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Davos & Klosters<br />
EIN UFO DER MODERNE Das<br />
neue «Grischa» ist in Davos gelandet.<br />
Hier pulsiert die Gegenwart. Mit<br />
fünf Lokalen erfüllt dieser Tempel<br />
der Moderne alle Gourmetträume.<br />
ZEN-MEISTER AM GRILL<br />
Kurt Jaussi leitet die fünf Lokale<br />
im «Grischa» und wendet die<br />
Fleischstücke sekundengenau wie<br />
ein Schwertmeister. Top-Ten-Zen!<br />
HERR ÜBER FÜNF LOKALE Kurt Ja ussi im Reich des «Grischa»<br />
DECONSTRUCTION HARRY<br />
Roger Ebnöther begeistert im Toplokal<br />
Leonto im Hotel Grischa<br />
mit seinen kühnen Kreationen und<br />
«Dekonstruktionen». Wahnsinn!<br />
Text Stefan Zweifel<br />
Fotos Charles Seiler<br />
AUF EINEN LIEGESTUHL<br />
GEBETTET, bade ich im Licht der<br />
Sonne, in den Ohren rauscht heisser<br />
Sound – vor mir springen ein paar<br />
Wilde in den Whirlpool. Liege ich<br />
an einem Strand am Mittelmeer? Nein,<br />
denn schon stolpere ich beim Aufstehen<br />
über meine schweren Skischuhe<br />
und lande wieder in der Realität: Vor<br />
mir gleisst nicht die Gischt des Meeres,<br />
sondern das Weiss der Gipfel.<br />
Auf dem Jakobshorn steht die Welt<br />
Kopf: Gleitschirme stürzen in die Tiefe,<br />
Snowboarder schrauben sich von<br />
der Schanze in die Luft. Endlich: Ferien,<br />
Feiern, Verrücktheit.<br />
Hinter mir brutzeln Hamburger, in den<br />
Gläsern leuchten die Aperol Spritz<br />
wie tausend orange Abendsonnen – im<br />
Gaumen juckt es. Und deshalb stolpere<br />
ich weiter zu meinen Ski und jage<br />
in weiten Kurven hinunter, talwärts<br />
ins Naturfreundehaus. Ein Geheimtipp.<br />
Andrea Knöri ist Autodidaktin und<br />
findet zwischen ihren herumtollenden<br />
Kindern Louis und Morris die Konzentration,<br />
Estragon oder Safran ebenso<br />
konzentriert in Suppen und Saucen<br />
einzufangen. Diese Reduktion auf das<br />
Elementare passt zum Ort.<br />
Hier ist es ganz still. Man merkt nichts<br />
von den futuristischen Neubauten unten<br />
im Dorf, etwa vom gigantischen Hotel<br />
Intercontinental, das in der Nacht<br />
wie ein Raumschiff von einem fremden<br />
Planeten in der Skiarena funkelt.<br />
Fern auch sind die neuen kulinarischen<br />
Gipfelstürmer Thorsten Bode und<br />
Armin Amrein, die mit 16 und 17 Gault-<br />
Millau-Punkten Davos wieder fest in<br />
der Landschaft der Gourmets verankert<br />
haben.<br />
Seit zwanzig Jahren schon flüchte ich<br />
aus dem Zürcher Nebel nach Davos.<br />
Ach, nostalgisch erfüllt mich die Erinnerung<br />
an Zeiten, als Françoise Wicki aus<br />
der Küche von Kurt Jaussis «Davoserhof»<br />
zu ihrem Triumphzug startete,<br />
vom Davoser «Steakhouse Ammann»<br />
über Luxustempel von Luzern bis Basel<br />
und zurück nach Zürich. Damals gab<br />
es in Davos Laret noch den «Hubli», wo<br />
man sich ein wenig wie in Kubricks<br />
Film «Shining» fühlte, aber französische<br />
Küche in Vollendung genoss. Oder<br />
bei Beat Bolliger im «Walserhof» in die<br />
Trance perfekter Tradition fiel.<br />
Dazwischen machte Davos eine Durststrecke<br />
durch. Jetzt endlich scheint<br />
es wieder aufwärtszugehen − eine neue<br />
Dynamik, die sich im grandiosen Hotel<br />
Grischa widerspiegelt, wo Kurt Jaussi<br />
in Topform auftritt. Natürlich gibt es<br />
eine Tendenz, alte Traditionsrestaurants<br />
mit Industrieprodukten rentabel<br />
zu machen. Aber die Talsohle ist überwunden.<br />
Bode, Jaussi, Amrein & Co.<br />
eröffnen eine neue Epoche.<br />
ZURÜCK IM REICH DER «NATUR<br />
FREUNDE». Hier herrscht statt Hektik<br />
das romantische Idyll. Man blickt das<br />
weite Landwassertal hinab. Endlos zieht<br />
sich der Sonnenuntergang über der<br />
Parsenn in die Länge. Der Schnee leuchtet<br />
rosa und violett wie auf den Gemälden<br />
des expressionistischen Malers<br />
Ernst Ludwig Kirchner. Er flüchtete vor<br />
hundert Jahren aus dem wilden Berlin<br />
hierher in die Ruhe, um von Morphium<br />
und Kokain loszukommen – bald tanzte<br />
er nackt mit nackten Damen durch die<br />
Wälder. Jetzt rascheln dort nur die Rehe.<br />
Schon wird es dunkel – ein tolles Dreigängemenü<br />
und die Schlafmöglichkeiten<br />
in urtümlichen Kämmerchen verlocken<br />
zum Bleiben. Der Mond wiegt sich,<br />
«hinsichelnd», wie die Expressionisten<br />
es vor hundert Jahren formuliert hätten,<br />
als Schiff im Sternenmeer.<br />
Da, plötzlich, leuchten grosse gelbe<br />
Augen aus dem Dunkel. Lautes Röhren<br />
und Rattern. Sind das Ungeheuer?<br />
Waldmonster? Nein, die Pistenfahrzeuge,<br />
deren Fahrer eben wissen, dass man<br />
an diesem Berg nirgends besser essen<br />
kann – auf 1960 Metern über Meer<br />
erlebt man pure Natur, mit den Augen<br />
und den Ohren, mit der Nase und<br />
der Zunge. Und am anderen Morgen<br />
knirscht der Schnee unter den Ski wie<br />
kross gebratene Entenbrust.<br />
Am folgenden Tag, auf der anderen<br />
Talseite. Was die «Naturfreunde» schon<br />
lange ganz natürlich pflegen, wird<br />
auf der Schatzalp dank Erich Schmids<br />
mutiger Initiative zum Konzept:<br />
«Slow Ski» und dazu «Slow Food». Das<br />
ganze Skigebiet wurde «entschleunigt».<br />
Man fühlt sich auf dem unendlich<br />
langsamen Skilift in die eigene Kindheit<br />
zurückversetzt, so schleppend langsam<br />
läuft der Schlepplift. Umso lustvoller<br />
jagt man dann durch den unberührten<br />
SHANGHAI MEETS DAVOS Dieses<br />
Chinalokal im «Grischa» wirkt so<br />
modern wie die Skyline von Shanghai.<br />
Und genauso frisch knistern<br />
die knusprigen Frühlingsrollen.<br />
16 Schweizer Illustrierte al dente