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Lebenszeit Ausgabe Frühjahr 2021

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Editorial Keine Zeit

Editorial Keine Zeit für Abschiede Die Bedingungen, unter denen Menschen Sterben, Tod und Trauer erleben, haben sich durch Corona stark verändert. Begegnungen. Kontakte. Hände, die man schütteln darf. Und halten. Umarmungen, Nähe, Treffen. So viel, das wir seit über einem Jahr vermissen. Nicht nur in unserem privaten Umfeld, mit unseren engsten Zu- und Angehörigen, nein, auch in unseren beruflichen Kontexten, ob mit KollegInnen oder jenen Menschen, die wir begleiten dürfen und möchten, die uns anvertraut wurden und sind. Diese Sehnsucht ist schon unter Bedingungen schwer zu ertragen, in denen es zu keinen Erkrankungen und Todesfällen kommt, ganz unabhängig davon, ob sich diese durch Covid-19 oder andere Umstände ereignen. Kommt es jedoch wirklich zum Abschiednehmen in dieser herausfordernden Zeit, so treten so vielfältige veränderte Umstände ein, die dies – aber auch das Trauern – erschweren und intensivieren. Unser natürliches Bedürfnis, Menschen beizustehen, die uns brauchen, impliziert auch unmittelbare Nähe. Covid-19 hat all dies auf sehr schlimme Weise verändert: All unsere natürlichen Mechanismen, Rituale, Bedürfnisse müssen neu durchdacht werden. Diese Ausgabe von „Lebenszeit“ soll einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten der Begleitung – aber auch Gedanken und Gefühle von Betroffenen und Begleitenden – geben. Speziell in dieser Ausgabe ist mir bewusst, dass wir dadurch nur kleinste Impulse geben können, doch genau diese möchten wir mit Ihnen teilen. Die Zukunft ist nicht vorhersagbar, aber wir können die Gegenwart gestalten: so gut wir können, mit all unseren zur Verfügung stehenden Mitteln und Hoffnungen. Mit all dem, was uns weiter ausmacht und uns berührt und bewegt. Edda Kaufmann, Leitung Mobiler Hospizdienst VON VERONIKA PRÜLLER-JAGENTEUFEL Unter Pandemie-Bedingungen war das Begräbnis ihrer Arbeitskollegin und Freundin noch einmal so traurig, als es sonst schon gewesen wäre, erzählte mir Ilse im Frühjahr 2020. Der Tod nach Gehirntumor und langem Kampf war ohne Nähe, ohne Singen, ohne größere Gemeinschaft noch schwerer zu ertragen. „Johanna war auch dort und alles war präsent, was wir drei Frauen über die Jahre miteinander erlebt haben. Wir haben uns angeschaut und uns dann mit einem leisen Fluch auf Corona doch fest umarmt. Das wenigstens musste sein.“ Ilses Erlebnis ist nur eines von unzähligen Beispielen, wie die Covid19-Pandemie Trauer und Abschied geprägt hat und prägt. Das betrifft vor allem die Todesfälle, aber ähnlich auch andere Abschiede wie Trennung einer Partnerschaft oder Arbeitsplatzverlust. Der Prozess der Trauer konnte und kann derzeit nicht ungehindert stattfinden. Vieles von dem, „was man in einem Trauerfall so tut“, muss anders gemacht werden oder entfällt. Dadurch fehlen nicht nur Ausdrucksmöglichkeiten für die Trauer und all ihre Gefühle von Betroffenheit bis Wut. Es sind auch Räume und Formen unzugänglich, die besonders in der oft verwirrenden ersten Zeit der Trauer Halt und Sicherheit geben können. Zur Verunsicherung, die Verlust, Abschied, Tod bei Menschen fast immer auslösen, kommt zusätzliche Unsicherheit: Wie viele Menschen dürfen zum Begräbnis kommen? Wen darf ich umarmen? Kann eine Betstunde stattfinden? Wie kann ich mein Beileid zeigen? Auch hier gibt es keine Normalität mehr; alles muss überlegt und eigens geplant werden. Das kostet zusätzlich Kraft. Aufgeschobene Abschiede Manche haben die Begräbnisse der Asche ihrer Lieben verschoben. Die Trauerfeier soll dann stattfinden, „wenn es wieder geht“. Ohne Blasmusik, Reden und Beisammensein ist für sie der letzte Weg einfach nicht vorstellbar und auch Verwandte und Freunde sollen die Chance eines guten Abschieds haben. Der Prozess des Trauerns lässt sich allerdings nicht so leicht einfrieren und später wieder auftauen. Wenn das Leben ohne rituellen Abschied einfach weitergeht, dann fehlt dieser wichtige Meilenstein des Trauerweges oft sehr schmerzlich. Trauer ist sehr persönlich und zugleich braucht sie Gemeinschaft, Solidarität, Austausch mit anderen. Auf einem Begräbnis wird das soziale Netz sichtbar, in dem die verstorbene Person gelebt hat. Zu erleben, dass der Mensch, um den ich trauere, auch für andere Menschen Bedeutung hatte, kann tröstlich sein. Die Trauer gemeinsam zu tragen hilft. Mit den Begräbnissen nur im engen Familienkreis wurde dabei zuweilen eine Tendenz verstärkt, 2 LebensZeit Mobiler Hospizdienst der Caritas der Diözese St. Pölten

Thema die es schon vor der Corona-Zeit gab: eine fortschreitende Privatisierung des Trauerns. Sich trauernd zu zeigen, ist vielen Menschen peinlich. Schmerz erscheint zu privat, um sichtbar werden zu dürfen. Jenen, die ihre Trauer lieber ganz zurückgezogen leben, kommen die Beschränkungen gemeinschaftlicher Trauerfeiern wohl entgegen. Die Gefahr dabei ist, dass die Trauer damit im Außen zu wenig Raum bekommt und sich dann im Innern so hineinfrisst, dass sie nicht mehr ins Leben, sondern in Krankheiten führt. Daher kommt es auch in Zeiten von Lockdown und Beschränkungen darauf an, Orte, Anlässe und Ausdrucksformen der Trauer zu pflegen und sie notfalls neu zu schaffen. Die Chance dabei ist, sich eben nicht an die üblichen Traditionen halten zu müssen, weil jetzt ohnehin so vieles anders ist. Die Unterbrechung, die das Virus gebracht hat, macht auch manchen neu bewusst, was ihnen in Sachen Abschied und Trauer tatsächlich wichtig ist und was „nur“ Konvention war – und sie fördert bei vielen die Kreativität, passende eigene Formen zu finden. Diese reichen von einem selbst gestalteten Gedenkort im Wald oder im eigenen Garten über das Wegschwimmen-lassen von Papierbooten in einem Bach bis zu sehr persönlich gestalteten Betstunden in einer Kirche. Wichtig ist der möglichst authentische Ausdruck der Trauer in ihren verschiedenen Facetten und der Trost durch Rituale des Dankens und der Hoffnung auf eine neue Form der Verbundenheit. Die individuelle Trauer findet in der Pandemie vor einem gesellschaftlichen Hintergrund statt, der wie ein kollektiver Trauerprozess erscheint. Viele Menschen erleben derzeit Verluste, die Angst und Wut auslösen und die ganze Palette von leugnen und sich wehren, ringen, sich mit der Realität arrangieren, sich in Aktivitäten stürzen, in die innere Isolation gehen, sich dem Schmerz stellen, für das Verlorene Ersatz suchen bis die Trauer kreativ gestalten und neu lebendig werden. Vielfältige Verlusterfahrungen Welcher Verlust es ist, der so schmerzt, muss nicht für alle gleich sein. Für einige ist es die plötzliche Bedrohung ihrer Existenz, für andere der Urlaub im Ausland oder das Ausgehen mit FreundInnen, für manche das versäumte erste Jahr des Enkelkinds. Insgesamt betrauern wir vielleicht den Verlust von Unbekümmertheit und von dem Gefühl der Sicherheit im mehr oder weniger bescheidenen Wohlstand. Wer in dieser Zeit Menschen verloren hat oder Arbeitsplatz und Einkommen, fällt mit der konkreten Trauer vor diesem allgemeinen Trauer-Hintergrund kaum auf. Daher braucht es viel Achtsamkeit, um einander gut beizustehen. Möglich wird das vielleicht auf der Basis eines tastenden Vertrauens darauf, dass aller Schmerz und alle Trauer und alle Menschen letztendlich in (Gottes) guten Händen geborgen sind. Erspürbar, erahnbar kann das – wie für meine Freundin Ilse – in einer Umarmung werden, die in verantwortungsvoller Vorsicht für einen Moment die Corona-Distanz überwindet, um in der Trauer einander Freundschaft und Verbundenheit spüren zu lassen: ein guter Trost! Veronika Prüller-Jagenteufel ist theologische Referentin der Caritas der Diözese St. Pölten und Seelsorgerin im Haus Elisabeth. Foto: privat Begräbniskostenvorsorge Mit dieser Vorsorge nehmen Sie Ihren Angehörigen einen großen Teil an Verantwortung und Sorgen ab. Goldegger Straße 35, 3385 Prinzersdorf | T 02749-2000 Bezahlte Anzeige LebensZeit April 2021 3

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