29.07.2020 Views

GROUND 0101 (The Fall Issue)

GROUND volume one, issue one Edited by Ismael Ogando (November 5th, 2015) http://ground-magazine.com/0101

GROUND volume one, issue one
Edited by Ismael Ogando (November 5th, 2015)
http://ground-magazine.com/0101

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

KULISSE HAUT

In meiner Intimsphäre fühle ich mich mir am nächsten und bin doch

in ihr am wenigsten ich selbst. Eine künstliche, sozial erzeugte Grenze

trennt die individualistische Welt der Selbstinszenierung, meine Show

nach außen, von jener kollektiven Welt des Organischen, in der ich allen

anderen gleiche und doch allein bin, ganz bei mir selbst. Meine Intimsphäre,

das ist der biologische Prozess: Verdauung, Sex, Krankheit,

Alter, Sterben. Ich habe mich als Einzelner herausgelöst aus einer amorphen

organischen Masse vermittels eines Körpers, der mich diese biologischen

Prozesse als meine eigenen, ja als mein Innerstes empfinden

lässt, obwohl sie überwiegend nicht nach meinem freien Willen statthaben.

In meinem Körper stecke ich wie in einem fremdgesteuerten Raumschiff,

wie in einem Mantel, der nur geliehen ist und nicht mir gehört.

Sichtbare Grenze zwischen mir und den anderen ist die Haut meines

Körpers. Alles, was die Hautgrenze von innen nach außen durchbricht,

alles, was aus den Eingeweiden des Körpers stammt – Kot, Urin, Sperma,

Blut, Eiter -, hat an jenem versteckten, geheimen Ort zu bleiben, der Intimsphäre

heißt. Ich zeige nach außen nur die Hautoberfläche. Sie schützt

mich und vermittelt den Eindruck von Ganzheit, von Undurchdringlichkeit

ganz so, als gäbe es gar nichts dahinter. Sichtbare Oberfläche meines

Körpers, ist die Haut jedoch demselben biologischen Prozess unterworfen

wie dieser: Sie verändert sich, altert, ist nicht meine eigene. Deswegen

unternehme ich allerlei kosmetische und modische Prozeduren, um

sie zu bedecken, zu schmücken und zu verschönen. Meine körperliche

Haut umgebe ich auf diese Weise schützend mit einer künstlichen zweiten,

die ausschließlich meinem Willen gehorcht. Camouflage des Unreinen,

Schmutzigen, Organischen und alles dessen, was an die Vergänglichkeit

und Fragilität des Körpers gemahnt: Pickel, Falten, Deformationen.

Sogar Wände stelle ich um mich herum auf, so dass sie ein Haus ergeben:

meine dritte Haut. Mit aller Kraft verwandle ich die dunkle Höhle

des Organischen dem Blick der anderen in eine ideale, entkörperlichte,

helle und ewige Welt des Scheins, ja ich präsentiere mich dem Blick von

außen im Kostüm eines Kapitäns meiner selbst, der ich ja keineswegs

bin. Jenseits all der Kosmetik und Masken verstecke ich mein Intimes

als meinen Makel, als meine Wunde, und wer von außen auf diese Wunde

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!