20.02.2013 Aufrufe

Gesamtausgabe als PDF - Schweizerische Ärztezeitung

Gesamtausgabe als PDF - Schweizerische Ärztezeitung

Gesamtausgabe als PDF - Schweizerische Ärztezeitung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

4<br />

23.1. 2013<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

S chweizerische <strong>Ärztezeitung</strong><br />

Bollettino dei medici svizzeri<br />

Bulletin des médecins suisses<br />

Editorial 89<br />

Krebsregister und onkologische Versorgung<br />

FMH 91<br />

TARVISION – Auf dem Weg zu einem<br />

umfassend aktualisierten TARMED<br />

SÄZ-Podiumsdiskussion 108<br />

Reportage vom Podium «Suizidhilfe –<br />

(k)eine ärztliche Aufgabe?»<br />

Tribüne 125<br />

Präsenzcharakter von Krankheit und Spiritual Care<br />

Horizonte 133<br />

V wie Vergangenheit mit Vorsicht<br />

«Zu guter Letzt» von Jean Martin 136<br />

Moralpredigten werden zwar nicht geschätzt,<br />

dennoch braucht es Moral<br />

Offizielles Organ der FMH und der FMH Services www.saez.ch<br />

Organe officiel de la FMH et de FMH Services www.bullmed.ch<br />

Bollettino ufficiale della FMH e del FMH Services


FMH<br />

Editorial<br />

89 Krebsregister und<br />

onkologische Versorgung<br />

Christoph Bosshard<br />

Tariffragen<br />

91 TARVISION – Auf dem Weg zu einem<br />

umfassend aktualisierten TARMED –<br />

Rückblick und Ausblick<br />

Ernst Gähler, Irène Marty, Roger Scherrer<br />

Die FMH verzeichnet Fortschritte auf dem Weg zu einer<br />

Tarifstruktur, welche die Realität abbildet und alle medi-<br />

zinischen Leistungen sachgerecht und betriebswirt-<br />

schaftlich korrekt abbilden soll.<br />

Aktuell<br />

94 HSM Onkologie:<br />

Speerspitze einer Zentralisierung<br />

der ambulanten Versorgung?<br />

J. Nadig, G. Gruber, M. Trutmann,<br />

M. Schwöbel, S. Eberhard, E. Ziltener et al.<br />

Ende 2012 wurde der Bericht zur Hochspezialisierten<br />

Medizin HSM Onkologie mit einer Vernehmlassungsfrist<br />

von nur fünf Wo- chen veröffentlicht. Wie<br />

geplant umgesetzt, würde die-<br />

ses Konzept zu einem mas-<br />

siven Eingriff in die onkologi-<br />

sche Versorgungsstruktur führen.<br />

Verschiedene Gesellschaften, darunter<br />

die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Medizi-<br />

nische Onkologie (SGMO), nehmen Stellung.<br />

Nachrufe<br />

97 In memoriam Reinhard Fischer<br />

98 Personalien<br />

Organisationen der Ärzteschaft<br />

SGIM<br />

100 CAS Management of Medical Units<br />

Jean-Michel Gaspoz, Lukas Zemp,<br />

Volker Bernhard Schulte<br />

INHALT<br />

Weitere Organisationen und Institutionen<br />

Swissmedic<br />

101 Pharmacovigilance und Spontanmeldungen<br />

unerwünschter Arzneimittelwirkungen<br />

10 Jahre nach Inkrafttreten<br />

des Heilmittelgesetzes<br />

Guy Levy, Pia Caduff, Rudolf Stoller<br />

Ein Rückblick mit positiver Bilanz, doch auch mit Forde-<br />

rungen für die Zukunft: Mehr Fortbildung für medizini-<br />

sche Fachpersonen und Verantwortliche in pharmazeuti-<br />

schen Unternehmen sei vonnöten.<br />

IPI<br />

105 Zusammenarbeit für eine<br />

bessere Nutzung von IT­Möglichkeiten<br />

Gerhard Schilling, Peter Amherd<br />

Das Institut für Praxisinformatik und der Verband Schwei-<br />

zerischer Fachhäuser für Medizinal-Informatik haben sich<br />

zusammengetan, um die elektronische Dokumentation<br />

in Arztpraxen zu fördern und deren Praxistauglichkeit si-<br />

cherzustellen.<br />

SÄZ­Podiumsdiskussion<br />

108 Suizidhilfe – (k)eine ärztliche Aufgabe?<br />

Anna Sax<br />

Bericht von der SÄZ-Podiumsdiskussion im November<br />

2012. Eine engagierte und differenzierte Debatte fand<br />

statt zum komplexen Thema der Suizidhilfe – und im<br />

Speziellen zur Frage, ob die entsprechenden SAMW-<br />

Richtlinien noch zeitgemäss sind.<br />

112 DRG / Neue Spitalfinanzierung –<br />

Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />

Die Einführung von SwissDRG im Januar 2012 war von<br />

substantiellen Bedenken begleitet. Haben sie sich bestä-<br />

tigt? Welche Auswirkungen gab es auf die Versorgungs-<br />

qualität und Arbeitsbedingungen, auf Hausärzte, Spit-<br />

zenmedizin und die Kostenentwicklung? Das nächste<br />

SÄZ-Podium in Bern möchte zu einer fundierten Ausein-<br />

andersetzung mit diesen und weiteren Fragen beitragen.


IMPRESSUM<br />

Briefe / Mitteilungen<br />

113 Briefe an die SÄZ<br />

113 Facharztprüfungen<br />

FMH Services<br />

114 Seminare 2013<br />

FMH Services<br />

115 Zahlungseingang pünktlich<br />

FMH Factoring Services<br />

116 Des primes plus basses<br />

pour vous et vos collaborateurs<br />

FMH Insurance Services<br />

117 Stellen und Praxen<br />

Tribüne<br />

Standpunkt<br />

125 Präsenzcharakter von Krankheit<br />

und Spiritual Care<br />

Priska Bützberger Zimmerli, Sabine Weidert,<br />

Beat Müller<br />

Anmerkungen zu zwei in der SÄZ publizierten Beiträgen<br />

zum Thema Spiritualität. Die Autoren sind zuversichtlich,<br />

dass es einen Mittelweg gibt zwischen der Reduktion<br />

von Krankheit auf somatische Zustände und dem Abdrif-<br />

ten in «Selbstbeweihräucherung und Heilerfantasien».<br />

Betriebswirtschaft<br />

127 Neues Rechnungslegungsrecht:<br />

strengere Vorschriften für Ärzte<br />

Martin Brenner, Rolf Willimann<br />

128 Spectrum<br />

Redaktion<br />

Dr. med. et lic. phil. Bruno Kesseli<br />

(Chefredaktor)<br />

Dr. med. Werner Bauer<br />

PD Dr. med. Jean Martin<br />

Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />

Dr. med. Jürg Schlup (FMH)<br />

Prof. Dr. med. Hans Stalder<br />

Dr. med. Erhard Taverna<br />

lic. phil. Jacqueline Wettstein (FMH)<br />

Redaktion Ethik<br />

PD Dr. theol. Christina Aus der Au<br />

Prof. Dr. med. Lazare Benaroyo<br />

Dr. phil., dipl. biol. Rouven Porz<br />

Redaktion Medizingeschichte<br />

Prof. Dr. med. et lic. phil. Iris Ritzmann<br />

PD Dr. rer. soc. Eberhard Wolff<br />

Redaktion Ökonomie<br />

Anna Sax, lic. oec. publ., MHA<br />

Redaktion Recht<br />

Fürsprecher Hanspeter Kuhn (FMH)<br />

Managing Editor<br />

Annette Eichholtz M.A.<br />

Redaktionssekretariat<br />

Elisa Jaun<br />

Redaktion und Verlag<br />

EMH <strong>Schweizerische</strong>r Ärzteverlag AG<br />

Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz<br />

Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: redaktion.saez@emh.ch<br />

Internet: www.saez.ch, www.emh.ch<br />

Herausgeber<br />

FMH, Verbindung der Schweizer<br />

Ärztinnen und Ärzte, Elfenstrasse 18,<br />

Postfach 170, 3000 Bern 15<br />

Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12<br />

E-Mail: info@fmh.ch<br />

Internet: www.fmh.ch<br />

Herstellung<br />

Schwabe AG, Muttenz<br />

Marketing EMH<br />

Karin Würz<br />

Leiterin Marketing und Kommunikation<br />

Tel. 061 467 85 49, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: kwuerz@emh.ch<br />

Horizonte<br />

INHALT<br />

Essay<br />

129 Verantwortung haben Ärzte reichlich.<br />

Und Führung?<br />

Ludwig Hasler<br />

Der Autor diagnostiziert eine Erosion ärztlicher Souverä-<br />

nität, hat aber auch Vorschläge zu deren Revitalisierung.<br />

Streiflicht<br />

133 V wie Vergangenheit mit Vorsicht<br />

Dominik Heim<br />

Erster Beitrag einer in<br />

l ockerer Folge erscheinen-<br />

den Kolumne von Dominik<br />

Heim, diesmal zum Thema<br />

Remakes am Beispiel des<br />

Films «Anna Karenina».<br />

Schaufenster<br />

135 Zahlen erzählen<br />

Jürg Kesselring<br />

Gedankenreiche Assoziationen zu den Zahlen 1 bis 10.<br />

Zu guter Letzt<br />

136 Moralpredigten werden zwar nicht<br />

geschätzt, dennoch braucht es Moral<br />

Jean Martin<br />

Soll die Welt nicht weiter aus den Fugen geraten,<br />

braucht es in vielen Bereichen mehr Macht für ethische<br />

Aspekte. Jean Martin weist hier nicht nur auf die Proble-<br />

matik der armen und reichen Länder hin, auf Lug und<br />

Trug in der Finanzwelt, sondern auch auf Probleme im<br />

Gesundheitswesen.<br />

Anna<br />

Inserate<br />

Werbung<br />

Sabine Landleiter<br />

Leiterin Anzeigenverkauf<br />

Tel. 061 467 85 05, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: slandleiter@emh.ch<br />

«Stellenmarkt/Immobilien/Diverses»<br />

Matteo Domeniconi, Inserateannahme<br />

Stellenmarkt<br />

Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56<br />

E-Mail: stellenmarkt@emh.ch<br />

«Stellenvermittlung»<br />

FMH Consulting Services<br />

Stellenvermittlung<br />

Postfach 246, 6208 Oberkirch<br />

Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86<br />

E-Mail: mail@fmhjob.ch<br />

Internet: www.fmhjob.ch<br />

Abonnemente<br />

FMH-Mitglieder<br />

FMH Verbindung der Schweizer<br />

Ärztinnen und Ärzte<br />

Elfenstrasse 18, 3000 Bern 15<br />

Tel. 031 359 11 11, Fax 031 359 11 12<br />

EMH Abonnemente<br />

EMH <strong>Schweizerische</strong>r Ärzteverlag AG<br />

Abonnemente, Postfach, 4010 Basel<br />

Tel. 061 467 85 75, Fax 061 467 85 76<br />

E-Mail: abo@emh.ch<br />

Jahresabonnement: CHF 320.–,<br />

zuzüglich Porto<br />

© 2013 by EMH <strong>Schweizerische</strong>r<br />

Ärzteverlag AG, Basel. Alle Rechte vorbehalten.<br />

Nachdruck, elektronische<br />

Wiedergabe und Übersetzung, auch<br />

auszugsweise, nur mit schriftlicher<br />

Genehmigung des Verlages gestattet.<br />

Erscheint jeden Mittwoch<br />

ISSN 0036-7486<br />

ISSN 1424-4004 (Elektronische Ausg.)


Editorial FMH<br />

Nicht ohne die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für medizinische Onkologie<br />

Krebsregister und onkologische Versorgung<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Eine qualitätsorientierte, vernetzte<br />

Versorgung ist ein<br />

Kernanliegen der FMH. Mit<br />

der Gründung der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

Akademie für Qualität<br />

in der Medizin SAQM am<br />

27. November 2012 hat die<br />

FMH ein Zeichen gesetzt, ihre<br />

vernetzende Aufgabe sowohl<br />

innerhalb wie auch ausserhalb<br />

der Ärzteschaft zu stärken.<br />

Das Primat der Fachgesellschaften<br />

für fachspezifische Fragen ist für die FMH<br />

unbestritten und eine Conditio sine qua non. Die Aufgabe, die<br />

hier die Fachgesellschaften übernehmen, ist von grösster Bedeutung.<br />

Auch wenn die Meinungen bisweilen auseinandergehen,<br />

sind trotz allem die Fachgesellschaften am besten in<br />

der Lage, die fachlichen Spannungsfelder zu überbrücken<br />

und diese Hürde zu meistern.<br />

Kurze Fristen bei Anhörungen<br />

lassen vermuten, dass die Meinung<br />

der angefragten Expertenkreise nicht<br />

wirklich interessiert.<br />

Wer sonst? Der Bund hat am 7. Dezember 2012 das Vernehmlassungsverfahren<br />

zum Bundesgesetz über die Registrierung<br />

von Krebserkrankungen mit Frist bis zum 22. März 2013<br />

eröffnet. Positiv zu bewerten ist der Vorschlag, die Erfassung<br />

der Daten nicht nur zu regeln, sondern auch zu harmonisieren<br />

und in einem nationalen Register zusammenzuführen.<br />

Die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für Medizinische Onkologie<br />

SGMO bietet ihre Zusammenarbeit an, indem sie die Daten<br />

des eidgenössischen Registers in ein Fachgesellschafts­eigenes<br />

Register überführen würde, um sie dort mit Leistungserbringer­Daten<br />

gekoppelt zur Qualitätssicherung für die Mitglieder<br />

zu nutzen. Eine entsprechende Machbarkeitsstudie<br />

wäre nun anzustreben.<br />

Am 18. Dezember 2012 eröffnete das Fachorgan Hochspezialisierte<br />

Medizin (HSM) der <strong>Schweizerische</strong>n Konferenz<br />

der Gesundheitsdirektorinnen und ­direktoren GDK im Rahmen<br />

der Umsetzung der Interkantonalen Vereinbarung zur<br />

hochspezialisierten Medizin (IVHSM) ein Anhörungsverfahren<br />

zur hochspezialisierten Behandlung seltener Krebserkrankungen<br />

des Erwachsenen. Die Frist läuft bis 22. Januar 2013.<br />

Es handelt sich bei der IVHSM um ein von allen 26 Kantonen<br />

ratifiziertes Organ mit Gesetzes­ charakter. Der Planungsentwurf<br />

hat Verordnungscharakter, es würde somit eine Vernehmlassungsfrist<br />

von drei Monaten gelten. Im Hinblick auf<br />

die kurze Frist – nota bene über die Festtage – muss man sich<br />

die Frage stellen, wie ernsthaft das Interesse der IVHSM an Inputs<br />

aus Expertenkreisen wirklich ist. Informationen zur<br />

SGMO­Stellungnahme finden Sie in dieser Ausgabe der<br />

<strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong> auf Seite 94.<br />

Statt verschiedener onkologischer<br />

Kompetenzzentren wäre<br />

eine nationale Plattform angesagt.<br />

Zudem sieht die FMH mit Sorge, dass mit den geplanten<br />

sieben onkologischen Kompetenzzentren in unserem doch<br />

eher kleinen Land eine strukturelle Aufsplitterung der Versorgungslandschaft<br />

zementiert werden soll. Weitaus überzeugender<br />

wäre eine nationale Plattform mit internationaler Abstützung<br />

und entsprechender Behandlungsprozess­Gestaltung,<br />

basierend auf nationalen und internationalen<br />

Guidelines. Dass die geplanten Zentren ihre Hoheit in den<br />

ambulanten Bereich ausdehnen wollen, widerspricht nicht<br />

nur dem gesetzlichen Auftrag nach Art. 39 KVG, sondern<br />

schränkt die Therapiefreiheit der ambulanten Ver sorgung,<br />

welche heute 90 % der Behandlungen abdeckt, sowie die freie<br />

Arztwahl ein. Nach dem deutlichen Volks­Nein 2008 und<br />

2012 zu Vorlagen, die diese Errungenschaften rückgängig machen<br />

wollten, befremdet dieses Vorgehen in besonderer<br />

Weise.<br />

Die FMH setzt sich für eine effiziente und qualitativ<br />

hochstehende ärztliche Weiterbildung ein. Deshalb sind<br />

auch das <strong>Schweizerische</strong> Institut für Weiter­ und Fortbildung<br />

SIWF sowie der VSAO und der VLSS anzuhören.<br />

Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, müssen fachübergreifende<br />

Fragen innerhalb der verschiedenen Fachgesellschaften<br />

koordiniert und geklärt werden. Auf diese Weise<br />

vertritt die Ärzteschaft eine konsolidierte Position, dank der<br />

sie von Partnern, der Verwaltung, der Politik und der<br />

Öffentlichkeit <strong>als</strong> kompetente Instanz wahrgenommen wird.<br />

Dr. med. Christoph Bosshard,<br />

Mitglied des Zentralvorstandes der FMH,<br />

Verantwortlicher Ressort Daten, Demographie und Qualität<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

89


Tariffragen FMH<br />

Rückblick und Ausblick<br />

TARVISION – Auf dem Weg<br />

zu einem umfassend<br />

aktualisierten TARMED<br />

Ernst Gähler a , Irène Marty b ,<br />

Roger Scherrer c<br />

a Dr. med., Vizepräsident FMH,<br />

Verantwortlicher Ressort<br />

Ambulante Tarife und<br />

Verträge Schweiz<br />

b Leiterin Ressort Ambulante<br />

Tarife und Verträge Schweiz<br />

c Projektleiter TARVISION<br />

Korrespondenz:<br />

FMH Ressort Ambulante Tarife<br />

und Verträge Schweiz<br />

Elfenstrasse 18<br />

CH­3000 Bern 15<br />

Tel. 031 359 11 11<br />

Fax 031 359 11 12<br />

tarife[at]fmh.ch<br />

Abbildung 1<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Übersicht<br />

Seit unserem letzten Bericht zu TARVISION im März<br />

2012 haben die zahlreichen Akteure – die in verschiedenster<br />

Weise in das ambitiöse Projekt eingebunden<br />

sind – intensiv gearbeitet. Die Vision hat<br />

sich seither nicht verändert: Die FMH erarbeitet eine<br />

gesamthaft revidierte TARMED­Tarifstruktur, welche<br />

die Realität abbildet und in der alle medizinischen<br />

Leistungen sachgerecht und betriebswirtschaftlich<br />

korrekt tarifiert sind. Der Weg dorthin war und ist –<br />

nicht zuletzt aufgrund der hohen technischen und<br />

organisatorischen Komplexität von TARMED – nicht<br />

immer gradlinig. Trotzdem konnten wir im vergangenen<br />

Jahr wichtige Schritte Richtung Ziel machen.<br />

Die Bemessung der Vergütung für die rund<br />

4700 TARMED­Leistungen wird durch zahlreiche Parameter<br />

und Eckwerte definiert, wobei die Sachgerechtigkeit<br />

dieser Grössen meist nur durch Experten<br />

bestimmt werden kann. Eine erste Herausforderung<br />

bei der Gesamtrevision bestand deshalb darin, die<br />

Simulationstools TARVISION – Umfassende Analysemöglichkeiten.<br />

Überprüfung aller bestimmenden Grössen zu koordinieren.<br />

Ein Grossteil dieser eher organisatorischen<br />

Aufgabe wurde bereits im Jahr 2011 zusammen mit<br />

den Fachgesellschaften erbracht und wird nun die<br />

zügige Weiterarbeit an der Gesamtrevision unterstützen.<br />

In organisatorischer Hinsicht konnten im<br />

vergangenen Jahr die Kooperationen mit den Tarifpartnern<br />

aufgebaut und gefestigt werden.<br />

Ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld war zweifellos<br />

die Entwicklung und Erweiterung der Software­Tools<br />

für die Bewirtschaftung des Tarifwerkes TARMED.<br />

Sie dienen der Zusammenführung und Homogenisierung<br />

der in den vergangenen Jahren vielfältig<br />

geänderten Parameter und Eckwerte im TARMED.<br />

Umsetzung und Darstellung der Resultate:<br />

die neuen Software-Tools<br />

Es stellte sich die Frage, wie alle gesammelten Resultate<br />

zu einem neuen, aktualisierten TARMED zusammengeführt<br />

werden können. Allein die von den<br />

m edizinischen Fachgesellschaften eingereichten<br />

Änderungsvorschläge zu einzelnen Tarifpositionen<br />

umfassen hunderte von Parametern. Daneben fliessen<br />

unzählige betriebswirtschaftliche Eckwerte in<br />

die Kalkulation mit ein, welche schliesslich die korrekte<br />

Vergütung für eine bestimmte medizinische<br />

Leistung bestimmen.<br />

Zu beachten ist bei der Aktualisierung ausserdem<br />

das der Tarifstruktur hinterlegte, sehr komplexe<br />

Regelwerk. Die zweite Herausforderung besteht deshalb<br />

darin, alle aktualisierten Eckwerte und Parameter<br />

zu einem Ganzen zusammenzuführen und die<br />

Auswirkungen für alle Anspruchsgruppen zeitnah zu<br />

simulieren und sichtbar zu machen. Da keine Software<br />

verfügbar war, welche den Anforderungen der<br />

FMH entsprach, hat sie sich entschieden, eine bestehende<br />

Lösung der Ärztekasse aufzufrischen und weiterzuentwickeln.<br />

Glücklicherweise konnte die FMH<br />

hier vom reichen Erfahrungsschatz und Know­how<br />

von Anton Prantl, Direktionspräsident der Ärztekasse,<br />

profitieren, dem an dieser Stelle ein herzlicher<br />

Dank gebührt.<br />

Entstanden ist ein baukastenartiges System von<br />

Software­Tools, welche die Änderung und Simulation<br />

beinahe jedes Parameters in der komplexen<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

91


Tariffragen FMH<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

TARMED­Tarifstruktur erlauben. Nach einer Neuberechnung<br />

können die Auswirkungen anhand eines<br />

eigenen TARMED­Browsers unmittelbar dargestellt<br />

werden. Das Tool «TARIS» erlaubt es, Warenkörbe<br />

mit unterschiedlichen Leistungen zu bilden und<br />

diese unter verschiedenen Szenarien zu vergleichen.<br />

Völlig neu entwickelt wurde das Tool «VOLUMIS»,<br />

das die Auswirkungen auf das Taxpunkt­Volumen<br />

darstellt, wobei eine Aufschlüsselung nach diversen<br />

Dimensionen möglich ist und verschiedene Mengenstrukturen<br />

hinterlegt werden können.<br />

Mit den vorliegenden Tools ist es zum ersten Mal<br />

möglich, eine komplett revidierte TARMED­Version<br />

vollständig zu generieren und deren Auswirkungen<br />

durchzuspielen.<br />

Kontinuierliche Verbesserung der<br />

tarifarischen Grundlagen<br />

Auch im Jahr 2012 konnten wir weitere, neue Verbesserungsvorschläge<br />

von den Fachgesellschaften entgegennehmen.<br />

Ausserdem konnte die Qualität der betriebswirtschaftlichen<br />

Grundlagen in den Kostenmodellen<br />

nochm<strong>als</strong> erhöht werden. Ein Problem war zum Beispiel,<br />

dass seit Einführung des TARMED Veränderungen<br />

an verschiedenen Stellen der Tarifstruktur vorgenommen,<br />

aber nicht systematisch dokumentiert<br />

wurden. Da jedoch die Tarifstruktur immer <strong>als</strong> Gan­<br />

Abbildung 2<br />

Roadmap der tripartiten Kooperation FMH/H+/MTK.<br />

Arbeitspaket TARMED 2.0:<br />

� Neues Kapitel GV / Kapitel 00<br />

� Nichtärztliche Betreuung<br />

� Handchirurgie<br />

� Revision Kapitel 2<br />

� Revision Kapitel 17<br />

� Aktualisierung der drei<br />

Kostenmodelle<br />

zes in sich stimmig sein muss, wenn sie dem Gebot<br />

des sachgerechten Tarifes entsprechen will, mussten<br />

gewisse «manuelle» Eingriffe zunächst analysiert<br />

und dann mit dem übrigen Tarifgerüst harmonisiert<br />

werden.<br />

Neues Kapitel Grundversorgung<br />

Über den letzten Sommer wurde intensiv am neuen<br />

Kapitel für die Grundversorgung gearbeitet. Die<br />

po litischen Entwicklungen im Rahmen des Masterplanes<br />

Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung<br />

machten es erforderlich, die tariftechnische<br />

Entwicklung des neuen Kapitels zügig voranzutreiben.<br />

Das zu erreichende Ziel bleibt weiterhin,<br />

die hausärztlichen Tätigkeiten in einem eigenen<br />

K apitel korrekt und eingebettet in die ganze Tarifstruktur<br />

abzubilden. Der Inhalt des Kapitels 40<br />

wurde durch Hausärzte Schweiz definiert. Das Ressort<br />

Ambulante Tarife und Verträge Schweiz der<br />

FMH stand beratend bei der tariftechnischen Umsetzung<br />

zur Seite. Die verschiedenen Ärzteorganisationen<br />

wurden im Herbst über den aktuellen Stand des<br />

Kapitels informiert und wurden gebeten, sich einzubringen.<br />

Anlass zu Diskussionen geben primär die<br />

Zugangsberechtigung zum Kapitel und die Abgrenzung<br />

zu den bereits bestehenden Leistungspositionen<br />

im TARMED. In der Delegiertenversammlung<br />

vom 7. November 2012 wurde dann das Ressort be­<br />

Gemeinsame RoadMap Revison TARMED H+/FMH/MTK<br />

TARMED 1.09<br />

Inkraftsetzung<br />

TARMED 2.0<br />

TARMED 2.1<br />

Eingabe an den Bundesrat<br />

Arbeitspaket TARMED 2.1:<br />

� Detaillierte Aktualisierung der<br />

volumenstarken Sparten<br />

� Inputs Kostenmodelle Tarifpartner<br />

� Vereinfachung Regelwerk<br />

� Revision weiterer Kapitel: 08 / 19 /<br />

32 / 39 / 37 / Notfall und<br />

Rettungsmedizin<br />

� - ...<br />

TARMED 2.2<br />

Arbeitspaket TARMED 2.2:<br />

� laufende Bewirtschaftung mit<br />

jährlicher Aktualisierung<br />

� Kapitel …<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 92<br />

� …<br />

� ...<br />

30.06.2014<br />

30.06.2013 30.06.2015 30.06.2016


Tariffragen FMH<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

auftragt, die weiteren Verhandlungen mit den Vertragspartnern<br />

von TARMEDSuisse zu führen.<br />

Tripartite Zusammenarbeit mit H+ und MTK<br />

Eine wichtige Aufgabe im vergangenen Jahr war die<br />

Koordination des Projektes TARVISION mit den Revisionsbemühungen<br />

unserer Tarifpartner H+ und<br />

MTK. Die gemeinsamen Ziele und Schwerpunkte<br />

wurden zunächst in bilateralen und später in einer<br />

tripartiten Absichtserklärung definiert. Klar ist für<br />

alle drei Vertragspartner, dass schliesslich eine gesetzeskonforme,<br />

betriebswirtschaftlich korrekte, aktualisierte<br />

und sachgerechte Bewertung aller medizinischen<br />

Leistungen in Arztpraxen, Spitälern und Kliniken<br />

resultieren muss. Die tripartite Kooperation<br />

erlaubt bewusst, dass spezifische Subprojekte einzelner<br />

Partner – welche zum jetzigen Zeitpunkt keine<br />

Koordination erfordern – autonom weitergeführt<br />

werden können. Klar ist aber auch, dass es in vielen<br />

Bereichen, insbesondere bei der Revision der einzelnen<br />

TARMED­Kapitel, eine enge Koordination<br />

braucht.<br />

Um die Inhalte der Zusammenarbeit zu definieren,<br />

wurde im Sommer 2012 eine gemeinsame Roadmap<br />

erarbeitet, welche die langfristige Planung der<br />

Zusammenarbeit enthält und die Arbeitspakete auf<br />

dem Weg zur Gesamtrevision definiert.<br />

Im Herbst 2012 haben die drei Partner FMH/H+/<br />

MTK dann konkret begonnen, ihr Wissen und ihre<br />

Erkenntnisse im Bereich TARMED zu bündeln. Die<br />

institutionellen Rahmenbedingungen wurden geschaffen,<br />

welche die Umsetzung der Roadmap ermöglichen.<br />

Die Herausforderung besteht primär<br />

darin, die Arbeiten in den verschiedenen Arbeitsgruppen<br />

zusammenzutragen und zu einem Gesamtpaket<br />

zu fusionieren. Folgende Gremien sind momentan<br />

aktiv an der Arbeit:<br />

Abbildung 3<br />

Gremien der tripartiten Zusammenarbeit FMH/H+/MTK.<br />

Mehrere Fachteams haben in den letzten Wochen<br />

ihre Arbeit aufgenommen. Die betroffenen medizinischen<br />

Fachgesellschaften konnten den Tarifpartnern<br />

ihre Verbesserungsvorschläge präsentieren, die<br />

nun gemeinsam diskutiert und validiert werden.<br />

Revisionsprojekt santésuisse – Austausch<br />

von Grundlagen<br />

Auch der vierte Tarifpartner santésuisse arbeitet an<br />

einem Revisionsprojekt TARMED, das verschiedene<br />

Teilprojekte umfasst. Sowohl santésuisse wie auch<br />

die FMH erachten es <strong>als</strong> sinnvoll, die Grundlagen<br />

und Überlegungen – die den beiden Revisionsprojekten<br />

zugrunde liegen – auszutauschen und somit<br />

Transparenz zu schaffen. Dies wurde in einer gemeinsamen<br />

Absichtserklärung festgehalten. Eine<br />

A rbeitsgruppe ist gebildet, die Arbeitsgrundlagen<br />

ausgetauscht und diskutiert.<br />

Ausblick<br />

Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter dem Projektteam<br />

von TARVISION und allen beteiligten Partnern. An<br />

dieser Stelle sei allen Akteuren, die mit ihrem zum<br />

Teil ausserordentlichen Engagement zum guten<br />

Fortschreiten der Arbeiten beigetragen haben, gedankt.<br />

Ein besonderer Dank gilt allen Mitgliedern<br />

des Technischen Ausschusses TARVISION, ohne die<br />

die zeitgleiche Umsetzung verschiedener Vorhaben<br />

in dieser kurzen Zeitspanne nicht möglich gewesen<br />

wäre.<br />

Die Gesamtrevision eines solch umfassenden<br />

Tarifwerkes wie dem TARMED ist und bleibt eine<br />

g rosse Herausforderung. Wir werden uns auch im<br />

angelaufenen Jahr motiviert und engagiert weiter für<br />

einen sachgerechten, betriebswirtschaftlich korrekten<br />

Tarif einsetzen. Die Roadmap dazu steht!<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 93


Aktuell FMH<br />

HSM Onkologie: Speerspitze einer<br />

Zentralisierung der ambulanten Versorgung?<br />

Jürg Nadig a ,<br />

Günther Gruber b ,<br />

Markus Trutmann c ,<br />

Marcus Schwöbel d ,<br />

Stephan Eberhard e ,<br />

Erika Ziltener f ,<br />

Urs Saxer g ,<br />

Andreas Lohri h<br />

a <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />

für Medizinische Onkologie<br />

(SGMO)<br />

b <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />

für Radioonkologie (SRO)<br />

c foederatio medicorum<br />

chirurgicorum helvetica<br />

fmCh<br />

d Kinderchirurgie<br />

e Oncoreha.ch<br />

f Dachverband <strong>Schweizerische</strong>r<br />

Patientenstellen (DVSP)<br />

g Prof. Dr. iur. Rechtsanwalt,<br />

Zürich, VR Spital Männedorf<br />

AG, Rechtskonsulent KKA<br />

h Leiter Onkologie Hämatologie,<br />

Medizinische<br />

Universitätsklinik,<br />

Kantonsspital Baselland,<br />

Standort Liestal<br />

* In den Industrieländern<br />

basieren solche CCC auf 10–<br />

20 Millionen Einwohnern. Sie<br />

integrieren Behandlung und<br />

Betreuung, Weiter­ und Fort ­<br />

bildung, klinische Forschung<br />

und Grundlagenforschung.<br />

Wie die regionalen CCC mit<br />

weniger <strong>als</strong> einer Million<br />

Einwohner in der Schweiz<br />

dem Kriterium 4.3.4.3.b.<br />

der IV HSM «Internationale<br />

Konkurrenzfähigkeit»<br />

genügen wollen, bleibt offen.<br />

Korrespondenz:<br />

Dr. med. Jürg Nadig, MAE<br />

Präsident der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

Gesellschaft für Medizinische<br />

Onkologie<br />

Facharzt für Innere Medizin<br />

und Medizinische Onkologie<br />

Bannhaldenstrasse 7<br />

CH­8180 Bülach<br />

Tel. 044 862 73 00<br />

Fax 044 862 73 01<br />

juerg.nadig[at]hin.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Hochspezialisierte Medizin (HSM) Onkologie: ein<br />

Papiertiger oder Speerspitze einer zentralistischen<br />

Versorgungsstruktur?<br />

Am 11. 12. 2012 wurde der Bericht zur HSM Onkologie<br />

mit einer Vernehmlassungsfrist von nur fünf<br />

Wochen veröffentlicht (inkl. Feiertage), den eine Expertengruppe<br />

in den letzten drei Jahren ausgearbeitet<br />

hatte. Auf den ersten Blick scheint er ein Papiertiger<br />

zu sein: Die IVHSM (s. Kasten) kann über die<br />

Spitalliste lediglich etwa 5 % der onkologischen Versorgung<br />

regeln. Betroffen sind vor allem stationäre<br />

chirurgische Eingriffe. Auf den zweiten Blick wird<br />

das Konzept aber zur Speerspitze einer zentralistischen<br />

Versorgung im ambulanten Bereich. So umgesetzt,<br />

führt HSM Onkologie zu einem massiven Eingriff<br />

in die onkologische Versorgungsstruktur. Sieben<br />

sogenannte Comprehensive Cancer Centers (CCC)*<br />

legen parallel (!) in ihrer Region verbindlich Guidelines<br />

fest und lenken die Patientenströme (Einschränkung<br />

der freien Arzt­ und Spitalwahl). Die CCC teilen<br />

die Schweiz kartellistisch unter sich auf. Das Angebot<br />

der übrigen onkologischen Leistungserbringer wird<br />

ohne Grund beschnitten: Sie dürfen keine modernen<br />

zielgerichteten medikamentösen Therapien<br />

mehr anbieten, obwohl sie das bisher unbeanstandet<br />

in guter Qualität seit Jahren gemacht haben (Einschränkung<br />

der Therapierfreiheit). Für Patientinnen<br />

und Patienten könnte das bedeuten, dass solche Therapien<br />

von den Krankenkassen nur noch übernommen<br />

werden, wenn sie diese von einem CCC erhalten.<br />

Statt eines einzigen nationalen Qualitätsregisters<br />

führt jedes der sieben Zentren ein eigenes Register.<br />

Alle nachgelagerten Institutionen müssen ihre Daten<br />

diesen Registern zuliefern. Die Datenhoheit liegt<br />

beim einzelnen CCC. Es wertet sie aus und publiziert<br />

sie. Die CCC bestimmen zudem, mit welchen Leistungserbringern<br />

sie zusammenarbeiten wollen.<br />

Meinungsumfrage<br />

In einer repräsentativen Umfrage der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO)<br />

lehnten 98,5 % der Abstimmenden das HSM­Onkologie­Konzept<br />

ab und unterstützten das Qualitätskonzept,<br />

das die Fachgesellschaft bereits ausgearbeitet<br />

hat. Die Rückmeldungen kamen aus allen Versorgungsstrukturen<br />

(Universitäts­, Kantons­, Schwerpunkt­<br />

und Privatspitäler, Gruppen­ und Einzelpraxen)<br />

und allen Landesteilen.<br />

Auch in den drei Bereichen Viszeralchirurgie,<br />

Kinderonkologie und Kinderchirurgie haben die Vor­<br />

schläge des HSM­Fachorgans Widerstand und Unwillen<br />

provoziert. Sind hier lediglich die Partialinteressen<br />

einiger Ewiggestriger tangiert oder bestehen methodische<br />

Mängel am Vorgehen des Fachorgans der<br />

HSM oder überschreitet es sogar seine Kompetenzen?<br />

Ziel der IV HSM<br />

Mit der Interkantonalen Vereinbarung zur Hochspezialisierten<br />

Medizin (IVHSM) delegieren die Kantone<br />

in diesem Bereich die Gestaltung ihrer Spitallisten an<br />

das HSM – Beschlussorgan (Art. 9.1 IVHSM). So soll<br />

über die Kantonsgrenzen hinweg die hochspezialisierte<br />

Medizin im stationären Bereich koordiniert<br />

werden. Diese Vereinbarung beschränkt sich auf Bereiche<br />

und Leistungen, die durch<br />

– ihre Seltenheit,<br />

– ihr hohes Innovationspotential,<br />

– einen hohen personellen oder technischen<br />

Aufwand oder<br />

– komplexe Behandlungsverfahren<br />

gekennzeichnet sind. Für die Zuordnung müssen<br />

mindestens drei der genannten Kriterien erfüllt sein,<br />

wobei aber immer das der Seltenheit vorliegen muss<br />

(Art. 1 IVHSM).<br />

Vom Beschlussorgan angenommene und zugeteilte<br />

Leistungen heben abweichende kantonale Spi­<br />

IVHSM<br />

Die Kantone sind beauftragt, für den Bereich der<br />

hochspezialisierten Medizin (HSM) eine gemeinsame<br />

gesamtschweizerische Planung im Spitalbereich<br />

vorzunehmen (Art. 39, Abs. 2bis KVG).<br />

Für die Umsetzung dieses Gesetzesauftrages haben<br />

die Kantone per 1. 1. 2009 die Interkantonale<br />

Vereinbarung zur Hochspezialisierten Medizin<br />

(IVHSM) unterzeichnet und sich damit zur<br />

gemeinsamen Planung und Zuteilung von hochspezialisierten<br />

Leistungen verpflichtet. Für die<br />

hochspezialisierte Medizin gibt es somit anstelle<br />

von 26 kantonalen Planungen nur noch eine<br />

einzige, von allen Kantonen gemeinsam getragene<br />

Planung. Die IVHSM bildet die gesetzliche<br />

Grundlage für die Leistungszuteilung, legt die<br />

Entscheidungsprozesse der IVHSM Organe fest<br />

und definiert die Kriterien, welche ein Leistungsbereich<br />

erfüllen muss, um <strong>als</strong> hochspezialisierte<br />

Medizin im Sinne der IVHSM zu gelten.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

94


Aktuell FMH<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

tallistenzulassungen auf (Art. 9.2 IVHSM). Das Beschlussorgan<br />

bestimmt die Bereiche der HSM, die<br />

einer schweizweiten Konzentration bedürfen. (Art.<br />

3.3 IVHSM). Ein Fachorgan bereitet die Entscheidungen<br />

des Beschlussorgans vor. Die IVHSM legt fest,<br />

welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, dass<br />

eine Dienstleistung überhaupt zugeteilt werden kann<br />

(Art. 4.3 IVHSM):<br />

a) Wirksamkeit<br />

b) Nutzen<br />

c) Technologisch­ökonomische Lebensdauer<br />

d) Kosten der Leistung<br />

Für den letzten Schritt, die Zuteilung an einzelne<br />

Leistungserbringer oder Institutionen, sind Qualität,<br />

Verfügbarkeit von hochqualifiziertem Personal und<br />

Teambildung, Verfügbarkeit der unterstützenden Disziplinen,<br />

Wirtschaftlichkeit und Weiterentwicklungspotential<br />

zu berücksichtigen. Die vom Fachorgan vorbereiteten<br />

Beschlüsse müssen fachbezogen und wissenschaftlich<br />

begründet sein (Art. 4.5 IVHSM).<br />

Bisherige Entscheide zur HSM<br />

In den letzten drei Jahren wurden zu bestimmten,<br />

genau umschriebenen Eingriffen Beschlüsse gefasst:<br />

Es wurde festgelegt, welche Voraussetzung für die<br />

Cochleaimplantate nötig seien und wo die Protonentherapie<br />

angeboten wird. Für die Neurochirurgie<br />

wurde die stereotaktische Chirurgie der anormalen<br />

Bewegungen und tiefe Hirnstimulation geregelt. Bei<br />

all diesen Bereichen ging es um Handlungskompetenzen<br />

in einem eng umschriebenen Gebiet mit<br />

hohem Innovationspotential. Diese Eingriffe sind<br />

<strong>als</strong> CHOP­Codes im SwissDRG­Tarif für stationäre<br />

Leistungen abgebildet. Nur eine scheinbare Ausnahme<br />

bildet die Versorgung der Schwerverletzten.<br />

Für ihre Behandlung braucht es aber eine hohe<br />

Handlungskompetenz verschiedener Disziplinen,<br />

die zeitnahe zusammenarbeiten und die unmittelbare<br />

Nachbehandlung koordinieren müssen.<br />

Krankheiten sind weder wirksam noch<br />

haben sie eine technologisch-<br />

ökonomische Lebensdauer<br />

Um in die Liste der HSM­Bereiche aufgenommen zu<br />

werden, ist Wirksamkeit, Nutzen, technologisch­ökonomische<br />

Lebensdauer und Kosten der Leistung zu<br />

berücksichtigen(Art. 4.4.1 IVHSM). Somit sind im<br />

Rahmen der IVHSM einzelne Leistungen/Eingriffe zu<br />

beurteilen und zuzuweisen. Es geht nicht um eine<br />

Globalvollmacht, Versorgungsgebiete aufzuteilen.<br />

Seltene Krankheiten per se erfüllen die Aufnahmekriterien<br />

der HSM nicht. Sie sind weder wirksam<br />

noch nützlich. Ihnen fehlt eine technologisch­ökonomische<br />

Lebensdauer. Es können nur einzelne Behandlungen<br />

oder Eingriffe, die diese Kriterien bei seltenen<br />

Krankheiten erfüllen, in die Liste der HSM­<br />

Bereiche aufgenommen werden. Alle bis jetzt geregelten<br />

Bereiche waren mit einer Handlungskompe­<br />

tenz verknüpft, die allenfalls koordiniert, zeitgleich<br />

von verschiedenen Spezialisten am gleichen Ort erbracht<br />

werden muss (Komplexe Behandlungsverfahren:<br />

Verbrennungen oder Schwerstverletzte) weshalb<br />

in Art. 4.3.4.2c IVHSM die ständige Verfügbarkeit der<br />

unterstützenden Disziplinen in gewissen Bereichen<br />

zu Recht eingefordert wird. Ein komplexes Behandlungsverfahren<br />

aus zeitlich gestaffelten, ambulant<br />

oder stationär erbrachten Routineeingriffen fällt<br />

nicht unter die IVHSM­Regelung, auch wenn die<br />

Krankheit selten ist. Es verlangt nach einem Behandlungskonzept<br />

mit verbindlicher Koordination der<br />

einzelnen Behandlungen, bspw. an einem (virtuellen)<br />

Tumorboard. Solche Behandlungskonzepte auszuarbeiten<br />

verlangt Wissenskompetenz. Expertise ist<br />

nicht an bauliche Strukturen, sondern an Personen<br />

gebunden.<br />

Mit dem Bericht zur HSM Onkologie überschreitet<br />

das Fachorgan die gesetzlichen Rahmenbedingungen.<br />

Es regelt nicht mehr die Zuteilung einzelner stationärer<br />

Leistungen (Knochenmarktransplantation,<br />

Whippel Operation, Extremitätenperfusion …), sondern<br />

schafft primär zentralistische Strukturen. Diese<br />

verursachen zwar durchaus Kosten und mehr unnötige<br />

Arbeit, kaum aber Nutzen. Selbst das Fachorgan<br />

der HSM Onkologie ist sich des Nutzens nicht sicher,<br />

schreibt es doch auf Seite 12, «dass durch eine<br />

schweizweite Koordination und Konzentration eine<br />

qualitative Verbesserung der Versorgung plausibel<br />

erscheint und voraussichtlich erreicht werden<br />

kann». Damit bestätigt es den Mangel an hierfür beweisenden<br />

Daten. Es geht lediglich von Annahmen<br />

aus. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass Entscheide<br />

fachbezogen und wissenschaftlich sein müssten<br />

(Art. 4.5.3 IVHSM). Die Fachgesellschaft schlägt<br />

<strong>als</strong> zielführende Alternative fachgesellschaftseigene<br />

Qualitätsregister vor.<br />

Anträge sind fachbezogen<br />

und wissenschaftlich begründet<br />

Mit Qualitätsregister der Fachgesellschaft und Vollkosten<br />

liesse sich das Gesundheitswesen rationaler<br />

steuern <strong>als</strong> mit planwirtschaftlichen Eingriffen. DRG<br />

und neue Spitalfinanzierung sind ein erster Schritt zu<br />

mehr Kostentransparenz. Bezüglich Qualitätsdaten<br />

ist die Schweiz aber ein Entwicklungsland. Deshalb<br />

stützen sich die Entscheidungsträger oft auf Strukturkriterien<br />

ausländischer Empfehlungen. Es gibt aber<br />

einen Bereich, in dem Qualitätsdaten vorliegen: Im<br />

nationalen Kinderkrebsregister sind Behandlungs­<br />

und Outcomedaten vorhanden. Was läge näher, <strong>als</strong><br />

diese Qualitätsdaten für einen fachbezogenen und<br />

wissenschaftlich begründeten Zuteilungsentscheid<br />

zu verwenden (Art. 4.3.5 IVHSM)? Das Fachorgan<br />

begnügt sich aber mit dem Zählen von Eingriffen,<br />

die auf Strukturkriterien der Europäischen Gesellschaft<br />

für Pädiatrie beruhen! Scheute das Fachorgan<br />

die Kinderkrebsregisterdaten, weil sie eine sehr hohe<br />

Behandlungsqualität belegen? Bei einer hohen Qua­<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 95


Aktuell FMH<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

lität besteht kein Regelbedarf. Die Konzentration<br />

führt kaum zu einer Qualitätsverbesserung, da sie<br />

bereits sehr hoch ist. Gleichzeitig wurde verpasst, die<br />

ausländischen Strukturkriterien an unseren Outcome<br />

daten zu validieren. Verschiedene Studien zeigen,<br />

dass eine Zentralisierung nicht mit einer besseren<br />

Qualität einhergehen muss.<br />

Verbessert die Zentralisierung<br />

die bereits vorhandene hohe Qualität?<br />

Vielleicht würden wir bei einem Fach wie der Neurochirurgie<br />

spontan sagen, die Konzentration auf<br />

wenige Orte sei zum Wohle der Kranken. Nun zeigt<br />

aber eine Untersuchung aus Norwegen, dass dem<br />

nicht zwangsläufig so ist. Das gleiche lässt sich für<br />

die Behandlung des Brustkrebses zeigen: Krebsregisterdaten<br />

aus Genf weisen für zentrale (Universitätsspital<br />

Genf) und dezentrale (niedergelassene<br />

Onkologen) Versorgungssysteme eine sehr hohe Behandlungsqualität<br />

aus. Stadien adaptiert ist der Outcome<br />

im Zentrum nicht besser <strong>als</strong> bei den niedergelassenen<br />

Onkologen. Ein gleiches Resultat zeigte eine<br />

kürzlich erschienene Studie zur Behandlung des M.<br />

Hodgkin in Deutschland: Die Behandlungsqualität<br />

an CCC ist gleich gut wie in kleineren Zentren und<br />

bei den niedergelassenen Onkologen. Ist die Qualität<br />

bereits sehr hoch, sind mit einer Zentralisierung<br />

kaum weitere Verbesserungen möglich.<br />

Transparente Prozesse<br />

und unabhängige Experten?<br />

Wenn nun höhere Behandlungsqualität in der Onkologie<br />

nicht an CCC gebunden ist, welche Interessen<br />

verstecken sich denn hinter einer Zentralisierung?<br />

Die von der HSM­Leitung beigezogenen Expertinnen<br />

und Experten sind nicht bekannt. Ihre Partikularinteressen<br />

werden nicht offengelegt. Somit fehlt dem<br />

Zentralisierungsprozess nicht nur die rechtliche<br />

Grundlage. Die methodischen Mängel und die fehlende<br />

Transparenz wecken Zweifel am vorgeschlagenen<br />

Konzept. Es bräuchte gute Gründe, den Ein­<br />

druck zu zerstreuen, ein kleiner Club von Interessensvertretern<br />

instrumentalisierten die HSM<br />

Onkologie, um unter dem Banner der Qualitätssicherung<br />

für sich selbst passende Regeln und eine<br />

Ausgrenzung der nichtuniversitären Onkologen zu<br />

schaffen.<br />

Wissen an Fachleute und nicht<br />

an Strukturen knüpfen: das Qualitätskonzept<br />

der Fachgesellschaften<br />

Die Fachgesellschaften der Radioonkologen und der<br />

Medizinischen Onkologen erarbeiteten zusammen<br />

mit der Onkologiepflege Schweiz ein Qualitätskonzept.<br />

Es beinhaltet interdisziplinäre Tumorboards und<br />

die Behandlung nach internationalen Guidelines. Zudem<br />

sollen Patientenpfade von den beteiligten Fachgesellschaften<br />

in der SAQM erarbeitet werden. Ein<br />

nationales Qualitätsregister der Fachgesellschaften<br />

basierend auf den Krebsregisterdaten ermöglicht<br />

Rückmeldungen der Behandlungsqualität an die<br />

einzelnen Leistungserbringer. Virtuelle (inter)nationale<br />

Kompetenzzentren für seltene Tumorkrankheiten<br />

mit interdisziplinären Tumorboards sollen den<br />

niederschwelligen Zugang zu Spezialistenwissen ermöglichen.<br />

Die im Swiss Cancer Network zusammengeschlossenen<br />

Fachärzte verpflichten sich<br />

schon heute, ihre Patientinnen und Patienten nach<br />

diesen Standards zu behandeln. Dieses Konzept<br />

braucht nicht 7 CCC, sondern ein <strong>Schweizerische</strong>s<br />

Krebs­Netzwerk, das die Aktivitäten auf verschiedenen<br />

Versorgungsebenen und in verschiedenen Bereichen<br />

(Vorsorge und Prävention, Behandlung und<br />

Betreuung Forschung) koordiniert. Den Fachgesellschaften<br />

und den Berufs organisationen ist eine<br />

hohe Behandlungs­ und Betreuungsqualität ein zentrales<br />

Anliegen. Die SAQM ist das geeignete Gefäss,<br />

diese Aktivitäten zu koor dinieren. HSM Onkologie<br />

aber sollte Leistungen (CHOP­Codes im DRG­Tarif)<br />

für komplexe Eingriffe bei seltenen Krankheiten zuteilen,<br />

beispielsweise: Intraperitoneale Chemotherapie<br />

oder die Extremitätenperfusion.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 96


Nachrufe FMH<br />

In memoriam Reinhard Fischer<br />

Dr. med. Reinhard Fischer<br />

(1920–2012)<br />

1 Heim UFA. Das Phänomen<br />

AO. Bern: Hans Huber;<br />

2001.S. 80.<br />

2 Fischer R. Ein halbes<br />

Jahrhundert Varizenchirurgie.<br />

Phlebologie.<br />

2009;5:5.<br />

3 Fischer R. Die chirurgische<br />

Behandlung der Varizen.<br />

Grundlagen und heutiger<br />

Stand. Praxis.<br />

1990;79:155–67.<br />

4 Hermanns HJ. Reinhard<br />

Fischer zum 90. Geburtstag.<br />

Phlebologie.<br />

2011;1:34–5.<br />

5 Fischer R, Linde N, Duff C<br />

et al. Das Crosserezidiv –<br />

eine Nachkontrolle nach<br />

34 Jahren. Phlebologie.<br />

2000; 29:17–22.<br />

6 Fischer R, Chandler JG,<br />

DeMaeseneer M, et al. The<br />

unresolved problem of<br />

recurrent saphenofemoral<br />

reflux. J Am Coll Surg.<br />

2002;195(1):80–94.<br />

7 Fischer R, Kluess HG,<br />

Frings N et al. Der aktuelle<br />

Stand der Magnakrossenrezidiv­Forschung.<br />

Phlebologie. 2003;32:<br />

54–9.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

«Mir scheint, wir sind noch nicht am Ziel.»<br />

(Reinhard Fischer an der SGP-Jahresversammlung<br />

am 29. Mai 2009 in Bern)<br />

Reinhard Fischer war Chirurg, Allgemeinchirurg mit<br />

einem sehr breiten Berufsspektrum, so wie es dam<strong>als</strong><br />

üblich war. Man findet ihn auf der legendären Fotografie<br />

vom ersten AO­Kurs in Davos ganz links<br />

a ussen [1]. In der Mitte wird Maurice Müller in<br />

einem Korb von Hans Willenegger und Walter Stähli<br />

getragen. Reinhard Fischer lacht im Gruppenbild<br />

wie alle andern, es war am Ende des ersten Kurses …<br />

Und Reinhard Fischer erweist dann viel später seinem<br />

damaligen Bieler Schulkameraden und auch<br />

Lehrer Maurice E. Müller die Ehre in seinem Rückblick<br />

«ein halbes Jahrhundert Varizenchirurgie» [2]<br />

«der mit der Einführung der unmittelbaren posttraumatischen<br />

stabilen Osteosynthese Abertausenden<br />

ein postthrombotisches Syndrom ersparte». Es ist<br />

typisch für ihn, dass er auch in einem Moment der<br />

persönlichen Reflexion und der Würdigung seiner<br />

Verdienste altruistisch jener Leute gedachte, die ihn<br />

in seiner Laufbahn beeinflusst und gefördert haben.<br />

1959 wurde Reinhard Fischer Spitalleiter und<br />

Chefarzt am Gemeindespital Wattwil. Nach der<br />

Verselbstständigung von Medizin und Gynäkologie/<br />

Geburtshilfe und Anästhesie war er Chefarzt der<br />

Chirurgie bis zu seiner Pensionierung 1985. Er gründete<br />

in dieser Zeit auch die Pflegerinnenschule<br />

Toggen burg­Linth (nach dem Rückzug der Ingenbohlerschwestern)<br />

und war Mitbegründer der Schule<br />

für technische Operationsassistentinnen, TOA.<br />

Seine Ausbildung begann er <strong>als</strong> Stipendiat an<br />

der Pathologie in Utrecht, dann an der gynäkologisch­geburtshilflichen<br />

Abteilung in Biel. Danach<br />

chirurgische Ausbildung am Kantonsspital St. Gallen,<br />

Oberarzt am Spital Walenstadt. Einen wichtigen Einfluss<br />

auf seine Berufslaufbahn mit seinem speziellen<br />

Interesse an der Varizenchirurgie hatte sein Fellowship<br />

an der Gefässchirurgie an der Mayo Clinic in<br />

Rochester/USA, bei T.T. Myers, der ihn (zusammen<br />

mit den ebenfalls gefässinteressierten Gebrüdern K.<br />

und E. Lofgren) «die Stripping­Operation mit der<br />

korrekten Crossectomie lehrte» [2]. Und die Varizenchirurgie<br />

sollte ihn zeitlebens nicht mehr loslassen,<br />

«… wenn die vena saphena magna genau an ihrer<br />

Mündung in die vena femoralis ligiert und abgetragen<br />

wird, nachdem dort jeder letzte und kleinste Seitenast<br />

entfernt worden ist. Das ist ein gutes Resultat»<br />

[3]. Ende der 80er Jahre gründete er den «Arbeitskreis<br />

für Varizenchirurgie» und organisierte zusammen<br />

mit befreundeten Phlebologen und Varizenchirurgen<br />

die Kurse für Varizenchirurgie vor der jeweiligen<br />

Jahrestagung der <strong>Schweizerische</strong>n Gesellschaft für<br />

Phlebologie, SGP. Man traf sich in Montana, in<br />

Lenzerheide ... Teilnehmer waren nicht etwa junge<br />

Assistenten, sondern gestandene chirurgische Chefärzte<br />

und leitende Ärzte. Man sprach von weniger invasiven<br />

Operationstechniken wie dem invaginierenden<br />

Stripping, der Miniphlebektomie nach Müller,<br />

und vom Verschluss der kleinen Incisionen mit<br />

Operationsfolienstreifen (und er betonte dann – <strong>als</strong><br />

«sehr aktives AO­Mitglied» [1] – stets, dass dieser<br />

Wundverschluss der Zuggurtungstechnik in der<br />

Osteo synthese entspräche). Es kam die endoskopische<br />

Perforantendiszision (anstelle der invasiven<br />

Perforantenligatur durch den wundheilungsproblematischen<br />

Lintonzugang), die Fischer unter direkter<br />

Sicht mit einem Kinderrectoskop durchführte. Er<br />

gründete mit Kollegen die Arbeitsgemeinschaft für<br />

Fasziotomie und Endoskopie, AFE. 2003 wurde daraus<br />

die Arbeitsgemeinschaft für operative Ulcuschirurgie,<br />

OUT­AG [4]. Es ist einmal mehr typisch für die<br />

Schweiz, dass wegweisende chirurgische Innovationen<br />

aus der Spitalperipherie kamen, die AO tat’s, die<br />

laparoskopische Chirurgie tat’s, und die neue Varizenchirurgie<br />

kam aus Wattwil.<br />

Fischer kannte seine Varizenresultate. Berühmt<br />

ist seine Publikation mit der Nachkontrolle 34 Jahre<br />

(!) nach chirurgischer Sanierung [5]. Man merkte,<br />

was man eigentlich schon lange wusste, dass Varizen<br />

«halt einfach wiederkommen» – auch bei bester<br />

Operationstechnik. Deshalb gründete er die Sapheno-<br />

femoral recurrence research group, SRRG. Die Mitglieder<br />

kamen aus der ganzen Welt: vanRij aus Neuseeland,<br />

Earnshaw aus England, deMaeseneer aus Belgien,<br />

Creton aus Frankreich, Frings aus Deutschland und<br />

viele andere mehr. Eine ganz spezielle Freundschaft<br />

verband ihn mit Jim Chandler von Boulder/Denver,<br />

USA [6]. Mit den neuen endoluminalen Techniken<br />

kamen dann Zweifel auf am Dogma der korrekten<br />

Crossectomie, «dass wir jetzt wissen, dass Krosserezidive<br />

auch nach korrekter Krossektomie vorkommen,<br />

bedeutet (noch?) lange nicht, dass man sie aufgeben<br />

soll» [7]. Fischer war ein Sucher, ein Perfektionist,<br />

ein sympathisch bescheidener, ein gelassener Lehrer<br />

und ein Unternehmergeist [4]. Wir – seine Schüler –<br />

treffen uns 2013 für das nächste SRRG­Meeting in<br />

München, denn «wir sind noch nicht am Ziel» in der<br />

Varizenbehandlung.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

PD Dr. med. Dominik Heim, Frutigen<br />

97


Personalien<br />

Todesfälle / Décès / Decessi<br />

Hans Schaub (1920), † 12.10.2012,<br />

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

4058 Basel<br />

István Világhy (1942), † 30.11.2012,<br />

Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe,<br />

9941 Ispánk HU<br />

Andrée G. Berger (1918), † 12.12.2012,<br />

1286 Soral<br />

Franz Amberg (1921), † 19.12.2012,<br />

Facharzt für Pneumologie und Facharzt für<br />

Allgemeine Innere Medizin, 6045 Meggen<br />

Miro Makek (1944), † 27.12.2012,<br />

8006 Zürich<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Praxiseröffnung /<br />

Nouveaux cabinets médicaux /<br />

Nuovi studi medici<br />

AG<br />

Jürgen Michael Hein,<br />

Facharzt für Anästhesiologie,<br />

Brestenbergstrasse 17, 5707 Seengen<br />

Marcus Weiland,<br />

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

Marktgasse 15, 4310 Rheinfelden<br />

BE<br />

Beat Künzli,<br />

Facharzt für Chirurgie, Schänzlihalde 1,<br />

3013 Bern<br />

BL<br />

Hakan Sarikaya,<br />

Facharzt für Neurologie, Langenhagweg 12,<br />

4153 Reinach BL<br />

FR<br />

Corinne Nathalie Beaube,<br />

Spécialiste en ophtalmologie,<br />

5, avenue Jean-Paul II, 1752 Villars-sur-Glâne<br />

GR<br />

Judith Bianca Valentin,<br />

Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin,<br />

Medizinisches Zentrum gleis d,<br />

Gürtelstrasse 46, 7000 Chur<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

TG<br />

FMH<br />

Oliver Rossbach,<br />

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

Hauptstrasse 14, 8280 Kreuzlingen<br />

ZH<br />

Claudia Furrer-Kübler,<br />

Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin,<br />

Kinderarztpraxis Römerhof,<br />

Klosbachstrasse 111, 8032 Zürich<br />

Florian Stephan Götze,<br />

Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe,<br />

Alte Landstrasse 112, 8702 Zollikon<br />

Sebastian Kluge,<br />

Facharzt für Chirurgie und Handchirurgie,<br />

Bahnhofstrasse 137, 8620 Wetzikon<br />

Ginette Landolt-Koller,<br />

Fachärztin für Ophthalmologie, Augenarztpraxis<br />

Landolt, Dorfstrasse 43, 8630 Rüti<br />

Michael Reutemann, Facharzt für Allgemeine<br />

Innere Medizin, Rössligasse 11, 8180 Bülach<br />

98


Personalien FMH<br />

Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />

Ärztlicher Bezirksverein Bern Regio<br />

Zur Aufnahme <strong>als</strong> ordentliche Mitglieder haben<br />

sich angemeldet:<br />

Clarissa Huber, Fachärztin für Dermatologie<br />

und Venerologie FMH, c/o Dres. Görog und<br />

Göschke, Schanzenstrasse 1, 3008 Bern<br />

Jens Sommer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie<br />

FMH, Kreuzgasse 15, 3076 Worb<br />

Zur Aufnahme <strong>als</strong> ordentliches Mitglied in leitender<br />

Funktion hat sich angemeldet:<br />

Nils Kucher, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie<br />

und Angiologie, Universitätsklinik für<br />

Angiologie, Inselspital, 3010 Bern<br />

Einsprachen gegen diese Vorhaben müssen innerhalb<br />

14 Tagen seit dieser Veröffentlichung<br />

schriftlich und begründet beim Präsidenten<br />

des Ärztlichen Bezirksvereins Bern Regio eingereicht<br />

werden. Nach Ablauf der Einsprachefrist<br />

entscheidet der Vorstand über die Aufnahme<br />

der Gesuche und über die allfälligen Einsprachen.<br />

Ärztegesellschaft<br />

des Kantons Luzern<br />

Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion<br />

Stadt haben sich angemeldet:<br />

Jeremy Philipp Howell, Facharzt für Ophthalmologie<br />

FMH, Augenklinik Luzerner Kantonsspital,<br />

6000 Luzern 16<br />

Corinna Malik, Allg. Innere Medizin FMH, Praxisgemeinschaft<br />

c/o Elke Torff, Morgartenstrasse<br />

6, 6003 Luzern<br />

Yvonne Schoch Zysset, Fachärztin für Allgemeine<br />

Innere Medizin FMH, spez. Nephrologie, Centramed,<br />

Frankenstrasse 2, 6002 Luzern<br />

Zur Aufnahme in unsere Gesellschaft Sektion<br />

Gäu haben sich angemeldet:<br />

Bernadette Batard-Pampuch, Allg. Innere Medizin<br />

FMH, c/o Dr. Pius Estermann, Dorfchärn 2,<br />

6247 Schötz<br />

Joachim Ulrich Manstein, Facharzt für Gynäkologie<br />

und Geburtshilfe FMH, Luzerner Kantonsspital,<br />

6210 Sursee<br />

Einsprachen sind innert zwanzig Tagen nach<br />

der Publikation schriftlich und begründet zu<br />

richten an: Ärztegesellschaft des Kantons Luzern,<br />

Schwanenplatz 7, 6004 Luzern.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug<br />

Zur Aufnahme in die Ärzte-Gesellschaft des<br />

Kantons Zug <strong>als</strong> ordentliches Mitglied hat sich<br />

angemeldet:<br />

Annett Ramseier, Fachärztin für Neurologie<br />

FMH, Lindenweg 1, 8916 Jonen<br />

Einsprachen gegen diese Kandidatur müssen<br />

innerhalb 14 Tagen seit dieser Veröffentlichung<br />

schriftlich und begründet beim Sekretariat der<br />

Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug eingereicht<br />

werden. Nach Ablauf der Einsprachefrist entscheidet<br />

der Vorstand über Gesuch und allfällige<br />

Einsprachen.<br />

Preise/ Prix<br />

Nationaler Latsis-Preis 2012 /<br />

Prix Latsis national 2012<br />

Jacques Fellay von der ETH Lausanne (EPFL) erhält<br />

den mit 100 000 Schweizer Franken dotierten<br />

Nationalen Latsis-Preis 2012. Der <strong>Schweizerische</strong><br />

Nationalfonds ehrt den Förderungsprofessor<br />

für seine Arbeiten über die im<br />

menschlichen Erbgut enthaltenen Abwehrkräfte<br />

gegen virale Krankheiten wie etwa Aids.<br />

Seine Forschung bewegt sich an der Schnittstelle<br />

zwischen Genomik und Infektionskrankheiten<br />

und zeigt, dass die in unseren Genen<br />

enthaltenen Informationen wertvolle Behandlungswerkzeuge<br />

gegen virale Krankheiten sind.<br />

Jacques Fellay de la Faculté des Sciences de la Vie<br />

de l’EPFL a reçu le Prix Latsis national 2012 doté<br />

de 100 000 francs suisses. Le Fonds national suisse<br />

rend honneur à ce professeur boursier pour ses travaux<br />

sur les forces contenues dans le génome humain<br />

pour contrer les maladies virales telles que le<br />

sida. Ses recherches se situent à la frontière entre la<br />

génomique et les maladies infectieuses; elles<br />

montrent que les informations contenues dans nos<br />

gènes constituent des outils de traitement contre les<br />

maladies virales.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 99


SGIM ORGANISATIONEN DER ÄRZTESCHAFT<br />

Ein praxisorientiertes Management-Fortbildungsangebot für Ärzte und medizinisches<br />

Kaderpersonal von SGIM und FHNW<br />

CAS Management of Medical Units<br />

Jean­Michel Gaspoz a ,<br />

Lukas Zemp b ,<br />

Volker Bernhard Schulte c<br />

a Prof. Dr. med., Vorsteher des<br />

SGIM-Präsidiums<br />

b Gener<strong>als</strong>ekretär/Geschäftsstellenleiter<br />

SGIM<br />

c Prof. Dr. , Head Competence<br />

Center Health Management,<br />

Hochschule für Wirtschaft<br />

FHNW<br />

Korrespondenz:<br />

<strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft<br />

für Allgemeine Innere Medizin<br />

Solothurnerstrasse 68<br />

Postfach 422<br />

CH-4008 Basel<br />

Tel. 061 225 93 30<br />

Fax 061 225 93 31<br />

sgim[at]sgim.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Ärzte, die Karriere im Spital oder in einer Praxis machen wollen, müssen in zuneh-<br />

mendem Masse unternehmerische Aufgaben wahrnehmen. Hierfür werden sie wäh-<br />

rend des Studiums jedoch kaum ausgebildet. Die <strong>Schweizerische</strong> Gesellschaft für<br />

Allgemeine Innere Medizin (SGIM) bietet ab April 2013 in Zusammenarbeit mit der<br />

Hochschule für Wirtschaft FHNW eine praxisorientierte Managementausbildung<br />

CAS Management of Medical Units an.<br />

Zunehmend sind neben ihrer medizinischen Kern-<br />

und Fachkompetenz auch Management- und Führungskompetenzen<br />

gefordert. Doch all das, was heute<br />

unter Führung und Management subsumiert wird,<br />

fehlt den Ärzten in der Regel völlig. Zusehends sind<br />

aber gerade diese Qualitäten gefragt, um <strong>als</strong> Kader im<br />

Spital, in der Gruppenpraxis oder <strong>als</strong> «freier Unternehmer»<br />

in der Hausarztpraxis bestehen zu können.<br />

Hier setzt das neue Fortbildungsangebot, das Certificate<br />

of Advanced Studies (CAS) in Management of Medical<br />

Units, der <strong>Schweizerische</strong>n Gesellschaft für Allgemeine<br />

Innere Medizin (SGIM) in Zusammenarbeit<br />

mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)<br />

an.<br />

Planbarer Aufwand und grosser Nutzen<br />

Die SGIM bietet in Zusammenarbeit mit der Hochschule<br />

für Wirtschaft FHNW ab April bis August 2013<br />

in Olten einen massgeschneiderten Zertifikatskurs<br />

«CAS Management of Medical Units» für Ärzte sowie<br />

medizinisches Kaderpersonal an. Der Kurs umfasst<br />

14 Fortbildungstage. Der Anmeldeschluss dafür ist<br />

Ende März 2013. Beim neuen Fortbildungsangebot<br />

handelt es sich 2013 um ein Pilotprojekt in der deut-<br />

schen Schweiz. Das in der Schweiz einzigartige Angebot<br />

baut auf den Elementen eines bewährten international<br />

angebotenen Executive Master in Business<br />

Administration EMBA der Hochschule für Wirtschaft<br />

FHNW auf und orientiert sich gleichzeitig an den spezifischen<br />

Bedürfnissen von Ärzten in Ambulanz und<br />

Spital. Die CAS Management of Medical Units integriert<br />

allgemeine betriebswirtschaftliche Kenntnisse<br />

mit spezifischen Themen des Gesundheitsmanagements.<br />

Grosses Plus: ECTS und SIWF-Credits<br />

Die erfolgreichen Absolventen des neuen Zertifikatskurses<br />

erhalten 15 ECTS-Punkte. ECTS (European<br />

Credit Transfer and Accumulation System) ist ein System<br />

zur Förderung von Transparenz zwischen europäischen<br />

Bildungssystemen. Zudem sind pro Jahr<br />

25 SIWF-Credits im Rahmen der erweiterten Fortbildung<br />

anrechenbar, total innerhalb einer Fortbildungsperiode<br />

von drei Jahren maximal 75 SIWF-<br />

Credits für erweiterte Fortbildung.<br />

Zusätzliche Informationen sind zu finden<br />

unter www.fhnw.ch/wirtschaft/weiterbildung/cas<br />

oder www.sgim.ch/veranstaltung.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

100


Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Pharmacovigilance und Spontanmeldungen<br />

unerwünschter Arzneimittelwirkungen 10 Jahre<br />

nach Inkrafttreten des Heilmittelgesetzes<br />

Guy Levy a , Pia Caduff b ,<br />

Rudolf Stoller c<br />

a Dr. med., Senior Clinical<br />

Reviewer, Einheit Pharmacovigilance,<br />

Abt. Arzneimittelsicherheit,<br />

Swissmedic<br />

b Dr. med., Leiterin der Einheit<br />

Pharmacovigilance, Abteilung<br />

Arzneimittelsicherheit,<br />

Swissmedic<br />

c Leiter der Abteilung<br />

Arzneimittelsicherheit,<br />

Swissmedic<br />

Korrespondenz:<br />

Swissmedic, <strong>Schweizerische</strong>s<br />

Heilmittelinstitut<br />

Dr. med. Guy Levy<br />

Hallerstrasse 7<br />

Postfach<br />

CH­3000 Bern 9<br />

Tel. 031 323 86 22<br />

Fax 031 322 04 18<br />

guy.levy[at]swissmedic.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Das Ziel der Pharmacovigilance [1] besteht darin, die<br />

Kenntnis über bekannte unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />

(UAW) zu erweitern und – seltener – neue<br />

UAW zu identifizieren und diese Informationen den medizinischen<br />

Fachkreisen und den Patienten zugänglich zu<br />

machen. Ein gutes Beispiel für ein bekanntes Risiko ist die<br />

Schwierigkeit, bei jungen Frauen unter hormonalen<br />

Kontrazeptiva die Diagnose einer Lungenembolie zu vermuten.<br />

Ein Beispiel für ein neues Risiko ist die Nephrogene<br />

Systemische Fibrose (NSF) bei Patienten mit Niereninsuffizienz<br />

nach Verabreichung eines Gadolinium­<br />

Kontrastmittels. Besonders wichtig ist, dass die an Swissmedic<br />

berichteten Meldungen, ob von medizinischen<br />

Fachpersonen stammend oder nicht, genaue Angaben<br />

zu den unerwarteten Aspekten und zum neuartigen<br />

Charakter der UAW enthalten. Die «Good Pharmacovigilance<br />

Practice» legt Qualitätskriterien für UAW­<br />

Meldungen fest. Der vorliegende Artikel gibt den aktuellen<br />

Stand im Jahr 2012 wieder. Ausserdem weist er auf<br />

die Meldepflicht und die Voraussetzungen hin, die es<br />

Swissmedic ermöglichen, die Arzneimittelsicherheit zu<br />

verbessern.<br />

Geschichtlicher Hintergrund<br />

Allgemeines<br />

Zwar geht die Erwähnung unerwünschter Wirkungen<br />

von Arzneimitteln bereits auf die Antike zurück,<br />

aber erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts schenkten<br />

die Ärzte den schweren Komplikationen nach der<br />

Verabreichung bestimmter Arzneimittel die angemessene<br />

Aufmerksamkeit: Chloroform konnte bei<br />

der Einleitung der Anästhesie Kammerflimmern mit<br />

Todesfolge auslösen (aus diesem Grund wurde seit<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts auf dieses Mittel verzichtet),<br />

Arsen führte zu Leberzytolyse (1922), oder<br />

während der Schwangerschaft verschriebenes Thalidomid<br />

(1957–1961) zu Missbildungen des Fetus<br />

(Phokomelie/Mikromelie).<br />

Weil Arzneimittel heute auf einer globalen Ebene<br />

angewendet werden, haben die WHO und die nationalen<br />

Berufsverbände ihre Bemühungen koordiniert<br />

und verschiedene Arbeitsplattformen und Datenbanken<br />

geschaffen. Dazu gehören:<br />

– das 1968 geschaffene «WHO Pilot Research Project<br />

for International Drug Monitoring»;<br />

– das «Uppsala Monitoring Center (UMC)», das<br />

seit 1978 die Koordination zwischen dem «WHO<br />

Programme for International Drug Monitoring»<br />

und den über 130 Mitgliedsländern sicherstellt,<br />

namentlich mit einer Datenbank (VigiBase), die<br />

mehr <strong>als</strong> 7,5 Millionen Meldungen umfasst;<br />

– die 1989 gegründete «International Society of<br />

Pharmacoepidemiology»;<br />

– die 1990 geschaffene «International Conference<br />

on Harmonisation»;<br />

– die 1992 geschaffene «European (International)<br />

Society of Pharmacovigilance».<br />

Unter Einbezug dieser Institutionen konnten zahlreiche<br />

Arzneimittelrisiken erfasst und abgeklärt werden,<br />

geeignete Vorsichtsmassnahmen getroffen und,<br />

in selteneren Fällen, Arzneimittel vom Markt genommen<br />

werden, deren Anwendung mit schweren<br />

UAW verbunden war.<br />

Die Pharmacovigilance ist ein Fachgebiet, das<br />

sich zwar dynamisch entwickelt, das aber bisher in<br />

der medizinischen Welt – gemessen an der Anzahl<br />

von Publikationen – immer noch ein Schattendasein<br />

fristet. In der Schweiz erschienen dazu in den letzten<br />

10 Jahren durchschnittlich nur 6 Publikationen pro<br />

Jahr in der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong> und seit<br />

2001 insgesamt 19 Artikel im <strong>Schweizerische</strong>n Medizin­Forum,<br />

im Ausland sind in der Datenbank<br />

PubMed unter der Rubrik «Signal detection Pharmacovigilance»<br />

insgesamt nur gerade 93 Dokumente<br />

erfasst.<br />

Wir möchten anlässlich dieses Jubiläums in Erinnerung<br />

rufen, welche Voraussetzungen für eine gute<br />

Pharmacovigilance erforderlich sind und welche<br />

Bedeutung diese für die öffentliche Gesundheit hat.<br />

Pharmacovigilance in der Schweiz<br />

Die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Wirkstoffs<br />

werden zuerst im Rahmen von Phase­2­ oder<br />

Phase­3­Studien an Gruppen untersucht, die aus<br />

einigen Tausend nach genauen Kriterien ausgewählten<br />

Patienten bestehen. In dieser Phase werden nur<br />

die häufigsten UAW (Häufigkeit > 1 bis 2 %) identifiziert.<br />

Erst mit der Marktzulassung, d. h. wenn die<br />

Arzneimittel bei einer viel grösseren Bevölkerungsgruppe<br />

zur Anwendung kommen, lassen sich auch<br />

seltenere UAW in Erfahrung bringen. Auf dieser<br />

Grundlage wird das Sicherheitsprofil aktualisiert<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

101


Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

und allenfalls das Risiko­Nutzen­Verhältnis dementsprechend<br />

angepasst.<br />

Die wichtigste Methode zum Erkennen von UAW<br />

ist die Spontanmeldung: Bereits einige wenige, richtig<br />

dokumentierte Fälle können eine risiko­<br />

mindernde Massnahme auslösen und schnelle Entscheidungen<br />

zum Schutz der Patienten ermöglichen.<br />

Das <strong>Schweizerische</strong> Heilmittelinstitut Swissmedic<br />

ging 2002 aus der Zusammenlegung der IKS<br />

und der Facheinheit Heilmittel des BAG hervor.<br />

Gemäss dem im gleichen Jahr in Kraft getretenen<br />

Heilmittelgesetz (Art. 58 und 59 HMG) ist Swissmedic<br />

zuständig «für die Überwachung der Sicherheit<br />

der Heilmittel», für das Sammeln der Meldungen,<br />

für deren Auswertung und «für die erforderlichen<br />

Verwaltungsmassnahmen». Diese Massnahmen können<br />

darin bestehen, dass die Fachinformation aktualisiert<br />

(Art. 67, Abs. 1) oder dass eine Zulassung widerrufen<br />

wird (Art. 66 Abs. 2, Bst. b).<br />

Medizinische Fachpersonen und alle, die Heilmittel<br />

herstellen, gewerbsmässig verabreichen oder<br />

abgeben, sind verpflichtet, das Auftreten einer unerwünschten<br />

Wirkung zu melden (Art. 59, Abs. 3).<br />

Konsumenten und Patienten können ebenfalls unerwünschte<br />

Wirkungen melden (Art. 59, Abs. 4).<br />

Die Meldungen sind an die regionalen Pharmacovigilance­Zentren<br />

zu richten (gemäss Abbildung<br />

unten).<br />

Heilmittelgesetz: Gesetzliche Meldepflicht von<br />

medizinischen Fachpersonen bei Verdacht auf<br />

unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />

Definition einer unerwünschten Arzneimittelwirkung<br />

(UAW)<br />

Als UAW wird im engeren Sinne gemäss WHO­Definition<br />

jede schädliche, unbeabsichtigte Wirkung<br />

bezeichnet, die während der Anwendung eines Arzneimittels<br />

in üblicher Dosierung auftritt. Fälle von<br />

Missbrauch (übermässige Dosis oder ungerechtfertigte<br />

Verlängerung der Anwendungsdauer, Verwendung<br />

entgegen der medizinischen Indikation), Abhängigkeit<br />

und Sucht sind ebenso relevant für die<br />

Sicherheit eines Arzneimittels und müssen gemeldet<br />

werden. Dasselbe gilt für beobachtete Komplikationen<br />

unter nicht zugelassenen oder illegalen Arzneimitteln.<br />

Die Meldung<br />

Die Vorgaben – was muss gemeldet werden, wer<br />

ist meldepflichtig, wie melden, an wen ist die Meldung<br />

zu richten? – sind auf unserer Website aufgeführt<br />

unter: www.swissmedic.ch/marktueber<br />

wachung/00091/00136/00137/index.html?lang=de<br />

Was passiert nach der Meldung?<br />

Nach dem Eingang einer Meldung sendet das regionale<br />

Pharmacovigilance­Zentrum der meldenden<br />

Person eine Empfangsbestätigung mit einer Referenznummer<br />

und einem Kommentar. Das regionale<br />

Zentrum beurteilt die eingegangenen Daten und<br />

gibt sie (nach vollständiger Anonymisierung) in die<br />

nationale Pharmacovigilance­Datenbank der Swissmedic<br />

in Bern ein. Swissmedic leitet alle schwerwiegenden<br />

oder neuen Fälle an die betroffenen Vertriebsfirmen<br />

weiter. Diese erhalten auf Anfrage auch<br />

Zugang zu allen Daten, die eines ihrer Produkte<br />

b etreffen. Schliesslich übermittelt das nationale<br />

Zentrum die Meldungen an die internationale Datenbank<br />

der WHO in Uppsala/Schweden. Diese Datenbank<br />

umfasst gegenwärtig fast 8 Millionen Meldungen,<br />

die auch dem nationalen Pharmacovigilance­Zentrum<br />

für spezifische Nachforschungen zur<br />

Verfügung stehen.<br />

In der Abbildung auf der nächsten Seite ist die<br />

Entwicklung der Anzahl der Meldungen im Laufe<br />

der vergangenen 10 Jahre dargestellt: Es lässt sich<br />

eine kontinuierliche Zunahme bis 2009 beobachten,<br />

gefolgt von einer stabilen Phase, welche durch die<br />

Zunahme der Meldungen aus der Industrie überdeckt<br />

wird. Eine höhere Zahl bedeutet allerdings<br />

nicht unbedingt auch eine höhere Qualität.<br />

Die Qualität der Meldung ist<br />

eine entscheidende Voraussetzung<br />

Die tägliche Arbeit der Pharmacovigilance besteht<br />

im Wesentlichen darin, das Wissen über bekannte<br />

UAW zu verbessern. Ein gutes Beispiel sind Fälle<br />

von Lungenembolien bei jungen Frauen, die kombinierte<br />

hormonelle Kontrazeptiva anwenden. Die<br />

Meldungen zu dieser seit Jahrzehnten bekannten<br />

UAW haben aufgezeigt, wie schwierig es ist, die Verdachtsdiagnose<br />

in dieser Personengruppe zu stellen,<br />

die Risikofaktoren richtig zu gewichten, und wie<br />

wichtig die Instruktion der Anwenderinnen ist. Die<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 102


Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

aktuellen Berichte über Agranulozytosen unter<br />

Metamizol­Anwendung wiederum zeigen, dass das<br />

Bewusstsein für dieses Risiko zurückgeht.<br />

Der Nachweis neuer Risiken (Nephrogene Systemische<br />

Fibrose bei Patienten mit Niereninsuffizienz<br />

nach Injektion von Gadolinium, Kiefer­Osteonekrosen<br />

und atypische Frakturen unter Bisphosphonaten)<br />

ist ebenfalls wichtig, aber nicht die «raison<br />

d’être» der Pharmacovigilance.<br />

Damit die Ziele der Pharmacovigilance, die<br />

Daten einer Meldung einordnen und aus ihnen den<br />

maximalen Nutzen ziehen zu können, erreicht werden,<br />

müssen diese Meldungen qualitativen Mindestanforderungen<br />

genügen: Sie müssen die «Good<br />

Pharmacovigilance Practice» erfüllen und zwingend<br />

gewisse wichtige/zentrale Informationen enthalten.<br />

– Die «Good Pharmacovigilance Practice» legt fest,<br />

wie die von den medizinischen Fachpersonen<br />

und Patienten eingereichten Meldungen über<br />

UAW gesammelt, verwaltet, recherchiert und<br />

evaluiert werden müssen, damit Schäden bei den<br />

Patienten, so weit möglich, vermieden werden<br />

können.<br />

– Die wichtigsten Angaben betreffen folgende<br />

Aspekte:<br />

– Spezifischer Grund für die Meldung: Was ist<br />

mir <strong>als</strong> Melder aufgefallen, welche Information<br />

will ich primär weitergeben und mit allen<br />

Beteiligten austauschen;<br />

– Der Ursprung der Meldung, wobei diese je<br />

nach Urheber – medizinische Fachperson oder<br />

Patient – unterschiedliche Qualität aufweisen<br />

kann;<br />

– Alter und Geschlecht des Patienten (wodurch<br />

doppelte Einträge vermieden werden können);<br />

– Beschreibung (wichtigste Symptome) und<br />

Chronologie der UAW (Datum des Auftretens<br />

und Entwicklung, Besserung nach Behandlungsabbruch);<br />

– Die angewendeten Arzneimittel (Angaben mit<br />

Behandlungsbeginn und ­ende, Dosierung,<br />

Verabreichungsweg, Indikation);<br />

– Vorhandene Risikofaktoren/Begleiterkrankun<br />

gen (Allergien, Nieren­, Leber­ oder Lungenschäden,<br />

Alkoholmissbrauch, usw.);<br />

– Differentialdiagnose: mögliche nicht­medikamentöse<br />

Ursachen (z. B. bei Leberschäden<br />

Anamnese einer Alkoholabhängigkeit, Gallenwegsobstruktion,<br />

virale Serologie).<br />

Möglichkeiten und Grenzen des Systems<br />

Mit Hilfe einer Datenbank, in der die Spontanmeldungen<br />

erfasst sind, lassen sich wichtige Sicherheitssignale<br />

erkennen. In den vergangenen Jahren<br />

haben jedoch auch Follow­up­Studien von behandelten<br />

Patienten (Beobachtungsstudien) und Analysen<br />

klinischer Studien (Metaanalysen) sowie epidemiologische<br />

Studien einen zunehmenden Einfluss,<br />

wenn es um die Rolle von Medikamenten <strong>als</strong> auslösender<br />

Faktor von Erkrankungen oder häufiger<br />

UAW und deren Inzidenz geht [2, 3].<br />

So konnte ein Zusammenhang hergestellt werden<br />

zwischen:<br />

– Hormonsubstitutionstherapie und Brustkrebs;<br />

– NSAR und Herz­Kreislauf­Erkrankungen;<br />

– Serotonin­Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und<br />

erhöhtem Suizidrisiko bei Kindern und Jugendlichen;<br />

– Neuroleptika bei älteren Menschen oder bei<br />

Demenzkranken und Schlaganfall;<br />

– Anticholinergika zur Inhalation und Infarkt;<br />

– Ezetimib und Krebs;<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 103


Swissmedic WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

– Antidiabetika (Glitazon) und Infarkten oder Frakturen;<br />

– Bisphosphonaten und Vorhofflimmern oder<br />

«Low energy fractures»;<br />

– Omeprazol oder anderen Protonenpumpenhemmern<br />

und Frakturen.<br />

Jedes Jahr treten weltweit Tausende von potentiell<br />

fatalen Fällen mit gastrointestinalen Blutungen auf,<br />

die nachweislich durch NSAR, Antikoagulantien<br />

oder Thrombozytenaggregationshemmer verursacht<br />

werden.<br />

Gerade weil diese Ereignisse so häufig sind, führen<br />

sie paradoxerweise in vielen Fällen nicht zu einer<br />

Spontanmeldung. Seltene und neue Ereignisse erhalten<br />

von medizinischen Fachpersonen am meisten<br />

Aufmerksamkeit und werden deshalb eher gemeldet.<br />

Sie wecken auch eher das Interesse der Medien. So<br />

kam es in den vergangenen Jahren am häufigsten zu<br />

einem Marktrückzug nach der Beobachtung von<br />

UAW, die seltene Erkrankungen betrafen.<br />

Die wichtigste Methode zum Erkennen von unerwünsch­<br />

ten Arzneimittel wirkungen ist die Spontanmeldung.<br />

Eine Grenze der Systemerfassung besteht deshalb<br />

darin, dass zu selten gemeldet wird, da das Verfassen<br />

einer Meldung von der Motivation der Person<br />

abhängt, welche die UAW festgestellt hat (Arzt, andere<br />

medizinische Fachperson, Patient). Das System<br />

erlaubt somit auch keine zuverlässige Aussage über<br />

die Häufigkeit einer UAW – weder die Anzahl der<br />

UAW noch die Zahl der behandelten Patienten werden<br />

systematisch erfasst.<br />

Damit das Wissen über UAW vertieft und die Prävention<br />

verbessert werden kann, muss einerseits die<br />

bestehende Organisation gestärkt, aber andererseits<br />

auch eine proaktivere Pharmacovigilance angestrebt<br />

werden.<br />

Vorteile für Patienten und<br />

medizinische Fachpersonen<br />

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind die Ursache<br />

von 3 bis 7 % der Hospitalisierungen [4] und<br />

die vierthäufigste Todesursache in den Industrieländern<br />

(WHO­Fact Sheets).<br />

Die Pharmacovigilance kann und muss deshalb<br />

aus folgenden Gründen eine Schlüsselrolle für die<br />

öffentliche Gesundheit spielen:<br />

– Medizinische Fachpersonen können damit abschätzen,<br />

ob die Anwendung eines Arzneimittels<br />

aufgrund der pharmakologischen Eigenschaften<br />

und der Risiken für UAW sinnvoll ist.<br />

– Patienten können damit die Ursache mehr<br />

oder weniger unangenehmer Symptome (Geschmacksstörungen,<br />

Haarausfall, Schläfrigkeit<br />

usw.) ebenso erkennen wie die Gefahr einer<br />

ernsthaften Erkrankung (Herz­Kreislauf­Ereignisse,<br />

Diabetes, Krebs usw.).<br />

Schlussfolgerungen<br />

In 10 Jahren wurde viel erreicht, aber es gibt noch<br />

viel zu verbessern:<br />

– Weiterführung und Stärkung der Fortbildung<br />

und des Know­hows der medizinischen Fachpersonen<br />

und der Pharmacovigilance­Verantwortlichen<br />

in den pharmazeutischen Unternehmen.<br />

Dies ist ein zentrales Anliegen, da es die Qualität<br />

der Meldungen und die Wirksamkeit des Systems<br />

verbessert.<br />

– Förderung der Zusammenarbeit mit den universitären<br />

Zentren.<br />

Seit mehreren Jahren informiert Swissmedic, u. a. auf<br />

ihrer Webseite sowie, gemeinsam mit den regionalen<br />

PV­Zentren, in Fachzeitschriften über die Pharmacovigilance.<br />

Die Information über Arzneimittelrisiken<br />

und Entscheidungsprozesse zu verstärken<br />

und transparent zu gestalten, ist eine ethische Verpflichtung<br />

gegenüber den Patienten und unabdingbar<br />

für das Vertrauen der Bevölkerung.<br />

Literatur<br />

1 Pharmacovigilance: ensuring the safe use of medicines –<br />

in WHO Policy Perspectives on Medicines – WHO/<br />

EDM/2004.9.<br />

2 Laporte JR. Connaissance des effets indésirables<br />

des médicaments: pour une pharmacovigilance plus<br />

ambitieuse. Rev Prescrire. 2010;30:391–3.<br />

3 Edwards IR. An agenda for UK clinical pharmacology.<br />

Pharmacovigilance. Br. J. Clin. Pharmacol. 2012; 73:<br />

979–82.<br />

4 Egger SS, Raymond G, Schlienger G, Krähenbühl S.<br />

Vorgehen bei unerwünschten Arzneimittelwirkungen.<br />

Schweiz Med Forum. 2005;5:292–6.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 104


IPI WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Das Institut für Praxisinformatik (IPI) und der Verband <strong>Schweizerische</strong>r Fachhäuser<br />

für Medizinal-Informatik (VSFM) ziehen am selben Strick<br />

Zusammenarbeit für eine bessere Nutzung<br />

von IT-Möglichkeiten<br />

Gerhard Schilling a ,<br />

Peter Amherd b<br />

a Präsident IPI, Vorstandsmitglied<br />

Hausärzte Schweiz<br />

b Präsident VSFM, Leiter<br />

Marketing und Verkauf HCI<br />

Solutions AG<br />

Korrespondenz:<br />

Dr. med. Gerhard Schilling<br />

Chlini Schanz 42<br />

CH-8260 Stein am Rhein<br />

Tel. 052 741 36 26<br />

Fax 052 741 39 26<br />

gerhard.schilling[at]hin.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Die Vorstände beider Institutionen haben sich im Dezember<br />

2012 zu Gesprächen getroffen. Zusammen hat man<br />

die gemeinsame Stossrichtung, die gemeinsamen Ziele<br />

und die gemeinsamen Aktivitäten entworfen und eine<br />

enge, aber unabhängige Zusammenarbeit initiiert. Dabei<br />

geht es einerseits um open Standards und die Migrierbarkeit<br />

der Daten, andrerseits um den Ausbau der elektronischen<br />

Krankengeschichten (eKG) mit hinterlegten Hilfstools.<br />

So sollen die vielfältigen Möglichkeiten von IT besser<br />

ausgeschöpft und damit Anreize und Mehrwert für die<br />

eKG, somit letztlich für die Ärztin und den Arzt, aber<br />

auch für die Patienten geschaffen werden.<br />

Sowohl die Protagonisten des neugegründeten Institutes<br />

für Praxisinformatik (IPI) [1] wie auch die<br />

Vertreter aus dem Vorstand des Verbandes der<br />

<strong>Schweizerische</strong>n Fachhäuser für Medizinal-Informatik<br />

(VSFM) arbeiten seit Jahren daran, dass die Informatikmittel<br />

konsequenter in den Praxen in der<br />

Schweiz eingesetzt werden. Praktisch jede Arztpraxis<br />

hat heute Informatikmittel im Einsatz. Gut 80 % der<br />

Praxen setzen ihre Informatik-Infrastruktur aber nur<br />

reduziert ein – beispielsweise für das Abrechnen und<br />

das Berichtswesen. In der Grundversorgung arbeiten<br />

heute in der Schweiz lediglich knapp 25 % der Praxen<br />

mit der elektronischen Krankengeschichte. 75 % der<br />

Praxen haben sich noch nicht für eine Umstellung<br />

dieses zentralen Prozesses in der Praxis entschieden,<br />

oder teilweise lehnt man eine solche Veränderung<br />

aus unterschiedlichen Gründen vorderhand kategorisch<br />

ab. Viele Entscheidungsträger in den Praxen<br />

sind verunsichert oder unschlüssig, es fehlt aber<br />

auch schlicht bis heute die notwendige Investitionssicherheit.<br />

Dies ist umso gravierender, <strong>als</strong> die ganze<br />

IT-Technologie tarifarisch in keiner Weise erfasst<br />

ist und der diesbezügliche finanzielle Aufwand beträchtlich<br />

ist.<br />

Es mangelt aber auch an der nötigen Zeit, sich<br />

dieses Themas differenziert anzunehmen, weshalb<br />

die Entschlussfassung teilweise auch vor sich hergeschoben<br />

wird. Der Umstellungsprozess bei laufender<br />

Praxis ist zudem aufwendig. Die bisher fehlende<br />

Migrierbarkeit der Daten und die damit verbundene<br />

Abhängigkeit von ihrem Softwarelieferanten blockieren<br />

bei vielen Praxisbetreibern zusätzlich den<br />

Veränderungswunsch. Die Daten gehören dem dokumentierenden<br />

Arzt. Was aber, wenn man die Software<br />

wechseln will oder sich Praxen zusammenschliessen?<br />

Wie kann sichergestellt werden, dass die<br />

Daten vollumfänglich und verlässlich auch wieder<br />

in die neue Software integriert werden können?<br />

Diese Grundvoraussetzungen fehlten bisher.<br />

Die elektronische Dokumentation wird<br />

sich durchsetzen<br />

Dass sich die digitale Arbeitsweise auch beim Dokumentieren<br />

der medizinischen Inhalte durchsetzen<br />

wird, ist sowohl bei den Vertretern der Praxen/Ärzte<br />

wie auch auf der Seite der Industrievertreter aus der<br />

Branche der Softwarehäuser unbestritten. Die Frage<br />

ist: Wann wird der Grossteil der Praxen umstellen,<br />

aber auch, in welchem Umfang und vor allem mit<br />

welchen Inhalten soll oder muss dokumentiert werden?<br />

Was sind die rechtlichen und vertraglichen<br />

Konsequenzen einer Umstellung auf die digitale<br />

Dokumentation und Kommunikation? Die Ärzteschaft<br />

will verhindern, dass über den politischen<br />

K anal oder über andere Interessengruppen aus dem<br />

Was sind die rechtlichen und vertraglichen Konsequenzen<br />

einer Umstellung auf digitale Dokumentation und Kommunikation?<br />

Gesundheitsmarkt praxisuntaugliche Ansätze in die<br />

Dokumentationsregeln einfliessen. Man will verständlicherweise<br />

selber bestimmen, was in welcher<br />

Form dokumentiert werden soll, und zu welchem<br />

Zweck welche Daten in die Krankengeschichte eingetragen<br />

werden. Die Ärzteschaft will die Qualität<br />

der Behandlungen weiter verbessern – auch mit<br />

Unterstützung der IT-Mittel. Die in den Krankengeschichten<br />

eingetragenen Daten bieten dafür die<br />

ideale Grundlage schon innerhalb der Praxis. Das<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

105


IPI WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Am 22. Juni 2012 war es endlich so weit: Unter dem Namen «Institut für Praxisinformatik»<br />

(IPI) wurde in Luzern ein Verein gegründet.<br />

Das IPI ist eine gemeinsame Initiative von<br />

– Hausärzte Schweiz (MFE)<br />

– Konferenz der kantonalen Ärztegesellschaften (KKA)<br />

– Institut für Hausarztmedizin Zürich (IHAMZ)<br />

Der Zweck des IPI<br />

– F örderung der elektronischen Dokumentation (eKG) in den Arztpraxen und<br />

S icherstellung der Praxistauglichkeit<br />

– D rehscheibe und Verbindungsfunktion zwischen praktizierender Ärzteschaft,<br />

Software­Industrie und Politik<br />

– Mithilfe bei der Grundlagenarbeit (open Standards, Migrierbarkeit, Grobarchitektur<br />

der eKG usw.)<br />

– Dienstleistungen, Beratungen und Schulungen für die praktizierenden Ärzte<br />

– Politisches Lobbying für die Praxisinformatik<br />

Der Vorstand setzt sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:<br />

Dr. med. Gerhard Schilling, Präsident IPI und Vorstandsmitglied von Hausärzte Schweiz;<br />

Dr. med. Peter Wiedersheim, Vizepräsident IPI und Co­Präsident der Konferenz der Kantonalen<br />

Ärztegesellschaften; Dr. med. Marco Zoller, Kassier und Vertreter des Instituts für Hausarztmedizin<br />

der Universität Zürich (assoziiertes Mitglied); Dr. med. Marc­Henri Gauchat, Beisitzer<br />

und Co­Präsident der Konferenz der Kantonalen Ärztegesellschaften; Dr. med. Heinz<br />

Bhend, Exec. Master of ICT, fachlicher Leiter IPI und Vertreter von Hausärzte Schweiz;<br />

Dr. med. Urs Stoffel, ständiger Gast, ZV­FMH, Ressort eHealth 2<br />

Weitere Informationen zum IPI finden Sie unter www.praxisinformatik.ch<br />

Der VSFM – Verband <strong>Schweizerische</strong>r Fachhäuser<br />

für Medizinal­Informatik<br />

Der Verband ist ein Verein im Sinne von Artikel 60ff. ZGB.<br />

Der Zweck des VSFM<br />

– die Interessen des Berufstandes zu wahren und zu fördern, insbesondere durch<br />

Stellungnahmen gegenüber der Öffentlichkeit und den Behörden, sowie durch<br />

Zusammenarbeit mit Institutionen, die sich ähnlichen Zielsetzungen widmen<br />

– die Anwendung von Normen und Qualitätsstandards in der medizinischen Informatik<br />

zu fördern<br />

– den fairen Wettbewerb in der Branche zu fördern<br />

Die Zusammensetzung des Vorstandes und die Mitgliederliste finden Sie unter<br />

www.vsfm.info.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Potential und die Aussagekraft dieser Daten ist für<br />

die Forschung gewaltig. Die Absicht ist es daher, die<br />

Daten anonymisiert in noch grösserem Umfang zentral<br />

unter der Obhut der Ärzteschaft zu sammeln, sie<br />

auszuwerten und daraus Schlüsse zu ziehen – zum<br />

Nutzen der Praxisbetreiber in der ganzen Schweiz –<br />

vor allem aber auch zum Nutzen der Patientinnen<br />

und Patienten. Bereits heute sind wertvolle Daten im<br />

FIRE-Projekt [2] vorhanden (FIRE = family medicine<br />

icpc research using electronic medical records). Es gilt,<br />

diesen Weg für die Zukunft auszubauen und zu festigen.<br />

Die Softwarebranche kann hier mit dem Entwickeln<br />

von anwenderfreundlichen Tools dafür<br />

sorgen, dass die Daten schnell, einheitlich und in<br />

ge eigneter und strukturierter Form während der<br />

Konsultationen erfasst werden können.<br />

IPI und VSFM: Zusammenlegen von praxisnahem<br />

ärztlichem Wissen und<br />

technischer Kompetenz<br />

Damit aber die Softwarehäuser diese Entwicklungen<br />

überhaupt machen können, müssen sie Kenntnisse<br />

über das Wissen und die Bedürfnisse der Ärzteschaft<br />

haben und die Praxisabläufe kennen. Nicht jeder<br />

einzelne Arzt soll seine individuellen Ideen an die<br />

Softwarehäuser herantragen müssen. Das Institut für<br />

Praxisinformatik kann hier koordinierend wirken<br />

und mit dem Verband der Softwarehäuser zusammen<br />

Lösungsgrundlagen erarbeiten, die dann von<br />

allen Mitgliedfirmen des VSFM wiederum individuell<br />

in der Umsetzung genutzt werden können.<br />

«Clinical Decision Support Systems» wird mittelfristig<br />

eines der zentralen IT-Themen sein. Geeignete<br />

Monitoringsysteme müssen entwickelt werden, damit<br />

am Arbeitsplatz in den Praxen echter Nutzen<br />

generiert werden kann. Die Softwarebranche kann<br />

dies nur tun, wenn sie über einheitliche Grundlagen<br />

verfügt, auf denen sie individuell die vorgegebene<br />

Datenerfassungsstruktur abbilden kann. Die Vorgaben<br />

für die fachlichen Grundlagen können nur<br />

von der Ärzteschaft her kommen. Die Zusammenarbeit<br />

des IPI mit dem VSFM ist die Basis, um genau<br />

diese Ziele gemeinsam umsetzen zu können.<br />

Viele Ärztinnen und Ärzte wollen in<br />

der Evaluation und bei der Umsetzung<br />

beraten und begleitet werden<br />

Auf dem Weg zur Entscheidungsfindung kann das<br />

IPI seine Dienste den Praxisbetreibern anbieten. Die<br />

Vertreter des Institutes können zum Nutzen der ganzen<br />

Praxis ihr eigenes Wissen einbringen. Sie arbeiten<br />

selber tagtäglich in ihren Praxen mit ICT-Systemen<br />

– und das schon seit vielen Jahren. Die Beraterinnen<br />

und Berater der Software-Branche haben<br />

teilweise sehr grosse Erfahrung und lösen ihre<br />

Aufgabe sehr gut. Oft fehlt ihnen aber der ganz enge<br />

Bezug zum Praxisalltag, was bei den Interessenten zu<br />

einer Verunsicherung führen kann. Die IPI-Vertreter<br />

können deshalb im Bedarfsfall in der Konzeptionsphase,<br />

in der Evaluations- und in der Einführungsphase<br />

ihre Dienste und ihr Know-how einbringen.<br />

Sie verstehen sich nicht <strong>als</strong> «Konkurrenten» der<br />

Berater aus den Softwarehäusern, sondern <strong>als</strong> neu-<br />

trale, unterstützende Ergänzung – mit einem nachgewiesenen<br />

Praxisbezug. Die Geschäftsbeziehung<br />

zwischen den Softwareherstellern und ihren Kunden<br />

ist Sache dieser zwei Partner. Das IPI unterstützt<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 106


IPI WEITERE ORGANISATIONEN UND INSTITUTIONEN<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

lediglich mit Erfahrungen «aus der Praxis – für die<br />

Praxis». Es begleitet die Evaluierenden allenfalls beratend<br />

bei den entscheidenden Fragestellungen und<br />

kann in den Gesprächen ein gewisses «Coaching»<br />

übernehmen. Wo sinnvoll und vertretbar, kann das<br />

IPI – ergänzend zu den Abklärungs- und Umsetzungsschritten<br />

der Softwarehäuser – eine gewisse<br />

Systematik in die Projekte einbringen. Die im VSFM<br />

organisierten Softwarehäuser begrüssen eine solche<br />

Unterstützung und Begleitung.<br />

Das IPI unterstützt mit Erfahrungen «aus der Praxis<br />

für die Praxis».<br />

Die Umsetzung der eHealth­Strategie<br />

des Bundes muss praxistauglich und<br />

bottom up erfolgen<br />

Im Laufe der Zeit wird sich zeigen, wo die Schnitt-<br />

und Nahtstellen zwischen den beratenden und den<br />

operativ tätigen Partnern besser geklärt werden müssen.<br />

Der professionelle und partnerschaftliche Umgang<br />

miteinander und die gemeinsam definierte<br />

einheitliche Stossrichtung sind aber eine gute Basis<br />

für gemeinsame neue Projekte, oder Umstellungs-<br />

und Erweiterungsprojekte. Lange Zeit waren die Rollen<br />

der Vertreter der Softwarehäuser und die Rolle<br />

der IPI-Vertreter unklar und umstritten. Die Ärzteschaft<br />

hat individuelle Entwicklungen erwartet und<br />

im Einzelfall ihre Bedürfnisse geltend gemacht. Von<br />

Kollektiven wie z. B. aus den Fachgesellschaften kam<br />

wenig Input. Umgekehrt hat sich die Softwarebranche<br />

über lange Zeit hinweg so verstanden, dass sie<br />

die medizinischen Anforderungen und Bedürfnisse<br />

wie auch die betriebswirtschaftlichen Belange genügend<br />

abdecken könne. Es braucht aber die fachliche<br />

Basis beider «Welten», um sowohl den Bedürfnissen<br />

der Ärzteschaft wie auch einer technisch<br />

einwandfreien Umsetzung der IT-Anforderungen gerecht<br />

zu werden. Genau hier wollen diese beiden<br />

Partner in der Zukunft eng zusammenarbeiten – und<br />

sich im Markt zum Nutzen der Praxisbetreiber ergänzen.<br />

Gemeinsam wurde eine klare Strategie mit verständlichen,<br />

gemeinsamen Zielen erarbeitet. Der<br />

Erfolg dieser Partnerschaft wird am Erreichen der<br />

gemeinsamen Ziele gemessen werden. Dazu braucht<br />

es eine gute und offene Kommunikation zwischen<br />

den Partnern. Die beiden Vorstände waren sich aber<br />

einig, dass man das Ziel einer alltagstauglichen Umstellung<br />

der Praxen auf die digitale Zukunft gemeinsam<br />

erreichen will. Bisher haben auch der Bund und<br />

eHealthSuisse dem Umstand einer praxistauglichen<br />

Umsetzung zu wenig Beachtung geschenkt. Die<br />

Kooperation der beiden Partner wird deshalb auch<br />

für die Politik und die eHealth-Strategie des Bundes<br />

positive Auswirkungen haben.<br />

Literatur<br />

1 Schilling G, Bhend H. IPI gegründet. PrimaryCare<br />

2012; 12(13):237–8.<br />

2 The FIRE project: a milestone for research in primary<br />

care in Switzerland. Chmiel C, Bhend H, Senn O,<br />

Zoller M, Rosemann T; Swiss Med Wkly.<br />

2011;140:w13142.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 107


Bericht von der Podiumsdiskussion der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />

vom 27. November 2012 in Basel<br />

Suizidhilfe – (k)eine ärztliche Aufgabe?<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />

Der Moderator und seine Podiumsgäste (v. l. n. r.): Alan Niederer, Klaus Bally, Marion Schafroth, Gabriela Stoppe, Jacques de Haller, Johannes Fischer. Fotos: R.B.<br />

Anna Sax<br />

anna.sax[at]saez.ch<br />

In den vergangenen Monaten veröffentlichte die <strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> meh-<br />

rere Artikel, die sich zu den medizinisch-ethischen Richtlinien der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 2004 äusserten, wonach «die Beihilfe<br />

zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit [ist], weil sie den Zielen der Medizin<br />

widerspricht». Darüber, ob diese Richtlinien noch zeitgemäss seien, fand Ende<br />

N ovember bei einem SÄZ-Podium eine engagierte und differenzierte Debatte statt.<br />

Freitod, Selbsttötung, Selbstmord oder Suizid – die<br />

verschiedenen Benennungen machen deutlich, wie<br />

ambivalent wir dem Umstand gegenüberstehen,<br />

dass Menschen ihrem Leben manchmal freiwillig<br />

ein Ende setzen. Gleich zum Einstieg projiziert der<br />

Gesprächsleiter Alan Niederer, der zugleich NZZ-<br />

Wissenschaftsredaktor und Arzt ist, alle vier Begriffe<br />

auf die Leinwand. Und er präsentiert ein paar Zahlen<br />

dazu: 1360 Suizide zählte man in der Schweiz im Jahr<br />

2007, das sind 2,2 Prozent aller Todesfälle. Im hohen<br />

Alter nimmt die Suizidrate rapide zu. Bei der organisierten<br />

Suizidhilfe geht die Statistik von ca. 400 Fällen<br />

pro Jahr aus. Sie betrifft vor allem ältere Menschen.<br />

Drei Voraussetzungen<br />

und ein Gewissensentscheid<br />

In der Schweiz ist Suizid legal und auch die Beihilfe<br />

zum Suizid, sofern keine selbstsüchtigen Beweggründe<br />

dahinterstecken. Suizidhilfeorganisationen<br />

wie EXIT und Dignitas arbeiten mit Ärztinnen und<br />

Ärzten zusammen, die für schwerkranke, sterbewillige<br />

Patientinnen und Patienten nach eingehenden<br />

Gesprächen und Abklärungen ein Rezept ausstellen<br />

für das todbringende Medikament. Die 2004 erstell-<br />

ten Richtlinien der SAMW sagen klar, dass Beihilfe<br />

zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit sei,<br />

während gleichzeitig der Patientenwillen zu respektieren<br />

sei. Damit steht der Arzt, die Ärztin vor einem<br />

Gewissensentscheid: Was wiegt schwerer, die ärztliche<br />

Pflicht zur Erhaltung des Lebens oder der<br />

Wunsch der Patientin, ihrem Leiden ein Ende zu bereiten?<br />

Die SAMW-Richtlinien entlasten den Arzt<br />

nicht von diesem Dilemma, nennen aber drei Voraussetzungen,<br />

die bei der Suizidhilfe erfüllt sein<br />

müssen: Die Patientin steht am Lebensende; alternative<br />

Möglichkeiten wurden erörtert und, soweit gewünscht,<br />

auch eingesetzt; die Patientin ist urteilsfähig,<br />

ihr Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren<br />

Druck entstanden und dauerhaft.<br />

Die Frage, ob Beihilfe zum Suizid eine ärztliche<br />

Aufgabe sei oder nicht, hat in der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

<strong>Ärztezeitung</strong> in den letzten Monaten zu einer intensiven<br />

Debatte geführt, die nun anlässlich der SÄZ-<br />

Podiumsdiskussion fortgesetzt wird. In Ärztekreisen<br />

gibt es Stimmen, welche die Haltung der SAMW für<br />

nicht mehr zeitgemäss halten und dafür plädieren,<br />

die Richtlinien von 2004 zu überarbeiten. Für diese<br />

Position steht auf dem Podium vorab die Anästhesie-<br />

Ärztin Marion Schafroth, Vorstandsmitglied von<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

108


Editores Medicorum Helveticorum<br />

EXIT, die sich in einem SÄZ-Artikel dezidiert dafür<br />

aussprach, dass Suizidhilfe eine ethisch gerechtfertigte<br />

medizinische Handlung sei, und zwar auch «bei<br />

unheilbar chronischem schwerem Leiden oder<br />

schwerer Behinderung». Schafroth bekennt sich in<br />

ihrem einleitenden Votum zu den Werten der Aufklärung<br />

und Eigenverantwortung, für die sie «<strong>als</strong><br />

Mensch, Ärztin und gesellschaftlich engagierte<br />

Frau» eintritt. Sie kümmere sich seit sechs Jahren bei<br />

EXIT um Menschen, die einen Sterbewunsch hätten,<br />

bisher etwa 100, und sie respektiere ihr Recht auf<br />

Selbstbestimmung. Sie klagt an: «Ärzte sind die<br />

natürlichen Bezugspersonen kranker Menschen. Die<br />

Sterbewilligen fühlen sich im Stich gelassen, wenn<br />

sie von ihnen keine Unterstützung erhalten.»<br />

Suizidhilfe <strong>als</strong> Ausnahmesituation<br />

Auf der gegenüberliegenden Seite des Podiums<br />

nimmt der Theologe Prof. Johannes Fischer Platz. Er<br />

hatte <strong>als</strong> ehemaliges Mitglied der Zentralen Ethikkommission<br />

die SAMW-Richtlinien mitentworfen.<br />

In einer Reaktion auf Schafroths Artikel thematisierte<br />

er in der SÄZ die Grundhaltung des ärztlichen<br />

Berufs, die dem Leben verpflichtet sei. Für ihn handelt<br />

es sich bei der Suizidhilfe um einen «Grenzfall<br />

der ärztlichen Fürsorge, der auf keinen Fall zur<br />

Pflicht erhoben werden darf». Zur Illustration seiner<br />

ablehnenden Haltung gegenüber Suizidhilfe <strong>als</strong> ärztlicher<br />

Tätigkeit beschreibt Fischer das Beispiel des<br />

Frankfurter Polizeivizepräsidenten, der einem Kindsentführer<br />

mit Folter drohte, falls er den Aufenthaltsort<br />

des Kindes nicht verrate. «Die Aufgabe des Polizisten<br />

ist es nicht, mit Folter zu drohen, sondern vor<br />

Folter zu schützen – er hat <strong>als</strong>o etwas gemacht, was<br />

seinem Beruf widerspricht.» Der Polizist sei vor<br />

einem Dilemma gestanden, so Fischer weiter, doch<br />

es habe sich um eine absolute Ausnahmesituation<br />

gehandelt. «Würde die Folter ins Recht aufgenommen,<br />

wäre das katastrophal.» Ebenso wenig dürfe<br />

Suizid hilfe zum Normalfall werden, schliesst er sein<br />

Votum, etwa indem Organisationen diese <strong>als</strong> Dienstleistungsangebot<br />

führten.<br />

«Die Sterbewilligen fühlen sich im Stich gelassen, wenn<br />

sie von Ärzten keine Unterstützung erhalten.» (M. Schafroth)<br />

Eher kritisch gegenüber eine Lockerung der<br />

SAMW-Richtlinien äussert sich auch die Psychiaterin<br />

Prof. Gabriela Stoppe. Als Leiterin der AG Mental<br />

Health und ältere Bevölkerung von Swiss Public<br />

Health setzt sie sich – unter anderem auch <strong>als</strong> Autorin<br />

in der SÄZ – seit langem dafür ein, dass der psychischen<br />

Gesundheit im Alter mehr Aufmerksamkeit<br />

zuteil wird. Stoppe hat lange Zeit auch in der<br />

Neurologie, Neurochirurgie und im Konsildienst gearbeitet<br />

und viel mit schwerkranken Menschen zu<br />

SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />

«Suizidhilfe ist ein Grenzfall der<br />

ärztlichen Fürsorge, der auf keinen<br />

Fall zur Pflicht erhoben werden<br />

darf.» (J. Fischer)<br />

tun gehabt. Sie sei aber nie gefragt worden, ob sie bei<br />

einem Suizid helfen wolle, hält sie fest. «Nun, da der<br />

Wunsch häufiger geäussert wird, sollten wir dringend<br />

darüber diskutieren, wie wir uns gegenüber dieser<br />

Frage verhalten: Hilfe beim Sterben ist eine zutiefst<br />

ärztliche Aufgabe, Suizidhilfe aber nicht.» Für<br />

Stoppe ist das ein wichtiger Unterschied. Sie bedauert,<br />

dass der Tod so sehr aus der Gesellschaft verbannt<br />

sei, dass viele glaubten, ein würdevoller Tod<br />

sei nur mit einem assistierten Suizid möglich.<br />

«Wenn jemand Suizidhilfe von mir wollte», so<br />

Stoppe, «würde ich zuerst fragen, wie er sich vorstellt,<br />

dass er sonst sterben würde.» Sie wünscht sich,<br />

dass mit mindestens so viel Energie wie über Suizidhilfe<br />

über die Frage diskutiert wird, was zum Suizidwunsch<br />

führt.<br />

Beschränkung auf das Lebensende<br />

<strong>als</strong> kritischer Punkt<br />

Jacques de Haller, der auf dem Podium sowohl die<br />

Optik der Standesorganisation FMH wie auch jene<br />

des Hausarztes vertritt, der er 20 Jahre lang war, ist<br />

mit Stoppes Unterscheidung zwischen Hilfe beim<br />

Sterben und Suizidhilfe einverstanden. «Das Sterben<br />

ist ein berührendes Thema», beginnt de Haller, «Palliative<br />

Care war meine erste ärztliche Leidenschaft.»<br />

Doch gebe es in der Schweiz auch das Recht auf Suizidhilfe,<br />

und die Ärztinnen dürften ihre beruflichen<br />

Kenntnisse auch in diesem Bereich anwenden. De<br />

Haller glaubt nicht, dass die SAMW-Richtlinien<br />

grundsätzlich veraltet seien, aber er hält das Kriterium<br />

für kritisch, wonach der sterbewillige Patient<br />

am Lebensende stehen muss. Manchmal gelte es<br />

auch, einen gewaltsamen Suizid zu verhindern:<br />

«Sterbehilfe betrifft nicht nur die Sterbewilligen<br />

selbst, sondern auch deren Familien und Umfeld.<br />

Ein gewalttätiger Suizid ist viel zerstörerischer und<br />

für die Angehörigen traumatisch.»<br />

Auf Nachfrage des Gesprächsleiters wird klar,<br />

dass die Beschränkung auf das Lebensende der Punkt<br />

ist, der die Befürworterinnen der Suizidbeihilfe am<br />

meisten stört. Für Schafroth ist es nicht tragbar, dass<br />

alte, polymorbide Menschen durch die Richtlinien<br />

fallen, wenn sie noch nicht am Lebensende stehen.<br />

Und auch de Haller will, dass unheilbar kranken<br />

oder behinderten Menschen geholfen werden kann,<br />

wenn sie genau wissen, dass sie sterben wollen.<br />

Niederer ist noch nicht zufrieden, er will es genauer<br />

wissen: «Werden Sie konkreter», fordert er insbesondere<br />

Schafroth auf: «Wo sind heute die<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 109


Das zahlreich erschienene Publikum diskutierte im BaZ CityForum engagiert mit.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

wunden Punkte, und wie sieht eine gute Regelung<br />

aus?» Hier stellt sich heraus, dass für sie und andere<br />

ärztliche Suizidhelfer das «Anrüchige» ein Problem<br />

ist, das einem assistierten Suizid noch immer anhaftet.<br />

Juristisch gesehen handelt es sich um einen<br />

«aus sergewöhnlichen Todesfall», <strong>als</strong>o rückt die Polizei<br />

an und es kommt ein Gerichtsmediziner. Das sei<br />

für alle Beteiligten eine Belastung, so Schafroth, und<br />

für die Ärzte brauche die Hilfeleistung zum Suizid<br />

unter diesen Umständen umso mehr Überwindung.<br />

«Hilfe beim Sterben ist eine zutiefst ärztliche Aufgabe,<br />

Suizidhilfe aber nicht.» (G. Stoppe)<br />

Gesprächskompetenz verbessern<br />

An diesem Punkt schaltet sich Klaus Bally ein, Hausarzt<br />

seit 26 Jahren und Lehrbeauftragter am Institut<br />

für Hausarztmedizin der Universität Basel. Nein, das<br />

Problem sei nicht, dass die Begleitumstände eines assistierten<br />

Suizids Hausärzte davon abhielten, Suizidhilfe<br />

zu leisten, widerspricht er. «Es kommt oft vor,<br />

dass wir Wohnungen gemeinsam mit der Polizei betreten.»<br />

Ihm geht es um das Berufsethos <strong>als</strong> Arzt:<br />

«Ärzte sind im Vergleich zu anderen Berufsgruppen,<br />

etwa Juristen/-innen, zurückhaltender in dieser<br />

Frage.» Als Hausarzt, der seine Patientinnen manchmal<br />

über viele Monate und Jahre begleite, habe er<br />

die Erfahrung gemacht, dass ein Sterbewunsch entstehen<br />

und auch wieder verschwinden könne. Es sei<br />

SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />

<strong>als</strong>o wichtig, die Frage vor dem Langzeithintergrund<br />

zu betrachten und nicht in einer Momentaufnahme.<br />

Bally bringt die Gesprächskompetenz der Ärzte ins<br />

Spiel: «Es braucht Aus- und Weiterbildung in Gesprächsführung<br />

mit Patienten, die einen Suizidwunsch<br />

haben. Viele von ihnen können von ihrem<br />

Wunsch abgebracht und von der Palliativmedizin<br />

überzeugt werden», ist er sicher. Auch er selbst,<br />

räumt Bally ein, sei noch dabei, seine Gesprächskompetenz<br />

zu verbessern. Für gewisse Krankheitsbilder<br />

wie schwere langdauernde psychische und<br />

neurodegenerative Erkrankungen, bei denen das<br />

Lebens ende nicht absehbar sei, würden die aktuellen<br />

Richtlinien keine schlüssige Antwort geben. Deswegen<br />

müssten die SAMW-Richtlinien erweitert werden,<br />

um die Hausärzte auch in diesen schwierigen<br />

Situationen zu unterstützen.<br />

Ob es für die Suizidbeihilfe überhaupt Ärzte<br />

brauche, fragt nun Niederer in die Runde: «Sind sie<br />

wirklich Experten für den freiwilligen Tod?»<br />

«Nein», antwortet Schafroth, «aber wir haben<br />

Zugang zu den Medikamenten.» Die Urteilsfähigkeit<br />

könnte auch juristisch festgestellt werden, so Schafroth,<br />

und dann könnte eine staatliche Stelle das Medikament<br />

verschreiben. «Aber es ist normal, dass Gespräche<br />

über das Sterben zwischen Ärztin und Patientin<br />

stattfinden.» Auch de Haller stimmt zu, dass<br />

nicht unbedingt ein Arzt feststellen müsse, ob jemand<br />

urteilsfähig sei. «Entscheidend ist, dass dies<br />

auf wissenschaftlicher Basis geschieht. Und auf keinen<br />

Fall darf es der gleiche Arzt sein, der die Urteilsfähigkeit<br />

feststellt und das Medikament verschreibt.»<br />

Fischer beschäftigt etwas anderes: «Was wird aus<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 110


Editores Medicorum Helveticorum<br />

dem ärztlichen Beruf, wenn es für den Arzt gar keinen<br />

Konflikt mehr bedeutet, wenn ein Patient einen<br />

Suizidwunsch äussert und alle Voraussetzungen gemäss<br />

SAMW-Richtlinien erfüllt sind? Ist es ein Grenzfall<br />

ärztlicher Fürsorge, oder gehört es genauso zur<br />

ärztlichen Tätigkeit wie irgendeine Therapie?» Wenn<br />

Letzteres zur Grundeinstellung der Ärztinnen werde,<br />

so Fischer, dann sei das ein Problem. Die erste Aufgabe<br />

des Arztes bleibe die Verhinderung eines Suizids. Das<br />

schliesse nicht aus, dass ein Arzt doch einmal Hilfe<br />

bei einem Suizid leisten müsse, doch: «Das muss die<br />

absolute Ausnahme bleiben.»<br />

«Ein gewalttätiger Suizid ist viel zerstörerischer und für<br />

die Angehörigen traumatisch.» (J. de Haller)<br />

EXIT <strong>als</strong> Suizidpräventions-Organisation?<br />

Es folgt eine engagierte Diskussion über die Rolle der<br />

Ärztinnen und Ärzte, über Möglichkeiten des Missbrauchs<br />

und über den ökonomischen Druck, dem<br />

auch die Ärzteschaft zunehmend ausgesetzt ist. Die<br />

Diskussionsteilnehmenden sind sich darüber einig,<br />

dass es Grenzsituationen gibt und dass die Ärztinnen<br />

mit ihren Entscheidungen möglichst nicht alleingelassen<br />

werden sollten. Einigkeit besteht auch darüber,<br />

dass es Aufgabe des Arztes sei, die Patienten<br />

durchs Leben zu begleiten und auch den Tod zuzulassen.<br />

Zur Sprache kommt auch Suizidprävention,<br />

ein Thema, das vor allem Stoppe mehrm<strong>als</strong> aufs Tapet<br />

bringt: Gerade bei älteren Menschen gebe es inzwischen<br />

fast so viele assistierte wie nicht assistierte<br />

Suizide – mit anderen Worten, ein Teil der Suizide<br />

wandere zu Organisationen wie EXIT und Dignitas.<br />

«Das könnte doch eine Chance sein für Gespräche»,<br />

regt Stoppe an. «Organisierte Suizidhilfe könnte zugleich<br />

ein Ort sein, wo Suizidprävention stattfindet.»<br />

Bally, der es in seinen 26 Jahren <strong>als</strong> Hausarzt lediglich<br />

drei Mal erlebt hat, dass sich ein von ihm betreuter<br />

Patient für einen assistierten Suizid mit Unterstützung<br />

einer Sterbehilfeorganisation entschlossen<br />

und diesen auch durchgeführt hat, fordert die Hausärzte<br />

auf, sich nicht aus der Affäre zu ziehen, wenn<br />

SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />

das Gespräch auf Suizidhilfe kommt, sondern ihren<br />

Patienten so lange wie möglich beizustehen. «Manche<br />

Patientinnen kommen in gesunden Tagen mit<br />

dem EXIT-Ausweis in die Praxis. Es ist gut, wenn man<br />

diesen Ball aufgreift und frühzeitig darüber spricht.»<br />

Die anschliessenden Voten aus dem Publikum unterstützen<br />

mehrheitlich eine liberale Haltung zum assistierten<br />

Suizid, wobei zum Teil kritische Stimmen zu<br />

den Sterbehilfeorganisationen EXIT und Dignitas laut<br />

werden. Eine Internistin und Psychotherapeutin hebt<br />

jedoch die Leistungen von EXIT in der Suizidprävention<br />

heraus: «Keine Organisation hat so viel für die Palliativmedizin<br />

gemacht wie EXIT», versichert sie. Ein<br />

weiterer Aspekt kommt in der Publikumsdiskussion<br />

zur Sprache: In der Schweiz gibt es jährlich 400 begleitete<br />

Suizide, «mehr <strong>als</strong> ein Mensch pro Tag verlässt die<br />

Welt mit Hilfe eines Schweizer Arztes», wie sich ein<br />

Anästhesist ausdrückt. Doch laut Umfragen sind nur<br />

10 Prozent der Ärzte bereit, ein Rezept auszustellen.<br />

Das heisst, so vermutet Fischer, dass es faktisch zu einer<br />

Arbeitsteilung kommt zwischen Hausärztinnen<br />

und Sterbeorganisationen: Die Ärzte können an ihrem<br />

Ethos festhalten und bei ihren Patienten bleiben, bis<br />

diese zu einer Suizidhilfeorganisation gehen.<br />

Viele weitere Wortmeldungen müssen unberücksichtigt<br />

bleiben, weil die Zeit abgelaufen ist. Es ist<br />

deutlich geworden, dass das Thema die vielen anwesenden<br />

Ärztinnen und Ärzte und auch die wenigen<br />

Nicht-Ärzte berührt. Obwohl die Frage, ob Beihilfe<br />

zum Suizid eine ärztliche Aufgabe sei oder nicht, kontrovers<br />

bleibt, ist zu spüren, dass niemand einen geäusserten<br />

Sterbewunsch auf die leichte Schulter<br />

nimmt: Die Gratwanderung zwischen der Respektierung<br />

der Patientenautonomie und der Pflicht zur<br />

Erhaltung des Lebens bleibt schwierig, unabhängig<br />

von den SAMW-Richtlinien, deren Beibehaltung in<br />

einer Konsultativabstimmung vom Publikum etwa<br />

zur Hälfte befürwortet wird. Die andere Hälfte würde<br />

es begrüssen, wenn die SAMW einen Schritt weitergehen<br />

und die strengen Kriterien etwas lockern würde.<br />

«Viele Patienten können von ihrem Sterbewunsch abgebracht<br />

und von der Palliativmedizin überzeugt werden.» (K. Bally)<br />

Unter dem Strich bleibt der Eindruck einer engagierten<br />

und fairen Diskussion, bei der sich die Teilnehmenden<br />

gegenseitig zugehört haben. Vom<br />

Podium und auch aus dem Publikum sind interessante<br />

Impulse zum Weiterdenken gekommen.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 111


Podiumsdiskussion der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Ärztezeitung</strong><br />

in Zusammenarbeit mit der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />

DRG / Neue Spitalfinanzierung –<br />

Zwischenbilanz nach einem Jahr<br />

Urs Brügger<br />

Pierre-François<br />

Cuénoud<br />

Beat Gafner<br />

Heinz Schaad<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Carlo Conti<br />

Margrit Fässler<br />

Oliver Peters<br />

Anna Sax<br />

Die Einführung des Fallpauschalen-Systems Swiss-<br />

DRG und der neuen Spitalfinanzierung per 1. Januar<br />

2012 war von substantiellen Bedenken seitens der<br />

Ärzteschaft und weiterer betroffener Kreise begleitet –<br />

auch eine Moratoriumsforderung stand lange Zeit<br />

im Raum. Vor diesem Hintergrund wurden insbesondere<br />

aus Ärztekreisen eine genaue Beobachtung<br />

der Auswirkungen der Neuerungen und eine fundierte<br />

Begleitforschung gefordert.<br />

Auch wenn der Tenor nach einem Jahr lautet, die<br />

Einführung des neuen Systems sei unproblematischer<br />

erfolgt <strong>als</strong> erwartet, möchte die SÄZ mit einer<br />

Podiumsveranstaltung am Thema dranbleiben und<br />

zu einer differenzierten Zwischenbilanz beitragen.<br />

Diskutieren Sie mit<br />

Wie hat sich die Einführung der SwissDRG und der<br />

neuen Spitalfinanzierung auf die verschiedenen betroffenen<br />

Bereiche ausgewirkt? Was sagt die Begleitforschung<br />

über die Versorgungsqualität? Haben sich die<br />

Arbeitsbedingungen für die Spitalärztinnen und Spitalärzte<br />

verschlechtert? Bekommen die Hausärztinnen<br />

und Hausärzte die Auswirkungen des neuen Systems<br />

zu spüren? Wie sieht die Bilanz aus Sicht der Spitzenmedizin,<br />

speziell der Universitätsspitäler, aus? Wie ist<br />

der Systemwechsel aus ökonomischer Perspektive zu<br />

bewerten? Wird sich die Schweizer Spitallandschaft<br />

mittel- und langfristig grundlegend verändern?<br />

Mit dem Berner Podium möchte die <strong>Schweizerische</strong><br />

<strong>Ärztezeitung</strong> zu einer fundierten Auseinandersetzung<br />

mit diesen und weiteren Fragen rund um das<br />

Impulsreferat und Podium<br />

Die Veranstaltung wird eröffnet mit einem Impulsreferat<br />

von Dr. iur. Carlo Conti, Präsident der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK,<br />

Vorsteher des Gesundheitsdepartements Kanton<br />

Basel-Stadt und Verwaltungsrat Swiss DRG AG.<br />

Auf dem Podium diskutieren unter der Leitung von<br />

SÄZ-Redaktorin Anna Sax, lic. oec. publ., MHA:<br />

– Prof. Dr. oec. HSG Urs Brügger, Institutsleiter<br />

Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie<br />

(WIG) an der Zürcher Hochschule für Angewandte<br />

Wissenschaften ZHAW<br />

– Dr. med. Pierre-François Cuénoud, Vizepräsident<br />

der FMH, Verantwortlicher Ressort Tarife<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

SÄZ-PODIUMSDISKUSSION<br />

Thema SwissDRG / Neue Spitalfinanzierung beitragen.<br />

Der Einbezug des Publikums in die Diskussion<br />

ist zentraler Bestandteil des Konzepts der SÄZ-Podiumsveranstaltungen.<br />

Datum / Zeit / Ort<br />

Die Podiumsveranstaltung mit anschliessendem<br />

Apéro findet statt am Mittwoch, 30. Januar 2013,<br />

18.00–20.00 Uhr, im Empire-Saal des Restaurants<br />

«Zum Äusseren Stand», Zeughausgasse 17, Bern.<br />

Anmeldung<br />

Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung<br />

ist aber erforderlich.<br />

Anmeldungen können bis Montag, 28. Januar<br />

2013, via E-Mail an redaktion.saez[at]emh.ch oder<br />

via Fax an 061 467 85 56 erfolgen. Bitte Ihren Namen<br />

und die Namen allfälliger Begleitpersonen sowie<br />

das Stichwort «Anmeldung zum SÄZ-Podium vom<br />

30. Januar» angeben. Auch tele fonische Anmeldungen<br />

sind vormittags unter 061 467 85 72 möglich.<br />

Veranstaltungspartner<br />

Die Podiumsdiskussion wird in Zusammenarbeit mit<br />

der Ärztegesellschaft des Kantons Bern organisiert.<br />

Die Durchführung des Anlasses wird möglich dank<br />

grosszügiger Unterstützung durch Interpharma, den<br />

Verband der forschenden pharmazeutischen Industrie.<br />

Die Verantwortung für Konzept und Inhalt des<br />

Podiums liegt ausschliesslich bei der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

<strong>Ärztezeitung</strong>.<br />

und Gesundheitsökonomie Spitalärzte, Verwaltungsrat<br />

SwissDRG AG<br />

– Dr. med. Margrit Fässler, Mitarbeiterin am<br />

Institut für Biomedizinische Ethik der Universität<br />

Zürich im Projekt des <strong>Schweizerische</strong>n Nationalfonds<br />

zur DRG-Begleitforschung<br />

– Dr. med. Beat Gafner, Hausarzt und Präsident<br />

der Ärztegesellschaft des Kantons Bern<br />

– Oliver Peters, lic. rer. pol., Finanz- und Betriebschef,<br />

Centre Hospitalier Universitaire Vaudois<br />

CHUV<br />

– Dr. med. Heinz Schaad, Chefarzt Medizin,<br />

Spital Interlaken<br />

112


edaktion.saez@emh.ch BRIEFE / MITTEILUNGEN<br />

Briefe an die SÄZ<br />

SGOT und SSU –<br />

warum Mauern statt Windmühlen?<br />

Die Fachgesellschaften der Orthopädie und<br />

Urologie lehnen die Merkblätter des Swiss Medical<br />

Board zur Behandlung von Kreuzbandrissen<br />

und zur Bedeutung des PSA rundweg ab und<br />

empfehlen, sie nicht an die Patienten zu verteilen<br />

[1]. Sie gehen wie selbstverständlich davon<br />

aus, dass sie auf diesem Gebiet das massgebende<br />

Wissen und das exklusive Sagen haben.<br />

Es soll sich niemand anmassen, eine andere<br />

Auffassung zu veröffentlichen, sie wird sofort<br />

zensiert. Die Fachgesellschaften machen damit<br />

genau das, was der neue FMH-Präsident zu<br />

Recht vermeiden möchte, wenn er im Editorial<br />

der gleichen Nummer schreibt: «Ich freue mich<br />

über jedes FMH-Mitglied, das nicht mauert,<br />

sondern sich am Bau von Windmühlen beteiligt<br />

und am Gesundheitswesen mitbaut.» [2].<br />

Denn der Wind des Wandels weht! Er hat den<br />

Glauben an die Unfehlbarkeit der Experten<br />

und die von ihnen vorgegaukelte Sicherheit<br />

längst weggeblasen. Es ist erwiesen, dass die beruflichen<br />

und finanziellen Interessen von Fachgesellschaften<br />

die Formulierung von Richtli-<br />

Mitteilungen<br />

Facharztprüfungen<br />

Facharztprüfung zur Erlangung<br />

des Schwerpunktes Geriatrie zum Facharzttitel<br />

Allgemeine Innere Medizin<br />

Die Prüfung erfolgt in zwei Teilen:<br />

Schriftliche Prüfung:<br />

Datum: Donnerstag, 15. August 2013<br />

(14.00–17.00 Uhr)<br />

Ort: Computerraum Uni Tobler Bern, Länggassstrasse<br />

49, 3012 Bern<br />

Mündlich-praktische Prüfung:<br />

Datum: Mittwoch, 30. und Donnerstag, 31. Oktober<br />

2013<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

nien wesentlich zugunsten der Interessen ihrer<br />

Mitglieder und Sponsoren beeinflussen, insbesondere<br />

wenn die Evidenz unsicher ist. Damit<br />

qualifizieren Fachgesellschaften und deren<br />

Vertreter nicht für den «Erlass von Richtlinien»[3].<br />

Dafür braucht es die Mitarbeit fachkompetenter,<br />

unabhängiger Berater. Doch auch<br />

sie sind nur Mitarbeiter in einem Gremium,<br />

das einen weiteren Horizont hat <strong>als</strong> den rein<br />

fachlichen. Gemeint ist vor allem die Sicht der<br />

Patienten <strong>als</strong> Betroffene und der Gesellschaft<br />

<strong>als</strong> Trägerin des Gesundheitswesens im Ganzen.<br />

Die Herausforderung für die Fachgesellschaften<br />

ist heute, ihr Fachwissen nicht zur Monopolbildung<br />

zu missbrauchen, sondern in den<br />

Dienst einer nachhaltigen Medizin zu stellen<br />

[4]. Sie hat die gesamte Versorgungsqualität der<br />

Patienten und die Verhütung von Verschwendung,<br />

Überdiagnostik und Übertherapie im<br />

Blick. Dies ist ein hochaktueller, ethischer Anspruch<br />

an uns Ärztinnen und Ärzte, der weit<br />

über ökonomische Überlegungen hinausreicht.<br />

Ich schlage deshalb den Orthopäden und Urologen<br />

vor, ihre Leitbilder zu überdenken. In der<br />

Zwischenzeit können alle die Patientenmerkblätter<br />

des Swiss Medical Board <strong>als</strong> zurzeit am<br />

besten abgestützte Empfehlung gut und gerne<br />

an die Patienten verteilen.<br />

Dr. med. Hansueli Schläpfer, Herisau<br />

Ort: Der Prüfungsort wird nach Abschluss der<br />

Auswertung der schriftlichen Prüfung bekanntgegeben.<br />

Anmeldefrist: 30. Mai 2013<br />

Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />

des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />

AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />

Facharztprüfung zur Erlangung des<br />

Facharzttitels Pharmazeutische Medizin<br />

Schriftliche Prüfung:<br />

Datum: 26. August 2013, 9.00–13.00 Uhr<br />

1 Christen B, Gasser T. SGOT-SSOT und SGU-SSU<br />

lehnen Merkblätter für Patienten des Swiss<br />

Medical Board ab.<br />

Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2013;94(1/2 ):10.<br />

2 Schlup J. Warum wir Ärzte Windmühlen bauen<br />

sollten. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>. 2013;94(1/2):5.<br />

3 www.urologie.ch/v2/?lang=de<br />

4 «Nachhaltige Medizin», Positionspapier der<br />

Schweiz. Akademie der Medizinischen<br />

Wissenschaften, Dez. å2012.<br />

Fehlende Quellenangabe<br />

Zum Artikel «Der kleine Unterschied» [1]<br />

Sehr geehrte Frau Pill, sehr geehrte Herren<br />

Zum Auszug aus dem Lehrbuch «Verhaltensregeln<br />

für Deutsche Primaten» fehlt mir die<br />

Quellenangabe.<br />

Mit freundlichen Grüssen<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

Dr. med. Markus Rothweiler, Aesch BL<br />

ein peinlich berührter Doppelbürger CH-D<br />

1 Diehm N, Pill I, Baumann F.<br />

Der kleine Unterschied. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />

2013;94(1/2):31–3.<br />

Ort: Zentrum für Lehre und Forschung, Hebelstrasse<br />

20, 4056 Basel<br />

Mündliche Prüfung:<br />

Datum: 11. September 2013, 9.00–16.00 Uhr<br />

Ort: Pharmacenter, Universität Basel, Klingelbergstrasse<br />

50, 4056 Basel<br />

Anmeldefrist: 30. Juni 2013<br />

Weitere Informationen finden Sie auf der Website<br />

des SIWF unter www.siwf.ch → Weiterbildung<br />

AssistenzärztInnen → Facharztprüfungen<br />

113


Redaktionelle Verantwortung: FMH SERVICES<br />

Seminare 2013<br />

Praxiseröffnung/-übernahme<br />

Das Seminar richtet sich an Ärztinnen und<br />

Ärzte, welche vor einer Praxiseröffnung (Einzel-/Gruppenpraxis),<br />

dem Einstieg in eine<br />

Gruppenpraxis oder vor einer Praxisübernahme<br />

stehen.<br />

Themen<br />

– Juristische Aspekte (Praxisbewilligung, Zulassung<br />

zur Sozialversicherung, Vertragswesen)<br />

– Gesellschaftsformen/Ehe- und Erbrecht<br />

(Privat-/Geschäftsvermögen, Güterstand,<br />

Erbschaftsplanung)<br />

– Praxiseinrichtung (Inneneinrichtung,<br />

Kostenberechnung)<br />

– Praxisadministration (Leistungserfassungs-<br />

und Abrechnungssysteme)<br />

– Bewertung einer Arztpraxis (Berechnung<br />

Inventarwert und Goodwill <strong>als</strong> Verhandlungsbasis)<br />

– Finanzierung der Arztpraxis (Businessplan,<br />

Kredite, Absicherungsmöglichkeiten)<br />

– Versicherungen/Vorsorge/Vermögen<br />

(Personen- und Sachversicherungen, Vorsorgeplanung)<br />

Sponsoren<br />

Die Kosten werden durch diverse Sponsoren<br />

(siehe www.fmhservices.ch) gedeckt.<br />

Daten<br />

K01 Donnerstag, Zürich<br />

7. März 2013 Volkshaus<br />

09.00–16.30 Uhr<br />

K02 Donnerstag, St. Gallen<br />

25. April 2013 Hotel Einstein<br />

16.00–20.30 Uhr<br />

K03 Donnerstag, Bern<br />

13. Juni 2013 Schmiedstube<br />

9.00–16.30 Uhr<br />

Praxisübergabe<br />

Das Seminar richtet sich an zukünftige Praxisübergeber/innen.<br />

Idealtermin: 5–10 Jahre vor<br />

geplanter Übergabe (aus steuer- und vorsorgeplanerischen<br />

Gründen).<br />

Themen<br />

– Juristische Aspekte (Praxisübergabevertrag,<br />

allg. Vertragswesen, Übergabe der<br />

Krankengeschichten)<br />

– Nachfolgeplanung und Bewertung einer<br />

Arztpraxis (projektorientiertes Vorgehen in<br />

der Nachfolgeplanung, Berechnung Inventarwert<br />

und Goodwill <strong>als</strong> Verhandlungsbasis)<br />

– Versicherungen / Vorsorge / Vermögen<br />

(Übergabe/Auflösung von Versicherungsverträgen,<br />

Pensions- und Finanzplanung)<br />

– Steuern (Steueraspekte bei der Praxisübergabe:<br />

Optimierung der steuerlichen Auswirkungen,<br />

Liquidations- und Grundstückgewinnsteuer,<br />

Bestimmung des optimalen<br />

Übergabezeitpunktes)<br />

Sponsoren<br />

Die Kosten werden durch diverse Sponsoren<br />

(siehe www.fmhservices.ch) gedeckt.<br />

Daten<br />

K06 Donnerstag, Zürich<br />

14. März 2013 Volkshaus<br />

13.30–18.00 Uhr<br />

K07 Donnerstag, St. Gallen<br />

16. Mai 2013 Hotel Einstein<br />

16.00–20.30 Uhr<br />

K08 Donnerstag, Bern<br />

20. Juni 2013 Schmiedstube<br />

13.30–18.00 Uhr<br />

Finanz- und Steuerplanung<br />

Das Seminar richtet sich an Praxiseröffner/innen,<br />

Praxisübernehmer/innen sowie an bereits<br />

praxistätige Ärztinnen und Ärzte.<br />

Themen<br />

– Finanzplanung (Businessplan, buchhalterische<br />

Massnahmen vor Praxiseröffnung/übernahme,<br />

Standardkontenplan, doppelte<br />

Buchhaltung, EDV-unterstützte Buchführungslösung)<br />

– Steuern (Steueraspekte bei Eintritt in die<br />

Selbständigkeit, Steuerfallen und Steuerrisiken,<br />

optimierte Steuerplanung)<br />

Kosten<br />

Für FMH Services-Mitglieder kostenlos.<br />

Daten<br />

K11 Donnerstag, Zürich<br />

21. März 2013 Volkshaus<br />

13.30–18.00 Uhr<br />

K12 Donnerstag, Bern<br />

19. September 2013 Schmiedstube<br />

13.30–18.00 Uhr<br />

Praxiscomputerworkshop<br />

Der Workshop richtet sich an praxiseröffnende<br />

sowie an bereits praxistätige Ärztinnen und<br />

Ärzte.<br />

Inhalt<br />

– Anforderungen an ein Praxisinformationssystem<br />

(Einführung)<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

FMH SERVICES<br />

Die grösste standeseigene Dienstleistungsorganisation<br />

– Evaluationsprozess (projektorientiertes<br />

Vorgehen in der Evaluation eines Praxisinformationssystems)<br />

– Präsentation von sechs führenden Praxisinformationssystemen<br />

(Leistungserfassung,<br />

elektronisches Abrechnen unter Einbezug<br />

der TrustCenter, Agendaführung, Statistiken,<br />

Laborgeräteeinbindung, elektronische Krankengeschichte,Finanzbuchhaltungslösungen<br />

usw.)<br />

Kosten<br />

Für FMH Services-Mitglieder kostenlos.<br />

Daten<br />

K13 Donnerstag, Zürich<br />

28. März 2013 Technopark<br />

13.30–18.00 Uhr<br />

K14 Donnerstag, Bern<br />

27. Juni 2013 BERNEXPO<br />

13.30–18.00 Uhr<br />

Die Details zu den weiteren für Sie sehr<br />

informativen Seminaren:<br />

– Gruppenpraxis<br />

– Röntgen in der Arztpraxis<br />

– Praxismarketing für Ärzte<br />

– Crashkurs Versicherungsmedizin<br />

– 10 Jahre vor Pensionierung<br />

– Tarifwerk TARMED - Einführungskurs<br />

– Telefonseminar für MPA (bzw. Praxisteam)<br />

entnehmen Sie bitte unserer Website<br />

www.fmhservices.ch → Seminare.<br />

Anmeldung und Auskunft<br />

www.fmhservices.ch oder FMH Consulting Services,<br />

Cornelia Fuchs, Burghöhe 1, 6208 Oberkirch,<br />

Tel. 041 925 00 77, Fax 041 921 05 86<br />

Hinweis<br />

Bei sämtlichen Seminaren, bei denen die Kosten<br />

teilweise oder gänzlich von Seminarsponsoren<br />

gedeckt werden, werden die Teilnehmeradressen<br />

den jeweiligen Sponsoren zur Verfügung gestellt.<br />

Annullierungsbedingungen<br />

Bei Abmeldungen oder Fernbleiben werden folgende<br />

Unkostenbeiträge erhoben:<br />

– 50 CHF pro Person ab 14 Tage vor Seminarbeginn;<br />

– 100 CHF pro Person ab 7 Tage vor Seminarbeginn<br />

oder Fernbleiben.<br />

114


Redaktionelle Verantwortung: FMH SERVICES<br />

Seit Jahren bin ich jeden Tag pünktlich.<br />

Warum dürfen meine Zahlungseingänge nicht<br />

auch mal pünktlich sein?<br />

Inkassostelle Encath AG n Koordinationsstelle<br />

Neuengasse 5 n 2502 Biel<br />

Telefon 032 344 39 69 n Fax 032 344 39 66<br />

mail@fmhinkasso.ch n www.fmhinkasso.ch<br />

Inkassodienstleistungen<br />

für Ärzte<br />

o Bitte senden Sie mir unverbindlich und kostenlos Unterlagen<br />

über das komplette Leistungspaket von:<br />

o FMH Inkasso Services<br />

o FMH Factoring Services<br />

o Ich wünsche eine persönliche Beratung. Bitte rufen Sie an:<br />

Telefon: Beste Anrufzeit:<br />

NEU<br />

mediserv AG n Koordinationsstelle<br />

Neuengasse 5 n 2502 Biel<br />

Telefon 032 560 39 10 n Fax 032 560 39 11<br />

mail@fmhfactoring.ch n www.fmhfactoring.ch<br />

Honorarabrechnung für Ärzte<br />

inklusive Übernahme des Verlustrisikos<br />

und Auszahlung innert Sekunden<br />

Antworttalon: Bitte einsenden oder per Fax an 032 560 39 11<br />

Name der Praxis:<br />

Ansprechpartner:<br />

Adresse /Stempel:<br />

FMH SERVICES<br />

Die grösste standeseigene Dienstleistungsorganisation<br />

35/09 4/13


Redaktionelle Verantwortung: FMH SERVICES<br />

Des primes plus basses pour vous et vos collaborateurs<br />

✂<br />

Connaissez-vous les contrats-cadres FMH Insurance Services pour l’assurance accident obligatoire<br />

(LAA) et l’assurance maladie perte de gain (LCA) ? Membres de FMH Services bénéficient de<br />

conditions particulièrement attractives dans ce domaine. C’est avec plaisir que nous vous<br />

soumettons des offres comparatives sans frais ni engagement adaptées à vos besoins et vous<br />

démontrons ainsi votre potentiel d’épargne. Faites appel à notre proposition afin de vous permettre<br />

ainsi qu’à vos collaborateurs d’économiser des primes.<br />

❏ Mes collaborateurs et moi désirons faire des économies sur les primes. Veuillez vérifier mes assurances personnelles<br />

et m’envoyer une offre comparative. (Veuillez annexer une copie de votre police d’assurance actuelle).<br />

❏ Veuillez m’appeler pour un conseil personnalisé<br />

Prénom / Nom<br />

Adresse<br />

NPA / Lieu<br />

Téléphone privé / cabinet<br />

Atteignable le plus facilement<br />

Adresse E-Mail<br />

Talon réponse: prière d’envoyer ou de faxer au 031 959 50 10<br />

FMH SERVICES<br />

Die grösste standeseigene Dienstleistungsorganisation<br />

Roth Gygax & Partner AG ■ Koordinationsstelle<br />

Moosstrasse 2 ■ 3073 Gümligen<br />

Téléphone 031 959 50 00 ■ Fax 031 959 50 10<br />

mail@fmhinsurance.ch ■ www.fmhinsurance.ch<br />

IN0413


Standpunkt TRIBÜNE<br />

Anmerkungen zu den Beiträgen zum Thema Spiritualität von J. Fischer und E. Taverna<br />

Präsenzcharakter von Krankheit<br />

und Spiritual Care<br />

Priska Bützberger Zimmerli a ,<br />

Sabine Weidert b , Beat Müller c<br />

a Dr. med., Oberärztin<br />

Onkologie, Kantonsspital<br />

Baden<br />

b Dipl. Soz.­Päd., Pflegefachfrau,<br />

Koordinatorin<br />

Palliativnetz Freiburg i. Br.<br />

c Dr. med., Oberarzt Medizinische<br />

Onkologie, Schwerpunktabteilung<br />

Palliative<br />

Care, Luzerner Kantonsspital<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Der Theologe Professor Johannes Fischer schrieb<br />

in der SÄZ in einer interessanten Betrachtung zu<br />

Krankheit und Spiritualität vom Präsenzcharakter<br />

der Krankheit [1]. Was er über die Wahrnehmung<br />

der Präsenz der Krankheit schreibt, erinnert an die<br />

Ideen der Leibphilosophie von Thomas Fuchs und<br />

anderen Leibphilosophen, die den Leib <strong>als</strong> eigenständiges<br />

Wahrnehmungsorgan für Stimmungen,<br />

Gefühle und Atmosphären bezeichnen. Er ist darüber<br />

hinaus sozusagen der aktuell gespürte Körper.<br />

Der Leib wird aber auch <strong>als</strong> das «Vehikel des Zur­<br />

Welt­Seins» beschrieben [2]. Eine Krankheit betrifft<br />

somit dieses ganze «Vehikel des Zur­Welt­Seins».<br />

Folglich verändert sich dadurch die Wahrnehmung<br />

der ganzen Welt, wie Fischer es sehr treffend beschrieben<br />

hat.<br />

Für Spiritual Care gibt es inzwischen in München<br />

einen Lehrstuhl, aber noch keine klare Definition.<br />

Korrespondenz:<br />

Dr. med. Priska Bützberger<br />

Zimmerli<br />

Kantonsspital Baden<br />

CH­5400 Baden<br />

priska.buetzberger[at]ksb.ch<br />

Er spricht davon, «dass man den Kranken in<br />

einen anderen Präsenzraum bringen muss, der Entlastung<br />

bietet von dem Präsenz und Erlebensdruck<br />

seiner Krankheit». Dies könne der Präsenzraum des<br />

Heiligen sein, wie er durch religiöse Praktiken, Riten<br />

und Texte erschlossen wird, aber auch einfach der<br />

Präsenzraum, die «Atmosphäre» menschlicher Zuwendung,<br />

Fürsorge und Liebe, die einem Kranken<br />

entgegengebracht werden [1]. Beides beschreibt<br />

etwas, das in der Literatur unter Spiritual Care zusammengefasst<br />

wird. In der Leibphilosophie wird<br />

dieses Phänomen menschlicher Zuwendung, Fürsorge<br />

und Liebe zudem auch <strong>als</strong> zwischenleibliche<br />

Resonanz bezeichnet [3].<br />

Was ist Spiritual Care?<br />

Für Spiritual Care gibt es inzwischen in München einen<br />

Lehrstuhl, aber noch keine klare Definition.<br />

Sinngemäss wird damit aber der Aspekt der Gesundheitsfürsorge<br />

bezeichnet, der sich um spirituelle und<br />

religiöse Bedürfnisse kümmert, die durch eine Krankheit<br />

geweckt worden sind. Es gibt Untersuchungen<br />

dazu, was sich Patienten unter Spiritual Care vorstellen<br />

und was sie sich wünschen [4]. Dabei zeigte sich,<br />

dass Spiritual Care für die Patienten sehr viel mit<br />

Begegnung und Beziehung zu tun hat, was zu den Erläuterungen<br />

von Professor Fischer passt.<br />

Erhard Taverna hingegen schreibt in der <strong>Schweizerische</strong>n<br />

<strong>Ärztezeitung</strong>: «Reale und vermeintliche<br />

Missstände im Medizinbetrieb werden gerne am<br />

Ideal der ‹Begegnung› oder des ‹Paares Arzt­Patient›<br />

gemessen, was Michel Foucault <strong>als</strong> ‹Bestreben, so vielem<br />

Nicht­Denken auch noch die matten Mächte<br />

einer Eheträumerei an die Seite zu stellen› ironisierte.»<br />

Taverna führt weiter aus: «Ganzheitlichkeit<br />

oder Spiritualität sind Attribute, die, oft von der<br />

alternativen Szene beansprucht, sich hervorragend<br />

für die eigene Idealisierung und Selbstbeweihräucherung<br />

eignen.» Für Taverna gilt es, der Versuchung,<br />

Priester und Heiler sein zu wollen, zu widerstehen<br />

[5]. Spiritualität, wie sie z. B. in der Definition der<br />

European Association of Palliative Care (EAPC) verstanden<br />

wird, hat aber nichts mit Selbstbeweihräucherung<br />

zu tun. Die EAPC definiert Spiritualität <strong>als</strong><br />

«dynamische Dimension menschlichen Lebens, die<br />

sich darauf bezieht, wie Personen (individuell und in<br />

Gemeinschaft), Sinn, Bedeutung und Transzendenz<br />

erfahren, ausdrücken und/oder suchen, und wie sie<br />

in Verbindung stehen mit dem Moment, dem eigenen<br />

Selbst, mit Anderen/­m, mit der Natur, mit dem<br />

Signifikanten und/oder dem Heiligen». [6] Spiritual<br />

Care praktizieren zu wollen, muss nicht gleichbedeutend<br />

sein damit, der Versuchung erlegen zu sein,<br />

Priester und Heiler gleichzeitig sein zu wollen.<br />

Die Rolle des Helfers<br />

Der Physiker und Theologe Erhard Weiher schreibt<br />

in seinem Buch «Das Geheimnis des Lebens berühren»,<br />

dass der Helfer sich dem Patienten <strong>als</strong><br />

Contain er zur Verfügung stellt. Der Begriff<br />

Contain er stammt dabei aus der Entwicklungspsychologie.<br />

So wie das kleine Kind einen Beziehungsraum<br />

braucht, um sein Selbst zu finden und auszubilden<br />

– ein lebendiges Gegenüber, das ihm tragend<br />

und haltend, freilassend und resonanzgebend begegnet<br />

– so braucht jeder Mensch immer wieder solche<br />

Gegenüber, vor allem in schwierigen Lebensphasen<br />

(z. B. Trauer, Sterben). Weiher schreibt über den Patienten:<br />

«Wenn er im ‹Seelenraum› des Helfers auf<br />

annehmende Resonanz stösst und sich verstanden<br />

und wertgeschätzt findet mit allem, was in ihm ist,<br />

dann entsteht für ihn ein verlässlicher Pol, an dem er<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

125


Standpunkt TRIBÜNE<br />

Beim Helfer erhält der Patient Resonanz, fühlt sich verstanden und wertgeschätzt, findet<br />

einen verlässlichen Pol, an dem er sich aufrichten und wieder zu sich finden kann.<br />

Der Container und seine Auffangstruktur.<br />

(Aus: Erhard Weiher. Das Geheimnis des Lebens berühren.<br />

Mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags.)<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

sich aufrichten und wieder zu sich finden kann.» [7]<br />

Taverna befürchtet eine Überforderung der Behandelnden<br />

und Pflegenden. Weiher schreibt dazu: «Die<br />

Begleiter sind für den Patienten nicht nur Auffanggefässe<br />

(…). Ihnen steht selbst ein Container zur Verfügung,<br />

aus dem sie ihrerseits die beruflichen Ressourcen<br />

schöpfen können, um schwerer Krankheit,<br />

Sterben und Tod zu begegnen. Der Container des<br />

Helfers ist nicht voller hilfloser Ohnmacht (und damit<br />

leer), sondern weit über das fachlich­funktionelle<br />

Denken und Handeln hinaus gefüllt mit Inhalten,<br />

die das Leid von Menschen tragen helfen, so<br />

dass die Helfer das Wesentliche nicht mit eigener<br />

Kraft tragen müssen.»<br />

Die oberste Ebene dieses<br />

Containers ist gemäss Weiher<br />

mit dem fachlich­methodischen<br />

Handeln und Behandeln<br />

gefüllt. Der Helfer, z. B.<br />

der Arzt, wendet sich mit seiner<br />

Fachkompetenz der physischen<br />

Seite des Patienten zu.<br />

Dies geschieht im Rahmen<br />

e iner Facheinrichtung, die<br />

wiederum Teil der Gesellschaft<br />

ist. Die zweite Ebene stellt die<br />

Persönlichkeit des Helfers dar.<br />

Sie verleiht der beruflichen<br />

Rolle Farbe und ein persönliches<br />

Gesicht. Bei der dritten<br />

Ebene wird die Beziehungskompetenz<br />

angesprochen. In<br />

der Leibphilosophie käme hier<br />

die leibliche Resonanzfähigkeit<br />

mit ins Spiel, d. h. die<br />

Schwingungsfähigkeit des Lei­<br />

bes für die Wahrnehmung von Atmosphären, Stimmungen<br />

und Gefühlen [8]. Bei der vierten Ebene<br />

geht es um die Symbolwirkung der Berufsrolle. Der<br />

Arzt z. B. ist ein Vertreter der Gesellschaft, dem diese<br />

bedeutungsvolle Berufsrolle zugetraut wird und der<br />

auch dafür steht, dass man mit seinem Leiden aufgefangen<br />

wird. Folgt die Ebene der Mitmenschlichkeit.<br />

Ein Mensch begegnet einem anderen Menschen. Im<br />

Container gibt es auch eine Schicht menschheitlichexistentieller<br />

Grunderfahrung. «Die Fähigkeit, mit<br />

Leid und Tod zu leben, gehört von Anfang der<br />

Schöpfung an zur Natur der Lebewesen.» Die unterste<br />

Schicht reicht in die spirituelle Dimension hinein.<br />

«Leben, Leiden, Sterben und Tod sind in dem<br />

Geheimnis allen Lebens verankert.» Der Mensch verfügt<br />

nicht über dieses Geheimnis des Lebens, aber er<br />

kann sich ihm anvertrauen und es bewohnen [7].<br />

Taverna schreibt, die Begriffe seien unscharf. Es<br />

stellt sich die Frage, ob Begriffe wie Spiritualität oder<br />

Spiritual Care überhaupt scharf umrissen sein können,<br />

haben sie doch mit dem «spirituellen Geheimnis»<br />

des Lebens zu tun, das für uns Menschen unverfügbar<br />

ist.<br />

Fazit<br />

Zusammenfassend gibt es durchaus einen Mittelweg<br />

zwischen der Reduktion der Krankheit auf somatische<br />

oder psychische Zustände und dem Abdriften<br />

in Selbstbeweihräucherung und Heilerfantasien.<br />

Eine ärztliche Spiritual Care mit der nötigen Demut,<br />

wie sie von Weiher beschrieben wird und ausgehend<br />

vom Gedanken, dass jeder Mensch in irgendeiner<br />

Form spirituell ist, kann durchaus auch präventiv<br />

wirken gegen ein solches Abdriften in Allmachts­<br />

und Grössenfantasien.<br />

Literatur<br />

1 Fischer J. Krankheit und Spiritualität. Schweiz<br />

<strong>Ärztezeitung</strong>. 2012;93(45):1672–5.<br />

2 Merleau­Ponty M. Phänomenologie der Wahrnehmung.<br />

Berlin; 1965. S. 106.<br />

3 Fuchs T. Leib, Raum, Person, Entwurf einer phänomenologischen<br />

Anthropologie. Stuttgart; 2000. S. 246.<br />

4 Edwards A et al. The understanding of spirituality and<br />

the potential role of spiritual care in end­of­life and<br />

palliative care: a meta­study of qualitative research.<br />

Palliat Med. 2010;24(8):753–70.<br />

5 Taverna E. Mehrwert Spiritualität. Schweiz <strong>Ärztezeitung</strong>.<br />

2012;93(45):1678.<br />

6 European Association of Palliative Care (Internet).<br />

(The Netherlands): Taskforce on Spiritual Care in<br />

Palliative Care; (2010, cited 2012 Nov 14). www.<br />

eapcnet.eu<br />

7 Weiher E. Das Geheimnis des Lebens berühren.<br />

Stuttgart: Kohlhammer; 2009.<br />

8 Weidert S. Leiblichkeit in der Pflege von Menschen mit<br />

Demenz. Frankfurt a. M.: Mabuse­Verlag ; 2007.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 126


Betriebswirtschaft TRIBÜNE<br />

Neues Rechnungslegungsrecht:<br />

strengere Vorschriften für Ärzte<br />

Martin Brenner a,b ,<br />

Rolf Willimann a<br />

a FMH Treuhand Services<br />

b FMH Insurance Services<br />

Korrespondenz:<br />

FMH Consulting Services AG<br />

Burghöhe 1<br />

CH-6208 Oberkirch<br />

Tel. 041 925 00 77<br />

Fax 041 921 05 86<br />

mail[at]fmhtreuhand.ch<br />

www.fmhtreuhand.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Seit dem 1. Januar 2013 gilt ein neues Rechnungslegungsgesetz. Ärzte, die einen<br />

Umsatzerlös von mehr <strong>als</strong> 500 000 Franken erzielen, unterliegen der Pflicht zur<br />

Buchführung und Rechnungslegung.<br />

Hintergrund<br />

Am 22. November 2012 hat der Bundesrat bekanntgegeben,<br />

dass am 1. Januar 2013 das neue Rechnungslegungsrecht<br />

in Kraft treten wird. Als Übergang<br />

haben die betroffenen Unternehmen zwei Jahre Zeit,<br />

um sich an die neue Rechtslage anzupassen. Ab dem<br />

Geschäftsjahr 2015 müssen die Bestimmungen des<br />

neuen Rechnungslegungsrechts zwingend angewendet<br />

werden. Neu ist, dass die Pflicht zur Buchführung<br />

und Rechnungslegung von der wirtschaftlichen<br />

Bedeutung und nicht mehr von der Rechtsform<br />

eines Unternehmens abhängt.<br />

Umsatzgrenzen<br />

Der Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung<br />

unterliegen gemäss den neuen Bestimmungen:<br />

– Einzelunternehmen und Personengesellschaften, die<br />

im letzten Geschäftsjahr einen Umsatzerlös von<br />

mindestens 500 000 Franken erzielt haben<br />

– Juristische Personen<br />

Einzelunternehmen und Personengesellschaften<br />

mit weniger <strong>als</strong> 500 000 Franken Umsatzerlös im<br />

letzten Geschäftsjahr müssen lediglich über die Einnahmen<br />

und Ausgaben (inkl. der zeitlichen und<br />

sachlichen Abgrenzungen) sowie über die Vermögenslage<br />

Buch führen.<br />

Einzelunternehmen und Personengesellschaften<br />

mit weniger <strong>als</strong> 100 000 Franken Umsatzerlös können<br />

auf die zeitliche Abgrenzung verzichten und<br />

sich stattdessen auf die laufenden Ausgaben und<br />

Einnahmen beschränken.<br />

Konsequenzen für Ärzte<br />

Für Arztpraxen, die aufgrund eines Umsatzes unter<br />

500 000 Franken nur eine Milchbüchlein-Rechnung<br />

erstellen, ist zu bemerken, dass die Steuerbehörden<br />

in der Regel zusätzliche Informationen verlangen.<br />

Ärzte und Ärztinnen, die Medikamente verkaufen,<br />

erzielen häufig einen Umsatzerlös von mehr <strong>als</strong><br />

500 000 Franken und unterliegen somit der Pflicht<br />

zur Buchführung und Rechnungslegung. Mit der<br />

neuen Rechtslage treten strengere Vorschriften ein.<br />

Wichtig ist, dass in Zukunft Aufwände und Erträge<br />

voneinander in zeitlicher und sachlicher Hinsicht<br />

abgegrenzt und gegliedert dargestellt werden.<br />

Die Steuerbehörden sind grundsätzlich an einen<br />

handelsrechtlich korrekten Abschluss gebunden,<br />

sofern die ergänzenden steuerlichen Vorschriften<br />

eingehalten werden. Einzelunternehmungen und<br />

Neu ist, dass die Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung<br />

von der wirtschaftlichen Bedeutung und nicht mehr von der Rechtsform<br />

eines Unternehmens abhängt.<br />

Personengesellschaften können hingegen auf den<br />

für grössere Unternehmen (ab 20 000 000 Franken Bilanzsumme,<br />

40 000 000 Franken Umsatzerlös und<br />

250 Vollzeitstellen) nach neuer Rechnungslegung<br />

obligatorischen Anhang mit zusätzlichen erklärenden<br />

Informationen verzichten. Verlangen die Rechnungslegungsvorschriften<br />

dennoch zusätzliche Angaben,<br />

so sind diese zwingend in der Bilanz und Erfolgsrechnung<br />

aufzuführen.<br />

Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit<br />

einem Umsatzerlös von mindestens 500 000 Franken<br />

unterliegen jetzt der Pflicht zur Buchführung und<br />

Rechnungslegung.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

127


Spectrum TRIBÜNE<br />

«Parcours Prévention»:<br />

évaluer son risque<br />

de cancer<br />

En moyenne, une personne sur trois<br />

est frappée par un cancer en Suisse<br />

au cours de sa vie. Pour certains can-<br />

cers, il est possible de réduire son<br />

risque en adoptant un mode de vie<br />

sain. Le but du «Parcours Préven-<br />

tion» est de permettre à chacun de<br />

maintenir son risque de cancer au<br />

plus bas, compte tenu de son sexe et<br />

de son âge. La Ligue contre le cancer<br />

vous propose une promenade inte-<br />

ractive au fil de laquelle vous décou-<br />

vrirez comment réduire votre risque<br />

personnel de développer un cancer.<br />

Un nouvel outil en ligne gratuit,<br />

anonyme, complet et taillé sur me-<br />

sure.<br />

(Ligue suisse contre le cancer)<br />

Neuer Shop der Rheumaliga<br />

Schweiz online<br />

Hell, freundlich und übersichtlich:<br />

So soll ein Laden sein, und so ist<br />

ab sofort auch der neue Shop der<br />

Rheumaliga Schweiz im Web (www.<br />

rheumaliga-shop.ch). Das komplett<br />

neue Design schafft Raum für die<br />

Präsentation der Alltagshilfen und<br />

gut lesbare Erläuterungen zu den<br />

Produkten und ihrer Anwendung.<br />

Zusätzlich lassen sich Anleitungen<br />

zum Gebrauch von Alltagshilfen<br />

<strong>als</strong> <strong>PDF</strong> downloaden. Bei einigen<br />

Produkten verdeutlicht ein kurzes<br />

Video die Handhabung. Die Bro-<br />

schüren und Faltblätter der Rheu-<br />

maliga Schweiz sind neu Seite für<br />

Seite anzuschauen und lassen sich<br />

vollumfänglich ausdrucken.<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

(Rheumaliga Schweiz)<br />

Caritas: Betreuung für ältere<br />

Menschen zu Hause<br />

Immer mehr betagte Menschen möchten möglichst<br />

lange in ihren eigenen vier Wänden leben.<br />

Doch vielen Angehörigen fehlt die Zeit für eine<br />

intensive Betreuung, und sie suchen Unterstützung<br />

durch Betreuungspersonen. Häufig engagieren<br />

sie dafür Migrantinnen aus Osteuropa. Die<br />

sogenannte «Care Migration» ist ein rasch wachsendes<br />

Phänomen. Caritas Schweiz hat nun ein<br />

neues Projekt zur Betreuung betagter Menschen zu<br />

Hause gestartet. Gemeinsam mit ihrer Partnerorganisation<br />

in Siebenbürgen, Rumänien, engagiert sie<br />

gut qualifizierte Betreuerinnen. Diese leisten unter<br />

fairen Arbeitsbedingungen einen zeitlich befristeten<br />

Einsatz bei älteren Personen zu Hause. Das<br />

Projekt «In guten Händen – Von Caritas zuhause<br />

betreut» läuft in einer Pilotphase in den Regionen<br />

Zürich, Zug und Luzern.<br />

(Caritas)<br />

Glücksspiel – Freizeitver g nügen mit Risikopotential<br />

In der Schweiz spielen zwischen 80 000 und<br />

120 000 Menschen auf problematische Weise<br />

Studien haben Erkenntnisse geliefert, wie man der<br />

Spielsucht vorbeugen kann.<br />

Glücksspiele: Sucht Schweiz hat Studien in Auftrag<br />

gegeben, die Hinweise liefern, wie Präventionsmassnahmen<br />

ausgestaltet werden sollten.<br />

Je früher Jugendliche mit Glücksspiel beginnen,<br />

desto grösser ist das Risiko für ein problematisches<br />

Spielverhalten. Daher sollen sich präventive<br />

Massnahmen vor allem an Jugendliche<br />

richten. Im Vergleich zu Erwachsenen sind fast<br />

doppelt so viele Jugendliche betroffen (1,9 %).<br />

Knaben spielen dabei doppelt so häufig wie<br />

Mädchen. Neben Präventionsbotschaften, die via<br />

Schlüsselpersonen verbreitet werden, sollen vermehrt<br />

Angebote im Internet plaziert und Fachpersonen<br />

aus dem Sozial- und Gesundheitswesen<br />

geschult werden, glücksspielsuchtspezifische<br />

Probleme zu erkennen.<br />

Statistiques de la santé 2012: nouvelle publication<br />

L’Office fédéral de la statistique (OFS) publie pour<br />

la première fois un ouvrage offrant un survol de<br />

l’ensemble des données statistiques disponibles<br />

sur le thème de la santé. Toutes les dimensions de<br />

la structure de la statistique de la santé sont abordées:<br />

les conditions-cadre et les déterminants de<br />

la santé, l’état de santé de la population et le recours<br />

aux soins, le système de santé et son financement.<br />

Le système de santé est devenu un secteur<br />

majeur de l’économie du pays. Entre 1985 et 2008,<br />

le nombre d’emplois dans le domaine de la santé a<br />

crû de 3,1 % par an, contre 0,9 % de croissance<br />

pour l’ensemble de l’économie.<br />

(OFS)<br />

Caritas Schweiz vermittelt zu fairen Bedingungen<br />

Migrantinnen für eine Betreuung zu Hause.<br />

14<br />

Santé<br />

Statistiques de la santé 2012<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

1291-1200<br />

(Sucht Schweiz)<br />

128


Essay HORIZONTE<br />

Verantwortung haben Ärzte reichlich.<br />

Und Führung?*<br />

Ludwig Hasler<br />

* Der Beitrag basiert auf einem<br />

Referat, das der Autor am<br />

25. Oktober 2012 an der<br />

Plenarversammlung des<br />

<strong>Schweizerische</strong>n Instituts<br />

für ärztliche Weiter- und<br />

Fortbildung SIWF in Bern<br />

gehalten hat.<br />

Korrespondenz:<br />

Dr. phil. Ludwig Hasler<br />

CH-8702 Zollikon<br />

lhasler[at]duebinet.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Vor Jahresfrist kritisierte ich die Überschätzung der<br />

Weiterbildung – genauer: die Gefahr der Entmündigung<br />

durch permanente Bildung. Denn fachliche<br />

Bildung betreibt den Glauben an Erfahrungen anderer<br />

– und dieser anschwellende Glaube an Fremd-<br />

erfahrung überflutet leicht die eigene Erfahrung der<br />

Ärztin, so dass (Achtung Satire!) am Ende die weitergebildete<br />

Ärztin funktioniert wie eine mit Studienkenntnissen<br />

vollgepackte Speicherplatte, wie ein Medizin-Roboter,<br />

der den jüngsten Stand des vermeintlich<br />

sakrosankten Wissens auf akute Fälle appliziert,<br />

was therapeutisch unergiebig wäre (weil kein Patient<br />

ist wie der andere) und wissenschaftlich naiv (weil<br />

jedes Wissen vorläufig bleibt).<br />

Das war letztes Jahr. Die Kritik blieb wirkungslos,<br />

weshalb ich heute für Weiterbildung plädiere – nicht<br />

für medizinische Spezialitäten (die läuft von selbst),<br />

auch nicht für «nicht fachspezifische Lernziele»<br />

(läuft unter dem Boom-Label ebenfalls ohne mich,<br />

<strong>als</strong> flankierende Trainingseinheit in Sekundärtugenden,<br />

«persönlichkeitsstützende» Exerzitien, soft skills<br />

usw.). Nein, ich plädiere für Fortbildung in ärztlichem<br />

Selbstverständnis: <strong>als</strong> Nachhilfe für geklärtes<br />

Selbstbewusstsein, gestärkte Branchen-Identität. In<br />

turbulenten Zeiten muss eine Branche sich klarmachen,<br />

was sie will. Schon gar eine Branche wie die<br />

ärztliche, die von allen Seiten beansprucht, gern instrumentalisiert,<br />

auch ideologisiert wird. Wollen Sie<br />

nicht <strong>als</strong> willfährige Vollstrecker polymorpher Bedürfnisse<br />

enden, müssen Sie sich selber einen Kanon<br />

ärztlichen Selbstverständnisses verschreiben.<br />

Wie ich zu dieser Behauptung komme? Ich bin<br />

hier der Laie. Doch allein der Monat Oktober lieferte<br />

mir drei Beweggründe.<br />

Zunächst dozierte ich (im Rahmen eines universitären<br />

MBA) Philosophie für (meist jüngere) Kaderärzte.<br />

Was sagen die arrivierten Ärzte (die ihren<br />

Samstag der Bildung widmen!) über ihre Stellung im<br />

Beruf? Zwiespältiges. Sie fühlen sich unsouverän im<br />

eigenen ärztlichen Handeln (dominiert von Administration,<br />

von Regularien wie DRG usw.); Chefärzte<br />

sehen wenig Chance zu tun, was sie eigentlich tun<br />

sollten (Erfahrung weitergeben); Weiterbildung<br />

schneidet in ihrem Urteil schlecht ab, sie sei ein Ritual<br />

von Pharma und Wissenschaft, ein «Selbstdarstellungs-Zirkus»<br />

für Wissenschaftler – statt für behandelnde<br />

Ärzte, Evidence based statt Eminence based, der<br />

praktische Nutzen sei gering, gemeinschaftsbildend<br />

einzig der Kampf gegen den Schlaf … Die Kritik der<br />

Ärzte war drastisch. Repräsentativ? Keine Ahnung. Sie<br />

stammt von Ärzten, die über den Tellerrand hinaussehen.<br />

Zweite Beobachtung. Nobelpreis für Medizin. Geht<br />

dieses Jahr an zwei Stammzellforscher. Ausnahmsweise<br />

sogar für mich einleuchtend: Der eine (Brite)<br />

«Wollen Sie nicht <strong>als</strong> Vollstrecker polymorpher Bedürfnisse enden, müs-<br />

sen Sie sich einen Kanon ärztlichen Selbstverständnisses verschreiben.»<br />

fand einen Jungbrunnen für Zellen, der andere (Japaner)<br />

machte ihn zur Basis neuer Therapien. Toll.<br />

Da liegt Zukunft in der Luft. «Alleskönner»-Zellen,<br />

genial. Ist das Medizin? Zellbiologie. Froschexperimente.<br />

Für Medizin ausgezeichnet wird ein Wissen,<br />

dass nicht aus der Medizin kommt, schon gar nicht<br />

vom Krankenbett. Ergo: Wird Medizin wissenschaftlich<br />

zur Bedürfnisbranche, die sich ihr Wissen nicht<br />

mehr selber besorgt?<br />

Dritte Beobachtung. In Deutschland demonstrieren/streiken<br />

Ärzte. Parole: «Holen wir unsere Selbstbestimmung<br />

zurück!» War sie ausgewandert? Wohin?<br />

In Ökonomie? Politik? Zu den Krankenkassen?<br />

Läuft in der Schweiz alles harmloser? Positiver? Aargauer<br />

Zeitung: «Das Kantonsspital Aarau hat seine<br />

Geschäftsleitung auf zwölf Personen aufgestockt, damit<br />

auch die Ärzte mitreden können.» Also doch.<br />

Ärzte reden mit – im Machtzentrum. Genau, was ich<br />

(siehe Titel) wünsche: Ärzte, die sich nicht nur in der<br />

Verantwortung sehen, sondern auch in der Führung?<br />

Drei Oktober-Beobachtungen, Tonart skeptisch.<br />

Der Arzt wird abhängiger: zum Anwender eines (biologisch-technischen)<br />

Wissens, das nicht aus ärztlicher<br />

Tätigkeit stammt, nach Regeln, die extern gebildet<br />

werden (Ökonomie, Politik, Industrie). Jetzt eine<br />

Spur systematischer. Erst mache ich mich unbeliebt<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

129


Essay HORIZONTE<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Auch eine Folge der Erosion von Ansehen und Macht der Ärzte ...<br />

in Runde 1: Zur Erosion ärztlicher Souveränität –<br />

oder: Vom Hausherrn zum Lakaien? Danach denke<br />

ich darüber nach, wie der Trend zu bremsen/stoppen/kehren<br />

wäre, Runde 2: Zur Revitalisierung der<br />

Souveränität – oder: Von der Eigenart ärztlichen<br />

Handelns.<br />

Erosion ärztlicher Souveränität – oder:<br />

vom Hausherrn zum gehobenen Lakaien?<br />

Einst war der Arzt Herr seiner Wirkungskreise – in<br />

Spital, Praxis, Universität. Ein freier Unternehmer im<br />

Dienste des Menschenwohls. Heute erwacht er aus<br />

dem Traum des Unternehmers/Freiberuflers. Freiberufler<br />

entscheiden selber: über geeignete Methoden,<br />

über das Ausmass der Anwendung, über Vergütung.<br />

In all diesen Fällen wächst der Einfluss externer Steuerungsinstanzen:<br />

Biologie/Pharma, Ökonomie, Politik.<br />

Konsequenz: Selbständigkeitsverluste – in deren<br />

Folge Einbussen an Kompetenz, an Einkünften, an<br />

Prestige. Die Entwicklung steckt vermutlich noch in<br />

der harmlosen Phase. Wie wichtig es gerade in dieser<br />

Phase ist, den Verlauf genau zu beobachten, das wissen<br />

Ärzte berufshalber. Also.<br />

Gesellschaftlich verliert der Arzt seine traditionelle<br />

Sonderstellung. Es passiert, was andere Branchen<br />

früher erlebten: die Normalisierung der einst exklusiven<br />

medizinischen Profession. Der Arzt wird Mediziner,<br />

und Mediziner ist ein Beruf wie andere. Also<br />

Schluss mit der Ärzteschaft <strong>als</strong> hermetischem Club,<br />

<strong>als</strong> selbstreferentieller Gruppe, die sich traditionell<br />

mit sich selbst verglich. Obwohl der Beruf noch immer<br />

prägt wie kaum ein anderer: die unausweichli-<br />

che Überforderung an der Grenze zwischen Leben<br />

und Tod, existentielle Ausnahme <strong>als</strong> beruflicher Normalfall.<br />

Beginnt schon mit dem Studium: Kaum ein<br />

anderes Fach hat solch harte Prüfungen, so viel Stoff,<br />

so viel Druck, danach die Assistenzzeit, endlose<br />

Schichten, strenge Hierarchie, fachlich dauernd am<br />

Limit. Dazu die Erwartungen der Gesellschaft. Wer<br />

Arzt ist, muss auch Held sein, siehe TV-Serien, siehe<br />

«Lost» (zwei Dutzend Menschen überleben Flugzeugabsturz,<br />

retten sich auf Insel, wer ist Anführer?<br />

Der Arzt). Die Klischees werden verlängert – und<br />

kontrastiert durch Abwertungen des Heldenstatus<br />

(Bürokratie, Kosten-Kontrolle, Laienaufstand dank<br />

Internet usw.). – Nichts Dramatisches. Aber doch<br />

Ansätze einer Entwicklung, die irgendwann auf die<br />

Frage hinausläuft: Wer tut sich etwas an? Leute mit<br />

Helfersyndrom? Mit masochistischen Neigungen?<br />

Mit unerschütterlichem Idealismus?<br />

Medizinisch wird der Arzt zum Fremdling in der<br />

Medizin. Sagt Paul U. Unschuld, der Münchner Medizinhistoriker,<br />

in seinem gleichnamigen Buch.<br />

Seine Argumentation: Medizin werde organisiert<br />

nach Kriterien ökonomischer Planungs- und Kon-<br />

trollvernunft. Nicht ärztliche Erfahrung im Umgang<br />

mit Leidenden bewirkte zum Beispiel die Fallpauschale;<br />

es war ökonomische Routine, die Usanzen<br />

der Autoreparaturwerkstätte in Krankenhäuser überträgt.<br />

Noch das Wissen, mit dem Ärzte professionell<br />

handeln, kommt kaum noch von Ärzten. Der Nobelpreis<br />

ist nur der schlagendste Beleg. Wer erhielt ihn<br />

in den letzten 20 Jahren? Biochemiker, Biologen,<br />

Pharmakologen. Wird medizinisches Wissen Fremd-<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 130


Essay HORIZONTE<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

wissen? Biologisches, zellbiologisches, molekularbiologisches,<br />

biochemisches Wissen? Unter den letzten<br />

zwanzig Preisträgern hatten immerhin noch<br />

sechs Medizin studiert, zwei waren in einer medizinischen<br />

Fakultät beschäftigt. Wie viele standen am<br />

Krankenbett? Keiner.<br />

Das Wissen, mit dem Ärzte<br />

professionell handeln,<br />

kommt kaum noch von Ärzten.<br />

Auch das ärztliche Handeln büsst Souveränität<br />

ein. Zwar gerät – in der sog. Wissensgesellschaft – jeder<br />

Beruf in Abhängigkeit von Wissenschaft und<br />

Forschung. Doch andere Branchen nutzen einschlägige<br />

wissenschaftliche Studien – oder eben nicht. In<br />

der Wirtschaft etwa fällt keinem Manager in heikler<br />

Lage ein, im ökonomischen Lehrbuch nachzuschlagen.<br />

Umgekehrt vertraut kein Verwaltungsrat Ökonomiewissenschaftlern<br />

die Führung einer Firma an;<br />

man hält sie für Eierköpfe, die nach Gesetzmässigkeiten<br />

forschen, die Praxis aber folgt, da ist man sich einig,<br />

anderen Entscheiden, nämlich situativen. Auch<br />

in der pädagogischen Provinz gilt: Grau ist alle Theorie<br />

– die gute Lehrerin erfindet ihren Unterricht täglich<br />

selbst. Dass mein Arzt sich nicht gar so souverän<br />

aufführt, ist mir zwar recht. Aber muss darum ärztliches<br />

Handeln die Trennlinie zwischen Theorie und<br />

Praxis gleich verwischen, alle Erfahrungsgeleitetheit<br />

der Praxis sozusagen auf dem Altar der Wissenschaft<br />

opfern?<br />

«45 Fachgesellschaften –<br />

da ist ja die Erosion des Arztes<br />

programmiert.»<br />

Ist diese Entwicklung – Erosion der Souveränität,<br />

vom Hausherrn zum Lakaien – schlimm? Oder normal?<br />

Der Preis der Professionalisierung? 45 Fachgesellschaften<br />

– da ist ja die Erosion des Arztes programmiert,<br />

verläuft sich in Dutzende von Spezialitäten,<br />

die (zum Teil) mit der traditionellen ärztlichen<br />

Rolle kaum etwas zu tun haben (weil sie eher hochspezialisierte<br />

Handwerker/Künstler sind, oder weil<br />

sie sich gar nicht <strong>als</strong> Heilberufler verstehen, da sie<br />

nicht länger Krankheiten therapieren, sondern Fakten<br />

optimieren). Überdies ist der Status Hausherr vielen<br />

zu anstrengend, sie wollen sich nicht am Beruf<br />

aufhängen; der Lakai hat seinen Job, sein Salär, seinen<br />

Tagesbefehl, er erledigt ihn, basta, danach ist er<br />

frei. So läuft die subjektive Seite der Professionalisie-<br />

rung/Differenzierung. Gibt es bald einen Bachelor<br />

Kniegelenk, einen Master Darmspiegelung? Wäre es<br />

das Ende «ärztlicher Souveränität»«? Definitiv nur<br />

«Dienstleistungserbringer»? Hochkompetent – und<br />

subaltern?<br />

Ist Souveränität anachronistisch? Vergangenheitsbeschönigung<br />

plus Gegenwartsverkennung?<br />

Mal sehen:<br />

Revitalisierung der Souveränität – oder:<br />

von der Eigenart ärztlichen Handelns<br />

Wir können es drehen, wie wir wollen: Entweder wir<br />

codieren unsere Standards selber – oder andere tun<br />

es für uns. Entweder bestimmen Ärzte selber die<br />

Codes, unter denen sie handeln, oder diese Codes<br />

werden von aussen verordnet. Darum finde ich,<br />

sollte ärztliche Fortbildung – immer auch – etwas<br />

tun für die Autonomie der Branche. Sie bewegte sich<br />

damit in einer langen Tradition.<br />

Ärzte legten zu allen Zeiten Wert auf die Selbstverpflichtung<br />

ihres Standes. Der hippokratische Eid<br />

wurde ihnen nicht von aussen auferlegt. Sie kennen<br />

die Worte: «Ich werde ärztliche Verordnungen treffen<br />

zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit<br />

und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor,<br />

sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden<br />

...» So steht es in jenem berühmten Eid aus<br />

der Antike. Heute, 2500 Jahre später, schwören Ärzte<br />

nicht mehr bei den Göttern Apollon und Asklepios.<br />

Doch die wichtigsten Gedanken dieser Ethik gelten<br />

noch immer: das Primat des Patientenwohls. Die<br />

Schweigepflicht. Das Euthanasieverbot. Das primum<br />

non nocere: das Gebot, einen Eingriff eher zu unterlassen,<br />

<strong>als</strong> künftige Beeinträchtigungen, gar den Tod<br />

zu riskieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der<br />

hippokratische Eid vom Weltärztebund zeitgemäss<br />

formuliert. Dieses «Genfer Gelöbnis» betont ausdrücklich,<br />

dass Ärzte ihre Patienten unabhängig von<br />

sozialer Stellung, Geschlecht oder anderen Zugehörigkeiten<br />

behandeln sollen – und ihre medizinischen<br />

Kenntnisse selbst dann anwenden sollen, wenn sie<br />

bedroht sind von Kräften, die «im Widerspruch zu<br />

den Geboten der Menschlichkeit» operieren. Wer<br />

sind heute die Kräfte wider die Menschlichkeit?<br />

Taliban? Der Vatikan? DRG-Regime? Tabakindustrie?<br />

Tugendterror – Rauchverbot im Altersheim?<br />

Jedenfalls scheint Arzt doch nicht ein Beruf wie<br />

andere zu sein. Er hat eine Besonderheit: die Wahrung<br />

eines unbedingten Gutes – der Schutz des Kranken. Andere<br />

Berufsgruppen (Schreiner, Wirte, Transport) bewirtschaften<br />

Bedürfnisse ihrer Klientel. Ärzte tun das<br />

auch. Aber sie müssen – anders <strong>als</strong> andere Branchen –<br />

die Bedürfnisse der Kranken nicht nur bedienen, sie<br />

müssen sie auch schützen gegen den Zugriff anderer<br />

Mächte. Dieser Schutz lässt sich nicht pragmatisch regeln,<br />

er muss absolut gelten, auch wenn manche pragmatischen<br />

Aspekte gegen ihn sprechen. Darum darf<br />

ärztliches Handeln sich nicht (nur) pragmatisch nach<br />

anderen Steuerungs instanzen richten, es muss sein<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 131


Essay HORIZONTE<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Prinzip in sich finden. – Darüber liesse sich in mindestens<br />

drei Schleifen nachdenken:<br />

Erstens müssen Ärzte ihre Rolle im Markt bestimmen.<br />

Sind sie Marktteilnehmer wie andere Anbieter<br />

– oder vertreten sie (auch) ein Gut, selbst wenn der<br />

Markt es ignoriert? Nicht nur steckt Arztsein wie<br />

kaum ein zweiter Beruf stets im Zwiespalt, die Sorge<br />

um die Not der anderen mit der Sorge um die eigenen<br />

Bedürfnisse zu verbinden. Wichtiger ist: Ärzte<br />

sind schon in friedlichen Zeiten Médecins sans frontières.<br />

Sie verteidigen die Würde der Kranken gegen<br />

alle Widersacher – durch die Unkäuflichkeit ihrer<br />

Dia- gnose, durch die Unkorrumpierbarkeit ihrer<br />

Therapie. Was Krankheit ist (und was nicht), das<br />

wollen viele beeinflussen (Parteien, Industrien ...).<br />

Entscheidend ist, dass Krankheit (und Therapie) am<br />

Leid der betroffenen Menschen orientiert bleibt –<br />

und nicht an politischen oder wirtschaftlichen<br />

Inter- essen. Wer soll das leisten, wenn nicht der<br />

Arzt? Keiner weiss wie er, was Kranke leiden, was sie<br />

wollen, brauchen. Der Arzt, der einzig legitime Anwalt<br />

des kranken Menschen.<br />

Zweitens sollten Ärzte eine genuin ärztliche Heilkunde<br />

verteidigen. Nichts gegen das aufdatierte<br />

Studienwissen. Aber wo bleibt da das Menschenbild?<br />

Welchen Menschenschlag haben Ärzte vor Augen?<br />

Was vertreten sie? Das Leben? Aber was für eines? Sie<br />

zogen mit in den Kreuzzug gegen das Rauchen.<br />

Okay. Was bedeutet das für die Philosophie vom<br />

Leben? Leben gleich Schonen? Bewahre uns vor<br />

allem Übel – oder: Sorget euch nicht? Denken Ärzte<br />

über solche Dinge noch nach? Wäre zwingend. Was<br />

macht das «gute Leben» aus? Fitness oder Verschwendung?<br />

Bravheit oder Sünde? Vielleicht hat, wer mehr<br />

sündigte, ein besseres Alter – vor allem etwas, woran<br />

er sterben kann? Während die radikal Properen sich<br />

fürs ewige Leben präparieren. Wie reagiert da «der<br />

Arzt»? Gar nicht? Jeder soll nach seiner eigenen Façon<br />

selig werden? Die Leute suchen aber Rat beim Arzt,<br />

nicht nur Pillen. Dazu brauchen Ärzte eine Philosophie<br />

menschlichen Lebens. Da Ärzte berufshal-<br />

ber illusionsfreier sind <strong>als</strong> andere (weil sie zum Beispiel<br />

junge Leute sterben sehen, die trotz prima<br />

Lebensführung einem Hirntumor zum Opfer fallen),<br />

müssten sie Freunde der Endlichkeit sein, für Freundschaft<br />

mit der Vergänglichkeit werben, egal, wie antizyklisch<br />

das wirkt. Menschen sind antizyklisch.<br />

Eine eigene, genuin ärztliche Heilkunde verteidigen.<br />

Philosophisch sekundiert, wie gesagt. Historisch<br />

gestützt? Wann wurde Medizin Wissenschaft und<br />

gewann Prestige? Als sie sich (in der Antike) vom<br />

Handwerk zur Philosophie entwickelte, dann wieder<br />

um 1800, <strong>als</strong> sie zur eigenen Theorie auflief (Schelling!),<br />

zur selbständigen Wissenschaft. Bemerkenswert<br />

ist die heutige Attraktivität alternativer medizinischer<br />

Praktiken, homöopathische, chinesische, indische<br />

Medizin. Wie immer man über diese<br />

Verfahren denken mag – sie gründen auf Wissen, das<br />

von Ärzten für Ärzte geschaffen wurde. Darauf vertrauen<br />

die Leute. Noch mehr, wenn diese Methoden<br />

ausserhalb der Kassen praktiziert werden, und wenn<br />

Diagnose/Therapie keine technischen Ausstattungen<br />

verlangen (nur Hühnersuppe!). Das heisst: Es fallen<br />

alle Fremdbestimmungen weg (auch darüber,<br />

wann und in welchem Ausmasse sie praktiziert werden<br />

dürfen und wie viel dafür an Honorar zu entrichten<br />

sei). Vielleicht ist das Unbehagen, das nicht<br />

wenige Ärzte dazu treibt, sich diesen Verfahren zu<br />

öffnen, auch ein Unbehagen an den Strukturen der<br />

Fremdbestimmung, die sich um die Anwendung der<br />

Schulmedizin herausgebildet haben.<br />

Drittens sollten Ärzte Schlüsselstellen im System<br />

Medizin besetzen. Mehr Leadership durch Ärzte.<br />

Verantwortung haben sie eh. Dabei lernen sie jede<br />

Menge über die durchzogene Conditio humana. Genau<br />

diese Erfahrung wäre wichtig für Führungsfiguren<br />

im Gesundheitswesen. Aktuell herrscht zu viel Ideologie,<br />

Gesundheitspflege wird zur Moral, Leidenschaft<br />

zur Charakterschwäche. Ärzte könnten diese<br />

Masche durchschauen. Damit wären sie prädestiniert<br />

für Führungsjobs – in doppelter Hinsicht: Sie<br />

können die akute Gesundheitsideologie pragmatisch<br />

diskutieren – und das Leiden der Kranken <strong>als</strong><br />

undiskutables A & O des Systems schützen.<br />

Schluss für heute. War kein Programm, nichts <strong>als</strong><br />

Anregung. Offenbar bin ich nicht allein, wenn ich<br />

Fortbildung nicht bloss <strong>als</strong> Organisation des<br />

Wissens transfers sehe. Der Dichter Rabelais sagte,<br />

Bildung dürfe nicht bloss «Fässer füllen» (mit Kenntnissen<br />

volltexten), sie müsse «Fackeln anzünden»<br />

(Akteure mit dem Feuer der eigenen Souveränität anstecken).<br />

Genau das wollte ich sagen.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 132


Streiflicht HORIZONTE<br />

Erster Beitrag einer in lockerer Folge erscheinenden Kolumne von Dominik Heim,<br />

diesmal zum Thema Remakes<br />

V wie Vergangenheit mit Vorsicht<br />

Dominik Heim<br />

Korrespondenz:<br />

PD Dr. med. Dominik Heim<br />

Chefarzt Chirurgie<br />

Spital Frutigen<br />

CH-3714 Frutigen<br />

dominik.heim[at]spitalfmi.ch<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Anfang Dezember kam sie in die Kinos, die Neuverfilmung<br />

der Anna Karenina. Krieg und Frieden mit<br />

Tolstoi in Verbindung zu bringen, liegt auf der Hand.<br />

Bei Anna Karenina geht der Gedankengang vielleicht<br />

eher über Greta Garbo, die «Göttliche» in der<br />

Rolle der Karenina, bis man sich des gleichen<br />

Autors gewahr wird. Und man erinnert sich, wie<br />

man dam<strong>als</strong> – im burgunderroten Plüschsessel im<br />

Kino Piccadilly am Bahnhof Stadelhofen – diesen<br />

Schwarzweiss-Film mit viel weissem Rauch aus der<br />

Lokomotive in der Schneelandschaft und im schwarznassen<br />

Bahnhof von Russland genossen hat. Der Regisseur<br />

sei das Wichtige in einem Film und nicht der<br />

Schauspieler, war dam<strong>als</strong> die vorherrschende Meinung,<br />

aber das konnte bei der Garbo eigentlich gar<br />

nicht stimmen. Jetzt <strong>als</strong>o ist es Keira Knightley, die<br />

diese Figur entgegen der sympathischen, mitleiderregenden<br />

Darstellung in früheren Filmen hier auch<br />

<strong>als</strong> «Biest» mit einer «animalischen Unberechenbarkeit»<br />

interpretiert. Dass die Sympathie im Zuschauer<br />

dann doch überwiegt, muss so sein (wer liebt schon<br />

das Negative in einer mitleiderheischenden Kultfigur?).<br />

Schliesslich «soll es dem Zuschauer nicht<br />

egal sein, wenn sie sich am Ende unter den Zug<br />

wirft» (Sonntagszeitung vom 25. 11. 2012).<br />

Remakes wie Anna Karenina haben eine lange<br />

Tradition in der Kultur. Unsterbliche Figuren sterben<br />

(es erinnert an die Halbgötter – bei denen man aber<br />

zuerst die Achillesferse finden muss – und erinnert<br />

an unseren Berufsstand, wo aus ehemaligen Göttern<br />

jetzt Halbgötter in Weiss wurden) und erscheinen in<br />

neuer Interpretation mit Charisma und emotionaler<br />

Wucht wieder aus der Asche oder Versenkung. Glüht<br />

die Asche aber nur ganz leicht, dann wird es das<br />

Schicksal des ein-maligen 007 George Lazenby (On<br />

Her Majesty’s Secret Service, 1969). Das sei aber bei Skyfall<br />

(2012) nicht der «fall». Film und David Craig<br />

seien (noch) besser <strong>als</strong> A Quantum of Solace (2008),<br />

sagen die Kritiker. Und dabei war doch schon die<br />

Idee, dass das Wasser und nicht das Öl das zukunfts-<br />

bestimmende Element sei, bestechend (und wohl zutreffend).<br />

Remakes erlauben es auch jüngeren Zeitgenossen,<br />

Nicht-Bekanntes (weil dam<strong>als</strong> noch nicht geboren)<br />

zu entdecken und auf der Suche nach der Vergangenheit<br />

auf das Original zu stossen. Es gibt unzählige<br />

Als ältere Ausbildner sind wir verpflichtet, auch das «Alte» weiter­<br />

zugeben, damit neue Trends in ihren Anfängen und in ihrer Logik<br />

verstanden werden können.<br />

Song-Versionen von Caravan, darunter auch jene von<br />

Duke Ellington, selbst diese liegt aber sehr weit zurück.<br />

Jetzt aber kommt das Lied wieder auf der neuen<br />

CD The Duke (2012) – eine zeitadaptierte Liedversion<br />

und faszinierende Hommage von Joe Jackson an<br />

Ellington. Eine meisterhaft orchestrierte, «kalt den<br />

Die Göttliche: Greta Garbo war die erste Anna Karenina<br />

und fegte die Ansicht hinweg, der Regisseur sei das<br />

Wichtigste an einem Film.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

133


Streiflicht HORIZONTE<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

Die Nachfolgerin der Garbo: Keira Knightley – auch schön, in ihrer Rolle aber eher ein Biest. (© Focus Features)<br />

Rücken herunterlaufende» Hommage ist auch die an<br />

Leidenschaft kaum zu überbietende Interpretation<br />

der nie verstummten Chansons von Edith Piaf durch<br />

Patricia Kaas (Kaas chante Piaf 2012). Hier wird die<br />

fragile, die traurig-volle Stimme des Spatzes von Paris<br />

mit der lasziven Emotionalität einer Patricia Kaas<br />

intensiviert – «je ne regrette rien» in Perfektion!<br />

Und der Bezug zur Medizin? «Früher haben wir<br />

… war alles anders … war alles besser … ja, früher!».<br />

Damit werden die 50-Stunden-Woche für Assistenten<br />

und Oberärzte gekontert und neue Operationsmethoden<br />

skeptisch begrüsst. Vorsichtig wird an der Gegenwart<br />

geschnuppert. Remakes zeigen, dass mit Einbezug<br />

der Vergangenheit Neues, Faszinierendes<br />

entstehen kann – <strong>als</strong> ältere Ausbildner sind wir ver-<br />

pflichtet, auch das «Alte» in einer Art weiterzugeben<br />

und zu vermitteln, damit neue Trends in ihren Anfängen<br />

und in ihrer Logik verstanden werden können<br />

(innerhalb der gesetzlichen Arbeitszeit, wie -<br />

so fehlt da ab und zu einfach die Zeit?). Und am<br />

Schaum (foam-sclerotherapy) in der Varizenchirurgie<br />

schnuppern, mit Interesse (und einem selbstzufriedenen<br />

Lächeln) die neue Schraube und das neue<br />

Konzept der (wieder) geringen Instabilität der DLS<br />

(dynamic locking screw) anschauen – das sollten wir.<br />

Aber eine gewisse Skepsis behalten, auch einmal einen<br />

warnenden Finger erheben – das dürfen wir<br />

(auch). Nicht jedes Remake ist ein Erfolg. Anna Karenina,<br />

Edith Piaf und unserer ärztlichen Tätigkeit ist<br />

er zu wünschen.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4 134


Schaufenster HORIZONTE<br />

Zahlen erzählen<br />

Contents ils racontent ceux qui comptent: les rencontres<br />

Contano e raccontano cantando gl’incontri<br />

Editores Medicorum Helveticorum<br />

1 Dasein ist das Eine, deutlich mehr <strong>als</strong> sein Unwesen treibendes Nichts.<br />

un unione peut-être: im Einssein allenfalls noch eine mystica.<br />

ei nai, eiömiß; esse, sum & summa<br />

Sono un suono – ich bin ein Klang, wandelnd ein Leben lang<br />

Und dennoch gibt’s Sprachen, die ohne Per-son kein Sein kennen (z.B. Russisch)<br />

2 Ein Zweites: die Zukunft. Sie kommt auf mich zu, indem sie Er-innerungen zu äussern vermag.<br />

Dúo & Ze úw (Dieuw), Duo & Deus, duo e Dio, deux et Dieu and two together.<br />

In Zweien vereint – das dis- & ent- & Zweifel kommen erst später, hinken hilflos hinterher……<br />

3 Tre re, trois rois, Drei Könige für die Terra, three Earths<br />

La mer, la mère et la terre m’invitent à me taire. Tacere & facere<br />

Die Erde trägt alles, kann aber nicht alles ertragen: ma terre – mater. Im Erden lehrt sie mich,<br />

mich selber zu werden: Ge-vrg ów , Georges, Giorgio, Юрий, Jürg<br />

4 Vier & four: Vater & Wasser, quater & pater, quatre pères,<br />

téssarew aus *quetwores (Russisch: четыре) fidwor, fidor … wohl auch fides die Treue<br />

5 pénte, Äolisch auch: pémpe, aus Sanskrit: pánca, auch quinque, cinque, cinq<br />

Gotisch fimf über finf zur Fünf: die Fülle, pánta ( reiq) Ö<br />

Eine Hand hat ab-gezählt: full-house<br />

6 eÄc, sex, sei, six & sechs: secare = schneiden (mit Säge & Sense)<br />

Samten das sechsfädige Gewebe<br />

7 eÖptaß, septem, sept, sette: Sieben.<br />

Hier wird’s feierlich: seßbomai: sich verneigen, seßbas: scheue Ehrfurcht<br />

Wen wundert’s, dass hier Sabbath ist?<br />

8 oöktvß & nukt-, octo & nyct-, otto & notte, huit & nuit, Acht & Nacht<br />

Dual von zwei Viererreihen (ohne Daumen gezählt).<br />

*okt, ak…: Ecke, Spitze, aökroßs & aceto, Ahorn mit den spitzen, eckigen Blättern<br />

9 eönneßa & neßa, nove & nuovo, neuf & nouveau neuf, neue Neun –<br />

Beginnt eine neue (Zahlen-)reihe oder ein neuer Tag?<br />

10 Decem & dies, ten & day, dix et Dieux oder doch deux (wie am Anfang)?<br />

Zehn am schönsten: Deßka: von deßxomai: annehmen, gutheissen, gastlich aufnehmen,<br />

erwarten und von deßkomai: offene Hände hinhalten, grüssen<br />

Was wir zum Erzählen wählen,<br />

lässt sich nicht mit Zahlen zählen –<br />

Wort & Vers & Lied & Dichtung<br />

sind im Zahlenwald die Lichtung,<br />

wenn’s gelingt, die zarten Hüllen<br />

des Dazwischen auszufüllen<br />

Jürg Kesselring, Valens<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

135


Editores Medicorum Helveticorum<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

ZU ET GUTER ENCORE... LETZT<br />

Moralpredigten werden zwar nicht geschätzt,<br />

dennoch braucht es Moral<br />

Jean Martin<br />

1 Siehe auch den informativen<br />

Artikel von Marc<br />

Guéniat in Le Temps<br />

(Genf) vom 21. Dezember<br />

2012, S. 12.<br />

2 Artikel im ausgezeichneten<br />

Bulletin von Medicus<br />

Mundi Schweiz, Nr. 126,<br />

Dezember 2012: Bulgarien<br />

spendet West­Europa sein<br />

Personal; programmierte<br />

Fehlentwicklungen für die<br />

Philippinen und<br />

die Schweiz.<br />

3 Claudepierre R.<br />

Le médecin des Indiens<br />

(Theodor Binder). Illfurth:<br />

Saint Brice Verlag; 2011.<br />

* Frage: Über 70 % der<br />

Amerikaner sind gläubig,<br />

und ein sehr grosser Teil<br />

nimmt an Weihnachtsgottesdiensten<br />

teil. Wie<br />

viele von ihnen gingen mit<br />

der Waffe in der Tasche<br />

zur Kirche?<br />

jean.martin[at]saez.ch<br />

Als Vater und Grossvater tendiere ich zum Jahresanfang<br />

dazu, gute Ratschläge zu geben. Das ist heute<br />

jedoch nicht mehr gefragt, und <strong>als</strong> rückständige<br />

Autoritätsperson möchte ich auch nicht gelten.<br />

Wie aber sollen wir – wenn wir Inakzeptables<br />

ohne hin nur noch eingeschränkt kritisieren dürfen –<br />

darauf hinweisen, dass die Moral eine wichtige und<br />

notwendige Funktion in unserer Gesellschaft hat?<br />

Mahnendes Beispiel dafür ist das Finanzwesen. Zwar<br />

wollen uns einige Politiker glauben machen, das<br />

skandalöse Verhalten beschränke sich auf einige wenige,<br />

doch es häufen sich die Anzeichen, dass in den<br />

Banken dieser Welt eine breite Kultur von Lug und<br />

Trug herrschte (und immer noch herrscht?).<br />

In der Schweiz sind grosse Einrichtungen und<br />

Institutionen ansässig, deren Aktivitäten ethische<br />

Fragen aufwerfen. Am 17. Januar organisierte Swissaid<br />

in Bern eine Diskussion zum Thema Transparenz<br />

im Rohstoffbereich, an der Persönlichkeiten aus Politik<br />

und Wirtschaft teilnahmen, darunter zwei Staatssekretäre.<br />

Auf der Einladung stand: «Hintergrund<br />

der Debatte ist die Tatsache, dass trotz eines immensen<br />

Reichtums an Bodenschätzen in Ländern wie<br />

dem Niger, Angola oder dem Kongo viele in extremer<br />

Armut leben.» (NB: Man spricht vom «Fluch der<br />

Rohstoffe».) «Als weltweit grösster Handelsplatz für<br />

Rohstoffe müsste die Schweiz ihre Verantwortung in<br />

der unabdingbaren Reglementierung übernehmen»<br />

[1]. Dies ist eine grosse moralische Herausforderung<br />

auf internationaler Ebene, mit negativen Konsequenzen<br />

für das Gesundheitspersonal und die soziale<br />

Lage. Dabei ist es nicht zulässig, das Gesicht hinter<br />

den Argumenten der unternehmerischen Freiheit<br />

verstecken zu wollen.<br />

Das Gesundheitswesen steht seit Jahrzehnten<br />

vor dem Problem, dass ausgebildete Fachleute abwandern<br />

(brain drain). Tausende von Ärzten und<br />

noch mehr Pflegende – mit grossem Aufwand in Entwicklungsländern<br />

ausgebildet – arbeiten bei uns und<br />

bleiben. Nun könnte man natürlich sagen, auszuwandern<br />

sei ihr gutes Recht, doch es geht zu Lasten<br />

der Gesundheit in den Herkunftsländern. Die WHO<br />

hat zwar einen Verhaltenskodex für ihre Mitgliedsländer<br />

herausgegeben, doch die Situation ist bei weitem<br />

nicht zufriedenstellend [2]. Anzumerken ist<br />

auch, dass der (finanzielle und kompetenzenspezifische)<br />

Wert dieser Unterstützung, welche arme Ländern<br />

an die reichen leisten, höher liegt <strong>als</strong> das, was<br />

die reichen Länder im Rahmen von Kooperationsleistungen<br />

geben. Es ist einfach nicht akzeptabel,<br />

dass die reiche Schweiz nicht in der Lage sein sollte,<br />

das benötigte Gesundheitspersonal auszubilden. Die<br />

WHO sorgt sich ausserdem um den adäquaten Zugang<br />

zu Medikamenten in den benachteiligten Ländern,<br />

vor allem in Bezug auf den Preis.<br />

In diesem Kontext braucht die lange Geschichte<br />

von Kolonialisierung und Neokolonialismus wohl<br />

nicht lang erwähnt zu werden. Viel Wirbel um<br />

Werte und Menschenrechte, wo Letztere doch regelmässig<br />

mit Füssen getreten werden, wenn es den<br />

Mächtigen gerade in den Kram passt. Als ich jüngst<br />

die Biographie eines deutschen Arztes aus der Nähe<br />

von Basel las, der im peruanischen Amazonasgebiet<br />

ein Spital eröffnete, in dem ich zwischen 1968 und<br />

1970 gearbeitet habe [3], kamen mir unsere Beziehungen<br />

zur Dritten Welt wieder in den Sinn. Obwohl<br />

die amerikanischen «First nations» versuchen, ihre<br />

Rechte einzufordern, werden sie weiter von den herrschenden<br />

Klassen vertrieben und missachtet.<br />

Ebenfalls um Gleichheit und Respekt ging es in<br />

einem kurz vor Weihnachten auf ARTE ausgestrahlten<br />

Film über Billie Holiday. Das 1939 entstandene<br />

Lied Strange Fruit erinnert an jene Greuel (vor allem<br />

straffreie Lynchjustiz), welche die Schwarzen in<br />

Amerika noch ein Dreivierteljahrhundert nach der<br />

Sklaverei durchleben mussten, und ist eines der ersten<br />

Zeugnisse der Bürgerrechtsbewegung. Die in den<br />

USA immer noch herrschende, todbringende Verehrung<br />

des Waffenbesitzes, wie etwa der Amoklauf in<br />

Connecticut, empören weiterhin alle, die nicht vom<br />

Mythos des «heiligen» Rechts der Erben der Pionierväter<br />

indoktriniert sind. Die immensen Schwierigkeiten,<br />

eine echte Schusswaffenkontrolle auf den<br />

Weg bringen zu wollen, geben zu denken*.<br />

Im Sinne einer ethischen Moti vation ein Auszug<br />

aus der Grussbotschaft zum 70sten eines Freundes,<br />

der auf eine bemerkenswerte Karriere in Gesundheitswesen<br />

und Universität zurückblicken kann: «Was verbindet<br />

uns? Das Wissen um unsere Privilegien und<br />

der Wille, diese zu teilen? Die Weigerung, die Welt<br />

den Schurken und Ignoranten zu überlassen? Das<br />

Wissen um die Fragilität unseres Planeten und der<br />

Wunsch, ihn zu erhalten? Oder vielmehr die Gewissheit,<br />

dass sich hinter dem Unerfüllbaren, das uns einschliesst,<br />

das Unerfüllte verbirgt, das uns für die Welt<br />

öffnet und unseren Weg erhellt?» Das Unerfüllte, das<br />

unseren Weg erhellt – eine Botschaft für alle, die wie<br />

ich häufig an all ihre Ziele denken, die bislang noch<br />

unerfüllt blieben.<br />

Jean Martin, Mitglied des Internationalen Ausschusses<br />

für Bioethik der UNESCO und der Redaktion<br />

136


Editores Medicorum Helveticorum<br />

Die letzte Seite der SÄZ wird von Anna frei gestaltet, unabhängig von der Redaktion.<br />

<strong>Schweizerische</strong> <strong>Ärztezeitung</strong> | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2013;94: 4<br />

ANNA<br />

www.annahartmann.net

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!