Ausgabe 1/2012 (PDF) - Law Journal
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4 Heft 1/<strong>2012</strong> Bucerius <strong>Law</strong> <strong>Journal</strong><br />
Hocke, Lex Mercatoria<br />
ein eigener Stand von Kaufleuten heraus, der Handelsstand. 23<br />
Wichtige Entwicklungen, wie die Verbesserung der Schifffahrt<br />
und der Infrastruktur, eine weiter verbreitete Alphabetisierung,<br />
der Wechselbrief 24 und die doppelte Buchführung<br />
beschleunigten die Entwicklung des Handelsstandes, vor allem<br />
in Norditalien. 25<br />
Die Entdeckung Amerikas führte im 16. Jahrhundert zu einer<br />
Verlagerung der Handelszentren vom Mittelmeer an den Atlantik.<br />
Italien trat im Welthandel in den Hintergrund. 26 Private<br />
Kaufleute verloren in der beginnenden Neuzeit an Einfluss.<br />
Stattdessen führte der Aufstieg des Territorialstaats zur<br />
Schaffung staatlicher Handelskompagnien, welche den Überseehandel<br />
bis in das 19. Jahrhundert kontrollierten. 27 Der innereuropäische<br />
und der asiatisch-europäische Handel wurden<br />
hingegen auch in der beginnenden Neuzeit von privaten<br />
Kaufleuten durchgeführt.<br />
3. Städte, Märkte, Gilden und die Hanse<br />
Alleine konnte ein Kaufmann keinen Handel betreiben. Nur<br />
durch die Plattform der Stadt konnte der Handel effektiv gestaltet<br />
werden. Städte boten den Kaufleuten mit ihren Messen<br />
und Märkten die Plattform für ihren Handel und beherbergten<br />
die Zusammenschlüsse von Kaufleuten, die Gilden.<br />
Stadt- und Marktrechte, sowie Gildensatzungen waren die<br />
Regeln, in die kaufmännisches Gewohnheitsrecht inkorporiert<br />
wurde. Deshalb sollen diese Institutionen erläutert<br />
werden.<br />
Stadtrecht war das allgemeine, von ihr gesetzte Recht einer<br />
Stadt. 28 Die Fähigkeit zur autonomen Rechtssetzung der Stadt<br />
gründete sich auf das königliche Interesse am Schutz von<br />
Kaufleuten und Märkten. 29 Stadtrechte enthielten deshalb viele<br />
handelsrechtliche Regelungen, das sogenannte kaufmännische<br />
Stadtrecht. 30 Nun waren Stadtrechte nicht paralegal,<br />
sondern hoheitlich. Nichtsdestotrotz wurden die Stadtrechte<br />
erheblich vom Handelsstand beeinflusst, 31 die kaufmännischen<br />
Stadtrechte von „(...) seinen Bedürfnissen und seinen<br />
Überzeugungen (...) geschaffen.“ 32 Erst durch die nationalstaatlichen<br />
Kodifikationen des 19. Jahrhunderts verloren die<br />
Stadtrechte schließlich ihre Bedeutung. 33<br />
In den Städten wurden die gewerblich erzeugten Waren auf<br />
Märkten und Messen vertrieben. 34 Dieser Warenvertrieb war<br />
ein wichtiger Anlass für die Herausbildung des Sonderrechts<br />
der Kaufleute. 35 Aus dem Bedürfnis heraus, dass sich die<br />
Kaufleute nicht auf jeder Messe auf neue Regeln einstellen<br />
wollten, erwuchs eine gewohnheitsrechtliche Einheit der Geschäftsabwicklung.<br />
36 Doch reglementierte die Obrigkeit<br />
Märkte und Messen auch; z.B. hinsichtlich Öffnungszeiten,<br />
Zollabgaben und dem vorgeschriebenen Einsatz von Maklern.<br />
37<br />
Um der Obrigkeit gegenüber ihre Interessen wirksam zu vertreten,<br />
schlossen sich Kaufleute zu Gilden 38 zusammen. 39<br />
Diese waren durch ihre Gildestatute organisiert, welche auch<br />
besondere Streitschlichtungsmechanismen beinhalteten. 40 In<br />
den Gilden bündelte sich der erhebliche Einfluss, welcher den<br />
Kaufleuten in den spätmittelalterlichen Städten durch ihren<br />
Reichtum zuteil wurde. 41 Deshalb wurden die Gilden oft an<br />
der Verwaltung der Stadt beteiligt. 42 Durch den Einfluss der<br />
Gilden konnten die Kaufleute ihren Gewohnheitsregeln mehr<br />
Geltung verleihen. 43 In der Neuzeit verringerte sich schließlich<br />
die Bedeutung der Gilden, bis sie verschwanden. Ihre<br />
Ausläufer finden sich heutzutage aber noch in mitteleuropäi-<br />
schen Genossenschaften, Sterbekassen und gesellschaftlichen<br />
Vereinigungen. 44<br />
Der bekannteste Zusammenschluss von Kaufleuten des Mittelalters<br />
war die Hanse. Sie regelte den Handel über große<br />
Teile des Nord- und Ostseeraums vom 12. Jahrhundert bis in<br />
die Neuzeit. Wichtige Hafenstädte, wie Bremen, Danzig,<br />
Hamburg, Lübeck, Riga, Stockholm und Visby, sowie Binnenstädte<br />
wie Braunschweig oder Köln waren Mitglieder. Als<br />
Handelsgemeinschaft konzipiert, wurde das Recht zum Bindeglied<br />
zwischen den Hansestädten. 45 Gewohnheitsrechte der<br />
Kaufleute wurden in vielen Hansestädten parallel rezipiert.<br />
Zusätzlich wurden auf den Hanserezessen, den Versammlungen<br />
der Hansestädte, seit 1365 gemeinsame seerechtliche<br />
Normen verabschiedet, 46 welche schließlich im Hansischen<br />
Seerecht von 1614 mündeten. Diese Normen entsprangen den<br />
Gewohnheiten des hanseatischen Handelsstandes, denn Rezessenteilnehmer<br />
waren nicht Adelige, sondern einflussreiche<br />
hanseatische Kaufleute und Reeder. 47<br />
II. Sachrechtliche historische Sonderregeln<br />
des Handelsstandes<br />
Obwohl sie europaweit Handel betrieben, bestanden für die<br />
Kaufleute seit dem Mittelalter, je nach Sachgebiet, entweder<br />
eine hohe Anzahl verschiedener, oder gar keine Regelungen.<br />
23<br />
Meyer, Bonafides und lex mercatoria in der europäischen Rechtstradition,<br />
1994, S. 57.<br />
24<br />
Siehe für ein Beispiel eines historischen Wechselbriefs Hattenhauer, Europäische<br />
Rechtsgeschichte³, 1999, Rn. 812.<br />
25<br />
Kellenbenz, Albers et al. (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft<br />
– Dritter Band, 1981, S. 762, 763 f.<br />
26<br />
Rehme in: Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrecht –<br />
Erster Band, 1913, S. 28, 178.<br />
27<br />
Kellenbenz (Fn. 25), S. 762, 772 ff. Nur einzelnen autonom agierenden<br />
italienischen und oberdeutschen Kaufleuten gelang es, sich in das transatlantische<br />
Geschäft einzuschalten.<br />
28<br />
Thier in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (Fn. 7), S. 1434.<br />
29<br />
Thier (Fn. 28), S. 1435 f.<br />
30<br />
Eisenhardt (Fn. 11), Rn. 79.<br />
31<br />
Eichler, Lex Mercatoria – das englische Marktrecht des Mittelalters, 2008,<br />
S. 20.<br />
32<br />
Mitchell, An Essay on the Early History of the <strong>Law</strong> Merchant, New York<br />
1904 (zitiert nach Trakman, <strong>Journal</strong> of Maritime <strong>Law</strong> and Commerce<br />
(JMLC), 12 (1980), 1, 5 f.).<br />
33<br />
Thier (Fn. 28), S. 1434, 1437.<br />
34<br />
Siehe für einen historischen Abriss der Entstehung von Märkten Irsigler<br />
in: Dölmeyer/Mohnhaupt (Hrsg.), Das Privileg im europäischen Vergleich<br />
– Band 2, 1999, S. 189, 191 ff.<br />
35<br />
Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, 1986, S. 79.<br />
36<br />
Kappus, „Lex mercatoria“ in Europa und Wiener UN-<br />
Kaufrechtskonvention 1980, 1990, S. 35.<br />
37<br />
Bader/Dilcher (Fn. 22), S. 533 f.<br />
38<br />
Siehe für eine andere, übergreifende Verwendung dieses Begriffs für<br />
Handwerk, Gewerbe und Handel Oexle, Soziale Ordnungen im Selbstverständnis<br />
des Mittelalters, 1979, S. 203 ff.<br />
39<br />
Bader/Dilcher (Fn. 22), S. 507.<br />
40<br />
Stradal in: Erler et al. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte<br />
– I. Band, 1971, S. 1687, 1690.<br />
41<br />
Eisenhardt (Fn. 11), Rn. 31.<br />
42<br />
Stradal (Fn. 40), S. 1687, 1691. Siehe zur Mitgliedschaft von Kaufleuten<br />
in der württembergischen Kommerziendeputation von 1775 Walz in: Das<br />
Privileg im europäischen Vergleich – Band 1 (Fn. 34), S. 419, 425.<br />
43<br />
Santarelli, Mercanti e societàtra mercanti², 1992, S. 47.<br />
44<br />
Stradal (Fn. 40), S. 1687, 1690.<br />
45<br />
Liebrecht in: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts (Fn. 7), S.<br />
812.<br />
46<br />
Landwehr, Das Seerecht der Hanse, 2003, S. 16 ff.<br />
47<br />
Wolf in: Coing (Hrsg.), Handbuch der europäischen Privatrechtsgeschichte<br />
– Erster Band, 1973, S. 517, 543.