Al Ard Magazin Ausgabe 3
Titelthema : Frauen und Freiheit
Titelthema : Frauen und Freiheit
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Kultur - Feiern im Lichtermeer ثقافة -االحتفاالت يف البحر امليضء<br />
Kultur - Feiern im Lichtermeer ثقافة -االحتفاالت يف البحر امليضء<br />
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W<br />
Feiern im<br />
Lichtermeer<br />
enn es im Dezember früh dunkel wird in Deutschland,<br />
zünden die Menschen Kerzen an, hängen Lichterketten<br />
in Bäume und schmücken ihre Zimmer festlich mit<br />
Sternen und Engeln. Der Grund dafür: Es ist Weihnachtszeit!<br />
Aber was bedeutet dieses Fest mit seinen Symbolen<br />
eigentlich?<br />
Wenn ich als Kind gefragt worden wäre, welcher Tag im Jahr der<br />
wichtigste und schönste sei – ich hätte keine Sekunde mit meiner<br />
Antwort gezögert: Weihnachten! Denn Weihnachten heißt:<br />
Duft nach Tannenbaum und Lebkuchen. Geheimnisvolle Päckchen,<br />
die sich auf dem Kleiderschrank im Elternzimmer stapeln.<br />
Heißt: Die Familie feiert zusammen. Und alle Jahre wieder stellt<br />
sich rund um Weihnachten auch immer die große Frage, ob es<br />
denn rechtzeitig schneien wird oder nicht, ob wir also „weiße<br />
Weihnachten“ haben werden (meistens nicht).<br />
Fast alle Kinder in Deutschland würden auch heute noch so<br />
ähnlich antworten. Weihnachten hat eine überragende Bedeutung<br />
in diesem Land. Nicht nur für die Kleinen. „Wo wirst Du<br />
Weihnachten feiern?“ ist die Standardfrage in den Wochen davor.<br />
<strong>Al</strong>leinsein möchte in diesen Tagen niemand. Natürlich, es<br />
gibt auch die Weihnachten-Verächter. Viele davon finden sich jedoch<br />
nicht. Daher kommt man in Deutschland am Weihnachtsfest<br />
nur schwer vorbei: In vielen Gärten sieht man Lichterketten<br />
an Tannenbäumen und Leuchtsterne grüßen aus den Fenstern.<br />
In den Wochen davor ziehen die Städte ihr schönstes Kleid an, es<br />
glänzt, leuchtet und blinkt, wohin man auch blickt.<br />
Das Licht ist ein wichtiges Symbol an diesem Fest. Die Bedeutung<br />
des Lichterglanzes zu verstehen, heißt, sich daran zu erinnern,<br />
dass Christen etwa fünf Wochen vor dem Weihnachtsfest<br />
ihrer Toten gedenken. Am sogenannten „Totensonntag“ werden<br />
in den Kirchen die Namen der Verstorbenen des letzten Jahres<br />
verlesen, an diesem Tag besuchen viele Angehörige die Grabstätten<br />
ihrer Lieben auf den Friedhöfen. Eine Woche später beginnt<br />
die „Adventszeit“, also die Vorbereitung auf Weihnachten.<br />
An vielen Orten sind dann Tannenkränze zu sehen, auf die vier<br />
Kerzen gesteckt sind. Am ersten Sonntag der Adventszeit wird<br />
die erste Kerze entzündet, am zweiten die zweite und so weiter.<br />
Dieser Brauch geht auf Johann Hinrich Wichern (1808-1881) zurück,<br />
einen christlichen Theologen aus Hamburg.<br />
Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, verwahrloste und verwaiste<br />
Kinder und Jugendliche aus den Hamburger Elendsvierteln<br />
zu betreuen. Wie alle Kinder freuten sie sich auf das Weihnachtsfest<br />
und haben ihn immer wieder gefragt, wann es denn<br />
endlich soweit sei. <strong>Al</strong>so erfand Wichern den Adventskranz: Ein<br />
hölzernes Wagenrad, auf dem vier dicke weiße Kerzen für die<br />
Sonntage und kleine roten Kerzen dazwischen für die Werktage<br />
angebracht waren. An jedem Tag wurde eine Kerze entzündet<br />
und so konnten die Kinder die Tage mitzählen - die Wochen vor<br />
Weihnachten (Advent) wurden zu einem Weg des Lichts: Von<br />
der Dunkelheit des Totensonntags nimmt das Licht zu, bis die<br />
Kinder am Heiligen Abend vor dem hell erleuchteten Tannenbaum<br />
stehen. Später wurde der hölzerne Kranz mit Tannengrün<br />
geschmückt. Wiederum ein Symbol: Tannen bleiben auch im<br />
Winter grün, sie symbolisieren die Hoffnung und das Leben.<br />
Der volle Lichterglanz am Ende ist das Ziel, denn an Weihnachten<br />
feiern Christen die Geburt Jesu Christi. Die Bibel erzählt, dass<br />
Jesus in einem einfachen Stall in Bethlehem zur Welt kam, weil<br />
seine Eltern Maria und Joseph auf Reisen waren und keinen Platz<br />
in einer Herberge fanden. Daran erinnern sogenannte „Krippen“<br />
an vielen Orten in Deutschland: Kleine Holzfiguren zeigen den<br />
Stall, Maria und Joseph betrachten das neu geborene Kind in der<br />
Krippe, Ochsen und Esel als Stallbewohner dürfen nicht fehlen<br />
und auch nicht die Hirten. Es heißt, dass sie in dieser Nacht nahe<br />
beim Stall ihre Herden gehütet haben und die ersten Zeugen der „Heiligen<br />
Nacht“ waren.<br />
Man muss wissen: Wer Hirte war, galt nicht viel in der Gesellschaft damals.<br />
Hier deutet sich also schon etwas an, was später das ganze Leben<br />
Jesu kennzeichnen sollte: Er fand Gehör nicht bei den Reichen, Mächtigen<br />
und Klugen, sondern bei denen, die am Rand der Gesellschaft<br />
standen. Das Christentum war anfangs eine Bewegung der Armen<br />
und Ausgeschlossenen – bis heute kümmern sich christliche Gemeinden<br />
und die Diakonie um Menschen, die am Rande stehen.<br />
Auch Engel dürfen in der Krippe nicht fehlen. Denn in der Heiligen<br />
Nacht erzählt die Bibel von dem Engel, der den Hirten auf dem Feld<br />
mitteilte, dass in dieser Nacht ihr Heiland Jesus geboren wurde. Auch<br />
die „Heiligen drei Könige“ sind in der Krippe zu sehen: An einer anderen<br />
Stelle erzählt die Bibel nämlich, dass sie einem hell leuchtenden<br />
Stern zu dem Stall gefolgt waren, das neu geborene Kind besuchten<br />
und ihm Geschenke brachten. Auch mit dieser Erzählung nimmt die<br />
Bibel etwas vorweg, was sich später in der Geschichte zeigen sollte:<br />
Was da ganz klein begann in einem kümmerlichen Stall in Bethlehem,<br />
würde später auch eine große Bedeutung für Menschen anderer Länder<br />
und Völker haben.<br />
Der Weg des Lichts, das immergrün der Tannen, der Stall, das Kind,<br />
die Hirten und Engel, auch der Stern und die Heiligen drei Könige -<br />
das Weihnachtsfest ist voller Symbolik. Zugegeben: Längst nicht allen<br />
Deutschen ist mehr bewusst, welche Tradition was genau bedeutet.<br />
Und gerade Kinder werden die Geschenke für das eigentlich Bedeutsame<br />
halten. Aber letztlich ist auch das Schenken am Heiligen Abend<br />
nur ein Symbol: Wie Gott uns das Kind in der Krippe geschenkt hat, so<br />
beschenken wir einander. Am Heiligen Abend soll Freude sein.<br />
Wie die meisten Kinder hätte ich damals nicht gezögert zu sagen,<br />
welcher Tag im Jahr der wichtigste und schönste sei. Ehrlich gesagt,<br />
das hat sich bis heute kaum geändert. Immer noch ist es für mich<br />
Weihnachten.<br />
DR. JOHANNES KRUG I SUPERINTENDENT<br />
DER EVANGELISCHEN KIRCHE STEGLITZ-ZEHLENDORF<br />
<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> - 03/2016<br />
03/2016 - <strong>Al</strong> <strong>Ard</strong>