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Centurion Germany Spring 2019

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Von links:

Von links: Sonnenuntergang im trockenen Flussbett am Mandrare River Camp; Anflug auf das Miavana Resort mit dem Helikopter; Baobabs bei Mandrare M E I N E R S T E R F L Ü C H T I G E R E I N D R U C K V O N M A D A G A S K A R fühlte sich ein bisschen so an wie der Blick auf die Seiten eines zufällig aufgeschlagenen Kinderbuchs: auf sonderbare Weise vertraut und gleichzeitig vollkommen unwirklich. Im zerklüfteten Hochland rund um die Hauptstadt Antananarivo drängte sich ein Wirrwarr von hohen Backsteinbauten mit schmiedeeisernen Balkonen und steilen Ziegeldächern an smaragdgrüne Reisfelder. Weiße Enten prägten das Bild ebenso wie Pfirsichgärten, Zebu-Rinder, hoch aufragende Kirchtürme und Kopfsteinpflasterstraßen. Auf mich wirkte das alles, als hätte ein Künstler verschiedenste Elemente zu einer Collage arrangiert und dadurch diese Traumwelt erschaffen – die Provence mit Spuren von Indonesien und südlichem Afrika. Für mich war das aber auch wie ein Lied aus bekannten Akkorden. Meine Eltern waren britische Siedler, die in den 70erund 80er-Jahren auf entlegenen Farmen im südlichen Afrika lebten. Neun Monate des Jahres verbrachte ich in einem Internat in Simbabwe, doch während der Ferien war ich mir selbst überlassen und konnte auf diesen Farmen herumstromern, ganz gleich, wohin und mit wem. Dort lernte ich, die Welt mit anderen Augen zu sehen – eine Welt der Vorfahren, der Zauberei und der heiligen Bäume. Meine Familie und ich waren nicht dort, von wo wir stammten, und stammten nicht von dort, wo wir waren. Das ist ein entscheidendes Merkmal von mir. Die Suche nach Zugehörigkeit durchzieht meine gesamte schreiberische Tätigkeit. Genauer gesagt geht es um die Frage nach dem Land und danach, wer am besten damit beauftragt werden sollte, das zu bewahren, was davon übrig ist. Madagaskar wurde vor weniger als 1.500 Jahren von Menschen besiedelt. Als Erste kamen die Austronesen, die die Insel mit ihren Auslegerkanus erreichten. Nachfolgende Einwanderungswellen hatten ihren Ursprung in Afrika, Arabien und entfernteren Gebieten. Mit dem Anwachsen der menschlichen Population starben die endemischen Arten Madagaskars nach und nach aus. Die großen, langsamen Tiere verschwanden zuerst – ein Beispiel sind die riesigen Elefantenvögel. Andere Tiere und auch Wälder wurden heilig und unberührbar. Allerdings lässt sich in Madagaskar so gut wie nichts verallgemeinern. Die Insel hat ungefähr die Größe Frankreichs. Sie misst rund 1500 Kilometer von Nord nach Süd und rund 600 Kilometer an der breitesten Stelle von Ost nach West. Dennoch weist sie so viele Besonderheiten auf, dass einige Ökologen sie als den achten Kontinent bezeichnen. Anders ausgedrückt: Durchquert man die Insel, erlebt man Hunderte kleiner Welten. Jede unterliegt ihren eigenen Bedingungen und beherbergt bestimmte seltene Pflanzen oder fast ausgestorbene Kreaturen. Da wäre etwa die Dreieckspalme (Dypsis decaryi): In ihrem ursprünglichen Lebensraum, einem kleinen Gebiet im Andohahela-Nationalpark, sind nur noch rund 1.000 Exemplare vorhan- 66 CENTURION-MAGAZINE.COM

den. Wenn man durch diesen Teil des Landes fährt, sieht man die Palmen – von denen einige fast 15 Meter hoch und unglaublich anmutig sind – etwa eine halbe Stunde lang. Danach erblickt man sie nicht mehr. Im Südosten gibt es eine Allee mit gigantischen Affenbrotbäumen (Adansonia grandidieri), silberfarben unter dem grauen Himmel der Regenzeit, der bei Sonnenuntergang rosarot wird. Einige dieser Gewächse stehen hier seit einer Ewigkeit – sie existierten bereits vor Ankunft der ersten Menschen auf der Insel. Nur ein Wimpernschlag, und schon hat man sie verpasst. Der krasseste Kontrast dazu sind mehrtägige, tagträumerische Reise durch den Westen der USA (da ich in Wyoming lebe, habe ich das schon ein paarmal gemacht). Dort tritt die Veränderung zwischen zwei Orten sehr langsam ein. Das wenig abwechslungsreiche Land kann einem das Gefühl vermitteln, alles sei unveränderbar und für immer und ewig. Madagaskar hingegen lässt keinen Zweifel daran, dass dies nicht der Fall ist. An meinem ersten Morgen nahm ich ein zweimotoriges Flugzeug von Tana, wie die Hauptstadt auch genannt wird, in den Süden zum Mandrare River Camp. Die Betreiber der Anlage mit den großen Zelten aus Segeltuch, die über Solarenergie versorgt werden und unter hoch aufragenden Tamarindenbäumen am Ufer des Mandrare-Flusses stehen, wollen ein nachhaltiges Eintauchen in die umliegenden Ökosysteme ermöglichen. Auf dem Weg zu meinem Zelt stürmte die wilde Tierwelt auf mich ein: Schmetterlinge überall, zudem brummende Hummeln, Glattechsen, eine Boa, eine kleine braune Schlange und Frösche. Außerdem Vögel: Man fühlte sich wie in einer gewaltigen Voliere mit einer dichten Klangkulisse aus Kuckucken, Drongos und Nachtschwalben. Alles voller Leben, trotz einer landesweiten Dürre. Der Fluss war fast komplett trocken. Von der Veranda meines Zeltes aus konnte ich auf der anderen Seite des Flusses in etwa 400 Metern Entfernung kleine Dörfer in der Hitze flirren sehen. Die Pfahlbauten hatten jeweils drei Türen: eine für Frauen, eine für Männer und eine für Kinder. Den ganzen Tag über sah man Herden von Zebu-Rindern zum Trinken an den wasserarmen Fluss ziehen. Die wunderschönen gefleckten Tiere haben ausladende Hörner und einen gewölbten Nacken. Morgens und abends holten Mädchen mit Eimern an derselben seichten Stelle Wasser für ihren Haushalt. Alle blickten zu den aufgetürmten Wolken im Westen, die Regen versprachen, der aber Nacht für Nacht ausblieb. Auf dem kleinen Wochenmarkt in der nahe gelegenen Stadt Ifoka, bei dem sich Menschen aus den Dörfern in der Umgebung einfanden, war die Stimmung dennoch heiter, optimistisch, fast trotzig. Die Antandroy vom „Volk des Dornbuschs“, so die Übersetzung, haben gelernt, Zähigkeit zu kultivieren. Südost-Madagaskar ist auf eine stachelige, raue Weise schaurig-schön – kein passender Ort für Menschen, die zum Verzweifeln oder Aufgeben neigen. Insofern erscheint es folgerichtig, dass sich CENTURION-MAGAZINE.COM 67

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