GROUND 0101 (The Fall Issue)
GROUND volume one, issue one Edited by Ismael Ogando (November 5th, 2015) http://ground-magazine.com/0101
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Edited by Ismael Ogando (November 5th, 2015)
http://ground-magazine.com/0101
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KULISSE HAUT
In meiner Intimsphäre fühle ich mich mir am nächsten und bin doch
in ihr am wenigsten ich selbst. Eine künstliche, sozial erzeugte Grenze
trennt die individualistische Welt der Selbstinszenierung, meine Show
nach außen, von jener kollektiven Welt des Organischen, in der ich allen
anderen gleiche und doch allein bin, ganz bei mir selbst. Meine Intimsphäre,
das ist der biologische Prozess: Verdauung, Sex, Krankheit,
Alter, Sterben. Ich habe mich als Einzelner herausgelöst aus einer amorphen
organischen Masse vermittels eines Körpers, der mich diese biologischen
Prozesse als meine eigenen, ja als mein Innerstes empfinden
lässt, obwohl sie überwiegend nicht nach meinem freien Willen statthaben.
In meinem Körper stecke ich wie in einem fremdgesteuerten Raumschiff,
wie in einem Mantel, der nur geliehen ist und nicht mir gehört.
Sichtbare Grenze zwischen mir und den anderen ist die Haut meines
Körpers. Alles, was die Hautgrenze von innen nach außen durchbricht,
alles, was aus den Eingeweiden des Körpers stammt – Kot, Urin, Sperma,
Blut, Eiter -, hat an jenem versteckten, geheimen Ort zu bleiben, der Intimsphäre
heißt. Ich zeige nach außen nur die Hautoberfläche. Sie schützt
mich und vermittelt den Eindruck von Ganzheit, von Undurchdringlichkeit
ganz so, als gäbe es gar nichts dahinter. Sichtbare Oberfläche meines
Körpers, ist die Haut jedoch demselben biologischen Prozess unterworfen
wie dieser: Sie verändert sich, altert, ist nicht meine eigene. Deswegen
unternehme ich allerlei kosmetische und modische Prozeduren, um
sie zu bedecken, zu schmücken und zu verschönen. Meine körperliche
Haut umgebe ich auf diese Weise schützend mit einer künstlichen zweiten,
die ausschließlich meinem Willen gehorcht. Camouflage des Unreinen,
Schmutzigen, Organischen und alles dessen, was an die Vergänglichkeit
und Fragilität des Körpers gemahnt: Pickel, Falten, Deformationen.
Sogar Wände stelle ich um mich herum auf, so dass sie ein Haus ergeben:
meine dritte Haut. Mit aller Kraft verwandle ich die dunkle Höhle
des Organischen dem Blick der anderen in eine ideale, entkörperlichte,
helle und ewige Welt des Scheins, ja ich präsentiere mich dem Blick von
außen im Kostüm eines Kapitäns meiner selbst, der ich ja keineswegs
bin. Jenseits all der Kosmetik und Masken verstecke ich mein Intimes
als meinen Makel, als meine Wunde, und wer von außen auf diese Wunde