junge wirtschaft wien - e-reader.wko.at - Wirtschaftskammer Wien
junge wirtschaft wien - e-reader.wko.at - Wirtschaftskammer Wien
junge wirtschaft wien - e-reader.wko.at - Wirtschaftskammer Wien
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Ebenso gibt es strukturelle Veränderungen<br />
im Hippocampus – die Schaltzentrale für<br />
das Merken und Abrufen von Inform<strong>at</strong>ionen<br />
ebenso wie die Verarbeitung räumlicher Inform<strong>at</strong>ionen<br />
und im Mandelkern (Amygdala)<br />
– der im Wesentlichen bei der Entstehung von<br />
Angst beteiligt ist.<br />
UnteRSchiedliche hiRnStRUKtU-<br />
Ren = UnteRSchiedliche geiStige<br />
leiStUngen?<br />
Immer wieder taucht bei Wissenschaftern<br />
die Frage auf: Wie arbeiten beide Gehirnhälften<br />
bei räumlichen und sprachlichen<br />
Aufgaben bei Frauen und Männern zusammen?<br />
Seit den 1970er Jahren wird die Theorie<br />
verfolgt, dass Frauenhirne stärker mit<br />
beiden Hälften arbeiten und dies bewirke<br />
eine bessere Sprachleistung. Hingegen arbeiten<br />
Männerhirne asymmetrisch, was zur<br />
Folge h<strong>at</strong>, dass Männer räumliche Aufgaben<br />
besser lösen könnten. Außerdem wird<br />
angenommen, dass das Corpus Callosum<br />
bei Frauen deswegen dicker ist, weil der<br />
Inform<strong>at</strong>ionsfluss zwischen beiden Gehirnhälften<br />
massiver erfolgt.<br />
Mit neuen bildgebenden Verfahren machte<br />
sich als erste 1995 Bennet Shaywitz und sein<br />
Team an Experimente. So testeten sie die Aktivierung<br />
im vorderen Hirnlappen bei der Reimerkennung.<br />
Alle 19 getesteten Männer wiesen<br />
eine eindeutige linksseitige Aktivierung<br />
auf, bei 11 von 19 getesteten Frauen zeigte<br />
sich eine beidseitige Aktivierung. Somit war<br />
es bewiesen, was zu beweisen war: Männer<br />
denken beim Reden nur mit einer Gehirnhälfte,<br />
Frauen mit beiden. Diese Erkenntnis<br />
glänzte nicht nur auf der ersten Seite der renomierten<br />
Fachzeitschrift „N<strong>at</strong>ure“, sondern<br />
wird bis heute gern zitiert.<br />
Jedoch nicht erwähnt werden auch noch andere<br />
getestete Sprachaufgaben, die sich als<br />
neg<strong>at</strong>iv herausstellten. Es gab keine Unterschiede<br />
in der Orthographie und bei der Erkennung<br />
von Wortpaaren.<br />
22 <strong>junge</strong> <strong>wirtschaft</strong> <strong>wien</strong><br />
Diese Arbeit steht nach mehr als zehn Jahren<br />
Publik<strong>at</strong>ionen gegenüber, bei denen keine<br />
Unterschiede in der Verteilung der Aktivierungsmuster<br />
zu finden sind. 1999 blieb Julie<br />
Frost mit KollegInnen bei 50 Männern und<br />
50 Frauen erfolglos. Ebenso konnte 2004 Iris<br />
Sommer mit KollegInnen bei 442 Frauen und<br />
377 Männern keine Geschlechterunterschiede<br />
feststellen.<br />
Die Streuung und Variabilität innerhalb einer<br />
Geschlechtergruppe ist weitaus größer,<br />
sodass keine eindeutige Geschlechterdifferenz<br />
auszumachen sei. Unterschiede innerhalb<br />
der Spezies Mensch sind viel größer als<br />
geschlechtsspezifische. Der Vergleich von<br />
Hirngewichten bekannter Wissenschafter<br />
und Liter<strong>at</strong>en des 19. und 20. Jahrhun-<br />
derts zeigt, dass beispielsweise jenes von<br />
Weltphysiker Albert Einstein als nur durchschnittlich<br />
einzustufen ist.<br />
angeBoRen odeR aneRzogen?<br />
Auch soziale Einflüsse verändern kognitive<br />
Leistungen. Sowohl die Erfahrung als auch<br />
Training verändern die Gedächtnisleistung.<br />
Man führte eine Studie mit über 3000 japanischen,<br />
kanadischen und deutschen<br />
Studentinnen und Studenten durch, in der<br />
die mentale Rot<strong>at</strong>ion getestet wurde. Fazit:<br />
sowohl Männer als auch Frauen mit n<strong>at</strong>urwissenschaftlichen<br />
und technischen Fächern<br />
schnitten besser ab als Studierende der Geistes-<br />
und Sozialwissenschaften. Eins steht<br />
jedoch fest: Die räumlichen Leistungen bei<br />
Frauen im Verlauf des Menstru<strong>at</strong>ionszyklus<br />
schwanken.<br />
Auch als Rechenkünstler waren beide Geschlechter<br />
scheinbar gleichrangig. Jedoch<br />
das CT enthüllte anderes. Frauen sind die<br />
besseren Zahlenakrob<strong>at</strong>en. Bei den männlichen<br />
Spitzenrechnern glühten die Schläfenlappen<br />
regelrecht vor Aktivität. Bei allen<br />
anderen – auch bei den Spitzenrechnerinnen<br />
– waren die Areale nur m<strong>at</strong>t. Dies zeigt, dass<br />
Frauen bestimmte Aufgaben ähnlich, jedoch<br />
auf verschiedenen Wege und in unterschiedlichen<br />
Regionen lösen. Die Gehirne beider Geschlechter<br />
arbeiten anders, nicht aber besser<br />
oder schlechter. So lässt sich nicht vorhersagen,<br />
ob ein Mann oder eine Frau eine Firma<br />
besser führen kann.<br />
geSchlechteRSPezifiSche KliScheeS<br />
Vorurteile können kognitive Leistungen beeinflussen.<br />
Allein der Hinweis, dass Frauen<br />
bei räumlichen Aufgaben schlechter ab-<br />
Unterschiede innerhalb der Spezies Mensch sind viel<br />
größer als geschlechtsspezifische.<br />
schneiden, führt zu einer deutlichen Verschlechterung<br />
der weiblichen Leistungen.<br />
Aktuelle Arbeiten zeigen einen größeren<br />
Einfluss von sozialen als von biologischen<br />
Faktoren! Auch ist uns die Plastizität des<br />
Gehirns heute bekannt. Dynamisch wird unser<br />
Gehirn ständig verändert und an neue<br />
Erfahrungen angepasst. Abhängig von den<br />
verarbeiteten Inform<strong>at</strong>ionen werden die<br />
Nervenzellen bzw. Synapsen stabilisiert, ab-<br />
und umgebaut. Diesem ständigen „Umbau“<br />
des Gehirns haben wir auch die Fähigkeit<br />
des lebenslangen Lernens zu verdanken. So<br />
wird auch dein Gehirn, liebe Leserin und<br />
liebe Leser, nach dem Lesen dieses Artikels<br />
anders aussehen als davor. Sowohl bei Mann<br />
als auch bei Frau. Das Gehirn hält sich nicht<br />
an Vorschriften der N<strong>at</strong>ur oder Kultur. Und<br />
lässt sich nicht in ein Geschlechterkorsett<br />
zwängen. Es gibt weder ein männliches<br />
noch ein weibliches Gehirn. Auch kein Unisex-Gehirn.<br />
Jedes Gehirn ist einzigartig!<br />
© Shutterstock