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LP_Kaup_Pythia

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Harald <strong>Kaup</strong><br />

2157 A.D.<br />

- PYTHIA -<br />

Roman<br />

NOEL-Verlag


Originalausgabe<br />

Februar 2023<br />

NOEL-VERLAG<br />

Hans-Stephan Link<br />

Achstraße 28<br />

D-82386 Oberhausen/Oberbayern<br />

www.noel-verlag.de<br />

info@noel-verlag.de<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie, Frankfurt; ebenso die Bayerische Staatsbibliothek<br />

in München.<br />

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsschutzgesetzes<br />

ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autoren unzulässig<br />

und strafbar. Das gilt besonders für Vervielfältigungen, Übersetzungen,<br />

Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung<br />

in elektronischen Systemen.<br />

Der Autor übernimmt die Verantwortung für den Inhalt des Werkes.<br />

Sämtliche im Werk verwendete Namen sind frei erfunden.<br />

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.<br />

Autor:<br />

Umschlaggestaltung:<br />

Harald <strong>Kaup</strong><br />

NOEL-Verlag<br />

1. Auflage<br />

Printed in Germany<br />

ISBN 978-3-96753-143-5


1. Einleitung<br />

Ich beginne heute, (Dienstag) 02.08.2022, diesen Bericht zu fertigen, und<br />

mir geht es in der Einleitung zur Einleitung darum, der geneigten Leserschaft<br />

zu vermitteln, unter welchen Umständen dieser Schriftsatz entstanden<br />

ist – zumindest zu Beginn. Der Spritpreis bröckelt beim Diesel<br />

auf ca. 1,85 €, Putin versichert, keinen Atomkrieg entfesseln zu wollen<br />

und durch Nord Stream 1 fließt nur noch 20% Gas. Der fast allgegenwärtige<br />

Fluglärm von Kampfjets mag nicht recht beruhigen. Der Krach<br />

war auch auf Bornholm/Dänemark in den letzten drei Wochen zu hören.<br />

Dabei eine philosophische Betrachtung: Warum sind viele der irdischen<br />

Staatslenker so alt? Müssten die Jüngeren nicht wesentlich interessierter<br />

an der Zukunft sein? Sie haben eindeutig mehr Lebenszeit zu verlieren.<br />

Das sollte die Entscheidung ‚Krieg oder Frieden‘ wesentlich beeinflussen.<br />

Daneben bemerkt man in den Medien Diskussionen, wo man denkt: Andere<br />

Probleme habt ihr nicht? Ich werde mich hier der Genderei nicht<br />

verschreiben. Ich denke, meine Protagonistinnen zeigen ganz eindeutig,<br />

was ich als Autor von Gleichberechtigung halte. Es stört zudem den Lesefluss.<br />

Und ob unser Finanzminister mit seiner Hochzeit übertrieben hat? Ich<br />

denke, das ist seine Privatsache.<br />

Nachdem ich ein anderes Projekt (ein Bericht von der Länge von 4588<br />

…) zu einem Drittel fertiggestellt habe, schaue ich mal, was unsere<br />

Freunde um Jan Eggert und Thomas Raven anstellen, bzw. was mit ihnen<br />

angestellt wird. Ich bin gerne bei der Truppe, die füreinander einsteht<br />

und sich bemüht, die Fehler der MENSCHHEIT 1.0 nicht zu wiederholen.<br />

Jeder, der mich dabei begleiten will, ist mir herzlich willkommen.<br />

Sehen wir uns zunächst erst einmal an, was im Bericht des letzten Jahres<br />

(2156) stand:<br />

Zuerst ermittelte BRAIN-TOWERS in einem Feldversuch eine heftige<br />

technische Einschränkung: Man hatte gehofft, die PORTALE, also die<br />

sechs Meter durchmessenden künstlichen Wurmlöcher, erdacht von<br />

eben BRAIN-TOWERS, als eine Art Bahnhof oder Verteilerstation, wie<br />

etwa auf RELAISSTATION, verwenden zu können. Dr. Rosa-Samantha<br />

Ralen und Dr. Dr. Alexej Kosanov hatten routinemäßig die Daten der<br />

Schlacht um die Dunkelwolke in der ANDROMEDA-Galaxis ausgewertet.<br />

Dort waren Raketen mittels der PORTALE zum Einsatz gebracht<br />

4


worden. Man stellte fest, dass nur etwa 20% der Raketen das Kampfgebiet<br />

überhaupt erreicht hatten. Das musste natürlich untersucht werden<br />

und recht schnell lag die Vermutung nahe, dass sich die PORTALE untereinander<br />

ins Gehege kamen und somit 80% der Raketen ausgefallen<br />

und ins Nirwana verschwunden waren. Dr. Rosa-Samantha Ralen initiierte<br />

eine Versuchsreihe zusammen mit der Super-KI Rita/Echela. Es<br />

kam zu einer gewaltigen Explosion und deren Auswirkungen überlebte<br />

die Wissenschaftlerin nur knapp. Das Ergebnis war ernüchternd: Die<br />

PORTALE benötigen einen Sicherheitsabstand von fünf Kilometern,<br />

sonst kommt es zu unerwünschten Nebeneffekten bis zur Überspannung<br />

oder Detonation.<br />

Paul-Jack Millbain, mittlerweile Captain der ASF, bekam ein Schiff der<br />

neuen Carrier-Klasse: Eine 800 Meter durchmessende Kugel mit drei<br />

Ringen, die als Landedecks auch für größere Schiffe (Dreadnoughts)<br />

dienten und per Kraftfelder vom Weltraum abgeschottet werden konnten.<br />

So waren zwei ringförmige Deckebenen für das Abstellen diverser<br />

Jets entstanden. Beppo, sein Kampfname aus seiner Zeit als Pilot, nannte<br />

das Schiff ASF YELLOWSTONE.<br />

Bei einem Angriff auf die ERDE gelang es den ANGUIDEN, von den<br />

vier MOYO-Robotschiffen drei zu zerstören. Das vierte Schiff musste<br />

notlanden. Die Renaturierung der ERDE kam damit ins Stocken. Auf<br />

Bitten des Admirals suchte Marie-Ann Waterhouse im KOR-System den<br />

Ersten Dekan der MOYO auf. Rawlad-Desch half auch dieses Mal. Er<br />

befähigte Rita, das verbliebene Robotschiff zu steuern, und händigte<br />

Konstruktionsunterlagen aus. Allerdings wäre das verbliebene MOYO-<br />

Schiff mit der Arbeit eher fertig, als man einen Nachbau in Betrieb nehmen<br />

könnte. Trotzdem sollten die Unterlagen für einen Ingenieur vom<br />

Format eines Phil Mory eine wahre Fundgrube darstellen. Es bleibt abzuwarten,<br />

was der geniale Brite daraus macht.<br />

Die Zerstörung der Robotschiffe auf der ERDE blieben nicht ohne Wirkung<br />

auf einen gewissen Jan Eggert. Der Mann schäumte vor Wut und<br />

hätte die Schlangen am liebsten alle mit einem Knüppel erschlagen. Mit<br />

der ALBATROS kundschaftet er das System TZ/83 aus. Vor etlichen<br />

Jahren waren sie dort mal auf die TRAX gestoßen. Die Crew der AL-<br />

BATROS wurde fündig. Einer der in der habitablen Zone befindlichen<br />

Planeten stellte eine Brutstätte für die ANGUIDEN dar. Diese Spezies<br />

war gerade damit beschäftigt, ihren wilden Nachwuchs einzufangen und<br />

auf einen 14.800er der TRAX zu bringen. Nach einer ethisch-mora-<br />

5


lischen Beurteilung erkor hier Jan sein Hauptziel: Dieses Transportschiff<br />

durfte sein Ziel nicht erreichen. Er flog zurück, tauschte die ALBATROS<br />

gegen die kampfstarke ODIN und überzeugte Admiral Thomas Raven<br />

davon, mit den größten Kugelschiffen einen Angriff auf besagtes System<br />

TZ/83 zu fliegen. Thomas Raven sagte zu, begrenzte die Angriffsdauer<br />

allerdings auf 300 Sekunden. Im Hinblick auf die SUBB-Gefahr wollte<br />

er keine Abnutzungsschlacht riskieren. Unter der Leitung von Jan Eggert<br />

griff man TZ/83 an. Es gelang ganz knapp nicht, den 14.800er zu zerstören.<br />

Nach 320 Sekunden griff Lieutenant Admiral Laura Stone ein,<br />

übernahm das Kommando und befahl den Abbruch. Als die Schiffe zurückflogen,<br />

kam eines nicht mit: Die ODIN. Jan Eggert hatte zu viel<br />

gewollt und damit leichtfertig den möglichen Abschuss selbst in den<br />

Sand gesetzt. Mit dieser Schmach wollte er nicht leben. Er überredete<br />

seine Crew dazu, eines der Hauptsysteme der ANGUIDEN, ANGUID<br />

selbst, anzufliegen und sich dort auf die Lauer zu legen. Es bestand eine<br />

geringe Chance, dass das Transportschiff ANGUID anflog. Und Jan Eggert<br />

behielt recht. Mit viel Glück, in seinem Bericht stand nichts davon,<br />

schaffte man den Abschuss des Transportschiffes und zog sich nach A-<br />

GUA zurück.<br />

Auf RAMA-FAT (Heimatwelt der GENAR 2.0) hatten die GENAR eine<br />

demokratische Regierung gewählt und einen Kanzler, namens Kai-Lak,<br />

bestimmt. Ro-Latu wurde ein einflussreicher Posten angeboten und er<br />

nahm an. Damit blieb er Chef der Raumstreitkräfte der GENAR.<br />

Als MSS 2.0, also Multi-Spezies-Schiff, wurde die BABYLON in Dienst<br />

gestellt. Captain Abdul Musto hatte nicht weniger als neun Spezies unter<br />

sich vereint und dazu gehörte auch der KRATAK Tass. Die O.H.R.<br />

sucht einen neuen Betreiber des FÜRALLE. Das Schiff startete mit einem<br />

nicht näher bezeichneten Forschungsauftrag. Ziel: Macht ein Multi-<br />

Spezies-Schiff Sinn?<br />

Der ehemalige Geheimdienstoffizier Walter Steinbach, jetzt als Offizier<br />

zur besonderen Verwendung auf der O.H.R. und Brigadier Admiral Roy<br />

Sharp direkt unterstellt, ermittelte in Sachen Koldon. Der SUBB war so<br />

lange Abgesandter seiner Spezies gewesen, bis man die SUBB nach dem<br />

Todesduell aus dem BUND warf. Mithilfe von Rita stellte Walter fest,<br />

dass die SUBB in Besitz aller Koordinaten von bewohnten BUND-Planeten<br />

waren. Ro-Latu warnte ausdrücklich, dass die SUBB angreifen<br />

würden.<br />

6


Admiral Thomas Raven schickte Captain Peter Ralen und sein Hufeisenschiff<br />

(MANCHAR-Bauweise), die TATANKA, nach DIAMOND, um<br />

die Siedlung mit Piet Muller und Lisa-Ann zu schützen. Tatsächlich wurde<br />

die TATANKA dort von den SUBB angegriffen. Peter konnte sich<br />

und die Siedlung erfolgreich verteidigen. Man war betreffend der SUBB<br />

alarmiert und befand sich mit diesem Angriff im Krieg.<br />

Die MSS BABYLON geriet in die Ausläufer eines Gamma-Ray-Bursts<br />

und havarierte. Als ob das nicht schon genug wäre, wurde das Schiff in<br />

ein One-Way-Wurmloch gezogen. Der Ort, an dem man sich dann wiederfand,<br />

war unbekannt – verschollen also. Die Besatzung entschloss<br />

sich, mit dem reparierten ÜL-Funkgerät um Hilfe zu funken. Es kamen<br />

Helfer, aber sie waren nicht freundlich. Man konnte sich verteidigen und<br />

das angreifende Schiff vernichten und die Entermannschaft dazu. Die<br />

zweiten Besucher waren hilfsbereiter. Die HALKA schleppten die BA-<br />

BYLON ab und begannen eine Reparatur. Die Crew der BABYLON<br />

wurde auf HALK verteilt untergebracht.<br />

Dem SUBB-Tor Ralor gelang es, die CLIFFS OF MOHER in seine Gewalt<br />

zu bringen. An Bord waren neben den N2-Droiden Reena Grant,<br />

Tobias Wolter, Heidi Zoor, Lea Heinley und Sally, der M-Droide. Ralor<br />

gab vor, die Konstruktionsunterlagen des MoKo-Strahlers im Austausch<br />

für die Dreadnought haben zu wollen. Es wurde nie ganz klar, ob dem<br />

wirklich so war, oder ob Ralor die Flotte der MENSCHEN oder des<br />

BUNDes in eine Falle locken wollte. Zum Schein ging Admiral Thomas<br />

Raven darauf ein. Gleichzeitig schickte er an Bord der SCHIEFLIT<br />

(MOLAR-Handelsraumer) Rita und Mirijam Schnittker ins SUBB-System.<br />

Mirijam fühlte sich Tobias verbunden und bat Thomas um diesen<br />

Einsatz. Es gelang Mirijam und Rita, die Gefangenen mit ihrer Dreadnought<br />

zu befreien und aus dem System zu flüchten. Ein harter Schlag<br />

ins Gesicht für den SUBB-Tor.<br />

Admiral Thomas Raven handelte richtig, als er einen Feldzug des SUBB-<br />

Tor, um seine Reputation vor dem eigenen Volk wiederherzustellen, vorhersah<br />

und eine BUND-Flotte in der Nähe der O.H.R. stationierte.<br />

Und die SUBB griffen die O.H.R. tatsächlich an. Die vereinigte Flotte<br />

fügte den SUBB schweren Schaden zu. In Folge der Auseinandersetzung<br />

flüchteten der SUBB-Tor und sein Flagg-Captain Sanor in einer Rettungszelle.<br />

Der Flagg-Captain nutzte diese Gelegenheit und erschlug Ralor.<br />

Admiral Thomas Raven vermied bei der Auseinandersetzung unnötiges<br />

Blutvergießen und schickte die SUBB-Flotte ohne ihr Flaggschiff<br />

7


nach Hause. Es bestand das Angebot, die SUBB in Demokratie zu schulen,<br />

allerdings wurden die Chancen dazu, dass diese das Angebot annehmen,<br />

als nicht zu groß eingestuft. Die SUBB-Flotte hatte einen Verlust<br />

von 30% ihrer Schiffe und Tausenden von Soldaten zu beklagen – keine<br />

gute Basis für eine gemeinsame Zukunft. Da musste erst einmal, wie Jan<br />

Eggert sich ausdrückte, ein Fuder Heu drübergemacht werden.<br />

Captain Scott Tanner erhielt das 2.500 Meter durchmessende Flaggschiff<br />

der SUBB (Doppelteller) und nannte es CARL SAGAN. Sein ursprüngliches<br />

Schiff, die STEPHEN HAWKING, würde der SCA zukünftig als<br />

Schulschiff dienen.<br />

Dörte von Beek stellte sich der Wahl durch das Volk, war erfolgreich<br />

und bleibt damit bis Mitte 2163 Präsidentin aller MENSCHEN oder der<br />

MENSCHHEIT 2.0 bzw. NEUE MENSCHHEIT.<br />

Im August 2156 fand eine Übung auf SUAM statt. Ziel: Feststellung, ob<br />

Jim Sellers auch unter Druck wieder der alte Jim ist. Während alle informiert<br />

waren, hatte Jim natürlich keine Ahnung und ging von einem echten<br />

Angriff aus. Er schlug sich gut unter den Augen von Pet Cooper und<br />

denen des Admirals. Thomas Raven bescheinigte seinem Captain ‚Überlaut‘<br />

volle Einsatzfähigkeit.<br />

Jim war glücklich, weil auch er letztendlich selbst zweifelte, ob er krisenfest<br />

war.<br />

Zum Schluss des Jahres referierte Marie-Ann Waterhouse vor einer<br />

Klasse der SCA auf AGUA. Als die jungen Absolventen erfuhren, dass<br />

Marie-Ann den ersten Dekan der MOYO als Freund ansah, schlugen sie<br />

vor, diesen zum MARS einzuladen. Marie-Ann konnte sehr spontan sein,<br />

und das erfuhren die Absolventen sofort: Aus dem Klassenraum heraus<br />

organisierte die Frau einen Transport für sich und 20 Schüler zum KOR-<br />

System. Dort angekommen wurde die Einladung ausgesprochen und<br />

Rawlad-Desch nahm für Anfang des Jahres 2157 an.<br />

Den Abschluss machte Abbi Musto mit seinem 8. Log-Bericht. Die Crew<br />

der BABYLON wurde auf HALK regelrecht verwöhnt und, wie Abdul<br />

feststellte, geradezu eingelullt. Es war alles viel zu schön, um wahr zu<br />

sein. Einzig Tass war mit ihm der Meinung, dass da was nicht stimmen<br />

würde – das Gefühl eines kampferprobten Piraten. Die bei den HALKA<br />

omnipräsenten Götter wurden schließlich zum Problem. Aus Zufall entdeckte<br />

Abdul in einem der Götterhäuser eine Skulptur derselben. Er handelte<br />

sich zu seinem Schrecken um ALBA. Seine BABYLON schwebte<br />

noch in einer Orbitalwerft und seine Crew war über HALK verteilt.<br />

8


Der Bericht beginnt am 05.01.2157 …<br />

Nunidu von den SONA hatte 2157 turnusgemäß den Vorsitz im BUND<br />

inne.<br />

05.01.2157, 11:30 Uhr, SCA-Leitung, Büro Emma Jorgensen:<br />

„Okay, bis 22:00 Uhr heute Abend – ihr Quälgeister“, seufzte Emma und<br />

entließ ihre drei Töchter. Femke, Merle und Gunda, mittlerweile 14 Jahre,<br />

gut, fast 14 Jahre alt, hatten ihre Mama eindrücklich auf diesen Umstand<br />

hingewiesen und durften heute Abend auf eine Jugend-Disco bis<br />

eben zum genannten Zeitpunkt gehen. Die eineiigen Drillinge würden<br />

heute Abend schlicht der Hingucker sein. Blaue Augen, gelockte blonde<br />

Haare, fast so golden wie die ihrer Mama, dazu eine in den jungen Jahren<br />

schon recht weibliche Figur, brachten die Jungs um den Verstand. Und<br />

dann noch in dreifacher Ausfertigung. Wirkliche Gefahren für die Teenager<br />

würde es in den Straßen von GRACELAND-City nicht geben und<br />

Emma konnte sich gut vorstellen, was Mütter damals auf der ERDE in<br />

diesen Fällen für Ängste ausgestanden haben mochten. Sie hätte das Ausgehen<br />

auch nicht verhindern können. Hätte sie ‚Nein‘ gesagt, wären sie<br />

zu Hans, ihrem Papa, gelaufen und hätten diesen gefragt. Hans stand in<br />

dem Ruf, seinen drei Goldstücken, wie er sich ausdrückte, keinen<br />

Wunsch abschlagen zu können. Sie hörte noch beim Zuschlagen ihrer<br />

Bürotür, wie Femke sagt: „Ja, da vorn rein.“ Emma schloss darauf, dass<br />

noch ein Besucher im Anmarsch war. Und sie hatte recht damit. Nur<br />

Sekunden später öffnete sich vorsichtig die Tür und eine gewaltige Hakennase<br />

schaute herein.<br />

„Chapawee, wie schön. Immer der Nase nach“, scherzte Emma lachend.<br />

Tatsächlich kam nach dem bemerkenswerten Riechorgan des Sioux der<br />

ganze Kerl hinterher. Emma stand auf und begrüßte den Sioux vor ihrem<br />

Schreibtisch.<br />

„Ich grüße meine weiße Schwester Nonhalema.“ (Indianisch für Große<br />

Kämpferin)<br />

„Ich grüße den großen Häuptling, der sich noch ziert, hier in dieser Anstalt<br />

den Dozenten zu geben.“<br />

Das Thema war dem Indianer unangenehm: „Ich tauge nicht in allen Bereichen<br />

als Vorbild, Nonhalema.“<br />

„Selbst, wenn ich mit dir das Kalumet rauche?“, neckte Emma.<br />

9


„Meine große weiße Schwester ist in der Lage, mein Herz durch diese<br />

Ehre zu berühren. Allerdings ist diese Gewohnheit genau das, was die<br />

Jugend nicht lernen sollte.“<br />

Emma sah den Sioux an und zog eine Grimasse: „Wir sind aus den Zeiten<br />

von Abhängigkeit und Schädigung des Körpers heraus, mein lieber<br />

Paco. Das nehme ich gern in Kauf.“<br />

„Was sollte ich unterrichten?“<br />

„Du würdest allein durch deine Anwesenheit die SCA attraktiver machen.<br />

Wir bekämen mehr Zulauf.“<br />

„Bogenschießen?“<br />

„Ja, auch das – als Konzentrationsübung“, stimmte Emma zu. „Aber es<br />

geht mir hauptsächlich um Moral, Ethik, Weltanschauung.“<br />

„Du findest meine Sicht der Dinge beispielgebend?“ Paco schaute erstaunt.<br />

„Das tue ich“, versicherte Emma ernsthaft. „Die Sicht der nordamerikanischen<br />

Ureinwohner auf die Welt und deren Zusammenhänge haben<br />

mich immer schon fasziniert. Du wärest ein guter Lehrer.“<br />

„Der Scharm von Nonhalema beginnt zu wirken“, gab Chapawee Paco<br />

zu. „Wenn ich noch den einen oder anderen Mond darüber nachdenken<br />

dürfte?“<br />

„Sicherlich, ich werde warten, Chap. Aber das ist es doch nicht, was ich<br />

für dich tun kann, oder? Weshalb bist du gekommen?“<br />

„Einem meiner Nachfahren können wir auf AQUARIUS nichts mehr<br />

beibringen. Und nur wer die Fremde sieht, wird dazulernen“, sprach Paco<br />

ruhig und wie immer blumig.<br />

„Oh, das ist schön. Wir dürfen also deinen Erstgeborenen, wie hieß er<br />

noch, ach ja, Minninnewah, hier in der SCA aufnehmen?“ Emma war<br />

erfreut. Auch das wusste sie als Publicity einzuordnen.<br />

Paco nahm eine verlegene Haltung ein: „Minninnewah war gestern, Nonhalema.<br />

Wie du weißt, bekommen meine Kinder zunächst vorübergehende<br />

Namen, bis sich herausstellt, welchem Geistestier sie begegnen<br />

oder welche Eigenschaft sie besitzen.“<br />

„Aha“, machte Emma. „Und wie heißt er jetzt?“<br />

„Sike.“<br />

„Aha“, wiederholte sich Emma. „Und, äh ... was bedeutet das?“<br />

„Es ist der Navajo-Sprache entnommen und bedeutet so viel wie: Er sitzt<br />

zu Hause.“<br />

10


„Hmm“, um Emmas Mundwinkel zuckte es verdächtig. Sike = Er sitzt<br />

zu Hause. Wahrscheinlich fällt er Naira auf die Nerven.<br />

„Ich liebe ihn über alles und wie jedes Kind an meinem Feuer, aber es ist<br />

ihm nicht gegeben, die Erwartungen seines Ahnen zu erfüllen. Er wird<br />

auf anderen Wegen als sein Vorfahre wandeln.“<br />

„Äh, ja und dein nächster Sohn? Es war doch ein Sohn oder komme ich<br />

da durcheinander?“<br />

„Ähm, ich muss selbst immer ein wenig überlegen“, gab Paco zu. „Aber<br />

der zweite, du hast recht, ist ebenfalls ein Sohn. Er heißt Chavatangawunua.“<br />

„Aha“, sagte No… Emma und sah Paco konzentriert in die Augen. Sie<br />

stand kurz vor einem Lachflash.<br />

Paco machte ein sehr, sehr entsagungsvolles Gesicht.<br />

„Er startete vielversprechend …“, begann er langsam und bedächtig.<br />

‚Gleich passierts‘, dachte Emma, ‚gleich passierts und ich kann mich<br />

nicht mehr zurückhalten.‘<br />

„Und, äh, wie …“<br />

„Als damalig jüngster Spross aus meinem Volk fegte er mit den Pferden<br />

über die Weiten von AQUARIUS. Er vermochte ein Ross gut zu lenken.“<br />

„Was passierte dann?“<br />

„Er fiel vom Pferd“, sagte Chapawee ernst, sachlich und auf die ihm eigene<br />

und trockene Art.<br />

‚Nein‘, dachte Emma. ‚Bitte nicht. Ich kann nicht mehr.‘<br />

„Passiert das nicht schon mal?“<br />

„Ja gewiss, auch gute Reiter sind schon vom Pferd gestürzt“, gab Paco<br />

zu und senkte beschämt den Blick. „Aber er versäumte es, sofort wieder<br />

aufzusteigen und so zu tun wie ein echter Krieger.“<br />

„Äh, wie denn?“<br />

„Als wenn der missliche Vorfall nicht geschehen wäre.“<br />

Emma gratulierte sich selbst, dass sie bisher einem Lachanfall so tapfer<br />

widerstanden hatte. Aber auch ihre Möglichkeiten waren begrenzt. Es<br />

konnte nicht mehr lange dauern und ihre Beherrschung war vorbei.<br />

„Verschiedene Dinge, die er beherrschte, waren nur von kurzer Dauer,<br />

sodass ich mich unlängst zu dieser Namensgebung entschlossen habe.“<br />

„Ja, äh ... und was heißt das jetzt ... so übersetzt?“<br />

„Kurzer Regenbogen. Er weiß für kurze Zeit zu brillieren.“<br />

11


Emma drehte sich schwungvoll um und hielt sich die Hand vor den<br />

Mund. Sie atmete zweimal tief ein, dann ging sie um den Schreibtisch<br />

herum. Dann hatte sie sich wieder gefangen. Als sie aber in das leidvolle<br />

Antlitz des unglücklichen Vaters sah, flüchtete sie in eine sehr kurze Frage:<br />

„Wer?“<br />

Pacos Gesicht begann zu strahlen: „Meine erstgeborene Tochter wird die<br />

Tradition derer von Pacos fortsetzen und sie wird auch das Gewehr meiner<br />

Vorfahren erhalten. Sie ist schnell wie eine Gazelle, kampfstark wie<br />

ein Bär und gewandt wie eine Katze. Sie weiß Messer, Bogen und Gewehr<br />

treffsicher zu nutzen. Sicherlich wird man in einigen Wintern an<br />

den Feuern von ihren Taten berichten. Sie weiß mein alterndes Herz zu<br />

erfreuen. Sie in Aktion zu sehen, ist eine Freude für meine Augen.“ Tatsächlich<br />

leuchteten Pacos Sehorgane jetzt wieder.<br />

Emma holte tief Luft und stellte die entscheidende Frage: „Wie heißt sie,<br />

oder ... wie hast du sie genannt, Chapawee?“<br />

„Keezheekoni“<br />

Emma trommelte im Stehen mit den Fingern auf ihrer Schreibtischplatte<br />

herum und verzog den Mund zu einer Seite. Musste man diesem Indianer<br />

alle Würmer einzeln aus der Nase ziehen?<br />

Paco bemerkte die Ungeduld der SCA-Leiterin und seinen Fauxpas und<br />

warf schnell ein: „brennendes Feuer.“<br />

Emma blies die Luft aus den Wangen. Der Name war entsprechend –<br />

Paco entsprechend: „Und dein ganzer Stolz wartet draußen?“<br />

„Ich bin gekommen, um sie anzumelden. Wenn sie nicht willkommen ist<br />

…“<br />

Emma hob abwehrend beide Hände: „Sie ist, sie ist. Ich bitte dich, hole<br />

sie herein!“<br />

Pacos Augen blitzten, als er sich umdrehte und die Tür öffnete.<br />

Wenig später stand eine junge Indianerin vor der Dänin. Und man sah<br />

ihr die indianische Abstammung an. Zwar hatte sie glücklicherweise nicht<br />

die Hakennase ihres Vaters im Gesicht, aber der Teint und die hohen<br />

Wangenknochen sprachen für sich. Sie hatte, wie ihr Vater, die Flottenuniform<br />

an und das ebenso blauschwarze und lange Haar wurde mit denselben<br />

Mustern mithilfe eines Stirnbandes aus dem Gesicht gehalten.<br />

Dunkle und neugierige Augen sahen die Dänin an.<br />

‚Brennendes Feuer‘ war 1,65cm groß und schmal gebaut. Aber ihre Bewegungen<br />

ließen schon die Ähnlichkeit zu Paco erkennen.<br />

„Ähm, äh“, machte Emma und die junge Frau reagierte: „Keezheekoni.“<br />

12


Dann trat sie vor und überreichte Emma einen Speicherwürfel: „Meine<br />

bisherigen Ergebnisse, M’am.“<br />

Emma hielt das Medium in der Hand und sah Paco an. Der Sioux nickte<br />

und machte ein derart selbstgefälliges Gesicht, dass Emma schon wieder<br />

versucht war zu lachen. Das war nicht angemessen, also beherrschte sie<br />

sich und hob den Würfel hoch: „Ich schaue?“<br />

„Wir bitten darum“, antwortete Paco und neigte dabei sein Haupt –<br />

leicht.<br />

Emma ging um den Schreibtisch herum und legte das Speichermedium<br />

in ein Peripheriegerät ihres Rechners. Kurz darauf erschienen die Lehrgänge,<br />

Abschlüsse und Ergebnisse der jungen Sioux. Emma bekam, zur<br />

größten Befriedigung des begleitenden Vaters, große Augen.<br />

„Ähm, ich weiß nicht, ob wir dir noch etwas beibringen können, Ke-äh<br />

…“<br />

„Keez, M’am. Man kürzt meinen Namen so ab und das ist in Ordnung.“<br />

„Gut, Keez. Du bist kurz vor dem Abschluss. Ich habe eine Klasse, wo<br />

du reinpassen dürftest.“<br />

„Ich fühle mich geehrt.“<br />

Emma sah Paco an: „Ist sie auch so mit dem Kalumet unterwegs wie<br />

du?“<br />

Pacos Mundwinkel verzog sich leicht: „Nicht in allen Dingen gleicht meine<br />

Tochter ihrem Ahnen. Sie respektiert die Tradition, aber sie nimmt<br />

nicht teil.“<br />

„Gut, ich müsste sonst Raucherbereiche schaffen lassen.“<br />

Emma sah Paco an: „Manus manum lavat, mein Lieber.“<br />

„Nonhalema spricht zu mir in Rätseln. Was will mir meine weiße Schwester<br />

in einer fremden Sprache sagen?“<br />

„Ein alter lateinischer Spruch, Häuptling. Eine Hand wäscht die andere.“<br />

Paco senkte wieder kurz seinen Kopf: „Ich verstehe. Du tust mir einen<br />

Gefallen und ich dir.“<br />

„Du tust allen unseren Absolventen einen Gefallen, mein Lieber. Es ist<br />

ein Dienst an die nächste Generation, Chapawee.“<br />

Paco holte Luft: „Ich werde sie lehren!“<br />

Emma lächelte: „Sehr schön. Möchtest du uns begleiten, wenn ich Keez<br />

zur Klasse bringe?“<br />

„Ein Blick auf die junge und nachfolgende Generation tut meinem alternden<br />

Herzen gut“, versicherte der Sioux ernsthaft.<br />

13


Emma hob eine Augenbraue: Paco bewegte sich wie eine Katze. Von<br />

Altern konnte hier keine Rede sein.<br />

Emma stand auf: „Folgt mir!“<br />

Statt in einen Klassenraum schritt Emma zügig zur Kantine. Es wurde<br />

merklich leiser, als das Trio den großen Sozialraum betrat. Paco wurde<br />

augenblicklich von allen erkannt, zumindest von denen, die hinsahen. In<br />

einer Ecke saßen fast zwei Dutzend Absolventen beiderlei Geschlechts<br />

zusammen, aßen und debattierten heftig. Dann sah einer von ihnen<br />

Emma, Paco und die junge Indianerin auf den Tisch zukommen.<br />

„Ey“, sagte einer von ihnen und alle waren ruhig. Zwanzig Augenpaare<br />

sahen auf die drei Ankömmlinge.<br />

„Herhören, bitte“, sagte Emma und alle ließen Löffel und Gabel liegen.<br />

„Klasse MAW, ich stelle euch eine neue Mitschülerin vor. Keez ist die<br />

Tochter von Chapawee Paco. Sie wird das letzte Stück bis zur Prüfung<br />

mit euch gehen. Sabrina Lafleur?“<br />

„Ja“, ein schwarzer Wuschelkopf mit blauen Augen sah die Leiterin an.<br />

„Du kümmerst dich um die Eingewöhnung von Keez. Neben deinem<br />

Apartment ist noch eines frei. Zeig es bitte Keez.“<br />

„Geht klar, M’am.“<br />

„Im Übrigen konnte ich Chapawee Paco als Dozenten gewinnen. Freut<br />

euch auf ihn.“<br />

Paco sah in strahlende Gesichter. Es war so – man brachte ihm große<br />

Sympathien entgegen.<br />

Ein junger Mann stand auf und holte noch ein paar Stühle: „Darf ich<br />

euch einladen, mit uns zu essen?“<br />

Emma stellte ihn vor: „Das ist Mark Friend, Chapawee.“<br />

„Ich stelle mit Freuden fest, dass du deinem Namen alle Ehre machst,<br />

mein weißer Bruder. Ich fühle mich geehrt. Und ja, ich verspüre Hunger.<br />

Ich nehme diese Ehre an.“<br />

„Oh, ganz unsererseits“, versicherte Sabrina, die ebenfalls nicht auf den<br />

Mund gefallen war.<br />

Emma führte ihre Besucher zur Ausgabe und wenig später aßen sie zusammen.<br />

„Ich beschäftige mich mit einer Frage“, stellte der Sioux vor dem Nachtisch<br />

fest. „Es ist Tradition, die Schulgruppen in A, B oder C plus einer<br />

Ziffer einzuteilen. Ich muss gestehen, mit der Bezeichnung MAW nichts<br />

anfangen zu können.“<br />

14


Emma sah Sabrina grinsend an und nach einem kurzen Seitenblick fügte<br />

sich die Schwarzhaarige der stummen Aufforderung.<br />

„MAW sind die Initialen von Marie-Ann Waterhouse. Wir sind die Gruppe,<br />

die Marie-Ann Waterhouse Ende letzten Jahres nach KOR begleitet<br />

und den Ersten Dekan der MOYO zum MARS eingeladen haben.“<br />

Pacos Augen begannen zu leuchten: „Die Idee dazu entstammte euren<br />

Köpfen, wenn ich mich recht entsinne.“<br />

„Das stimmt“, warf Mark ein.<br />

Paco wandte sich an seine Tochter: „Keezheekoni, du bist in allerbester<br />

Gesellschaft. Diese jungen Leute treten in die Fußstapfen von Thomas<br />

Raven und Jan Eggert. Sie gehen mutig voran.“<br />

„Und wie es aussieht, werden wir Marie-Ann Waterhouse wieder begleiten,<br />

wenn sie Rawlad-Desch in HELLAS 2.0 empfängt“, sagte Sabrina<br />

und lächelte Emma an. Die Leiterin nickte dazu: „Mehr können wir euch<br />

nicht beibringen. In Sachen Diplomatie seid ihr schon ganz gut.“<br />

10.01.2157, 09:00 Uhr, AGUA, PENTHOUSE:<br />

„Und das ist Phil Mory, unser Chefingenieur“, sagte Heidi Zoor zu einer<br />

wesentlichen größeren, jungen Frau, die etwas schüchtern neben ihr saß.<br />

Das Programm, Praktikum für SCA-Absolventen, machte auch vor dem<br />

Büro des Admirals nicht Halt. Die junge Frau mit roten Haaren hieß<br />

Annabell und war versucht, sich für die nächsten zwei Wochen ziemlich<br />

unsichtbar zu machen. Das erste Praktikum und gleich mitten im Epizentrum<br />

– das war nicht nach ihrem Geschmack.<br />

„Ich wünsche den Damen einen guten Morgen“, sagte der schmächtige<br />

Mann in seiner höflichen britischen Art.<br />

Annabell murmelte etwas und Heidi strahlte den genialen Chefingenieur<br />

an: „Moin, Phil. Kaffee, Tee oder was darf ich dir bringen?“<br />

„Einen Kaffee, bitte.“<br />

Annabell schmiss fast den Stuhl hinter sich um, so schnell war sie auf<br />

dem Weg in die Küche.<br />

Phil sah ein wenig erstaunt hinter der Praktikantin her.<br />

„Sie ist ein wenig schüchtern, aber motiviert – übermotiviert“, erklärte<br />

Heidi. „Geh schon mal durch. Ich komme gleich.“<br />

Phil ging weiter und wurde von Thomas Raven begrüßt.<br />

15


Heidi folgte Annabell in die Küche und orderte im Replikator einen Pott<br />

Kakao und eine große Tasse Kaffee für Thomas. Annabell hielt das Getränk<br />

für Phil schon in der Hand.<br />

„Du brauchst nicht loszurasen wie eine Wilde“, lachte Heidi. „Das sah<br />

schon fast nach Flucht aus.“<br />

„Ähm, ich …“<br />

„Schon gut. Du hältst die Stellung, während ich am Termin teilnehme.“<br />

Auch wenn Annabell schüchtern war, wissbegierig war sie schon: „Du<br />

nimmst an diesen Besprechungen teil?“<br />

Heidi bestätigte: „Der Admiral wünscht das. Ich kann ihn besser unterstützen,<br />

wenn ich informiert bin. Ausnahme sind persönliche Gespräche,<br />

die auch so angemeldet sind. Dies ist eines, an dem ich erwünscht bin.“<br />

Heidi bemerkte, dass sie gerade in der Achtung von Annabell gestiegen<br />

war. Das ewige Problem ‚Tippse‘.<br />

„Ja, dann …“<br />

„Ich werde keine drei Tassen dort reintragen. Du servierst dem Admiral<br />

den Pott und ich nehme den Rest.“<br />

„Ich soll …?“<br />

„Ja, reiß dich zusammen.“<br />

Die beiden Frauen gingen in Richtung Bürotrakt des Admirals weiter –<br />

Heidi voran. Sie stellte Phil die Tasse auf den runden Tisch und setzte<br />

sich mit ihrem Kakao daneben. Annabell balancierte den Pott sichtlich<br />

nervös vor dem Admiral. Wenn es sich da um eine normale Tasse gehandelt<br />

hätte, so mit Untertasse und so, dann wäre das vielleicht etwas<br />

schwieriger gewesen. Da der Admiral aber Pötte bevorzugte, die lediglich<br />

über einen Henkel zu tragen waren, wäre es eigentlich …<br />

Annabell schaffte es in ihrer Nervosität, den Becher so hart abzustellen,<br />

dass es zum einen knallte und zum anderen etwas Kaffee überschwappte.<br />

Sie bekam sofort hochrote Ohren und um ihren Fauxpas möglichst<br />

schnell wieder wettzumachen, griff sie eine der auf dem Tisch liegenden<br />

Servierten und … sie war dabei nervös und hektisch und daher zu<br />

schwungvoll unterwegs und brachte es fertig, den Pott ganz umzukippen.<br />

Die Brühe schwappte nun gänzlich ausgerechnet in die Richtung von<br />

Thomas Raven, der geistesgegenwärtig aufsprang. So bekam er nur etwa<br />

85% der heißen Koffeinflüssigkeit über die Hose und dort genau ins<br />

Zentrum.<br />

Thomas wurde etwas blass um die Nase, sagte keinen Mucks und spazierte<br />

breitbeinig in den privaten Bereich und von dort ins Bad.<br />

16


Annabell hatte Schockstarre. Sie hatte beide Hände vors Gesicht geschlagen<br />

und stand völlig steif neben dem Besprechungstisch.<br />

„Phil“, Heidi zeigte mit dem Daumen auf Annabell. „Ich beseitige den<br />

Schaden hier.“<br />

Phil begriff. Er stand auf und fasste Annabell an den Oberarmen. Langsam<br />

führte er sie aus dem Bereich hinaus. Heidi überholte die beiden auf<br />

dem Weg zur Küche, um dort Putzlappen und Eimer zu holen.<br />

Wenig später saß die Praktikantin heulend in der Küche am spartanischen<br />

Tisch über einer Tasse Kakao und Heidi und Phil wieder am gereinigten<br />

Besprechungstisch.<br />

Dann kam Thomas mit einer neuen Hose: „Wo waren wir stehengeblieben?“<br />

„Beim Kaffee“, gluckste Phil.<br />

Thomas zeigte mit dem Finger auf den Chefingenieur: „Stimmt. Ich habe<br />

keinen.“<br />

„Ich hole dir einen“, Heidi sprang auf.<br />

„Annabell bringt ihn mir!“<br />

Heidi hielt mitten im Lauf inne. Hatte sie da richtig gehört?<br />

„Wie soll sie es denn sonst lernen? Geben wir niemandem eine zweite<br />

Chance?“<br />

„Ich zeig’ ihr, wie es geht.“ Heidi schluckte. Das war mal eine Aufgabe.<br />

„Okay.“<br />

Kurz darauf in der Küche:<br />

„Unser Chef verlangt die nächste Tasse Kaffee.“<br />

Augen und Mund von Annabell waren weit auf. Hatte sie da richtig gehört?<br />

„Was, ich? Ich sterbe vor Scham. Ich kann das nicht.“<br />

„Du mögest sie ihm bitte nicht wieder in den Schritt kippen“, bat Heidi<br />

ernsthaft.<br />

„Ich fliege von der Akademie und …“<br />

Heidi setzte sich neben die fassungslose Praktikantin: „Sicher, wir stellen<br />

jeden, der einen Fehler macht, an die Wand und erschießen ihn. Haben<br />

wir immer schon so gemacht. Ein bewährtes Prinzip.“<br />

„Äh?“, machte Annabell nur und schaute Heidi aus großen Augen an.<br />

„Sagen wir mal so: Wenn du das extra getan hättest, wäre der Boss vielleicht<br />

etwas indigniert.“<br />

„Indigniert?“<br />

17


„Scheiße drauf!“<br />

„Ah, so.“<br />

„Ich gehe jetzt wieder und du kommst gleich mit einem Pott Kaffee,<br />

sagst ‚sorry‘ und stellst das Ding lang-, behut- und achtsam vor ihm ab,<br />

okay?“<br />

Annabell nickte krampfhaft.<br />

„Du schaffst das, würde Jan sagen.“<br />

Heidi verließ die Küche und tatsächlich kam Annabell wenig später, mit<br />

einem großen Pott Kaffee, zum Besprechungstisch – mit höchstrotem<br />

Kopf und stellte die Tasse vor Admiral Thomas Raven unhörbar ab,<br />

dann: „Ich bitte um ... sorry, Admiral.“<br />

Thomas Raven nickte der jungen Frau freundlich zu: „Alles gut, vielen<br />

Dank.“<br />

Annabell enteilte und brachte es tatsächlich fertig, noch mal zu stolpern,<br />

fing sich und dann waren die drei allein. Thomas beugte sich über seinen<br />

Kaffeepott und sah hinein. Heidi sah, dass er die Augen schloss und leise<br />

lachte. Argwöhnisch beugte sich Heidi herüber und lugte ebenfalls in den<br />

Becker.<br />

„Nee, ne?“<br />

Aus Sicherheitsgründen war das Gefäß nur zu einem Viertel gefüllt worden.<br />

„Lass gut sein, Heidi. Ich trink’ nachher noch einen.“ Dann sah er Phil<br />

an.<br />

Phil brachte den trockenen Spruch: „Ich hatte mir das Leben im Büro<br />

eines Admirals weniger gefährlich vorgestellt.“<br />

Sie lachten alle drei, aber so leise, dass Annabell das nicht hören konnte.<br />

Man wollte die junge Frau nicht noch mehr verunsichern.<br />

„Du hast die MOYO-Baupläne studiert. Darüber wollten wir, glaube ich,<br />

sprechen.“<br />

„Ja, wollten wir“, sagte Phil orakelhaft.<br />

Thomas hob beide Augenbrauen.<br />

„Ich weiß jetzt, wie man Vulkane verschließt und die Luft reinigt, einschließlich<br />

radioaktiver Stoffe. Letzteres ist schon mal ein Hingucken<br />

wert“, Phil machte dazu eine wegwerfende Handbewegung und schaute<br />

hilfesuchend zur Decke.<br />

„Und der Rest?“, fragte Thomas Raven.<br />

18


„Welcher Rest? Die Schiffe sind unbewaffnet, verfügen nur über ein Einsteinraumtriebwerk<br />

– unsere sind besser – keine Schildtechnik. Letzteres<br />

hatte Beppo schon herausgefunden. Schade um meine Zeit.“<br />

Thomas spürte, dass der Brite frustriert war. Rawlad-Desch hatte so getan,<br />

als würde er ihnen den Stein der Weisen übergeben und nun das.<br />

„Es musste sich aber jemand ansehen, der von der Materie Ahnung hat,<br />

Phil.“<br />

„Das ist korrekt und ich hab’s ja auch getan.“ Phil winkte ab.<br />

Thomas sah Heidi an: „Sorg bitte in geeigneter Form dafür, dass Marie-<br />

Ann Waterhouse das erfährt. Wir wollen uns nicht beschweren und sie<br />

soll es auch nicht erwähnen, wenn er zu Besuch kommt. Sie soll es nur<br />

wissen.“<br />

„Okay.“<br />

„Wie läuft es sonst, Phil?“<br />

Thomas nutzte den Termin dazu, sich ins Bild zu setzen über die Möglichkeiten<br />

der Werften. Eins blieb zu tun: Die GENUI-Werft hatte in<br />

wenigen Tagen ein paar 50-Meter-Kugelschiffe fertiggestellt. Sie waren<br />

für den neuen Raumer von Scott Tanner. Man kam überein, dass Scott<br />

sich die Schiffe selbst abholen solle.<br />

15.01.2157, 11:00 Uhr, MILCHSTRASSE,<br />

MARS-Orbit, WALHALLA, Brücke:<br />

„Major Admiral?“<br />

Methin Büvent, der neben dem Captain auf der Brücke der WALHALLA<br />

saß, hob den Kopf, dann lächelte er: „Hallo Beppo. Willkommen auf der<br />

Brücke.“<br />

„Wie befohlen, Major ADMIRAL.“<br />

Der mit seinem Spitznamen Angesprochene sah sich verstohlen auf der<br />

Brücke um. Sie schien ihm im Moment unterbesetzt. Mit dem Piloten<br />

Tim Heinley hätte er gern ein paar Worte gewechselt – der Platz war<br />

verwaist. Der Brigadier Admiral Anthony Wang war auch nirgends zu<br />

sehen. Aber da beanspruchte der Major Admiral wieder seine Aufmerksamkeit.<br />

„Nicht so förmlich, mein Guter. Bitte begleite mich in den Besprechungsraum.“<br />

„Sehr gern.“<br />

19


Während sie nebeneinander hergingen, legte Methin seine Hand auf die<br />

Schulter des großen und breiten Captains: „Deine 800er-H-Klasse mit<br />

den Außenringen ist ein gewaltiges Schiff, Paul-Jack.“<br />

„Ein schönes dazu“, warf Beppo stolz ein. Er registrierte, dass ihn der<br />

MA mit seinem Vornamen angeredet hatte. Er empfand das fast als Adelung.<br />

„Wenn ich mich recht erinnere, hast du neben einer Reihe von N2-Droiden<br />

nur Brummer, Flamingo, Charly und Wichita auf der Brücke.“<br />

Der Sohn von Trixie Baines und Tib Miller lächelte breit. Der Major Admiral<br />

hatte sich offensichtlich gut vorbereitet. Er kannte die Kampfnamen<br />

seiner Crew.<br />

„Und den Bordarzt, Ilu-Mat.“<br />

„Oh, ich vergaß den GENUI“, gab Methin Büvent zu. „Und daneben<br />

noch eine Menge an Piloten.“<br />

„Ich weiß, dass auf AGUA wieder eine Abschlussklasse fast fertig ist“,<br />

bemerkte der Major Admiral, als sie noch zehn Meter bis zum Besprechungsraum<br />

hatten. Beppo fiel auf, dass die sonst durchsichtigen Scheiben<br />

eben nicht mehr durchsichtig waren. Beppo dachte sich nichts dabei.<br />

Diese technische Erfindung stammte noch von der ERDE.<br />

„Ich bin gern bereit, mich dafür zu verwenden, dass ein paar davon bei<br />

dir auf der ASF YELLOWSTONE anheuern“, bot der asketische Major<br />

Admiral an.<br />

„Das wäre freiwillig und so viele finden wir dafür nicht“, sprach Beppo<br />

ein altes Problem an. Auch ein noch so schönes HELLAS 2.0 ersetzte<br />

keinen Sonnenschein. Nur schwer waren Leute zu finden, die sich dauerhaft<br />

mit dem MARS verbunden fühlten.<br />

„Sie wissen, genau wie du, den zukünftigen Einsatzort der ASF YEL-<br />

LOWSTONE nicht, Beppo.“ Mit diesen Worten öffnete sich die Schiebetür<br />

vor ihnen und Beppo, der noch über die letzten Worte von Methin<br />

Büvent nachdachte, stutzte. Der Raum war nicht leer. Ganz im Gegenteil<br />

– er war voll. Man hatte die Tische anders angeordnet, nämlich parallel<br />

und aus deren Richtung vorn, stand ein Rednerpult. Paul-Jack Millbain<br />

war etwas verwirrt. Tatsächlich wusste er seinen nächsten Auftrag nicht.<br />

Sie schritten zwischen den Bänken durch nach vorn.<br />

„Hallo, mein Kleiner!“<br />

Paul-Jack glaubte sich verhört zu haben: Das war seine Mutter gewesen.<br />

Leider konnte er die schmächtige Blondine gerade nicht erkennen und<br />

Methin lief weiter.<br />

20


Beppo erkannte Anthony Wang mit Frau, Audra Wang, Methins Partnerin,<br />

Malte Freiherr von Avenwedde war anwesend, mit Professorin<br />

Chandrakanta Yadav und jede Menge anderer bekannter Persönlichkeiten.<br />

Er sah auch eine Menge Captains und Brückencrews. Sogar Jan Eggert<br />

und Crew waren anwesend. Dann setzte ihn Methin auf die erste<br />

Bank, denn dort war noch ein Sitzplatz frei. Zu seinem Erstaunen saßen<br />

dort schon Brummer, Flamingo, Charly, Wichita und Ilu-Mat. Was sollte<br />

das alles, fragte er sich mehr als erstaunt.<br />

Beppo setzte sich brav hin und Methin ging zum Rednerpult.<br />

„Was geht hier vor, Brummer?“, flüsterte Beppo und beugte sich zur Seite.<br />

Die Pilotin mit den afrikanischen Wurzeln grinste und zeigte in ihrem<br />

sehr dunklen Gesicht zwei Reihen blitzend weißer Zähne: „Hi, Chef.“<br />

Beppo grummelte und wandte sich an den Nächsten, indem er sich etwas<br />

vorbeugte: „Flamingo, was ist los hier?“<br />

„’Ne Menge Leute hier, was?“, flüsterte die Belgierin mit den roten Haaren<br />

und der rosigen Haut.<br />

Beppo grollte: „Wichita?“<br />

Die zierliche Rothaarige mit dem sehr kurzen Haarschnitt grinste – aus<br />

Sicht von Beppo dämlich. Und es kam keine Antwort.<br />

„Charly?“<br />

„Auch hier, Boss?“, Charly lachte.<br />

Beppo warf einen Blick auf Ilu-Mat und wusste, dass er den auch nicht<br />

fragen brauchte. Das war ein abgekartetes Spiel. Allerdings ließen die<br />

VIPs hier darauf schließen, dass man ihm nicht den Hals umdrehen<br />

würde. Beppo lehnte sich zurück und beschloss die Show zu genießen,<br />

was immer das auch hier darstellen sollte. Wenn Methin ihn hier zum<br />

Schluss hineinbrachte, dann sollte er wohl im Mittelpunkt stehen. Und<br />

in diesem Augenblick begann Methin Büvent zu sprechen.<br />

„Liebe Freunde! Ich bin hier lediglich Entscheidungsträger, Verantwortlicher<br />

und Hausherr. Das Wort übergebe ich außergewöhnlich gern an<br />

Nathan.“<br />

Die Zuhörer lachten. Methin hatte sich bewusst weit unter Wert verkauft.<br />

Methin nahm in der ersten Reihe auf der anderen Seite neben seiner Frau<br />

Platz. Aus derselben Reihe löste sich James Foreman von seinem Sitz<br />

und strebte dem Rednerpult zu. Als er dieses erreicht hatte, war absolute<br />

Ruhe. Der großgewachsene Mann mit dem braunen Teint und den schüt-<br />

21


teren grauen und längeren Haaren und Bart grinste, als er ins Mikro<br />

sprach: „Dass ich das noch erleben darf!“<br />

Das Publikum lachte und applaudierte. Der Mann war ohne Ende charismatisch.<br />

Und Beppo fragte sich wiederholt, wo der Sinn dieser Veranstaltung<br />

lag.<br />

„Der 15.01.2157 wird in die Geschichte eingehen und ich darf versichern,<br />

dass das Gremium der zivilen Regierung darauf drängen wird, diesen<br />

Tag für die MILCHSTRASSE 2.0 der NEUEN MENSCHHEIT als<br />

Feiertag zu etablieren. Wir verließen 2120 unseren Heimatplaneten, um<br />

in weiter Ferne das Überleben der Menschheit zu sichern. Wir fanden in<br />

den letzten 37 Jahren zu unserem großen Glück Freunde, da einer der<br />

Gründer der NEUEN MENSCHHEIT schon 2014 dafür gesorgt hat,<br />

dass die MENSCHEN bekannt sind und uns Unterlagen hatte zukommen<br />

lassen, die den Bau moderner Raumschiffe vom Schlag einer GE-<br />

RONIMO oder WALHALLA erst ermöglichten. Mein Dank geht also<br />

an Jan Eggert und seine Crew, der ja auch mich und meine liebe Partnerin<br />

von der ERDE holten.“ James Foreman verbeugte sich in die Richtung,<br />

wo Jan Eggert mit seiner Crew saß.<br />

„Weiterhin ist es den Frauen und Männern der ersten Stunde zu verdanken,<br />

dass wir nicht gleich von unseren in erheblicher Zahl vorhandenen<br />

Feinden eliminiert wurden. Ich danke Thomas Raven, Laura Stone, Hotaru<br />

Kaneko, Paulo Baretta, Ron Dekker, Phil Mory, Lutz Heinken,<br />

Shelly Buckley, Beatrice Baines, Tiberius Miller, Sack Carter und vielen<br />

anderen. Leider ist es nicht allen vergönnt, heute diesem Event beizuwohnen.“<br />

James Foreman machte eine kurze Pause, sah über sein Publikum und<br />

sein Blick blieb mit einem Lächeln kurz bei seiner Partnerin, Marie-Ann<br />

Waterhouse, hängen. „Wir haben in den letzten 37 Jahren einige Planeten<br />

in bisher drei Galaxien besiedelt und wir werden in allernächster Zukunft,<br />

vielleicht haben wir das schon, die zwei Millionen-Grenze an<br />

MENSCHEN wieder erreicht haben. Zwei Millionen von etwa 10 Milliarden.<br />

Man mag sich das einmal vorstellen.“<br />

Für ein paar Sekunden ließ Nathan diese Zahlen wirken, dann sprach er<br />

weiter: „Und wir sind stark geworden mithilfe unserer Freunde und wir<br />

haben einen Bund geschmiedet, der uns gegen unsere Feinde bestehen<br />

lässt. Und jetzt schicken wir uns an, das, was uns seit Beginn des Universums<br />

gehört, wieder in Besitz zu nehmen. Der Anlass hier kann gar nicht<br />

feierlich genug sein. Der Admiral hat mich gebeten, seine Grüße und<br />

22


seinen Glückwunsch auszurichten. Leider erfordern gleich mehrere gewichtige<br />

Probleme seine Anwesenheit in der BLACK-EYE-GALAXIE,<br />

sonst wäre er hier. Dafür darf ich hier unsere Präsidentin, Dörte van<br />

Beek, ganz herzlich begrüßen.“<br />

Nathan machte eine Pause, weil Dörte aufstand und das Publikum applaudierte.<br />

Dörte setzte sich wieder.<br />

„Ich habe ihr angeboten, an meiner statt hier zu reden, aber sie hat gemeint,<br />

ich vertrete hier den zivilen Part zusammen mit Marie-Ann und<br />

Mai-Lin und hätte damit das Hausrecht und vor allen Dingen das Vorrecht,<br />

mich hier zu präsentieren. Lieben Dank.“<br />

Nathan lächelte und das Publikum applaudierte.<br />

„Ich habe versprochen mich kurzzufassen, damit wir länger Zeit zum<br />

Feiern und für gemeinsame Gespräche haben“, lächelte Nathan und erreichte<br />

damit sein Ziel. Es gab Lacher im Publikum.<br />

„Daher beende ich hier meine Ausführungen und übergebe an einen<br />

Mann, der letztendlich den Akt vollziehen wird. Ich meine damit Major<br />

Admiral Methin Büvent. Gleichzeitig möchte ich hier zum Ausdruck<br />

bringen, dass ich mich unter dem Schutz der solaren Streitkräfte, die er<br />

befehligt, sehr wohlfühle. Ich danke Methin Büvent für seinen aufopferungsvollen<br />

Dienst, der hier an Ort und Stelle unsere Sicherheit garantiert.<br />

Lieber Methin, bitte.“<br />

Nathan zeigte unter großem Applaus mit der flachen Hand auf den asketischen<br />

Mann, der sich erhob und auf die Rednerkanzel zuging. James<br />

Foreman ging ihm entgegen und auf halbem Weg schüttelten sie sich die<br />

Hände. James ging zu seinem Sitzplatz und Methin Büvent nahm das<br />

Pult in Besitz. Der Beifall ebbte ab – es wurde ruhig.<br />

„Ihr merkt schon, heute gibt es etwas Besonderes – herzlich willkommen.“<br />

Das Publikum lachte.<br />

„Ich habe euch eingeladen, ich habe eine Menge Leute mehr eingeladen,<br />

selbstverständlich, aber nicht jeder ist auf seiner Position abkömmlich.<br />

Ich danke euch für das Erscheinen, obwohl niemand von euch weiß, um<br />

was es überhaupt geht.“<br />

Methin machte eine bedeutungsvolle Pause.<br />

Tatsächlich hatte in der schriftlichen Einladung nichts über den Grund<br />

gestanden. Allein die Signatur ‚MA Büvent‘ hatte dafürgesprochen, dass<br />

der Anlass wichtig sein könnte. Und man war der Einladung gefolgt.<br />

23


„Die Hauptperson in diesem Akt hat überhaupt keine Ahnung, um was<br />

es gehen könnte“, lächelte Methin und sah Paul-Jack Millbain an. „Ich<br />

mache von meinem Recht Gebrauch, sehr überraschende Befehle ausgeben<br />

zu können. Und in diesem Fall bin ich sicher, dass Beppo dieser<br />

Mission gern zustimmen wird. Umso bedeutungsvoller ist es, dass Paul-<br />

Jack Millbain der nächsten Generation angehört, und zwar von den Leuten,<br />

die Nathan zuletzt genannt hat: den Crewmitgliedern der GERO-<br />

NIMO.“<br />

Wieder gab es Applaus und weiterhin neugierige Blicke und fragende Gesichter.<br />

Insbesondere war die Mimik von Beppo ein einziges Fragezeichen.<br />

„Paul-Jack, bitte komm zu mir.“<br />

Beppo stand auf und ging auf die Rednerkanzel zu. Er blieb seitlich davor<br />

stehen, weil Methin sich ihm zugewandt hatte.<br />

„Captain Paul-Jack Millbain! Dein Schiff, die ASF YELLOWSTONE,<br />

wird in den Heimathafen ERDE versetzt. Wir nehmen über dich die<br />

ERDE wieder in unseren Besitz. Du bekommst den Auftrag, für die Sicherheit<br />

der ERDE zu sorgen. Ich ernenne dich hiermit zum Hüter unserer<br />

Stammheimat!“<br />

Es gab tosenden Applaus. Die Leute standen auf und applaudierten.<br />

„Du wirst eine Reihe von Wissenschaftlern zur Seite gestellt bekommen,<br />

die die weitere Renaturierung unseres Heimatplaneten beobachten und<br />

aufzeichnen. Eine deiner ersten Aufgaben wird es sein, ein Zentrum dafür<br />

auf der ERDE zu errichten. Tue es dort, wo es dir angemessen erscheint.“<br />

Methin holte unter dem Pult eine Urkunde hervor und überreichte diese<br />

mit einem Händeschütteln dem jungen Captain. Hierauf war festgehalten,<br />

dass Paul-Jack Millbain als Hüter der ERDE zum heutigen Tage abgestellt<br />

worden war und sein Schiff den Heimathafen ERDE eingetragen<br />

hatte.<br />

„Ich danke für diesen Auftrag, Major Admiral“, sagte Beppo laut, dann<br />

ging er zurück zu seinem Platz, wo er von seiner jubelnden Crew empfangen<br />

wurde. Das war ein Auftrag, wie ihn sich die Crew gewünscht<br />

hatte. Hier hatten sie zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten und waren<br />

nicht zu einem eher langweiligen Bereitschaftsdienst eingeteilt.<br />

Methin wandte sich wieder an sein Publikum: „Zum weiteren Ablauf: Ich<br />

habe in HELLAS 2.0 eine kleine Halle gemietet und konnte Jan Eggert<br />

nicht davon abhalten, für das musikalische Drumherum zu sorgen. Ge-<br />

24


tränke und Speisen werden dort gereicht. Aber zunächst ein kleiner<br />

Empfang hier. Ihr werdet in etwa einer Stunde in Gruppen zum Transport<br />

abgeholt. Vielen Dank nochmals, dass ihr gekommen seid.“<br />

Es gab Standing Ovations und dann kamen die Assistentinnen des Major<br />

Admirals mit Rollwagen voll Sektgläsern. Sie wurden verteilt und man<br />

prostete sich zu.<br />

Jan Eggert ging wenig später mit zwei Sektgläsern auf Beppo zu: „Du<br />

machst das, Paul-Jack. Ein wirklich großer Augenblick für mich.“<br />

Beppo ergriff das Glas und sah fassungslos, dass Jan die Tränen rechts<br />

und links die Wangen runterliefen.<br />

Jan zuckte mit den Achseln: „Ich kenne die ERDE noch in einem halbwegs<br />

guten Zustand, Paul-Jack. Und ich bin halt sentimental.“<br />

Die nächste Gesprächspartnerin für den jungen Captain war Präsidentin<br />

Dörte van Beek.<br />

„Du, Paul-Jack?“<br />

„Ja?“<br />

„Darf ich Beppo sagen? Der Name – äh, ich finde ihn schön. Und er<br />

passt zu dir. Du bist so ein netter Kerl.“<br />

Paul-Jack grinste verlegen. Die Gute hatte ihn sofort um den Finger gewickelt.<br />

Egal, was sie jetzt sagen würden, er würde es tun: „Danke und<br />

gern, Frau Präsidentin.“<br />

„Und du sagst Dörte.“<br />

„Einverstanden.“<br />

„Sag mal einer Frau ohne Ahnung, wie du an diese Aufgabe herangehst.“<br />

„Zunächst werde ich mit Ellen van Es, der Leiterin der Mondbasis sprechen<br />

und mit ihr die äußeren Absicherungsmöglichkeiten diskutieren.<br />

Vielleicht hat Ellen noch ein paar Ideen. Gemeinsam könnten wir sie<br />

dann bei Methin durchsetzen.“<br />

„Sehr schön. Das leuchtet mir ein. Und dann?“<br />

„Das erste ist ein Basislager. Ich muss eine Location mit moderaten Umweltbedingungen<br />

finden. Das wird uns eine Weile beschäftigen.“<br />

„Und wenn du das gefunden hast?“<br />

„Dann brauchen wir dort eine Halle mit Arbeitsräumen und Plätzen. Viel<br />

hängt davon ab, wie gut die Bedingungen wirklich sind. Dann brauche<br />

ich Material und werde es bei Methin beantragen. Das und Arbeitsdroiden.“<br />

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Dörte überlegte: „Wenn du einen Architekten und eine Bauaufsicht<br />

brauchst, ich habe einen geeigneten Droiden. Ich könnte mich dazu hinreißen<br />

lassen, ihn dir auszuleihen.“<br />

Paul-Jack Millbain war begeistert. Er registrierte, wie gut es war, wenn<br />

man ordentlich vernetzt war und sich ausgiebig unterhielt. Für ihn war<br />

das an diesem Abend nicht das einzige Angebot.<br />

Das anschließende Fest verlief im üblichen Rahmen – im Eggert-Rahmen<br />

wohlgemerkt. Seine Tränen der Rührung hatte Jan bei kraftvollen<br />

Klängen schnell vergessen.<br />

2. Besuch<br />

Wir erinnern uns an Captain Abdul Musto und sein Multi-Spezies-Schiff,<br />

die BABYLON, an seine Freundin Tata und die vielen unterschiedlichen<br />

Spezies, mit denen er unterwegs war. Das Schiff befand sich im Orbit<br />

eines Planeten, namens HALK, und wurde repariert. Die Besatzung war<br />

über den Planeten verteilt bei den HALKA untergebracht und die wasserliebenden<br />

MAROON waren in einem warmen See buchstäblich abgetaucht.<br />

Der Berichtende unterbrach die Erzählung beim achten persönlichen Bericht<br />

von Abdul Musto. Der Admiral hatte ihm aufgetragen, möglichst<br />

frei und eben mit Emotionen festzuhalten, wie ein solches Multi-Spezies-<br />

Schiff zu kommandieren war. Daher war der persönliche Bericht des Orientalen,<br />

Berliner würden sagen: frei Schnauze, ausgefallen.<br />

Der achte Bericht endete bekanntlich damit, dass man anlässlich einer<br />

Besichtigungstour ein Haus der Götter betreten hatte und Abdul Musto<br />

und die SONA Tata in einer Skulptur die Abbildungen von ALBA, also<br />

weißer TRAX, erkannt hatten.<br />

Wir müssen dazu ein paar Wochen zurückgehen:<br />

15.12.2156, gegen 17:00 Uhr, HALK:<br />

9. Log-Bericht Captain Abdul Musto, MSS BABYLON:<br />

Zugegeben, ich hatte allergrößte Mühe, mir meine Erschrockenheit und<br />

Nervosität nicht anmerken zu lassen. Rasso Dumul war völlig high in<br />

Gegenwart dieser hässlichen Plastik, die ein rundes Dutzend weißer<br />

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TRAX, also ALBA, in Lebensgröße in allen möglichen Positionen, nebeneinanderstehend,<br />

zeigte.<br />

Ekelhaft.<br />

Er hatte mich gerade gefragt, wie ich das finden würde und ich habe ihm<br />

im Effekt irgendeine bescheuerte Antwort gegeben. Zuvor hatte ich Tata<br />

reflexartig jedes Wort untersagt. Normalerweise würde ich im Traum<br />

nicht darauf kommen, meiner Partnerin den Mund zu verbieten, aber<br />

hier hatte ich den Eindruck, dass es erforderlich und Tata letztendlich<br />

sogar dankbar war. So ein Dreck! Meine Crew, etwa 2.700 Individuen,<br />

war über weite Teile des Planeten verteilt, außer den wöchentlichen Treffen,<br />

das nächste dieser Art am 18.12., also überübermorgen, gab es keinen<br />

Kontakt. Die BABYLON hing havariert in der Werft 26/A und<br />

wurde gerade repariert. Zusätzlich: Zu den MAROON hatte ich gar keinen<br />

Kontakt. Großzügig oder doof, wie ich nun mal war, hatte ich diese<br />

Herrschaften eben nicht verpflichtet, zumindest mit einer kleinen Delegation<br />

am Treffen teilzunehmen. Nun saß ich in der Patsche und ohne<br />

es zu wissen, die komplette Crew dazu. In meinem Kopf wirbelte es. Ich<br />

spürte, dass sich Tata leicht gegen mich drückte. Ihr Zittern spürte ich<br />

deutlich und es half mir bei meinem fieberhaften Nachdenken nicht. Rasso<br />

erlangte wieder seine normale Ratio. Verdammt, ich war geschockt.<br />

Ich musste Entscheidungen treffen und ich brauchte dazu Informationen.<br />

„Rasso?“<br />

Mein bisheriger Freund machte eine Geste der Verneinung. Offensichtlich<br />

sprach man nur das Nötigste in diesem Gotteshaus. Rasso verließ<br />

wieder dieses weiße Haus und ich stolperte mit Tata im Schlepp hinterher.<br />

Rasso ging kaum fünf Meter, dann drehte er sich zu mir um. Ich wäre<br />

fast gegen ihn gestoßen, so schnell hatte er seine Richtung geändert. Ich<br />

stoppte und Tata lief mir in den Rücken.<br />

„War das beeindruckend?“, fragte mich Rasso.<br />

Ich musste an Infos kommen, also musste ich etwas riskieren: „Ihr habt<br />

recht gute Vorstellungen von euren Göttern.“<br />

„Ja, ja“, bestätigte Rasso. „Sie kommen uns ja auch alle paar Jahre besuchen.“<br />

„Besuchen?“, fragte ich nach und bemühte mich, mein Entsetzen zu verbergen.<br />

„Ja, genau.“ Rasso bestätigte das, als wäre es das Normalste überhaupt.<br />

27


„Ähm, melden die sich vorher an?“<br />

Rasso lachte: „Nein, Götter brauchen keine Termine, mein Freund<br />

Abbi.“<br />

Ich bezweifelte, ob ich jetzt noch sein Freund sein konnte, aber ich fragte<br />

weiter: „Wann kommen die denn so?“<br />

„Alle siebzehn Jahre.“<br />

„Oh, doch nicht häufiger?“<br />

„Nein.“<br />

Ich war halbwegs beruhigt: „Wann wird es das nächste Mal sein?“<br />

„Tja“, sagte Rasso. „Sie sind seit etwa drei Wochen überfällig.“<br />

Ich war nun alles andere als beruhigt. Die ALBA konnten hier jeden Augenblick<br />

erscheinen.<br />

„Wie sehen denn eure Götter aus?“, fragte mich Rasso.<br />

Ich schluckte meine Ängste und Sorgen hinunter: „Rasso, ich habe dir<br />

schon erklärt, dass sie nur in unserer Vorstellungskraft existieren.“<br />

„Ihr habt sie noch nie leibhaftig gesehen?“<br />

„Nein.“<br />

„Und woher wisst ihr dann, dass es sie gibt?“<br />

„Das wissen wir eben nicht.“<br />

„Aber ihr glaubt daran.“ Die Stimme wurde nachdenklich.<br />

„Nicht alle.“<br />

„Was ist mit dir, Abbi?“ Der HALKA schaute mich fragend und, wie ich<br />

meinte, prüfend an.<br />

„Ich glaube nicht, dass es sie gibt.“<br />

„Da bist du auf dem rechten Weg. Ich würde das auch nicht glauben.<br />

Aber warum andere von euch?“<br />

„Du musst unsere Götter des Friedens, der Toleranz und der Gleichheit<br />

mehr als Lebensanschauung verstehen. Es ist ein Leitfaden für unsere<br />

Zivilisation. Wir leben danach.“<br />

„Das war keine Antwort auf meine Frage, Abbi. Eure Weltanschauung<br />

ist gut. Aber warum glauben die Leute an etwas, das sie weder sehen<br />

können noch sehr wahrscheinlich beweiskräftig vorhanden ist?“<br />

Ich zuckte mit den Achseln und musste ihm die Antwort schuldig bleiben.<br />

Daher war ich ja auch Atheist.<br />

„Gab es diese Weltanschauung schon immer?“, fragte er nach.<br />

„Nein, erst im zweiten Anlauf.“<br />

„Zweiter Anlauf?“<br />

28


„Mithilfe von Feinden haben wir unseren Heimatplaneten zerstört, Rasso.<br />

Die MENSCHEN hatten auf dem zerstörten Heimatplaneten immer<br />

schon die Kunst beherrscht, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.“<br />

Meine Gedanken wirbelten. Ich musste ganz dringend aus diesem Quiz<br />

raus, denn erstens gab es hier nichts zu gewinnen und zweitens brauchte<br />

ich Infos. Also musste ich die Fragen stellen – nicht Rasso. Ich hörte,<br />

wie mein Freund Luft holte und kam ihm zuvor: „Was machen denn<br />

eure Götter, wenn sie hier sind?“<br />

Rasso stutzte und stellte seine Frage wohl zurück: „Unter anderem wollen<br />

sie wissen, welchen technischen Stand wir haben und wie viele wir<br />

mittlerweile sind.“<br />

„Wenn es Götter sind, dann müssten sie das doch schon wissen“, erlaubte<br />

ich mir kritisch anzumerken.<br />

„Auch Götter können nicht alles wissen.“ Okay – Totschlagargument.<br />

„Wie reisen sie?“<br />

„Mit Raumschiffen.“ Rasso Dumul tat verwundert. „Wie sollten sie sonst<br />

kommen?“<br />

„Eure Götter brauchen Raumschiffe?“, fragte ich und bemerkte, dass ich<br />

ihm mit meinen kritischen Fragen langsam auf den Geist ging. Ich beschloss,<br />

das Thema etwas abflauen zu lassen.<br />

„Ich bin gespannt, was sie zu euch sagen werden“, lächelte Rasso etwas<br />

versöhnlich.<br />

„Sie kennen uns bestimmt“, vermutete ich. Verdammt, konnte ich nicht<br />

einmal den Mund halten?<br />

„Auch die Götter kennen nicht alles und jeden“, sagte Rasso dazu.<br />

Ich schwieg. Ich schaffte es tatsächlich, den Mund zu halten und dachte<br />

nach. Dann fiel mir aber doch noch eine Frage ein: „Du sagtest technische<br />

Entwicklung. Was gab es bei euch vor 17 Jahren noch nicht?“<br />

„Das überlichtschnelle Reisen mit Raumschiffen“, verkündete Rasso<br />

stolz. „Wir haben es vor anderthalb Jahrzehnten erfunden. Sie werden<br />

stolz auf uns sein.“<br />

Mir kam ein grausiger Gedanke: Die HALKA wurden mit dieser Erfindung<br />

für die ALBA gefährlich. Das konnte der Auslöser für eine Vernichtungsaktion<br />

seitens der künstlichen Geschöpfe sein. Sie waren Wochen<br />

überfällig. Ich wollte mich nicht an den Strohhalm klammern, dass<br />

unsere Flotte am 17.04.2146 den Heimatplaneten der ALBA und diese<br />

selbst in der Untergalaxie NGC185 komplett vernichtet hatte. Das würde<br />

schon erklären, dass sie bisher nicht erschienen waren. Ich hakte das ab.<br />

29


So viel Glück gestand ich mir nicht zu. Jetzt hatte ich zwei Probleme: Ich<br />

musste meine Crew auf die BABYLON bekommen und die HALKA<br />

schützen. Ich würde es nicht über das Herz bringen, diese sympathischen<br />

Bewohner von HALK einfach im Stich zu lassen. Ein Kontakt mit der<br />

ASF-Flotte wäre das Beste, was uns allen jetzt passieren konnte. Aber<br />

auch da machte ich einen Haken dran.<br />

„Lass uns abbrechen, Rasso“, schlug ich vor und mein Gastgeber stimmte<br />

zu. Meine ganze Fragerei war ihm wohl auf den Magen geschlagen.<br />

Während des Rückmarsches und -fluges taute meine starre Freundin wieder<br />

auf. Sie ahnte wohl, dass ich nachdenken musste. Daher lenkte sie<br />

Rasso mit allen möglichen Alltagsfragen ab und bewunderte ausgiebig<br />

und mit vielen lobenden Worten die Gegend.<br />

Rasso war dankbar und nahm das Angebot an. Ich musste vorsichtig<br />

sein. Sollte ich Rasso die Wahrheit erzählen? Ich war unschlüssig. Er<br />

hatte sich bisher als loyaler Freund gezeigt. Aber ich wusste auch, dass<br />

bei Gott- oder Götterglaube die Reizschwelle für nicht-rationale Handlungen<br />

knapp über dem Boden angebracht war – zumindest bei den<br />

MENSCHEN, den damaligen MENSCHEN. Unsere Spezies waren<br />

ähnlich. Ich traute das den HALKA auch zu. Trotzdem musste ich etwas<br />

riskieren.<br />

Als wir neben seinem Haus gelandet waren, sprach ich meinen Gastgeber<br />

noch einmal an: „Ich möchte mich vom Fortgang der Arbeiten an der<br />

BABYLON persönlich und vor Ort informieren.“<br />

„Wir geben dir Bescheid, wenn wir fertig sind“, entgegnete Rasso freundlich,<br />

aber auch abwartend. Waren wir jetzt schon Gefangene? Wenn,<br />

dann wollte ich das sofort wissen.<br />

„Ich möchte zur BABYLON“, sagte ich stur.<br />

„Warum?“<br />

Langsam bekam ich Puls, schließlich war ich der Captain dieses Raumfahrzeuges<br />

und hatte nach meiner Einstellung jederzeit das Recht, dieses<br />

zu betreten, zu inspizieren und zu kontrollieren: „Weil es sich für einen<br />

Captain eines Schiffes nach unserem Verständnis gehört, dass er jederzeit<br />

darüber informiert ist, wie es um sein Schiff bestellt ist. Und weil es<br />

meine Pflicht ist, mich zu informieren und zu kümmern. Ich bin dir und<br />

deinem ganzen Volk für die Hilfe sehr, sehr dankbar. Das kann aber nicht<br />

dazu führen, dass ich meine Pflichten, für die ich einen Eid geleistet habe,<br />

vernachlässige. Ich bitte dich um Verständnis.“<br />

30


„Ich bringe dich morgen zur Orbitalwerft“, sagte Rasso und machte damit<br />

einen Rückzieher. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass unsere<br />

Freundschaft nicht mehr ganz unbelastet war.<br />

Später, im großen Bett zusammen mit meiner süßen Freundin, steckten<br />

wir beide die Köpfe unter die Bettdecke und wagten es nur noch, uns<br />

flüsternd zu unterhalten.<br />

„Ist das sehr schlimm?“, fragte mich Tata.<br />

„Es tut mir leid, aber es ist so“, musste ich zugeben. Wir berieten uns<br />

noch einen Augenblick und ich entwickelte für den Folgetag einen vorläufigen<br />

Plan. Ich hoffte inständig, dass uns diese ALBA noch ein wenig<br />

Zeit ließen.<br />

31

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