KonsumMarken 2018-01
Aktuelle Nachrichten aus der großen Konsum-Familie
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<strong>KonsumMarken</strong><br />
AKTUELLE NACHRICHTEN AUS DER GROSSEN KONSUMFAMILIE<br />
AUSGABE 1/<strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />
Gemeinsam mit dem Zentralverband<br />
deutscher Konsumgenossenschaften<br />
in Hamburg<br />
bereitet sich die Zentralkonsum<br />
eG auf das Jubiläum zur<br />
Gründung der weltweit ersten<br />
modernen Genossenschaft<br />
durch die Redlichen Pioniere<br />
von Rochdale vor.<br />
Das Ereignis jährt sich<br />
im kommenden Jahr<br />
zum 175. Mal. Als im<br />
Jahre 1944 die genossenschaftliche<br />
Welt das einhundertjährige<br />
Jubiläum der Redlichen<br />
Pioniere von Rochdale<br />
feierte, konnten die deutschen<br />
Genossenschafter nicht mitfeiern.<br />
Zu diesem Zeitpunkt hatte<br />
das Naziregime ihre einst so<br />
stolze Organisation vollkommen<br />
vereinnahmt. Umso wichtiger<br />
ist es den Verantwortlichen von<br />
ZdK und Zentralkonsum, diese<br />
Blindstelle im historischen Gedächtnis<br />
der deutschen Genossenschaften<br />
zu tilgen.<br />
Obwohl Rochdale in der einschlägigen<br />
Literatur gemeinhin<br />
als Wiege des Genossenschaftsgedankens<br />
beschrieben wird,<br />
gelten die Redlichen von Rochdale<br />
nicht als Begründer der<br />
genossenschaftlichen Idee. Vielmehr<br />
kommt den armen Flanellwebern<br />
aus der Industriestadt<br />
Rochdale in der englischen Grafschaft<br />
Lancashire das Verdienst<br />
zu, die erste Konsumgenossenschaft<br />
nach Grundsätzen aufgebaut<br />
zu haben, die heute noch<br />
die Grundprinzipien des Internationalen<br />
Genossenschaftsbundes<br />
darstellen. Die wichtigsten<br />
Prinzipien sind: demokratische<br />
Die Redlichen von Rochdale<br />
175 JAHRE ROCHDALE<br />
Grund zum Feiern<br />
Herrschaft (democratic control),<br />
offene Mitgliedschaft (open<br />
membership), begrenzte Kapitalverzinsung<br />
(fixed and limited<br />
interest on capital) und Gewinnverteilung<br />
abhängig vom Umsatz<br />
(distribution of the surplus as dividend<br />
on purchase).<br />
1844 schlossen sich nach einem<br />
erfolglosen Streik 28 Flanellweber<br />
zusammen, um sich vom<br />
Elend des Frühkapitalismus zu<br />
befreien. Obschon sie der „Wolf“,<br />
wie sie den Hunger nannten, peinigte,<br />
darbten sie sich einen wöchentlichen<br />
Betrag von je zwei<br />
Batzen ab. Damit begründeten<br />
Sie eine Konsumentenvereinigung<br />
als Vorstufe einer neuen<br />
Wirtschaftsordnung, einer<br />
Gemeinwirtschaft und wurden<br />
so zu Pionieren für den ganzen<br />
Erdball.<br />
KONSUM-GRUPPE IN ZAHLEN*<br />
Mitglieder Einzelmitglieder EHU brutto sonst. beschäftigte Anzahl Läden VKF in qm<br />
Umsatz Personen<br />
in Mio. EUR davon Azubi Food Non-Food<br />
konsumgenossenschaftliche<br />
Mitglieder (KG‘en inkl. Töchter) 19 131.000 429 17 3.021 203 178 44 129.000<br />
weitere Mitglieder 14 50.000 30 2.251 1. 443 1<strong>01</strong> 133 46 16.000<br />
Summe 33 181.000 469 2.268 4. 464 304 311 90 145.000<br />
Positive Entwicklung setzt sich fort | Das Jahresergebnis 2<strong>01</strong>7 beträgt nach Steuern 6,7 Millionen Euro und übertrifft damit wieder deutlich das<br />
Ergebnis des Vorjahres. Die Eigenkapitalquote von 88,6 % zeugt von der soliden Substanz des Unternehmens. Die Mitgliedsunternehmen können auch in<br />
diesem Jahr mit einer Verzinsung ihrer Einlagen in Höhe von 12 % rechnen. *Daten der Konsum-Gruppe per 31. 12. 2<strong>01</strong>7<br />
Für die Idee<br />
begeistern<br />
Die Idee ist nicht neu –<br />
Schülerfirmen gab und gibt es<br />
zahlreiche. Sie haben unterschiedliche<br />
Geschäftsideen:<br />
Vom Schülertheater oder<br />
Schülercafé über Webdesign<br />
bis hin zum Schülerreisebüro.<br />
Nun ist die erste Schülergenossenschaft<br />
des Genossenschaftsverband<br />
– Verband<br />
der Regionen e.V. in Sachsen<br />
gegründet worden.<br />
Die „Nachhaltige Schülergenossenschaft<br />
LESSINGS<br />
NOTENRETTER“ aus Plauen<br />
organisiert Nachhilfeunterricht<br />
von Schülern für<br />
Schüler. Und dabei lernen sie<br />
„nebenbei“, wie eine Genossenschaft<br />
funktioniert, was die<br />
Führung eines Unternehmens<br />
beinhaltet und dass gemeinschaftliches<br />
Handeln einen<br />
Mehrwert für alle Beteiligten<br />
generiert.<br />
Wir haben die Patenschaft<br />
für dieses Projekt übernommen<br />
und begleiten die ersten<br />
Schritte der jungen Leute<br />
sowohl finanziell als auch im<br />
unternehmerischen Handeln.<br />
Wir sind überzeugt, durch<br />
eigene Erfahrung können wir<br />
die Jugendlichen für die Idee<br />
der Genossenschaft begeistern.<br />
Denn, um die aus dem letzten<br />
Jahrhundert stammende Idee<br />
der Genossenschaften endlich<br />
modern zu interpretieren,<br />
müssen wir in die Zukunft<br />
schauen und dürfen nicht nur<br />
unsere Vergangenheit feiern.<br />
Ihr<br />
Martin Bergner<br />
Vorstandssprecher<br />
Zentralkonsum eG
INTERVIEW<br />
Ulrich Heiler<br />
Vorstandschef der<br />
Konsumgenossenschaft Erfurt eG<br />
und Aufsichtsrat<br />
der Zentralkonsum eG<br />
Herr Heiler, Sie haben Anfang<br />
Februar Ihren Fünfundsechzigsten<br />
gefeiert. Ein Anlass, Bilanz zu ziehen.<br />
Sind Sie zufrieden?<br />
Ich verantworte die Geschicke der<br />
Genossenschaft seit 1985 und bin vor<br />
allem darauf stolz, dass es mir mit meinen<br />
Kollegen gelungen ist, die Genossenschaft<br />
und einiges Kapital in die Marktwirtschaft<br />
hinüber zu retten.<br />
Was haben Sie im Rückblick zur<br />
Wende richtig gemacht?<br />
Ich habe nach dem Mauerfall rasch nach<br />
erfahrenen Geschäftspartnern im Westen<br />
gesucht und bin dabei in Fulda auf den<br />
Lebensmitteleinzelhändler tegut gestoßen,<br />
mit dem wir noch vor der Währungsunion<br />
eine 50:50-Partnerschaft eingegangen<br />
sind. Ein Glücksgriff!<br />
Was stand 1990 am Ufer der<br />
Genossenschaft?<br />
Die Genossenschaft besaß 400 Objekte im<br />
Food-, Nonfood- und Gastronomiebereich,<br />
machte 550 Millionen DDR-Mark Umsatz<br />
und beschäftigte 3000 Mitarbeiter. Damit<br />
waren wir nicht überlebensfähig.<br />
Was mussten Sie tun?<br />
Zügig privatisisieren und uns nach ständiger<br />
Analyse der Wettbewerbslage von<br />
Objekten und Geschäftsbereichen konsequent<br />
trennen: zuerst von der Gastronomie,<br />
dann vom Lebensmittelhandel und 2005<br />
schließlich vom Nonfoodgeschäft.<br />
Was ist heute das Geschäftsmodell<br />
der Genossenschaft?<br />
Ausschließlich der Kauf und Verkauf sowie<br />
die Vermietung und Verpachtung von<br />
Immobilien.<br />
Herr Heiler, was müssen Sie noch erledigen,<br />
bevor Sie in den wohlverdienten<br />
Ruhestand gehen können?<br />
Geeignete Nachfolger finden, die genossenschaftlich<br />
denken und kreativ die Zukunft<br />
der Genossenschaft sichern.<br />
In Erlau, im hügeligen<br />
Erzgebirgsvorland zwischen<br />
Mittweida und Rochlitz gelegen,<br />
thront unübersehbar<br />
eine der flächenmäßig größten<br />
Agrargenossenschaften in<br />
Sachsen – die Agraset-Agrargenossenschaft<br />
eG Naundorf –<br />
1991 entstanden durch den<br />
Zusammenschluss von fünf<br />
ehemaligen LPG.<br />
S<br />
eit 17 Jahren steuert Vorstandschef<br />
Jan Gumpert<br />
mit seiner Mannschaft<br />
die Geschicke der Genossenschaft.<br />
Sie funktioniert von Anfang<br />
an wie ein klassischer Bauernhof,<br />
mit 5200 Hektar Acker- und<br />
Weideland, nur eben etwas größer.<br />
Das Portfolio umfasst Pflanzenund<br />
Tierproduktion sowie Lagerung<br />
und Vertrieb.<br />
Damit ist die Agraset in der Lage,<br />
ihren Kunden, gemeinsam mit<br />
diversen Tochtergesellschaften<br />
und Partnerunternehmen, eine<br />
breite Palette von Produkten und<br />
Dienstleistungen anzubieten. Den<br />
Löwenanteil am Jahresumsatz<br />
von 12 bis 15 Millionen Euro, je<br />
nach aktuellen Preisen, bestreiten<br />
Getreide und Milch.<br />
Die Milch ist nach wie vor einer<br />
der beiden größten Umsatzbringer<br />
der Genossenschaft, trotz<br />
Einbruch des Marktpreises am<br />
Beginn dieses Jahrzehnts. Damals,<br />
im Jahr 2<strong>01</strong>2, trafen Gumpert<br />
und seine Vorstandskollegen<br />
eine riskante unternehmerische<br />
Entscheidung: an der Milch gegen<br />
den Trend festzuhalten und für<br />
eine profitablere Erzeugung in<br />
der Zukunft vorzusorgen.<br />
Das Ergebnis kann sich sehen<br />
lassen und versetzt den Besucher<br />
in Erlau im Angesicht eines<br />
XXL-großen Stallneubaus für 816<br />
Milchkühe mit angeschlossenem<br />
vollautomatischen Melkkarusell<br />
in Erstaunen. Ein millionenschweres<br />
Investment, mit dem<br />
RENNSTEIGWANDERUNG n Die erste<br />
Etappe des Rennsteiges von Hörschel nach Ruhla<br />
haben die Teilnehmer unserer diesjährigen Konsum<br />
Wanderung mit Bravour gemeistert. Bestes sommerliches<br />
Wetter, weite Rundblicke und viele angeregte<br />
Gespräche waren die Wegbegleiter. Im nächsten<br />
Jahr kommt die nächste Etappe dran. Gut Runst!<br />
Agraset-Chef Jan Gumpert<br />
Digitalisierung im Auge<br />
Verwaltungssitz der<br />
Agrargenossenschaft<br />
Agraset in Erlau<br />
KINDERFREIZEIT n Zum wiederholten<br />
Mal erlebte eine Schulklasse der Landesschule<br />
für Blinde und Sehbehinderte in Chemnitz auf<br />
Einladung von Zentralkonsum und Berghotel im<br />
bekannten Wintersport kurort Oberhof besondere<br />
Tage. Unter professioneller Anleitung standen die<br />
Kinder zum ersten Mal auf Langlaufbrettern.<br />
Der Anbau von Getreide und die<br />
Produktion von Milch sind die Umsatzbringer<br />
der Genossenschaft.<br />
es der Agrargenossenschaft gelingen<br />
soll, den Preisverfall der<br />
Milch zu kompensieren.<br />
Jan Gumpert, in diversen regionalen<br />
und überregionalen Gremien<br />
als erfahrener Praktiker<br />
engagiert und geschätzt, hat die<br />
Digitalisierung nicht nur im Stall,<br />
sondern perspektivisch auch auf<br />
dem Feld im Auge. Stichwort<br />
Spotfarming. Nicht als Selbstzweck,<br />
sondern um auch in der<br />
Pflanzenproduktion die Wirtschaftlichkeit<br />
weiter verbessern<br />
zu können – mit vergleichbarem<br />
Produktivitätsgewinn, wie das<br />
zum Beispiel durch die Umgestaltung<br />
der Fruchtfolgen gelungen<br />
ist. Damit konnte innerhalb der<br />
letzten 15 Jahre durch die Verdoppelung<br />
der Erträge die Anbaufläche<br />
für Kartoffeln halbiert<br />
werden und die Ackerfläche wurde<br />
frei für andere Kulturen.<br />
Dass es in der Agraset ständig<br />
vorwärts geht, spüren die circa<br />
140 Mitarbeiter ebenso wie die<br />
verbliebenen 330 Mitglieder sowie<br />
die Pächter von Grund und<br />
Boden – die genossenschaftliche<br />
Dreieinigkeit. Die Entlohnung für<br />
die Mitarbeiter wird seit 16 Jahren<br />
regelmäßig durch eine Lohnerhöhung<br />
angepasst. Gleichermaßen<br />
profitieren die Genossenschaftsmitglieder,<br />
vielfach die Kinder<br />
und Enkel verstorbener Genossenschaftsmitglieder,<br />
von der<br />
Verzinsung ihrer ererbten Genossenschaftsanteile<br />
und die Pächter<br />
von der Pacht.<br />
Und nicht zuletzt das Vereinsleben<br />
umliegender Gemeinden, mit<br />
denen sich Agraset traditionell<br />
eng verbunden fühlt und deren<br />
Bewohner am „Tag des offenen<br />
Hofes“ willkommen geheißen<br />
werden.<br />
PERSONALIEN n Die Vertreterversammlungen der Konsumgenossenschaften<br />
in Weimar und Dresden beriefen Christian Bachera<br />
(59) mit sofortiger Wirkung und Sören Goldmann (39) ab 1. Juli 2<strong>01</strong>9 in<br />
die Vorstandsetagen der Unternehmen in Weimar und Dresden.<br />
PRESSESPIEGEL<br />
200 Jahre Raiffeisen<br />
Im Feuilleton der »taz – die tageszeitung« vom 12. April <strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />
setzt sich Autor Jan Jekal mit dem Sozialreformer<br />
Friedrich Wilhelm Raiffeisen auseinander. Ein Auszug<br />
Der Geburtstag des<br />
Sozialreformers<br />
Friedrich Wilhelm<br />
Raiffeisen, eines Pioniers<br />
des genossenschaftlichen<br />
Organisationsmodells, jährte<br />
sich diesen März zum 200. Mal.<br />
Die Würdigungen, die aus diesem<br />
Anlass geschrieben wurden,<br />
malten das Bild eines selbstlosen<br />
Wohltäters, der in Sachen<br />
barmherziger Philanthropie<br />
selbst Jesus Christus in die Tasche<br />
stecken würde. Vor allem<br />
Publikationen aus dem Südwesten<br />
Deutschlands übten sich<br />
in scheinbar lokalpatriotisch<br />
motivierten Lobhudeleien. Das<br />
Buch „Raiffeisen: Anfang und<br />
Ende“ von Wilhelm Kaltenborn,<br />
seit 2002 Aufsichtsratvorsitzender<br />
der Zentralkonsum eG, setzt<br />
diesen unkritischen Auseinandersetzungen<br />
nun allerhand Abgründe<br />
entgegen.<br />
Buch als Korrektiv<br />
Anlass seiner Arbeit, so beginnt<br />
Kaltenborn gleich, sei die „mit<br />
Sicherheit zu erwartende Verklärung“,<br />
der der Genossenschaftler<br />
Raiffeisen nun, zum<br />
Gedenken an seinen 200. Geburtstag,<br />
ausgesetzt sein werde.<br />
Er sei sich sicher, so Kaltenborn<br />
weiter, dass Raiffeisens<br />
fanatischer Antisemitismus in<br />
den Würdigungen keine Erwähnung<br />
finden werde. Sein<br />
Buch ist also als Korrektiv gedacht,<br />
als notwendiges Geraderücken<br />
einer schiefen Perspektive.<br />
Raiffeisens Judenhass,<br />
im christlichen Fundamentalismus<br />
begründet, war nämlich<br />
durchaus sinnstiftend für das<br />
genossenschaftliche Modell, das<br />
er als Bürgermeister von rheinland-pfälzischen<br />
Kleinstädten<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
implementierte. Er fantasierte<br />
vom jüdischen Wucherkapitalisten,<br />
der die arme christliche<br />
Bauernschaft in prekäre<br />
Verhältnisse zwinge und setzte<br />
dieser Fiktion sein Ideal vom<br />
gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb<br />
in genossenschaftlicher<br />
Solidarität entgegen. Die Genossenschaft<br />
verstand er darüber<br />
hinaus als Maßnahme<br />
zur christlichen Erziehung. Der<br />
Glaube war wiederum wirksames<br />
Gegengift zu der von ihm<br />
so gehassten Sozialdemokratie.<br />
Friedrich Wilhelm Heinrich Raiffeisen<br />
*30. 3. 1818 † 11. 3. 1888<br />
Den unteren Volksklassen, sagte<br />
er, dürfe man „die Hoffnung auf<br />
ein besseres Jenseits nicht nehmen<br />
[…], weil sie sonst ihr hartes<br />
Schicksal nicht mehr ruhig<br />
ertragen und der Umsturzpartei<br />
in die Arme getrieben würden“.<br />
Einen Umsturz nämlich<br />
wollte er unbedingt vermeiden;<br />
von der Gunst der preußischen<br />
Machtelite, das zeigt Kaltenborn<br />
auch, war Raiffeisens Sache<br />
direkt abhängig. Die deutsche<br />
Geschichtsschreibung hat diese<br />
wenig rühmlichen Beweggründe<br />
bisher entweder ignoriert<br />
oder verharmlost und sich lieber<br />
auf die Aspekte berufen, die<br />
zur Heldenerzählung taugen.<br />
Ein „Kind seiner Zeit“<br />
Im Tonfall seriöser, im Grunde<br />
aber nicht minder unkritisch<br />
schrieb der Historiker Michael<br />
Klein Mitte der neunziger Jahre<br />
in seiner Dissertation (so<br />
ähnlich steht es noch immer<br />
auf Wikipedia), Raiffeisen sei,<br />
was Judenhass angehe, „leider<br />
ein Kind seiner Zeit“ gewesen.<br />
Er fügt hinzu, dass Raiffeisen<br />
stets bemüht gewesen sei seine<br />
Ressentiments wissenschaftlich<br />
zu fundieren. Die aktuellen<br />
„Weltverbesserer vom Westerwald“-Schwärmereien<br />
legen<br />
nahe, dass die öffentliche Meinung<br />
zu Raiffeisen nicht differenzierter<br />
geworden ist. Es<br />
soll ja nicht darum gehen, das<br />
genossenschaftliche Modell<br />
als solches zu diskreditieren<br />
oder Raiffeisens unbestreitbare<br />
Verdienste als Sozialreformer<br />
kleinzureden. Dennoch ist<br />
mit geschichtsrevisionistischen<br />
Lobhudeleien niemandem gedient.<br />
Einen Antisemiten muss<br />
man einen solchen nennen.<br />
FOTO: AKG-IMAGES
Konstruktiver Briefwechsel<br />
Mit der Zwangsmitgliedschaft von Genossenschaften in genossenschaftlichen Prüfverbänden hält der Staat<br />
an der Regelung nationalsozialistischer Gesetzgebung von 1934 mit geringfügigen Korrekturen bis heute fest. Darüber<br />
mit Vertretern der GroKo ins Gespräch zu kommen, erwies sich für Martin Bergner, Vorstandssprecher der<br />
Zentralkonsum eG, bisher als vergebliche Liebesmüh. Mehr Erfolg hatte er mit Dietmar Bartsch, dem Vorsitzenden<br />
der Fraktion DIE LINKE. Der Briefwechsel mit Bartsch wird die Diskussion beleben.<br />
Sehr geehrter Herr Bergner,<br />
Ihre Briefe haben mich erreicht.<br />
Ich habe mich inzwischen in die Lektüre<br />
der Broschüre von Wilhelm Kaltenborn<br />
und in die Korrespondenz mit<br />
meiner Fraktion und Partei bzgl. der<br />
Wahlprüfsteine vertieft. Offenbar finden<br />
zumindest Teile der Genossenschaftslandschaft<br />
die Zwangsmitgliedschaft<br />
in den Prüfverbänden falsch.<br />
Dabei gibt es Dinge, die ich verstehe,<br />
aber es bleiben auch einige Fragen<br />
für mich offen. Klar ist mir, dass<br />
es eine erhebliche Differenz gibt zwischen<br />
den Gründungsideen der Genossenschaftsbewegung<br />
um Schulze-Delitzsch<br />
und anderen unser heutigen<br />
Praxis, die durch Zwangsmitgliedschaften<br />
in Prüfverbänden gekennzeichnet<br />
ist. Um nocheinmal den Kern zu benennen:<br />
Die Idee der Staatsferne der Genossenschaftsbewegung<br />
ist mit dem<br />
Sozialliberalismus von Schulze-Delitzsch<br />
eng verbunden, der den autoritären<br />
Staat von den Genossenschaften<br />
fernhalten wollte und daher das solidarische<br />
Prinzip von Hilfe zur Selbsthilfe<br />
betonte. Auch wenn die Novellierungen<br />
des Genossenschaftsrechts schon vor<br />
der Nazizeit die Autonomie der Genossenschaften<br />
einschränkten, war<br />
die eigentliche historische Zäsur der<br />
Nationalsozialismus und seine Gleichstellungspolitik.<br />
Was mir bisher nicht<br />
so bekannt war: Auch nach dem Faschismus<br />
wurde der Anschlusszwang<br />
gerechtfertigt, mit zum Teil fragwürdigen<br />
oder falschen angeblich historischen<br />
Tatsachen (Bewältigung der<br />
Weltwirtschaftskrise, Wille der Genossenschaften<br />
zur Pflichtmitgliedschaft<br />
in Prüfverbänden). Eine Frage hätte<br />
ich: Schulze-Delitzsch wollte den wilhelminischen<br />
Staat fernhalten. Heute<br />
haben wir aber keinen wilhelminischem<br />
Staat, sondern eine Demokratie. Und<br />
bezogen auf die NS-Herkunft des Prüfungszwangs:<br />
Wir leben nicht in einem<br />
faschistischen Staat ,,die Zwecke der<br />
Nazis, Einbindung in eine “nationalsozialistische<br />
Wirtschaftsordnung“ können<br />
daher trivialerweise nicht realisiert<br />
werden. Wo also besteht aus heutiger,<br />
nicht aus historischer Sicht das Problem?<br />
Das würde mich wirklich interessieren,<br />
weshalb ich einen Dialog für<br />
richtig halte.<br />
Wir geben hier den<br />
Briefwechsel zwischen<br />
Dietmar Bartsch (Spalten<br />
links) und Martin Bergner<br />
(Spalten rechts)<br />
im Wortlaut wieder.<br />
SCHÜLERGENOSSENSCHAFT n<br />
Der Zentralkonsum eG hat im März einen fünfjährigen<br />
Partnerschaftsvertrag mit der nachhaltigen Schülergenossenschaft<br />
„Lessings Notenretter“ abgeschlossen.<br />
Schüler des Plauener Lessing-Gymnasiums erteilen jüngeren<br />
Schülern Nachhilfeunterricht und üben sich dabei<br />
in der Umsetzung genossenschaftlicher Prinzipien.<br />
RATGEBER RECHT<br />
Andere Tätigkeit oder Arbeitsbedingungen –<br />
Muss ein Änderungsvertrag abgeschlossen werden?<br />
Es entspricht dem Interesse<br />
des Arbeitgebers (AG), die Arbeitsbedingungen<br />
einfach ändern<br />
zu können. Daher sollte der<br />
Arbeitsvertrag nur die Punkte<br />
verbindlich regeln, bei denen<br />
dies nach dem Gesetz, Tarifverträgen<br />
und Betriebsvereinbarungen<br />
oder im Interesse des<br />
Arbeitgebers erforderlich ist.<br />
Geänderte Arbeitsbedingungen<br />
sollten im Rahmen des Zulässigen<br />
einseitig schriftlich dem<br />
Arbeitnehmer (AN) mitgeteilt<br />
werden. Damit wird vermieden,<br />
dass bei Änderungen gegen den<br />
Willen des AN eine Änderungskündigung<br />
auszusprechen ist.<br />
Denn dies würde dem AN ermöglichen,<br />
über eine Kündigungsschutzklage<br />
eine Abfindung<br />
erreichen zu können. Ist<br />
z. B. im Arbeitsvertrag die Position<br />
eines „Marktleiters“ vereinbart,<br />
so muss der AG, wenn<br />
aufgrund einer Schließung des<br />
Geschäftes diese Funktion entfällt,<br />
eine Änderungskündigung<br />
aussprechen, um den AN<br />
als Verkäufer weiterbeschäftigen<br />
zu können. Enthält aber<br />
der Arbeitsvertrag nur die Festlegung<br />
„(Fach-)Verkäuferin“, so<br />
kann die Position „Filialleiterin“<br />
mit dem Weisungsrecht des AG<br />
(§ 106 GewerbeO) zugewiesen,<br />
aber auch wieder entzogen werden.<br />
Nur durch die andere Tätigkeit<br />
ergibt sich von selbst die<br />
andere tarifvertragliche Eingruppierung<br />
in eine höhere Entgeltgruppe<br />
als Marktleiter statt<br />
Verkäufer. Bei Zuweisung einer<br />
einfacheren Tätigkeit ergibt<br />
sich aber ebenfalls ab sofort eine<br />
niedrigere Eingruppierung<br />
mit geringerem Entgelt.<br />
RA Ulrich<br />
Northoff,<br />
Hauptgeschäftsführer<br />
der KONSUM-<br />
Tarifgemeinschaft<br />
e.V. , Arbeitgeberverband<br />
für die<br />
Konsumgenossenschaften<br />
und andere<br />
Unternehmen<br />
Sehr geehrter Herr Dr. Bartsch,<br />
vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort<br />
zum Thema Zwangsmitgliedschaft.<br />
Ihre abschließende Fragestellung zum<br />
Verhältnis Staat – Genossenschaften<br />
finde ich in dieser Hinsicht interessant.<br />
Grundsätzlich ist das aber in der Gegenwart<br />
nicht das Problem. Dies war<br />
es aber ganz gewiss in der historischen<br />
Einordnung 1934. Heute stellt sich die<br />
Frage zum Verhältnis Genossenschaft<br />
– Staat nicht, der Staat muss und soll<br />
sich nicht ,,kümmern“ und will sich sicher<br />
auch nicht kümmern. Genossenschaften<br />
unterliegen marktwirtschaftlichen<br />
Grundsätzen und Bedingungen.<br />
Dazu gehören Verantwortung sowie<br />
Selbstbestimmung. Und letztere<br />
wird nun einmal durch die Zwangsmitgliedschaft<br />
in genossenschaftlichen<br />
Prüfverbänden eingeschränkt. Auch<br />
schützt die Zwangsmitgliedschaft<br />
nicht vor unternehmerischen Fehlentscheidungen.<br />
Genossenschaftliche Unternehmen<br />
sind qualitativ weder besser<br />
noch schlechter aufgestellt als Unternehmen<br />
in einer anderen Rechtsform.<br />
Und dass sie Krisen in der Vergangenheit<br />
– wie auch Sie festgestellt haben<br />
– besser bewältigt haben als andere<br />
Rechtsformen und dies auch heute<br />
außerhalb Deutschlands ohne Zwangsmitgliedschaft,<br />
unterstreicht das. Entscheidend<br />
ist es aber, dass der Staat<br />
mit seinem Festhalten an nationalsozialistischer<br />
Gesetzgebung – als einziges<br />
Land weltweit – dazu beiträgt, die Freiheit<br />
und die Wettbewerbsfähigkeit der<br />
Genossenschaften einzuschränken.<br />
Wenn die Zwangsmitgliedschaft so segensreich<br />
ist, warum wird sie dann nicht<br />
auch für andere Rechtsformen eingeführt<br />
bzw. auf diese ausgeweitet? Dabei<br />
geht es mir nicht um die Abschaffung<br />
der Pflichtprüfung sondern um<br />
die freie Wahl des Pflichtprüfers. Ohne<br />
Zwangsbeiträge und überzogene Prüfungsgebühren.<br />
Den Verbänden geht<br />
es nicht um das „Wohl“ der Genossenschaften<br />
sondern um die Bewahrung<br />
von braunen Erbhöfen, einen wettbewerbsfreien<br />
Raum und die eigene Finanzierung.<br />
Der bis 2<strong>01</strong>7 größte Genossenschaftsverband<br />
mit Sitz in Neu<br />
Isenburg wies nahezu 50% der Bilanzsumme<br />
von ca. 230 Mio. Euro als Pensionsrückstellungen<br />
aus. Mittlerweile<br />
hat der Verband fusioniert und firmiert<br />
als Genossenschaftsverband-Verband<br />
der Regionen e.V. Wie Sie beiliegenden<br />
Übersichten entnehmen können, bildet<br />
sich eine Monopolstruktur heraus, die<br />
selbst das – durch die mit zwei Jahren<br />
Kündigungsfrist dem Vereinsrecht widersprechende<br />
– Wahlrecht der Genossenschften<br />
auf ein Minimum reduziert.<br />
Es wird höchste Zeit, dieses nationalsozialistische,<br />
wettbewerbseinschränkende<br />
Relikt aus der deutschen Gesetzgebung<br />
zu streichen.<br />
RATGEBER LOHN<br />
Maik Richter (Schulleiter),<br />
Sarah Feistel (Vorstandsvorsitzende<br />
der Schülergenossenschaft)<br />
und<br />
Carola Pauly (Zentralkonsum<br />
eG) bei der Vertragsunterzeichnung<br />
(v.r.n.l.).<br />
Am 25. Mai <strong>2<strong>01</strong>8</strong> tritt die Datenschutzgrundverordnung<br />
(DS-GVO) europaweit in Kraft – Was man wissen muss<br />
Diese Verordnung ergänzt das<br />
Bundesdatenschutzgesetz-Neu<br />
und gilt für alle Unternehmen. In<br />
Artikel 5 sind die Grundsätze für<br />
die Verarbeitung personenbezogener<br />
Daten festgelegt: Rechtmäßigkeit,<br />
Verarbeitung nach<br />
Treu und Glauben, Transparenz,<br />
Zweckbindung, Datenminimierung,<br />
Richtigkeit, Speicherbegrenzung,<br />
Integrität und Vertraulichkeit<br />
und Rechenschaftspflicht.<br />
Die Grundsätze sind für uns Leitlinie<br />
und Anspruch, wir verarbeiten<br />
Ihre Daten sorgfältig und für<br />
Dritte unzugänglich, die Daten<br />
werden in einem externen Rechenzentrum<br />
gespeichert und gesichert.<br />
Es haben nur Mitarbeiter<br />
der KPSA Zugang zu den Daten.<br />
Wir überprüfen unsere Arbeitsabläufe<br />
regelmäßig, um uns für Sie<br />
zu verbessern. Ein konkretes Beispiel:<br />
Datenminimierung und Datensparsamkeit<br />
beinhalten, dass<br />
nur die Daten erhoben, verarbeitet<br />
und archiviert werden, die für<br />
Ihre Lohn- bzw. Gehaltsabrechnung<br />
notwendig sind. Dies bedeutet,<br />
dass nur für die Abrechnung<br />
zwingend notwendige Daten, wie<br />
z. B. Name des Arbeitnehmers,<br />
Steueridentifikationsnummer, Sozialversicherungsnummer,<br />
Geburtsdatum,<br />
Lohnsumme, Urlaubstage<br />
sowie Beginn und Ende<br />
einer Krankheit, erhoben werden.<br />
Alle entsprechenden, dazugehörigen<br />
Nachweise und Schriftstücke<br />
(z. B. Arbeitsverträge,<br />
Sondervereinbarungen, Kitarechnungen,<br />
Leasing-Verträge für Firmen-PKW)<br />
benötigen wir als<br />
Lohnabrechner nicht, diese Dokumente<br />
sind beim Arbeitgeber<br />
bzw. in dessen Personalabteilung<br />
datenschutzkonform aufzubewahren.<br />
Birgit Gertz,<br />
Geschäftsführerin<br />
der KPSA-KONSUM-<br />
Personalserviceund<br />
-abrechnungsgesellschaft<br />
mbH<br />
In dieser kritischen Schrift<br />
setzt sich Autor Wilhelm<br />
Kaltenborn anlässlich<br />
des 200. Geburtstages<br />
von Friedrich Wilhelm<br />
Raiffeisen mit den verschwiegenen<br />
Seiten seines<br />
Weltbildes auseinander.<br />
Herr Kaltenborn, was hat Sie<br />
bewogen, in der allgemein<br />
bekannten Biographie Raiffeisens<br />
tiefer zu bohren und neue<br />
Fakten auf den Tisch zu legen?<br />
Die Tatsache, dass die Bannerträger<br />
Raiffeisens seit siebzig<br />
Jahren die vermeintliche Ikone<br />
des deutschen Genossenschaftswesens<br />
verklären und<br />
zum Beispiel seine antisemitische<br />
Neigung verschweigen.<br />
Besteht Grund zu Optimismus,<br />
dass Sie mit Ihrer Schrift ein<br />
Umdenken bei den Genossenschaftsverbänden<br />
bewirken<br />
können?<br />
Langfristig vielleicht, gegenwärtig<br />
erkenne ich in den Verbänden<br />
keinen erkennbaren<br />
Ehrgeiz, Leben und Werk<br />
Raiffeisens neu zu bewerten.<br />
Mir scheint, dass Raiffeisen<br />
inzwischen zur Marke ohne<br />
Inhalt mutiert ist.<br />
Wilhelm Kaltenborn<br />
Raiffeisen – Anfang und Ende<br />
Zentralkonsum eG/Books on Demand<br />
31. Mai<br />
Sommerliche<br />
Bootsfahrt<br />
Berlin<br />
TERMINE <strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />
22. August<br />
Seminar Lohnabrechnung<br />
(Ort n.n.)<br />
28./29. August<br />
Seminar: Rund um<br />
die Immobilie<br />
Dorotheenhof Weimar<br />
26./27. November<br />
Seminar Jahresabschluss<br />
Berghotel Oberhof<br />
Herausgeber: Zentralkonsum eG<br />
Neue Grünstr. 18, 1<strong>01</strong>79 Berlin<br />
Tel. (030) 275 84 -111<br />
www. zentralkonsum. de<br />
Redaktion: George media (<strong>01</strong>52–341 724 88)<br />
Gestaltung: Siegmar Förster<br />
Druck: Laser-Line Berlin