Ausgabe 1/2012 (PDF) - Law Journal
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Heidorn, Diskriminierung Bucerius <strong>Law</strong> <strong>Journal</strong><br />
Heft 1/<strong>2012</strong><br />
untrennbar miteinander verbunden“ 33 seien.<br />
Allerdings wird zurecht darauf verwiesen, dass Art. 3 III GG<br />
eine abschließende Aufzählung der verpönten Merkmale<br />
enthält, zu der die Geschlechtsrolle gerade nicht gehört. 34 Für<br />
eine Gleichsetzung von Geschlecht und Geschlechtsrolle<br />
wird keine überzeugende Begründung genannt.<br />
Festzuhalten ist, dass der Wortlaut wegen ein formales Anknüpfungsverbot<br />
nahelegt und damit gegen eine Einordnung<br />
der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 III GG spricht.<br />
2. Historie<br />
Art. 3 III GG wurde vor dem Hintergrund der Erfahrungen<br />
des Nationalsozialismus formuliert. Aus diesem Umstand<br />
wird teilweise auf einen weiten Anwendungsbereich der Vorschrift<br />
geschlossen. 35 Sie müsse dazu dienen, Umgehungen<br />
jeder Art von Diskriminierung zu begegnen, um der deutlichen<br />
Abkehr von der jüngeren Vergangenheit Ausdruck zu<br />
verleihen. 36 Dieses „Schutzbedarfsargument“ führt jedoch<br />
nicht weiter, da auch durch eine Zuordnung zu Art. 3 II GG<br />
ausreichender Schutz gewährleistet werden könnte.<br />
3. Systematik und Telos<br />
Der Zweck des Art. 3 III GG liegt darin, „jedem die rechtliche<br />
Möglichkeit zu erhalten oder(…) zu verschaffen, in Freiheit<br />
über die Austauschbarkeit der Merkmale des Art. 3 III<br />
GG (...) zu entscheiden.“ 37 Angehörige von Gruppen, die in<br />
der Vergangenheit typischerweise Willkürakten ausgesetzt<br />
waren, sollen rechtlich gleichgestellt werden. 38<br />
Da es sich bei Art. 3 III GG um eine vom allgemeinen Prinzip<br />
abweichende Vorschrift handelt, ist grundsätzlich eine<br />
enge Auslegung geboten, die außerhalb der verpönten Merkmale<br />
liegenden Wertungen keinen Raum lässt. 39 Ihren<br />
Schutzzweck kann die Norm am effektivsten erfüllen, wenn<br />
sie als „zeitlos, objektiv, neutral und symmetrisch“ 40 wirkendes<br />
absolutes Diskriminierungsverbot interpretiert wird.<br />
Nach überwiegender Auffassung ist eine Rechtfertigung einer<br />
unmittelbaren Diskriminierung demnach zwar nicht vollkommen<br />
unmöglich, bedarf aber einer Legitimation durch<br />
kollidierendes Verfassungsrecht. 41 Für das Merkmal des Geschlechts<br />
ist die Möglichkeit einer rechtlichen Differenzierung<br />
für den Fall anerkannt, dass diese „zur Lösung von<br />
Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern<br />
oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich“ 42<br />
ist.<br />
„Aufweichungen“ 43 vom absoluten Differenzierungsverbot<br />
müssen auf ein Minimum reduziert werden, um einen Verlust<br />
der Stringenz des Art. 3 III GG zu vermeiden.<br />
Eine solche „Aufweichung“ wäre aber der bereits den Wortlaut<br />
des Art. 3 III GG stark strapazierende Einbezug der mittelbaren<br />
Diskriminierung:<br />
Die Verortung des Rechtsinstituts in Art. 3 III GG bedeutete<br />
nämlich die Anerkennung einer an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit<br />
und damit an Sachgerechtigkeitsmaßstäben<br />
ausgerichteten Rechtfertigungsprüfung (s.o.) innerhalb dieses<br />
Absatzes. Eine abwägende Diskussion darüber, ob das Geschlecht<br />
Grund für eine Benachteiligung oder Bevorzugung<br />
sein kann, soll den Trägern öffentlicher Gewalt durch Art. 3<br />
III GG aber gerade verboten sein. 44<br />
Die Aufweichungsgefahr wird verstärkt durch die Unsicherheiten<br />
bezüglich der tatbestandlichen Anforderungen an die<br />
mittelbare Diskriminierung. Wie groß muss der betroffene<br />
Anteil überhaupt sein, damit wir von mittelbarer Diskriminierung<br />
sprechen? Der oben erwähnte Beschluss des BVerfG<br />
schafft diesbezüglich keine Klarheit: Danach müssen die<br />
Rechtsfolgen „weitgehend für eine Gruppe“ 45 zutreffen, dann<br />
wiederum ist von „überwiegend(er)“ 46 Betroffenheit die Rede.<br />
47 Einigkeit herrscht lediglich darüber, dass ein Anteil von<br />
75% ausreicht. 48<br />
Doch selbst wenn sich in der Rechtsprechung konkrete prozentuale<br />
Richtwerte herausbilden würden, bliebe das Problem,<br />
dass die unverhältnismäßig stärkere Betroffenheit nicht stets<br />
auf der Hand liegt. 49 Sie müsste stattdessen durch ein aufwendiges<br />
statistisches Verfahren empirisch konstatiert werden.<br />
50 Die Einbeziehung einer solch konturenarmen Rechtsfigur<br />
in die Struktur des Art. 3 III GG würde folglich dessen Stringenz<br />
als absolutes Verbot in Frage stellen und damit den effektiven<br />
Schutz vor unmittelbarer Diskriminierung gefährden.<br />
Die Befürworter verweisen auf den materiell-rechtlichen<br />
Schutzgehalt des Diskriminierungsverbots. Da mittelbare<br />
Diskriminierung mitunter sehr ähnliche Effekte für die Betroffenen<br />
habe, müsse sie von Art. 3 III GG erfasst sein. 51<br />
Es ist zutreffend, dass mittelbar diskriminierende Regelungen<br />
in manchen Fällen ähnlich nachteilige Wirkungen entfalten<br />
wie unmittelbar diskriminierende Regelungen. Dies spricht<br />
aber nicht zwingend für eine Zuordnung zu Art. 3 III GG, solange<br />
ein wirksamer Schutz durch Art. 3 II GG gewährleistet<br />
werden kann.<br />
III.Mittelbare Diskriminierung als Verstoß gegen Art. 3<br />
II GG?<br />
1. Verhältnis zwischen Art. 3 III und Art. 3 II GG<br />
Ist für die mittelbare Diskriminierung Art. 3 III GG nach der<br />
hier vertretenen Auffassung nicht einschlägig, so kommt eine<br />
Verortung in Art. 3 II GG nur dann in Betracht, wenn diese<br />
Vorschrift nicht lediglich den Inhalt des Art. 3 III GG hinsichtlich<br />
des Merkmals Geschlecht wiederholt. 52 Es geht bei<br />
33<br />
Wisskirchen (Fn. 2), S. 62, die Art. 3 III GG „im Lichte des Gleichberechtigungsgrundsatzes“<br />
interpretiert und deshalb Art. 3 III GG eine gruppenbezogene<br />
Dimension zuspricht.<br />
34<br />
So Traupe (Fn. 1), S. 291/292.<br />
35<br />
Engler (Fn. 4), S. 126;Fuchsloch (Fn. 13), S. 142.<br />
36<br />
Fuchsloch (Fn. 13), S. 142.<br />
37<br />
Dürig, in: Maunz/Dürig (Fn. 29), Art. 3 Abs. 3 GG Rn. 142.<br />
38<br />
Sachs (Fn. 1), Rn. 77.<br />
39<br />
Rüfner (Fn. 26), S. 331, 334 f.; Traupe (Fn. 1), S. 266.<br />
40<br />
Sacksofsky (Fn. 12), S. 339.<br />
41 5<br />
Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht , 2008, S. 106; BVerfGE 114, 357, 364.<br />
42<br />
BVerfGE 85, 191.<br />
43<br />
Ebsen, RdA 1993, 11, 13.<br />
44<br />
Rüfner, in: Bonner Kommentar (Fn. 23), Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 540;<br />
Sachs (Fn. 1), Rn. 77.<br />
45<br />
BVerfGE 121, 241, 254.<br />
46<br />
BVerfGE, 121, 241, 254.<br />
47<br />
Als „irritierend“ bezeichnet auch Sachs die in dem Beschluss verwendete<br />
uneinheitliche Terminologie, s. Sachs, JuS 2008, 1014, 1015.<br />
48 10<br />
Kischel, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar ,<br />
2011, Art. 3 GGRn. 165.<br />
49<br />
Pfarr, NZA 1986, 585, 586.<br />
50<br />
Slupik (Fn. 2), S. 99.<br />
51<br />
Vgl. Fuchsloch (Fn. 13), S. 144.<br />
52<br />
Würde man hingegen eine Verortung in Art. 3 III GG bejahen, so wäre die<br />
mittelbare Diskriminierung auch von Art. 3 II erfasst, es sei denn, man<br />
ginge von einem engeren Anwendungsbereich des Art. 3 II GG gegenüber<br />
Art. 3 III GG aus.<br />
22