Gesamtausgabe als PDF - Schweizerische Ärztezeitung
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4<br />
23.1. 2013<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
S chweizerische <strong>Ärztezeitung</strong><br />
Bollettino dei medici svizzeri<br />
Bulletin des médecins suisses<br />
Editorial 89<br />
Krebsregister und onkologische Versorgung<br />
FMH 91<br />
TARVISION – Auf dem Weg zu einem<br />
umfassend aktualisierten TARMED<br />
SÄZ-Podiumsdiskussion 108<br />
Reportage vom Podium «Suizidhilfe –<br />
(k)eine ärztliche Aufgabe?»<br />
Tribüne 125<br />
Präsenzcharakter von Krankheit und Spiritual Care<br />
Horizonte 133<br />
V wie Vergangenheit mit Vorsicht<br />
«Zu guter Letzt» von Jean Martin 136<br />
Moralpredigten werden zwar nicht geschätzt,<br />
dennoch braucht es Moral<br />
Offizielles Organ der FMH und der FMH Services www.saez.ch<br />
Organe officiel de la FMH et de FMH Services www.bullmed.ch<br />
Bollettino ufficiale della FMH e del FMH Services
FMH<br />
Editorial<br />
89 Krebsregister und<br />
onkologische Versorgung<br />
Christoph Bosshard<br />
Tariffragen<br />
91 TARVISION – Auf dem Weg zu einem<br />
umfassend aktualisierten TARMED –<br />
Rückblick und Ausblick<br />
Ernst Gähler, Irène Marty, Roger Scherrer<br />
Die FMH verzeichnet Fortschritte auf dem Weg zu einer<br />
Tarifstruktur, welche die Realität abbildet und alle medi-<br />
zinischen Leistungen sachgerecht und betriebswirt-<br />
schaftlich korrekt abbilden soll.<br />
Aktuell<br />
94 HSM Onkologie:<br />
Speerspitze einer Zentralisierung<br />
der ambulanten Versorgung?<br />
J. Nadig, G. Gruber, M. Trutmann,<br />
M. Schwöbel, S. Eberhard, E. Ziltener et al.<br />
Ende 2012 wurde der Bericht zur Hochspezialisierten<br />
Medizin HSM Onkologie mit einer Vernehmlassungsfrist<br />
von nur fünf Wo- chen veröffentlicht. Wie<br />
geplant umgesetzt, würde die-<br />
ses Konzept zu einem mas-<br />
siven Eingriff in die onkologi-<br />
sche Versorgungsstruktur führen.<br />
Verschiedene Gesellschaften, darunter<br />
die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Medizi-<br />
nische Onkologie (SGMO), nehmen Stellung.<br />
Nachrufe<br />
97 In memoriam Reinhard Fischer<br />
98 Personalien<br />
Organisationen der Ärzteschaft<br />
SGIM<br />
100 CAS Management of Medical Units<br />
Jean-Michel Gaspoz, Lukas Zemp,<br />
Volker Bernhard Schulte<br />
INHALT<br />
Weitere Organisationen und Institutionen<br />
Swissmedic<br />
101 Pharmacovigilance und Spontanmeldungen<br />
unerwünschter Arzneimittelwirkungen<br />
10 Jahre nach Inkrafttreten<br />
des Heilmittelgesetzes<br />
Guy Levy, Pia Caduff, Rudolf Stoller<br />
Ein Rückblick mit positiver Bilanz, doch auch mit Forde-<br />
rungen für die Zukunft: Mehr Fortbildung für medizini-<br />
sche Fachpersonen und Verantwortliche in pharmazeuti-<br />
schen Unternehmen sei vonnöten.<br />
IPI<br />
105 Zusammenarbeit für eine<br />
bessere Nutzung von ITMöglichkeiten<br />
Gerhard Schilling, Peter Amherd<br />
Das Institut für Praxisinformatik und der Verband Schwei-<br />
zerischer Fachhäuser für Medizinal-Informatik haben sich<br />
zusammengetan, um die elektronische Dokumentation<br />
in Arztpraxen zu fördern und deren Praxistauglichkeit si-<br />
cherzustellen.<br />
SÄZPodiumsdiskussion<br />
108 Suizidhilfe – (k)eine ärztliche Aufgabe?<br />
Anna Sax<br />
Bericht von der SÄZ-Podiumsdiskussion im November<br />
2012. Eine engagierte und differenzierte Debatte fand<br />
statt zum komplexen Thema der Suizidhilfe – und im<br />
Speziellen zur Frage, ob die entsprechenden SAMW-<br />
Richtlinien noch zeitgemäss sind.<br />
112 DRG / Neue Spitalfinanzierung –<br />
Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />
Die Einführung von SwissDRG im Januar 2012 war von<br />
substantiellen Bedenken begleitet. Haben sie sich bestä-<br />
tigt? Welche Auswirkungen gab es auf die Versorgungs-<br />
qualität und Arbeitsbedingungen, auf Hausärzte, Spit-<br />
zenmedizin und die Kostenentwicklung? Das nächste<br />
SÄZ-Podium in Bern möchte zu einer fundierten Ausein-<br />
andersetzung mit diesen und weiteren Fragen beitragen.
IMPRESSUM<br />
Briefe / Mitteilungen<br />
113 Briefe an die SÄZ<br />
113 Facharztprüfungen<br />
FMH Services<br />
114 Seminare 2013<br />
FMH Services<br />
115 Zahlungseingang pünktlich<br />
FMH Factoring Services<br />
116 Des primes plus basses<br />
pour vous et vos collaborateurs<br />
FMH Insurance Services<br />
117 Stellen und Praxen<br />
Tribüne<br />
Standpunkt<br />
125 Präsenzcharakter von Krankheit<br />
und Spiritual Care<br />
Priska Bützberger Zimmerli, Sabine Weidert,<br />
Beat Müller<br />
Anmerkungen zu zwei in der SÄZ publizierten Beiträgen<br />
zum Thema Spiritualität. Die Autoren sind zuversichtlich,<br />
dass es einen Mittelweg gibt zwischen der Reduktion<br />
von Krankheit auf somatische Zustände und dem Abdrif-<br />
ten in «Selbstbeweihräucherung und Heilerfantasien».<br />
Betriebswirtschaft<br />
127 Neues Rechnungslegungsrecht:<br />
strengere Vorschriften für Ärzte<br />
Martin Brenner, Rolf Willimann<br />
128 Spectrum<br />
Redaktion<br />
Dr. med. et lic. phil. Bruno Kesseli<br />
(Chefredaktor)<br />
Dr. med. Werner Bauer<br />
PD Dr. med. Jean Martin<br />
Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />
Dr. med. Jürg Schlup (FMH)<br />
Prof. Dr. med. Hans Stalder<br />
Dr. med. Erhard Taverna<br />
lic. phil. Jacqueline Wettstein (FMH)<br />
Redaktion Ethik<br />
PD Dr. theol. Christina Aus der Au<br />
Prof. Dr. med. Lazare Benaroyo<br />
Dr. phil., dipl. biol. Rouven Porz<br />
Redaktion Medizingeschichte<br />
Prof. Dr. med. et lic. phil. Iris Ritzmann<br />
PD Dr. rer. soc. Eberhard Wolff<br />
Redaktion Ökonomie<br />
Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />
Redaktion Recht<br />
Fürsprecher Hanspeter Kuhn (FMH)<br />
Managing Editor<br />
Annette Eichholtz M.A.<br />
Redaktionssekretariat<br />
Elisa Jaun<br />
Redaktion und Verlag<br />
EMH <strong>Schweizerische</strong>r Ärzteverlag AG<br />
Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz<br />
Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: redaktion.saez@emh.ch<br />
Internet: www.saez.ch, www.emh.ch<br />
Herausgeber<br />
FMH, Verbindung der Schweizer<br />
Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18,<br />
Postfach 170, 3000 Bern 15<br />
Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12<br />
E-Mail: info@fmh.ch<br />
Internet: www.fmh.ch<br />
Herstellung<br />
Schwabe AG, Muttenz<br />
Marketing EMH<br />
Karin Würz<br />
Leiterin Marketing und Kommunikation<br />
Tel. 061 467 85 49, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: kwuerz@emh.ch<br />
Horizonte<br />
INHALT<br />
Essay<br />
129 Verantwortung haben Ärzte reichlich.<br />
Und Führung?<br />
Ludwig Hasler<br />
Der Autor diagnostiziert eine Erosion ärztlicher Souverä-<br />
nität, hat aber auch Vorschläge zu deren Revitalisierung.<br />
Streiflicht<br />
133 V wie Vergangenheit mit Vorsicht<br />
Dominik Heim<br />
Erster Beitrag einer in<br />
l ockerer Folge erscheinen-<br />
den Kolumne von Dominik<br />
Heim, diesmal zum Thema<br />
Remakes am Beispiel des<br />
Films «Anna Karenina».<br />
Schaufenster<br />
135 Zahlen erzählen<br />
Jürg Kesselring<br />
Gedankenreiche Assoziationen zu den Zahlen 1 bis 10.<br />
Zu guter Letzt<br />
136 Moralpredigten werden zwar nicht<br />
geschätzt, dennoch braucht es Moral<br />
Jean Martin<br />
Soll die Welt nicht weiter aus den Fugen geraten,<br />
braucht es in vielen Bereichen mehr Macht für ethische<br />
Aspekte. Jean Martin weist hier nicht nur auf die Proble-<br />
matik der armen und reichen Länder hin, auf Lug und<br />
Trug in der Finanzwelt, sondern auch auf Probleme im<br />
Gesundheitswesen.<br />
Anna<br />
Inserate<br />
Werbung<br />
Sabine Landleiter<br />
Leiterin Anzeigenverkauf<br />
Tel. 061 467 85 05, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: slandleiter@emh.ch<br />
«Stellenmarkt/Immobilien/Diverses»<br />
Matteo Domeniconi, Inserateannahme<br />
Stellenmarkt<br />
Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />
E-Mail: stellenmarkt@emh.ch<br />
«Stellenvermittlung»<br />
FMH Consulting Services<br />
Stellenvermittlung<br />
Postfach 246, 6208 Oberkirch<br />
Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86<br />
E-Mail: mail@fmhjob.ch<br />
Internet: www.fmhjob.ch<br />
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FMH-Mitglieder<br />
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zuzüglich Porto<br />
© 2013 by EMH <strong>Schweizerische</strong>r<br />
Ärzteverlag AG, Basel. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Nachdruck, elektronische<br />
Wiedergabe und Übersetzung, auch<br />
auszugsweise, nur mit schriftlicher<br />
Genehmigung des Verlages gestattet.<br />
Erscheint jeden Mittwoch<br />
ISSN 0036-7486<br />
ISSN 1424-4004 (Elektronische Ausg.)
Editorial FMH<br />
Nicht ohne die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für medizinische Onkologie<br />
Krebsregister und onkologische Versorgung<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Eine qualitätsorientierte, vernetzte<br />
Versorgung ist ein<br />
Kernanliegen der FMH. Mit<br />
der Gründung der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
Akademie für Qualität<br />
in der Medizin SAQM am<br />
27. November 2012 hat die<br />
FMH ein Zeichen gesetzt, ihre<br />
vernetzende Aufgabe sowohl<br />
innerhalb wie auch ausserhalb<br />
der Ärzteschaft zu stärken.<br />
Das Primat der Fachgesellschaften<br />
für fachspezifische Fragen ist für die FMH<br />
unbestritten und eine Conditio sine qua non. Die Aufgabe, die<br />
hier die Fachgesellschaften übernehmen, ist von grösster Bedeutung.<br />
Auch wenn die Meinungen bisweilen auseinandergehen,<br />
sind trotz allem die Fachgesellschaften am besten in<br />
der Lage, die fachlichen Spannungsfelder zu überbrücken<br />
und diese Hürde zu meistern.<br />
Kurze Fristen bei Anhörungen<br />
lassen vermuten, dass die Meinung<br />
der angefragten Expertenkreise nicht<br />
wirklich interessiert.<br />
Wer sonst? Der Bund hat am 7. Dezember 2012 das Vernehmlassungsverfahren<br />
zum Bundesgesetz über die Registrierung<br />
von Krebserkrankungen mit Frist bis zum 22. März 2013<br />
eröffnet. Positiv zu bewerten ist der Vorschlag, die Erfassung<br />
der Daten nicht nur zu regeln, sondern auch zu harmonisieren<br />
und in einem nationalen Register zusammenzuführen.<br />
Die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Medizinische Onkologie<br />
SGMO bietet ihre Zusammenarbeit an, indem sie die Daten<br />
des eidgenössischen Registers in ein Fachgesellschaftseigenes<br />
Register überführen würde, um sie dort mit LeistungserbringerDaten<br />
gekoppelt zur Qualitätssicherung für die Mitglieder<br />
zu nutzen. Eine entsprechende Machbarkeitsstudie<br />
wäre nun anzustreben.<br />
Am 18. Dezember 2012 eröffnete das Fachorgan Hochspezialisierte<br />
Medizin (HSM) der <strong>Schweizerische</strong>n Konferenz<br />
der Gesundheitsdirektorinnen und direktoren GDK im Rahmen<br />
der Umsetzung der Interkantonalen Vereinbarung zur<br />
hochspezialisierten Medizin (IVHSM) ein Anhörungsverfahren<br />
zur hochspezialisierten Behandlung seltener Krebserkrankungen<br />
des Erwachsenen. Die Frist läuft bis 22. Januar 2013.<br />
Es handelt sich bei der IVHSM um ein von allen 26 Kantonen<br />
ratifiziertes Organ mit Gesetzes charakter. Der Planungsentwurf<br />
hat Verordnungscharakter, es würde somit eine Vernehmlassungsfrist<br />
von drei Monaten gelten. Im Hinblick auf<br />
die kurze Frist – nota bene über die Festtage – muss man sich<br />
die Frage stellen, wie ernsthaft das Interesse der IVHSM an Inputs<br />
aus Expertenkreisen wirklich ist. Informationen zur<br />
SGMOStellungnahme finden Sie in dieser Ausgabe der<br />
<strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong> auf Seite 94.<br />
Statt verschiedener onkologischer<br />
Kompetenzzentren wäre<br />
eine nationale Plattform angesagt.<br />
Zudem sieht die FMH mit Sorge, dass mit den geplanten<br />
sieben onkologischen Kompetenzzentren in unserem doch<br />
eher kleinen Land eine strukturelle Aufsplitterung der Versorgungslandschaft<br />
zementiert werden soll. Weitaus überzeugender<br />
wäre eine nationale Plattform mit internationaler Abstützung<br />
und entsprechender BehandlungsprozessGestaltung,<br />
basierend auf nationalen und internationalen<br />
Guidelines. Dass die geplanten Zentren ihre Hoheit in den<br />
ambulanten Bereich ausdehnen wollen, widerspricht nicht<br />
nur dem gesetzlichen Auftrag nach Art. 39 KVG, sondern<br />
schränkt die Therapiefreiheit der ambulanten Ver sorgung,<br />
welche heute 90 % der Behandlungen abdeckt, sowie die freie<br />
Arztwahl ein. Nach dem deutlichen VolksNein 2008 und<br />
2012 zu Vorlagen, die diese Errungenschaften rückgängig machen<br />
wollten, befremdet dieses Vorgehen in besonderer<br />
Weise.<br />
Die FMH setzt sich für eine effiziente und qualitativ<br />
hochstehende ärztliche Weiterbildung ein. Deshalb sind<br />
auch das <strong>Schweizerische</strong> Institut für Weiter und Fortbildung<br />
SIWF sowie der VSAO und der VLSS anzuhören.<br />
Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, müssen fachübergreifende<br />
Fragen innerhalb der verschiedenen Fachgesellschaften<br />
koordiniert und geklärt werden. Auf diese Weise<br />
vertritt die Ärzteschaft eine konsolidierte Position, dank der<br />
sie von Partnern, der Verwaltung, der Politik und der<br />
Öffentlichkeit <strong>als</strong> kompetente Instanz wahrgenommen wird.<br />
Dr. med. Christoph Bosshard,<br />
Mitglied des Zentralvorstandes der FMH,<br />
Verantwortlicher Ressort Daten, Demographie und Qualität<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
89
Tariffragen FMH<br />
Rückblick und Ausblick<br />
TARVISION – Auf dem Weg<br />
zu einem umfassend<br />
aktualisierten TARMED<br />
Ernst Gähler a , Irène Marty b ,<br />
Roger Scherrer c<br />
a Dr. med., Vizepräsident FMH,<br />
Verantwortlicher Ressort<br />
Ambulante Tarife und<br />
Verträge Schweiz<br />
b Leiterin Ressort Ambulante<br />
Tarife und Verträge Schweiz<br />
c Projektleiter TARVISION<br />
Korrespondenz:<br />
FMH Ressort Ambulante Tarife<br />
und Verträge Schweiz<br />
Elfenstrasse 18<br />
CH3000 Bern 15<br />
Tel. 031 359 11 11<br />
Fax 031 359 11 12<br />
tarife[at]fmh.ch<br />
Abbildung 1<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Übersicht<br />
Seit unserem letzten Bericht zu TARVISION im März<br />
2012 haben die zahlreichen Akteure – die in verschiedenster<br />
Weise in das ambitiöse Projekt eingebunden<br />
sind – intensiv gearbeitet. Die Vision hat<br />
sich seither nicht verändert: Die FMH erarbeitet eine<br />
gesamthaft revidierte TARMEDTarifstruktur, welche<br />
die Realität abbildet und in der alle medizinischen<br />
Leistungen sachgerecht und betriebswirtschaftlich<br />
korrekt tarifiert sind. Der Weg dorthin war und ist –<br />
nicht zuletzt aufgrund der hohen technischen und<br />
organisatorischen Komplexität von TARMED – nicht<br />
immer gradlinig. Trotzdem konnten wir im vergangenen<br />
Jahr wichtige Schritte Richtung Ziel machen.<br />
Die Bemessung der Vergütung für die rund<br />
4700 TARMEDLeistungen wird durch zahlreiche Parameter<br />
und Eckwerte definiert, wobei die Sachgerechtigkeit<br />
dieser Grössen meist nur durch Experten<br />
bestimmt werden kann. Eine erste Herausforderung<br />
bei der Gesamtrevision bestand deshalb darin, die<br />
Simulationstools TARVISION – Umfassende Analysemöglichkeiten.<br />
Überprüfung aller bestimmenden Grössen zu koordinieren.<br />
Ein Grossteil dieser eher organisatorischen<br />
Aufgabe wurde bereits im Jahr 2011 zusammen mit<br />
den Fachgesellschaften erbracht und wird nun die<br />
zügige Weiterarbeit an der Gesamtrevision unterstützen.<br />
In organisatorischer Hinsicht konnten im<br />
vergangenen Jahr die Kooperationen mit den Tarifpartnern<br />
aufgebaut und gefestigt werden.<br />
Ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld war zweifellos<br />
die Entwicklung und Erweiterung der SoftwareTools<br />
für die Bewirtschaftung des Tarifwerkes TARMED.<br />
Sie dienen der Zusammenführung und Homogenisierung<br />
der in den vergangenen Jahren vielfältig<br />
geänderten Parameter und Eckwerte im TARMED.<br />
Umsetzung und Darstellung der Resultate:<br />
die neuen Software-Tools<br />
Es stellte sich die Frage, wie alle gesammelten Resultate<br />
zu einem neuen, aktualisierten TARMED zusammengeführt<br />
werden können. Allein die von den<br />
m edizinischen Fachgesellschaften eingereichten<br />
Änderungsvorschläge zu einzelnen Tarifpositionen<br />
umfassen hunderte von Parametern. Daneben fliessen<br />
unzählige betriebswirtschaftliche Eckwerte in<br />
die Kalkulation mit ein, welche schliesslich die korrekte<br />
Vergütung für eine bestimmte medizinische<br />
Leistung bestimmen.<br />
Zu beachten ist bei der Aktualisierung ausserdem<br />
das der Tarifstruktur hinterlegte, sehr komplexe<br />
Regelwerk. Die zweite Herausforderung besteht deshalb<br />
darin, alle aktualisierten Eckwerte und Parameter<br />
zu einem Ganzen zusammenzuführen und die<br />
Auswirkungen für alle Anspruchsgruppen zeitnah zu<br />
simulieren und sichtbar zu machen. Da keine Software<br />
verfügbar war, welche den Anforderungen der<br />
FMH entsprach, hat sie sich entschieden, eine bestehende<br />
Lösung der Ärztekasse aufzufrischen und weiterzuentwickeln.<br />
Glücklicherweise konnte die FMH<br />
hier vom reichen Erfahrungsschatz und Knowhow<br />
von Anton Prantl, Direktionspräsident der Ärztekasse,<br />
profitieren, dem an dieser Stelle ein herzlicher<br />
Dank gebührt.<br />
Entstanden ist ein baukastenartiges System von<br />
SoftwareTools, welche die Änderung und Simulation<br />
beinahe jedes Parameters in der komplexen<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
91
Tariffragen FMH<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
TARMEDTarifstruktur erlauben. Nach einer Neuberechnung<br />
können die Auswirkungen anhand eines<br />
eigenen TARMEDBrowsers unmittelbar dargestellt<br />
werden. Das Tool «TARIS» erlaubt es, Warenkörbe<br />
mit unterschiedlichen Leistungen zu bilden und<br />
diese unter verschiedenen Szenarien zu vergleichen.<br />
Völlig neu entwickelt wurde das Tool «VOLUMIS»,<br />
das die Auswirkungen auf das TaxpunktVolumen<br />
darstellt, wobei eine Aufschlüsselung nach diversen<br />
Dimensionen möglich ist und verschiedene Mengenstrukturen<br />
hinterlegt werden können.<br />
Mit den vorliegenden Tools ist es zum ersten Mal<br />
möglich, eine komplett revidierte TARMEDVersion<br />
vollständig zu generieren und deren Auswirkungen<br />
durchzuspielen.<br />
Kontinuierliche Verbesserung der<br />
tarifarischen Grundlagen<br />
Auch im Jahr 2012 konnten wir weitere, neue Verbesserungsvorschläge<br />
von den Fachgesellschaften entgegennehmen.<br />
Ausserdem konnte die Qualität der betriebswirtschaftlichen<br />
Grundlagen in den Kostenmodellen<br />
nochm<strong>als</strong> erhöht werden. Ein Problem war zum Beispiel,<br />
dass seit Einführung des TARMED Veränderungen<br />
an verschiedenen Stellen der Tarifstruktur vorgenommen,<br />
aber nicht systematisch dokumentiert<br />
wurden. Da jedoch die Tarifstruktur immer <strong>als</strong> Gan<br />
Abbildung 2<br />
Roadmap der tripartiten Kooperation FMH/H+/MTK.<br />
Arbeitspaket TARMED 2.0:<br />
� Neues Kapitel GV / Kapitel 00<br />
� Nichtärztliche Betreuung<br />
� Handchirurgie<br />
� Revision Kapitel 2<br />
� Revision Kapitel 17<br />
� Aktualisierung der drei<br />
Kostenmodelle<br />
zes in sich stimmig sein muss, wenn sie dem Gebot<br />
des sachgerechten Tarifes entsprechen will, mussten<br />
gewisse «manuelle» Eingriffe zunächst analysiert<br />
und dann mit dem übrigen Tarifgerüst harmonisiert<br />
werden.<br />
Neues Kapitel Grundversorgung<br />
Über den letzten Sommer wurde intensiv am neuen<br />
Kapitel für die Grundversorgung gearbeitet. Die<br />
po litischen Entwicklungen im Rahmen des Masterplanes<br />
Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung<br />
machten es erforderlich, die tariftechnische<br />
Entwicklung des neuen Kapitels zügig voranzutreiben.<br />
Das zu erreichende Ziel bleibt weiterhin,<br />
die hausärztlichen Tätigkeiten in einem eigenen<br />
K apitel korrekt und eingebettet in die ganze Tarifstruktur<br />
abzubilden. Der Inhalt des Kapitels 40<br />
wurde durch Hausärzte Schweiz definiert. Das Ressort<br />
Ambulante Tarife und Verträge Schweiz der<br />
FMH stand beratend bei der tariftechnischen Umsetzung<br />
zur Seite. Die verschiedenen Ärzteorganisationen<br />
wurden im Herbst über den aktuellen Stand des<br />
Kapitels informiert und wurden gebeten, sich einzubringen.<br />
Anlass zu Diskussionen geben primär die<br />
Zugangsberechtigung zum Kapitel und die Abgrenzung<br />
zu den bereits bestehenden Leistungspositionen<br />
im TARMED. In der Delegiertenversammlung<br />
vom 7. November 2012 wurde dann das Ressort be<br />
Gemeinsame RoadMap Revison TARMED H+/FMH/MTK<br />
TARMED 1.09<br />
Inkraftsetzung<br />
TARMED 2.0<br />
TARMED 2.1<br />
Eingabe an den Bundesrat<br />
Arbeitspaket TARMED 2.1:<br />
� Detaillierte Aktualisierung der<br />
volumenstarken Sparten<br />
� Inputs Kostenmodelle Tarifpartner<br />
� Vereinfachung Regelwerk<br />
� Revision weiterer Kapitel: 08 / 19 /<br />
32 / 39 / 37 / Notfall und<br />
Rettungsmedizin<br />
� - ...<br />
TARMED 2.2<br />
Arbeitspaket TARMED 2.2:<br />
� laufende Bewirtschaftung mit<br />
jährlicher Aktualisierung<br />
� Kapitel …<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 92<br />
� …<br />
� ...<br />
30.06.2014<br />
30.06.2013 30.06.2015 30.06.2016
Tariffragen FMH<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
auftragt, die weiteren Verhandlungen mit den Vertragspartnern<br />
von TARMEDSuisse zu führen.<br />
Tripartite Zusammenarbeit mit H+ und MTK<br />
Eine wichtige Aufgabe im vergangenen Jahr war die<br />
Koordination des Projektes TARVISION mit den Revisionsbemühungen<br />
unserer Tarifpartner H+ und<br />
MTK. Die gemeinsamen Ziele und Schwerpunkte<br />
wurden zunächst in bilateralen und später in einer<br />
tripartiten Absichtserklärung definiert. Klar ist für<br />
alle drei Vertragspartner, dass schliesslich eine gesetzeskonforme,<br />
betriebswirtschaftlich korrekte, aktualisierte<br />
und sachgerechte Bewertung aller medizinischen<br />
Leistungen in Arztpraxen, Spitälern und Kliniken<br />
resultieren muss. Die tripartite Kooperation<br />
erlaubt bewusst, dass spezifische Subprojekte einzelner<br />
Partner – welche zum jetzigen Zeitpunkt keine<br />
Koordination erfordern – autonom weitergeführt<br />
werden können. Klar ist aber auch, dass es in vielen<br />
Bereichen, insbesondere bei der Revision der einzelnen<br />
TARMEDKapitel, eine enge Koordination<br />
braucht.<br />
Um die Inhalte der Zusammenarbeit zu definieren,<br />
wurde im Sommer 2012 eine gemeinsame Roadmap<br />
erarbeitet, welche die langfristige Planung der<br />
Zusammenarbeit enthält und die Arbeitspakete auf<br />
dem Weg zur Gesamtrevision definiert.<br />
Im Herbst 2012 haben die drei Partner FMH/H+/<br />
MTK dann konkret begonnen, ihr Wissen und ihre<br />
Erkenntnisse im Bereich TARMED zu bündeln. Die<br />
institutionellen Rahmenbedingungen wurden geschaffen,<br />
welche die Umsetzung der Roadmap ermöglichen.<br />
Die Herausforderung besteht primär<br />
darin, die Arbeiten in den verschiedenen Arbeitsgruppen<br />
zusammenzutragen und zu einem Gesamtpaket<br />
zu fusionieren. Folgende Gremien sind momentan<br />
aktiv an der Arbeit:<br />
Abbildung 3<br />
Gremien der tripartiten Zusammenarbeit FMH/H+/MTK.<br />
Mehrere Fachteams haben in den letzten Wochen<br />
ihre Arbeit aufgenommen. Die betroffenen medizinischen<br />
Fachgesellschaften konnten den Tarifpartnern<br />
ihre Verbesserungsvorschläge präsentieren, die<br />
nun gemeinsam diskutiert und validiert werden.<br />
Revisionsprojekt santésuisse – Austausch<br />
von Grundlagen<br />
Auch der vierte Tarifpartner santésuisse arbeitet an<br />
einem Revisionsprojekt TARMED, das verschiedene<br />
Teilprojekte umfasst. Sowohl santésuisse wie auch<br />
die FMH erachten es <strong>als</strong> sinnvoll, die Grundlagen<br />
und Überlegungen – die den beiden Revisionsprojekten<br />
zugrunde liegen – auszutauschen und somit<br />
Transparenz zu schaffen. Dies wurde in einer gemeinsamen<br />
Absichtserklärung festgehalten. Eine<br />
A rbeitsgruppe ist gebildet, die Arbeitsgrundlagen<br />
ausgetauscht und diskutiert.<br />
Ausblick<br />
Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter dem Projektteam<br />
von TARVISION und allen beteiligten Partnern. An<br />
dieser Stelle sei allen Akteuren, die mit ihrem zum<br />
Teil ausserordentlichen Engagement zum guten<br />
Fortschreiten der Arbeiten beigetragen haben, gedankt.<br />
Ein besonderer Dank gilt allen Mitgliedern<br />
des Technischen Ausschusses TARVISION, ohne die<br />
die zeitgleiche Umsetzung verschiedener Vorhaben<br />
in dieser kurzen Zeitspanne nicht möglich gewesen<br />
wäre.<br />
Die Gesamtrevision eines solch umfassenden<br />
Tarifwerkes wie dem TARMED ist und bleibt eine<br />
g rosse Herausforderung. Wir werden uns auch im<br />
angelaufenen Jahr motiviert und engagiert weiter für<br />
einen sachgerechten, betriebswirtschaftlich korrekten<br />
Tarif einsetzen. Die Roadmap dazu steht!<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 93
Aktuell FMH<br />
HSM Onkologie: Speerspitze einer<br />
Zentralisierung der ambulanten Versorgung?<br />
Jürg Nadig a ,<br />
Günther Gruber b ,<br />
Markus Trutmann c ,<br />
Marcus Schwöbel d ,<br />
Stephan Eberhard e ,<br />
Erika Ziltener f ,<br />
Urs Saxer g ,<br />
Andreas Lohri h<br />
a <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />
für Medizinische Onkologie<br />
(SGMO)<br />
b <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />
für Radioonkologie (SRO)<br />
c foederatio medicorum<br />
chirurgicorum helvetica<br />
fmCh<br />
d Kinderchirurgie<br />
e Oncoreha.ch<br />
f Dachverband <strong>Schweizerische</strong>r<br />
Patientenstellen (DVSP)<br />
g Prof. Dr. iur. Rechtsanwalt,<br />
Zürich, VR Spital Männedorf<br />
AG, Rechtskonsulent KKA<br />
h Leiter Onkologie Hämatologie,<br />
Medizinische<br />
Universitätsklinik,<br />
Kantonsspital Baselland,<br />
Standort Liestal<br />
* In den Industrieländern<br />
basieren solche CCC auf 10–<br />
20 Millionen Einwohnern. Sie<br />
integrieren Behandlung und<br />
Betreuung, Weiter und Fort <br />
bildung, klinische Forschung<br />
und Grundlagenforschung.<br />
Wie die regionalen CCC mit<br />
weniger <strong>als</strong> einer Million<br />
Einwohner in der Schweiz<br />
dem Kriterium 4.3.4.3.b.<br />
der IV HSM «Internationale<br />
Konkurrenzfähigkeit»<br />
genügen wollen, bleibt offen.<br />
Korrespondenz:<br />
Dr. med. Jürg Nadig, MAE<br />
Präsident der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
Gesellschaft für Medizinische<br />
Onkologie<br />
Facharzt für Innere Medizin<br />
und Medizinische Onkologie<br />
Bannhaldenstrasse 7<br />
CH8180 Bülach<br />
Tel. 044 862 73 00<br />
Fax 044 862 73 01<br />
juerg.nadig[at]hin.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Hochspezialisierte Medizin (HSM) Onkologie: ein<br />
Papiertiger oder Speerspitze einer zentralistischen<br />
Versorgungsstruktur?<br />
Am 11. 12. 2012 wurde der Bericht zur HSM Onkologie<br />
mit einer Vernehmlassungsfrist von nur fünf<br />
Wochen veröffentlicht (inkl. Feiertage), den eine Expertengruppe<br />
in den letzten drei Jahren ausgearbeitet<br />
hatte. Auf den ersten Blick scheint er ein Papiertiger<br />
zu sein: Die IVHSM (s. Kasten) kann über die<br />
Spitalliste lediglich etwa 5 % der onkologischen Versorgung<br />
regeln. Betroffen sind vor allem stationäre<br />
chirurgische Eingriffe. Auf den zweiten Blick wird<br />
das Konzept aber zur Speerspitze einer zentralistischen<br />
Versorgung im ambulanten Bereich. So umgesetzt,<br />
führt HSM Onkologie zu einem massiven Eingriff<br />
in die onkologische Versorgungsstruktur. Sieben<br />
sogenannte Comprehensive Cancer Centers (CCC)*<br />
legen parallel (!) in ihrer Region verbindlich Guidelines<br />
fest und lenken die Patientenströme (Einschränkung<br />
der freien Arzt und Spitalwahl). Die CCC teilen<br />
die Schweiz kartellistisch unter sich auf. Das Angebot<br />
der übrigen onkologischen Leistungserbringer wird<br />
ohne Grund beschnitten: Sie dürfen keine modernen<br />
zielgerichteten medikamentösen Therapien<br />
mehr anbieten, obwohl sie das bisher unbeanstandet<br />
in guter Qualität seit Jahren gemacht haben (Einschränkung<br />
der Therapierfreiheit). Für Patientinnen<br />
und Patienten könnte das bedeuten, dass solche Therapien<br />
von den Krankenkassen nur noch übernommen<br />
werden, wenn sie diese von einem CCC erhalten.<br />
Statt eines einzigen nationalen Qualitätsregisters<br />
führt jedes der sieben Zentren ein eigenes Register.<br />
Alle nachgelagerten Institutionen müssen ihre Daten<br />
diesen Registern zuliefern. Die Datenhoheit liegt<br />
beim einzelnen CCC. Es wertet sie aus und publiziert<br />
sie. Die CCC bestimmen zudem, mit welchen Leistungserbringern<br />
sie zusammenarbeiten wollen.<br />
Meinungsumfrage<br />
In einer repräsentativen Umfrage der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO)<br />
lehnten 98,5 % der Abstimmenden das HSMOnkologieKonzept<br />
ab und unterstützten das Qualitätskonzept,<br />
das die Fachgesellschaft bereits ausgearbeitet<br />
hat. Die Rückmeldungen kamen aus allen Versorgungsstrukturen<br />
(Universitäts, Kantons, Schwerpunkt<br />
und Privatspitäler, Gruppen und Einzelpraxen)<br />
und allen Landesteilen.<br />
Auch in den drei Bereichen Viszeralchirurgie,<br />
Kinderonkologie und Kinderchirurgie haben die Vor<br />
schläge des HSMFachorgans Widerstand und Unwillen<br />
provoziert. Sind hier lediglich die Partialinteressen<br />
einiger Ewiggestriger tangiert oder bestehen methodische<br />
Mängel am Vorgehen des Fachorgans der<br />
HSM oder überschreitet es sogar seine Kompetenzen?<br />
Ziel der IV HSM<br />
Mit der Interkantonalen Vereinbarung zur Hochspezialisierten<br />
Medizin (IVHSM) delegieren die Kantone<br />
in diesem Bereich die Gestaltung ihrer Spitallisten an<br />
das HSM – Beschlussorgan (Art. 9.1 IVHSM). So soll<br />
über die Kantonsgrenzen hinweg die hochspezialisierte<br />
Medizin im stationären Bereich koordiniert<br />
werden. Diese Vereinbarung beschränkt sich auf Bereiche<br />
und Leistungen, die durch<br />
– ihre Seltenheit,<br />
– ihr hohes Innovationspotential,<br />
– einen hohen personellen oder technischen<br />
Aufwand oder<br />
– komplexe Behandlungsverfahren<br />
gekennzeichnet sind. Für die Zuordnung müssen<br />
mindestens drei der genannten Kriterien erfüllt sein,<br />
wobei aber immer das der Seltenheit vorliegen muss<br />
(Art. 1 IVHSM).<br />
Vom Beschlussorgan angenommene und zugeteilte<br />
Leistungen heben abweichende kantonale Spi<br />
IVHSM<br />
Die Kantone sind beauftragt, für den Bereich der<br />
hochspezialisierten Medizin (HSM) eine gemeinsame<br />
gesamtschweizerische Planung im Spitalbereich<br />
vorzunehmen (Art. 39, Abs. 2bis KVG).<br />
Für die Umsetzung dieses Gesetzesauftrages haben<br />
die Kantone per 1. 1. 2009 die Interkantonale<br />
Vereinbarung zur Hochspezialisierten Medizin<br />
(IVHSM) unterzeichnet und sich damit zur<br />
gemeinsamen Planung und Zuteilung von hochspezialisierten<br />
Leistungen verpflichtet. Für die<br />
hochspezialisierte Medizin gibt es somit anstelle<br />
von 26 kantonalen Planungen nur noch eine<br />
einzige, von allen Kantonen gemeinsam getragene<br />
Planung. Die IVHSM bildet die gesetzliche<br />
Grundlage für die Leistungszuteilung, legt die<br />
Entscheidungsprozesse der IVHSM Organe fest<br />
und definiert die Kriterien, welche ein Leistungsbereich<br />
erfüllen muss, um <strong>als</strong> hochspezialisierte<br />
Medizin im Sinne der IVHSM zu gelten.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
94
Aktuell FMH<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
tallistenzulassungen auf (Art. 9.2 IVHSM). Das Beschlussorgan<br />
bestimmt die Bereiche der HSM, die<br />
einer schweizweiten Konzentration bedürfen. (Art.<br />
3.3 IVHSM). Ein Fachorgan bereitet die Entscheidungen<br />
des Beschlussorgans vor. Die IVHSM legt fest,<br />
welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, dass<br />
eine Dienstleistung überhaupt zugeteilt werden kann<br />
(Art. 4.3 IVHSM):<br />
a) Wirksamkeit<br />
b) Nutzen<br />
c) Technologischökonomische Lebensdauer<br />
d) Kosten der Leistung<br />
Für den letzten Schritt, die Zuteilung an einzelne<br />
Leistungserbringer oder Institutionen, sind Qualität,<br />
Verfügbarkeit von hochqualifiziertem Personal und<br />
Teambildung, Verfügbarkeit der unterstützenden Disziplinen,<br />
Wirtschaftlichkeit und Weiterentwicklungspotential<br />
zu berücksichtigen. Die vom Fachorgan vorbereiteten<br />
Beschlüsse müssen fachbezogen und wissenschaftlich<br />
begründet sein (Art. 4.5 IVHSM).<br />
Bisherige Entscheide zur HSM<br />
In den letzten drei Jahren wurden zu bestimmten,<br />
genau umschriebenen Eingriffen Beschlüsse gefasst:<br />
Es wurde festgelegt, welche Voraussetzung für die<br />
Cochleaimplantate nötig seien und wo die Protonentherapie<br />
angeboten wird. Für die Neurochirurgie<br />
wurde die stereotaktische Chirurgie der anormalen<br />
Bewegungen und tiefe Hirnstimulation geregelt. Bei<br />
all diesen Bereichen ging es um Handlungskompetenzen<br />
in einem eng umschriebenen Gebiet mit<br />
hohem Innovationspotential. Diese Eingriffe sind<br />
<strong>als</strong> CHOPCodes im SwissDRGTarif für stationäre<br />
Leistungen abgebildet. Nur eine scheinbare Ausnahme<br />
bildet die Versorgung der Schwerverletzten.<br />
Für ihre Behandlung braucht es aber eine hohe<br />
Handlungskompetenz verschiedener Disziplinen,<br />
die zeitnahe zusammenarbeiten und die unmittelbare<br />
Nachbehandlung koordinieren müssen.<br />
Krankheiten sind weder wirksam noch<br />
haben sie eine technologisch-<br />
ökonomische Lebensdauer<br />
Um in die Liste der HSMBereiche aufgenommen zu<br />
werden, ist Wirksamkeit, Nutzen, technologischökonomische<br />
Lebensdauer und Kosten der Leistung zu<br />
berücksichtigen(Art. 4.4.1 IVHSM). Somit sind im<br />
Rahmen der IVHSM einzelne Leistungen/Eingriffe zu<br />
beurteilen und zuzuweisen. Es geht nicht um eine<br />
Globalvollmacht, Versorgungsgebiete aufzuteilen.<br />
Seltene Krankheiten per se erfüllen die Aufnahmekriterien<br />
der HSM nicht. Sie sind weder wirksam<br />
noch nützlich. Ihnen fehlt eine technologischökonomische<br />
Lebensdauer. Es können nur einzelne Behandlungen<br />
oder Eingriffe, die diese Kriterien bei seltenen<br />
Krankheiten erfüllen, in die Liste der HSM<br />
Bereiche aufgenommen werden. Alle bis jetzt geregelten<br />
Bereiche waren mit einer Handlungskompe<br />
tenz verknüpft, die allenfalls koordiniert, zeitgleich<br />
von verschiedenen Spezialisten am gleichen Ort erbracht<br />
werden muss (Komplexe Behandlungsverfahren:<br />
Verbrennungen oder Schwerstverletzte) weshalb<br />
in Art. 4.3.4.2c IVHSM die ständige Verfügbarkeit der<br />
unterstützenden Disziplinen in gewissen Bereichen<br />
zu Recht eingefordert wird. Ein komplexes Behandlungsverfahren<br />
aus zeitlich gestaffelten, ambulant<br />
oder stationär erbrachten Routineeingriffen fällt<br />
nicht unter die IVHSMRegelung, auch wenn die<br />
Krankheit selten ist. Es verlangt nach einem Behandlungskonzept<br />
mit verbindlicher Koordination der<br />
einzelnen Behandlungen, bspw. an einem (virtuellen)<br />
Tumorboard. Solche Behandlungskonzepte auszuarbeiten<br />
verlangt Wissenskompetenz. Expertise ist<br />
nicht an bauliche Strukturen, sondern an Personen<br />
gebunden.<br />
Mit dem Bericht zur HSM Onkologie überschreitet<br />
das Fachorgan die gesetzlichen Rahmenbedingungen.<br />
Es regelt nicht mehr die Zuteilung einzelner stationärer<br />
Leistungen (Knochenmarktransplantation,<br />
Whippel Operation, Extremitätenperfusion …), sondern<br />
schafft primär zentralistische Strukturen. Diese<br />
verursachen zwar durchaus Kosten und mehr unnötige<br />
Arbeit, kaum aber Nutzen. Selbst das Fachorgan<br />
der HSM Onkologie ist sich des Nutzens nicht sicher,<br />
schreibt es doch auf Seite 12, «dass durch eine<br />
schweizweite Koordination und Konzentration eine<br />
qualitative Verbesserung der Versorgung plausibel<br />
erscheint und voraussichtlich erreicht werden<br />
kann». Damit bestätigt es den Mangel an hierfür beweisenden<br />
Daten. Es geht lediglich von Annahmen<br />
aus. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass Entscheide<br />
fachbezogen und wissenschaftlich sein müssten<br />
(Art. 4.5.3 IVHSM). Die Fachgesellschaft schlägt<br />
<strong>als</strong> zielführende Alternative fachgesellschaftseigene<br />
Qualitätsregister vor.<br />
Anträge sind fachbezogen<br />
und wissenschaftlich begründet<br />
Mit Qualitätsregister der Fachgesellschaft und Vollkosten<br />
liesse sich das Gesundheitswesen rationaler<br />
steuern <strong>als</strong> mit planwirtschaftlichen Eingriffen. DRG<br />
und neue Spitalfinanzierung sind ein erster Schritt zu<br />
mehr Kostentransparenz. Bezüglich Qualitätsdaten<br />
ist die Schweiz aber ein Entwicklungsland. Deshalb<br />
stützen sich die Entscheidungsträger oft auf Strukturkriterien<br />
ausländischer Empfehlungen. Es gibt aber<br />
einen Bereich, in dem Qualitätsdaten vorliegen: Im<br />
nationalen Kinderkrebsregister sind Behandlungs<br />
und Outcomedaten vorhanden. Was läge näher, <strong>als</strong><br />
diese Qualitätsdaten für einen fachbezogenen und<br />
wissenschaftlich begründeten Zuteilungsentscheid<br />
zu verwenden (Art. 4.3.5 IVHSM)? Das Fachorgan<br />
begnügt sich aber mit dem Zählen von Eingriffen,<br />
die auf Strukturkriterien der Europäischen Gesellschaft<br />
für Pädiatrie beruhen! Scheute das Fachorgan<br />
die Kinderkrebsregisterdaten, weil sie eine sehr hohe<br />
Behandlungsqualität belegen? Bei einer hohen Qua<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 95
Aktuell FMH<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
lität besteht kein Regelbedarf. Die Konzentration<br />
führt kaum zu einer Qualitätsverbesserung, da sie<br />
bereits sehr hoch ist. Gleichzeitig wurde verpasst, die<br />
ausländischen Strukturkriterien an unseren Outcome<br />
daten zu validieren. Verschiedene Studien zeigen,<br />
dass eine Zentralisierung nicht mit einer besseren<br />
Qualität einhergehen muss.<br />
Verbessert die Zentralisierung<br />
die bereits vorhandene hohe Qualität?<br />
Vielleicht würden wir bei einem Fach wie der Neurochirurgie<br />
spontan sagen, die Konzentration auf<br />
wenige Orte sei zum Wohle der Kranken. Nun zeigt<br />
aber eine Untersuchung aus Norwegen, dass dem<br />
nicht zwangsläufig so ist. Das gleiche lässt sich für<br />
die Behandlung des Brustkrebses zeigen: Krebsregisterdaten<br />
aus Genf weisen für zentrale (Universitätsspital<br />
Genf) und dezentrale (niedergelassene<br />
Onkologen) Versorgungssysteme eine sehr hohe Behandlungsqualität<br />
aus. Stadien adaptiert ist der Outcome<br />
im Zentrum nicht besser <strong>als</strong> bei den niedergelassenen<br />
Onkologen. Ein gleiches Resultat zeigte eine<br />
kürzlich erschienene Studie zur Behandlung des M.<br />
Hodgkin in Deutschland: Die Behandlungsqualität<br />
an CCC ist gleich gut wie in kleineren Zentren und<br />
bei den niedergelassenen Onkologen. Ist die Qualität<br />
bereits sehr hoch, sind mit einer Zentralisierung<br />
kaum weitere Verbesserungen möglich.<br />
Transparente Prozesse<br />
und unabhängige Experten?<br />
Wenn nun höhere Behandlungsqualität in der Onkologie<br />
nicht an CCC gebunden ist, welche Interessen<br />
verstecken sich denn hinter einer Zentralisierung?<br />
Die von der HSMLeitung beigezogenen Expertinnen<br />
und Experten sind nicht bekannt. Ihre Partikularinteressen<br />
werden nicht offengelegt. Somit fehlt dem<br />
Zentralisierungsprozess nicht nur die rechtliche<br />
Grundlage. Die methodischen Mängel und die fehlende<br />
Transparenz wecken Zweifel am vorgeschlagenen<br />
Konzept. Es bräuchte gute Gründe, den Ein<br />
druck zu zerstreuen, ein kleiner Club von Interessensvertretern<br />
instrumentalisierten die HSM<br />
Onkologie, um unter dem Banner der Qualitätssicherung<br />
für sich selbst passende Regeln und eine<br />
Ausgrenzung der nichtuniversitären Onkologen zu<br />
schaffen.<br />
Wissen an Fachleute und nicht<br />
an Strukturen knüpfen: das Qualitätskonzept<br />
der Fachgesellschaften<br />
Die Fachgesellschaften der Radioonkologen und der<br />
Medizinischen Onkologen erarbeiteten zusammen<br />
mit der Onkologiepflege Schweiz ein Qualitätskonzept.<br />
Es beinhaltet interdisziplinäre Tumorboards und<br />
die Behandlung nach internationalen Guidelines. Zudem<br />
sollen Patientenpfade von den beteiligten Fachgesellschaften<br />
in der SAQM erarbeitet werden. Ein<br />
nationales Qualitätsregister der Fachgesellschaften<br />
basierend auf den Krebsregisterdaten ermöglicht<br />
Rückmeldungen der Behandlungsqualität an die<br />
einzelnen Leistungserbringer. Virtuelle (inter)nationale<br />
Kompetenzzentren für seltene Tumorkrankheiten<br />
mit interdisziplinären Tumorboards sollen den<br />
niederschwelligen Zugang zu Spezialistenwissen ermöglichen.<br />
Die im Swiss Cancer Network zusammengeschlossenen<br />
Fachärzte verpflichten sich<br />
schon heute, ihre Patientinnen und Patienten nach<br />
diesen Standards zu behandeln. Dieses Konzept<br />
braucht nicht 7 CCC, sondern ein <strong>Schweizerische</strong>s<br />
KrebsNetzwerk, das die Aktivitäten auf verschiedenen<br />
Versorgungsebenen und in verschiedenen Bereichen<br />
(Vorsorge und Prävention, Behandlung und<br />
Betreuung Forschung) koordiniert. Den Fachgesellschaften<br />
und den Berufs organisationen ist eine<br />
hohe Behandlungs und Betreuungsqualität ein zentrales<br />
Anliegen. Die SAQM ist das geeignete Gefäss,<br />
diese Aktivitäten zu koor dinieren. HSM Onkologie<br />
aber sollte Leistungen (CHOPCodes im DRGTarif)<br />
für komplexe Eingriffe bei seltenen Krankheiten zuteilen,<br />
beispielsweise: Intraperitoneale Chemotherapie<br />
oder die Extremitätenperfusion.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 96
Nachrufe FMH<br />
In memoriam Reinhard Fischer<br />
Dr. med. Reinhard Fischer<br />
(1920–2012)<br />
1 Heim UFA. Das Phänomen<br />
AO. Bern: Hans Huber;<br />
2001.S. 80.<br />
2 Fischer R. Ein halbes<br />
Jahrhundert Varizenchirurgie.<br />
Phlebologie.<br />
2009;5:5.<br />
3 Fischer R. Die chirurgische<br />
Behandlung der Varizen.<br />
Grundlagen und heutiger<br />
Stand. Praxis.<br />
1990;79:155–67.<br />
4 Hermanns HJ. Reinhard<br />
Fischer zum 90. Geburtstag.<br />
Phlebologie.<br />
2011;1:34–5.<br />
5 Fischer R, Linde N, Duff C<br />
et al. Das Crosserezidiv –<br />
eine Nachkontrolle nach<br />
34 Jahren. Phlebologie.<br />
2000; 29:17–22.<br />
6 Fischer R, Chandler JG,<br />
DeMaeseneer M, et al. The<br />
unresolved problem of<br />
recurrent saphenofemoral<br />
reflux. J Am Coll Surg.<br />
2002;195(1):80–94.<br />
7 Fischer R, Kluess HG,<br />
Frings N et al. Der aktuelle<br />
Stand der MagnakrossenrezidivForschung.<br />
Phlebologie. 2003;32:<br />
54–9.<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
«Mir scheint, wir sind noch nicht am Ziel.»<br />
(Reinhard Fischer an der SGP-Jahresversammlung<br />
am 29. Mai 2009 in Bern)<br />
Reinhard Fischer war Chirurg, Allgemeinchirurg mit<br />
einem sehr breiten Berufsspektrum, so wie es dam<strong>als</strong><br />
üblich war. Man findet ihn auf der legendären Fotografie<br />
vom ersten AOKurs in Davos ganz links<br />
a ussen [1]. In der Mitte wird Maurice Müller in<br />
einem Korb von Hans Willenegger und Walter Stähli<br />
getragen. Reinhard Fischer lacht im Gruppenbild<br />
wie alle andern, es war am Ende des ersten Kurses …<br />
Und Reinhard Fischer erweist dann viel später seinem<br />
damaligen Bieler Schulkameraden und auch<br />
Lehrer Maurice E. Müller die Ehre in seinem Rückblick<br />
«ein halbes Jahrhundert Varizenchirurgie» [2]<br />
«der mit der Einführung der unmittelbaren posttraumatischen<br />
stabilen Osteosynthese Abertausenden<br />
ein postthrombotisches Syndrom ersparte». Es ist<br />
typisch für ihn, dass er auch in einem Moment der<br />
persönlichen Reflexion und der Würdigung seiner<br />
Verdienste altruistisch jener Leute gedachte, die ihn<br />
in seiner Laufbahn beeinflusst und gefördert haben.<br />
1959 wurde Reinhard Fischer Spitalleiter und<br />
Chefarzt am Gemeindespital Wattwil. Nach der<br />
Verselbstständigung von Medizin und Gynäkologie/<br />
Geburtshilfe und Anästhesie war er Chefarzt der<br />
Chirurgie bis zu seiner Pensionierung 1985. Er gründete<br />
in dieser Zeit auch die Pflegerinnenschule<br />
Toggen burgLinth (nach dem Rückzug der Ingenbohlerschwestern)<br />
und war Mitbegründer der Schule<br />
für technische Operationsassistentinnen, TOA.<br />
Seine Ausbildung begann er <strong>als</strong> Stipendiat an<br />
der Pathologie in Utrecht, dann an der gynäkologischgeburtshilflichen<br />
Abteilung in Biel. Danach<br />
chirurgische Ausbildung am Kantonsspital St. Gallen,<br />
Oberarzt am Spital Walenstadt. Einen wichtigen Einfluss<br />
auf seine Berufslaufbahn mit seinem speziellen<br />
Interesse an der Varizenchirurgie hatte sein Fellowship<br />
an der Gefässchirurgie an der Mayo Clinic in<br />
Rochester/USA, bei T.T. Myers, der ihn (zusammen<br />
mit den ebenfalls gefässinteressierten Gebrüdern K.<br />
und E. Lofgren) «die StrippingOperation mit der<br />
korrekten Crossectomie lehrte» [2]. Und die Varizenchirurgie<br />
sollte ihn zeitlebens nicht mehr loslassen,<br />
«… wenn die vena saphena magna genau an ihrer<br />
Mündung in die vena femoralis ligiert und abgetragen<br />
wird, nachdem dort jeder letzte und kleinste Seitenast<br />
entfernt worden ist. Das ist ein gutes Resultat»<br />
[3]. Ende der 80er Jahre gründete er den «Arbeitskreis<br />
für Varizenchirurgie» und organisierte zusammen<br />
mit befreundeten Phlebologen und Varizenchirurgen<br />
die Kurse für Varizenchirurgie vor der jeweiligen<br />
Jahrestagung der <strong>Schweizerische</strong>n Gesellschaft für<br />
Phlebologie, SGP. Man traf sich in Montana, in<br />
Lenzerheide ... Teilnehmer waren nicht etwa junge<br />
Assistenten, sondern gestandene chirurgische Chefärzte<br />
und leitende Ärzte. Man sprach von weniger invasiven<br />
Operationstechniken wie dem invaginierenden<br />
Stripping, der Miniphlebektomie nach Müller,<br />
und vom Verschluss der kleinen Incisionen mit<br />
Operationsfolienstreifen (und er betonte dann – <strong>als</strong><br />
«sehr aktives AOMitglied» [1] – stets, dass dieser<br />
Wundverschluss der Zuggurtungstechnik in der<br />
Osteo synthese entspräche). Es kam die endoskopische<br />
Perforantendiszision (anstelle der invasiven<br />
Perforantenligatur durch den wundheilungsproblematischen<br />
Lintonzugang), die Fischer unter direkter<br />
Sicht mit einem Kinderrectoskop durchführte. Er<br />
gründete mit Kollegen die Arbeitsgemeinschaft für<br />
Fasziotomie und Endoskopie, AFE. 2003 wurde daraus<br />
die Arbeitsgemeinschaft für operative Ulcuschirurgie,<br />
OUTAG [4]. Es ist einmal mehr typisch für die<br />
Schweiz, dass wegweisende chirurgische Innovationen<br />
aus der Spitalperipherie kamen, die AO tat’s, die<br />
laparoskopische Chirurgie tat’s, und die neue Varizenchirurgie<br />
kam aus Wattwil.<br />
Fischer kannte seine Varizenresultate. Berühmt<br />
ist seine Publikation mit der Nachkontrolle 34 Jahre<br />
(!) nach chirurgischer Sanierung [5]. Man merkte,<br />
was man eigentlich schon lange wusste, dass Varizen<br />
«halt einfach wiederkommen» – auch bei bester<br />
Operationstechnik. Deshalb gründete er die Sapheno-<br />
femoral recurrence research group, SRRG. Die Mitglieder<br />
kamen aus der ganzen Welt: vanRij aus Neuseeland,<br />
Earnshaw aus England, deMaeseneer aus Belgien,<br />
Creton aus Frankreich, Frings aus Deutschland und<br />
viele andere mehr. Eine ganz spezielle Freundschaft<br />
verband ihn mit Jim Chandler von Boulder/Denver,<br />
USA [6]. Mit den neuen endoluminalen Techniken<br />
kamen dann Zweifel auf am Dogma der korrekten<br />
Crossectomie, «dass wir jetzt wissen, dass Krosserezidive<br />
auch nach korrekter Krossektomie vorkommen,<br />
bedeutet (noch?) lange nicht, dass man sie aufgeben<br />
soll» [7]. Fischer war ein Sucher, ein Perfektionist,<br />
ein sympathisch bescheidener, ein gelassener Lehrer<br />
und ein Unternehmergeist [4]. Wir – seine Schüler –<br />
treffen uns 2013 für das nächste SRRGMeeting in<br />
München, denn «wir sind noch nicht am Ziel» in der<br />
Varizenbehandlung.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
PD Dr. med. Dominik Heim, Frutigen<br />
97
Personalien<br />
Todesfälle / Décès / Decessi<br />
Hans Schaub (1920), † 12.10.2012,<br />
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
4058 Basel<br />
István Világhy (1942), † 30.11.2012,<br />
Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe,<br />
9941 Ispánk HU<br />
Andrée G. Berger (1918), † 12.12.2012,<br />
1286 Soral<br />
Franz Amberg (1921), † 19.12.2012,<br />
Facharzt für Pneumologie und Facharzt für<br />
Allgemeine Innere Medizin, 6045 Meggen<br />
Miro Makek (1944), † 27.12.2012,<br />
8006 Zürich<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Praxiseröffnung /<br />
Nouveaux cabinets médicaux /<br />
Nuovi studi medici<br />
AG<br />
Jürgen Michael Hein,<br />
Facharzt für Anästhesiologie,<br />
Brestenbergstrasse 17, 5707 Seengen<br />
Marcus Weiland,<br />
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
Marktgasse 15, 4310 Rheinfelden<br />
BE<br />
Beat Künzli,<br />
Facharzt für Chirurgie, Schänzlihalde 1,<br />
3013 Bern<br />
BL<br />
Hakan Sarikaya,<br />
Facharzt für Neurologie, Langenhagweg 12,<br />
4153 Reinach BL<br />
FR<br />
Corinne Nathalie Beaube,<br />
Spécialiste en ophtalmologie,<br />
5, avenue Jean-Paul II, 1752 Villars-sur-Glâne<br />
GR<br />
Judith Bianca Valentin,<br />
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin,<br />
Medizinisches Zentrum gleis d,<br />
Gürtelstrasse 46, 7000 Chur<br />
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TG<br />
FMH<br />
Oliver Rossbach,<br />
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
Hauptstrasse 14, 8280 Kreuzlingen<br />
ZH<br />
Claudia Furrer-Kübler,<br />
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin,<br />
Kinderarztpraxis Römerhof,<br />
Klosbachstrasse 111, 8032 Zürich<br />
Florian Stephan Götze,<br />
Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe,<br />
Alte Landstrasse 112, 8702 Zollikon<br />
Sebastian Kluge,<br />
Facharzt für Chirurgie und Handchirurgie,<br />
Bahnhofstrasse 137, 8620 Wetzikon<br />
Ginette Landolt-Koller,<br />
Fachärztin für Ophthalmologie, Augenarztpraxis<br />
Landolt, Dorfstrasse 43, 8630 Rüti<br />
Michael Reutemann, Facharzt für Allgemeine<br />
Innere Medizin, Rössligasse 11, 8180 Bülach<br />
98
Personalien FMH<br />
Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />
Ärztlicher Bezirksverein Bern Regio<br />
Zur Aufnahme <strong>als</strong> ordentliche Mitglieder haben<br />
sich angemeldet:<br />
Clarissa Huber, Fachärztin für Dermatologie<br />
und Venerologie FMH, c/o Dres. Görog und<br />
Göschke, Schanzenstrasse 1, 3008 Bern<br />
Jens Sommer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie<br />
FMH, Kreuzgasse 15, 3076 Worb<br />
Zur Aufnahme <strong>als</strong> ordentliches Mitglied in leitender<br />
Funktion hat sich angemeldet:<br />
Nils Kucher, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie<br />
und Angiologie, Universitätsklinik für<br />
Angiologie, Inselspital, 3010 Bern<br />
Einsprachen gegen diese Vorhaben müssen innerhalb<br />
14 Tagen seit dieser Veröffentlichung<br />
schriftlich und begründet beim Präsidenten<br />
des Ärztlichen Bezirksvereins Bern Regio eingereicht<br />
werden. Nach Ablauf der Einsprachefrist<br />
entscheidet der Vorstand über die Aufnahme<br />
der Gesuche und über die allfälligen Einsprachen.<br />
Ärztegesellschaft<br />
des Kantons Luzern<br />
Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion<br />
Stadt haben sich angemeldet:<br />
Jeremy Philipp Howell, Facharzt für Ophthalmologie<br />
FMH, Augenklinik Luzerner Kantonsspital,<br />
6000 Luzern 16<br />
Corinna Malik, Allg. Innere Medizin FMH, Praxisgemeinschaft<br />
c/o Elke Torff, Morgartenstrasse<br />
6, 6003 Luzern<br />
Yvonne Schoch Zysset, Fachärztin für Allgemeine<br />
Innere Medizin FMH, spez. Nephrologie, Centramed,<br />
Frankenstrasse 2, 6002 Luzern<br />
Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion<br />
Gäu haben sich angemeldet:<br />
Bernadette Batard-Pampuch, Allg. Innere Medizin<br />
FMH, c/o Dr. Pius Estermann, Dorfchärn 2,<br />
6247 Schötz<br />
Joachim Ulrich Manstein, Facharzt für Gynäkologie<br />
und Geburtshilfe FMH, Luzerner Kantonsspital,<br />
6210 Sursee<br />
Einsprachen sind innert zwanzig Tagen nach<br />
der Publikation schriftlich und begründet zu<br />
richten an: Ärztegesellschaft des Kantons Luzern,<br />
Schwanenplatz 7, 6004 Luzern.<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug<br />
Zur Aufnahme in die Ärzte-Gesellschaft des<br />
Kantons Zug <strong>als</strong> ordentliches Mitglied hat sich<br />
angemeldet:<br />
Annett Ramseier, Fachärztin für Neurologie<br />
FMH, Lindenweg 1, 8916 Jonen<br />
Einsprachen gegen diese Kandidatur müssen<br />
innerhalb 14 Tagen seit dieser Veröffentlichung<br />
schriftlich und begründet beim Sekretariat der<br />
Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug eingereicht<br />
werden. Nach Ablauf der Einsprachefrist entscheidet<br />
der Vorstand über Gesuch und allfällige<br />
Einsprachen.<br />
Preise/ Prix<br />
Nationaler Latsis-Preis 2012 /<br />
Prix Latsis national 2012<br />
Jacques Fellay von der ETH Lausanne (EPFL) erhält<br />
den mit 100 000 Schweizer Franken dotierten<br />
Nationalen Latsis-Preis 2012. Der <strong>Schweizerische</strong><br />
Nationalfonds ehrt den Förderungsprofessor<br />
für seine Arbeiten über die im<br />
menschlichen Erbgut enthaltenen Abwehrkräfte<br />
gegen virale Krankheiten wie etwa Aids.<br />
Seine Forschung bewegt sich an der Schnittstelle<br />
zwischen Genomik und Infektionskrankheiten<br />
und zeigt, dass die in unseren Genen<br />
enthaltenen Informationen wertvolle Behandlungswerkzeuge<br />
gegen virale Krankheiten sind.<br />
Jacques Fellay de la Faculté des Sciences de la Vie<br />
de l’EPFL a reçu le Prix Latsis national 2012 doté<br />
de 100 000 francs suisses. Le Fonds national suisse<br />
rend honneur à ce professeur boursier pour ses travaux<br />
sur les forces contenues dans le génome humain<br />
pour contrer les maladies virales telles que le<br />
sida. Ses recherches se situent à la frontière entre la<br />
génomique et les maladies infectieuses; elles<br />
montrent que les informations contenues dans nos<br />
gènes constituent des outils de traitement contre les<br />
maladies virales.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 99
SGIM ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT<br />
Ein praxisorientiertes Management-Fortbildungsangebot für Ärzte und medizinisches<br />
Kaderpersonal von SGIM und FHNW<br />
CAS Management of Medical Units<br />
JeanMichel Gaspoz a ,<br />
Lukas Zemp b ,<br />
Volker Bernhard Schulte c<br />
a Prof. Dr. med., Vorsteher des<br />
SGIM-Präsidiums<br />
b Gener<strong>als</strong>ekretär/Geschäftsstellenleiter<br />
SGIM<br />
c Prof. Dr. , Head Competence<br />
Center Health Management,<br />
Hochschule für Wirtschaft<br />
FHNW<br />
Korrespondenz:<br />
<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />
für Allgemeine Innere Medizin<br />
Solothurnerstrasse 68<br />
Postfach 422<br />
CH-4008 Basel<br />
Tel. 061 225 93 30<br />
Fax 061 225 93 31<br />
sgim[at]sgim.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Ärzte, die Karriere im Spital oder in einer Praxis machen wollen, müssen in zuneh-<br />
mendem Masse unternehmerische Aufgaben wahrnehmen. Hierfür werden sie wäh-<br />
rend des Studiums jedoch kaum ausgebildet. Die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für<br />
Allgemeine Innere Medizin (SGIM) bietet ab April 2013 in Zusammenarbeit mit der<br />
Hochschule für Wirtschaft FHNW eine praxisorientierte Managementausbildung<br />
CAS Management of Medical Units an.<br />
Zunehmend sind neben ihrer medizinischen Kern-<br />
und Fachkompetenz auch Management- und Führungskompetenzen<br />
gefordert. Doch all das, was heute<br />
unter Führung und Management subsumiert wird,<br />
fehlt den Ärzten in der Regel völlig. Zusehends sind<br />
aber gerade diese Qualitäten gefragt, um <strong>als</strong> Kader im<br />
Spital, in der Gruppenpraxis oder <strong>als</strong> «freier Unternehmer»<br />
in der Hausarztpraxis bestehen zu können.<br />
Hier setzt das neue Fortbildungsangebot, das Certificate<br />
of Advanced Studies (CAS) in Management of Medical<br />
Units, der <strong>Schweizerische</strong>n Gesellschaft für Allgemeine<br />
Innere Medizin (SGIM) in Zusammenarbeit<br />
mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)<br />
an.<br />
Planbarer Aufwand und grosser Nutzen<br />
Die SGIM bietet in Zusammenarbeit mit der Hochschule<br />
für Wirtschaft FHNW ab April bis August 2013<br />
in Olten einen massgeschneiderten Zertifikatskurs<br />
«CAS Management of Medical Units» für Ärzte sowie<br />
medizinisches Kaderpersonal an. Der Kurs umfasst<br />
14 Fortbildungstage. Der Anmeldeschluss dafür ist<br />
Ende März 2013. Beim neuen Fortbildungsangebot<br />
handelt es sich 2013 um ein Pilotprojekt in der deut-<br />
schen Schweiz. Das in der Schweiz einzigartige Angebot<br />
baut auf den Elementen eines bewährten international<br />
angebotenen Executive Master in Business<br />
Administration EMBA der Hochschule für Wirtschaft<br />
FHNW auf und orientiert sich gleichzeitig an den spezifischen<br />
Bedürfnissen von Ärzten in Ambulanz und<br />
Spital. Die CAS Management of Medical Units integriert<br />
allgemeine betriebswirtschaftliche Kenntnisse<br />
mit spezifischen Themen des Gesundheitsmanagements.<br />
Grosses Plus: ECTS und SIWF-Credits<br />
Die erfolgreichen Absolventen des neuen Zertifikatskurses<br />
erhalten 15 ECTS-Punkte. ECTS (European<br />
Credit Transfer and Accumulation System) ist ein System<br />
zur Förderung von Transparenz zwischen europäischen<br />
Bildungssystemen. Zudem sind pro Jahr<br />
25 SIWF-Credits im Rahmen der erweiterten Fortbildung<br />
anrechenbar, total innerhalb einer Fortbildungsperiode<br />
von drei Jahren maximal 75 SIWF-<br />
Credits für erweiterte Fortbildung.<br />
Zusätzliche Informationen sind zu finden<br />
unter www.fhnw.ch/wirtschaft/weiterbildung/cas<br />
oder www.sgim.ch/veranstaltung.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
100
Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Pharmacovigilance und Spontanmeldungen<br />
unerwünschter Arzneimittelwirkungen 10 Jahre<br />
nach Inkrafttreten des Heilmittelgesetzes<br />
Guy Levy a , Pia Caduff b ,<br />
Rudolf Stoller c<br />
a Dr. med., Senior Clinical<br />
Reviewer, Einheit Pharmacovigilance,<br />
Abt. Arzneimittelsicherheit,<br />
Swissmedic<br />
b Dr. med., Leiterin der Einheit<br />
Pharmacovigilance, Abteilung<br />
Arzneimittelsicherheit,<br />
Swissmedic<br />
c Leiter der Abteilung<br />
Arzneimittelsicherheit,<br />
Swissmedic<br />
Korrespondenz:<br />
Swissmedic, <strong>Schweizerische</strong>s<br />
Heilmittelinstitut<br />
Dr. med. Guy Levy<br />
Hallerstrasse 7<br />
Postfach<br />
CH3000 Bern 9<br />
Tel. 031 323 86 22<br />
Fax 031 322 04 18<br />
guy.levy[at]swissmedic.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Das Ziel der Pharmacovigilance [1] besteht darin, die<br />
Kenntnis über bekannte unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />
(UAW) zu erweitern und – seltener – neue<br />
UAW zu identifizieren und diese Informationen den medizinischen<br />
Fachkreisen und den Patienten zugänglich zu<br />
machen. Ein gutes Beispiel für ein bekanntes Risiko ist die<br />
Schwierigkeit, bei jungen Frauen unter hormonalen<br />
Kontrazeptiva die Diagnose einer Lungenembolie zu vermuten.<br />
Ein Beispiel für ein neues Risiko ist die Nephrogene<br />
Systemische Fibrose (NSF) bei Patienten mit Niereninsuffizienz<br />
nach Verabreichung eines Gadolinium<br />
Kontrastmittels. Besonders wichtig ist, dass die an Swissmedic<br />
berichteten Meldungen, ob von medizinischen<br />
Fachpersonen stammend oder nicht, genaue Angaben<br />
zu den unerwarteten Aspekten und zum neuartigen<br />
Charakter der UAW enthalten. Die «Good Pharmacovigilance<br />
Practice» legt Qualitätskriterien für UAW<br />
Meldungen fest. Der vorliegende Artikel gibt den aktuellen<br />
Stand im Jahr 2012 wieder. Ausserdem weist er auf<br />
die Meldepflicht und die Voraussetzungen hin, die es<br />
Swissmedic ermöglichen, die Arzneimittelsicherheit zu<br />
verbessern.<br />
Geschichtlicher Hintergrund<br />
Allgemeines<br />
Zwar geht die Erwähnung unerwünschter Wirkungen<br />
von Arzneimitteln bereits auf die Antike zurück,<br />
aber erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts schenkten<br />
die Ärzte den schweren Komplikationen nach der<br />
Verabreichung bestimmter Arzneimittel die angemessene<br />
Aufmerksamkeit: Chloroform konnte bei<br />
der Einleitung der Anästhesie Kammerflimmern mit<br />
Todesfolge auslösen (aus diesem Grund wurde seit<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts auf dieses Mittel verzichtet),<br />
Arsen führte zu Leberzytolyse (1922), oder<br />
während der Schwangerschaft verschriebenes Thalidomid<br />
(1957–1961) zu Missbildungen des Fetus<br />
(Phokomelie/Mikromelie).<br />
Weil Arzneimittel heute auf einer globalen Ebene<br />
angewendet werden, haben die WHO und die nationalen<br />
Berufsverbände ihre Bemühungen koordiniert<br />
und verschiedene Arbeitsplattformen und Datenbanken<br />
geschaffen. Dazu gehören:<br />
– das 1968 geschaffene «WHO Pilot Research Project<br />
for International Drug Monitoring»;<br />
– das «Uppsala Monitoring Center (UMC)», das<br />
seit 1978 die Koordination zwischen dem «WHO<br />
Programme for International Drug Monitoring»<br />
und den über 130 Mitgliedsländern sicherstellt,<br />
namentlich mit einer Datenbank (VigiBase), die<br />
mehr <strong>als</strong> 7,5 Millionen Meldungen umfasst;<br />
– die 1989 gegründete «International Society of<br />
Pharmacoepidemiology»;<br />
– die 1990 geschaffene «International Conference<br />
on Harmonisation»;<br />
– die 1992 geschaffene «European (International)<br />
Society of Pharmacovigilance».<br />
Unter Einbezug dieser Institutionen konnten zahlreiche<br />
Arzneimittelrisiken erfasst und abgeklärt werden,<br />
geeignete Vorsichtsmassnahmen getroffen und,<br />
in selteneren Fällen, Arzneimittel vom Markt genommen<br />
werden, deren Anwendung mit schweren<br />
UAW verbunden war.<br />
Die Pharmacovigilance ist ein Fachgebiet, das<br />
sich zwar dynamisch entwickelt, das aber bisher in<br />
der medizinischen Welt – gemessen an der Anzahl<br />
von Publikationen – immer noch ein Schattendasein<br />
fristet. In der Schweiz erschienen dazu in den letzten<br />
10 Jahren durchschnittlich nur 6 Publikationen pro<br />
Jahr in der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong> und seit<br />
2001 insgesamt 19 Artikel im <strong>Schweizerische</strong>n MedizinForum,<br />
im Ausland sind in der Datenbank<br />
PubMed unter der Rubrik «Signal detection Pharmacovigilance»<br />
insgesamt nur gerade 93 Dokumente<br />
erfasst.<br />
Wir möchten anlässlich dieses Jubiläums in Erinnerung<br />
rufen, welche Voraussetzungen für eine gute<br />
Pharmacovigilance erforderlich sind und welche<br />
Bedeutung diese für die öffentliche Gesundheit hat.<br />
Pharmacovigilance in der Schweiz<br />
Die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Wirkstoffs<br />
werden zuerst im Rahmen von Phase2 oder<br />
Phase3Studien an Gruppen untersucht, die aus<br />
einigen Tausend nach genauen Kriterien ausgewählten<br />
Patienten bestehen. In dieser Phase werden nur<br />
die häufigsten UAW (Häufigkeit > 1 bis 2 %) identifiziert.<br />
Erst mit der Marktzulassung, d. h. wenn die<br />
Arzneimittel bei einer viel grösseren Bevölkerungsgruppe<br />
zur Anwendung kommen, lassen sich auch<br />
seltenere UAW in Erfahrung bringen. Auf dieser<br />
Grundlage wird das Sicherheitsprofil aktualisiert<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
101
Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
und allenfalls das RisikoNutzenVerhältnis dementsprechend<br />
angepasst.<br />
Die wichtigste Methode zum Erkennen von UAW<br />
ist die Spontanmeldung: Bereits einige wenige, richtig<br />
dokumentierte Fälle können eine risiko<br />
mindernde Massnahme auslösen und schnelle Entscheidungen<br />
zum Schutz der Patienten ermöglichen.<br />
Das <strong>Schweizerische</strong> Heilmittelinstitut Swissmedic<br />
ging 2002 aus der Zusammenlegung der IKS<br />
und der Facheinheit Heilmittel des BAG hervor.<br />
Gemäss dem im gleichen Jahr in Kraft getretenen<br />
Heilmittelgesetz (Art. 58 und 59 HMG) ist Swissmedic<br />
zuständig «für die Überwachung der Sicherheit<br />
der Heilmittel», für das Sammeln der Meldungen,<br />
für deren Auswertung und «für die erforderlichen<br />
Verwaltungsmassnahmen». Diese Massnahmen können<br />
darin bestehen, dass die Fachinformation aktualisiert<br />
(Art. 67, Abs. 1) oder dass eine Zulassung widerrufen<br />
wird (Art. 66 Abs. 2, Bst. b).<br />
Medizinische Fachpersonen und alle, die Heilmittel<br />
herstellen, gewerbsmässig verabreichen oder<br />
abgeben, sind verpflichtet, das Auftreten einer unerwünschten<br />
Wirkung zu melden (Art. 59, Abs. 3).<br />
Konsumenten und Patienten können ebenfalls unerwünschte<br />
Wirkungen melden (Art. 59, Abs. 4).<br />
Die Meldungen sind an die regionalen PharmacovigilanceZentren<br />
zu richten (gemäss Abbildung<br />
unten).<br />
Heilmittelgesetz: Gesetzliche Meldepflicht von<br />
medizinischen Fachpersonen bei Verdacht auf<br />
unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />
Definition einer unerwünschten Arzneimittelwirkung<br />
(UAW)<br />
Als UAW wird im engeren Sinne gemäss WHODefinition<br />
jede schädliche, unbeabsichtigte Wirkung<br />
bezeichnet, die während der Anwendung eines Arzneimittels<br />
in üblicher Dosierung auftritt. Fälle von<br />
Missbrauch (übermässige Dosis oder ungerechtfertigte<br />
Verlängerung der Anwendungsdauer, Verwendung<br />
entgegen der medizinischen Indikation), Abhängigkeit<br />
und Sucht sind ebenso relevant für die<br />
Sicherheit eines Arzneimittels und müssen gemeldet<br />
werden. Dasselbe gilt für beobachtete Komplikationen<br />
unter nicht zugelassenen oder illegalen Arzneimitteln.<br />
Die Meldung<br />
Die Vorgaben – was muss gemeldet werden, wer<br />
ist meldepflichtig, wie melden, an wen ist die Meldung<br />
zu richten? – sind auf unserer Website aufgeführt<br />
unter: www.swissmedic.ch/marktueber<br />
wachung/00091/00136/00137/index.html?lang=de<br />
Was passiert nach der Meldung?<br />
Nach dem Eingang einer Meldung sendet das regionale<br />
PharmacovigilanceZentrum der meldenden<br />
Person eine Empfangsbestätigung mit einer Referenznummer<br />
und einem Kommentar. Das regionale<br />
Zentrum beurteilt die eingegangenen Daten und<br />
gibt sie (nach vollständiger Anonymisierung) in die<br />
nationale PharmacovigilanceDatenbank der Swissmedic<br />
in Bern ein. Swissmedic leitet alle schwerwiegenden<br />
oder neuen Fälle an die betroffenen Vertriebsfirmen<br />
weiter. Diese erhalten auf Anfrage auch<br />
Zugang zu allen Daten, die eines ihrer Produkte<br />
b etreffen. Schliesslich übermittelt das nationale<br />
Zentrum die Meldungen an die internationale Datenbank<br />
der WHO in Uppsala/Schweden. Diese Datenbank<br />
umfasst gegenwärtig fast 8 Millionen Meldungen,<br />
die auch dem nationalen PharmacovigilanceZentrum<br />
für spezifische Nachforschungen zur<br />
Verfügung stehen.<br />
In der Abbildung auf der nächsten Seite ist die<br />
Entwicklung der Anzahl der Meldungen im Laufe<br />
der vergangenen 10 Jahre dargestellt: Es lässt sich<br />
eine kontinuierliche Zunahme bis 2009 beobachten,<br />
gefolgt von einer stabilen Phase, welche durch die<br />
Zunahme der Meldungen aus der Industrie überdeckt<br />
wird. Eine höhere Zahl bedeutet allerdings<br />
nicht unbedingt auch eine höhere Qualität.<br />
Die Qualität der Meldung ist<br />
eine entscheidende Voraussetzung<br />
Die tägliche Arbeit der Pharmacovigilance besteht<br />
im Wesentlichen darin, das Wissen über bekannte<br />
UAW zu verbessern. Ein gutes Beispiel sind Fälle<br />
von Lungenembolien bei jungen Frauen, die kombinierte<br />
hormonelle Kontrazeptiva anwenden. Die<br />
Meldungen zu dieser seit Jahrzehnten bekannten<br />
UAW haben aufgezeigt, wie schwierig es ist, die Verdachtsdiagnose<br />
in dieser Personengruppe zu stellen,<br />
die Risikofaktoren richtig zu gewichten, und wie<br />
wichtig die Instruktion der Anwenderinnen ist. Die<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 102
Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
aktuellen Berichte über Agranulozytosen unter<br />
MetamizolAnwendung wiederum zeigen, dass das<br />
Bewusstsein für dieses Risiko zurückgeht.<br />
Der Nachweis neuer Risiken (Nephrogene Systemische<br />
Fibrose bei Patienten mit Niereninsuffizienz<br />
nach Injektion von Gadolinium, KieferOsteonekrosen<br />
und atypische Frakturen unter Bisphosphonaten)<br />
ist ebenfalls wichtig, aber nicht die «raison<br />
d’être» der Pharmacovigilance.<br />
Damit die Ziele der Pharmacovigilance, die<br />
Daten einer Meldung einordnen und aus ihnen den<br />
maximalen Nutzen ziehen zu können, erreicht werden,<br />
müssen diese Meldungen qualitativen Mindestanforderungen<br />
genügen: Sie müssen die «Good<br />
Pharmacovigilance Practice» erfüllen und zwingend<br />
gewisse wichtige/zentrale Informationen enthalten.<br />
– Die «Good Pharmacovigilance Practice» legt fest,<br />
wie die von den medizinischen Fachpersonen<br />
und Patienten eingereichten Meldungen über<br />
UAW gesammelt, verwaltet, recherchiert und<br />
evaluiert werden müssen, damit Schäden bei den<br />
Patienten, so weit möglich, vermieden werden<br />
können.<br />
– Die wichtigsten Angaben betreffen folgende<br />
Aspekte:<br />
– Spezifischer Grund für die Meldung: Was ist<br />
mir <strong>als</strong> Melder aufgefallen, welche Information<br />
will ich primär weitergeben und mit allen<br />
Beteiligten austauschen;<br />
– Der Ursprung der Meldung, wobei diese je<br />
nach Urheber – medizinische Fachperson oder<br />
Patient – unterschiedliche Qualität aufweisen<br />
kann;<br />
– Alter und Geschlecht des Patienten (wodurch<br />
doppelte Einträge vermieden werden können);<br />
– Beschreibung (wichtigste Symptome) und<br />
Chronologie der UAW (Datum des Auftretens<br />
und Entwicklung, Besserung nach Behandlungsabbruch);<br />
– Die angewendeten Arzneimittel (Angaben mit<br />
Behandlungsbeginn und ende, Dosierung,<br />
Verabreichungsweg, Indikation);<br />
– Vorhandene Risikofaktoren/Begleiterkrankun<br />
gen (Allergien, Nieren, Leber oder Lungenschäden,<br />
Alkoholmissbrauch, usw.);<br />
– Differentialdiagnose: mögliche nichtmedikamentöse<br />
Ursachen (z. B. bei Leberschäden<br />
Anamnese einer Alkoholabhängigkeit, Gallenwegsobstruktion,<br />
virale Serologie).<br />
Möglichkeiten und Grenzen des Systems<br />
Mit Hilfe einer Datenbank, in der die Spontanmeldungen<br />
erfasst sind, lassen sich wichtige Sicherheitssignale<br />
erkennen. In den vergangenen Jahren<br />
haben jedoch auch FollowupStudien von behandelten<br />
Patienten (Beobachtungsstudien) und Analysen<br />
klinischer Studien (Metaanalysen) sowie epidemiologische<br />
Studien einen zunehmenden Einfluss,<br />
wenn es um die Rolle von Medikamenten <strong>als</strong> auslösender<br />
Faktor von Erkrankungen oder häufiger<br />
UAW und deren Inzidenz geht [2, 3].<br />
So konnte ein Zusammenhang hergestellt werden<br />
zwischen:<br />
– Hormonsubstitutionstherapie und Brustkrebs;<br />
– NSAR und HerzKreislaufErkrankungen;<br />
– SerotoninWiederaufnahmehemmern (SSRI) und<br />
erhöhtem Suizidrisiko bei Kindern und Jugendlichen;<br />
– Neuroleptika bei älteren Menschen oder bei<br />
Demenzkranken und Schlaganfall;<br />
– Anticholinergika zur Inhalation und Infarkt;<br />
– Ezetimib und Krebs;<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 103
Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
– Antidiabetika (Glitazon) und Infarkten oder Frakturen;<br />
– Bisphosphonaten und Vorhofflimmern oder<br />
«Low energy fractures»;<br />
– Omeprazol oder anderen Protonenpumpenhemmern<br />
und Frakturen.<br />
Jedes Jahr treten weltweit Tausende von potentiell<br />
fatalen Fällen mit gastrointestinalen Blutungen auf,<br />
die nachweislich durch NSAR, Antikoagulantien<br />
oder Thrombozytenaggregationshemmer verursacht<br />
werden.<br />
Gerade weil diese Ereignisse so häufig sind, führen<br />
sie paradoxerweise in vielen Fällen nicht zu einer<br />
Spontanmeldung. Seltene und neue Ereignisse erhalten<br />
von medizinischen Fachpersonen am meisten<br />
Aufmerksamkeit und werden deshalb eher gemeldet.<br />
Sie wecken auch eher das Interesse der Medien. So<br />
kam es in den vergangenen Jahren am häufigsten zu<br />
einem Marktrückzug nach der Beobachtung von<br />
UAW, die seltene Erkrankungen betrafen.<br />
Die wichtigste Methode zum Erkennen von unerwünsch<br />
ten Arzneimittel wirkungen ist die Spontanmeldung.<br />
Eine Grenze der Systemerfassung besteht deshalb<br />
darin, dass zu selten gemeldet wird, da das Verfassen<br />
einer Meldung von der Motivation der Person<br />
abhängt, welche die UAW festgestellt hat (Arzt, andere<br />
medizinische Fachperson, Patient). Das System<br />
erlaubt somit auch keine zuverlässige Aussage über<br />
die Häufigkeit einer UAW – weder die Anzahl der<br />
UAW noch die Zahl der behandelten Patienten werden<br />
systematisch erfasst.<br />
Damit das Wissen über UAW vertieft und die Prävention<br />
verbessert werden kann, muss einerseits die<br />
bestehende Organisation gestärkt, aber andererseits<br />
auch eine proaktivere Pharmacovigilance angestrebt<br />
werden.<br />
Vorteile für Patienten und<br />
medizinische Fachpersonen<br />
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind die Ursache<br />
von 3 bis 7 % der Hospitalisierungen [4] und<br />
die vierthäufigste Todesursache in den Industrieländern<br />
(WHOFact Sheets).<br />
Die Pharmacovigilance kann und muss deshalb<br />
aus folgenden Gründen eine Schlüsselrolle für die<br />
öffentliche Gesundheit spielen:<br />
– Medizinische Fachpersonen können damit abschätzen,<br />
ob die Anwendung eines Arzneimittels<br />
aufgrund der pharmakologischen Eigenschaften<br />
und der Risiken für UAW sinnvoll ist.<br />
– Patienten können damit die Ursache mehr<br />
oder weniger unangenehmer Symptome (Geschmacksstörungen,<br />
Haarausfall, Schläfrigkeit<br />
usw.) ebenso erkennen wie die Gefahr einer<br />
ernsthaften Erkrankung (HerzKreislaufEreignisse,<br />
Diabetes, Krebs usw.).<br />
Schlussfolgerungen<br />
In 10 Jahren wurde viel erreicht, aber es gibt noch<br />
viel zu verbessern:<br />
– Weiterführung und Stärkung der Fortbildung<br />
und des Knowhows der medizinischen Fachpersonen<br />
und der PharmacovigilanceVerantwortlichen<br />
in den pharmazeutischen Unternehmen.<br />
Dies ist ein zentrales Anliegen, da es die Qualität<br />
der Meldungen und die Wirksamkeit des Systems<br />
verbessert.<br />
– Förderung der Zusammenarbeit mit den universitären<br />
Zentren.<br />
Seit mehreren Jahren informiert Swissmedic, u. a. auf<br />
ihrer Webseite sowie, gemeinsam mit den regionalen<br />
PVZentren, in Fachzeitschriften über die Pharmacovigilance.<br />
Die Information über Arzneimittelrisiken<br />
und Entscheidungsprozesse zu verstärken<br />
und transparent zu gestalten, ist eine ethische Verpflichtung<br />
gegenüber den Patienten und unabdingbar<br />
für das Vertrauen der Bevölkerung.<br />
Literatur<br />
1 Pharmacovigilance: ensuring the safe use of medicines –<br />
in WHO Policy Perspectives on Medicines – WHO/<br />
EDM/2004.9.<br />
2 Laporte JR. Connaissance des effets indésirables<br />
des médicaments: pour une pharmacovigilance plus<br />
ambitieuse. Rev Prescrire. 2010;30:391–3.<br />
3 Edwards IR. An agenda for UK clinical pharmacology.<br />
Pharmacovigilance. Br. J. Clin. Pharmacol. 2012; 73:<br />
979–82.<br />
4 Egger SS, Raymond G, Schlienger G, Krähenbühl S.<br />
Vorgehen bei unerwünschten Arzneimittelwirkungen.<br />
Schweiz Med Forum. 2005;5:292–6.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 104
IPI WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Das Institut für Praxisinformatik (IPI) und der Verband <strong>Schweizerische</strong>r Fachhäuser<br />
für Medizinal-Informatik (VSFM) ziehen am selben Strick<br />
Zusammenarbeit für eine bessere Nutzung<br />
von IT-Möglichkeiten<br />
Gerhard Schilling a ,<br />
Peter Amherd b<br />
a Präsident IPI, Vorstandsmitglied<br />
Hausärzte Schweiz<br />
b Präsident VSFM, Leiter<br />
Marketing und Verkauf HCI<br />
Solutions AG<br />
Korrespondenz:<br />
Dr. med. Gerhard Schilling<br />
Chlini Schanz 42<br />
CH-8260 Stein am Rhein<br />
Tel. 052 741 36 26<br />
Fax 052 741 39 26<br />
gerhard.schilling[at]hin.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Die Vorstände beider Institutionen haben sich im Dezember<br />
2012 zu Gesprächen getroffen. Zusammen hat man<br />
die gemeinsame Stossrichtung, die gemeinsamen Ziele<br />
und die gemeinsamen Aktivitäten entworfen und eine<br />
enge, aber unabhängige Zusammenarbeit initiiert. Dabei<br />
geht es einerseits um open Standards und die Migrierbarkeit<br />
der Daten, andrerseits um den Ausbau der elektronischen<br />
Krankengeschichten (eKG) mit hinterlegten Hilfstools.<br />
So sollen die vielfältigen Möglichkeiten von IT besser<br />
ausgeschöpft und damit Anreize und Mehrwert für die<br />
eKG, somit letztlich für die Ärztin und den Arzt, aber<br />
auch für die Patienten geschaffen werden.<br />
Sowohl die Protagonisten des neugegründeten Institutes<br />
für Praxisinformatik (IPI) [1] wie auch die<br />
Vertreter aus dem Vorstand des Verbandes der<br />
<strong>Schweizerische</strong>n Fachhäuser für Medizinal-Informatik<br />
(VSFM) arbeiten seit Jahren daran, dass die Informatikmittel<br />
konsequenter in den Praxen in der<br />
Schweiz eingesetzt werden. Praktisch jede Arztpraxis<br />
hat heute Informatikmittel im Einsatz. Gut 80 % der<br />
Praxen setzen ihre Informatik-Infrastruktur aber nur<br />
reduziert ein – beispielsweise für das Abrechnen und<br />
das Berichtswesen. In der Grundversorgung arbeiten<br />
heute in der Schweiz lediglich knapp 25 % der Praxen<br />
mit der elektronischen Krankengeschichte. 75 % der<br />
Praxen haben sich noch nicht für eine Umstellung<br />
dieses zentralen Prozesses in der Praxis entschieden,<br />
oder teilweise lehnt man eine solche Veränderung<br />
aus unterschiedlichen Gründen vorderhand kategorisch<br />
ab. Viele Entscheidungsträger in den Praxen<br />
sind verunsichert oder unschlüssig, es fehlt aber<br />
auch schlicht bis heute die notwendige Investitionssicherheit.<br />
Dies ist umso gravierender, <strong>als</strong> die ganze<br />
IT-Technologie tarifarisch in keiner Weise erfasst<br />
ist und der diesbezügliche finanzielle Aufwand beträchtlich<br />
ist.<br />
Es mangelt aber auch an der nötigen Zeit, sich<br />
dieses Themas differenziert anzunehmen, weshalb<br />
die Entschlussfassung teilweise auch vor sich hergeschoben<br />
wird. Der Umstellungsprozess bei laufender<br />
Praxis ist zudem aufwendig. Die bisher fehlende<br />
Migrierbarkeit der Daten und die damit verbundene<br />
Abhängigkeit von ihrem Softwarelieferanten blockieren<br />
bei vielen Praxisbetreibern zusätzlich den<br />
Veränderungswunsch. Die Daten gehören dem dokumentierenden<br />
Arzt. Was aber, wenn man die Software<br />
wechseln will oder sich Praxen zusammenschliessen?<br />
Wie kann sichergestellt werden, dass die<br />
Daten vollumfänglich und verlässlich auch wieder<br />
in die neue Software integriert werden können?<br />
Diese Grundvoraussetzungen fehlten bisher.<br />
Die elektronische Dokumentation wird<br />
sich durchsetzen<br />
Dass sich die digitale Arbeitsweise auch beim Dokumentieren<br />
der medizinischen Inhalte durchsetzen<br />
wird, ist sowohl bei den Vertretern der Praxen/Ärzte<br />
wie auch auf der Seite der Industrievertreter aus der<br />
Branche der Softwarehäuser unbestritten. Die Frage<br />
ist: Wann wird der Grossteil der Praxen umstellen,<br />
aber auch, in welchem Umfang und vor allem mit<br />
welchen Inhalten soll oder muss dokumentiert werden?<br />
Was sind die rechtlichen und vertraglichen<br />
Konsequenzen einer Umstellung auf die digitale<br />
Dokumentation und Kommunikation? Die Ärzteschaft<br />
will verhindern, dass über den politischen<br />
K anal oder über andere Interessengruppen aus dem<br />
Was sind die rechtlichen und vertraglichen Konsequenzen<br />
einer Umstellung auf digitale Dokumentation und Kommunikation?<br />
Gesundheitsmarkt praxisuntaugliche Ansätze in die<br />
Dokumentationsregeln einfliessen. Man will verständlicherweise<br />
selber bestimmen, was in welcher<br />
Form dokumentiert werden soll, und zu welchem<br />
Zweck welche Daten in die Krankengeschichte eingetragen<br />
werden. Die Ärzteschaft will die Qualität<br />
der Behandlungen weiter verbessern – auch mit<br />
Unterstützung der IT-Mittel. Die in den Krankengeschichten<br />
eingetragenen Daten bieten dafür die<br />
ideale Grundlage schon innerhalb der Praxis. Das<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
105
IPI WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Am 22. Juni 2012 war es endlich so weit: Unter dem Namen «Institut für Praxisinformatik»<br />
(IPI) wurde in Luzern ein Verein gegründet.<br />
Das IPI ist eine gemeinsame Initiative von<br />
– Hausärzte Schweiz (MFE)<br />
– Konferenz der kantonalen Ärztegesellschaften (KKA)<br />
– Institut für Hausarztmedizin Zürich (IHAMZ)<br />
Der Zweck des IPI<br />
– F örderung der elektronischen Dokumentation (eKG) in den Arztpraxen und<br />
S icherstellung der Praxistauglichkeit<br />
– D rehscheibe und Verbindungsfunktion zwischen praktizierender Ärzteschaft,<br />
SoftwareIndustrie und Politik<br />
– Mithilfe bei der Grundlagenarbeit (open Standards, Migrierbarkeit, Grobarchitektur<br />
der eKG usw.)<br />
– Dienstleistungen, Beratungen und Schulungen für die praktizierenden Ärzte<br />
– Politisches Lobbying für die Praxisinformatik<br />
Der Vorstand setzt sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:<br />
Dr. med. Gerhard Schilling, Präsident IPI und Vorstandsmitglied von Hausärzte Schweiz;<br />
Dr. med. Peter Wiedersheim, Vizepräsident IPI und CoPräsident der Konferenz der Kantonalen<br />
Ärztegesellschaften; Dr. med. Marco Zoller, Kassier und Vertreter des Instituts für Hausarztmedizin<br />
der Universität Zürich (assoziiertes Mitglied); Dr. med. MarcHenri Gauchat, Beisitzer<br />
und CoPräsident der Konferenz der Kantonalen Ärztegesellschaften; Dr. med. Heinz<br />
Bhend, Exec. Master of ICT, fachlicher Leiter IPI und Vertreter von Hausärzte Schweiz;<br />
Dr. med. Urs Stoffel, ständiger Gast, ZVFMH, Ressort eHealth 2<br />
Weitere Informationen zum IPI finden Sie unter www.praxisinformatik.ch<br />
Der VSFM – Verband <strong>Schweizerische</strong>r Fachhäuser<br />
für MedizinalInformatik<br />
Der Verband ist ein Verein im Sinne von Artikel 60ff. ZGB.<br />
Der Zweck des VSFM<br />
– die Interessen des Berufstandes zu wahren und zu fördern, insbesondere durch<br />
Stellungnahmen gegenüber der Öffentlichkeit und den Behörden, sowie durch<br />
Zusammenarbeit mit Institutionen, die sich ähnlichen Zielsetzungen widmen<br />
– die Anwendung von Normen und Qualitätsstandards in der medizinischen Informatik<br />
zu fördern<br />
– den fairen Wettbewerb in der Branche zu fördern<br />
Die Zusammensetzung des Vorstandes und die Mitgliederliste finden Sie unter<br />
www.vsfm.info.<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Potential und die Aussagekraft dieser Daten ist für<br />
die Forschung gewaltig. Die Absicht ist es daher, die<br />
Daten anonymisiert in noch grösserem Umfang zentral<br />
unter der Obhut der Ärzteschaft zu sammeln, sie<br />
auszuwerten und daraus Schlüsse zu ziehen – zum<br />
Nutzen der Praxisbetreiber in der ganzen Schweiz –<br />
vor allem aber auch zum Nutzen der Patientinnen<br />
und Patienten. Bereits heute sind wertvolle Daten im<br />
FIRE-Projekt [2] vorhanden (FIRE = family medicine<br />
icpc research using electronic medical records). Es gilt,<br />
diesen Weg für die Zukunft auszubauen und zu festigen.<br />
Die Softwarebranche kann hier mit dem Entwickeln<br />
von anwenderfreundlichen Tools dafür<br />
sorgen, dass die Daten schnell, einheitlich und in<br />
ge eigneter und strukturierter Form während der<br />
Konsultationen erfasst werden können.<br />
IPI und VSFM: Zusammenlegen von praxisnahem<br />
ärztlichem Wissen und<br />
technischer Kompetenz<br />
Damit aber die Softwarehäuser diese Entwicklungen<br />
überhaupt machen können, müssen sie Kenntnisse<br />
über das Wissen und die Bedürfnisse der Ärzteschaft<br />
haben und die Praxisabläufe kennen. Nicht jeder<br />
einzelne Arzt soll seine individuellen Ideen an die<br />
Softwarehäuser herantragen müssen. Das Institut für<br />
Praxisinformatik kann hier koordinierend wirken<br />
und mit dem Verband der Softwarehäuser zusammen<br />
Lösungsgrundlagen erarbeiten, die dann von<br />
allen Mitgliedfirmen des VSFM wiederum individuell<br />
in der Umsetzung genutzt werden können.<br />
«Clinical Decision Support Systems» wird mittelfristig<br />
eines der zentralen IT-Themen sein. Geeignete<br />
Monitoringsysteme müssen entwickelt werden, damit<br />
am Arbeitsplatz in den Praxen echter Nutzen<br />
generiert werden kann. Die Softwarebranche kann<br />
dies nur tun, wenn sie über einheitliche Grundlagen<br />
verfügt, auf denen sie individuell die vorgegebene<br />
Datenerfassungsstruktur abbilden kann. Die Vorgaben<br />
für die fachlichen Grundlagen können nur<br />
von der Ärzteschaft her kommen. Die Zusammenarbeit<br />
des IPI mit dem VSFM ist die Basis, um genau<br />
diese Ziele gemeinsam umsetzen zu können.<br />
Viele Ärztinnen und Ärzte wollen in<br />
der Evaluation und bei der Umsetzung<br />
beraten und begleitet werden<br />
Auf dem Weg zur Entscheidungsfindung kann das<br />
IPI seine Dienste den Praxisbetreibern anbieten. Die<br />
Vertreter des Institutes können zum Nutzen der ganzen<br />
Praxis ihr eigenes Wissen einbringen. Sie arbeiten<br />
selber tagtäglich in ihren Praxen mit ICT-Systemen<br />
– und das schon seit vielen Jahren. Die Beraterinnen<br />
und Berater der Software-Branche haben<br />
teilweise sehr grosse Erfahrung und lösen ihre<br />
Aufgabe sehr gut. Oft fehlt ihnen aber der ganz enge<br />
Bezug zum Praxisalltag, was bei den Interessenten zu<br />
einer Verunsicherung führen kann. Die IPI-Vertreter<br />
können deshalb im Bedarfsfall in der Konzeptionsphase,<br />
in der Evaluations- und in der Einführungsphase<br />
ihre Dienste und ihr Know-how einbringen.<br />
Sie verstehen sich nicht <strong>als</strong> «Konkurrenten» der<br />
Berater aus den Softwarehäusern, sondern <strong>als</strong> neu-<br />
trale, unterstützende Ergänzung – mit einem nachgewiesenen<br />
Praxisbezug. Die Geschäftsbeziehung<br />
zwischen den Softwareherstellern und ihren Kunden<br />
ist Sache dieser zwei Partner. Das IPI unterstützt<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 106
IPI WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
lediglich mit Erfahrungen «aus der Praxis – für die<br />
Praxis». Es begleitet die Evaluierenden allenfalls beratend<br />
bei den entscheidenden Fragestellungen und<br />
kann in den Gesprächen ein gewisses «Coaching»<br />
übernehmen. Wo sinnvoll und vertretbar, kann das<br />
IPI – ergänzend zu den Abklärungs- und Umsetzungsschritten<br />
der Softwarehäuser – eine gewisse<br />
Systematik in die Projekte einbringen. Die im VSFM<br />
organisierten Softwarehäuser begrüssen eine solche<br />
Unterstützung und Begleitung.<br />
Das IPI unterstützt mit Erfahrungen «aus der Praxis<br />
für die Praxis».<br />
Die Umsetzung der eHealthStrategie<br />
des Bundes muss praxistauglich und<br />
bottom up erfolgen<br />
Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, wo die Schnitt-<br />
und Nahtstellen zwischen den beratenden und den<br />
operativ tätigen Partnern besser geklärt werden müssen.<br />
Der professionelle und partnerschaftliche Umgang<br />
miteinander und die gemeinsam definierte<br />
einheitliche Stossrichtung sind aber eine gute Basis<br />
für gemeinsame neue Projekte, oder Umstellungs-<br />
und Erweiterungsprojekte. Lange Zeit waren die Rollen<br />
der Vertreter der Softwarehäuser und die Rolle<br />
der IPI-Vertreter unklar und umstritten. Die Ärzteschaft<br />
hat individuelle Entwicklungen erwartet und<br />
im Einzelfall ihre Bedürfnisse geltend gemacht. Von<br />
Kollektiven wie z. B. aus den Fachgesellschaften kam<br />
wenig Input. Umgekehrt hat sich die Softwarebranche<br />
über lange Zeit hinweg so verstanden, dass sie<br />
die medizinischen Anforderungen und Bedürfnisse<br />
wie auch die betriebswirtschaftlichen Belange genügend<br />
abdecken könne. Es braucht aber die fachliche<br />
Basis beider «Welten», um sowohl den Bedürfnissen<br />
der Ärzteschaft wie auch einer technisch<br />
einwandfreien Umsetzung der IT-Anforderungen gerecht<br />
zu werden. Genau hier wollen diese beiden<br />
Partner in der Zukunft eng zusammenarbeiten – und<br />
sich im Markt zum Nutzen der Praxisbetreiber ergänzen.<br />
Gemeinsam wurde eine klare Strategie mit verständlichen,<br />
gemeinsamen Zielen erarbeitet. Der<br />
Erfolg dieser Partnerschaft wird am Erreichen der<br />
gemeinsamen Ziele gemessen werden. Dazu braucht<br />
es eine gute und offene Kommunikation zwischen<br />
den Partnern. Die beiden Vorstände waren sich aber<br />
einig, dass man das Ziel einer alltagstauglichen Umstellung<br />
der Praxen auf die digitale Zukunft gemeinsam<br />
erreichen will. Bisher haben auch der Bund und<br />
eHealthSuisse dem Umstand einer praxistauglichen<br />
Umsetzung zu wenig Beachtung geschenkt. Die<br />
Kooperation der beiden Partner wird deshalb auch<br />
für die Politik und die eHealth-Strategie des Bundes<br />
positive Auswirkungen haben.<br />
Literatur<br />
1 Schilling G, Bhend H. IPI gegründet. PrimaryCare<br />
2012; 12(13):237–8.<br />
2 The FIRE project: a milestone for research in primary<br />
care in Switzerland. Chmiel C, Bhend H, Senn O,<br />
Zoller M, Rosemann T; Swiss Med Wkly.<br />
2011;140:w13142.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 107
Bericht von der Podiumsdiskussion der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />
vom 27. November 2012 in Basel<br />
Suizidhilfe – (k)eine ärztliche Aufgabe?<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />
Der Moderator und seine Podiumsgäste (v. l. n. r.): Alan Niederer, Klaus Bally, Marion Schafroth, Gabriela Stoppe, Jacques de Haller, Johannes Fischer. Fotos: R.B.<br />
Anna Sax<br />
anna.sax[at]saez.ch<br />
In den vergangenen Monaten veröffentlichte die <strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> meh-<br />
rere Artikel, die sich zu den medizinisch-ethischen Richtlinien der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 2004 äusserten, wonach «die Beihilfe<br />
zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit [ist], weil sie den Zielen der Medizin<br />
widerspricht». Darüber, ob diese Richtlinien noch zeitgemäss seien, fand Ende<br />
N ovember bei einem SÄZ-Podium eine engagierte und differenzierte Debatte statt.<br />
Freitod, Selbsttötung, Selbstmord oder Suizid – die<br />
verschiedenen Benennungen machen deutlich, wie<br />
ambivalent wir dem Umstand gegenüberstehen,<br />
dass Menschen ihrem Leben manchmal freiwillig<br />
ein Ende setzen. Gleich zum Einstieg projiziert der<br />
Gesprächsleiter Alan Niederer, der zugleich NZZ-<br />
Wissenschaftsredaktor und Arzt ist, alle vier Begriffe<br />
auf die Leinwand. Und er präsentiert ein paar Zahlen<br />
dazu: 1360 Suizide zählte man in der Schweiz im Jahr<br />
2007, das sind 2,2 Prozent aller Todesfälle. Im hohen<br />
Alter nimmt die Suizidrate rapide zu. Bei der organisierten<br />
Suizidhilfe geht die Statistik von ca. 400 Fällen<br />
pro Jahr aus. Sie betrifft vor allem ältere Menschen.<br />
Drei Voraussetzungen<br />
und ein Gewissensentscheid<br />
In der Schweiz ist Suizid legal und auch die Beihilfe<br />
zum Suizid, sofern keine selbstsüchtigen Beweggründe<br />
dahinterstecken. Suizidhilfeorganisationen<br />
wie EXIT und Dignitas arbeiten mit Ärztinnen und<br />
Ärzten zusammen, die für schwerkranke, sterbewillige<br />
Patientinnen und Patienten nach eingehenden<br />
Gesprächen und Abklärungen ein Rezept ausstellen<br />
für das todbringende Medikament. Die 2004 erstell-<br />
ten Richtlinien der SAMW sagen klar, dass Beihilfe<br />
zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit sei,<br />
während gleichzeitig der Patientenwillen zu respektieren<br />
sei. Damit steht der Arzt, die Ärztin vor einem<br />
Gewissensentscheid: Was wiegt schwerer, die ärztliche<br />
Pflicht zur Erhaltung des Lebens oder der<br />
Wunsch der Patientin, ihrem Leiden ein Ende zu bereiten?<br />
Die SAMW-Richtlinien entlasten den Arzt<br />
nicht von diesem Dilemma, nennen aber drei Voraussetzungen,<br />
die bei der Suizidhilfe erfüllt sein<br />
müssen: Die Patientin steht am Lebensende; alternative<br />
Möglichkeiten wurden erörtert und, soweit gewünscht,<br />
auch eingesetzt; die Patientin ist urteilsfähig,<br />
ihr Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren<br />
Druck entstanden und dauerhaft.<br />
Die Frage, ob Beihilfe zum Suizid eine ärztliche<br />
Aufgabe sei oder nicht, hat in der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
<strong>Ärztezeitung</strong> in den letzten Monaten zu einer intensiven<br />
Debatte geführt, die nun anlässlich der SÄZ-<br />
Podiumsdiskussion fortgesetzt wird. In Ärztekreisen<br />
gibt es Stimmen, welche die Haltung der SAMW für<br />
nicht mehr zeitgemäss halten und dafür plädieren,<br />
die Richtlinien von 2004 zu überarbeiten. Für diese<br />
Position steht auf dem Podium vorab die Anästhesie-<br />
Ärztin Marion Schafroth, Vorstandsmitglied von<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
108
Editores Medicorum Helveticorum<br />
EXIT, die sich in einem SÄZ-Artikel dezidiert dafür<br />
aussprach, dass Suizidhilfe eine ethisch gerechtfertigte<br />
medizinische Handlung sei, und zwar auch «bei<br />
unheilbar chronischem schwerem Leiden oder<br />
schwerer Behinderung». Schafroth bekennt sich in<br />
ihrem einleitenden Votum zu den Werten der Aufklärung<br />
und Eigenverantwortung, für die sie «<strong>als</strong><br />
Mensch, Ärztin und gesellschaftlich engagierte<br />
Frau» eintritt. Sie kümmere sich seit sechs Jahren bei<br />
EXIT um Menschen, die einen Sterbewunsch hätten,<br />
bisher etwa 100, und sie respektiere ihr Recht auf<br />
Selbstbestimmung. Sie klagt an: «Ärzte sind die<br />
natürlichen Bezugspersonen kranker Menschen. Die<br />
Sterbewilligen fühlen sich im Stich gelassen, wenn<br />
sie von ihnen keine Unterstützung erhalten.»<br />
Suizidhilfe <strong>als</strong> Ausnahmesituation<br />
Auf der gegenüberliegenden Seite des Podiums<br />
nimmt der Theologe Prof. Johannes Fischer Platz. Er<br />
hatte <strong>als</strong> ehemaliges Mitglied der Zentralen Ethikkommission<br />
die SAMW-Richtlinien mitentworfen.<br />
In einer Reaktion auf Schafroths Artikel thematisierte<br />
er in der SÄZ die Grundhaltung des ärztlichen<br />
Berufs, die dem Leben verpflichtet sei. Für ihn handelt<br />
es sich bei der Suizidhilfe um einen «Grenzfall<br />
der ärztlichen Fürsorge, der auf keinen Fall zur<br />
Pflicht erhoben werden darf». Zur Illustration seiner<br />
ablehnenden Haltung gegenüber Suizidhilfe <strong>als</strong> ärztlicher<br />
Tätigkeit beschreibt Fischer das Beispiel des<br />
Frankfurter Polizeivizepräsidenten, der einem Kindsentführer<br />
mit Folter drohte, falls er den Aufenthaltsort<br />
des Kindes nicht verrate. «Die Aufgabe des Polizisten<br />
ist es nicht, mit Folter zu drohen, sondern vor<br />
Folter zu schützen – er hat <strong>als</strong>o etwas gemacht, was<br />
seinem Beruf widerspricht.» Der Polizist sei vor<br />
einem Dilemma gestanden, so Fischer weiter, doch<br />
es habe sich um eine absolute Ausnahmesituation<br />
gehandelt. «Würde die Folter ins Recht aufgenommen,<br />
wäre das katastrophal.» Ebenso wenig dürfe<br />
Suizid hilfe zum Normalfall werden, schliesst er sein<br />
Votum, etwa indem Organisationen diese <strong>als</strong> Dienstleistungsangebot<br />
führten.<br />
«Die Sterbewilligen fühlen sich im Stich gelassen, wenn<br />
sie von Ärzten keine Unterstützung erhalten.» (M. Schafroth)<br />
Eher kritisch gegenüber eine Lockerung der<br />
SAMW-Richtlinien äussert sich auch die Psychiaterin<br />
Prof. Gabriela Stoppe. Als Leiterin der AG Mental<br />
Health und ältere Bevölkerung von Swiss Public<br />
Health setzt sie sich – unter anderem auch <strong>als</strong> Autorin<br />
in der SÄZ – seit langem dafür ein, dass der psychischen<br />
Gesundheit im Alter mehr Aufmerksamkeit<br />
zuteil wird. Stoppe hat lange Zeit auch in der<br />
Neurologie, Neurochirurgie und im Konsildienst gearbeitet<br />
und viel mit schwerkranken Menschen zu<br />
SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />
«Suizidhilfe ist ein Grenzfall der<br />
ärztlichen Fürsorge, der auf keinen<br />
Fall zur Pflicht erhoben werden<br />
darf.» (J. Fischer)<br />
tun gehabt. Sie sei aber nie gefragt worden, ob sie bei<br />
einem Suizid helfen wolle, hält sie fest. «Nun, da der<br />
Wunsch häufiger geäussert wird, sollten wir dringend<br />
darüber diskutieren, wie wir uns gegenüber dieser<br />
Frage verhalten: Hilfe beim Sterben ist eine zutiefst<br />
ärztliche Aufgabe, Suizidhilfe aber nicht.» Für<br />
Stoppe ist das ein wichtiger Unterschied. Sie bedauert,<br />
dass der Tod so sehr aus der Gesellschaft verbannt<br />
sei, dass viele glaubten, ein würdevoller Tod<br />
sei nur mit einem assistierten Suizid möglich.<br />
«Wenn jemand Suizidhilfe von mir wollte», so<br />
Stoppe, «würde ich zuerst fragen, wie er sich vorstellt,<br />
dass er sonst sterben würde.» Sie wünscht sich,<br />
dass mit mindestens so viel Energie wie über Suizidhilfe<br />
über die Frage diskutiert wird, was zum Suizidwunsch<br />
führt.<br />
Beschränkung auf das Lebensende<br />
<strong>als</strong> kritischer Punkt<br />
Jacques de Haller, der auf dem Podium sowohl die<br />
Optik der Standesorganisation FMH wie auch jene<br />
des Hausarztes vertritt, der er 20 Jahre lang war, ist<br />
mit Stoppes Unterscheidung zwischen Hilfe beim<br />
Sterben und Suizidhilfe einverstanden. «Das Sterben<br />
ist ein berührendes Thema», beginnt de Haller, «Palliative<br />
Care war meine erste ärztliche Leidenschaft.»<br />
Doch gebe es in der Schweiz auch das Recht auf Suizidhilfe,<br />
und die Ärztinnen dürften ihre beruflichen<br />
Kenntnisse auch in diesem Bereich anwenden. De<br />
Haller glaubt nicht, dass die SAMW-Richtlinien<br />
grundsätzlich veraltet seien, aber er hält das Kriterium<br />
für kritisch, wonach der sterbewillige Patient<br />
am Lebensende stehen muss. Manchmal gelte es<br />
auch, einen gewaltsamen Suizid zu verhindern:<br />
«Sterbehilfe betrifft nicht nur die Sterbewilligen<br />
selbst, sondern auch deren Familien und Umfeld.<br />
Ein gewalttätiger Suizid ist viel zerstörerischer und<br />
für die Angehörigen traumatisch.»<br />
Auf Nachfrage des Gesprächsleiters wird klar,<br />
dass die Beschränkung auf das Lebensende der Punkt<br />
ist, der die Befürworterinnen der Suizidbeihilfe am<br />
meisten stört. Für Schafroth ist es nicht tragbar, dass<br />
alte, polymorbide Menschen durch die Richtlinien<br />
fallen, wenn sie noch nicht am Lebensende stehen.<br />
Und auch de Haller will, dass unheilbar kranken<br />
oder behinderten Menschen geholfen werden kann,<br />
wenn sie genau wissen, dass sie sterben wollen.<br />
Niederer ist noch nicht zufrieden, er will es genauer<br />
wissen: «Werden Sie konkreter», fordert er insbesondere<br />
Schafroth auf: «Wo sind heute die<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 109
Das zahlreich erschienene Publikum diskutierte im BaZ CityForum engagiert mit.<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
wunden Punkte, und wie sieht eine gute Regelung<br />
aus?» Hier stellt sich heraus, dass für sie und andere<br />
ärztliche Suizidhelfer das «Anrüchige» ein Problem<br />
ist, das einem assistierten Suizid noch immer anhaftet.<br />
Juristisch gesehen handelt es sich um einen<br />
«aus sergewöhnlichen Todesfall», <strong>als</strong>o rückt die Polizei<br />
an und es kommt ein Gerichtsmediziner. Das sei<br />
für alle Beteiligten eine Belastung, so Schafroth, und<br />
für die Ärzte brauche die Hilfeleistung zum Suizid<br />
unter diesen Umständen umso mehr Überwindung.<br />
«Hilfe beim Sterben ist eine zutiefst ärztliche Aufgabe,<br />
Suizidhilfe aber nicht.» (G. Stoppe)<br />
Gesprächskompetenz verbessern<br />
An diesem Punkt schaltet sich Klaus Bally ein, Hausarzt<br />
seit 26 Jahren und Lehrbeauftragter am Institut<br />
für Hausarztmedizin der Universität Basel. Nein, das<br />
Problem sei nicht, dass die Begleitumstände eines assistierten<br />
Suizids Hausärzte davon abhielten, Suizidhilfe<br />
zu leisten, widerspricht er. «Es kommt oft vor,<br />
dass wir Wohnungen gemeinsam mit der Polizei betreten.»<br />
Ihm geht es um das Berufsethos <strong>als</strong> Arzt:<br />
«Ärzte sind im Vergleich zu anderen Berufsgruppen,<br />
etwa Juristen/-innen, zurückhaltender in dieser<br />
Frage.» Als Hausarzt, der seine Patientinnen manchmal<br />
über viele Monate und Jahre begleite, habe er<br />
die Erfahrung gemacht, dass ein Sterbewunsch entstehen<br />
und auch wieder verschwinden könne. Es sei<br />
SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />
<strong>als</strong>o wichtig, die Frage vor dem Langzeithintergrund<br />
zu betrachten und nicht in einer Momentaufnahme.<br />
Bally bringt die Gesprächskompetenz der Ärzte ins<br />
Spiel: «Es braucht Aus- und Weiterbildung in Gesprächsführung<br />
mit Patienten, die einen Suizidwunsch<br />
haben. Viele von ihnen können von ihrem<br />
Wunsch abgebracht und von der Palliativmedizin<br />
überzeugt werden», ist er sicher. Auch er selbst,<br />
räumt Bally ein, sei noch dabei, seine Gesprächskompetenz<br />
zu verbessern. Für gewisse Krankheitsbilder<br />
wie schwere langdauernde psychische und<br />
neurodegenerative Erkrankungen, bei denen das<br />
Lebens ende nicht absehbar sei, würden die aktuellen<br />
Richtlinien keine schlüssige Antwort geben. Deswegen<br />
müssten die SAMW-Richtlinien erweitert werden,<br />
um die Hausärzte auch in diesen schwierigen<br />
Situationen zu unterstützen.<br />
Ob es für die Suizidbeihilfe überhaupt Ärzte<br />
brauche, fragt nun Niederer in die Runde: «Sind sie<br />
wirklich Experten für den freiwilligen Tod?»<br />
«Nein», antwortet Schafroth, «aber wir haben<br />
Zugang zu den Medikamenten.» Die Urteilsfähigkeit<br />
könnte auch juristisch festgestellt werden, so Schafroth,<br />
und dann könnte eine staatliche Stelle das Medikament<br />
verschreiben. «Aber es ist normal, dass Gespräche<br />
über das Sterben zwischen Ärztin und Patientin<br />
stattfinden.» Auch de Haller stimmt zu, dass<br />
nicht unbedingt ein Arzt feststellen müsse, ob jemand<br />
urteilsfähig sei. «Entscheidend ist, dass dies<br />
auf wissenschaftlicher Basis geschieht. Und auf keinen<br />
Fall darf es der gleiche Arzt sein, der die Urteilsfähigkeit<br />
feststellt und das Medikament verschreibt.»<br />
Fischer beschäftigt etwas anderes: «Was wird aus<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 110
Editores Medicorum Helveticorum<br />
dem ärztlichen Beruf, wenn es für den Arzt gar keinen<br />
Konflikt mehr bedeutet, wenn ein Patient einen<br />
Suizidwunsch äussert und alle Voraussetzungen gemäss<br />
SAMW-Richtlinien erfüllt sind? Ist es ein Grenzfall<br />
ärztlicher Fürsorge, oder gehört es genauso zur<br />
ärztlichen Tätigkeit wie irgendeine Therapie?» Wenn<br />
Letzteres zur Grundeinstellung der Ärztinnen werde,<br />
so Fischer, dann sei das ein Problem. Die erste Aufgabe<br />
des Arztes bleibe die Verhinderung eines Suizids. Das<br />
schliesse nicht aus, dass ein Arzt doch einmal Hilfe<br />
bei einem Suizid leisten müsse, doch: «Das muss die<br />
absolute Ausnahme bleiben.»<br />
«Ein gewalttätiger Suizid ist viel zerstörerischer und für<br />
die Angehörigen traumatisch.» (J. de Haller)<br />
EXIT <strong>als</strong> Suizidpräventions-Organisation?<br />
Es folgt eine engagierte Diskussion über die Rolle der<br />
Ärztinnen und Ärzte, über Möglichkeiten des Missbrauchs<br />
und über den ökonomischen Druck, dem<br />
auch die Ärzteschaft zunehmend ausgesetzt ist. Die<br />
Diskussionsteilnehmenden sind sich darüber einig,<br />
dass es Grenzsituationen gibt und dass die Ärztinnen<br />
mit ihren Entscheidungen möglichst nicht alleingelassen<br />
werden sollten. Einigkeit besteht auch darüber,<br />
dass es Aufgabe des Arztes sei, die Patienten<br />
durchs Leben zu begleiten und auch den Tod zuzulassen.<br />
Zur Sprache kommt auch Suizidprävention,<br />
ein Thema, das vor allem Stoppe mehrm<strong>als</strong> aufs Tapet<br />
bringt: Gerade bei älteren Menschen gebe es inzwischen<br />
fast so viele assistierte wie nicht assistierte<br />
Suizide – mit anderen Worten, ein Teil der Suizide<br />
wandere zu Organisationen wie EXIT und Dignitas.<br />
«Das könnte doch eine Chance sein für Gespräche»,<br />
regt Stoppe an. «Organisierte Suizidhilfe könnte zugleich<br />
ein Ort sein, wo Suizidprävention stattfindet.»<br />
Bally, der es in seinen 26 Jahren <strong>als</strong> Hausarzt lediglich<br />
drei Mal erlebt hat, dass sich ein von ihm betreuter<br />
Patient für einen assistierten Suizid mit Unterstützung<br />
einer Sterbehilfeorganisation entschlossen<br />
und diesen auch durchgeführt hat, fordert die Hausärzte<br />
auf, sich nicht aus der Affäre zu ziehen, wenn<br />
SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />
das Gespräch auf Suizidhilfe kommt, sondern ihren<br />
Patienten so lange wie möglich beizustehen. «Manche<br />
Patientinnen kommen in gesunden Tagen mit<br />
dem EXIT-Ausweis in die Praxis. Es ist gut, wenn man<br />
diesen Ball aufgreift und frühzeitig darüber spricht.»<br />
Die anschliessenden Voten aus dem Publikum unterstützen<br />
mehrheitlich eine liberale Haltung zum assistierten<br />
Suizid, wobei zum Teil kritische Stimmen zu<br />
den Sterbehilfeorganisationen EXIT und Dignitas laut<br />
werden. Eine Internistin und Psychotherapeutin hebt<br />
jedoch die Leistungen von EXIT in der Suizidprävention<br />
heraus: «Keine Organisation hat so viel für die Palliativmedizin<br />
gemacht wie EXIT», versichert sie. Ein<br />
weiterer Aspekt kommt in der Publikumsdiskussion<br />
zur Sprache: In der Schweiz gibt es jährlich 400 begleitete<br />
Suizide, «mehr <strong>als</strong> ein Mensch pro Tag verlässt die<br />
Welt mit Hilfe eines Schweizer Arztes», wie sich ein<br />
Anästhesist ausdrückt. Doch laut Umfragen sind nur<br />
10 Prozent der Ärzte bereit, ein Rezept auszustellen.<br />
Das heisst, so vermutet Fischer, dass es faktisch zu einer<br />
Arbeitsteilung kommt zwischen Hausärztinnen<br />
und Sterbeorganisationen: Die Ärzte können an ihrem<br />
Ethos festhalten und bei ihren Patienten bleiben, bis<br />
diese zu einer Suizidhilfeorganisation gehen.<br />
Viele weitere Wortmeldungen müssen unberücksichtigt<br />
bleiben, weil die Zeit abgelaufen ist. Es ist<br />
deutlich geworden, dass das Thema die vielen anwesenden<br />
Ärztinnen und Ärzte und auch die wenigen<br />
Nicht-Ärzte berührt. Obwohl die Frage, ob Beihilfe<br />
zum Suizid eine ärztliche Aufgabe sei oder nicht, kontrovers<br />
bleibt, ist zu spüren, dass niemand einen geäusserten<br />
Sterbewunsch auf die leichte Schulter<br />
nimmt: Die Gratwanderung zwischen der Respektierung<br />
der Patientenautonomie und der Pflicht zur<br />
Erhaltung des Lebens bleibt schwierig, unabhängig<br />
von den SAMW-Richtlinien, deren Beibehaltung in<br />
einer Konsultativabstimmung vom Publikum etwa<br />
zur Hälfte befürwortet wird. Die andere Hälfte würde<br />
es begrüssen, wenn die SAMW einen Schritt weitergehen<br />
und die strengen Kriterien etwas lockern würde.<br />
«Viele Patienten können von ihrem Sterbewunsch abgebracht<br />
und von der Palliativmedizin überzeugt werden.» (K. Bally)<br />
Unter dem Strich bleibt der Eindruck einer engagierten<br />
und fairen Diskussion, bei der sich die Teilnehmenden<br />
gegenseitig zugehört haben. Vom<br />
Podium und auch aus dem Publikum sind interessante<br />
Impulse zum Weiterdenken gekommen.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 111
Podiumsdiskussion der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />
in Zusammenarbeit mit der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />
DRG / Neue Spitalfinanzierung –<br />
Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />
Urs Brügger<br />
Pierre-François<br />
Cuénoud<br />
Beat Gafner<br />
Heinz Schaad<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Carlo Conti<br />
Margrit Fässler<br />
Oliver Peters<br />
Anna Sax<br />
Die Einführung des Fallpauschalen-Systems Swiss-<br />
DRG und der neuen Spitalfinanzierung per 1. Januar<br />
2012 war von substantiellen Bedenken seitens der<br />
Ärzteschaft und weiterer betroffener Kreise begleitet –<br />
auch eine Moratoriumsforderung stand lange Zeit<br />
im Raum. Vor diesem Hintergrund wurden insbesondere<br />
aus Ärztekreisen eine genaue Beobachtung<br />
der Auswirkungen der Neuerungen und eine fundierte<br />
Begleitforschung gefordert.<br />
Auch wenn der Tenor nach einem Jahr lautet, die<br />
Einführung des neuen Systems sei unproblematischer<br />
erfolgt <strong>als</strong> erwartet, möchte die SÄZ mit einer<br />
Podiumsveranstaltung am Thema dranbleiben und<br />
zu einer differenzierten Zwischenbilanz beitragen.<br />
Diskutieren Sie mit<br />
Wie hat sich die Einführung der SwissDRG und der<br />
neuen Spitalfinanzierung auf die verschiedenen betroffenen<br />
Bereiche ausgewirkt? Was sagt die Begleitforschung<br />
über die Versorgungsqualität? Haben sich die<br />
Arbeitsbedingungen für die Spitalärztinnen und Spitalärzte<br />
verschlechtert? Bekommen die Hausärztinnen<br />
und Hausärzte die Auswirkungen des neuen Systems<br />
zu spüren? Wie sieht die Bilanz aus Sicht der Spitzenmedizin,<br />
speziell der Universitätsspitäler, aus? Wie ist<br />
der Systemwechsel aus ökonomischer Perspektive zu<br />
bewerten? Wird sich die Schweizer Spitallandschaft<br />
mittel- und langfristig grundlegend verändern?<br />
Mit dem Berner Podium möchte die <strong>Schweizerische</strong><br />
<strong>Ärztezeitung</strong> zu einer fundierten Auseinandersetzung<br />
mit diesen und weiteren Fragen rund um das<br />
Impulsreferat und Podium<br />
Die Veranstaltung wird eröffnet mit einem Impulsreferat<br />
von Dr. iur. Carlo Conti, Präsident der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK,<br />
Vorsteher des Gesundheitsdepartements Kanton<br />
Basel-Stadt und Verwaltungsrat Swiss DRG AG.<br />
Auf dem Podium diskutieren unter der Leitung von<br />
SÄZ-Redaktorin Anna Sax, lic. oec. publ., MHA:<br />
– Prof. Dr. oec. HSG Urs Brügger, Institutsleiter<br />
Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie<br />
(WIG) an der Zürcher Hochschule für Angewandte<br />
Wissenschaften ZHAW<br />
– Dr. med. Pierre-François Cuénoud, Vizepräsident<br />
der FMH, Verantwortlicher Ressort Tarife<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />
Thema SwissDRG / Neue Spitalfinanzierung beitragen.<br />
Der Einbezug des Publikums in die Diskussion<br />
ist zentraler Bestandteil des Konzepts der SÄZ-Podiumsveranstaltungen.<br />
Datum / Zeit / Ort<br />
Die Podiumsveranstaltung mit anschliessendem<br />
Apéro findet statt am Mittwoch, 30. Januar 2013,<br />
18.00–20.00 Uhr, im Empire-Saal des Restaurants<br />
«Zum Äusseren Stand», Zeughausgasse 17, Bern.<br />
Anmeldung<br />
Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung<br />
ist aber erforderlich.<br />
Anmeldungen können bis Montag, 28. Januar<br />
2013, via E-Mail an redaktion.saez[at]emh.ch oder<br />
via Fax an 061 467 85 56 erfolgen. Bitte Ihren Namen<br />
und die Namen allfälliger Begleitpersonen sowie<br />
das Stichwort «Anmeldung zum SÄZ-Podium vom<br />
30. Januar» angeben. Auch tele fonische Anmeldungen<br />
sind vormittags unter 061 467 85 72 möglich.<br />
Veranstaltungspartner<br />
Die Podiumsdiskussion wird in Zusammenarbeit mit<br />
der Ärztegesellschaft des Kantons Bern organisiert.<br />
Die Durchführung des Anlasses wird möglich dank<br />
grosszügiger Unterstützung durch Interpharma, den<br />
Verband der forschenden pharmazeutischen Industrie.<br />
Die Verantwortung für Konzept und Inhalt des<br />
Podiums liegt ausschliesslich bei der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
<strong>Ärztezeitung</strong>.<br />
und Gesundheitsökonomie Spitalärzte, Verwaltungsrat<br />
SwissDRG AG<br />
– Dr. med. Margrit Fässler, Mitarbeiterin am<br />
Institut für Biomedizinische Ethik der Universität<br />
Zürich im Projekt des <strong>Schweizerische</strong>n Nationalfonds<br />
zur DRG-Begleitforschung<br />
– Dr. med. Beat Gafner, Hausarzt und Präsident<br />
der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />
– Oliver Peters, lic. rer. pol., Finanz- und Betriebschef,<br />
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois<br />
CHUV<br />
– Dr. med. Heinz Schaad, Chefarzt Medizin,<br />
Spital Interlaken<br />
112
edaktion.saez@emh.ch BRIEFE / MITTEILUNGEN<br />
Briefe an die SÄZ<br />
SGOT und SSU –<br />
warum Mauern statt Windmühlen?<br />
Die Fachgesellschaften der Orthopädie und<br />
Urologie lehnen die Merkblätter des Swiss Medical<br />
Board zur Behandlung von Kreuzbandrissen<br />
und zur Bedeutung des PSA rundweg ab und<br />
empfehlen, sie nicht an die Patienten zu verteilen<br />
[1]. Sie gehen wie selbstverständlich davon<br />
aus, dass sie auf diesem Gebiet das massgebende<br />
Wissen und das exklusive Sagen haben.<br />
Es soll sich niemand anmassen, eine andere<br />
Auffassung zu veröffentlichen, sie wird sofort<br />
zensiert. Die Fachgesellschaften machen damit<br />
genau das, was der neue FMH-Präsident zu<br />
Recht vermeiden möchte, wenn er im Editorial<br />
der gleichen Nummer schreibt: «Ich freue mich<br />
über jedes FMH-Mitglied, das nicht mauert,<br />
sondern sich am Bau von Windmühlen beteiligt<br />
und am Gesundheitswesen mitbaut.» [2].<br />
Denn der Wind des Wandels weht! Er hat den<br />
Glauben an die Unfehlbarkeit der Experten<br />
und die von ihnen vorgegaukelte Sicherheit<br />
längst weggeblasen. Es ist erwiesen, dass die beruflichen<br />
und finanziellen Interessen von Fachgesellschaften<br />
die Formulierung von Richtli-<br />
Mitteilungen<br />
Facharztprüfungen<br />
Facharztprüfung zur Erlangung<br />
des Schwerpunktes Geriatrie zum Facharzttitel<br />
Allgemeine Innere Medizin<br />
Die Prüfung erfolgt in zwei Teilen:<br />
Schriftliche Prüfung:<br />
Datum: Donnerstag, 15. August 2013<br />
(14.00–17.00 Uhr)<br />
Ort: Computerraum Uni Tobler Bern, Länggassstrasse<br />
49, 3012 Bern<br />
Mündlich-praktische Prüfung:<br />
Datum: Mittwoch, 30. und Donnerstag, 31. Oktober<br />
2013<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
nien wesentlich zugunsten der Interessen ihrer<br />
Mitglieder und Sponsoren beeinflussen, insbesondere<br />
wenn die Evidenz unsicher ist. Damit<br />
qualifizieren Fachgesellschaften und deren<br />
Vertreter nicht für den «Erlass von Richtlinien»[3].<br />
Dafür braucht es die Mitarbeit fachkompetenter,<br />
unabhängiger Berater. Doch auch<br />
sie sind nur Mitarbeiter in einem Gremium,<br />
das einen weiteren Horizont hat <strong>als</strong> den rein<br />
fachlichen. Gemeint ist vor allem die Sicht der<br />
Patienten <strong>als</strong> Betroffene und der Gesellschaft<br />
<strong>als</strong> Trägerin des Gesundheitswesens im Ganzen.<br />
Die Herausforderung für die Fachgesellschaften<br />
ist heute, ihr Fachwissen nicht zur Monopolbildung<br />
zu missbrauchen, sondern in den<br />
Dienst einer nachhaltigen Medizin zu stellen<br />
[4]. Sie hat die gesamte Versorgungsqualität der<br />
Patienten und die Verhütung von Verschwendung,<br />
Überdiagnostik und Übertherapie im<br />
Blick. Dies ist ein hochaktueller, ethischer Anspruch<br />
an uns Ärztinnen und Ärzte, der weit<br />
über ökonomische Überlegungen hinausreicht.<br />
Ich schlage deshalb den Orthopäden und Urologen<br />
vor, ihre Leitbilder zu überdenken. In der<br />
Zwischenzeit können alle die Patientenmerkblätter<br />
des Swiss Medical Board <strong>als</strong> zurzeit am<br />
besten abgestützte Empfehlung gut und gerne<br />
an die Patienten verteilen.<br />
Dr. med. Hansueli Schläpfer, Herisau<br />
Ort: Der Prüfungsort wird nach Abschluss der<br />
Auswertung der schriftlichen Prüfung bekanntgegeben.<br />
Anmeldefrist: 30. Mai 2013<br />
Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />
des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />
AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />
Facharztprüfung zur Erlangung des<br />
Facharzttitels Pharmazeutische Medizin<br />
Schriftliche Prüfung:<br />
Datum: 26. August 2013, 9.00–13.00 Uhr<br />
1 Christen B, Gasser T. SGOT-SSOT und SGU-SSU<br />
lehnen Merkblätter für Patienten des Swiss<br />
Medical Board ab.<br />
Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2013;94(1/2 ):10.<br />
2 Schlup J. Warum wir Ärzte Windmühlen bauen<br />
sollten. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2013;94(1/2):5.<br />
3 www.urologie.ch/v2/?lang=de<br />
4 «Nachhaltige Medizin», Positionspapier der<br />
Schweiz. Akademie der Medizinischen<br />
Wissenschaften, Dez. å2012.<br />
Fehlende Quellenangabe<br />
Zum Artikel «Der kleine Unterschied» [1]<br />
Sehr geehrte Frau Pill, sehr geehrte Herren<br />
Zum Auszug aus dem Lehrbuch «Verhaltensregeln<br />
für Deutsche Primaten» fehlt mir die<br />
Quellenangabe.<br />
Mit freundlichen Grüssen<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
Dr. med. Markus Rothweiler, Aesch BL<br />
ein peinlich berührter Doppelbürger CH-D<br />
1 Diehm N, Pill I, Baumann F.<br />
Der kleine Unterschied. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />
2013;94(1/2):31–3.<br />
Ort: Zentrum für Lehre und Forschung, Hebelstrasse<br />
20, 4056 Basel<br />
Mündliche Prüfung:<br />
Datum: 11. September 2013, 9.00–16.00 Uhr<br />
Ort: Pharmacenter, Universität Basel, Klingelbergstrasse<br />
50, 4056 Basel<br />
Anmeldefrist: 30. Juni 2013<br />
Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />
des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />
AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />
113
Redaktionelle Verantwortung: FMH SERVICES<br />
Seminare 2013<br />
Praxiseröffnung/-übernahme<br />
Das Seminar richtet sich an Ärztinnen und<br />
Ärzte, welche vor einer Praxiseröffnung (Einzel-/Gruppenpraxis),<br />
dem Einstieg in eine<br />
Gruppenpraxis oder vor einer Praxisübernahme<br />
stehen.<br />
Themen<br />
– Juristische Aspekte (Praxisbewilligung, Zulassung<br />
zur Sozialversicherung, Vertragswesen)<br />
– Gesellschaftsformen/Ehe- und Erbrecht<br />
(Privat-/Geschäftsvermögen, Güterstand,<br />
Erbschaftsplanung)<br />
– Praxiseinrichtung (Inneneinrichtung,<br />
Kostenberechnung)<br />
– Praxisadministration (Leistungserfassungs-<br />
und Abrechnungssysteme)<br />
– Bewertung einer Arztpraxis (Berechnung<br />
Inventarwert und Goodwill <strong>als</strong> Verhandlungsbasis)<br />
– Finanzierung der Arztpraxis (Businessplan,<br />
Kredite, Absicherungsmöglichkeiten)<br />
– Versicherungen/Vorsorge/Vermögen<br />
(Personen- und Sachversicherungen, Vorsorgeplanung)<br />
Sponsoren<br />
Die Kosten werden durch diverse Sponsoren<br />
(siehe www.fmhservices.ch) gedeckt.<br />
Daten<br />
K01 Donnerstag, Zürich<br />
7. März 2013 Volkshaus<br />
09.00–16.30 Uhr<br />
K02 Donnerstag, St. Gallen<br />
25. April 2013 Hotel Einstein<br />
16.00–20.30 Uhr<br />
K03 Donnerstag, Bern<br />
13. Juni 2013 Schmiedstube<br />
9.00–16.30 Uhr<br />
Praxisübergabe<br />
Das Seminar richtet sich an zukünftige Praxisübergeber/innen.<br />
Idealtermin: 5–10 Jahre vor<br />
geplanter Übergabe (aus steuer- und vorsorgeplanerischen<br />
Gründen).<br />
Themen<br />
– Juristische Aspekte (Praxisübergabevertrag,<br />
allg. Vertragswesen, Übergabe der<br />
Krankengeschichten)<br />
– Nachfolgeplanung und Bewertung einer<br />
Arztpraxis (projektorientiertes Vorgehen in<br />
der Nachfolgeplanung, Berechnung Inventarwert<br />
und Goodwill <strong>als</strong> Verhandlungsbasis)<br />
– Versicherungen / Vorsorge / Vermögen<br />
(Übergabe/Auflösung von Versicherungsverträgen,<br />
Pensions- und Finanzplanung)<br />
– Steuern (Steueraspekte bei der Praxisübergabe:<br />
Optimierung der steuerlichen Auswirkungen,<br />
Liquidations- und Grundstückgewinnsteuer,<br />
Bestimmung des optimalen<br />
Übergabezeitpunktes)<br />
Sponsoren<br />
Die Kosten werden durch diverse Sponsoren<br />
(siehe www.fmhservices.ch) gedeckt.<br />
Daten<br />
K06 Donnerstag, Zürich<br />
14. März 2013 Volkshaus<br />
13.30–18.00 Uhr<br />
K07 Donnerstag, St. Gallen<br />
16. Mai 2013 Hotel Einstein<br />
16.00–20.30 Uhr<br />
K08 Donnerstag, Bern<br />
20. Juni 2013 Schmiedstube<br />
13.30–18.00 Uhr<br />
Finanz- und Steuerplanung<br />
Das Seminar richtet sich an Praxiseröffner/innen,<br />
Praxisübernehmer/innen sowie an bereits<br />
praxistätige Ärztinnen und Ärzte.<br />
Themen<br />
– Finanzplanung (Businessplan, buchhalterische<br />
Massnahmen vor Praxiseröffnung/übernahme,<br />
Standardkontenplan, doppelte<br />
Buchhaltung, EDV-unterstützte Buchführungslösung)<br />
– Steuern (Steueraspekte bei Eintritt in die<br />
Selbständigkeit, Steuerfallen und Steuerrisiken,<br />
optimierte Steuerplanung)<br />
Kosten<br />
Für FMH Services-Mitglieder kostenlos.<br />
Daten<br />
K11 Donnerstag, Zürich<br />
21. März 2013 Volkshaus<br />
13.30–18.00 Uhr<br />
K12 Donnerstag, Bern<br />
19. September 2013 Schmiedstube<br />
13.30–18.00 Uhr<br />
Praxiscomputerworkshop<br />
Der Workshop richtet sich an praxiseröffnende<br />
sowie an bereits praxistätige Ärztinnen und<br />
Ärzte.<br />
Inhalt<br />
– Anforderungen an ein Praxisinformationssystem<br />
(Einführung)<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
FMH SERVICES<br />
Die grösste standeseigene Dienstleistungsorganisation<br />
– Evaluationsprozess (projektorientiertes<br />
Vorgehen in der Evaluation eines Praxisinformationssystems)<br />
– Präsentation von sechs führenden Praxisinformationssystemen<br />
(Leistungserfassung,<br />
elektronisches Abrechnen unter Einbezug<br />
der TrustCenter, Agendaführung, Statistiken,<br />
Laborgeräteeinbindung, elektronische Krankengeschichte,Finanzbuchhaltungslösungen<br />
usw.)<br />
Kosten<br />
Für FMH Services-Mitglieder kostenlos.<br />
Daten<br />
K13 Donnerstag, Zürich<br />
28. März 2013 Technopark<br />
13.30–18.00 Uhr<br />
K14 Donnerstag, Bern<br />
27. Juni 2013 BERNEXPO<br />
13.30–18.00 Uhr<br />
Die Details zu den weiteren für Sie sehr<br />
informativen Seminaren:<br />
– Gruppenpraxis<br />
– Röntgen in der Arztpraxis<br />
– Praxismarketing für Ärzte<br />
– Crashkurs Versicherungsmedizin<br />
– 10 Jahre vor Pensionierung<br />
– Tarifwerk TARMED - Einführungskurs<br />
– Telefonseminar für MPA (bzw. Praxisteam)<br />
entnehmen Sie bitte unserer Website<br />
www.fmhservices.ch → Seminare.<br />
Anmeldung und Auskunft<br />
www.fmhservices.ch oder FMH Consulting Services,<br />
Cornelia Fuchs, Burghöhe 1, 6208 Oberkirch,<br />
Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86<br />
Hinweis<br />
Bei sämtlichen Seminaren, bei denen die Kosten<br />
teilweise oder gänzlich von Seminarsponsoren<br />
gedeckt werden, werden die Teilnehmeradressen<br />
den jeweiligen Sponsoren zur Verfügung gestellt.<br />
Annullierungsbedingungen<br />
Bei Abmeldungen oder Fernbleiben werden folgende<br />
Unkostenbeiträge erhoben:<br />
– 50 CHF pro Person ab 14 Tage vor Seminarbeginn;<br />
– 100 CHF pro Person ab 7 Tage vor Seminarbeginn<br />
oder Fernbleiben.<br />
114
Redaktionelle Verantwortung: FMH SERVICES<br />
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Warum dürfen meine Zahlungseingänge nicht<br />
auch mal pünktlich sein?<br />
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Ansprechpartner:<br />
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IN0413
Standpunkt TRIBÜNE<br />
Anmerkungen zu den Beiträgen zum Thema Spiritualität von J. Fischer und E. Taverna<br />
Präsenzcharakter von Krankheit<br />
und Spiritual Care<br />
Priska Bützberger Zimmerli a ,<br />
Sabine Weidert b , Beat Müller c<br />
a Dr. med., Oberärztin<br />
Onkologie, Kantonsspital<br />
Baden<br />
b Dipl. Soz.Päd., Pflegefachfrau,<br />
Koordinatorin<br />
Palliativnetz Freiburg i. Br.<br />
c Dr. med., Oberarzt Medizinische<br />
Onkologie, Schwerpunktabteilung<br />
Palliative<br />
Care, Luzerner Kantonsspital<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Der Theologe Professor Johannes Fischer schrieb<br />
in der SÄZ in einer interessanten Betrachtung zu<br />
Krankheit und Spiritualität vom Präsenzcharakter<br />
der Krankheit [1]. Was er über die Wahrnehmung<br />
der Präsenz der Krankheit schreibt, erinnert an die<br />
Ideen der Leibphilosophie von Thomas Fuchs und<br />
anderen Leibphilosophen, die den Leib <strong>als</strong> eigenständiges<br />
Wahrnehmungsorgan für Stimmungen,<br />
Gefühle und Atmosphären bezeichnen. Er ist darüber<br />
hinaus sozusagen der aktuell gespürte Körper.<br />
Der Leib wird aber auch <strong>als</strong> das «Vehikel des Zur<br />
WeltSeins» beschrieben [2]. Eine Krankheit betrifft<br />
somit dieses ganze «Vehikel des ZurWeltSeins».<br />
Folglich verändert sich dadurch die Wahrnehmung<br />
der ganzen Welt, wie Fischer es sehr treffend beschrieben<br />
hat.<br />
Für Spiritual Care gibt es inzwischen in München<br />
einen Lehrstuhl, aber noch keine klare Definition.<br />
Korrespondenz:<br />
Dr. med. Priska Bützberger<br />
Zimmerli<br />
Kantonsspital Baden<br />
CH5400 Baden<br />
priska.buetzberger[at]ksb.ch<br />
Er spricht davon, «dass man den Kranken in<br />
einen anderen Präsenzraum bringen muss, der Entlastung<br />
bietet von dem Präsenz und Erlebensdruck<br />
seiner Krankheit». Dies könne der Präsenzraum des<br />
Heiligen sein, wie er durch religiöse Praktiken, Riten<br />
und Texte erschlossen wird, aber auch einfach der<br />
Präsenzraum, die «Atmosphäre» menschlicher Zuwendung,<br />
Fürsorge und Liebe, die einem Kranken<br />
entgegengebracht werden [1]. Beides beschreibt<br />
etwas, das in der Literatur unter Spiritual Care zusammengefasst<br />
wird. In der Leibphilosophie wird<br />
dieses Phänomen menschlicher Zuwendung, Fürsorge<br />
und Liebe zudem auch <strong>als</strong> zwischenleibliche<br />
Resonanz bezeichnet [3].<br />
Was ist Spiritual Care?<br />
Für Spiritual Care gibt es inzwischen in München einen<br />
Lehrstuhl, aber noch keine klare Definition.<br />
Sinngemäss wird damit aber der Aspekt der Gesundheitsfürsorge<br />
bezeichnet, der sich um spirituelle und<br />
religiöse Bedürfnisse kümmert, die durch eine Krankheit<br />
geweckt worden sind. Es gibt Untersuchungen<br />
dazu, was sich Patienten unter Spiritual Care vorstellen<br />
und was sie sich wünschen [4]. Dabei zeigte sich,<br />
dass Spiritual Care für die Patienten sehr viel mit<br />
Begegnung und Beziehung zu tun hat, was zu den Erläuterungen<br />
von Professor Fischer passt.<br />
Erhard Taverna hingegen schreibt in der <strong>Schweizerische</strong>n<br />
<strong>Ärztezeitung</strong>: «Reale und vermeintliche<br />
Missstände im Medizinbetrieb werden gerne am<br />
Ideal der ‹Begegnung› oder des ‹Paares ArztPatient›<br />
gemessen, was Michel Foucault <strong>als</strong> ‹Bestreben, so vielem<br />
NichtDenken auch noch die matten Mächte<br />
einer Eheträumerei an die Seite zu stellen› ironisierte.»<br />
Taverna führt weiter aus: «Ganzheitlichkeit<br />
oder Spiritualität sind Attribute, die, oft von der<br />
alternativen Szene beansprucht, sich hervorragend<br />
für die eigene Idealisierung und Selbstbeweihräucherung<br />
eignen.» Für Taverna gilt es, der Versuchung,<br />
Priester und Heiler sein zu wollen, zu widerstehen<br />
[5]. Spiritualität, wie sie z. B. in der Definition der<br />
European Association of Palliative Care (EAPC) verstanden<br />
wird, hat aber nichts mit Selbstbeweihräucherung<br />
zu tun. Die EAPC definiert Spiritualität <strong>als</strong><br />
«dynamische Dimension menschlichen Lebens, die<br />
sich darauf bezieht, wie Personen (individuell und in<br />
Gemeinschaft), Sinn, Bedeutung und Transzendenz<br />
erfahren, ausdrücken und/oder suchen, und wie sie<br />
in Verbindung stehen mit dem Moment, dem eigenen<br />
Selbst, mit Anderen/m, mit der Natur, mit dem<br />
Signifikanten und/oder dem Heiligen». [6] Spiritual<br />
Care praktizieren zu wollen, muss nicht gleichbedeutend<br />
sein damit, der Versuchung erlegen zu sein,<br />
Priester und Heiler gleichzeitig sein zu wollen.<br />
Die Rolle des Helfers<br />
Der Physiker und Theologe Erhard Weiher schreibt<br />
in seinem Buch «Das Geheimnis des Lebens berühren»,<br />
dass der Helfer sich dem Patienten <strong>als</strong><br />
Contain er zur Verfügung stellt. Der Begriff<br />
Contain er stammt dabei aus der Entwicklungspsychologie.<br />
So wie das kleine Kind einen Beziehungsraum<br />
braucht, um sein Selbst zu finden und auszubilden<br />
– ein lebendiges Gegenüber, das ihm tragend<br />
und haltend, freilassend und resonanzgebend begegnet<br />
– so braucht jeder Mensch immer wieder solche<br />
Gegenüber, vor allem in schwierigen Lebensphasen<br />
(z. B. Trauer, Sterben). Weiher schreibt über den Patienten:<br />
«Wenn er im ‹Seelenraum› des Helfers auf<br />
annehmende Resonanz stösst und sich verstanden<br />
und wertgeschätzt findet mit allem, was in ihm ist,<br />
dann entsteht für ihn ein verlässlicher Pol, an dem er<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
125
Standpunkt TRIBÜNE<br />
Beim Helfer erhält der Patient Resonanz, fühlt sich verstanden und wertgeschätzt, findet<br />
einen verlässlichen Pol, an dem er sich aufrichten und wieder zu sich finden kann.<br />
Der Container und seine Auffangstruktur.<br />
(Aus: Erhard Weiher. Das Geheimnis des Lebens berühren.<br />
Mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags.)<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
sich aufrichten und wieder zu sich finden kann.» [7]<br />
Taverna befürchtet eine Überforderung der Behandelnden<br />
und Pflegenden. Weiher schreibt dazu: «Die<br />
Begleiter sind für den Patienten nicht nur Auffanggefässe<br />
(…). Ihnen steht selbst ein Container zur Verfügung,<br />
aus dem sie ihrerseits die beruflichen Ressourcen<br />
schöpfen können, um schwerer Krankheit,<br />
Sterben und Tod zu begegnen. Der Container des<br />
Helfers ist nicht voller hilfloser Ohnmacht (und damit<br />
leer), sondern weit über das fachlichfunktionelle<br />
Denken und Handeln hinaus gefüllt mit Inhalten,<br />
die das Leid von Menschen tragen helfen, so<br />
dass die Helfer das Wesentliche nicht mit eigener<br />
Kraft tragen müssen.»<br />
Die oberste Ebene dieses<br />
Containers ist gemäss Weiher<br />
mit dem fachlichmethodischen<br />
Handeln und Behandeln<br />
gefüllt. Der Helfer, z. B.<br />
der Arzt, wendet sich mit seiner<br />
Fachkompetenz der physischen<br />
Seite des Patienten zu.<br />
Dies geschieht im Rahmen<br />
e iner Facheinrichtung, die<br />
wiederum Teil der Gesellschaft<br />
ist. Die zweite Ebene stellt die<br />
Persönlichkeit des Helfers dar.<br />
Sie verleiht der beruflichen<br />
Rolle Farbe und ein persönliches<br />
Gesicht. Bei der dritten<br />
Ebene wird die Beziehungskompetenz<br />
angesprochen. In<br />
der Leibphilosophie käme hier<br />
die leibliche Resonanzfähigkeit<br />
mit ins Spiel, d. h. die<br />
Schwingungsfähigkeit des Lei<br />
bes für die Wahrnehmung von Atmosphären, Stimmungen<br />
und Gefühlen [8]. Bei der vierten Ebene<br />
geht es um die Symbolwirkung der Berufsrolle. Der<br />
Arzt z. B. ist ein Vertreter der Gesellschaft, dem diese<br />
bedeutungsvolle Berufsrolle zugetraut wird und der<br />
auch dafür steht, dass man mit seinem Leiden aufgefangen<br />
wird. Folgt die Ebene der Mitmenschlichkeit.<br />
Ein Mensch begegnet einem anderen Menschen. Im<br />
Container gibt es auch eine Schicht menschheitlichexistentieller<br />
Grunderfahrung. «Die Fähigkeit, mit<br />
Leid und Tod zu leben, gehört von Anfang der<br />
Schöpfung an zur Natur der Lebewesen.» Die unterste<br />
Schicht reicht in die spirituelle Dimension hinein.<br />
«Leben, Leiden, Sterben und Tod sind in dem<br />
Geheimnis allen Lebens verankert.» Der Mensch verfügt<br />
nicht über dieses Geheimnis des Lebens, aber er<br />
kann sich ihm anvertrauen und es bewohnen [7].<br />
Taverna schreibt, die Begriffe seien unscharf. Es<br />
stellt sich die Frage, ob Begriffe wie Spiritualität oder<br />
Spiritual Care überhaupt scharf umrissen sein können,<br />
haben sie doch mit dem «spirituellen Geheimnis»<br />
des Lebens zu tun, das für uns Menschen unverfügbar<br />
ist.<br />
Fazit<br />
Zusammenfassend gibt es durchaus einen Mittelweg<br />
zwischen der Reduktion der Krankheit auf somatische<br />
oder psychische Zustände und dem Abdriften<br />
in Selbstbeweihräucherung und Heilerfantasien.<br />
Eine ärztliche Spiritual Care mit der nötigen Demut,<br />
wie sie von Weiher beschrieben wird und ausgehend<br />
vom Gedanken, dass jeder Mensch in irgendeiner<br />
Form spirituell ist, kann durchaus auch präventiv<br />
wirken gegen ein solches Abdriften in Allmachts<br />
und Grössenfantasien.<br />
Literatur<br />
1 Fischer J. Krankheit und Spiritualität. Schweiz<br />
<strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(45):1672–5.<br />
2 MerleauPonty M. Phänomenologie der Wahrnehmung.<br />
Berlin; 1965. S. 106.<br />
3 Fuchs T. Leib, Raum, Person, Entwurf einer phänomenologischen<br />
Anthropologie. Stuttgart; 2000. S. 246.<br />
4 Edwards A et al. The understanding of spirituality and<br />
the potential role of spiritual care in endoflife and<br />
palliative care: a metastudy of qualitative research.<br />
Palliat Med. 2010;24(8):753–70.<br />
5 Taverna E. Mehrwert Spiritualität. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />
2012;93(45):1678.<br />
6 European Association of Palliative Care (Internet).<br />
(The Netherlands): Taskforce on Spiritual Care in<br />
Palliative Care; (2010, cited 2012 Nov 14). www.<br />
eapcnet.eu<br />
7 Weiher E. Das Geheimnis des Lebens berühren.<br />
Stuttgart: Kohlhammer; 2009.<br />
8 Weidert S. Leiblichkeit in der Pflege von Menschen mit<br />
Demenz. Frankfurt a. M.: MabuseVerlag ; 2007.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 126
Betriebswirtschaft TRIBÜNE<br />
Neues Rechnungslegungsrecht:<br />
strengere Vorschriften für Ärzte<br />
Martin Brenner a,b ,<br />
Rolf Willimann a<br />
a FMH Treuhand Services<br />
b FMH Insurance Services<br />
Korrespondenz:<br />
FMH Consulting Services AG<br />
Burghöhe 1<br />
CH-6208 Oberkirch<br />
Tel. 041 925 00 77<br />
Fax 041 921 05 86<br />
mail[at]fmhtreuhand.ch<br />
www.fmhtreuhand.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Seit dem 1. Januar 2013 gilt ein neues Rechnungslegungsgesetz. Ärzte, die einen<br />
Umsatzerlös von mehr <strong>als</strong> 500 000 Franken erzielen, unterliegen der Pflicht zur<br />
Buchführung und Rechnungslegung.<br />
Hintergrund<br />
Am 22. November 2012 hat der Bundesrat bekanntgegeben,<br />
dass am 1. Januar 2013 das neue Rechnungslegungsrecht<br />
in Kraft treten wird. Als Übergang<br />
haben die betroffenen Unternehmen zwei Jahre Zeit,<br />
um sich an die neue Rechtslage anzupassen. Ab dem<br />
Geschäftsjahr 2015 müssen die Bestimmungen des<br />
neuen Rechnungslegungsrechts zwingend angewendet<br />
werden. Neu ist, dass die Pflicht zur Buchführung<br />
und Rechnungslegung von der wirtschaftlichen<br />
Bedeutung und nicht mehr von der Rechtsform<br />
eines Unternehmens abhängt.<br />
Umsatzgrenzen<br />
Der Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung<br />
unterliegen gemäss den neuen Bestimmungen:<br />
– Einzelunternehmen und Personengesellschaften, die<br />
im letzten Geschäftsjahr einen Umsatzerlös von<br />
mindestens 500 000 Franken erzielt haben<br />
– Juristische Personen<br />
Einzelunternehmen und Personengesellschaften<br />
mit weniger <strong>als</strong> 500 000 Franken Umsatzerlös im<br />
letzten Geschäftsjahr müssen lediglich über die Einnahmen<br />
und Ausgaben (inkl. der zeitlichen und<br />
sachlichen Abgrenzungen) sowie über die Vermögenslage<br />
Buch führen.<br />
Einzelunternehmen und Personengesellschaften<br />
mit weniger <strong>als</strong> 100 000 Franken Umsatzerlös können<br />
auf die zeitliche Abgrenzung verzichten und<br />
sich stattdessen auf die laufenden Ausgaben und<br />
Einnahmen beschränken.<br />
Konsequenzen für Ärzte<br />
Für Arztpraxen, die aufgrund eines Umsatzes unter<br />
500 000 Franken nur eine Milchbüchlein-Rechnung<br />
erstellen, ist zu bemerken, dass die Steuerbehörden<br />
in der Regel zusätzliche Informationen verlangen.<br />
Ärzte und Ärztinnen, die Medikamente verkaufen,<br />
erzielen häufig einen Umsatzerlös von mehr <strong>als</strong><br />
500 000 Franken und unterliegen somit der Pflicht<br />
zur Buchführung und Rechnungslegung. Mit der<br />
neuen Rechtslage treten strengere Vorschriften ein.<br />
Wichtig ist, dass in Zukunft Aufwände und Erträge<br />
voneinander in zeitlicher und sachlicher Hinsicht<br />
abgegrenzt und gegliedert dargestellt werden.<br />
Die Steuerbehörden sind grundsätzlich an einen<br />
handelsrechtlich korrekten Abschluss gebunden,<br />
sofern die ergänzenden steuerlichen Vorschriften<br />
eingehalten werden. Einzelunternehmungen und<br />
Neu ist, dass die Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung<br />
von der wirtschaftlichen Bedeutung und nicht mehr von der Rechtsform<br />
eines Unternehmens abhängt.<br />
Personengesellschaften können hingegen auf den<br />
für grössere Unternehmen (ab 20 000 000 Franken Bilanzsumme,<br />
40 000 000 Franken Umsatzerlös und<br />
250 Vollzeitstellen) nach neuer Rechnungslegung<br />
obligatorischen Anhang mit zusätzlichen erklärenden<br />
Informationen verzichten. Verlangen die Rechnungslegungsvorschriften<br />
dennoch zusätzliche Angaben,<br />
so sind diese zwingend in der Bilanz und Erfolgsrechnung<br />
aufzuführen.<br />
Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit<br />
einem Umsatzerlös von mindestens 500 000 Franken<br />
unterliegen jetzt der Pflicht zur Buchführung und<br />
Rechnungslegung.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
127
Spectrum TRIBÜNE<br />
«Parcours Prévention»:<br />
évaluer son risque<br />
de cancer<br />
En moyenne, une personne sur trois<br />
est frappée par un cancer en Suisse<br />
au cours de sa vie. Pour certains can-<br />
cers, il est possible de réduire son<br />
risque en adoptant un mode de vie<br />
sain. Le but du «Parcours Préven-<br />
tion» est de permettre à chacun de<br />
maintenir son risque de cancer au<br />
plus bas, compte tenu de son sexe et<br />
de son âge. La Ligue contre le cancer<br />
vous propose une promenade inte-<br />
ractive au fil de laquelle vous décou-<br />
vrirez comment réduire votre risque<br />
personnel de développer un cancer.<br />
Un nouvel outil en ligne gratuit,<br />
anonyme, complet et taillé sur me-<br />
sure.<br />
(Ligue suisse contre le cancer)<br />
Neuer Shop der Rheumaliga<br />
Schweiz online<br />
Hell, freundlich und übersichtlich:<br />
So soll ein Laden sein, und so ist<br />
ab sofort auch der neue Shop der<br />
Rheumaliga Schweiz im Web (www.<br />
rheumaliga-shop.ch). Das komplett<br />
neue Design schafft Raum für die<br />
Präsentation der Alltagshilfen und<br />
gut lesbare Erläuterungen zu den<br />
Produkten und ihrer Anwendung.<br />
Zusätzlich lassen sich Anleitungen<br />
zum Gebrauch von Alltagshilfen<br />
<strong>als</strong> <strong>PDF</strong> downloaden. Bei einigen<br />
Produkten verdeutlicht ein kurzes<br />
Video die Handhabung. Die Bro-<br />
schüren und Faltblätter der Rheu-<br />
maliga Schweiz sind neu Seite für<br />
Seite anzuschauen und lassen sich<br />
vollumfänglich ausdrucken.<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
(Rheumaliga Schweiz)<br />
Caritas: Betreuung für ältere<br />
Menschen zu Hause<br />
Immer mehr betagte Menschen möchten möglichst<br />
lange in ihren eigenen vier Wänden leben.<br />
Doch vielen Angehörigen fehlt die Zeit für eine<br />
intensive Betreuung, und sie suchen Unterstützung<br />
durch Betreuungspersonen. Häufig engagieren<br />
sie dafür Migrantinnen aus Osteuropa. Die<br />
sogenannte «Care Migration» ist ein rasch wachsendes<br />
Phänomen. Caritas Schweiz hat nun ein<br />
neues Projekt zur Betreuung betagter Menschen zu<br />
Hause gestartet. Gemeinsam mit ihrer Partnerorganisation<br />
in Siebenbürgen, Rumänien, engagiert sie<br />
gut qualifizierte Betreuerinnen. Diese leisten unter<br />
fairen Arbeitsbedingungen einen zeitlich befristeten<br />
Einsatz bei älteren Personen zu Hause. Das<br />
Projekt «In guten Händen – Von Caritas zuhause<br />
betreut» läuft in einer Pilotphase in den Regionen<br />
Zürich, Zug und Luzern.<br />
(Caritas)<br />
Glücksspiel – Freizeitver g nügen mit Risikopotential<br />
In der Schweiz spielen zwischen 80 000 und<br />
120 000 Menschen auf problematische Weise<br />
Studien haben Erkenntnisse geliefert, wie man der<br />
Spielsucht vorbeugen kann.<br />
Glücksspiele: Sucht Schweiz hat Studien in Auftrag<br />
gegeben, die Hinweise liefern, wie Präventionsmassnahmen<br />
ausgestaltet werden sollten.<br />
Je früher Jugendliche mit Glücksspiel beginnen,<br />
desto grösser ist das Risiko für ein problematisches<br />
Spielverhalten. Daher sollen sich präventive<br />
Massnahmen vor allem an Jugendliche<br />
richten. Im Vergleich zu Erwachsenen sind fast<br />
doppelt so viele Jugendliche betroffen (1,9 %).<br />
Knaben spielen dabei doppelt so häufig wie<br />
Mädchen. Neben Präventionsbotschaften, die via<br />
Schlüsselpersonen verbreitet werden, sollen vermehrt<br />
Angebote im Internet plaziert und Fachpersonen<br />
aus dem Sozial- und Gesundheitswesen<br />
geschult werden, glücksspielsuchtspezifische<br />
Probleme zu erkennen.<br />
Statistiques de la santé 2012: nouvelle publication<br />
L’Office fédéral de la statistique (OFS) publie pour<br />
la première fois un ouvrage offrant un survol de<br />
l’ensemble des données statistiques disponibles<br />
sur le thème de la santé. Toutes les dimensions de<br />
la structure de la statistique de la santé sont abordées:<br />
les conditions-cadre et les déterminants de<br />
la santé, l’état de santé de la population et le recours<br />
aux soins, le système de santé et son financement.<br />
Le système de santé est devenu un secteur<br />
majeur de l’économie du pays. Entre 1985 et 2008,<br />
le nombre d’emplois dans le domaine de la santé a<br />
crû de 3,1 % par an, contre 0,9 % de croissance<br />
pour l’ensemble de l’économie.<br />
(OFS)<br />
Caritas Schweiz vermittelt zu fairen Bedingungen<br />
Migrantinnen für eine Betreuung zu Hause.<br />
14<br />
Santé<br />
Statistiques de la santé 2012<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
1291-1200<br />
(Sucht Schweiz)<br />
128
Essay HORIZONTE<br />
Verantwortung haben Ärzte reichlich.<br />
Und Führung?*<br />
Ludwig Hasler<br />
* Der Beitrag basiert auf einem<br />
Referat, das der Autor am<br />
25. Oktober 2012 an der<br />
Plenarversammlung des<br />
<strong>Schweizerische</strong>n Instituts<br />
für ärztliche Weiter- und<br />
Fortbildung SIWF in Bern<br />
gehalten hat.<br />
Korrespondenz:<br />
Dr. phil. Ludwig Hasler<br />
CH-8702 Zollikon<br />
lhasler[at]duebinet.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Vor Jahresfrist kritisierte ich die Überschätzung der<br />
Weiterbildung – genauer: die Gefahr der Entmündigung<br />
durch permanente Bildung. Denn fachliche<br />
Bildung betreibt den Glauben an Erfahrungen anderer<br />
– und dieser anschwellende Glaube an Fremd-<br />
erfahrung überflutet leicht die eigene Erfahrung der<br />
Ärztin, so dass (Achtung Satire!) am Ende die weitergebildete<br />
Ärztin funktioniert wie eine mit Studienkenntnissen<br />
vollgepackte Speicherplatte, wie ein Medizin-Roboter,<br />
der den jüngsten Stand des vermeintlich<br />
sakrosankten Wissens auf akute Fälle appliziert,<br />
was therapeutisch unergiebig wäre (weil kein Patient<br />
ist wie der andere) und wissenschaftlich naiv (weil<br />
jedes Wissen vorläufig bleibt).<br />
Das war letztes Jahr. Die Kritik blieb wirkungslos,<br />
weshalb ich heute für Weiterbildung plädiere – nicht<br />
für medizinische Spezialitäten (die läuft von selbst),<br />
auch nicht für «nicht fachspezifische Lernziele»<br />
(läuft unter dem Boom-Label ebenfalls ohne mich,<br />
<strong>als</strong> flankierende Trainingseinheit in Sekundärtugenden,<br />
«persönlichkeitsstützende» Exerzitien, soft skills<br />
usw.). Nein, ich plädiere für Fortbildung in ärztlichem<br />
Selbstverständnis: <strong>als</strong> Nachhilfe für geklärtes<br />
Selbstbewusstsein, gestärkte Branchen-Identität. In<br />
turbulenten Zeiten muss eine Branche sich klarmachen,<br />
was sie will. Schon gar eine Branche wie die<br />
ärztliche, die von allen Seiten beansprucht, gern instrumentalisiert,<br />
auch ideologisiert wird. Wollen Sie<br />
nicht <strong>als</strong> willfährige Vollstrecker polymorpher Bedürfnisse<br />
enden, müssen Sie sich selber einen Kanon<br />
ärztlichen Selbstverständnisses verschreiben.<br />
Wie ich zu dieser Behauptung komme? Ich bin<br />
hier der Laie. Doch allein der Monat Oktober lieferte<br />
mir drei Beweggründe.<br />
Zunächst dozierte ich (im Rahmen eines universitären<br />
MBA) Philosophie für (meist jüngere) Kaderärzte.<br />
Was sagen die arrivierten Ärzte (die ihren<br />
Samstag der Bildung widmen!) über ihre Stellung im<br />
Beruf? Zwiespältiges. Sie fühlen sich unsouverän im<br />
eigenen ärztlichen Handeln (dominiert von Administration,<br />
von Regularien wie DRG usw.); Chefärzte<br />
sehen wenig Chance zu tun, was sie eigentlich tun<br />
sollten (Erfahrung weitergeben); Weiterbildung<br />
schneidet in ihrem Urteil schlecht ab, sie sei ein Ritual<br />
von Pharma und Wissenschaft, ein «Selbstdarstellungs-Zirkus»<br />
für Wissenschaftler – statt für behandelnde<br />
Ärzte, Evidence based statt Eminence based, der<br />
praktische Nutzen sei gering, gemeinschaftsbildend<br />
einzig der Kampf gegen den Schlaf … Die Kritik der<br />
Ärzte war drastisch. Repräsentativ? Keine Ahnung. Sie<br />
stammt von Ärzten, die über den Tellerrand hinaussehen.<br />
Zweite Beobachtung. Nobelpreis für Medizin. Geht<br />
dieses Jahr an zwei Stammzellforscher. Ausnahmsweise<br />
sogar für mich einleuchtend: Der eine (Brite)<br />
«Wollen Sie nicht <strong>als</strong> Vollstrecker polymorpher Bedürfnisse enden, müs-<br />
sen Sie sich einen Kanon ärztlichen Selbstverständnisses verschreiben.»<br />
fand einen Jungbrunnen für Zellen, der andere (Japaner)<br />
machte ihn zur Basis neuer Therapien. Toll.<br />
Da liegt Zukunft in der Luft. «Alleskönner»-Zellen,<br />
genial. Ist das Medizin? Zellbiologie. Froschexperimente.<br />
Für Medizin ausgezeichnet wird ein Wissen,<br />
dass nicht aus der Medizin kommt, schon gar nicht<br />
vom Krankenbett. Ergo: Wird Medizin wissenschaftlich<br />
zur Bedürfnisbranche, die sich ihr Wissen nicht<br />
mehr selber besorgt?<br />
Dritte Beobachtung. In Deutschland demonstrieren/streiken<br />
Ärzte. Parole: «Holen wir unsere Selbstbestimmung<br />
zurück!» War sie ausgewandert? Wohin?<br />
In Ökonomie? Politik? Zu den Krankenkassen?<br />
Läuft in der Schweiz alles harmloser? Positiver? Aargauer<br />
Zeitung: «Das Kantonsspital Aarau hat seine<br />
Geschäftsleitung auf zwölf Personen aufgestockt, damit<br />
auch die Ärzte mitreden können.» Also doch.<br />
Ärzte reden mit – im Machtzentrum. Genau, was ich<br />
(siehe Titel) wünsche: Ärzte, die sich nicht nur in der<br />
Verantwortung sehen, sondern auch in der Führung?<br />
Drei Oktober-Beobachtungen, Tonart skeptisch.<br />
Der Arzt wird abhängiger: zum Anwender eines (biologisch-technischen)<br />
Wissens, das nicht aus ärztlicher<br />
Tätigkeit stammt, nach Regeln, die extern gebildet<br />
werden (Ökonomie, Politik, Industrie). Jetzt eine<br />
Spur systematischer. Erst mache ich mich unbeliebt<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
129
Essay HORIZONTE<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Auch eine Folge der Erosion von Ansehen und Macht der Ärzte ...<br />
in Runde 1: Zur Erosion ärztlicher Souveränität –<br />
oder: Vom Hausherrn zum Lakaien? Danach denke<br />
ich darüber nach, wie der Trend zu bremsen/stoppen/kehren<br />
wäre, Runde 2: Zur Revitalisierung der<br />
Souveränität – oder: Von der Eigenart ärztlichen<br />
Handelns.<br />
Erosion ärztlicher Souveränität – oder:<br />
vom Hausherrn zum gehobenen Lakaien?<br />
Einst war der Arzt Herr seiner Wirkungskreise – in<br />
Spital, Praxis, Universität. Ein freier Unternehmer im<br />
Dienste des Menschenwohls. Heute erwacht er aus<br />
dem Traum des Unternehmers/Freiberuflers. Freiberufler<br />
entscheiden selber: über geeignete Methoden,<br />
über das Ausmass der Anwendung, über Vergütung.<br />
In all diesen Fällen wächst der Einfluss externer Steuerungsinstanzen:<br />
Biologie/Pharma, Ökonomie, Politik.<br />
Konsequenz: Selbständigkeitsverluste – in deren<br />
Folge Einbussen an Kompetenz, an Einkünften, an<br />
Prestige. Die Entwicklung steckt vermutlich noch in<br />
der harmlosen Phase. Wie wichtig es gerade in dieser<br />
Phase ist, den Verlauf genau zu beobachten, das wissen<br />
Ärzte berufshalber. Also.<br />
Gesellschaftlich verliert der Arzt seine traditionelle<br />
Sonderstellung. Es passiert, was andere Branchen<br />
früher erlebten: die Normalisierung der einst exklusiven<br />
medizinischen Profession. Der Arzt wird Mediziner,<br />
und Mediziner ist ein Beruf wie andere. Also<br />
Schluss mit der Ärzteschaft <strong>als</strong> hermetischem Club,<br />
<strong>als</strong> selbstreferentieller Gruppe, die sich traditionell<br />
mit sich selbst verglich. Obwohl der Beruf noch immer<br />
prägt wie kaum ein anderer: die unausweichli-<br />
che Überforderung an der Grenze zwischen Leben<br />
und Tod, existentielle Ausnahme <strong>als</strong> beruflicher Normalfall.<br />
Beginnt schon mit dem Studium: Kaum ein<br />
anderes Fach hat solch harte Prüfungen, so viel Stoff,<br />
so viel Druck, danach die Assistenzzeit, endlose<br />
Schichten, strenge Hierarchie, fachlich dauernd am<br />
Limit. Dazu die Erwartungen der Gesellschaft. Wer<br />
Arzt ist, muss auch Held sein, siehe TV-Serien, siehe<br />
«Lost» (zwei Dutzend Menschen überleben Flugzeugabsturz,<br />
retten sich auf Insel, wer ist Anführer?<br />
Der Arzt). Die Klischees werden verlängert – und<br />
kontrastiert durch Abwertungen des Heldenstatus<br />
(Bürokratie, Kosten-Kontrolle, Laienaufstand dank<br />
Internet usw.). – Nichts Dramatisches. Aber doch<br />
Ansätze einer Entwicklung, die irgendwann auf die<br />
Frage hinausläuft: Wer tut sich etwas an? Leute mit<br />
Helfersyndrom? Mit masochistischen Neigungen?<br />
Mit unerschütterlichem Idealismus?<br />
Medizinisch wird der Arzt zum Fremdling in der<br />
Medizin. Sagt Paul U. Unschuld, der Münchner Medizinhistoriker,<br />
in seinem gleichnamigen Buch.<br />
Seine Argumentation: Medizin werde organisiert<br />
nach Kriterien ökonomischer Planungs- und Kon-<br />
trollvernunft. Nicht ärztliche Erfahrung im Umgang<br />
mit Leidenden bewirkte zum Beispiel die Fallpauschale;<br />
es war ökonomische Routine, die Usanzen<br />
der Autoreparaturwerkstätte in Krankenhäuser überträgt.<br />
Noch das Wissen, mit dem Ärzte professionell<br />
handeln, kommt kaum noch von Ärzten. Der Nobelpreis<br />
ist nur der schlagendste Beleg. Wer erhielt ihn<br />
in den letzten 20 Jahren? Biochemiker, Biologen,<br />
Pharmakologen. Wird medizinisches Wissen Fremd-<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 130
Essay HORIZONTE<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
wissen? Biologisches, zellbiologisches, molekularbiologisches,<br />
biochemisches Wissen? Unter den letzten<br />
zwanzig Preisträgern hatten immerhin noch<br />
sechs Medizin studiert, zwei waren in einer medizinischen<br />
Fakultät beschäftigt. Wie viele standen am<br />
Krankenbett? Keiner.<br />
Das Wissen, mit dem Ärzte<br />
professionell handeln,<br />
kommt kaum noch von Ärzten.<br />
Auch das ärztliche Handeln büsst Souveränität<br />
ein. Zwar gerät – in der sog. Wissensgesellschaft – jeder<br />
Beruf in Abhängigkeit von Wissenschaft und<br />
Forschung. Doch andere Branchen nutzen einschlägige<br />
wissenschaftliche Studien – oder eben nicht. In<br />
der Wirtschaft etwa fällt keinem Manager in heikler<br />
Lage ein, im ökonomischen Lehrbuch nachzuschlagen.<br />
Umgekehrt vertraut kein Verwaltungsrat Ökonomiewissenschaftlern<br />
die Führung einer Firma an;<br />
man hält sie für Eierköpfe, die nach Gesetzmässigkeiten<br />
forschen, die Praxis aber folgt, da ist man sich einig,<br />
anderen Entscheiden, nämlich situativen. Auch<br />
in der pädagogischen Provinz gilt: Grau ist alle Theorie<br />
– die gute Lehrerin erfindet ihren Unterricht täglich<br />
selbst. Dass mein Arzt sich nicht gar so souverän<br />
aufführt, ist mir zwar recht. Aber muss darum ärztliches<br />
Handeln die Trennlinie zwischen Theorie und<br />
Praxis gleich verwischen, alle Erfahrungsgeleitetheit<br />
der Praxis sozusagen auf dem Altar der Wissenschaft<br />
opfern?<br />
«45 Fachgesellschaften –<br />
da ist ja die Erosion des Arztes<br />
programmiert.»<br />
Ist diese Entwicklung – Erosion der Souveränität,<br />
vom Hausherrn zum Lakaien – schlimm? Oder normal?<br />
Der Preis der Professionalisierung? 45 Fachgesellschaften<br />
– da ist ja die Erosion des Arztes programmiert,<br />
verläuft sich in Dutzende von Spezialitäten,<br />
die (zum Teil) mit der traditionellen ärztlichen<br />
Rolle kaum etwas zu tun haben (weil sie eher hochspezialisierte<br />
Handwerker/Künstler sind, oder weil<br />
sie sich gar nicht <strong>als</strong> Heilberufler verstehen, da sie<br />
nicht länger Krankheiten therapieren, sondern Fakten<br />
optimieren). Überdies ist der Status Hausherr vielen<br />
zu anstrengend, sie wollen sich nicht am Beruf<br />
aufhängen; der Lakai hat seinen Job, sein Salär, seinen<br />
Tagesbefehl, er erledigt ihn, basta, danach ist er<br />
frei. So läuft die subjektive Seite der Professionalisie-<br />
rung/Differenzierung. Gibt es bald einen Bachelor<br />
Kniegelenk, einen Master Darmspiegelung? Wäre es<br />
das Ende «ärztlicher Souveränität»«? Definitiv nur<br />
«Dienstleistungserbringer»? Hochkompetent – und<br />
subaltern?<br />
Ist Souveränität anachronistisch? Vergangenheitsbeschönigung<br />
plus Gegenwartsverkennung?<br />
Mal sehen:<br />
Revitalisierung der Souveränität – oder:<br />
von der Eigenart ärztlichen Handelns<br />
Wir können es drehen, wie wir wollen: Entweder wir<br />
codieren unsere Standards selber – oder andere tun<br />
es für uns. Entweder bestimmen Ärzte selber die<br />
Codes, unter denen sie handeln, oder diese Codes<br />
werden von aussen verordnet. Darum finde ich,<br />
sollte ärztliche Fortbildung – immer auch – etwas<br />
tun für die Autonomie der Branche. Sie bewegte sich<br />
damit in einer langen Tradition.<br />
Ärzte legten zu allen Zeiten Wert auf die Selbstverpflichtung<br />
ihres Standes. Der hippokratische Eid<br />
wurde ihnen nicht von aussen auferlegt. Sie kennen<br />
die Worte: «Ich werde ärztliche Verordnungen treffen<br />
zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit<br />
und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor,<br />
sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden<br />
...» So steht es in jenem berühmten Eid aus<br />
der Antike. Heute, 2500 Jahre später, schwören Ärzte<br />
nicht mehr bei den Göttern Apollon und Asklepios.<br />
Doch die wichtigsten Gedanken dieser Ethik gelten<br />
noch immer: das Primat des Patientenwohls. Die<br />
Schweigepflicht. Das Euthanasieverbot. Das primum<br />
non nocere: das Gebot, einen Eingriff eher zu unterlassen,<br />
<strong>als</strong> künftige Beeinträchtigungen, gar den Tod<br />
zu riskieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der<br />
hippokratische Eid vom Weltärztebund zeitgemäss<br />
formuliert. Dieses «Genfer Gelöbnis» betont ausdrücklich,<br />
dass Ärzte ihre Patienten unabhängig von<br />
sozialer Stellung, Geschlecht oder anderen Zugehörigkeiten<br />
behandeln sollen – und ihre medizinischen<br />
Kenntnisse selbst dann anwenden sollen, wenn sie<br />
bedroht sind von Kräften, die «im Widerspruch zu<br />
den Geboten der Menschlichkeit» operieren. Wer<br />
sind heute die Kräfte wider die Menschlichkeit?<br />
Taliban? Der Vatikan? DRG-Regime? Tabakindustrie?<br />
Tugendterror – Rauchverbot im Altersheim?<br />
Jedenfalls scheint Arzt doch nicht ein Beruf wie<br />
andere zu sein. Er hat eine Besonderheit: die Wahrung<br />
eines unbedingten Gutes – der Schutz des Kranken. Andere<br />
Berufsgruppen (Schreiner, Wirte, Transport) bewirtschaften<br />
Bedürfnisse ihrer Klientel. Ärzte tun das<br />
auch. Aber sie müssen – anders <strong>als</strong> andere Branchen –<br />
die Bedürfnisse der Kranken nicht nur bedienen, sie<br />
müssen sie auch schützen gegen den Zugriff anderer<br />
Mächte. Dieser Schutz lässt sich nicht pragmatisch regeln,<br />
er muss absolut gelten, auch wenn manche pragmatischen<br />
Aspekte gegen ihn sprechen. Darum darf<br />
ärztliches Handeln sich nicht (nur) pragmatisch nach<br />
anderen Steuerungs instanzen richten, es muss sein<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 131
Essay HORIZONTE<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Prinzip in sich finden. – Darüber liesse sich in mindestens<br />
drei Schleifen nachdenken:<br />
Erstens müssen Ärzte ihre Rolle im Markt bestimmen.<br />
Sind sie Marktteilnehmer wie andere Anbieter<br />
– oder vertreten sie (auch) ein Gut, selbst wenn der<br />
Markt es ignoriert? Nicht nur steckt Arztsein wie<br />
kaum ein zweiter Beruf stets im Zwiespalt, die Sorge<br />
um die Not der anderen mit der Sorge um die eigenen<br />
Bedürfnisse zu verbinden. Wichtiger ist: Ärzte<br />
sind schon in friedlichen Zeiten Médecins sans frontières.<br />
Sie verteidigen die Würde der Kranken gegen<br />
alle Widersacher – durch die Unkäuflichkeit ihrer<br />
Dia- gnose, durch die Unkorrumpierbarkeit ihrer<br />
Therapie. Was Krankheit ist (und was nicht), das<br />
wollen viele beeinflussen (Parteien, Industrien ...).<br />
Entscheidend ist, dass Krankheit (und Therapie) am<br />
Leid der betroffenen Menschen orientiert bleibt –<br />
und nicht an politischen oder wirtschaftlichen<br />
Inter- essen. Wer soll das leisten, wenn nicht der<br />
Arzt? Keiner weiss wie er, was Kranke leiden, was sie<br />
wollen, brauchen. Der Arzt, der einzig legitime Anwalt<br />
des kranken Menschen.<br />
Zweitens sollten Ärzte eine genuin ärztliche Heilkunde<br />
verteidigen. Nichts gegen das aufdatierte<br />
Studienwissen. Aber wo bleibt da das Menschenbild?<br />
Welchen Menschenschlag haben Ärzte vor Augen?<br />
Was vertreten sie? Das Leben? Aber was für eines? Sie<br />
zogen mit in den Kreuzzug gegen das Rauchen.<br />
Okay. Was bedeutet das für die Philosophie vom<br />
Leben? Leben gleich Schonen? Bewahre uns vor<br />
allem Übel – oder: Sorget euch nicht? Denken Ärzte<br />
über solche Dinge noch nach? Wäre zwingend. Was<br />
macht das «gute Leben» aus? Fitness oder Verschwendung?<br />
Bravheit oder Sünde? Vielleicht hat, wer mehr<br />
sündigte, ein besseres Alter – vor allem etwas, woran<br />
er sterben kann? Während die radikal Properen sich<br />
fürs ewige Leben präparieren. Wie reagiert da «der<br />
Arzt»? Gar nicht? Jeder soll nach seiner eigenen Façon<br />
selig werden? Die Leute suchen aber Rat beim Arzt,<br />
nicht nur Pillen. Dazu brauchen Ärzte eine Philosophie<br />
menschlichen Lebens. Da Ärzte berufshal-<br />
ber illusionsfreier sind <strong>als</strong> andere (weil sie zum Beispiel<br />
junge Leute sterben sehen, die trotz prima<br />
Lebensführung einem Hirntumor zum Opfer fallen),<br />
müssten sie Freunde der Endlichkeit sein, für Freundschaft<br />
mit der Vergänglichkeit werben, egal, wie antizyklisch<br />
das wirkt. Menschen sind antizyklisch.<br />
Eine eigene, genuin ärztliche Heilkunde verteidigen.<br />
Philosophisch sekundiert, wie gesagt. Historisch<br />
gestützt? Wann wurde Medizin Wissenschaft und<br />
gewann Prestige? Als sie sich (in der Antike) vom<br />
Handwerk zur Philosophie entwickelte, dann wieder<br />
um 1800, <strong>als</strong> sie zur eigenen Theorie auflief (Schelling!),<br />
zur selbständigen Wissenschaft. Bemerkenswert<br />
ist die heutige Attraktivität alternativer medizinischer<br />
Praktiken, homöopathische, chinesische, indische<br />
Medizin. Wie immer man über diese<br />
Verfahren denken mag – sie gründen auf Wissen, das<br />
von Ärzten für Ärzte geschaffen wurde. Darauf vertrauen<br />
die Leute. Noch mehr, wenn diese Methoden<br />
ausserhalb der Kassen praktiziert werden, und wenn<br />
Diagnose/Therapie keine technischen Ausstattungen<br />
verlangen (nur Hühnersuppe!). Das heisst: Es fallen<br />
alle Fremdbestimmungen weg (auch darüber,<br />
wann und in welchem Ausmasse sie praktiziert werden<br />
dürfen und wie viel dafür an Honorar zu entrichten<br />
sei). Vielleicht ist das Unbehagen, das nicht<br />
wenige Ärzte dazu treibt, sich diesen Verfahren zu<br />
öffnen, auch ein Unbehagen an den Strukturen der<br />
Fremdbestimmung, die sich um die Anwendung der<br />
Schulmedizin herausgebildet haben.<br />
Drittens sollten Ärzte Schlüsselstellen im System<br />
Medizin besetzen. Mehr Leadership durch Ärzte.<br />
Verantwortung haben sie eh. Dabei lernen sie jede<br />
Menge über die durchzogene Conditio humana. Genau<br />
diese Erfahrung wäre wichtig für Führungsfiguren<br />
im Gesundheitswesen. Aktuell herrscht zu viel Ideologie,<br />
Gesundheitspflege wird zur Moral, Leidenschaft<br />
zur Charakterschwäche. Ärzte könnten diese<br />
Masche durchschauen. Damit wären sie prädestiniert<br />
für Führungsjobs – in doppelter Hinsicht: Sie<br />
können die akute Gesundheitsideologie pragmatisch<br />
diskutieren – und das Leiden der Kranken <strong>als</strong><br />
undiskutables A & O des Systems schützen.<br />
Schluss für heute. War kein Programm, nichts <strong>als</strong><br />
Anregung. Offenbar bin ich nicht allein, wenn ich<br />
Fortbildung nicht bloss <strong>als</strong> Organisation des<br />
Wissens transfers sehe. Der Dichter Rabelais sagte,<br />
Bildung dürfe nicht bloss «Fässer füllen» (mit Kenntnissen<br />
volltexten), sie müsse «Fackeln anzünden»<br />
(Akteure mit dem Feuer der eigenen Souveränität anstecken).<br />
Genau das wollte ich sagen.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 132
Streiflicht HORIZONTE<br />
Erster Beitrag einer in lockerer Folge erscheinenden Kolumne von Dominik Heim,<br />
diesmal zum Thema Remakes<br />
V wie Vergangenheit mit Vorsicht<br />
Dominik Heim<br />
Korrespondenz:<br />
PD Dr. med. Dominik Heim<br />
Chefarzt Chirurgie<br />
Spital Frutigen<br />
CH-3714 Frutigen<br />
dominik.heim[at]spitalfmi.ch<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Anfang Dezember kam sie in die Kinos, die Neuverfilmung<br />
der Anna Karenina. Krieg und Frieden mit<br />
Tolstoi in Verbindung zu bringen, liegt auf der Hand.<br />
Bei Anna Karenina geht der Gedankengang vielleicht<br />
eher über Greta Garbo, die «Göttliche» in der<br />
Rolle der Karenina, bis man sich des gleichen<br />
Autors gewahr wird. Und man erinnert sich, wie<br />
man dam<strong>als</strong> – im burgunderroten Plüschsessel im<br />
Kino Piccadilly am Bahnhof Stadelhofen – diesen<br />
Schwarzweiss-Film mit viel weissem Rauch aus der<br />
Lokomotive in der Schneelandschaft und im schwarznassen<br />
Bahnhof von Russland genossen hat. Der Regisseur<br />
sei das Wichtige in einem Film und nicht der<br />
Schauspieler, war dam<strong>als</strong> die vorherrschende Meinung,<br />
aber das konnte bei der Garbo eigentlich gar<br />
nicht stimmen. Jetzt <strong>als</strong>o ist es Keira Knightley, die<br />
diese Figur entgegen der sympathischen, mitleiderregenden<br />
Darstellung in früheren Filmen hier auch<br />
<strong>als</strong> «Biest» mit einer «animalischen Unberechenbarkeit»<br />
interpretiert. Dass die Sympathie im Zuschauer<br />
dann doch überwiegt, muss so sein (wer liebt schon<br />
das Negative in einer mitleiderheischenden Kultfigur?).<br />
Schliesslich «soll es dem Zuschauer nicht<br />
egal sein, wenn sie sich am Ende unter den Zug<br />
wirft» (Sonntagszeitung vom 25. 11. 2012).<br />
Remakes wie Anna Karenina haben eine lange<br />
Tradition in der Kultur. Unsterbliche Figuren sterben<br />
(es erinnert an die Halbgötter – bei denen man aber<br />
zuerst die Achillesferse finden muss – und erinnert<br />
an unseren Berufsstand, wo aus ehemaligen Göttern<br />
jetzt Halbgötter in Weiss wurden) und erscheinen in<br />
neuer Interpretation mit Charisma und emotionaler<br />
Wucht wieder aus der Asche oder Versenkung. Glüht<br />
die Asche aber nur ganz leicht, dann wird es das<br />
Schicksal des ein-maligen 007 George Lazenby (On<br />
Her Majesty’s Secret Service, 1969). Das sei aber bei Skyfall<br />
(2012) nicht der «fall». Film und David Craig<br />
seien (noch) besser <strong>als</strong> A Quantum of Solace (2008),<br />
sagen die Kritiker. Und dabei war doch schon die<br />
Idee, dass das Wasser und nicht das Öl das zukunfts-<br />
bestimmende Element sei, bestechend (und wohl zutreffend).<br />
Remakes erlauben es auch jüngeren Zeitgenossen,<br />
Nicht-Bekanntes (weil dam<strong>als</strong> noch nicht geboren)<br />
zu entdecken und auf der Suche nach der Vergangenheit<br />
auf das Original zu stossen. Es gibt unzählige<br />
Als ältere Ausbildner sind wir verpflichtet, auch das «Alte» weiter<br />
zugeben, damit neue Trends in ihren Anfängen und in ihrer Logik<br />
verstanden werden können.<br />
Song-Versionen von Caravan, darunter auch jene von<br />
Duke Ellington, selbst diese liegt aber sehr weit zurück.<br />
Jetzt aber kommt das Lied wieder auf der neuen<br />
CD The Duke (2012) – eine zeitadaptierte Liedversion<br />
und faszinierende Hommage von Joe Jackson an<br />
Ellington. Eine meisterhaft orchestrierte, «kalt den<br />
Die Göttliche: Greta Garbo war die erste Anna Karenina<br />
und fegte die Ansicht hinweg, der Regisseur sei das<br />
Wichtigste an einem Film.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
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Streiflicht HORIZONTE<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Die Nachfolgerin der Garbo: Keira Knightley – auch schön, in ihrer Rolle aber eher ein Biest. (© Focus Features)<br />
Rücken herunterlaufende» Hommage ist auch die an<br />
Leidenschaft kaum zu überbietende Interpretation<br />
der nie verstummten Chansons von Edith Piaf durch<br />
Patricia Kaas (Kaas chante Piaf 2012). Hier wird die<br />
fragile, die traurig-volle Stimme des Spatzes von Paris<br />
mit der lasziven Emotionalität einer Patricia Kaas<br />
intensiviert – «je ne regrette rien» in Perfektion!<br />
Und der Bezug zur Medizin? «Früher haben wir<br />
… war alles anders … war alles besser … ja, früher!».<br />
Damit werden die 50-Stunden-Woche für Assistenten<br />
und Oberärzte gekontert und neue Operationsmethoden<br />
skeptisch begrüsst. Vorsichtig wird an der Gegenwart<br />
geschnuppert. Remakes zeigen, dass mit Einbezug<br />
der Vergangenheit Neues, Faszinierendes<br />
entstehen kann – <strong>als</strong> ältere Ausbildner sind wir ver-<br />
pflichtet, auch das «Alte» in einer Art weiterzugeben<br />
und zu vermitteln, damit neue Trends in ihren Anfängen<br />
und in ihrer Logik verstanden werden können<br />
(innerhalb der gesetzlichen Arbeitszeit, wie -<br />
so fehlt da ab und zu einfach die Zeit?). Und am<br />
Schaum (foam-sclerotherapy) in der Varizenchirurgie<br />
schnuppern, mit Interesse (und einem selbstzufriedenen<br />
Lächeln) die neue Schraube und das neue<br />
Konzept der (wieder) geringen Instabilität der DLS<br />
(dynamic locking screw) anschauen – das sollten wir.<br />
Aber eine gewisse Skepsis behalten, auch einmal einen<br />
warnenden Finger erheben – das dürfen wir<br />
(auch). Nicht jedes Remake ist ein Erfolg. Anna Karenina,<br />
Edith Piaf und unserer ärztlichen Tätigkeit ist<br />
er zu wünschen.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 134
Schaufenster HORIZONTE<br />
Zahlen erzählen<br />
Contents ils racontent ceux qui comptent: les rencontres<br />
Contano e raccontano cantando gl’incontri<br />
Editores Medicorum Helveticorum<br />
1 Dasein ist das Eine, deutlich mehr <strong>als</strong> sein Unwesen treibendes Nichts.<br />
un unione peut-être: im Einssein allenfalls noch eine mystica.<br />
ei nai, eiömiß; esse, sum & summa<br />
Sono un suono – ich bin ein Klang, wandelnd ein Leben lang<br />
Und dennoch gibt’s Sprachen, die ohne Per-son kein Sein kennen (z.B. Russisch)<br />
2 Ein Zweites: die Zukunft. Sie kommt auf mich zu, indem sie Er-innerungen zu äussern vermag.<br />
Dúo & Ze úw (Dieuw), Duo & Deus, duo e Dio, deux et Dieu and two together.<br />
In Zweien vereint – das dis- & ent- & Zweifel kommen erst später, hinken hilflos hinterher……<br />
3 Tre re, trois rois, Drei Könige für die Terra, three Earths<br />
La mer, la mère et la terre m’invitent à me taire. Tacere & facere<br />
Die Erde trägt alles, kann aber nicht alles ertragen: ma terre – mater. Im Erden lehrt sie mich,<br />
mich selber zu werden: Ge-vrg ów , Georges, Giorgio, Юрий, Jürg<br />
4 Vier & four: Vater & Wasser, quater & pater, quatre pères,<br />
téssarew aus *quetwores (Russisch: четыре) fidwor, fidor … wohl auch fides die Treue<br />
5 pénte, Äolisch auch: pémpe, aus Sanskrit: pánca, auch quinque, cinque, cinq<br />
Gotisch fimf über finf zur Fünf: die Fülle, pánta ( reiq) Ö<br />
Eine Hand hat ab-gezählt: full-house<br />
6 eÄc, sex, sei, six & sechs: secare = schneiden (mit Säge & Sense)<br />
Samten das sechsfädige Gewebe<br />
7 eÖptaß, septem, sept, sette: Sieben.<br />
Hier wird’s feierlich: seßbomai: sich verneigen, seßbas: scheue Ehrfurcht<br />
Wen wundert’s, dass hier Sabbath ist?<br />
8 oöktvß & nukt-, octo & nyct-, otto & notte, huit & nuit, Acht & Nacht<br />
Dual von zwei Viererreihen (ohne Daumen gezählt).<br />
*okt, ak…: Ecke, Spitze, aökroßs & aceto, Ahorn mit den spitzen, eckigen Blättern<br />
9 eönneßa & neßa, nove & nuovo, neuf & nouveau neuf, neue Neun –<br />
Beginnt eine neue (Zahlen-)reihe oder ein neuer Tag?<br />
10 Decem & dies, ten & day, dix et Dieux oder doch deux (wie am Anfang)?<br />
Zehn am schönsten: Deßka: von deßxomai: annehmen, gutheissen, gastlich aufnehmen,<br />
erwarten und von deßkomai: offene Hände hinhalten, grüssen<br />
Was wir zum Erzählen wählen,<br />
lässt sich nicht mit Zahlen zählen –<br />
Wort & Vers & Lied & Dichtung<br />
sind im Zahlenwald die Lichtung,<br />
wenn’s gelingt, die zarten Hüllen<br />
des Dazwischen auszufüllen<br />
Jürg Kesselring, Valens<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
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Editores Medicorum Helveticorum<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
ZU ET GUTER ENCORE... LETZT<br />
Moralpredigten werden zwar nicht geschätzt,<br />
dennoch braucht es Moral<br />
Jean Martin<br />
1 Siehe auch den informativen<br />
Artikel von Marc<br />
Guéniat in Le Temps<br />
(Genf) vom 21. Dezember<br />
2012, S. 12.<br />
2 Artikel im ausgezeichneten<br />
Bulletin von Medicus<br />
Mundi Schweiz, Nr. 126,<br />
Dezember 2012: Bulgarien<br />
spendet WestEuropa sein<br />
Personal; programmierte<br />
Fehlentwicklungen für die<br />
Philippinen und<br />
die Schweiz.<br />
3 Claudepierre R.<br />
Le médecin des Indiens<br />
(Theodor Binder). Illfurth:<br />
Saint Brice Verlag; 2011.<br />
* Frage: Über 70 % der<br />
Amerikaner sind gläubig,<br />
und ein sehr grosser Teil<br />
nimmt an Weihnachtsgottesdiensten<br />
teil. Wie<br />
viele von ihnen gingen mit<br />
der Waffe in der Tasche<br />
zur Kirche?<br />
jean.martin[at]saez.ch<br />
Als Vater und Grossvater tendiere ich zum Jahresanfang<br />
dazu, gute Ratschläge zu geben. Das ist heute<br />
jedoch nicht mehr gefragt, und <strong>als</strong> rückständige<br />
Autoritätsperson möchte ich auch nicht gelten.<br />
Wie aber sollen wir – wenn wir Inakzeptables<br />
ohne hin nur noch eingeschränkt kritisieren dürfen –<br />
darauf hinweisen, dass die Moral eine wichtige und<br />
notwendige Funktion in unserer Gesellschaft hat?<br />
Mahnendes Beispiel dafür ist das Finanzwesen. Zwar<br />
wollen uns einige Politiker glauben machen, das<br />
skandalöse Verhalten beschränke sich auf einige wenige,<br />
doch es häufen sich die Anzeichen, dass in den<br />
Banken dieser Welt eine breite Kultur von Lug und<br />
Trug herrschte (und immer noch herrscht?).<br />
In der Schweiz sind grosse Einrichtungen und<br />
Institutionen ansässig, deren Aktivitäten ethische<br />
Fragen aufwerfen. Am 17. Januar organisierte Swissaid<br />
in Bern eine Diskussion zum Thema Transparenz<br />
im Rohstoffbereich, an der Persönlichkeiten aus Politik<br />
und Wirtschaft teilnahmen, darunter zwei Staatssekretäre.<br />
Auf der Einladung stand: «Hintergrund<br />
der Debatte ist die Tatsache, dass trotz eines immensen<br />
Reichtums an Bodenschätzen in Ländern wie<br />
dem Niger, Angola oder dem Kongo viele in extremer<br />
Armut leben.» (NB: Man spricht vom «Fluch der<br />
Rohstoffe».) «Als weltweit grösster Handelsplatz für<br />
Rohstoffe müsste die Schweiz ihre Verantwortung in<br />
der unabdingbaren Reglementierung übernehmen»<br />
[1]. Dies ist eine grosse moralische Herausforderung<br />
auf internationaler Ebene, mit negativen Konsequenzen<br />
für das Gesundheitspersonal und die soziale<br />
Lage. Dabei ist es nicht zulässig, das Gesicht hinter<br />
den Argumenten der unternehmerischen Freiheit<br />
verstecken zu wollen.<br />
Das Gesundheitswesen steht seit Jahrzehnten<br />
vor dem Problem, dass ausgebildete Fachleute abwandern<br />
(brain drain). Tausende von Ärzten und<br />
noch mehr Pflegende – mit grossem Aufwand in Entwicklungsländern<br />
ausgebildet – arbeiten bei uns und<br />
bleiben. Nun könnte man natürlich sagen, auszuwandern<br />
sei ihr gutes Recht, doch es geht zu Lasten<br />
der Gesundheit in den Herkunftsländern. Die WHO<br />
hat zwar einen Verhaltenskodex für ihre Mitgliedsländer<br />
herausgegeben, doch die Situation ist bei weitem<br />
nicht zufriedenstellend [2]. Anzumerken ist<br />
auch, dass der (finanzielle und kompetenzenspezifische)<br />
Wert dieser Unterstützung, welche arme Ländern<br />
an die reichen leisten, höher liegt <strong>als</strong> das, was<br />
die reichen Länder im Rahmen von Kooperationsleistungen<br />
geben. Es ist einfach nicht akzeptabel,<br />
dass die reiche Schweiz nicht in der Lage sein sollte,<br />
das benötigte Gesundheitspersonal auszubilden. Die<br />
WHO sorgt sich ausserdem um den adäquaten Zugang<br />
zu Medikamenten in den benachteiligten Ländern,<br />
vor allem in Bezug auf den Preis.<br />
In diesem Kontext braucht die lange Geschichte<br />
von Kolonialisierung und Neokolonialismus wohl<br />
nicht lang erwähnt zu werden. Viel Wirbel um<br />
Werte und Menschenrechte, wo Letztere doch regelmässig<br />
mit Füssen getreten werden, wenn es den<br />
Mächtigen gerade in den Kram passt. Als ich jüngst<br />
die Biographie eines deutschen Arztes aus der Nähe<br />
von Basel las, der im peruanischen Amazonasgebiet<br />
ein Spital eröffnete, in dem ich zwischen 1968 und<br />
1970 gearbeitet habe [3], kamen mir unsere Beziehungen<br />
zur Dritten Welt wieder in den Sinn. Obwohl<br />
die amerikanischen «First nations» versuchen, ihre<br />
Rechte einzufordern, werden sie weiter von den herrschenden<br />
Klassen vertrieben und missachtet.<br />
Ebenfalls um Gleichheit und Respekt ging es in<br />
einem kurz vor Weihnachten auf ARTE ausgestrahlten<br />
Film über Billie Holiday. Das 1939 entstandene<br />
Lied Strange Fruit erinnert an jene Greuel (vor allem<br />
straffreie Lynchjustiz), welche die Schwarzen in<br />
Amerika noch ein Dreivierteljahrhundert nach der<br />
Sklaverei durchleben mussten, und ist eines der ersten<br />
Zeugnisse der Bürgerrechtsbewegung. Die in den<br />
USA immer noch herrschende, todbringende Verehrung<br />
des Waffenbesitzes, wie etwa der Amoklauf in<br />
Connecticut, empören weiterhin alle, die nicht vom<br />
Mythos des «heiligen» Rechts der Erben der Pionierväter<br />
indoktriniert sind. Die immensen Schwierigkeiten,<br />
eine echte Schusswaffenkontrolle auf den<br />
Weg bringen zu wollen, geben zu denken*.<br />
Im Sinne einer ethischen Moti vation ein Auszug<br />
aus der Grussbotschaft zum 70sten eines Freundes,<br />
der auf eine bemerkenswerte Karriere in Gesundheitswesen<br />
und Universität zurückblicken kann: «Was verbindet<br />
uns? Das Wissen um unsere Privilegien und<br />
der Wille, diese zu teilen? Die Weigerung, die Welt<br />
den Schurken und Ignoranten zu überlassen? Das<br />
Wissen um die Fragilität unseres Planeten und der<br />
Wunsch, ihn zu erhalten? Oder vielmehr die Gewissheit,<br />
dass sich hinter dem Unerfüllbaren, das uns einschliesst,<br />
das Unerfüllte verbirgt, das uns für die Welt<br />
öffnet und unseren Weg erhellt?» Das Unerfüllte, das<br />
unseren Weg erhellt – eine Botschaft für alle, die wie<br />
ich häufig an all ihre Ziele denken, die bislang noch<br />
unerfüllt blieben.<br />
Jean Martin, Mitglied des Internationalen Ausschusses<br />
für Bioethik der UNESCO und der Redaktion<br />
136
Editores Medicorum Helveticorum<br />
Die letzte Seite der SÄZ wird von Anna frei gestaltet, unabhängig von der Redaktion.<br />
<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />
ANNA<br />
www.annahartmann.net