NATURFREUNDiN - NaturFreunde Deutschlands
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INTERVIEW<br />
„Ich erlaube mir nicht zu verzweifeln“<br />
Die deutsche Chef-Unterhändlerin will in Bali auf’s Tempo drücken<br />
2 <strong>NATURFREUNDiN</strong>: Bonn, Wien, New York,<br />
Berlin – vor der am 3. Dezember auf Bali beginnenden<br />
Weltklimakonferenz gab es eine ganze<br />
Reihe von Vorbereitungskonferenzen. Was ist<br />
heraus gekommen?<br />
Nicole Wilke: Ziel der Vorbereitungskonferenzen<br />
ist es, auszuloten, wozu die einzelnen Staaten in<br />
den Verhandlungen bereit sind. Die EU möchte<br />
in Bali den Beginn umfassender Verhandlungen<br />
über ein Klimaschutzregime für die Zeit nach<br />
2012 beschließen, die „Bali Roadmap“. In ihr<br />
sollen die Inhalte und der Zeitplan für die Verhandlungen<br />
festgelegt werden. Bis 2009 wollen<br />
wir die Verhandlungen abschließen, damit es<br />
keine Lücke nach der ersten Verpflichtungsperiode<br />
des Kyoto-Protokolls gibt. Die Vorbereitungstreffen<br />
haben zweierlei gebracht: Einmal eine relativ<br />
offene Aussprache darüber, wie der bisher<br />
noch nicht formelle Prozess – nämlich der Dialog<br />
aller Staaten über ihre Beiträge zu einem künftigen<br />
Klimaschutzregime – weitergeführt werden<br />
kann. Und da gab es im Vorfeld von Bali eine<br />
Vielzahl von durchaus positiven Signalen aus einer<br />
Reihe von Ländern: Sie können sich vorstellen,<br />
den Dialog in formelle Verhandlungen zu<br />
überführen. Und zweitens gibt es Signale, dass<br />
es in Bali möglich sein wird, Größenordnungen<br />
von Reduktionsverpflichtungen der Industrieländer<br />
im künftigen Klimaregime zu beschließen.<br />
2 Auch der 4. Bericht des Weltklimarates hat<br />
gerade ein dramatisches Bild vom Klimawandel<br />
aufgezeigt. Und sie reden über „Dialog“, „formelle<br />
Verhandlungen“ und „positive Signale“ ...<br />
... ich bin Klimadiplomatin.<br />
2 Wir sind hier aber nicht auf diplomatischem<br />
Parkett!<br />
Es ist nicht leicht, das, was auf den Konferenzen<br />
verhandelt wird, in eine für alle Menschen<br />
verständliche Sprache zu übersetzen. Und es ist<br />
enorm schwierig, zwischen dem Sachstand der<br />
Wissenschaft und dem, was die Verhandlungen<br />
tatsächlich leisten müßten, eine Brücke zu schlagen.<br />
2 Woran liegt das?<br />
Einerseits daran, dass eine Vielzahl unterschiedlicher<br />
Länder mit einer Vielzahl unterschiedlicher<br />
Interessen verhandelt. Andererseits liegt es<br />
an der Angst: Etliche Länder fürchten, sich heute<br />
auf politische Dinge einzulassen, deren Zukunfts-<br />
folgen sie nicht abschätzen können. Besonders<br />
Entwicklungsländer fürchten, dass ihnen Wachstums-<br />
und Entwicklungsmöglichkeiten verbaut<br />
werden könnten und Industrieländer sorgen sich<br />
um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie.<br />
Statt über Entwicklungschancen einerseits und<br />
effektive Klimaschutzmaßnahmen andererseits<br />
nachzudenken, beobachte ich immer wieder die<br />
Position: Ist schon dramatisch, was uns die Wissenschaft<br />
zur Zukunft des globalen Weltklimas<br />
sagt, aber mein Land trifft es ja vielleicht doch<br />
nicht ganz so hart, wie es prognostiziert wird.<br />
2 Wie oft verzweifeln Sie?<br />
Ich erlaube mir nicht zu verzweifeln. Würde ich<br />
verzweifeln, könnte ich meine Arbeit nicht mehr<br />
tun. Klimadiplomatie ist das stete Bohren dicker<br />
Bretter. Dafür braucht man einen langen Atem.<br />
2 Immerhin verzweifeln die Menschen, die<br />
endlich Taten statt undurchschaubarer Verhandlungen<br />
sehen wollen. Spüren Sie das?<br />
Sicher! Und ich kann voll verstehen, dass die<br />
Leute wollen, dass es sehr viel schneller geht.<br />
Natürlich setze ich mich dafür ein, dass die Verhandlungen<br />
beschleunigt werden. Nur leider<br />
kann ich das Tempo der anderen Verhandlungspartner<br />
nicht bestimmen.<br />
2 Als oberste Klimadiplomatin <strong>Deutschlands</strong><br />
müssen Sie sich in den Verhandlungen immer<br />
auch daran messen lassen, welche Erfolge die<br />
Bundesrepublik zu Hause verbucht. 1991 hatte<br />
der Deutsche Bundestag beschlossen, dass die<br />
alten Bundesländer ihren Ausstoß von Kohlen-<br />
I 14 Tage lang wird Nicole Wilke in den<br />
Konferenzsälen schwitzen.<br />
THEMA<br />
Zur Person<br />
NICOLE WILKE, 43, ist Referatsleiterin<br />
im Bundesumweltministerium<br />
und deutsche Chef-Unterhändlerin<br />
in internationalen Klimafragen. Sie<br />
steht der bis zu 50-köpfigen deutschen<br />
Delegation vor.<br />
dioxid bis 2005 um 25 Prozent senken werden.<br />
Geschafft haben die alten Länder gerade<br />
einmal 5 Prozent. Wird Ihnen so etwas vorgehalten?<br />
Selbstverständlich! Gerade Saudi-Arabien misst<br />
uns immer wieder an unseren tatsächlichen<br />
Ergebnissen. Völkerrechtlich verbindlich hat<br />
Deutschland eine Minderung um 21 Prozent bis<br />
2012 gegenüber 1990 zugesagt. Deutschland und<br />
die EU können ihre Klimaziele 2012 noch erreichen,<br />
sie müssen sich aber weiter erheblich anstrengen.<br />
Ich bin deshalb sehr froh, dass die<br />
Bundesregierung in Meseberg ein Klima-Gesetzes-Paket<br />
beschlossen hat: Damit haben wir die<br />
Instrumente, die Ziele, die wir bis 2012 formuliert<br />
haben, auch zu erreichen.<br />
2 Was war der glücklichste Moment in den<br />
letzten 12 Monaten der Klimadiplomatin Nicole<br />
Wilke?<br />
Als der Umweltrat der EU das Ziel beschlossen<br />
hat, 30 Prozent Kohlendioxid bis 2020 gegenüber<br />
1990 einzusparen. Ich habe das Paket<br />
selbst mit vorbereitet und entsprechend gezittert<br />
und gebangt. Als der Beschluss durch war, lag<br />
ich mit meinen Kollegen jubelnd in den Armen.<br />
Zwei Tage später hab ich auf einer Rats-Arbeitstagung<br />
allen sogar Sekt ausgegeben.<br />
2 Jetzt geht es also zur Weltklimakonferenz nach<br />
Bali: Worauf freuen Sie sich am meisten in Bali?<br />
Schwierige Frage!<br />
2 Anders gefragt: Wovor haben Sie am<br />
meisten Angst?<br />
Vor dem Klima! 100 Prozent Luftfeuchtigkeit und<br />
30 Grad Celsius sind für mich nicht wirklich attraktiv.<br />
c INTERVIEW NICK REIMER<br />
4-2007 <strong>NATURFREUNDiN</strong> SEITE 11