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ARTHAUS Gesamtkatalog 2010

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E U R O P Ä I S C H E R F I L M / E r i c R o h m e r<br />

Der Meister des Dialogs<br />

Eric Rohmer zählt zu den bedeutendsten Regisseuren<br />

Frankreichs. In den 1960er-Jahren verändert er als<br />

Vertreter der Nouvelle Vague die Sehgewohnheiten des<br />

französischen Publikums radikal. Zugleich schafft er<br />

seinen eigenen, ganz persönlichen Stil. Neben der Natürlichkeit,<br />

die seine Werke ausstrahlen, zeichnet sich<br />

Rohmers Schaffen durch eine Genauigkeit in Wort und<br />

Gestik sowie schlichte und sparsame Stilmittel aus.<br />

Rohmer ist stets stiller Beobachter, der seine Protagonisten<br />

zur Selbsterkenntnis ermutigt. Er gilt als „Archäologe<br />

unserer Zeit“, der vor allem die Bourgeoisie und<br />

ihre Eigenheiten ganz genau untersucht.<br />

Rohmer wurde als Jean-Marie Maurice Schérer am 4. April 1920 in<br />

Nancy, Frankreich geboren. Nach einem Literaturstudium in Paris arbeitete<br />

er einige Jahre als Gymnasiallehrer in Clermont-Ferrand. Mitte<br />

der 1940er-Jahre zog Schérer nach Paris, wo er ab 1942 als freier Journalist<br />

tätig war. Seit 1948 engagierte sich Maurice Schérer im Ciné-<br />

Club des Quartier Latin in Paris, wo er auf zwei junge Cinephile traf,<br />

die interessiert waren, mit ihm für die Filmzeitschrift „Gazette du Cinéma“<br />

zu schreiben: Jacques Rivette und Jean-Luc Godard. Für die<br />

beiden, die später zu den Hauptvertretern der Nouvelle Vague zählten,<br />

war Schérer, der um fast zehn Jahre Ältere, ein Vorbild und Lehrer.<br />

Ab 1951 begann Schérer für die von André Bazin herausgegebenen<br />

„Cahiers du Cinéma“ zu schreiben, deren Chefredakteur er von 1957<br />

bis 1963 war. In dieser Zeitschrift benutzte Schérer 1955 zum ersten<br />

Mal das Pseudonym „Eric Rohmer“, ein Anagram, unter dem er 1957<br />

zusammen mit Claude Chabrol die erste Monografie über Alfred Hitchcock<br />

überhaupt veröffentlichte. Rohmers erster Spielfilm „Im Zeichen<br />

des Löwen“ (1959), produziert von Claude Chabrol, hatte nicht den<br />

gleichen Erfolg wie die ersten Filme seiner jungen Freunde der Nouvelle<br />

Vague, worauf sich er weiterhin den „Cahiers du Cinéma“ widmete.<br />

1962 gründete er mit dem cinephilen Regisseur Barbet Schroeder die<br />

Filmproduktion Les Films du Losange. Nach dem kommerziellen Misserfolg<br />

seines ersten Films begann Rohmer 1962 mit dem Dreh des Zyklus<br />

„Moralische Erzählungen“ (1962-1972). Den sechs Filmen liegt das<br />

gleiche Handlungsmuster zugrunde: Die Moral eines an eine Frau gebundenen<br />

Protagonisten wird durch dessen Begegnung mit einem<br />

anderen, gegensätzlichen Frauentypus einer Bewährungsprobe ausgesetzt.<br />

Diese Modellsituation wird besonders deutlich in „Meine Nacht<br />

bei Maud“(1969), der Rohmer zum internationalen Durchbruch verhalf.<br />

Auch „Claires Knie“ (1970) gewann mehrere internationale Preise.<br />

In den 1980er-Jahren wurde Rohmer ökonomisch unabhängiger und<br />

veränderte gleichzeitig seinen Drehstil: einfachere Produktions- und<br />

Drehbedingungen, 16 mm, Direktton und junge Schauspieler. Insgesamt<br />

scheint so auch sein Kino „leichter“ geworden zu sein. Ironisch<br />

gefärbt, jedoch weniger streng konstruiert sind auch die sechs Filme<br />

des zweiten Zyklus „Komödien und Sprichwörter“ (1981-1987). Im<br />

Zentrum stehen die oft widersprüchlichen, unmotiviert scheinenden<br />

Verhaltensweisen der Figuren in unterschiedlichen sozialen Milieus.<br />

Aus diesem Zyklus sind vor allem „Pauline am Strand“ (1982) und<br />

„Das grüne Leuchten“ (1986), mit dem Goldenen Löwen in Venedig<br />

ausgezeichnet, bekannt geworden. Rohmers dritter und letzter Zyklus<br />

„Erzählungen der vier Jahreszeiten“ (1990-1998) wurde im<br />

Gegensatz zu den vorherigen Zyklen bewusst so gestaltet, dass<br />

er in sich geschlossen ist. Auch wenn die Figuren und Schauspieler<br />

in keinem der vier Teile die gleichen sind, so widmet<br />

sich jeder Film einem ähnlichen Thema: Meist geht es um<br />

eine Entscheidung, die einer der Protagonisten treffen muss.<br />

Ab und zu brach Rohmer aus der Struktur der Zyklen aus<br />

und unternahm 1976 einen Ausflug in die deutsche Romantik<br />

wie mit der Kleist-Verfilmung „Die Marquise von<br />

O.“ mit Bruno Ganz, oder in die altfranzösische Epik<br />

mit „Perceval le Gallois“ (1978).<br />

Im hohen Alter von über 80 Jahren stellte Rohmer<br />

noch drei Filme fertig: das Historiendrama „Die<br />

Lady und der Herzog“ (2001), den Thriller „Triple<br />

Agent“ (2004) und „Les amours d’Astrée et<br />

de Céladon“ (2007). Eric Rohmer starb am<br />

11. Januar <strong>2010</strong> in Paris.

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