Aufrufe
vor 4 Jahren

mav 04.2020

Keynote

Keynote mav Innovationsforum 2020 ▶ CYBER-PHYSISCHE PRODUKTIONSSYSTEME Kognitive Werkzeugmaschinen für adaptive spanende Prozesse Werkzeugmaschinen müssen in die Lage versetzt werden, auf veränderliche Situationen optimal und autonom zu reagieren. Der dafür notwendige Prozess des Wahrnehmens und Erkennens sowie der Repräsentation und Manipulation von Wissen wird als Kognition bezeichnet. Um dies zu erreichen, ist derzeit eine Reihe von Basisfunktionalitäten bei Unternehmen und Forschungseinrichtungen in der Entwicklung. zeugverschleiß erkennen und mit geänderter Prozesskraft trotzdem Gutteile herstellen. Er nutzt seine kognitiven Fähigkeiten, das heißt das Wahrnehmen von Prozess und Umwelt ebenso wie seine Erfahrung zur Verknüpfung der neuen Informationen mit dem vorher Gelernten, zur Generierung einer angepassten Bearbeitungsstrategie und deren Umsetzung. Kognitive Fähigkeiten des Menschen in der Produktion. Bild: Fraunhofer IWU, Uhrenmanufaktur Lang & Heyne GmbH & Co. KG Der Autor Prof. Dr.-Ing. Steffen Ihlenfeldt, Inhaber der Professur für Werkzeugmaschinenentwicklung und adaptive Steuerungen an der TU Dresden und Leiter der Hauptabteilung Cyber-physische Produktions systeme des Fraunhofer IWU. Die klassische Zerspanung unterliegt momentan einem Wandel. Neben sinkenden Losgrößen und einem breiteren Teilespektrum stellt auch die aufkommende additive Fertigung hohe Anforderungen an Zerspanprozesse zur Nachbearbeitung der Werkstücke. Insbesondere relevant sind hier inhomogen im Bauteil vorkommende Werkstoffeigenschaften, welche teils verschiedenartige Prozessreaktionen zur Laufzeit erfordern. All diesen Herausforderungen wird zukünftig, da eine gleichbleibend hohe Produktivität erwartet wird, nur mit erweiterten Maschinenfähigkeiten beizukommen sein. Der Mensch kann hierbei als ein hervorragendes Muster herangezogen werden, da er es perfekt beherrscht, sich auf die jeweils aktuellen Gegebenheiten einzustellen und den „Produktionsprozess“ optimal anzupassen. Manuelle Fertigungsprozesse können als Vorbild dienen. So fertigt beispielsweise ein Handwerker individuelle Werkstücke und reagiert aufgrund seiner Erfahrung und der Fähigkeit, den Prozess zu „erspüren“. Er überwacht das Ergebnis und passt seine Vorgehens - weise gegebenenfalls an. Folglich kann er Veränderungen wie Werk- Die Produktion der Zukunft Diese Vorgehensweise der Fertigung in einer Manufaktur kann nun in den Bereich der Werkzeugmaschinen übertragen werden, um den Anforderungen nach hochkomplexen Werkstücken bei kleinen Losgrößen gerecht zu werden. Konkret ist dazu abzuleiten, welche Basisfunktionen zukünftige Generationen von Werkzeugmaschinen besitzen müssen, um auf die eingangs genannten Herausforderungen eigenständig und zur Laufzeit reagieren zu können. Die Produktion der Zukunft wird erweiterte Sinne in Form von zusätzlichen, systemintegrierten Sensoren oder sensorierten Komponenten besitzen und über ein Nervensystem mit modernsten Kommunikationswegen wie 5G, Indoor- Ortung und Datenspeichersystemen verfügen. Zusätzlich spielen Modelle eine essenzielle Rolle, nicht nur um Prognosen des Maschinenverhaltens treffen zu können, sondern auch um maschinelle Lernverfahren in der Produktion anwendbar zu machen. Typischerweise sind geringe und inhomogene Datenbestände mit „Lücken“ in der Produktion vorherrschend, da durch das primäre Ziel eines robusten Prozesses keine ausreichende Streuung der 62 April 2020

Keynote mav Innovationsforum 2020 Adaptiver Zerspanprozess und dessen Basisfunktionalitäten. Bild: Fraunhofer IWU Prozessparameter gewährleistet werden kann. Ein schlecht konditionierter Datenbestand als Basis des Lernalgorithmus ist die Folge. Hier setzen Maschinen- und Prozessmodelle an, um im Sinne einer hybriden Datenbasis geeignete Voraussetzungen für maschinelles Lernen zu schaffen. Neben der Adaption von Prozessparametern mit dem Ziel einer robusteren Produktion zeigen Forschungsergebnisse das Potenzial auf, durch künstliche Intelligenz die aktuell fest programmierten Abläufe in den Maschinensteuerungen so zu flexibilisieren und erweitern, dass Werkzeugmaschinen auch in weiteren Grenzen bis hin zur Bahnplanung und -adaption situationsangepasst reagieren können. Basiselemente adaptiver Fertigungsverfahren Um diese Visionen sukzessive Realität werden zu lassen, arbeitet das Fraunhofer IWU in Kooperation mit der TU Dresden an Basiselementen adaptiver Fertigungsverfahren. Mess- und Monitoringfunktionen sind hierfür essenziell, wobei anwendungsspezifisch immer die Frage beantwortet werden muss, wo im Kraftfluss und unter Verwendung welcher Sensoren eine Messung erfolgen sollte. Oftmals ist es den produzierenden Unternehmen nicht möglich, vergleichend zu beurteilen, welche Messverfahren für die eigene An- wendung geeignet sind. Hier bieten Forschungsinstitute wie das Fraunhofer IWU ihr Know-how an, stellen objektive Vergleiche bezüglich der verfügbaren Messoptionen an und diskutieren die Vorund Nachteile mit interessierten Anwendern und Kunden. Neben den Ansätzen zur Maschinen- und Prozessvermessung werden Konzepte für aktorische Werkzeuge zukünftig eine stetig wachsende Rolle spielen. Ein Beispiel der erweiterten Aussagekraft von Modellen ist die Simulation der Maschine-Prozess-Interaktion bei der Zerspanung. Der Informationsgehalt geht weit über die gebräuchlichen und experimentell erstellten Ratterkarten hinaus und hilft nicht nur, stabile Prozessbereiche zu detektieren, sondern dient zusätzlich auch der Analyse und gegebenenfalls der Behebung von Ursachen eines unerwünschten Ratterns. Die Flexibilisierung des Zerspanprozesses in Form einer vollständig adaptiven Prozessführung ist ein nächster Entwicklungsschritt basierend auf dem Modellverständnis. Aktuell besitzen CNC-Steuerungen einen großen Informationsschatz, der bisher kaum genutzt wird. Eine Steuerungsdatenakquise und -analyse ist in der Lage, umfassende und vor allem nahezu kostenneutral generierbare Aussagen über das Maschinenverhalten zu treffen. Verknüpft man die gewonnenen Daten mit dem CAM- System, sind auch detaillierte Aussagen über das Werkstück in Form eines digitalen Werkstück-Zwillings möglich. In der Keynote werden Lösungen und Basisfunktionalitäten vorgestellt, die in ihrer Charakteristik von der Grundlagenforschung bis zur Anwendungsreife reichen. Allen Ansätzen ist gemein, dass die besten Ergebnisse erreicht werden, wenn die Basisfunktionen gezielt und aufeinander abgestimmt als Gesamtsystem zum Einsatz kommen. Hierfür bietet sich das Fraunhofer IWU mit dem vorhandenen Marktüberblick als Forschungsund Entwicklungspartner auf dem Weg zur kognitiven Werkzeugmaschine ■ an. Das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU www.iwu.fraunhofer.de System zur wirkstellennahen Kraftmessung im Zerspanprozess. Bild: Fraunhofer IWU April 2020 63

MAV