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Ausgabe 1/2012 (PDF) - Law Journal

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Bornemann, Früheuthanasie Bucerius <strong>Law</strong> <strong>Journal</strong><br />

Heft 1/<strong>2012</strong><br />

stelltes Gremium von juristischen und medizinischen Repräsentanten,<br />

diesmal nicht nur im Rang einer Empfehlung, sondern<br />

einer Leitlinie. 64<br />

Drittens, über das Feld der Früheuthanasie hinausgehend,<br />

wird eine Hinterfragung des jetzigen Abtreibungsrechts, insbesondere<br />

der sog. Spätabtreibung, und des Beginns des absoluten<br />

Lebensschutzes erforderlich. Durch die dargestellten<br />

Regelungen zur Früheuthanasie wird dem Neugeborenen –<br />

und zwar selbst dem überlebensunfähigen weil unterentwickelten<br />

Neugeborenen – das absolute Höchstmaß an Subjektqualität<br />

zugesprochen. Vor diesem Hintergrund ist es schwer<br />

zu erklären, wieso ein noch ungeborenes Kind, das aufgrund<br />

seines Entwicklungsstandes außerhalb des Mutterleibes (jedenfalls<br />

vorübergehend) überlebensfähig wäre, nicht den<br />

selben Schutz erfährt wie ein gleich entwickeltes, aber bereits<br />

geborenes Kind, sondern im Rahmen des sogenannten „Fetozids“<br />

straflos getötet werden darf. Polemisch formuliert ließe<br />

sich fragen, wie es sich rechtfertigen lässt, dass bei einem<br />

zumindest vorübergehend selbständig überlebensfähigen Fötus<br />

das einzige, was zwischen ihm und der Anerkennung als<br />

vollwertiges Subjekt steht, die Bauchdecke der Mutter ist.<br />

Somit wäre eine Vorverlagerung des Beginns des absoluten<br />

Lebensschutzes jedenfalls auf den Zeitpunkt, ab dem das<br />

Kind zumindest vorübergehend unabhängig von der Mutter<br />

überleben kann, nur konsequent. 61<br />

III. Abschluss<br />

Bei der Formulierung juristischer Regelungen sollte immer<br />

der Eingangsfall im Blick behalten werden. Dieser wurde<br />

gewählt, um die Tiefe der Unsicherheiten und Schwierigkeiten<br />

zu verdeutlichen. Rechtswissenschaft und Medizin kön-<br />

nen zwar versuchen, Entscheidungshilfen zu formulieren und<br />

ein schlüssiges System zu formen, in dessen Rahmen sich<br />

bewegt werden darf. Innerhalb dieses Systems kann den Eltern<br />

aber nie vorgegeben werden, welche Behandlungsentscheidung<br />

mit Sicherheit richtig ist. Im Fall Andrew Stinson<br />

sprachen die extremen Krankheits- und Schmerzzustände gegen<br />

eine Lebens- und Leidensverlängerung. Ihnen gegenüber<br />

stand die anfängliche Unsicherheit über den tatsächlich letalen<br />

Ausgang des Krankheitsverlaufes, für die Behandlung<br />

sprach also die Hoffnung auf ein späteres Leben.<br />

Wie würde das Kind seinen Wunsch formulieren, wenn es<br />

könnte? 62 – so die entscheidende Frage, die letztlich ein<br />

Wahrscheinlichkeitsurteil ist und bei der die Chance, falsch<br />

zu liegen, immer zu hoch ist. Den Eltern ist wahrlich unerträglich<br />

viel zugemutet mit einer, wie Merkel treffend formuliert,<br />

„Aufgabe einer Entscheidungsethik der Unsicherheit,<br />

der Zweideutigkeiten und des Umgangs mit einer manchmal<br />

unvermeidlichen moralischen Schuld“. 63<br />

Um die erdrückende Last des Zweifels an der Richtigkeit der<br />

Entscheidung zu lindern, bedarf es auf weltlicher Seite der<br />

Bestätigung durch Ärzte und Gerichte. Auf transzendentaler<br />

Seite bedarf es eines gnädigen Gottes. 64<br />

61 So auch, unter Formulierung ähnlicher Gedankengänge, Gropp,<br />

GA 2000, 1, 10 ff.; auch Merkel, JZ 1996, 1145, 1152 hält das Entstehen<br />

des für ihn maßgeblichen „Lebensinteresses“ schon deutlich vor der Geburt<br />

für möglich, führt den Gedankengang aber nicht im Hinblick auf<br />

(Spät-)Abtreibungen weiter.<br />

62 Eine Frage, die sich vor dem Hintergrund der hier gemachten Ausführungen<br />

ganz anders darstellt als bei Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 565.<br />

63 Merkel, JZ 1996, 1145, 1155.<br />

64 Zum Gedankengang vertiefend Bonhoeffer, Ethik 3 , 2010, S. 275 ff.<br />

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