00 - Perspektive
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de andrade: manifesto antropófago anke finger<br />
kannibalische depesche<br />
n a c h r i c h t e n v o m b a n k e t t d e r m a n i f e s t e<br />
rache. die wissenschaft als kodifizierte magie.<br />
anthropophagie. die ständige verwandlung von<br />
tabu in totem […] doch es waren nicht kreuzfahrer,<br />
die kamen. es waren flüchtlinge einer zivilisation,<br />
die wir jetzt aufessen, denn wir sind stark und<br />
rachsüchtig wie der jabutí“.<br />
brasilien, die karibik, die tupinambá – tupí, or<br />
not tupí: not the question, but the answer: „gegen<br />
die umkehrbare welt und die objektivierten<br />
ideen. die kadaverisierten. den stop des denkens,<br />
das dynamisch ist. das individuum, als opfer des<br />
systems. quelle der klassischen ungerechtigkeiten.<br />
der romantischen ungerechtigkeiten. und das<br />
vergessen innerer eroberungen“. vorwärts aus<br />
der zivilisation, der katholisch-diktatorischen,<br />
vorwärts aus der beklemmenden kleidung der<br />
eroberer, vorwärts ins brasilianische brasilien =<br />
„der karibische instinkt“. und doch immer wieder<br />
zurück ins vorbildliche europa. die bewegung der<br />
antropofagia (und der brasilianischen moderne)<br />
beginnt im februar 1922 mit der semana de arte<br />
moderna in são paulos stadttheater. und endet mit<br />
odas manifest. sie wirkt sich jedoch bis heute aus,<br />
prägt autorinnen, musikerinnen (tropikalismus),<br />
künstlerinnen in einer zwiespältigen ko-existenz<br />
mit den europäischen und u.s. amerikanischen<br />
–ismen und bewegungen: „was geschieht, ist nicht<br />
eine sublimierung des geschlechtstriebes. es ist<br />
die wärmeskala des anthropophagischen triebes.<br />
erst fleischlich, wird er wählerisch und schafft die<br />
freundschaft. affektiv, schafft er die liebe. spekulativ,<br />
die wissenschaft. er weicht ab und überträgt<br />
sich. wir kommen zu seiner herabwürdigung. die<br />
niedere anthropophagie, angehäuft in den sünden<br />
des katechismus – neid, wucher, verleumdung,<br />
mord. die seuche der sogenannten gebildeten und<br />
christianisierten völker ist es, wogegen wir vorgehen.<br />
die anthropophagen“. lesen sie; fressen sie.<br />
das fressen und gefressen werden einzelner und<br />
mehrerer kulturen als hintergrund und basis<br />
der ästhetischen moderne; das fressen und<br />
gefressen werden der hierarchien und schichten<br />
im beginnenden 20. jahrhundert; das fressen und<br />
gefressen werden von texten und kunstwerken von<br />
texten und kunstwerken – unser fokus in der neuen<br />
kolumne. guten appetit!<br />
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