Deter, Hohemark - Klinik Hohe Mark
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Die <strong>Hohe</strong> <strong>Mark</strong> in Dornholzhausen*<br />
»Haus Taunusblick«<br />
Von Ismene <strong>Deter</strong><br />
Am 15. September 1946<br />
wurde »Haus Taunusblick«<br />
am Ortsrand von<br />
Dornholzhausen, das wie<br />
die Kuranstalt <strong><strong>Hohe</strong>mark</strong><br />
dem Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband<br />
(DGD) unterstellt war,<br />
der Kuranstalt angegliedert<br />
und bis zum 30. Okt.<br />
1953 als Dependence von<br />
Oberursel betrieben. Ursprünglich<br />
ein luxuriöses<br />
Hotel-Restaurant, dann<br />
vornehmes Mädchenpensionat,<br />
wurde das stattliche<br />
Gebäude 1919 in eine<br />
von Diakonissen geleitete<br />
Haushaltungsschule umgewandelt,<br />
die ununterbrochen<br />
bis gegen Ende des Krieges bestand. In<br />
den letzten Kriegsjahren fungierten allerdings Teile<br />
des Gebäudes als Lazarett, und der Schulbetrieb<br />
wurde in das nahegelegene Gotische Haus verlegt.<br />
Wann genau die Schule geschlossen wurde, ist<br />
nicht bekannt. Nach Eingliederung in die Kuranstalt<br />
<strong><strong>Hohe</strong>mark</strong> und Umwandlung in ein Genesungsheim<br />
bestand das Haus weitere sieben Jahre<br />
als »Feierabendheim«, in dem Diakonissen Aufnahme<br />
für ihren Lebensabend fanden. 1960 ging<br />
der Besitz auf die benachbarte Reifenfirma Peters<br />
Pneu Renova über. Als diese 1973 in Konkurs ging,<br />
wurde der Bau zur Unterbringung von Gastarbeitern<br />
genutzt. Nach einem verheerenden Brand<br />
dem Verfall preisgegeben und fast zur Ruine verkommen,<br />
war 1982, übereinhundert Jahre nach<br />
seiner Errichtung, der Abriß unvermeidbar.<br />
Mit dem Übergang auf den Gemeinschafts-Diakonieverband<br />
hielt ein gläubiger Geist seinen Einzug,<br />
der dem Haus in der Folgezeit sein eigenes,<br />
unverwechselbares Gepräge geben sollte.<br />
Abb. 1: »Haus Taunusblick« von der Straßenseite<br />
25<br />
Bald nach der Übernahme durch den DGD zogen<br />
zehn Diakonissen mit achtzehn Schülerinnen in<br />
das geräumige Haus ein, um hier ein Haushaltungspensionat<br />
mit Kochschule einzurichten. Angeschlossen<br />
waren ein christliches Hospiz und ein<br />
Erholungsheim für Frauen und Mädchen. 1927<br />
kam ein Heim für 20 Säuglinge hinzu, dessen Leitung<br />
der Homburger Arzt Dr. Riechelmann übernahm.<br />
Unverzüglich machten sich die Schwestern<br />
daran, das Nötigste für Schule, Verwaltung und<br />
Unterbringung zu schaffen. Sie schufen die<br />
Grundlagen für ein Vierteljahrhundert tätigen,<br />
reichen und vielfältigen Lebens.<br />
Aller Anfang ist schwer<br />
Erschöpft von der langen Reise, doch voller Hoffnung<br />
und Gotteszuversicht und getrieben von der<br />
Verzweiflung über den Verlust der Heimat, richteten<br />
die »polnischen Flüchtlinge« 1 ihren Blick<br />
nach vorn und begannen mit dem Aufbau eines<br />
neuen »Vandsburg«. Mit Koffern, Schachteln und<br />
——————————————————<br />
* Überarb. Auszug aus: Ismene <strong>Deter</strong>, »Ein Prachtbau in Dornholzhausen. Vom »Viktoria-Pensionat« zur Notunterkunft,<br />
in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde zu Bad Homburg vor der Höhe. 50 (2001), S. 60-89.<br />
– hier erschienen als weiterer Beitrag in einer Artikelserie zur Geschichte der <strong>Klinik</strong> <strong>Hohe</strong> <strong>Mark</strong> anlässlich ihres 100jährigen<br />
Bestehens 2004<br />
1 Berichtsblatt des Gemeinschafts-Schwesternhauses in Vandsburg/Westpr. Nr. 10, Januar-Juni 1920
Körben beladen, mit Nähmaschinen und Bettzeug,<br />
mit Proviant und Vieh, waren sie nach Wochen<br />
der Strapazen bis ins ferne Dornholzhausen<br />
gelangt: über Berlin-Schlachtensee, dem Sitz ihres<br />
provisorischen Mutterhauses, das ihnen für kurze<br />
Zeit Unterkunft gewährte, waren sie so drei Monate<br />
zuvor aus Vandsburg gekommen, einem<br />
Kirchspiel an der Grenze zur Provinz Posen, wo<br />
eine große Schwesternschaft nach und nach zu<br />
dem eindrucksvollen Werk des Diakonieverbandes<br />
herangewachsen war.<br />
Hier hatte sich um die Jahrhundertwende das<br />
Zentrum einer von der neueren Erweckungsbewegung<br />
kommenden Glaubensgemeinschaft gebildet,<br />
die ihre Hauptaufgabe in der Seelsorge und<br />
der Evangelisation sah und großen Zulauf hatte.<br />
An vielen Orten im Westen wie im Osten des Reiches,<br />
in Königsberg, Danzig, Posen, Bromberg,<br />
Schneidemühl und vor allem in ländlichen Regionen,<br />
war es damals zu Erweckungen gekommen.<br />
Männer und Frauen, von der Liebe des<br />
Herrn ergriffen, suchten eine Begegnung mit<br />
Gott. 2 Ein weites Arbeitsgebiet erschloß sich damit<br />
für die Gemeinden durch Evangelisation. Um<br />
Abb. 2: Der Stamm der Diakonissen von »Haus Taunusblick«. In der Mitte vorn<br />
Anna Handt, in der hinteren Reihe zweite von rechts Ruth Modersohn<br />
26<br />
weitere Brüder und Schwestern für diese Aufgabe<br />
zu gewinnen und auszubilden, waren in kurzer<br />
Zeit in Vandsburg neben dem ersten Mutterhaus<br />
auch eine Reihe von Anstalten und Schulen entstanden,<br />
darunter 1910 auch die erste, mit einem<br />
Erholungsheim verbundene Haushaltungsschule<br />
mit dem Namen »Töchterheim Elim«.<br />
Als aufgrund der Versailler Friedensverträge 1919<br />
große Teile Westpreußens und der Netzedistrikt<br />
ohne Volksabstimmung an den neuen polnischen<br />
Staat fielen, wurden etwa 300 Schwestern ausgewiesen,<br />
unter ihnen auch eine Gruppe von Schwestern<br />
des »Töchterheims Elim«. Hals über Kopf<br />
mussten sie ihre Heimat verlassen, und es verschlug<br />
sie bei ihrer Suche nach einer neuen, dauerhaften<br />
Unterkunft schließlich in den Taunus.<br />
Hier, am Dorfeingang von Dornholzhausen, bot<br />
sich durch dieVermittlung eines gläubigen Architekten<br />
die Möglichkeit, den Besitz des ehemaligen<br />
»Viktoria-Pensionats« zu erwerben. 3 Das stattliche<br />
Gebäude mit Nebengebäuden, einem großen<br />
Garten, weiten Wiesenflächen und Äckern, erschien<br />
ihnen in seiner geschützten Lage für ihre<br />
Zwecke besonders geeignet.<br />
Die Schwestern gaben<br />
ihm den Namen<br />
»Elim«, womit sie an<br />
sein Vandsburger<br />
Vorbild anknüpften.<br />
Wie dieses sollte es<br />
Erinnerungen an die<br />
biblische Stätte der<br />
Brunnen und Palmen<br />
wecken, in der<br />
die Israeliten auf ihrem<br />
Weg durch die<br />
Wüste Sinai Erquickung<br />
gefunden<br />
hatten. Wie das biblische<br />
»Elim«, so<br />
sollte auch die<br />
»Elimquelle im Taunus«<br />
eine »Oase für<br />
das Wasser des Lebens<br />
sein, um dann<br />
erquickt und neuge-<br />
stärkt die Lebensreise<br />
fortzusetzen«. 4<br />
——————————————————<br />
2 Wecke, Wilhelm, Dokumente/Berichte über die Arbeit der Evangelischen Gemeinschaft hinter Oder und Neisse 1885-<br />
1945. (Leonberg 1989)<br />
3 Der Deutsche Gemeinschaft-Diakonieverband 1899-1927. Düsseldorf o.J. [um 1927], S. 129<br />
4 Werbetext aus einem Album über das Töchterheim »Elim«. Schalksmühle o.J. [um 1934]
Abb. 3: Schwester Anna Handt, die Leiterin der<br />
Haushaltungsschule<br />
Führung und Ausbildung<br />
»Neu-Elim« wurde bald weit über die Region hinaus<br />
bekannt und gewann rasch an Ansehen: bestand<br />
der Schülerkreis anfangs aus einer kleinen<br />
Gruppe früherer Vandsburger Schülerinnen, so<br />
flatterte bald ein Anmeldeschein nach dem anderen<br />
ins Haus, und bereits im April 1920 lagen 50<br />
Anmeldungen vor. Danach pendelte sich die<br />
durchschnittliche Zahl auf 60 bis 70 junge, aus<br />
ganz Deutschland kommende Mädchen ein, die<br />
sich in der Regel für ein Jahr verpflichteten. Bis<br />
1935 hatten etwa 825 Mädchen durch etwa sechs<br />
bis acht Schwestern eine Ausbildung in Dornholzhausen<br />
erhalten. 5 Die Mädchen stammten<br />
aus allen Volksschichten, viele aus dem mittleren<br />
Bürgertum, aus Pfarr- und Lehrershäusern, manche<br />
auch aus ärmlichen Verhältnissen. Es gab Familien,<br />
die alle ihre Töchter, eine nach der anderen,<br />
den Diakonissen anvertrauten.<br />
Alle Haushaltungsschulen des Gemeinschafts-<br />
Diakonieverbandes gehen auf die erste Gründung<br />
dieses Typs in Vandsbug zurück. Wichtigstes Anliegen<br />
dieser Schulen war, jungen Mädchen eine<br />
Lebensgrundlage zu geben getreu dem Wort im<br />
1. Kor. 3,11: »Einen anderen Grund kann niemand<br />
——————————————————<br />
5 25 Jahre Elim. Jubiläumsschrift des Haushaltungspensionats »Elim« 1910-1935, S. 21<br />
6 Der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband 1899-1927 (Anm. 34), S. 179<br />
7 14.5.1886 (Köslin)- 7.8.1976 (Velbert)<br />
27<br />
legen, außer dem, der gelegt ist, Jesus Christus«.<br />
Aus diesem Ursprung entwickelte sich auch<br />
»Töchterheim Elim« in Dornholzhausen. Eine<br />
gründliche theoretisch-praktische Ausbildung<br />
sollte die jungen Mädchen soweit vorbereiten,<br />
dass sie später als Hausfrau und Mutter, in der<br />
Kinderpflege oder im christlich-sozialen Dienst<br />
bestehen könnten. 6 Dabei ließ die anfänglich<br />
staatliche Unabhängigkeit der Schule ihr einen<br />
größeren Spielraum für die Erziehung im christlichen<br />
Sinn und die Anpassung an die persönlichen<br />
Bedürfnisse der Mädchen. Sie gliederte sich<br />
in die Bereiche Hauswirtschaft, Lehrtätigkeit und<br />
Internat, wobei die Gesamtleitung seit 1925 bei<br />
Lina Möller, seit 1932 bei Anna Handt lag. 7<br />
Martha Holzhausen, ihre enge Mitarbeiterin,<br />
pflegte die Kontakte nach außen und besorgte den<br />
gesamten Schriftverkehr. Seit 1934, als die Schule<br />
den Namen »Haus Taunusblick« erhielt, war sie<br />
berechtigt, die Bezeichnung »Haushaltungsschule«<br />
zu führen mit der Folge, dass die Schülerinnen<br />
– ohne das innere Ziel aus den Augen zu verlieren<br />
– nach einem vorgeschriebenen Plan ausgebildet<br />
wurden und fortan mit einer staatlichen Prüfung<br />
als Hauswirtschafts- und Handarbeitslehrerinnen<br />
sowie als Kinderpflegerinnen und -gärtnerinnen<br />
abschließen konnten.<br />
Die Mädchen erhielten einen umfassenden Unterricht<br />
durch Schwestern, die in der Krankenoder<br />
Säuglingspflege ausgebildet waren, durch<br />
gründlich geschulte und zum Teil staatlich geprüfte<br />
Lehrkräfte wie etwa Hauswirtschafts- bzw.<br />
Gewerbelehrerinnen. Der Unterricht erstreckte<br />
sich auf ein Jahr, daneben liefen auch Halbjahreskurse.<br />
An verbindlichen Fächern wurde gelehrt:<br />
Deutsch, Literatur und Bürgerkunde (später:<br />
»Nationalpolitischer Unterricht«), Nahrungsmittel-<br />
und Gesundheitslehre, Kranken-, Kinderund<br />
Säuglingspflege, Erziehungslehre sowie<br />
Haushaltungskunde mit hauswirtschaftlicher<br />
Buchführung.<br />
Während der theoretische Unterricht für alle gemeinsam<br />
verlief, erfolgte der praktische in zwei<br />
Gruppen mit jeweils der Hälfte der Schülerinnen.<br />
Zu diesen Fächern zählten Kochen, Hausarbeit,<br />
Waschen und Bügeln, Handarbeit und Zeichnen,<br />
Weißnähen, Turnen, Gymnastik und Singspiele,<br />
Gartenbau und Blumenpflege. Wahlfrei waren Fächer<br />
wie Musik und Sprachen.
Abb. 4: Anleitung zur Säuglingspflege<br />
Großer Wert wurde darüber hinaus auch auf Disziplin,<br />
Anstand und Fleiß gelegt, und geradezu<br />
pedantisch muten die Vorstellungen von Putzen<br />
und Ordnunghalten an. All dies aber geschah »aus<br />
Treue im Kleinen und Kleinsten um des Herrn<br />
willen«, entsprechend der Hauslosung<br />
Luk. 16,10-13: »Wer im Geringsten<br />
treu ist«. In dem »Geist der<br />
Ordnung und der Genauigkeit« erblickte<br />
man eine Hilfe für das Leben<br />
in der Gegenwart Gottes. 8<br />
Leichter Sport – Ballspiele, Gymnastik<br />
– Musizieren und Singen von<br />
Chorälen und Volksliedern, rundeten<br />
den Unterricht ab. Jahresfahrten<br />
in schöne Gegenden, Ausflüge in<br />
die Natur, zum Frankfurter Palmengarten<br />
oder zu Besichtigungen von<br />
Ausstellungen wie den Frankfurter<br />
Kochkunstausstellungen, Spaziergänge<br />
zum Forellenhof, zum<br />
Hirschgarten, zum Gestüt »Erlenhof«,<br />
Wanderungen zur Saalburg<br />
und Konzertbesuche in der Erlöserkirche<br />
erweiterten den Horizont,<br />
brachten Abwechslung und Anregung und festigten<br />
die Gemeinschaft von Schwestern und Schülerinnen.<br />
Mit unvergesslichen Erinnerungen sind die<br />
Abendwanderungen zur »Mondscheinwiese« mit<br />
Schwester Ruth Modersohn verknüpft, bei denen<br />
28<br />
mehrstimmige Abendlieder,<br />
von Blockflöten begleitet, gesungen<br />
wurden. Auch die<br />
»Griestopftage« haben sich<br />
vielen im Gedächtnis eingeprägt:<br />
wenn an heißen Tagen<br />
die Mädchen mit dem Topf<br />
voll Griesbrei und dem Himbeersaft<br />
auf einem Handwagen<br />
zum Unterricht in den<br />
Wald zogen und alles zum<br />
Kühlen in den Heuchelbach<br />
stellten. 9 Und auch das Taulaufen<br />
mit bloßen Füßen bei<br />
der Morgengymnastik hatte<br />
einen besonderen Reiz. Nach<br />
jedem Kursabschluß fanden<br />
im Rahmen eines öffentlichen<br />
Abschiedsfestes Ausstellungen<br />
von Schülerarbeiten statt, bei<br />
denen die angefertigte Wäsche, die selbstgenähten<br />
Kleider und praktische Handarbeiten gezeigt und<br />
die Erzeugnisse der Küche serviert wurden: vom<br />
einfachsten Gericht bis zum Vier-Gänge-Menü,<br />
vom Eintopf bis zur kulinarischen Delikatesse. Zu<br />
Abb. 5: Hand- und Näharbeiten<br />
den Höhepunkten zählten auch solche Tage, an<br />
denen sich die Hausgemeinschaft mit Eltern, früheren<br />
Schülerinnen und Gästen zu besonderen<br />
Feiern zu treffen pflegte. Rundbriefe dienten dazu,<br />
die engen Beziehungen zu den Ehemaligen lebendig<br />
zu halten.<br />
——————————————————<br />
8 Der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband, a.a.O., S. 54<br />
9 Backeberg, Irmgard, Ruth Modersohn, in: Sie führten zu Christus. Hrsg. von Arno Pagel. Marburg (1950), S. 24
Abb. 6: Tief auf die Aufgabe konzentriert<br />
Die Mädchen hatten außer persönlicher Ausstattung<br />
Arbeitskleider und große Wirtschaftsschürzen<br />
mitzubringen, dazu Stickrahmen, Topflappen,<br />
Schmecklöffel nebst Küchenmesser, Holzschuhe<br />
und Wachstuchschürze, Wäschebeutel,<br />
Servietten, Handtücher und eine Wolldecke und<br />
alles hübsch mit Nummern oder dem vollen Namen<br />
versehen. Während des Krieges war sogar<br />
Bettzeug mitzubringen.<br />
In den 30er Jahren betrugen die<br />
Kosten der Ausbildung und<br />
Unterbringung 720,- <strong>Mark</strong> im<br />
Jahr, hinzu kamen Materialkosten.<br />
Für die Zeit nach dem Ersten<br />
Weltkrieg und die zwanziger Jahre<br />
war nichts über Unterrichtskosten<br />
in Erfahrung zu bringen. In<br />
den Jahren 1921 bis 1923, der<br />
schwierigen Inflationszeit, die<br />
auch die Schwestern in Dornholzhausen<br />
vor Probleme stellte, wurden<br />
die Eltern gebeten, das Geld<br />
teilweise möglichst in Naturalien<br />
zu zahlen, da die kargen Vorräte<br />
der Schule zur Neige gingen.<br />
Erziehung, die von innen kommt<br />
Fühlte sich schon das feine »Viktoria-Pensionat«<br />
christlichen Grundsätzen verbunden, so atmete<br />
die Erziehung im »Elim« gläubigen Geist, denn<br />
»die Pflege der Seele« war den Schwestern ein tiefes<br />
Anliegen. Das aber hieß, in anderen Relationen<br />
zu denken als nur an die vorgeschriebene Aus-<br />
——————————————————<br />
10 Frdl. Auskunft des Diakonissen-Mutterhauses »Altvandsburg« in Lemförde v. 26. 5. 2001<br />
29<br />
bildung, nämlich den Schülerinnen<br />
»eine lebendige Gemeinschaft mit<br />
Christus vorzuleben, ihnen Gottes<br />
Wort nahezubringen und ihnen den<br />
Weg zu Jesus zu weisen.« 10<br />
Frühgebete und Morgenandachten,<br />
zu denen die Hausgemeinschaft sich<br />
sammelte, Lesungen aus der Heiligen<br />
Schrift, Tischgebete und Chorsingen<br />
gehörten dazu wie der Kirchgang<br />
in Zweierreihen zur Dornholzhäuser<br />
Dorfkirche oder der Erlöserkirche<br />
in Homburg. Ruth Modersohn,<br />
zusammen mit Irmgard<br />
Backeberg langjährige Leiterin der<br />
hauswirtschaftlichen Abteilung und<br />
für den theoretischen Unterricht<br />
verantwortlich, scheint an dieser<br />
inneren Erziehung und Entfaltung der jungen<br />
Mädchen besonderen Anteil genommen und sie<br />
gefördert zu haben. In ihrer warmherzigen Art<br />
wußte sie, den ihr anvertrauten Zöglingen mit<br />
Verständnis und Einfühlungsvermögen zu begegnen<br />
und ihnen durch ihre eigene Haltung die Vorstellung<br />
eines Lebens im Vertrauen auf Gott und<br />
zu verantwortlichem Handeln zu vermitteln.<br />
Abb. 7: Aufgeräumtes Dreibettzimmer der Schülerinnen<br />
Ruth Modersohn war nach Absolvierung der Höheren<br />
Töchterschule in Rudolstadt, dem Besuch<br />
des »Elim« in Vandsburg, der Ausbildung zur<br />
Krankenschwester und zur Gewerbelehrerin in<br />
Kassel, 1932 nach Dornholzhausen gekommen.<br />
Als Tochter des Seelsorgers Ernst Modersohn, der
in der jungen Erweckungsbewegung in Deutschland<br />
eine maßgebliche Rolle spielte und 1906 die<br />
Leitung des Evangelischen Allianzwerkes in Bad<br />
Blankenburg übernommen hatte – ein Bruder<br />
übrigens des Malers Otto Modersohn – in Thüringen<br />
aufgewachsen, war sie tief von Evangelisation,<br />
Seelsorge und Bibelarbeit geprägt, hielt<br />
engen Kontakt zu ihrem Vater und seinem Kreis<br />
und hatte ihr Leben allein in den Dienst des Herrn<br />
gestellt. Noch kurz vor ihrem frühen Tod hat<br />
Ernst Modersohn seine Tochter in Oberursel<br />
besucht. Vielseitig begabt, hat Ruth Modersohn<br />
selbst Andachten, Bibelstunden und Fachreferate<br />
gehalten, religiöse Gedichte und Lieder wie auch<br />
Artikel für die Berichtsblätter des Mutterhauses<br />
verfaßt. Besonders bei den großen christlichen<br />
Festen, den Advents- und Weihnachtsfeiern, kam<br />
Abb. 8: Große Wäsche in den Trögen der Waschküche<br />
ihre musische und dichterische Gabe mit eigenen<br />
Liedern und Gedichten, mit Orgel- und Harmoniumspiel,<br />
zu voller Entfaltung. Und an Ostern,<br />
wenn die Schülerinnen im Garten Eier suchten,<br />
dann hatte sie für jede ein passendes Gedicht auf<br />
die Eier geschrieben. Sie starb 1944 in der Kuranstalt<br />
<strong>Hohe</strong> <strong>Mark</strong> und wurde auf dem Dornholzhäuser<br />
Friedhof beigesetzt. 11 Aus Gesprächen mit<br />
früheren Schülerinnen gewinnt man den Eindruck,<br />
dass viele die Begegnung mit Schwester<br />
Ruth als Ansporn und Motivation empfunden<br />
haben; für sie und Schwester Irmgard wären sie<br />
»durchs Feuer gegangen«, und einige haben in<br />
Dornholzhausen ihre Bekehrung erlebt.<br />
30<br />
»Und es geschah. Ich trat in seinen Dienst<br />
und überließ mich willig Seinen Händen.<br />
Er aber nahm mich hin, wie’s Ihm gefiel,<br />
Um mich bald hier-, bald dorthin auszusenden.<br />
Gern tat ich, was Er mir zu tun gebot:<br />
War’s Kranke pflegen, war’s Sein Wort verkünden,<br />
am liebsten aber tat ich’s, als es hieß,<br />
Den Sinn des Dienstes in der Schule finden,<br />
Denn da ging mir mein Herz auf und über,<br />
je länger, je lieber!« Ruth Modersohn 12<br />
Wenn auch einige Schülerinnen die Erziehung als<br />
streng empfunden haben, so herrschte doch allgemein<br />
ein froher Geist, ein freier und freundschaftlicher<br />
Ton zwischen Schwestern und Schülerinnen<br />
wie auch untereinander, und die gegenseitigen<br />
Bindungen hielten oft ein Leben lang.<br />
Viele von ihnen haben in<br />
Dornholzhausen Wesentliches<br />
für ihr Leben erfahren. In ihrem<br />
Bemühen für bleibende<br />
Werte suchten die Schwestern<br />
auch, den Sinn für eine große<br />
Familie und geistliche Gemeinschaft<br />
zu wecken. Intensive<br />
Freundschaften unter den<br />
Mädchen, die leicht zur Isolierung<br />
von der Gemeinschaft<br />
führen konnten, wurden daher<br />
von den Schwestern mit Zurückhaltung<br />
gesehen. Die Eltern<br />
erhielten wöchentlich allgemein<br />
nur einen Brief und eine<br />
Karte, wie eine ehemalige<br />
Schülerin zu berichten weiß,<br />
und alle vier Wochen war Besuchtstag.<br />
Und wenn Mädchen, eine hessische<br />
Bauerntochter gar, in der Kriegszeit ein Päckchen<br />
von zuhause mit leckeren Sachen, Speck und<br />
Wurst bekam, dann konnte es passieren, dass sie,<br />
sehr zum Verdruß von Schülerin und Eltern, alles<br />
den Schwestern abliefern musste.<br />
Arbeit in Haus und Hof<br />
Bei aller Durchdringung des Hauses von christlichem<br />
Geist, darf man sich Schwestern und Schülerinnen<br />
dennoch nicht als eine strenge Klostergemeinschaft<br />
vorstellen. Der Alltag der Diakonissen<br />
war in hohem Maße auch von praktischer Arbeit,<br />
von fröhlichem Schaffen bestimmt, die der Ver-<br />
——————————————————<br />
11 Backeberg, Irmgard, Ruth Modersohn, a.a.O. S. 26<br />
12 Modersohn, Ruth, In Jesu Dienst. Gedichte. Einf. Ernst Modersohn. Berlin (2. Aufl.1950).
sorgung der großen Hausgemeinschaft<br />
und der Vorsorge<br />
dienten. Wie in Vandsburg,<br />
so versuchte man auch in<br />
Dornholzhausen, das Nötigste<br />
an Gemüse und Kartoffeln,<br />
an Beeren und Obst,<br />
was das Haus übers Jahr<br />
brauchte, auf der riesigen<br />
Garten- und Ackerfläche<br />
selbst anzubauen. Besonders<br />
in den schweren Anfangsjahren<br />
und der Kriegszeit, als<br />
vor allem Kartoffeln und<br />
Brot Mangelware waren,<br />
herrschte Selbstversorgung,<br />
wenn auch noch ein gut Teil<br />
an Lebensmitteln hinzugekauft<br />
werden musste. Den<br />
Garten betreute zeitweise Schwester Erna Basler,<br />
und dieser Garten versorgte nicht nur die zahlreichen<br />
Hausbewohner und Gäste, sondern in späteren<br />
Jahren auch die Kantine der benachbarten<br />
Reifenfirma Peters Pneu Renova mit Gemüse und<br />
Obst. Die Schwestern waren froh, wenn sie ihre<br />
finanzielle Lage aufbessern konnten. Die Feldarbeit<br />
und das Mähen der Wiesen hinter dem Haus<br />
besorgten Gehilfen und ein Gärtner namens<br />
Klingberg, der in seiner Vorliebe für schmucke Jägerkleidung<br />
im Dorf nur der »Klosterjäger« hieß<br />
und in einem der Anbauten seine Wohnung hatte.<br />
Die Wiese gegenüber der Waschküche diente<br />
auch hauswirtschaftlichen Zwecken: auf ihr wurde<br />
die in Trögen gewaschene Wäsche zur Bleiche<br />
ausgelegt und aus Gießkannen besprengt, um sie<br />
feucht zu halten. Ärgerlich war dann nur, wenn<br />
aus einem der beiden Schornsteine der nahen Reifenfabrik<br />
schwarzer Staub auf die Wäsche fiel.<br />
Charakteristisch für Haushaltungsschulen vom<br />
Vandsburger Typ war, dass die Schwestern Vieh,<br />
Ziegen und Hühner, Hasen und Schweine und<br />
Kühe hielten. Um die Viehfütterung kümmerte<br />
sich Schwester Emmi, die auch die Kartoffeln für<br />
die Schweine zu mahlen und die Kuh zu melken<br />
hatte. Die Anbauten dienten daher bis auf die<br />
Wasch-, die Lehrküche und den Bügelraum mit<br />
seinem Wäschespeicher als Stallungen, für das<br />
Heu und zur Unterbrindung von landwirtschaftlichem<br />
Gerät. In der Lehrküche wurde auch geschlachtet.<br />
Brot und Brötchen lieferte täglich<br />
Bäcker Désor aus Dornholzhausen in die riesige<br />
Küche, die die Lieferanten über den grob gepflasterten<br />
Hof erreichten. Daneben lagen die Spülküche<br />
und ein weiterer Arbeitsraum. Daran grenz-<br />
Abb. 9: Besprengen der Wäsche auf der Bleiche<br />
31<br />
ten der Esssaal, der zu besonderen Anlässen auch<br />
für Aufführungen wie auch für die Morgengymnastik<br />
genutzt wurde. Von hier hatte man einen<br />
Blick auf den Kastanienplatz hinter dem Haus.<br />
Der erste Stock war weitgehend der Hausleitung<br />
und Gästen des stets gut besuchten Erholungsheims<br />
vorbehalten, während die Schülerinnen in<br />
Zwei- und Dreibettzimmern im zweiten Stock<br />
untergebracht waren. Hier im zweiten Stock lagen<br />
auch die Zimmer für die leitenden Schwestern der<br />
hauswirtschaftlichen Abteilung, Ruth Modersohn<br />
und Irmgard Backeberg, darüber die Stuben der<br />
Haustöchter, wenn sie nicht aus dem Dorf kamen.<br />
Zum kühlen Keller und seinen Vorräten, Eingemachtem,<br />
Kartoffeln und Äpfeln, den Getränken<br />
und dem Stangeneis, das noch nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg der Eiswagen lieferte, führte eine steile<br />
Treppe hinab. Auch die Kohlen lagerten hier. Im<br />
Krieg, bei Fliegeralarm, suchte die gesamte Hausgemeinschaft<br />
im Keller Schutz vor Bomben.<br />
Als 1941 das erste Stockwerk als Lazarett diente,<br />
zogen die Schülerinnen zunächst in Hofanbauten<br />
zum Schlafen. Später wechselten sie mit Schwester<br />
Ruth und Schwester Irmgard in das Gotische<br />
Haus über, das der Gemeinschafts-Diakonieverband<br />
gepachtet hatte.<br />
Bis 1944 fand nun der Unterricht im Gotischen<br />
Haus statt. Nur zum Kochen und zum Wäschewaschen<br />
liefen die Mädchen dann übers Feld zum<br />
»Taunusblick«, in dem die Diakonissen unter ärztlicher<br />
Obhut fürsorglichen Dienst an den Verwundeten<br />
leisteten.<br />
Alle 14 Tage hielt Pfarrer Hief von der Dornholzhäuser<br />
Waldenserkichre dort Gottesdienst für die<br />
Verwundeten. 13
Abb. 10: Gemeinsam die Sonntagspost erledigen<br />
Dorfkontakte<br />
Zum Dorf und zur Waldenser Pfarrgemeinde hatten<br />
schon zu Zeiten des Viktoria-Pensionats gute<br />
Beziehungen bestanden. Auch »Haus Taunusblick«<br />
schloss sich nicht gegen die Außenwelt ab,<br />
sondern setzte verstärkt diese Tradition fort. Immer<br />
gewohnt zu helfen, kümmerten sich die<br />
Schwestern auch um einzelne Familien, hörten<br />
geduldig an, was sie bewegte, besuchten Wöchnerinnen<br />
und wurden zu Notfällen gerufen. Sie<br />
hatten das Vertrauen der Dornholzhäuser, und<br />
manche Türe hat sich ihnen<br />
aufgetan. »Das Haus und seine<br />
Bewohner gehörten einfach<br />
zum Dorf dazu, waren integriert<br />
in die Dorfgemeinschaft«, wie es<br />
eine frühere Schülerin ausdrückt.<br />
Viel später erst, kurz vor<br />
der Auflösung des Hauses, hat<br />
Dornholzhausen eine Gemeindeschwesterstation<br />
erhalten.<br />
Öfters halfen die Diakonissen<br />
aus, wenn es an geeigneten<br />
Räumlichkeiten mangelte. So<br />
stellte das »Elim« einen Saal für<br />
Gottesdienste zur Verfügung,<br />
als sich 1929 nach einem Brand<br />
in der Kirche Reparaturarbeiten<br />
an der zugefrorenen Wasserleitung<br />
verzögerten. 14 In den Notzeiten<br />
zu Beginn und am Ende<br />
32<br />
der Weimarer Republik, als auch<br />
die Schulen Solidaritätsopfer<br />
brachten, beteiligte es sich an der<br />
Unterstützung besonders bedürftiger<br />
Menschen. Auch andere<br />
soziale Maßnahmen, an denen<br />
das Dorf teilnahm, haben die<br />
Schwestern stets unterstützt, immer<br />
in der Absicht, Not lindern<br />
zu helfen. 1938 nahm das Haus<br />
zusätzlich Kinder auslandsdeutscher<br />
Familien während der Ferien<br />
auf. Jeden Sommer fand in<br />
Dornholzhausen ein Fest für die<br />
Kinder eines Homburger Kindergartens<br />
statt, der gleichfalls<br />
von den »Marburger Blauen<br />
Schwestern« geführt wurde. Und<br />
manch Dornholzhäuser erinnert<br />
sich an das Weihnachtsfest, an die geheimnisvolle<br />
Aura, die ihn umfing, wenn er als Kind an der<br />
Feier unter dem im Licht der Kerzen erstrahlenden<br />
Weihnachtsbaum teilnehmen durfte.<br />
Auf dem richtigen Gleis?<br />
——————————————————<br />
13 Chronik der franz.-ref. Kirchen-Gemeinde Dornholzhausen [1926-1990], S. 17<br />
14 Chronik der franz.-ref. Kirchen-Gemeinde Dornholzhausen, a.a.O., S. 8<br />
Unter Pfarrer Theophil Krawielitzki öffnete sich<br />
1933 der von ihm straff organisierte Diakonieverband<br />
den Ideen des Nationalsozialismus, in dem<br />
man ähnliche Grundlinien der Organisation zu<br />
erkennen meinte. In missionarischem Eifer dräng-<br />
Abb. 11: Einspringen bei der Heuernte des Försters
te es Teile der auf Seelsorge und Evangelisation<br />
beruhenden Diakonie, »den Nationalsozialisten<br />
ein Nationalsozialist zu werden, um ihrer etliche<br />
selig zu machen«. 15 Viele, vor allem jüngere<br />
Schwestern, traten der NS-Frauenschaft bei. Auch<br />
in Dornholzhausen, wo die Nationalsozialisten<br />
immer mehr Anhänger fanden, 16 begrüßte man<br />
anfangs die Machtergreifung durch Hitler und<br />
setzte große Hoffnungen auf ihn. Die NS-Frauenschaft<br />
von Dornholzhausen traf sich in der ersten<br />
Zeit regelmäßig im Saal von »Haus Taunusblick«.<br />
Später fanden diese Treffen im Dorf statt,<br />
bei denen Schwester Ruth und Schwester Irmgard<br />
Vorträge für die Dorffrauen hielten, um Wissen<br />
und Erkenntnisse über Haushalt und Familie zu<br />
vermitteln. Die Vorträge schlossen mit einem Gebet.<br />
Öfters sah man «die Mädsche vons Elim« –<br />
wie sie im Dorf hießen – singend zu den Klängen<br />
einer Mundharmonika in ihrer Tracht flott durch<br />
den Ort ziehen. Schon am Erntedankfest von<br />
1933, bei dem der Zug von der örtlichen NSDAP<br />
angeführt wurde, nahmen auch zahlreiche Schwestern<br />
und Schülerinnen des »Elim« teil – für die<br />
lokale Presse ein Zeichen dafür, dass »auch in diesem<br />
Institut bereits echter Hitlergeist eingekehrt<br />
sei«. 17 Im Rahmen der Winterhilfe verteilten<br />
Diakonissen im Hotel Adler in Dornholzhausen<br />
Winterkleidung. An die Winterhilfe wurden auch<br />
Erspanisse abgeführt, die dadurch erzielt worden<br />
waren, dass einmal wöchentlich ein besonders<br />
einfaches Mittagsmahl und Abendbrot eingenommen<br />
wurde. Es konnte nicht ausbleiben, dass<br />
die Beziehungen zur Dornholzhäuser Pfarrgemeinde<br />
unter dem regimekritischen Pfarrer Hans<br />
Hief sich schwierig gestalteten. 18 Doch nicht alle<br />
Schwestern haben die zunehmende Politisierung<br />
und Radikalisierung gutgeheißen. Als in der<br />
»Reichskristallnacht« vom 9. November 1938 auch<br />
die Homburger Synagoge in Flammen aufging,<br />
wurden die Schülerinnen zum ausgebrannten<br />
Gebäude geführt, um ihnen ein abschreckendes<br />
Beispiel für die rohe Gewalt zu zeigen, die hier<br />
gewütet hatte. 19 Die Erfahrungen, die auch die<br />
Diakonie bereits seit dem Kirchenkampf mit dem<br />
neuen Regime machen musste, Willkürakte und<br />
zunehmende Eingriffe in diakonische Einrichtun-<br />
——————————————————<br />
15 Dohne, Ist der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband noch auf dem richtigen Geleise? Marburg 1935, S. 13<br />
16 Chronik der franz.-ref. Kirchen-Gemeinde Dornholzhausen, a.a.O., S. 12<br />
17 Taunusbote v. 2. 10. 1933<br />
18 Meyer zu Ermgassen, Gerda, Zeit des Bekennens, in: 1699-1999. 300 Jahr Dornholzhausen. 300 Jahre Waldenser<br />
Kirchengemeinde. o.O., (1999) S. 57<br />
19 Frdl. Auskunft von Eva Reum, Berlin<br />
20 Neuendettelsauer Chronik. Sonderausgabe 2004. S. 10f.<br />
Bildnachweis: Sammlung Bernd Ochs: Abb. 1, 4, 5, 7, 8; Privatbesitz: Abb. 2, 3, 9; StAHg: Abb. 6, 9, 10<br />
33<br />
gen vor allem der Behindertenhilfe, ließen viele in<br />
der Diakonie von der Haltung der Nationalsozialisten<br />
abrücken. 20<br />
Dahin ein Stück geistlichen Lebens<br />
Nach der Auflösung des Lazaretts im August 1946<br />
wurde nicht wieder an die frühere Haushaltungsschule<br />
angeknüpft, sondern, wie schon erwähnt,<br />
»Haus Taunusblick« der Kuranstalt <strong><strong>Hohe</strong>mark</strong> in<br />
Oberursel unterstellt, deren Räume und Bettenkapazitäten<br />
als Reservelazarett für die gegen<br />
Kriegsende stark gestiegene Zahl von Patienten<br />
nicht mehr ausreichten. Etwa 70 Patienten, zumeist<br />
leichtere Fälle, wurden nach Dornholzhausen<br />
verlegt und von einem einzigen Arzt, dem späteren<br />
Chefarzt der Kuranstalt <strong><strong>Hohe</strong>mark</strong>, Dr.<br />
Arthur Mader, behandelt, unterstützt von dem<br />
Krankenpfleger Diakon Schulz. Die Leitung des<br />
Hauses lag in den Händen der inzwischen fast<br />
achtzigjährigen Anna Handt. Auch andere unentbehrliche<br />
Schwestern aus früheren Jahren wie<br />
Martha Holzhausen und Martha Jaddatz, halfen<br />
neben zahlreichen Haustöchtern in der Krankenpflege,<br />
der Verwaltung, bei der Haus-, Gartenund<br />
Küchenarbeit, die sie einen langen Tag auf<br />
Trab hielten. Doch die Zeiten waren andere geworden:<br />
die Anbindung an die Kuranstalt in<br />
Oberursel war mit mancherlei Veränderungen<br />
und Umständen verbunden. Auch die Zunahme<br />
des Autoverkehrs wurde für das Genesungsheim,<br />
an der lebhaften Kreuzung der Peters Pneu Renova<br />
gelegen, als störend empfunden. Zugenommen<br />
hatte auch der Betrieb der stark expandierenden<br />
Reifenfirma unmittelbar neben »Haus Taunusblick«.<br />
Gravierender aber erwies sich im Laufe der<br />
Jahre, dass die älteren Schwestern, die die Hauptlast<br />
zu tragen hatten, sich den neuen Herausforderungen<br />
nicht mehr recht gewachsen fühlten.<br />
Nach sieben Jahren wurde der Krankenhausbetrieb<br />
eingestellt. In seiner letzten Phase, von 1953<br />
bis 1960, diente »Haus Taunusblick« – wie noch<br />
immer die Bezeichnung lautete – als »Feierabendheim«,<br />
ein Ort, der erschöpften Diakonissen Besinnung<br />
und die nötige Ruhe von der Last ihres<br />
Lebens bot.