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Freitag

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der <strong>Freitag</strong> | Nr. 22 | 28. Mai 2015<br />

Politik 03<br />

Verliebt, verloren,<br />

verheiratet<br />

Syrien Monate bevor der Bürgerkrieg ausbricht, begegnen sich<br />

die beiden Studenten Manal und Mustafa. Dann werden sie getrennt<br />

und finden erst in einem Flüchtlingslager wieder zueinander<br />

Text Barbara Bachmann<br />

Die Vorbereitungen, nach denen<br />

die 23-jährige Syrerin Manal im<br />

größten Flüchtlingslager der arabischen<br />

Welt zur Braut werden<br />

will, dauern länger als ihre Hochzeitsfeier.<br />

Am Vorabend haben Frauen ihren<br />

Rücken, die Füße und Hände mit Henna bemalt,<br />

drei Stunden lang. Sie haben Manal geschminkt,<br />

zum ersten Mal in ihrem Leben liegen<br />

dicke Schichten Make-up auf ihrer Haut,<br />

die Wimpern sind getuscht, mit Kajal umrandet.<br />

Ihr dickes, dunkles Haar haben die Helferinnen<br />

auf Lockenwickler gedreht und hinterher<br />

mit hundert Klammern und noch mehr<br />

Perlen geschmückt. Manals Hochzeitskleid ist<br />

geliehen aus einem Geschäft in jener Einkaufsstraße,<br />

die sie in diesem jordanischen Flüchtlingscamp<br />

„Champs-Élysées“ nennen.<br />

Viele sagen, es gebe in Zaatari nichts Schönes,<br />

nur Notwendiges: ein Dach über dem Kopf<br />

und ausreichend zu essen. 85.000 Syrer leben<br />

hier auf 18 Quadratkilometern, eine syrische<br />

Stadt in Jordanien, aus der Not entstanden. Es<br />

gibt keine Bäume, keine Sträucher, aber Krankenhäuser,<br />

Schulen, eine Müllabfuhr und Feuerwehrmänner,<br />

die Hälfte der Bewohner ist<br />

nicht älter als 18. Manche sind in Zelten untergekommen,<br />

die Glücklicheren in Bungalows<br />

und Containern. In einem davon feiern Frauen<br />

an diesem Nachmittag ein Fest.<br />

Sie stehen im Kreis, während in ihrer Mitte<br />

die Braut tanzt. „Wenn du etwas unbedingt<br />

haben willst, aber es schwer zu erreichen ist,<br />

dann nennen wir das Manal“, sagt Mustafa<br />

(26). Der Bräutigam lächelt, als er Tage später<br />

noch einmal die Bedeutung des Namens erklärt.<br />

Niemand kennt sie besser als er.<br />

Die Geschichte der beiden beginnt fünf Jahre<br />

früher. Mustafa, geboren in Bosra, einer Kleinstadt<br />

im Süden Syriens, ist damals Lehramtsstudent<br />

an der Universität von Damaskus. An<br />

einem Märztag im Jahr 2010 besucht er Freunde<br />

in der Universitätscafeteria von Daraa, der<br />

Hauptstadt seiner Region. Am Nebentisch sitzt<br />

im hellblauen Gewand und petrolblauen Kopftuch<br />

ein Mädchen, das schöner ist, als er es sich<br />

je hätte vorstellen können: Manal, 19 Jahre alt,<br />

auch sie Lehramtsstudentin. Wer ist sie, fragt<br />

Mustafa seine Freunde. Auch Manal bemerkt<br />

ihn. Er gefällt ihr, und doch lehnt sie den Kontakt<br />

ab, als er danach fragt.<br />

Aber Mustafa ist hartnäckig, zurück in Damaskus<br />

bittet er seine Freunde nachzuhaken,<br />

so lange, bis Manal zustimmt. „Gut, lass uns<br />

Freunde sein.“ Zuerst chatten Manal und Mustafa<br />

auf Skype, dann schicken sie sich Whatsapp-Nachrichten,<br />

schließlich telefonieren sie,<br />

das erste Mal zwei Stunden lang. „Die Zeit hatte<br />

keine Bedeutung mehr“, erzählt Mustafa.<br />

„Die Zeit stand still“, sagt auch Manal. Jeden<br />

zweiten Abend sprechen sie miteinander,<br />

Hunderte von Minuten im Monat. Sie unterhalten<br />

sich über den Beruf: „Was würdest du<br />

am liebsten unterrichten?“, über die Familie:<br />

„Mit welchem deiner Brüder verstehst du dich<br />

am besten?“, über Filme und Musik.<br />

Eine glückliche Zeit<br />

Zwei Monate vergehen, bis Mustafa den Satz<br />

ausspricht, den er schon lange in sich hegt:<br />

„Ich will dich sehen.“ Manal stimmt zu. Sie<br />

verabreden sich für den 18. Mai 2010, auf dem<br />

Spielplatz vor der Moschee, gleich neben der<br />

Universität in Daraa. Mustafa reist dafür aus<br />

dem 125 Kilometer entfernten Damaskus an.<br />

Sie reden kaum mitei nander bei diesem ersten<br />

Treffen, sie halten ihre Hände, zehn Minuten<br />

lang. Dann verabschieden sie sich. Manal<br />

und Mustafa sind keine Freunde mehr, sie<br />

sind nun ein Paar.<br />

Die Treffen werden häufiger, und sie dauern<br />

länger: Statt zehn Minuten halten sie jetzt<br />

eine Viertelstunde ihre Hände und manchmal<br />

auch eine halbe. Immer sehen sie sich auf<br />

dem Spielplatz vor der Moschee, immer<br />

kommt Mustafa von Damaskus nach Daraa.<br />

„Eine glückliche Zeit“, erinnert sich Manal.<br />

Aber dann verändert sich das Leben in Syrien.<br />

Manals und Mustafas Refugium heißt Zaatari und liegt in Jordanien<br />

Ein Jahr nachdem sich Manal und Mustafa in<br />

der Uni-Cafeteria von Daraa zum ersten Mal<br />

gesehen haben, geht von dieser Stadt ein Konflikt<br />

aus, der für Syrien bis heute andauert.<br />

Anfang März 2011 demonstrieren dort gut<br />

zehntausend Syrer gegen das seit 48 Jahren<br />

bestehende Ausnahmegesetz und das Regime<br />

von Baschar al-Assad. Schnell erfassen Protest<br />

und Aufruhr das ganze Land.<br />

Der Spielplatz vor der Moschee in Universitätsnähe<br />

ist für Manal und Mustafa bald kein<br />

sicherer Treffpunkt mehr. Auch an der Universität,<br />

in der Meetings stattfinden, ist es gefährlich<br />

geworden. Mit seinen Freunden geht<br />

Mustafa genauso auf die Straße wie viele in<br />

seinem Alter. Sie verstecken ihre Gesichter<br />

hinter Tüchern, weil sie Angst haben, fotografiert<br />

zu werden.<br />

„Wir träumten von einem anderen Land der<br />

Demokratie und Freiheit“, erinnert sich Mustafa<br />

heute. Die Märsche beginnen in Frieden,<br />

aber die Armee schlägt mit voller Härte zurück.<br />

Junge Syrer werden festgenommen, manche<br />

müssen ins Gefängnis, andere verschwinden<br />

für immer. Mustafa will sich der Freien Syrischen<br />

Armee anschließen, aber Manal hat<br />

Angst und hält ihn davon ab: „Ich verbiete es<br />

dir“, sagt sie. Also lässt er es bleiben. Bald, denkt<br />

Mustafa, wird diese Zerreißprobe für das Land<br />

ohnehin vorbei sein. Viele arabische Staaten,<br />

auch die westlichen, werden kommen und uns<br />

helfen, Assad zu besiegen.<br />

Als der Krieg stattdessen voranschreitet, telefonieren<br />

Manal und Mustafa wieder mehr,<br />

weil sie sich seltener sehen. Sie reden nun weniger<br />

über Filme oder Musik, und häufiger darüber,<br />

wie schwierig das Leben in Syrien geworden<br />

ist. „Wie es wohl weitergeht?“, fragt Manal.<br />

„Alles wird gut“, hofft Mustafa. Im Oktober 2011<br />

Die Heimat<br />

fühlt sich<br />

an, als<br />

hätte sie<br />

nur in einem<br />

früheren<br />

Leben<br />

existiert<br />

bricht ihr Kontakt ab: Die Internet- und Telefonverbindungen<br />

werden schlechter, Mustafa<br />

zieht um, wohnt nun nicht mehr in Damaskus,<br />

sondern wieder in seiner Heimatstadt Bosra.<br />

Manal weiß nicht, wie es ihm geht. Und Mustafa<br />

weiß nicht, ob Manal unversehrt ist. „Die<br />

Zeit schien damals ewig zu dauern“, sagt Manal.<br />

Nach vier Monaten ein erstes Wiedersehen.<br />

Am 5. Januar 2012, mittags gegen 13 Uhr, treffen<br />

sie sich auf dem Spielplatz vor der Moschee<br />

nahe der Universität in Daraa, am gleichen Ort<br />

wie viele Male zuvor, aber die Stadt ist nicht<br />

mehr die gleiche, Syrien ist es erst recht nicht.<br />

Manal denkt, was Mustafa von Anfang an dachte:<br />

Dich möchte ich heiraten. Niemand von beiden<br />

aber wagt es, das auszusprechen.<br />

Im Frühjahr 2012 wird die Lage immer prekärer.<br />

Mustafas Familie flieht nach Jordanien.<br />

Der Sohn begleitet sie nur widerwillig, er will<br />

kein Flüchtling sein. Die Flucht dauert drei<br />

Tage, obwohl die Familie nur wenige Kilometer<br />

von der jordanischen Grenze entfernt lebt.<br />

Tausende syrische Flüchtlinge stehen an der<br />

Grenze. Sie kommen überwiegend im Flüchtlingslager<br />

Zaatari unter, das damals offiziell<br />

noch nicht eröffnet ist und nur aus ein paar<br />

Großzelten besteht.<br />

Der Vater sagt Nein<br />

Von einem Hügel, den sie im Camp „Syriatel“<br />

nennen, weil man dort das syrische Mobilfunknetz<br />

empfängt, ruft Mustafa Manal an: „Ich bin<br />

in Jordanien.“ Dann hört sie nichts mehr von<br />

ihm. Ende Februar verlässt auch Manal das<br />

Land, am 1. März 2012 erreicht sie mit ihrer Familie<br />

das Flüchtlingscamp, in dem sie Mustafa<br />

vermutet. Sie fragt nach einem Mann, 24 Jahre,<br />

Student, leichter Bauchansatz. Aber Manal fin-<br />

FOTOS: BARB ARA BACHMANN, KHALIL MAZRAAWI/AF P/GETTY IMAGES (UNTEN)<br />

det Mustafa nicht. Wie auch, er ist nicht mehr<br />

da, er wohnt jetzt in einer Gastgemeinde, unweit<br />

der Grenze. Manal beschließt zu warten,<br />

sie denkt: „Mustafa wird mich finden.“<br />

Gerade ist sie mit ihren Cousinen unterwegs,<br />

läuft durch die staubigen Straßen des<br />

Camps, als sie ihn sieht, und er sieht sie. Es ist<br />

der 5. März 2012. Mustafa ist ins Camp zurückgekehrt,<br />

um Manal zu suchen. Sofort kaufen<br />

sie in der Einkaufsstraße Champs-Élysées<br />

eine jordanische Simkarte für Manal, damit<br />

sie wieder telefonieren können. Aber das allein<br />

genügt nicht mehr. Sie wollen sich nicht<br />

wieder verlieren.<br />

Anfang September 2012 hält Mustafa um<br />

Manals Hand an. In seinem Namen klopfen,<br />

wie es Brauch ist, seine weiblichen Verwandten<br />

an Manals Tür und bringen die Bitte vor.<br />

Manals Mutter hört sich die Frage als Erste an<br />

und gibt sie an den Vater weiter. Aber der stellt<br />

sich dagegen, seine älteste Tochter soll nicht<br />

in Jordanien heiraten. Deshalb – nein! Manal<br />

muss die Entscheidung akzeptieren. In der<br />

Zwischenzeit lebt sie sich im Camp ein, als<br />

eine von wenigen findet sie Arbeit. Sie ist Lehrerin,<br />

singt und malt mit Vorschulkindern.<br />

Mustafa arbeitet nicht, weil das Syrern außerhalb<br />

des Camps in Jordanien verboten ist und<br />

er noch immer in der Gastgemeinde lebt.<br />

Im Juni 2013 schließlich hält Mustafa ein<br />

zweites Mal um Manals Hand an, wieder bringen<br />

die Frauen seiner Familie die Bitte vor.<br />

Wieder sagt ihr Vater Nein. 14 Monate später,<br />

es ist der 1. August 2014, lässt Mustafa ein drittes<br />

Mal nachfragen.<br />

Diesmal stimmt Manals Vater zu. Er muss<br />

begriffen haben: Wenn er möchte, dass seine<br />

Tochter in Syrien heiratet, wird sie ohne Mann<br />

bleiben. Die Antwort postet Manal zuerst auf<br />

Facebook: „Am Ende erlaubt mir mein Vater<br />

zu heiraten.“ Dann ruft sie Mustafa an. Eine<br />

Woche später verloben sich die beiden.<br />

Vier Jahre und sieben Monate, nachdem<br />

sich Manal und Mustafa in der Universitätscafeteria<br />

in Daraa das erste Mal gesehen haben,<br />

küssen sie sich. Es ist das erste Mal. Wenig später<br />

beginnen sie mit der zeitraubenden Hochzeitsplanung.<br />

Die beiden sind glücklich, weil<br />

sie endlich heiraten können. Sie sind traurig,<br />

weil sie das nicht in Syrien dürfen. Zum Fest<br />

laden sie 200 Menschen ein, in Syrien, sagen<br />

beide, wären aus solchem Anlass tausend Leute<br />

gekommen. Es sind Tage wie diese, an denen<br />

sich ihre Heimat anfühlt, als hätte sie nur<br />

in einem früheren Leben existiert, als sei sie<br />

ausgelöscht, für immer verloren. Dabei ist sie<br />

doch fast zum Greifen nah: Kurz bevor die<br />

Straße nach Zaatari abbiegt, steht ein Hinweisschild:<br />

„Syrische Grenze sechs Kilometer“.<br />

Zimmer im Container<br />

Manals und Mustafas Zukunft wird an einem<br />

anderen Ort stattfinden, damit haben sich die<br />

beiden abgefunden. Der Ort heißt Zaatari: Als<br />

Zwischenlösung gedacht, ist das Flüchtlingslager<br />

für Tausende Syrer erst zur kleinen, dann<br />

zur großen Ewigkeit geworden. Eigentlich<br />

nimmt die Verwaltung des Camps keine neuen<br />

Insassen mehr auf, aber weil Familienzusammenführungen<br />

möglich sind, darf Mustafa<br />

zu Manal kommen. Sieben Tage nach der<br />

Hochzeit beziehen sie ihr eigenes Haus, einen<br />

drei Zimmer großen Container. Sie haben ihn<br />

schon eingerichtet.<br />

Mustafa wirkt ziemlich korpulent und Manal<br />

sehr zart. Wenn die beiden lachen, sehen<br />

sie sich ähnlich. Der eine hält noch immer<br />

gern die Hand des anderen, so wie bei ihrem<br />

ersten Treffen auf dem Spielplatz vor der Moschee<br />

nahe der Universität von Daraa. Nichts<br />

hat sich daran geändert, obwohl doch alles<br />

sonst anders wurde. Mit einer Ausnahme:<br />

Manal trägt jetzt einen Goldring am Finger<br />

und Mustafa einen aus Silber.<br />

Barbara Bachmann schrieb zuletzt<br />

eine Reportage über den Tourismusstreit<br />

im Ferienort Sexten (Südtirol)

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