Publi kationen - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Karten aus Katschukistan<br />
von Steffen Zillig<br />
Skandale gehörten in den letzten<br />
Wochen ja vor allem Priestern und<br />
Bischöfen. In der Kunsthalle aber gerät<br />
Gottes Sohn höchst selbst unter Druck :<br />
»Der Jesus-Skandal«. Nach dem vorsichtigen<br />
»Pop Life«, das ursprünglich<br />
ja mal »Sold Out« heißen sollte, geht die<br />
Kunsthalle also in die Offensive. Sogar<br />
Krawaldvogel Kunstverein (seit 1817)<br />
hat da dieser Tage wenig entgegenzusetzen.<br />
Die Kooperation mit dem »größten<br />
Drecksblatt der Welt« (Gremliza)<br />
ist zwar voll mutig, aber seit Jonathan<br />
Meeses Reklame <strong>für</strong> selbiges auch nicht<br />
mehr wirklich neu. »Uns <strong>Hamburg</strong>«<br />
a<br />
31<br />
konkurriert mit »<strong>Hamburg</strong>er Hefte«<br />
(Foto Folgen) immerhin um den Ausstellungstitel<br />
mit dem meisten Lokalkolorit,<br />
die Punchline-Punkte aber gehen diesen<br />
Monat an die Jesus-Freaks vom Glockengießerwall.<br />
Welchen Skandal die traurigen Augen<br />
auf dem Flyer von Vincent Schulze<br />
beklagen, ist nicht mit Sicherheit zu<br />
sagen. Der wehleidige Blick aus Kinderaugen<br />
oder denen kleiner Katzen<br />
mit Karnevalsmützen scheint aber ganz<br />
allgemein im Trend zu liegen. Allerdings<br />
gehören die Kulleraugen auf Liam<br />
Gillicks knuffiger Grafik keiner Katze.<br />
Das Künstlerinterview vom Katalog ins<br />
werbende Faltblatt vorzuverlegen ist<br />
neu, aber aufschlussreich. Gillick : »Es ist<br />
keine Katze. Es ist ein trauriges Logo <strong>für</strong><br />
eine Ausstellung. […] Möglicherweise<br />
ist das ein provinzielles Fußballmaskottchen<br />
<strong>für</strong> eine Mannschaft, die nicht<br />
spielen kann.« Ahja.<br />
Das Nicht-Spielen-Können gerät ja<br />
nicht selten zur gestalterischen Bürde<br />
eher risikoscheuer Kunstankündigungen.<br />
Anders ist es da naturgemäß bei<br />
Werbung <strong>für</strong> Veranstaltungen von<br />
Grafikdesignern, wie denen des Design-<br />
Lerchen_feld 05 _Projekte, Ausstellungen und Auszeichnungen<br />
Departments der HAW. Deren DIY-Flyer<br />
<strong>für</strong> die »Stilvorlagen Nr. 5« kann das<br />
Rennen um den Titel »Flyer des Monats«<br />
diesmal klar <strong>für</strong> sich entscheiden. Die<br />
Jury würdigt damit insbesondere die<br />
deutliche Akzentuierung einer räumlichen<br />
Tiefe bei gleichzeitiger Absage an<br />
Photoshop und digitale Postproduktion.<br />
Für den 3-D-Effekt haben sich sechs<br />
Personen in einen Hausflur gestellt und<br />
ihre Identität hinter Plakaten versteckt.<br />
Auch die von Tesafilm getragenen<br />
Konsonanten des Veranstaltungstitels<br />
haben sich im Raum verteilt. Die übrige<br />
Schrift auf Vorder- und Rückseite sammelt<br />
Extra punkte <strong>für</strong> die schlichte und<br />
schnörkellose Edding-Typo.<br />
Blass wirken dagegen zwei Post-<br />
kartenflyer, die die Eleganz der freien<br />
Fläche beschwören. Einer platziert das<br />
Coolness versprechende Kürzel »Y8«<br />
in der Mitte der unteren Hälfte. Titel<br />
und Erläuterung auf der oberen Hälfte<br />
machen allerdings eher Angst : Das<br />
»YOGAKONTEXTKUNSTKONTEXT-<br />
YOGA« (Captain Capslock : SEGEL<br />
SETZEN !) versucht die »Praxis des Yoga<br />
[…] auf die architektonisch und sozial<br />
kodierte Situation von Ausstellungsräu-<br />
men zu übertragen.« Dass sich hier die<br />
erste gemeinsame Arbeit von Jonathan<br />
Monk und David Lynch realisiert, bleibt<br />
ein Gerücht. Die Erläuterung auf der<br />
Rückseite der zweiten Karte – Titel :<br />
»wahrer Luxus« – ist zwar weniger<br />
unheimlich, muss wegen wiederholt<br />
falsch gesetzter Anführungszeichen<br />
aber leider Abzüge in der B-Note in Kauf<br />
nehmen. Eine lobende Erwähnung erhält<br />
die Brezel der Reliktion, wenn auch Butter<br />
und Schnittlauch ihr noch ein wenig<br />
mehr Geschmack verliehen hätten.<br />
a Karten aus Katschukistan,<br />
Foto: Steffen Zillig