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Beschaffung aktuell 7-8.2023

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» MANAGEMENT Betrifft die Agilisierung nur den Einkauf? Höhn: Der Einkauf hat Schnittstellen in ganz viele Unternehmensbereiche hinein und ist damit für das agile Arbeiten prädestiniert. Aber natürlich kann er sich nicht alleine transformieren. Die Geschwindigkeit und die Umsetzungsorientierung sind für den Erfolg in den neuen Märkten zentral. China treibt bei vielen Technologien die Entwicklung voran. Das Mantra dort lautet: Fortschritt geht vor Perfektion. In Deutschland hemmt uns oftmals die Regulatorik. Die deutschen Normen waren über Jahrzehnte ein weltweiter Standard, der die Unternehmen geschützt hat. Diese Eintrittsbarriere zerfließt gerade. »In Deutschland hemmt uns oftmals die Regulatorik. Die deutschen Normen waren über Jahrzehnte ein weltweiter Standard, der die Unternehmen geschützt hat. Diese Eintrittsbarriere zerfließt gerade.« Hanno Höhn Wie begegnen Sie dem neuen Wettbewerb? Höhn: Wir nehmen es sportlich. Für mehr Geschwindigkeit in der Transformation haben wir vor zweieinhalb Jahren ein Performance Office gegründet, direkt angedockt an CEO und CFO. Damit haben wir Transparenz über die verschiedenen Transformationsprojekte im Unternehmen bekommen, die Geschwindigkeit in der Umsetzung gesteigert und Priorisierungsprobleme erkannt. Das alleine reicht aber nicht aus. Nun kombinieren wir die großen strategischen Initiativen noch mit der agilen Methodik. Am Anfang stehen die Vision und die emotional besetzten Ziele, die zum Handeln motivieren. Für Mann+Hummel sind dies „Leadership in Filtration – wir trennen das Nützliche vom Schädlichen“ sowie unser Einsatz für saubere Mobilität, saubere Luft und sauberes Wasser. Für die Umsetzung geht es um eine ergebnis- und wirkorientierte Denkweise und um die richtige Methodik. Wir gehen weg von den starren langen Planungszeiträumen, hin zu kurzen, drei- bis sechsmonatigen Entwicklungszyklen und Sprints. Den agilen Ansatz haben wir in das gesamte Unternehmen ausgerollt, über alle Geschäftsbereiche und Funktionen. Die Ziele stimmen wir miteinander ab und führen die Projekte im Performance Office zusammen. Was haben Sie im Einkauf bereits umgesetzt? Höhn: Im Einkauf haben wir die Jobbeschreibungen verändert und neue Rollen eingeführt. Es gibt einen Projekteinkauf zur Unterstützung der neuen Geschäftsfelder und wir haben den Einkauf insgesamt sehr viel enger mit den Produkt- und Marktteams verzahnt. Wir analysieren im Rahmen der digitalen Transformation unsere Beschaffungs- und Lieferprozesse, setzen sie neu auf und sorgen dafür, dass die Standardabläufe eingehalten werden. Haben Sie hierfür ein Beispiel? Höhn: Maverick Buying ist der Klassiker. Alle denken, das Thema ist längst diskutiert und umgesetzt. Doch durch den Einsatz von Process-Mining-Software haben wir beispielsweise erfahren, dass teilweise Rechnungen ohne Bestellungen ins Haus kommen und können nun gezielt eingreifen. Auch die korrekte Umsetzung der Rahmenverträge ist ein Thema: Bezahlen wir für die bestellten Mengen tatsächlich immer die korrekten, vertraglich vereinbarten Preise? Oder passieren Übertragungsfehler? Andere Prozesse können wir durch das Wissen aus dem Process Mining wiederum bündeln und in Shared Service Center auslagern. Für Nichtproduktionsmaterial und Volumina unter 5000 Euro testen wir Verhandlungs-Bots. Wir erproben Analytics für vorausschauende Materialpreisprognosen und digitalisieren unser Vertragsmanagement. Es geht insgesamt um eine bessere Lieferantenintegration. Wir haben eigene digitale Labs, die uns in diesen Themen sehr gut unterstützen. Wir testen den Einsatz von KI, diskutieren aber auch Zukunftsthemen wie digitale Interaktionen im Metaversum zwischen Menschen und automatisierten Systemen. Hanno Höhn: „Wir gleichen die Konditionen zwischen unseren Kunden- und unseren Lieferantenverträgen sehr viel konsequenter ab, indem wir die Volumenschwankungen, die wir unseren Kunden erlauben, auch gegenüber unseren Lieferanten einfordern.“ Bild: Mann+Hummel 16 Beschaffung aktuell » 7/8 | 2023

Wo nutzen Sie Künstliche Intelligenz? Höhn: Zum Beispiel in der Supply-Chain-Planung, im S&OP-Prozess. In die mittelfristige Bedarfsplanung, in das Demand-, Angebots- und Kapazitätsmanagement bis zur monatlichen und wöchentlichen Abstimmung spielen wir Analytics aus historischen Daten hinein, die wir mit den Einschätzungen der Planer und Planerinnen matchen. Wird der Mensch trotzdem gebraucht? Höhn: Wir würden es aktuell nicht zulassen, dass ein Bot die Entscheidungen trifft. Unvorhergesehene Schwankungen, zum Beispiel wenn neue, große Kunden oder Aufträge dazukommen, kann die KI ja nicht berücksichtigen. Wir schauen uns aber an, wer die besseren Vorhersagen trifft, die KI oder der Mensch. Da können wir zwischen unseren Werken vergleichen, in manchen wird noch rein manuell geplant, in anderen unterstützt von Analytics. Unsere Erfahrung lautet: Es kommt auf das richtige Zusammenspiel an. Unabhängig davon spart der Einsatz von KI im Supply Planning viel Zeit und setzt Kapazitäten für Unvorhergesehenes oder strategische Aufgaben frei. Sie sprachen von einem stärkeren lokalen Fußabdruck der Fertigung. Wie wirkt sich das regionale Engagement auf den Einkauf aus? Höhn: Wir haben weiterhin einen global geführten Einkauf, der die Regionen über Standardisierung, in ihren Prozessen und über ein zentrales Warengruppenmanagement unterstützt. Regionale Spezifika, regionale Kundenstrukturen, regionale Anforderungen an die Supply Chain bilden wir in den Regionen ab. Die neuen Geschäftsfelder brauchen im Einkauf regional eine andere Flexibilität als das im Automotive - markt der Fall ist. Die Strukturen sind andere. Um trotzdem Synergien heben zu können, brauchen wir die Daten aus den neuen Geschäftsbereichen in einem zentralen Datalake. Wir haben im Geschäftsbereich Life Sciences & Environment zahlreiche Firmen mit vielen unterschiedlichen IT-Landschaften zugekauft. Diese zusammenzuführen ist die aktuelle Heraus forderung. Die Umstellung auf S4Hana wird uns hier einen ganzen Schritt voranbringen. »Wir würden es aktuell nicht zulassen, dass ein Bot die Entscheidungen trifft.« Hanno Höhn Inwiefern verändern ESG-Regulatorik und Klimaziele Ihre Lieferbeziehungen? Haben Sie nachhaltige Aspekte in Ihre Beschaffungsprozesse integriert? Höhn: Zunächst war es wichtig, das Unternehmen und den Einkauf dafür zu sensibilisieren, dass 80 Prozent unseres CO 2 -Fußabdrucks in der Lieferkette (Scope 3) entstehen. Das heißt, es liegt zu einem Großteil am Einkauf, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Mann+Hummel will bis 2050 komplett klimaneutral sein, bis 2035 in der eigenen Fertigung. Hierfür haben wir im ersten Schritt und natürlich auch, um die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu erfüllen, 7000 Lieferanten einer CSR-Bewertung unterzogen. Darüber hinaus fordern wir unsere Lieferpartner auf, sich einem Rating von Ecovadis zu unterziehen. Wir selbst haben den Ecovadis-Gold-Standard und erhalten damit u. a. auch am Kapitalmarkt bessere Konditionen. Mit Blick auf unsere Lieferkette haben wir den Aspekt der Nachhaltigkeit in die 360°-Lieferantenbewertung – neben u. a. Qualität, Risiko, Technologie und Zusammenarbeit – als zentralen Faktor aufgenommen . Das ESG-Rating der Lieferanten wird künftige Sourcing-Entscheidungen beeinflussen. Wie sieht es mit dem CO 2 -Fußabdruck in der Lieferkette aus? Höhn: In Pilotprojekten ermitteln wir im Rahmen des Carbon Disclosure Projekts bereits die CO 2 -Primär - daten von Lieferanten. Über die gesamte Lieferkette ist dies jedoch noch nicht möglich. Da sind viele Lieferanten einfach noch nicht soweit. Über die gesamte Kette arbeiten wir deshalb mit CO 2 -Näherungs- bzw. Sekundärdaten, um unseren Scope 3 zu ermitteln. Im Downstream sorgen im Rahmen von ESG wiederum unsere Produkte durch die Filtration schädlicher Stoffe aus der Luft und aus dem Wasser für die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks. Auch das ist für uns eine sehr starke Motivation. Annette Mühlberger, freie Journalistin Der Automotive- Zulieferer Mann+Hummel bedient viele neue Märkte. Für den Einkauf und die Supply Chain Planung bedeutet dies einige Veränderungen. Bild: Mann+Hummel Beschaffung aktuell » 7/8 | 2023 17

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