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"Nordwind" (5,48 MB) - Bürgermeister Siegfried Nagl

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Seite 20 Der Göstinger Spaziergänger<br />

Frühstück, nicht mit<br />

Barbara Stöckl sondern<br />

mit meinen<br />

Töchtern. Eine glückliche<br />

Erinnerung. Andrea,<br />

damals gerade einmal<br />

drei Jahre alt, möchte<br />

unbedingt wieder ihr obligates<br />

Tomatenbrot zum<br />

Frühstück. Bisher immer<br />

liebevoll von ihrer Mutter<br />

zubereitet. An diesem<br />

Tag fühlte ich mich<br />

dazu berufen, das heiß<br />

begehrte Tomatenbrot<br />

zuzubereiten. Höchst erstaunt,<br />

also so richtig erstaunt,<br />

so mit großen Augen<br />

und offenem Mund,<br />

staunt Andrea: „Können<br />

auch Männer ein Tomatenbrot<br />

machen?“ Ja, liebe<br />

Leserinnen und Leser<br />

des Nordwind, hier verrate<br />

ich ihnen ein bisher<br />

wohl gehütetes Geheimnis:<br />

Auch Männer können<br />

Tomatenbrote zubereiten.<br />

Männer können<br />

vieles, was man ihnen<br />

bisher nicht zugetraut<br />

hat, zum Beispiel können<br />

auch Männer an Burnout<br />

erkranken. Tatsächlich.<br />

Ich schreibe diese Zeilen<br />

fernab von meinem<br />

geliebten Gösting, in der<br />

Rehab – Klinik St. Radegund<br />

wo man eifrig daran<br />

arbeitet, den Göstinger<br />

Spaziergänger wieder<br />

gesellschaftsfähig zu<br />

machen.<br />

Ankunftstag. Es wuselt<br />

wie in einem Ameisenhaufen.<br />

Das Empfangspersonal<br />

beweist<br />

eiserne Nerven. Wenn<br />

jemand doch die Nerven<br />

wegwirft, kommen sie in<br />

den Altmetallcontainer.<br />

Ich bekomme ein Einzelzimmer.<br />

Vorhang auf,<br />

Schöcklblick. Ich komme<br />

Der Göstinger<br />

Spaziergänger –<br />

jetzt auch als Buch<br />

im Handel. Infos:<br />

g.schwarzbauer@<br />

gmail.com<br />

mir vor wie in Venedig.<br />

Lauter Gondeln. Fenster<br />

auf, Luft rein. Kalte<br />

Luft, Luftkurortluft. Erste<br />

Schneeflocken tanzen<br />

vorbei. Shake it, Baby.<br />

Mir ist langweilig, und<br />

ich beschließe, mir einen<br />

Vollbart wachsen zu lassen.<br />

Eine Beschäftigung<br />

die mich die nächsten<br />

Stunden ausfüllt, danach<br />

beschließe ich, den Bart<br />

alleine weiter wachsen<br />

zu lassen.<br />

Diagnose<br />

Erste Kontaktaufnahme<br />

mit dem Kurarzt. „Setzen<br />

sie sich“. Barscher Ton.<br />

Strenger Blick. „Was<br />

führt Sie zu uns?“ Meine<br />

Aufzählung der Linienbusse<br />

wird ignoriert,<br />

der Arzt kritzelt irgendetwas<br />

auf seinen Block.<br />

„Krankheiten bisher, derzeitige<br />

Symptome?“ Ich<br />

ziehe ebenfalls einen<br />

Block hervor und notiere:<br />

„Kann offensichtlich<br />

keine ganzen Sätze aussprechen“.<br />

Wir beobachten<br />

uns gegenseitig und<br />

kritzeln auf unsere Blöcke.<br />

Der Arzt bricht das<br />

Schweigen und fragt:<br />

„Stuhl?“ „Danke“ sage<br />

ich, „bequem“. Ende des<br />

Aufnahmegesprächs.<br />

An einer großen Tafel<br />

im Flur, davon gibt<br />

es unzählige, der Flur,<br />

die Flure, also an dieser<br />

Tafel kann man nachle-<br />

sen, welche Therapien<br />

zusätzlich zu den vorgeschriebenen,sozusagen<br />

freiwillig man noch<br />

machen kann. Musiktherapie?<br />

Yoga? Hundetherapie?<br />

Oder vielleicht<br />

gar die Pferdetherapie?<br />

Angepriesen sind: LUNA<br />

PLENA, eine sensible<br />

Warmblutstute, ein Therapiepferd<br />

oder JUST<br />

MARY, ein charakterstarkes<br />

Pony, sowie weitere<br />

interessante Pferdepersönlichkeiten.<br />

Luftkurort<br />

Ich werde darüber nachdenken<br />

und begebe<br />

mich auf mein Zimmer.<br />

Auf dem Balkon sitzt<br />

eine Amsel, vermutlich<br />

eine Therapieamsel und<br />

bettelt um Futter. Auf<br />

dem Fenster krabbelt<br />

eine Therapiewespe.<br />

Die Sonne beendet ihr<br />

Scheindasein und ich<br />

begebe mich zur Nachtruhe.<br />

Eine Therapiefliege<br />

verhindert das.<br />

Am nächsten Morgen<br />

beschließe ich, einen<br />

Waldspaziergang zu<br />

machen. So viel frische<br />

Luft. Mehr als ich zum<br />

Atmen brauche. Was für<br />

eine Verschwendung.<br />

Ich atme aus, die Bäume<br />

atmen ein. Wir ergänzen<br />

uns. Dankbarkeit erfüllt<br />

mich, ich umarme einen<br />

Baum und verspreche<br />

ihm, dass ich ihn nicht<br />

verheizen werde. Zumindest<br />

nicht in diesem Winter.<br />

Entlang des Weges<br />

entspringen mehrere<br />

Quellen. Auch ich bin entsprungen,<br />

nämlich der<br />

Kuranstalt. Zurückgekehrt<br />

in die Klinik nehme<br />

ich am Mittagessen teil.<br />

Am Speiseplan: Krautsalat<br />

und Käferbohnen.<br />

Ich befürchte, dass beim<br />

Öffnen meines Zimmerfenster<br />

St. Radegund<br />

die Auszeichnung „Luftkurort“<br />

verlieren wird.<br />

Irgendwie vergehen diese<br />

sechs Wochen sehr<br />

rasch. Am Abreisetag<br />

werde ich gefragt, was<br />

ich mir von hier mitnehmen<br />

werde. Ich denke an<br />

ein paar schöne Handtücher,<br />

der Therapeut hat<br />

aber offensichtlich an<br />

etwas Anderes gedacht.<br />

Weihnachten werde ich<br />

wieder gestärkt und gefestigt<br />

zu Hause in Gösting<br />

verbringen, und ich<br />

weiß auch schon, was<br />

es zum Frühstück geben<br />

wird: Tomatenbrot, von<br />

mir zubereitet. Fröhliche<br />

Weihnachten euch<br />

allen. Ein kleiner Nachsatz:<br />

Trotz weihnachtlichem<br />

Stress ist es mir<br />

gelungen, einen Kalender<br />

mit eigenen Fotos<br />

und (sehr) eigenen<br />

Sprüchen mit dem Titel<br />

„GÖSTING, DER MIT-<br />

TELPUNKT DER WELT“<br />

zu produzieren. Bestelllisten<br />

gibt es in Marios<br />

Laden und im Cafe La<br />

Vita. Der Preis für dieses<br />

von Reha Druck gestaltete<br />

Kunstwerk beträgt<br />

10 Euro.<br />

Ihr Göstinger<br />

Spaziergänger<br />

Günther Schwarzbauer

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