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medizin&technik 02.2021

■ [ MANAGEMENT ]

■ [ MANAGEMENT ] Medizinprodukte-Dokumentation: Baukastensystem verschafft Überblick Dokumentation vereinfachen | Um ein variantenreiches Medizinprodukt wie den Verlängerungsmarknagel Fitbone TAA gemäß regulatorischer Vorgaben zu dokumentieren, wurde ein Baukasten konzipiert. Dieses Konzept sowie automatische, formale Checks führten zum Erfolg. (Bild: Wittenstein Intens) Zum Fitbone-TAA-System gehören passende OP-Instrumente sowie Verriegelungsschrauben (Bild: Wittenstein Intens) Das Steuerungsset versorgt den Marknagel von außen über den Receiver mit Energie. Es wird nicht nur für den Fitbone TAA verwendet, sondern auch für andere aktive Implantate Was in der technischen Dokumen - tation eines Medizinprodukts enthalten sein muss, legen die Medizin - produkte-Verordnung (Medical Device Regula tion, MDR) und die ISO 13485:2016 fest. Normen wie die ISO 14971 für das Risikomanagement wiederum geben genauer vor, welche Inhalte zu dokumentieren sind und wie der Hersteller sie in unterschiedliche Dokumente aufzuteilen hat. Besonders groß ist die Herausforderung, wenn es sich um ein aktives Medizinprodukt der Klasse III handelt und dieses in unterschiedlichen Varianten auf den Markt kommt. IHR STICHWORT ■ ■ ■ ■ Dokumentation von Medizinprodukten Unterstützende Software-Tools Verknüpfung der Tools mit eigens erstellter Schnittstelle Zeitersparnis von 50 % für Folgeprojekte Wie ein Hersteller in so einem Fall geschickt vorgehen kann, zeigt die Projektdokumentation zur Entwicklung des Verlängerungsmarknagels Fitbone TAA. Diesen hat die Wittenstein Intens GmbH aus Igersheim entwickelt. Beim Erstellen der Dokumenta tion zum Fitbone-TAA-System haben Fachleute von Method Park aus Erlangen die Ingenieure von Wittenstein unterstützt. Um die Komplexität zu verwalten, wurde dabei für das Anforderungsmanagement das IBM-Tool Rational Doors verwendet. Doch zunächst lohnt sich ein Blick auf das Medizinprodukt selbst. Das Fitbone- TAA-System besteht aus • einem implantierbaren Verlängerungsmarknagel, • einem Receiver, der unter der Haut implantiert wird, • einem Steuerungsset, das den Mark - nagel von außen über den Receiver mit Energie versorgt, und • verschiedenen OP-Instrumenten und Verriegelungsschrauben. Das Steuerungsset und der Receiver sind dabei für alle Marknagelvarianten gleich. Den Marknagel selbst gibt es in Varianten, die sich etwa in Bezug auf Distraktionsstrecke oder Durchmesser unterscheiden. So lässt er sich zum Beispiel im Schienbein zur Beinverlängerung einsetzen, aber auch Varianten für den Oberschenkel sind verfügbar. Für jeden Typ des Marknagels werden spezifische OP- Instrumente benötigt. Vielzahl einzelner Dokumente erstellen und verwalten Alle diese Aspekte mussten dokumentiert werden. Einzelne Dokumente wurden erstellt, in denen es jeweils um folgende Aspekte ging: •das Risiko, • die Anforderungen, •das Design, • die Validierung und • die Verifikation. Im Tool Doors werden Dokumente als „formale Module“ bezeichnet. Die Inhalte stehen in Beziehung zueinander und sind miteinander verknüpft. Insgesamt sind es im Fall des Fitbone rund 100 Dokumente, die inhaltlich zusammenhängen. Das Fitbone-TAA-System besteht aus vier Subsystemen, die in 16 Komponenten 66 medizin&technik 02/2021

(Bild: Method Park) Allein für ein OP-Instrument aus dem Fitbone-System sind in der Dokumentation eine Reihe von Dokumenten zu erstellen und miteinander zu verlinken unterteilt sind. Dies ist auch bei der Dokumentation zu berücksichtigen. Als Subsystem sind zum Beispiel die jeweiligen OP-Instrumentensets anzusehen, als Komponenten die einzelnen OP-Instrumente. Um diese Zusammenhänge abzubilden, mussten mehrere formale Module erstellt werden. Allein für die Dokumenta - tion der OP-Instrumente entstanden auf der Subsystemebene fünf formale Module für die OP-Instrumentensets und 32 auf der Komponentenebene für einzelne OP- Instrumente. Insgesamt mussten auf Subsystemebene 25 und auf Komponentenebene sogar 54 formale Module verwaltet und verlinkt werden. Um dabei die Übersicht zu behalten, wurde beim Planen der Arbeiten der Team Foundation Server (TFS) ein - gesetzt, eine Microsoft-Plattform für kollaborative Softwareprojekte. Inzwischen hat der Azure Devops Server den TFS abgelöst. Eingerichtete Schnittstelle brachte zusätzliche Vorteile Im Verlauf des Projektes erschien es sinnvoll, eigens eine Schnittstelle zwischen dem Anforderungsmanagement-Tool Doors und dem TFS einzurichten. So war ein Zugriff vom TFS aus auf die Doors-Datenbank möglich. Der Vorteil: Die Zusammenhänge zwischen den formalen Modulen, die in Doors in Linkmodulen abgebildet werden, ließen sich grafisch darstellen. So wurde einfach erkenn bar, welche formalen Module bereits miteinander verlinkt wurden und welche nicht. Darüber hinaus kann der TFS die Daten aus den Linkmodulen für automatische Checks verwenden. Ein Beispiel: Sind Einträge zu Anforderungen mit den entsprechenden Einträgen zu Verifikationen verlinkt? Falls ein solcher Link fehlt, gibt der TFS eine Warnung aus, was im beschriebenen Projekt Zeit und Geld bei formalen Reviews sparte. Ohne automatische Checks hätten diese Überprüfungen händisch erledigt werden müssen, was langwierig und auch fehleranfällig gewesen wäre. Varianten im Produktportfolio – Baukasten zur Dokumentation Eine weitere Herausforderung im Dokumentationsprojekt war, dass es nicht nur für den Fitbone TAA Varianten gab, sondern auch für weitere aktive und steuerbare Implantate wie Fitbone FSA/TSA, Fitbone SAA, Fitbone TAM und Fitspine, die das gleiche Steuerungsset verwenden. Daher wurde die Struktur in Doors anhand eines Baukastens auf gebaut. Auf diese Weise sollte vermieden werden, Informationen für mehrfach verwendete Teile aus dem Produktportfolio redundant zu verwalten. Um das zu erreichen, wurden system spe zi fische formale Module definiert, die nur für den Fitbone TAA eingesetzt werden, sowie nicht-systemspezifische formale Module, etwa für das Steuerungsset. Insgesamt war das Erstellen des Dokumentationsbaukastens in Doors für das Fitbone-TAA- System sehr zeitintensiv. Das war wegen des komplexen zu do - kumentierenden Systems zu erwarten. Der Baukasten hat sich jedoch bewährt und die Übersichtlichkeit im gesamten Projekt deutlich verbessert. Zudem können, wie gewünscht, nicht-system - spezifische Informationen zentral verwaltet werden. Auch das eigens für das Fitbone TAA System konfigurierte Zusammenspiel zwischen Doors und TFS war sehr hilfreich. Die initiale Verknüpfung der beiden Tools hat Zeit in Anspruch genommen. Bei den formalen Reviews hat sich je doch gezeigt, dass sich die Mühe gelohnt hat, da durch die im TFS erzeugten Grafiken sowie die automatischen Checks Zeit und Aufwand eingespart wurden. Mit dem für die Dokumentation gewählten Verfahren wurde so der Grundstein für zukünf - tige Projekte gelegt, in denen dann eine Zeitersparnis von bis zu 50 % erwartet wird. ■ Sebastian Hammel Wittenstein, Igersheim Kerstin Stern Method Park, Erlangen www.methodpark.de Weitere Informationen Die im Maschinenbau beheimatete Wittenstein SE, Igersheim, hat sich im Frühjahr 2020 von ihrer Medizinsparte getrennt: Die Orthofix Medical Inc. mit Hauptsitz in den USA hat das medizinische Produktportfolio Fitbone und Fitspine der Wittenstein-Tochter Wittenstein Intens GmbH übernommen. Für eine etwa zweijährige Übergangsphase bleibt die Produktion zunächst in Igersheim-Harthausen. intens.wittenstein.de 02/2021 medizin&tec hn i k 67

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