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Berliner Spaziergänge - Focus Publishing

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4 <strong>Berliner</strong> <strong>Spaziergänge</strong><br />

Biedermeiers im Mittelpunkt, die mit ihren einfachen Möbeln als Vorläufer der<br />

Moderne gilt. Einfachheit in Wohnkultur und in der Mode, begleitet von einem<br />

auf die Familie beschränkten Leben ist das Thema dieses Romans, das die Waise<br />

Jettchen Gebert inmitten ihrer großbürgerlichen jüdischen Verwandten zeigt.<br />

Georg Hermann, geboren am 7. Oktober 1871 in Berlin und gestorben am<br />

19. November 1943 in Auschwitz, ist einer der bekanntesten jüdischen Autoren<br />

Deutschlands und gilt als wichtiger Vertreter des historischen Romans. Der<br />

Doppelroman Jettchen Gebert/ Henriette Jacoby entstand 1906/08 und beschreibt<br />

die Zeit von Hermanns jüdischen Großeltern während der Biedermeierzeit um<br />

1840. Georg Hermann (Borchert) war Kunsthistoriker wie sein Bruder Rudolf<br />

Borchert, der Entdecker der ägyptischen Nofretete-Statue, die jetzt in Berlin im<br />

Alten Museum steht. Hermann, der selbst Porzellanfiguren des Biedermeiers<br />

sammelte und die Möbel und Kleidermode der Zeit studierte, rekonstruierte<br />

akribisch den historischen Kontext seiner Romane.<br />

Der Textauszug stammt aus dem ersten Teil des Romans Jettchen Gebert, in<br />

dem die achtundzwanzigjährige Jettchen vorgestellt wird. Im Laufe des Romans<br />

verliebt Jettchen sich in den Künstler Kößling, wird aber gegen ihren Willen mit<br />

ihrem Vetter Julius Jacoby verheiratet. Der Roman endet mit Jettchens Flucht<br />

von ihrer eigenen Hochzeit. Im zweiten Teil der Geschichte, Henriette Jacoby,<br />

findet Jettchen Zuflucht bei ihrem Onkel Jason, der sich um eine Aussöhnung<br />

zwischen ihrem verlassenen Mann Julius Jacoby und Kößling bemüht. Doch im<br />

Laufe des zweiten Teils wird klar, dass Jettchen auch mit Kößling nicht glücklich<br />

werden kann, da sie seine Armut und Entschlusslosigkeit nicht teilen will. Als<br />

sie sich zu ihrem Onkel immer mehr hingezogen fühlt, begeht sie Selbstmord,<br />

da sie keinen Ausweg aus ihrem Dilemma sieht.<br />

Jettchen Gebert<br />

Es kann sich wohl kaum noch einer erinnern, wie damals Jettchen<br />

Gebert die Königstraße (1) entlang ging. Staubwolken blies der Wind<br />

vom Alexanderplatz in die Königstraße hinein; und es war so der erste<br />

wirklich schöne blaue Frühlingstag im Jahre. Grade zwischen den Puppen<br />

der Königskolonnaden oben auf dem Dach, zwischen den hastig bewegten<br />

Steinfiguren zogen am Himmel weiße Wölkchen hin. In der Neuen<br />

Friedrichstraße, in den Gärten hinter der Mauer, wurden eben die Bäume<br />

rot und braun; Kätzchen pendelten an den Pappeln (2), und Blütentupfen<br />

überzogen selbst die feinsten Ästchen der Ulmen. Die Fliederbüsche,<br />

die sich über den Zaun bogen, hatten sogar dicke grüne Knospen mit<br />

zackigen Spitzen, die morgen schon aufbrechen wollten. Um den Turm<br />

der Parochialkirche aber flogen, sich jagend und taumelnd wie schwarze<br />

verliebte Schmetterlinge, die Dohlen; und die ganze Klosterstraße herunter

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