Ausgabe 1/2012 (PDF) - Law Journal
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14 Heft 1/<strong>2012</strong> Bucerius <strong>Law</strong> <strong>Journal</strong><br />
Sonnenberg, Tarifliche Altersgrenzen<br />
struktur dient. 77 Künftig wird man sich verstärkt auf andere<br />
Argumentationslinien wie etwa die Verteilung von Beschäftigungschancen<br />
stützen müssen.<br />
E. Fazit<br />
Es bleibt festzuhalten: Die deutsche Rechtsprechung bot zur<br />
Frage der Rechtmäßigkeit tariflicher Altersgrenzen von Piloten<br />
bislang ein einheitliches Bild, welches durch unionsrechtliche<br />
Neuerungen nun ins Wanken geraten ist.<br />
Der Argumentationslinie des BAG ließ sich von jeher entgegnen,<br />
dass das fortwährend zitierte Sicherheitsrisiko sich nicht<br />
auf gerontologische Beweise stützen lässt. Dies hat nun auch<br />
der EuGH bemängelt. 78 Pauschale und starre Altersgrenzen<br />
mögen das Dilemma der Luftfahrtbranche vereinfachen; sie<br />
sind aber – jedenfalls unterhalb des allgemeinen Renteneintrittsalters<br />
– angesichts des primärrechtlichen Verbots der<br />
A. Einleitung<br />
Sprache ist die notwendige Form des Rechts. Auch wenn<br />
man nicht bis zu der Behauptung gehen muss, Recht sei<br />
nichts anderes als Sprache, ist dennoch klar, dass Recht als<br />
soziales Ordnungssystem maßgeblich auf Verhaltenskoordination,<br />
folglich auf Kommunikation und Sprache angewiesen<br />
ist. Auf einen ersten Blick scheint also eine möglichst präzise<br />
Sprache erstrebenswert, um Rechte und Pflichten möglichst<br />
unzweifelhaft darstellen und den Normadressaten in seinen<br />
Handlungen anleiten zu können.<br />
Spätestens seit der Arbeit Wittgensteins aber hat sich eine allgemein<br />
skeptische Grundhaltung über die Grenzen der Verbindlichkeit<br />
und Exaktheit von Sprache etabliert; die Illusion<br />
einer semantisch präzise darstellbaren Welt ist – sollte sie je<br />
existiert haben – längst zerflossen. 1 Sprache ist per se ungenau,<br />
Worte und Begriffe sind in aller Regel unbestimmt.<br />
Hierbei lässt sich Vagheit grob als die Grenzenlosigkeit von<br />
Begriffen skizzieren und stellt die regelmäßig problematischste<br />
Spielart sprachlicher Unbestimmtheit dar. 2<br />
In der Tat stellt die Erkenntnis solcher Unbestimmtheit den<br />
stets um einen präzisen Sprachgebrauch bemühten Juristen<br />
vor eine Herausforderung; der Umgang mit unklaren Begriffen<br />
ist nichts weniger als das tägliche Brot vieler (Revisions-<br />
)Gerichte und Rechtsstudenten. 3 Gerade weil Sprache eine<br />
höchst prominente Stellung im Rechtssystem einnimmt, verlangt<br />
ihm die Erkenntnis ihrer Unbestimmtheit – und vornehmlich<br />
ihrer Vagheit – eine Antwort ab.<br />
Daher soll im Folgenden eine Untersuchung der Implikationen<br />
von Vagheit im Recht unternommen werden. Wegen der<br />
grundsätzlichen Bedeutung und Weite des Themas ist die Untersuchung<br />
in zwei Teilbeiträge gegliedert. Im ersten Teil soll<br />
ausgehend von Begriffsbestimmung und Kategorisierung (B)<br />
beschrieben werden, wie sich Vagheit im Recht auswirkt (C).<br />
Im zweiten Teil (BLJ 2/<strong>2012</strong>) werden außerrechtliche Ansätze<br />
zur Erklärung von Vagheit dargestellt und in ihrer Übertragbarkeit<br />
auf rechtliche Folgefragen diskutiert (D). Darauf<br />
Philipp Lassahn, Hamburg *<br />
Vagheit im Recht – Recht und Sprache<br />
Altersdiskriminierung nicht haltbar.<br />
Neben seiner rechtlichen Dimension weist die Frage der Altersgrenze<br />
für Piloten auch eine gesellschaftspolitische Kehrseite<br />
auf: Darf man ältere Arbeitnehmer pauschal als Sicherheitsrisiko<br />
stigmatisieren? In einer spektakulären Notlandung<br />
auf dem Hudson stellte Pilot Chesley Sullenberger jüngst<br />
eindrücklich unter Beweis, dass man auch mit 57 Jahren noch<br />
Wunder vollbringen kann. 79 Ein gewisses Restrisiko wird<br />
sich jedoch nie ausschließen lassen. Nur eines bleibt schlussendlich<br />
gewiss: Das letzte Wort in puncto Altersdiskriminierung<br />
hat der EuGH.<br />
77 Vgl. BAGE 128, 238.<br />
78 EuGH, Rs. C-447/09 – Prigge, Urt. v. 13.9.2011, Rn. 74.<br />
79 Sog. Wunder vom Hudson, vgl. Gelinsky, FAZ:<br />
www.faz.net/artikel/S30176/notlandung-im-hudson-river-hoellisch-gut-<br />
30100394.html, Stand: 20.3.<strong>2012</strong>.<br />
aufbauend wird untersucht, wie sich der Umgang mit Vagheit<br />
im rechtlichen Entscheidungsprozess rechtsstaatlich legitimieren<br />
und schlüssig begreifen lässt (E). Im Anschluss wird<br />
eine Behandlung der Frage folgen, ob Vagheit im Recht ein<br />
eigenständiger Wert zukommt oder ob sie lediglich als ein in<br />
Kauf zu nehmendes Übel angesehen werden kann (F).<br />
B. Vagheit als sprachliches Phänomen<br />
Zunächst ist also zu präzisieren, welche sprachlichen Erscheinungen<br />
mit dem Begriff Vagheit beschrieben werden<br />
sollen und in welcher Weise sich diese Erscheinungen systematisieren<br />
lassen.<br />
I. Begriffsbestimmung und Abgrenzung<br />
Begriffe können in mehrerlei Hinsicht unbestimmt sein. Unbestimmtheit<br />
kann verstanden werden als die Eigenschaft eines<br />
Begriffes, eine exakte Bedeutung nicht oder nicht ohne<br />
weiteres – erst recht nicht anhand des nackten Sprachzeichens<br />
– preiszugeben. 4 Sie lässt sich unterteilen in die Erscheinungsformen<br />
Generalität, Ambiguität, und Vagheit.<br />
Generalität beschreibt die Eigenschaft eines Begriffes, als<br />
übergeordnete Kategorie fungieren zu können, sich mithin<br />
auf eine Vielzahl von Sacharten oder Situationen anwenden<br />
zu lassen. So kann etwa der Begriff „Buch“ Sachbücher, Romane,<br />
Kinderbücher usw. erfassen. 5<br />
Ambiguität meint dagegen die Eigenschaft eines Begriffes,<br />
verschiedene Bedeutungsvarianten in sich zu tragen, wobei<br />
die adäquate bzw. vom Sprecher intendierte Bedeutung sich<br />
* Der Autor ist Student an der Bucerius <strong>Law</strong> School, Hamburg.<br />
1 So entbehren selbst auf binär strukturierten Vorstellungen beruhende<br />
Konzepte wie etwa der Tod eines Menschen konsensfähiger Definitionen,<br />
s. etwa Quante, Zeitschrift für Philosophische Forschung 1995, 167 ff.<br />
2 Vgl. Pinkal, Vagheit und Ambiguität, S. 250, 264 ff.; Solan, Vagueness<br />
and Ambiguity, S. 73, 79 ff.<br />
3 Poscher, Ambiguity and Vagueness, S. 2.<br />
4 S. auch Pinkal, Vagheit und Ambiguität, S. 250, 251 f.<br />
5 Vgl. Poscher, Ambiguity and Vagueness, S. 6; Sennet, Ambiguity.