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prima! Magazin - Ausgabe Oktober 2020

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Fotos © Nico Mü Erik

Fotos © Nico Mü Erik Nachtmann ist 22 Jahre alt. Er lebt mit seinen Eltern Gabriele und Alexander in Kukmirn. Seine Identifikation mit Luigi, einer Spiel-Figur, ist nicht zu übersehen „Nenn mich ruhig Luigi“ Eigentlich heißt er Erik. Erik Nachtmann. Und er ist 22 Jahre alt. Aber jeder, der Super Mario kennt, denkt sofort an Luigi, den schlanken Bruder des italienischen Klempners. Seit Jahren identifiziert sich Erik mit dieser Videospiel-Figur. Kleidet sich dementsprechend, trägt einen Bart wie Luigi und springt wie er durch die Gegend – auf dem Bauernhof seiner Eltern in Kukmirn. Inserat Ungewöhnlich in für der einen 22-Jährigen, Monatszeitung dieses intensive PRIMA: und fokussierte Interesse? Ja. Aber Erik erklärt ganz selbstverständlich: „Ich bin anders. Ich bin Asperger Autist.“ Nicole Mühl Ausgabe OKTOBER 2020 Vier Mal ist Gabriele Nachtmann mit ihrem Sohn Erik von Kukmirn nach Oberwart zum Media Markt ins eo gefahren, weil er die Nintendo-Switch für sein Super Mario Spiel kaufen wollte. Monatelang hatte er darauf gespart. Drei Mal sind sie ohne Spielkonsole wieder heimgefahren. Entweder war es Erik unmöglich, sich zwischen zwei Farbkombinationen zu entscheiden oder es lag einfach an den vielen Menschen, die Erik nervös machen. Beim vierten Anlauf hat es geklappt. Entwurf ¼ Seite: Querformat 195 x 57mm Für Erik ist ein solcher Handlunsgablauf eine Herausforderung, denn Erik ist Asperger Autist. Situationen, die ihn unter Druck setzen, sind für ihn kaum bewältigbar. Fluchtverhalten ist die Reaktion. „Oft ist es ihm schon zu viel, sich morgens zwischen Milch und Kakao zu entscheiden“, erzählt seine Mutter. Sie lasse dann die Situation einfach vorbeigehen. Alles andere verstärke nur den Druck für Erik und überfordere ihn völlig. Asperger Autismus bedeutet, 28 OKTOBER 2020 www.prima-magazin.at

PORTRÄT Foto © Nico Mühl Mag. Gerhard Kuich Geschäftsführer von VAMOS Verein zur Integration in Markt Allhau Herr Kuich, wie kann man sich das Leben eines Menschen mit der Diagnose Asperger vorstellen? Sie erleben die Reize von der Umwelt intensiver als wir. Sie haben auch keinen Filter wie wir. In ihrer Wesensart leben, denken und fühlen sie anders, als es die Gesellschaft gewohnt ist. Das Entscheidende in der Begleitung ist, dass wir das akzeptieren. dass Reize ungefiltert auf Erik einströmen und ihn förmlich erschlagen. Die Spannung lässt dann nicht ab von ihm. „Wenn ich mich unter Druck gesetzt fühle, habe ich Albträume, dass mir die Zähne ausfallen“, beschreibt Erik die Situation. „Eine spezielle Förderung wäre dringend notwendig“ Im Kindergarten zeigten sich die ersten Auffälligkeiten bei Erik. „Dort hieß es, dass er ‚nicht normal‘ sei“, erzählt Gabriele Nachtmann. „Aber für mich war er normal. Er hatte halt nur Eigenarten. Ist etwa lieber am Boden herumgekrabbelt und wollte nie auf einem Sessel sitzen.“ Dann kam die Volksschule. „Dort hatte er in den ersten beiden Jahren eine wirklich tolle Lehrerin, die seine Stärken – wie etwa seine Leidenschaft zur Biologie – erkannte und förderte. Danach ging es bergab“, erinnert sich Gabriele Nachtmann weiter. Erik wurde nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet und schließlich nach dem Schwerstbehindertenlehrplan. Oft sei er davongelaufen von der Schule. „Ich wusste immer, dass mein Kind nicht dumm ist. Erik ist besonders und hätte eine spezielle Förderung gebraucht. Autistische Kinder haben eine Begabung. Aber diese muss erkannt und gestärkt werden“, sagt Gabriele Nachtmann. Heute ist Erik 22 Jahre alt und arbeitet bei „Vamos – Verein zur Integration“ auf einem geschützten Arbeitsplatz in der Konditorei. Ein Segen, dass es diese Einrichtung gibt, fügt Gabriele Nachtmann hinzu. Während seine Mutter bitte umblättern >> Was bedeutet eine andere Wesensart? Sie nehmen die Reize intensiver auf und haben andere Verarbeitungsprozesse. Sie sind angeblich weniger empathisch. Aber im Fall von Erik stimmt das nicht. Wir erleben ihn sehr empathisch. Er nimmt alle Einflüsse intensiv wahr und kann sie verarbeiten. Asperger ist so vielfältig und sehr schwer zu diagnostizieren. Man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Asperger ist weder eine Krankheit noch eine Behinderung. Der Mensch ist einfach anders, als wir es gewohnt sind. Und die Gesellschaft hat Probleme, auf diese Andersartigkeit zu reagieren. Das Wesentliche ist, dass die Menschen angenommen werden und dass sie die Möglichkeit haben, diese Andersartigkeit entsprechend auszuleben. Aber für die Familie ist der Umgang schon schwer. Wie schaffen es diese? Es ist ganz schwierig, damit umzugehen. Aber auch hier kann man das nicht generalisieren. Das Autismus-Spektrum ist so breit. Das Entscheidende ist, dass wir lernen, die Dinge anzunehmen, wie sie sind. Man kann natürlich bei einer frühen Diagnose mit einer sozialen Interaktion und mit Therapien durchaus eine Angleichung dieser Wesensart an die gesellschaftlichen Notwendigkeiten erreichen. Allerdings ist das Entscheidende, dass jeder Mensch darauf angewiesen ist, so angenommen zu werden, wie er ist. Dann ist für uns alle eine Entwicklung möglich. Eltern, deren Kinder eine solche Diagnose haben, brauchen Information, Begleitung in der Weiterentwicklung der eigenen Beziehung mit dem Kind und Begleitung, um ein möglichst unkompliziertes Leben zu führen. Gibt es bei uns diese Stellen? Es wäre vernünftig, überregionaler zu agieren. Die klassischen Bundesländergrenzen müssten aufgehoben werden. Wir könnten beispielsweise gemeinsam Zentren errichten und dadurch könnten wir breiter agieren. Da ist noch viel Luft nach oben. Wo stoßen Sie und Ihre MitarbeiterInnen in Ihrer Arbeit an Ihre Grenzen? Wenn sich jemand in dem System, das wir bei Vamos bieten, nicht wiederfinden kann, dann sind wir nicht mehr die richtige Institution. Wenn wir dem Betroffenen nicht mehr guttun, müssen wir andere Möglichkeiten suchen und anbieten. Womit kann die Gesellschaft Inklusion erleichtern? Wir haben als Gesellschaft gelernt, Probleme individuell zu begreifen. Ich denke, es wäre wichtig, dass wir nicht das Individuum zu reparieren versuchen, sondern dass wir die Gesellschaft öffnen. Wir können Menschen, die eine unterschiedliche Wesensart haben, nicht soweit reparieren, dass sie in unsere Gesellschaft passen, sondern wir haben die Gesellschaft so zu orientieren, dass alle Menschen mitgenommen werden können. Der erste Schritt wäre wegzugehen von dem Gedanken der Verwertbarkeit des Menschen. Nehmen wir als Beispiel die Integration am Arbeitsmarkt her. Wenn wir Arbeit als zentrales Lebenskonzept für uns alle verstehen, dann sollte es möglich sein, alle Menschen in einen sinnvollen Arbeitszusammenhang in dieses Gesellschaftssystem einzubinden. Das rechnet sich wirtschaftlich natürlich nicht immer. Aber da müssten Fördersysteme greifen, die als solche wirklich auch für den Menschen selbst begriffen werden. Dann glaube ich, dass wir als Vamos – und das ist eigentlich das Ziel von uns – unnötig werden. OKTOBER 2020 29

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