Ein Stadtmagazin #4 - Reizend
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BEHINDERtE FRAuEN uND ELtERNscHAFt<br />
Vor mehr als 20 Jahren begleitete ich eine<br />
Klientin ins Linzer AKH. Sie war nach einer<br />
Vergewaltigung schwanger und wollte<br />
eine Abtreibung. Der Arzt bat mich um ein<br />
Gespräch unter vier Augen und legte mir dar,<br />
dass im Zuge dieses <strong>Ein</strong>griffes eine Unterbindung<br />
das Beste für die Klientin wäre. Er bat<br />
quasi um meine Zustimmung, die lernbehinderte<br />
Klientin wurde nicht befragt.<br />
Vor Kurzem begleitete ich eine Klientin nach<br />
der Geburt ihres zweiten Sohnes zum Frauenarzt.<br />
Er forderte mich auf, über die künftige<br />
Empfängnisverhütung zu berichten, nachdem<br />
sich die Klientin weigerte, mit dem Arzt<br />
darüber zu sprechen. Ich teilte ihm mit, dass<br />
vorerst an keine Verhütung ihrerseits gedacht<br />
sei, ihr Freund übernehme diese. Verärgert<br />
wies mich der Arzt auf meine Verantwortung<br />
in Bezug auf eine weitere Schwangerschaft<br />
hin. Auch eine Kollegin der Jugendwohlfahrt<br />
bedrängte mich, es wäre meine Aufgabe und<br />
die meiner KollegInnen, in dieser Hinsicht<br />
erfolgreich auf die Klientin einzuwirken.<br />
20 Jahre liegen zwischen diesen beiden Ereignissen.<br />
Das gesellschaftliche Bewusstsein hat<br />
sich mittlerweile geändert: Unterbindungen<br />
behinderter Frauen ohne deren ausdrückliche<br />
Zustimmung sind verboten. Nach den skandalösen<br />
schwedischen Berichten über Sterilisationen<br />
behinderter Frauen ohne deren Wissen<br />
hat der österreichische Gesetzgeber 2001 mit<br />
einem Verbot reagiert. § 284 Sachwalterrecht:<br />
„Der Sachwalter kann einer medizinischen<br />
„Achtung der wohnung und der Familie“<br />
Behindertenrechtskonvention<br />
Auszug aus Artikel 23<br />
(1) Die Vertragsstaaten treffen wirksame und<br />
geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung<br />
von Menschen mit Behinderungen auf<br />
der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen<br />
in allen Fragen, die Ehe, Familie, Elternschaft und<br />
Partnerschaften betreffen, um zu gewährleisten,<br />
dass<br />
a) das Recht aller Menschen mit Behinderungen<br />
im heiratsfähigen Alter auf der Grundlage des<br />
freien und vollen <strong>Ein</strong>verständnisses der künftigen<br />
Ehegatten eine Ehe zu schließen und eine Familie<br />
zu gründen, anerkannt wird;<br />
b) das Recht von Menschen mit Behinderungen<br />
auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung<br />
über die Anzahl ihrer Kinder und die Geburtenabstände<br />
sowie auf Zugang zu altersgemäßer<br />
Information sowie Aufklärung über Fortpflanzung<br />
anerkannt wird und ihnen die notwendigen Mittel<br />
zur Ausübung dieser Rechte zur Verfugung gestellt<br />
werden.<br />
Maßnahme, die eine dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit<br />
der behinderten Person zum Ziel<br />
hat, nicht zustimmen, es sei denn, dass sonst<br />
wegen eines dauerhaft körperlichen Leidens<br />
eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder<br />
einer schweren Schädigung der Gesundheit<br />
der behinderten Person besteht“.<br />
Die <strong>Ein</strong>stellung zur Elternschaft behinderter<br />
Frauen hat sich hingegen wenig gewandelt.<br />
Von behinderten Frauen wird erwartet, keine<br />
Kinder zu bekommen, von gesunden Frauen<br />
werden zumindest ein oder zwei Kinder<br />
erwartet. Anlässlich einer Tagung im Frühjahr<br />
2009 in Schloss Puchberg zum Thema „Herausforderung<br />
Elternschaft – über die Situation<br />
von Eltern mit geistiger oder psychischer<br />
Beeinträchtigung“ hat die fachliche Leiterin<br />
der Jugendwohlfahrt OÖ berichtet, dass es<br />
diesbezüglich keine speziellen Erfahrungen<br />
gebe. Das lässt den Schluss zu, dass es in institutionellen<br />
Wohneinrichtungen für behinderte<br />
Personen so gut wie keine Geburten gibt,<br />
im privaten Wohnbereich gibt es hingegen<br />
viele. <strong>Ein</strong>e Referentin dieser Tagung berichtete<br />
über begleitendes Familienwohnen in Berlin-<br />
Lichtenberg. Eltern mit Lernbehinderungen<br />
werden dort Tag und Nacht in einer speziellen<br />
Wohneinrichtung betreut. Unter anderem wird<br />
der Kontakt von den Eltern zu den Kindern/<br />
Babys gefilmt und jene Sequenzen, in denen<br />
eine befriedigende Kontaktaufnahme erfolgt<br />
ist, werden den Eltern vorgespielt. Gelungene<br />
Kontakte werden auf diese Weise verstärkt –<br />
ein berührender Zugang.<br />
Das Thema Elternschaft begleitet uns auch in<br />
der Woge. Der Verein Woge bietet 12 Wohnplätze<br />
für junge Menschen mit diversen Beeinträchtigungen<br />
(vorwiegend Lernbehinderungen<br />
und psychische Erkrankungen). Die Wohngemeinschaft<br />
ist teilbetreut, alle BewohnerInnen<br />
haben eigene Zimmer oder kleine Wohnungen.<br />
<strong>Ein</strong>ige BewohnerInnen und ExbewohnerInnen<br />
haben Kinder. Nicht alle sind in der Lage, ihre<br />
Kinder trotz Unterstützung selbst zu versorgen,<br />
aber alle Kinder werden gut versorgt und<br />
entwickeln sich großartig.<br />
Jede Schwangerschaft und Elternschaft<br />
bringt Probleme mit sich, aber dies tut es im<br />
nichtbehinderten Bereich auch. Wir würden<br />
uns natürlich eine <strong>Ein</strong>richtung wünschen, die<br />
vor allem in den ersten Jahren eine Tag- und<br />
Nachtbetreuung anbietet. In ganz Österreich<br />
gibt es lediglich ein Haus für Mutter und Kind<br />
in Graz, das nachtbetreut ist, Familien werden<br />
aber auch dort nicht aufgenommen.<br />
11<br />
Recht auf Achtung des<br />
Privat- und Familienlebens<br />
„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres<br />
Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und<br />
ihrer Korrespondenz.<br />
<strong>Ein</strong>e Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts<br />
nur eingreifen, soweit der <strong>Ein</strong>griff gesetzlich vorgesehen<br />
und in einer demokratischen Gesellschaft<br />
notwendig ist für die nationale oder öffentliche<br />
Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des<br />
Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur<br />
Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit<br />
oder der Moral oder zum Schutz der Rechte<br />
und Freiheiten anderer.“<br />
(Art 8 Europäische Menschenrechtskonvention)<br />
Durch das Recht auf Achtung des Privatlebens<br />
soll dem <strong>Ein</strong>zelnen ein privater Bereich gesichert<br />
werden, in den der Staat nur begrenzt und<br />
unter bestimmten Voraussetzungen eingreifen<br />
kann und darf (siehe oben, Artikel 8 EMRK). Der<br />
Mensch soll sich innerhalb dieser Privatsphäre<br />
frei entfalten können, die unmittelbare Persönlichkeitssphäre<br />
soll geschützt werden. Unter<br />
Persönlichkeitssphäre fallen das Sexualverhalten,<br />
das Recht auf persönliche Beziehungen, das Recht<br />
auf Identität und persönliche Entwicklung etc.<br />
Die Privatheit des <strong>Ein</strong>zelnen soll vor unnötigen<br />
<strong>Ein</strong>griffen durch den Staat geschützt werden. In<br />
das Recht auf Achtung des Privatlebens greifen<br />
beispielsweise Zwangsuntersuchungen, geheime<br />
Überwachungsmaßnahmen oder die Veröffentlichung<br />
von Fotos ein.<br />
Neben dem Leben des Individuums wird auch das<br />
Familienleben durch die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
geschützt. Dabei umfasst der<br />
Familienbegriff die sogenannte Kernfamilie (auf<br />
Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption<br />
beruhende Verwandtschaftsverhältnisse), aber<br />
auch de-facto-Familien (Paare, die zusammenleben<br />
und deren gemeinsame Kinder). Gleichgeschlechtliche<br />
Lebensgemeinschaften unter<br />
den Familienbegriff zu erfassen, ist nach wie vor<br />
strittig. Allerdings ist jede Lebensgemeinschaft insofern<br />
geschützt, als sie Teil des Privatlebens ist.<br />
Typische Fälle, bei denen es zu Verletzungen des<br />
Rechts auf Achtung des Familienlebens kommen<br />
kann, sind etwa der Entzug oder die Nichtgewährung<br />
von Aufenthaltsberechtigungen, wenn<br />
dadurch Familienzusammenführungen verhindert<br />
werden.<br />
Im Artikel 23 der Behindertenkonvention,<br />
„Achtung der Wohnung und der Familie“,<br />
sind das Recht auf Elternschaft und die dafür<br />
nötigen Mittel zur Ausübung dieses Rechtes<br />
festgeschrieben. Österreich hat 2008 diese<br />
Konvention ratifiziert, und sich somit zu ihrer<br />
Umsetzung verpflichtet. Österreich hat daher<br />
Handlungsbedarf.<br />
MARGARETE NIEDERMAYR<br />
Sozialarbeiterin, Verein Woge