GROUND 0101 (The Fall Issue)
GROUND volume one, issue one Edited by Ismael Ogando (November 5th, 2015) http://ground-magazine.com/0101
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Edited by Ismael Ogando (November 5th, 2015)
http://ground-magazine.com/0101
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starrt, wer sie gewaltsam bloßzulegen versucht, geht mir unter die Haut
und droht mich in jenem Innersten, das mein Äußerstes ist, zu verletzen.
Die Grenze zwischen mir und den anderen verschwindet jäh mit meinem
Tod. Dann tritt die Verwesung ein. Mein Körper wird wieder langsam
eins werden mit seinem Urgrund aus amorpher Fleischlichkeit. Was
nach dem Tod von meinem Körper übrig bleiben wird, das ist seine Intimsphäre,
aber nun ohne mich und gänzlich unansehnlich. Jetzt sind
es zwangsläufig die anderen, die mein Intimstes vor fremden Blicken
verbergen müssen, am besten tief unter der Erde. Der Anblick des
geöffneten, verletzten oder toten menschlichen Körpers erzeugt Ekel,
Übelkeit, Schwindel, Ohnmacht, Angst. Erst als Leiche berühre ich die
anderen wirklich. Und ich berühre sie von innen. Die gemeinsame Fleischlichkeit
bildet den Resonanzraum einer Berührung, die nicht von Haut
zu Haut erfolgt, weil sie existentiell und organisch ist. Angesichts der
Gewissheit, dass sich der individuelle Körper irgendwann auflösen und
zurückfallen wird in die entgrenzende Anonymität des Biologischen, in
den bewusstlosen Selbstbezug des organischen Empfindens, befällt
uns die Ahnung einer depersonalisierenden und verdinglichenden Sogwirkung
des Fleisches, herrührend aus einer Aura schutzloser Offenheit,
die gleichermaßen hypnotisierend ist und beängstigt. Wir weisen
eine solche Berührung aus einem Jenseits offenliegender, reiner Fleischlichkeit,
diese Ichvanitasergriffenheit von innen, mit Grauen von uns.
Man legt daher ein Tuch über Leichen, vermeidet die Veröffentlichung
von Fotos schwerverletzter oder verstümmelter Körper und hat um das
Leiden, den Makel, die Krankheit, das Sterben, man hat um den potenziellen
Leichnam, der jeder und jede von uns ist, eine Mauer gezogen,
die das Kulissenwerk der Persönlichkeit, der menschlichen Haut streng
von der Intimsphäre hinter den Kulissen trennt. Die Ahnung einer innerorganischen
Kommunion mit den anderen wird unterdrückt und wird
ersetzt durch die Sehnsucht nach intensiver äußerlicher Berührung. Wir
wollen das fremde, uns äußerliche Fleisch ganz für uns haben, tief in das
körperliche Gegenüber eindringen und die Hautgrenze niederreißen. Wir
wollen hinter die Kulisse gelangen, unter die Haut, als Liebende oder mit
Gewalt.