SlovoKult.de Slovothek Nr. 1
SlovoKult.de Slovothek Nr. 1
SlovoKult.de Slovothek Nr. 1
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
18/<br />
Die Wiesel aus Čair 1 (Erzählung)<br />
Dimitar Borovski, genannt Dimsa, gab <strong>de</strong>n Löff el an einem hässlichen<br />
Novembermorgen im Jahr Zweitausendsiebzehn ab, und bereits<br />
vor Ablauf <strong>de</strong>sselben Tages fand er sich als Wiesel wie<strong>de</strong>r, auf <strong>de</strong>m<br />
dicksten Ast <strong>de</strong>r größten Esche kriechend, die mi� en im Park von Čair<br />
protzig emporragte. Er war immer noch von <strong>de</strong>m Donnerschlag benommen,<br />
<strong>de</strong>r ihn heute morgen am Kopf getroff en ha� e, während<br />
er im Regen spazieren ging, � ef in Gedanken über die Grün<strong>de</strong> für das<br />
Scheitern <strong>de</strong>r Projekte für ein Zusammenleben in irgen<strong>de</strong>iner erweiterten<br />
Gemeinscha� in seinem geliebten Makedonien versunken,<br />
und <strong>de</strong>r ihn nun in dieses vierbeinige Tierchen verwan<strong>de</strong>lt ha� e, das<br />
in einem Fellkleid steckte und vor Kälte stark zi� erte.<br />
„Was für ein beschissenes Glück!“, dachte er, als er diese neue<br />
Situa� on begriff en ha� e, und kroch in eine große Höhle im Stamm<br />
<strong>de</strong>r Esche, um sich ein wenig aufzuwärmen. „Mein ganzes Leben lang<br />
blickte ich in <strong>de</strong>n Himmel und schmie<strong>de</strong>te große Pläne, dachte global,<br />
zum Wohl <strong>de</strong>r Heimat, wie man so sagt, und stürzte dann einfach mit<br />
<strong>de</strong>m Kopf gegen <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n, ohne einen einzigen Plan verwirklicht zu<br />
haben, mit geschrump� em Verstand, und <strong>de</strong>r Heimat bin ich Jacke<br />
wie Hose, sie schert sich nicht im Geringsten um mein Schicksal! Was<br />
habe ich <strong>de</strong>nn falsch gemacht?“<br />
Und im Laufe <strong>de</strong>r nächsten fünf Jahre dachte er immer, wenn er<br />
sich sicher fühlte – <strong>de</strong>nn inzwischen kannte er seine Fein<strong>de</strong> im Park,<br />
diejenigen, die ihm <strong>de</strong>n Hals umdrehen und ihn in etwas Dri� es verwan<strong>de</strong>ln<br />
könnten –, hoch auf einem Ast sitzend über sein erstes Leben<br />
nach, darüber, wie schnell es vorbeigegangen war, wie er es mit<br />
Dummheiten verschwen<strong>de</strong>t ha� e, in naivem Unwissen, und darüber,<br />
wie und was er machen wür<strong>de</strong>, sollte er zufällig noch eine zweite<br />
Chance von Go� bekommen, als Mensch auf die Welt zu kommen.<br />
Bei <strong>de</strong>m Gedanken an eine solche zweite Gelegenheit begannen<br />
seine Äuglein sofort zu glänzen, sein Schwänzchen fi ng an lang und<br />
hek� sch zu we<strong>de</strong>ln und sein kleines Herz he� ig zu pochen. In diesen<br />
Augenblicken, die zwar nicht recht häufi g waren, wagte er es sogar,<br />
vor <strong>de</strong>r Morgendämmerung, sozusagen noch vor <strong>de</strong>m Morgengrauen,<br />
wenn fast alles Leben<strong>de</strong>, was irgen<strong>de</strong>in Zuhause ha� e, sich dort<br />
1 Чаир – Stadtbezirk in Skopje (Anmerkung <strong>de</strong>r Übersetzerin)<br />
<strong>SlovoKult</strong>.<strong>de</strong>