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Ausgabe 1/2012 (PDF) - Law Journal

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2 Heft 1/<strong>2012</strong> Bucerius <strong>Law</strong> <strong>Journal</strong><br />

Datenschutz, Gastbeitrag<br />

den Rechtsschutz verbessern. Doch auch der Weg der Indivi-<br />

dualbeschwerde vor dem EGMR kann die durch eine Vollhar-<br />

monisierung aufgerissene Rechtsschutzlücke nicht schließen.<br />

Zu groß sind die Beurteilungsspielräume, die von den Richtern<br />

in Straßburg den Vertragsparteien regelmäßig eingeräumt<br />

werden; zu wenig ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit der<br />

Kontrolldichte durch das Bundesverfassungsgericht vergleich-<br />

bar. Schließlich gewährleistet die EMRK lediglich einen Min-<br />

deststandard für die 47 Mitgliedstaaten des Europarates, wo-<br />

rauf auch Masing zu Recht hinweist. Ein ansatzweise gleich-<br />

wertiger Ersatz zur Verfassungsbeschwerde vor dem Bundes-<br />

verfassungsgericht ist daher nicht in Sicht. Das stimmt bedenk-<br />

lich.<br />

Problematisch ist ebenfalls, dass ein vollständiger Verzicht auf<br />

die nationalen Grundrechte der Mitgliedstaaten die inhaltliche<br />

Fortentwicklung des Datenschutzgrundrechts auf europäischer<br />

Ebene bremsen, ja sogar zu einer Absenkung des Schutzni-<br />

veaus führen könnte. Bis die Europäische Union ihre endgülti-<br />

ge Gestalt einer Grundrechteunion gefunden hat, bedarf die<br />

Schaffung hoher Grundrechtsstandards in einem Mehrebenen-<br />

system wie der Europäischen Union der Kooperation der Ge-<br />

richte. Die Gerichte in der Europäischen Union müssen im<br />

Austausch miteinander stehen, sich gegenseitig inspirieren, ja<br />

auch – wenn nötig – Druck aufeinander ausüben. Manch dip-<br />

lomatischer Spannungen zum Trotz: Dem europäischen<br />

Grundrechtsschutz hat die Solange-Rechtsprechung des Bun-<br />

desverfassungsgerichts nicht geschadet – im Gegenteil.<br />

Ein solcher grundrechtlicher Qualitätswettbewerb ist auch im<br />

Bereich der persönlichen Daten weiterhin nötig. Denn das<br />

Grundrecht auf Datenschutz in Art. 8 der Grundrechtecharta<br />

enthält durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-<br />

hofs bisher lediglich erste Konturen; diese sind jedoch bislang<br />

nur fragmentarisch und es wird dauern, bis die Gewährleistun-<br />

gen des Unionsgrundrechts einen mit dem Recht auf informa-<br />

tionelle Selbstbestimmung vergleichbaren Grad der Ausdiffe-<br />

renzierung erlangt haben wird.<br />

Die bisherigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs<br />

zu Art. 8 Grundrechtecharta zeugen von den Verflechtungen<br />

der Ebenen, wenn sich die Richter in Luxemburg an EGMR-<br />

Entscheidungen orientieren oder Generalanwälte dogmatische<br />

Ansätze des Bundesverfassungsgerichts zur informationellen<br />

Selbstbestimmung auf Art. 8 Grundrechtecharta anwenden.<br />

Auch ist die Entwicklung der Unionsgrundrechte darauf ange-<br />

wiesen, dass nationale Gerichte im Vorabentscheidungsverfah-<br />

ren nach Art. 267 AEUV den nationalen grundrechtsdogmati-<br />

schen acquis einfließen lassen. Aufgrund der Offenheit des<br />

textlichen Befunds in Art. 8 der Grundrechtecharta erscheint<br />

dies methodisch vertretbar, ja geradezu geboten.<br />

Nur, immer neue technische Möglichkeiten erfordern immer<br />

neue verfassungsrechtliche Antworten. Wenn dem nationalen<br />

Grundrechtsschutz im Bereich der persönlichen Daten aber<br />

kein Anwendungsbereich mehr verbleibt, wie soll den nationa-<br />

len (Verfassungs-)Gerichten dann auch in Zukunft eine solche<br />

Inspirationsfunktion zukommen? Durch eine Vollharmonisie-<br />

rung würde diese Quelle versiegen.<br />

Das von der Kommission avisierte Zeitfenster von einem Jahr<br />

für die Verhandlungen des Verordnungsvorschlages ist ehrgei-<br />

zig eng gesteckt. Zu eng. Gerade das Ziel einer EU-<br />

Datenschutzverordnung, das Grundrecht auf Datenschutz auf<br />

einem hohen Niveau zu gewährleisten, verlangt eine sorgfälti-<br />

ge Auseinandersetzung mit den Folgen einer Vollharmonisie-<br />

rung für einen effektiven Grundrechtsschutz. Die Verpflich-<br />

tung im Rat darauf hinzuwirken, dass der derzeit durch das<br />

Grundgesetz gewährleistete Grundrechtsschutz auch bei einer<br />

Regelung auf EU-Ebene mindestens gewahrt bleibt, ergibt sich<br />

aus Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes. Vor diesem Hintergrund<br />

erscheint es notwendig, darauf hinzuwirken, dass dem nationa-<br />

len Datenschutzgrundrecht ein Anwendungsbereich verbleibt.

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