alltag zu integrieren,<br />
sei es zudem ratsam, oft ans<br />
Tageslicht zu gehen, andere Menschen<br />
zu treffen und sich zu möglichst „normalen“<br />
Zeiten ins Bett zu legen.<br />
Eine Metaanalyse von 66 Studien<br />
spreche außerdem dafür, dass regelmäßiger<br />
Sport Schlafquantität und -qualität<br />
verbessert.<br />
McKenna H, Wilkes M, BMJ <strong>2018</strong>; 360: j5637<br />
„Wie fühlen Sie sich<br />
eigentlich tagsüber?“<br />
GERIATRIE ■ Um behandlungswürdige Insomnien<br />
aufzudecken, sollte man ältere Patienten indirekt fragen.<br />
Ab einem gewissen Alter berichten<br />
Patienten häufig davon, schlecht<br />
oder unzureichend zu schlafen. Meist<br />
handelt es sich dabei um natürliche<br />
Prozesse, weiß Priv.-Doz. Dr. Helmut<br />
Frohnhofen , Klinik für Nephrologie,<br />
Altersmedizin und Innere Medizin,<br />
Alfried Krupp Krankenhaus, Essen.<br />
Der Anteil des Tiefschlafs nimmt<br />
ab, gleichzeitig steigt die Zeit bis zum<br />
Einschlafen und die Aufwachreaktionen<br />
mehren sich.<br />
Ein Irrtum sei es allerdings zu<br />
glauben, dass man im Alter grundsätzlich<br />
weniger Schlaf benötigt. Die<br />
Gesamtschlafdauer nehme zwischen<br />
40 und 70 nur um etwa zehn Minuten<br />
pro Lebensdekade ab. Im Gegensatz<br />
dazu steigt die Einschlafzeit um<br />
zehn Minuten pro Jahrzehnt. Laut einer<br />
Umfrage fühlen sich 80-Jährige<br />
ebenso wie Jüngere nach sechs bis<br />
acht Stunden erholt.<br />
Tagesmüdigkeit<br />
Dieser Punkt sei nach Meinung des<br />
Experten entscheidend. Er empfiehlt<br />
seinen Kollegen deshalb, Patienten<br />
zu fragen, wie sie sich tagsüber fühlen<br />
und auf die Standardfloskel „Wie<br />
gut haben Sie geschlafen?“ zu verzichten.<br />
Wer sich im Alltag müde<br />
fühlt und zu ungewöhnlichen Zeiten<br />
schläft, muss näher untersucht werden.<br />
Eine obstruktive Schlafapnoe mit<br />
hohem kardiovaskulären Risiko, periodische<br />
Beinbewegungen als Parkinson-Prodrom<br />
oder psychische Leiden<br />
bzw. eine beginnende Alzheimer-<br />
Demenz können der Tagesmüdigkeit<br />
zugrunde liegen.<br />
Nicht zu früh ins Bett<br />
Den Betroffenen nun einfach Schlafmittel<br />
zu verordnen – davon rät Frohnhofen<br />
ab. Wenn andere Ursachen ausgeschlossen<br />
worden sind, sollte man<br />
vor allem auf eine gute Schlafhygiene<br />
pochen. „Sie müssen darüber aufklären,<br />
dass man natürlich schon mitten<br />
in der Nacht wach ist, wenn man um<br />
19 Uhr ins Bett geht“, so der Geriater.<br />
Stationär versorgte ältere Patienten<br />
schlafen oft am Tag und liegen<br />
nachts wach. In Verbindung mit<br />
dem Stressor Krankenhaus könnte<br />
die Grunderkrankung ein Delir auslösen.<br />
Um den Tag-Nacht-Rhythmus<br />
zu normaliseren, müssen Patienten<br />
tagsüber aktiv sein. Gegebenenfalls<br />
hilft eine Lichttherapie.<br />
FK<br />
124. Kongress der Deutschen Gesellschaft für<br />
Innere Medizin; Mannheim, April <strong>2018</strong>