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PDF 36 - Deutsche Sprachwelt

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AUSGABE <strong>36</strong><br />

Sommer 2009<br />

10. Jahrgang – 2<br />

ISSN1439-8834<br />

(Ausgabe für Deutschland)<br />

Aufgrund der großen Nachfrage<br />

haben wir Aufkleber nachgedruckt!<br />

Seite 5<br />

Sprachfeminismus<br />

Der Schweizer Pädagoge Arthur<br />

Brühlmeier nennt gute Gründe<br />

für eine Abkehr von der Überbetonung<br />

des biologischen Geschlechts.<br />

Seite 3<br />

Zweisprachigkeit<br />

Die Sprachtherapeutin Irmela<br />

van Thiel klärt über Möglichkeiten<br />

und Grenzen mehrsprachiger<br />

Erziehung auf.<br />

Seite 6<br />

Sprachenpolitik<br />

FDP-MdB Christoph Waitz<br />

schreibt über das Mauerblümchendasein<br />

der deutschen<br />

Sprache in der EU.<br />

Seite 7<br />

In die Binsen<br />

Thomas Paulwitz fragt sich, warum<br />

die Volkswagenstiftung ihr<br />

Geld nicht lieber in die Förderung<br />

der deutschen Sprache steckt.<br />

Seite 12<br />

Abwrackprämie?<br />

Wir wollen keine Abwrackprämie für<br />

die deutsche Sprache. Mit Ihrer Spende<br />

sichern Sie die DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT und Aktionen für<br />

die Besserstellung der deutschen<br />

Sprache. Leider sind die Spenden in<br />

den vergangenen Monaten etwas zurückgegangen.<br />

Bitte bedenken Sie:<br />

5 oder 10 Euro tun den meisten von<br />

Ihnen nicht weh, helfen uns aber<br />

dabei, weiterzumachen. Jede Spende<br />

hilft! Vielen Dank!<br />

Ihr Verein für Sprachpflege<br />

Rede zur Sprache<br />

Am 12. September 2009 hält in Köthen<br />

Prof. Dr. Dr. Kurt Reinschke die diesjährige<br />

Rede zur deutschen Sprache.<br />

Die Festveranstaltung zum Tag der<br />

deutschen Sprache beginnt um 17 Uhr<br />

im Spiegelsaal des Köthener Schlosses.<br />

Reinschke ist Vorstand des „Bundes<br />

Freiheit der Wissenschaft“.<br />

Stammeldeutsch als Errungenschaft?<br />

Sprachwissenschaftler bewundern eine Fehlentwicklung unserer Sprache<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

ie deutsche Sprache franst im-<br />

D mer weiter aus: Denglisch genüge<br />

leider nicht mehr, um sich unter<br />

Gleichaltrigen verständigen zu können,<br />

klagte vor kurzem ein Jugendlicher in<br />

seinem Netztagebuch („Blog“). Aus<br />

Denglisch werde Dengtürkisch. – Das<br />

ist kein Einzelfall. Vor ein paar Jahren<br />

glaubte man noch, die Sprachen<br />

der Einwanderer hätten aufgrund ihres<br />

niedrigen gesellschaftlichen Ansehens<br />

kaum Einfluß auf das <strong>Deutsche</strong>. Mit<br />

dem wachsenden Ausländeranteil gerade<br />

in der jüngeren Bevölkerung hat sich<br />

das geändert. Komiker wie Erkan und<br />

Stefan oder Kaya Yanar (siehe Bild),<br />

welche die sogenannte „Kanaksprak“<br />

gesellschaftsfähig gemacht haben, förderten<br />

diese Entwicklung.<br />

Kanaksprak ist zunächst einmal eine<br />

Pidginsprache der ungebildeten Unterschicht.<br />

Pidgin zeichnet sich durch einen<br />

verringerten Wortschatz und eine<br />

verarmte Grammatik aus, nach dem<br />

Muster: „Ich Tarzan. – Du Jane!“ Wer<br />

nur Pidgin spricht, hat die Möglichkeit,<br />

über Bildung und Anpassung die Stufe<br />

der hochdeutschen Standardsprache zu<br />

erklimmen. Das gelingt aber nur, wenn<br />

die Anziehungskraft des Hochdeutschen<br />

groß genug ist.<br />

Die Geringschätzung der Standardsprache<br />

durch die Eliten kann jedoch eine<br />

ganz andere Entwicklung begünstigen.<br />

Aus einer Pidginsprache kann nämlich<br />

auch eine Kreolsprache erwachsen, in<br />

der sich Aussprache, Wortschatz und<br />

Grammatik von zwei und mehr Sprachen<br />

miteinander vermischen und im<br />

Laufe der Zeit eine neue Sprache bilden.<br />

In deutschen Großstadtvierteln, in denen<br />

die Einwanderer im wahrsten Sinne des<br />

Wortes das Sagen haben, ist die Kreolisierung<br />

der deutschen Sprache offenbar<br />

in vollem Gange. Es mag für Sprachwissenschaftler<br />

durchaus spannend sein, die<br />

Geburt einer solchen Sprache zu beobachten.<br />

Aus sprachpolitischer Sicht hingegen<br />

ist diese Zersplitterung der deutschen<br />

Sprache mehr als bedenklich.<br />

Der Traum der Gutmenschen von der<br />

Mehrsprachigkeit junger Einwanderer<br />

Erfolge aus der Arbeit der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />

Tag der deutschen Sprache:<br />

Schirmherrschaft<br />

übernommen<br />

Am 14. August veranstaltet der Bund<br />

für deutsche Schrift und Sprache auf<br />

der Ostbayernschau in Straubing einen<br />

„Tag der deutschen Sprache“ (Halle 16,<br />

13 bis 16 Uhr). Die Schirmherrschaft<br />

hat Thomas Paulwitz übernommen,<br />

der Schriftleiter der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT. Er wird auf der Festveranstaltung<br />

die Hauptrede unter dem<br />

Titel „Rettet die deutsche Sprache!“ halten.<br />

Zur Verbraucherausstellung werden<br />

rund 400 000 Besucher erwartet.<br />

www.bfds.de<br />

ist geplatzt. Jetzt droht er zu einem Alptraum<br />

zu werden. Junge Türken zum<br />

Beispiel sind häufig nicht zweisprachig,<br />

sondern doppelt halbsprachig. Sie sprechen<br />

weder richtig Deutsch noch richtig<br />

Türkisch. Damit verbauen sie sich den<br />

Weg zur Bildung und zur Eingliederung<br />

in das deutsche Volk. Sie sind soziale<br />

Verlierer, bleiben unter sich, bilden eine<br />

eigene Welt mit einer eigenen Sprache.<br />

Ein starkes Gefühl von Zusammengehörigkeit<br />

und Ehre schweißt sie zusammen<br />

und gibt ihnen Halt. Sie treffen<br />

auf deutsche Jugendliche, denen es an<br />

Selbstgewißheit mangelt, die die Scham<br />

für das eigene Volk belastet, denen<br />

wirkliche Vorbilder fehlen. Und so ist es<br />

kein Wunder, daß diese richtungslosen<br />

deutschen Jugendlichen nun beginnen,<br />

nun selbst die Kanaksprak zu sprechen,<br />

weil sie einer starken Gruppe angehören<br />

wollen. Eine Fehlentwicklung entsteht:<br />

Nicht die Einwanderer passen sich der<br />

deutschen Sprache an, sondern die<br />

<strong>Deutsche</strong>n der Einwanderersprache.<br />

Europäische Union:<br />

Sprachprüfsteine<br />

verbreitet<br />

Kurz vor den Europawahlen am 7.<br />

Juni veröffentlichte die DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT Sprachprüfsteine.<br />

Wir hatten die Europawahlprogramme<br />

von Parteien untersucht und waren<br />

zu überraschenden Ergebnissen<br />

gekommen. Die Nachrichtenagentur<br />

ddp verbreitete eine Meldung. Auf<br />

dem Köthener Sprachtag erläuterte<br />

Thomas Paulwitz am 20. Juni die<br />

Untersuchungsergebnisse. Auch dies<br />

fand Niederschlag in der Presse.<br />

Siehe Seite 7.<br />

Finanzkrise:<br />

Bild: obs/Sat.1<br />

„Wenn eine Sprache zerfällt, glauben<br />

ihre Sprecher, sie verjünge sich.“ Dieses<br />

Wort wird dem Philosophen Nicolás<br />

Gómez Dávila zugeschrieben. Die<br />

Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese<br />

bestätigt diese Erkenntnis auf traurige<br />

Weise. Sie ist am Institut für Germanistik<br />

der Universität Potsdam Professorin<br />

für die deutsche Sprache der<br />

Gegenwart, wohnt in Berlin-Kreuzberg<br />

und hat sich der Untersuchung der Kanaksprak<br />

verschrieben. Das Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung<br />

stellt dafür Gelder bereit. Wiese kann<br />

ihre Begeisterung nicht verhehlen. Sie<br />

schwärmt: „Da gibt es dann auf einmal<br />

überhaupt keine Artikel mehr, keine<br />

Pronomen, und jedes Verb steht nur<br />

noch im Infinitiv.“ Auf den Einwand<br />

eines Journalisten des Bayerischen<br />

Rundfunks, daß das „trotzdem eine<br />

Vergröberung, eine Verkürzung, eine<br />

Vereinfachung unserer Sprache“ sei,<br />

antwortet sie: „Nein, das ist eine Weiterentwicklung.“<br />

Bank eingedeutscht<br />

Die „Hypo Real Estate“ heißt seit<br />

dem 29. Juni „<strong>Deutsche</strong> Pfandbriefbank“.<br />

Wir hatten diesen Namen vorgeschlagen.<br />

Vergleiche DSW 35, Seite 6.<br />

Sprachsünder:<br />

Zur Reue gebracht<br />

Dr. Ulrich Krötsch, der Präsident<br />

der Bundesapothekerkammer, wurde<br />

vom Saulus zum Paulus. Wir entlassen<br />

ihn aus der Sprachsünderecke.<br />

Siehe Seite 10.<br />

Wie sieht diese vermeintliche Weiterentwicklung<br />

gemäß der Untersuchung von<br />

Wiese aus? Erstens sickern neue Fremdwörter<br />

ein, vor allem aus dem Türkischen<br />

oder Arabischen, zum Beispiel<br />

„Komm mal her, Lan“ für „Komm mal<br />

her, Freundchen“ oder „Wallah, der kann<br />

das“ für „Der kann das bestimmt“. Weil<br />

der Wortschatz nur sehr wenige Tätigkeitswörter<br />

umfaßt („machen“, „haben“,<br />

„sein“) , entstehen zweitens sogenannte<br />

Funktionsverbgefüge, wie man sie aus<br />

der stilistischen Unsitte der Hauptwörterei<br />

kennt: „Mußtu Pärchen-Date mit<br />

Sascha machen“ statt „Du mußt dich mit<br />

Sascha verabreden.“ Drittens gehen Geschlechts-<br />

und Verhältniswörter (Artikel<br />

und Präpositionen) verloren, und viertens<br />

wird die Wortstellung verdreht: „Geh’<br />

ich nachher [in das] Kino“. Fünftens verschmelzen<br />

Wörter: „gibs“ statt „es gibt“,<br />

„Mußtu“ statt „du mußt“, „laßma“ statt<br />

„laßt uns“. Wieses Lieblingswort („Was<br />

man mit zwei Buchstaben doch so alles<br />

anstellen kann“) lautet „so“, das anstelle<br />

einer Betonung Wichtiges unterstreicht:<br />

„Die is so blond so“ oder „Zu Hause<br />

sprech’ ich mehr so deutsch so“.<br />

Für Heike Wiese handelt es sich nicht<br />

mehr um ein Pidgin, um „Kanaksprak“,<br />

sondern bereits um einen „modernen<br />

Dialekt.“ Daher hat sie dafür auch einen<br />

neuen Namen erfunden: „Kiezdeutsch“.<br />

Mit dieser Wortschöpfung schlägt sie<br />

zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens<br />

erweckt sie den Anschein, daß es sich<br />

um etwas völlig Neues handele. Aufgrund<br />

einer weitangelegten Pressearbeit<br />

gilt sie derzeit als nahezu einzige<br />

Fachfrau für „Kiezdeutsch“. Das alles<br />

ist wichtig, um weitere staatliche und<br />

private Fördermittel zur Erforschung<br />

dieser neuen „Sprache“ beantragen zu<br />

können. Zweitens bedient sie sich des<br />

mittlerweile positiv besetzten Wortes<br />

„Kiez“ (Stadtteil) und schafft damit<br />

eine angenehme Grundstimmung, die<br />

mit dem Wort „Kanaksprak“ kaum<br />

möglich ist.<br />

Bereits Franz-Josef Strauß meinte: „Der<br />

Kampf um die Sprache ist eine der wesentlichsten<br />

Voraussetzungen für die<br />

geistige Selbstbehauptung.“ In dieser<br />

Hinsicht ist das Wort „Kiezdeutsch“ eine<br />

unzulässige Beschönigung. Gegen Kritik<br />

schützt sich Wiese zudem vorsorglich,<br />

indem sie die Verteidiger des Hochdeutschen<br />

als Menschenfeinde verunglimpft.<br />

Kiezdeutsch als verstümmelte Sprache<br />

zu bezeichnen, die von Jugendlichen<br />

gesprochen werde, die weder richtig<br />

Deutsch noch Türkisch könnten, sei<br />

„blanker Rassismus“. Die Kritik komme<br />

„aus der rechtsradikalen Ecke“.<br />

„Bestimmte Merkmale von Kiez-Sprache<br />

könnten sich auf die Majoritätssprache<br />

ausbreiten und zu einem urbanen<br />

Dialekt führen, wie das zum Beispiel<br />

für New York beobachtet wurde“, kündigt<br />

Heike Wiese bereits an. <strong>Deutsche</strong><br />

Führungskräfte radebrechen in „BSE“<br />

(Bad Simple English), halbgebildete<br />

Großstadtjugendliche stammeln „Kiezdeutsch“.<br />

Wie sehr muß einer die deutsche<br />

Sprache verachten, um dies als Bereicherung<br />

zu empfinden?


Seite 2 Leserbriefe<br />

Ü<br />

Schneller zur<br />

einheitlichen Rechtschreibung<br />

Zum Beitrag „Wo bleibt die <strong>Deutsche</strong> Orthographische Konferenz?“<br />

von Rudolf Wachter in DSW 35, Seite 3<br />

ber diesen Artikel habe ich mich<br />

als eine ehemalige Lehrerin sehr<br />

gefreut. Seit der Einführung der reformierten<br />

Rechtschreibung im Schulbetrieb<br />

hatten meine Kollegen damit<br />

Schwierigkeiten; abgesehen von den<br />

vielen Weiterbildungen, den Gesprächen<br />

untereinander und den unzähligen Witzen,<br />

die über Schreibweisen die Runde<br />

machten. Es zählte sogar der Standpunkt:<br />

„Ich schreibe, wie es immer war,<br />

ausgenommen natürlich ss für ß“. Ein<br />

bißchen modern wollte man schon sein!<br />

Ich frage Sie, liebe Leser, hatten diese<br />

Kollegen so völlig unrecht? Inzwischen<br />

ist stets geändert worden. Nun wird im<br />

Brief die Anrede mit dem „Du“ auch<br />

wieder großgeschrieben. Wir bedienen<br />

uns weiterhin des „Sündenfall-Dudens<br />

von 1996“ und sollen aber auch auf dem<br />

amtlichen Regelwerk von 2006 aufbauen.<br />

Herrgöttliches Durcheinander! Die<br />

Lehrer sind wirklich verunsichert. Nicht<br />

jeder wird es so ungeschminkt zugeben.<br />

– Aber was bedeutet dieser Zustand für<br />

unsere Schulkinder, die bis zur 4. Klasse<br />

mit den Grundbegriffen der Rechtschreibung<br />

vertraut sein müssen! Später festigt<br />

sich alles durch die Erweiterung des<br />

Wortschatzes und der laufenden Kom-<br />

munikation im gesellschaftlichen Leben.<br />

Ich glaube, es gibt durch dieses ewige<br />

„Heute so und morgen anders“ für einige<br />

Schülergenerationen ein Chaos. Folgende<br />

Aussage beflügelt den regelleeren<br />

Raum: „Bei Varianten dürften Lehrer<br />

einfach die herkömmliche Schreibweise<br />

nutzen und sich an den seriösen Leitmedien<br />

orientieren.“ Wir wissen, daß unsere<br />

Sprache einem starken Wandel unterzogen<br />

wird; Medien und Umwelteinflüsse,<br />

die Wissenschaft, die Arbeit des Menschen<br />

hinterlassen Spuren. Warum dauert<br />

es also mit unserer grundhaften Regelung<br />

der Rechtschreibreform so lange?<br />

„Wer rastet, der rostet!“ Dieses Gefühl<br />

beschleicht mich bei den dafür zuständigen<br />

Gremien. Ganz dick möchte ich<br />

folgende Aussage unterstreichen: „Wenn<br />

ich lese, möchte ich möglichst nichts von<br />

der Orthographie merken, sondern mich<br />

ganz auf den Textinhalt konzentrieren …<br />

und nicht, daß mich die Auffälligkeiten<br />

der Rechtschreibung andauernd anspringen!“<br />

Ich würde mich sehr freuen, wenn<br />

wir zeitiger als in zehn Jahren wieder zu<br />

einer einigermaßen einheitlichen und<br />

sprachrichtigen deutschen Rechtschreibung<br />

kämen.<br />

Reingard Böhmer, Bautzen<br />

SALE<br />

Zum Beitrag „SALE? Nicht mit uns!“ von Thomas Paulwitz in DSW 35, Seite 4<br />

I<br />

n verschiedenen Geschäften habe<br />

ich das jeweilige Verkaufspersonal<br />

in Schuh- oder Bekleidungsläden<br />

berechnenderweise gefragt, ob SALE<br />

etwa eine neue Marke sei, die mit diesen<br />

Schildern beworben werde. Nein,<br />

so die vielfach stereotype Antwort,<br />

SALE sei Englisch und heiße „reduziert“.<br />

Auf meinen Einwand hin, dieses<br />

hieße „reduced“, kam dann meist stotternd<br />

„oder billiger“, worauf ich dann<br />

wieder entgegnete, das sei auf englisch<br />

„cheaper“. Nach mehreren Fehlversuchen<br />

gibt das Verkaufspersonal meist<br />

entnervt auf, worauf ich dann tröstend<br />

sage: „Sehen Sie, wenn Sie schon nicht<br />

wissen, daß SALE einfach nur „Verkauf“<br />

heißt, wie sollen Ihre Kunden,<br />

selbst jene. die des Englischen mächtig<br />

sind, wissen, daß Ausverkauf gemeint<br />

ist?“ Meist bekomme ich dann Zustimmung.<br />

Dieser neue Aufkleber kommt<br />

mir daher sehr gelegen.<br />

Jörg Ulrich Stange, Rajensdorf<br />

Liebe Leser!<br />

Was hat Ihnen gefallen? Was hätten wir<br />

besser machen können? Worauf sollten<br />

wir stärker eingehen? Schreiben Sie uns,<br />

wir freuen uns auf Ihre Meinung! Auch<br />

wenn wir nicht jeden Brief beantworten<br />

und veröffentlichen können, so werten<br />

wir doch alle Zuschriften sorgfältig aus.<br />

Bei einer Veröffentlichung behält sich<br />

die Redaktion das Recht vor, sinnwahrend<br />

zu kürzen. Auf diese Weise wollen<br />

wir möglichst viele Leser zu Wort kommen<br />

lassen. Schreiben Sie bitte an:<br />

DEUTSCHE SPRACHWELT<br />

Leserbriefe<br />

Postfach 1449, D-91004 Erlangen<br />

schriftleitung@deutsche-sprachwelt.de<br />

AbWrack-Prämien<br />

Alte sind meist Trümmer-Haufen –<br />

Zu faul zum Fressen oder Saufen –,<br />

Die als Wrack spazieren laufen,<br />

Sofern die Füße sie noch tragen;<br />

Sie nicht in Betten Wurzeln schlagen,<br />

Oder sich im RollStuhl plagen.<br />

Jetzt denkt der Staat – ganz ohne<br />

Häme –<br />

Nach. Man will die AbWrack-Prämie<br />

Installieren für die Alten;<br />

Den Menschen-Schrott in Grenzen<br />

halten<br />

Und die NachZucht fördern, denn<br />

Man fragt sich ernsthaft: Was wär’,<br />

wenn<br />

Nur noch die Türken Kinder kriegen<br />

Und höchst lustlos die Germanen –<br />

Im GegenSatz zu ihren Ahnen –<br />

Tatenlos beim Partner liegen?<br />

Günter B. Merkel, Wilhelmsfeld<br />

Einstieg in die dichterische Merkelwelt:<br />

Günter B. Merkel: Große<br />

Sprüche vom gnadenlosen Dichter,<br />

SWP-Buch-Verlag, Wilhelmsfeld<br />

2007, 128 Seiten, fester Einband,<br />

9,50 Euro. Bestellung unter<br />

Telefon 06220/6310. www.merkelgedichte.de<br />

A<br />

uf der Dresdner Südhöhe ließ die<br />

Sächsische Landeszentrale für<br />

politische Bildung an der Verkaufshalle<br />

des Konsums, Bulgakowstraße 7, ein<br />

riesengroßes (etwa 2,20 mal 3,00 Meter)<br />

schwarzes Plakat anbringen. Links<br />

oben ein gelbes Computersymbol?<br />

Dann vier Medaillons mit den Fahnen<br />

der dieses Jahr hier zur Wahl stehenden<br />

Institutionen. Alle vier schön weiß<br />

gekreuzt durchgestrichen. Dann stand<br />

darunter: LEVEL 2009 GET READY 4<br />

VOTE. Ich schüttelte nur mein weißes<br />

Haupt und befragte 22 zufällig vorbeikommende<br />

Bürger erstens, ob sie dies<br />

Plakat verstehen, und zweitens, was sie<br />

von dieser Art Plakatierung halten. Nur<br />

zwei junge Leute, ein Mann und eine<br />

Frau, wußten sofort, daß es um die vier<br />

Wahlen geht. Der junge Mann sagte<br />

aber dann sofort, daß sich seine Großeltern<br />

sehr ärgern, daß so viel Englisch<br />

bei uns üblich geworden ist, weil sie es<br />

nicht verstehen. Also, von 22 Leuten<br />

verstanden zwanzig dieses Plakat nicht!<br />

Die beiden jüngeren Leute meinten zur<br />

zweiten Frage, das sei halt heute moderne<br />

Werbung. Ein Mann sagte, nachdem<br />

er den Schriftzug der Sächsischen<br />

Landeszentrale für politische Bildung<br />

gelesen hatte: „Ach, da wird zu irgendeinem<br />

komischen Vortrag eingeladen,<br />

da geh’ ich sowieso nicht hin“. Eine<br />

ältere Dame erkannte, daß es sich um<br />

englische Schriftzüge handelt, weil sie<br />

nämlich in der Volkshochschule einen<br />

Englischkurs belegt hat. „Man muß ja<br />

heute Englisch können!“ war ihre Rede.<br />

Sie fing an zu buchstabieren: „‚Get‘ bedeutet<br />

‚bekommen‘, ‚ready‘ ‚fertig‘.“<br />

Dann war sie am Ende mit ihren Kenntnissen,<br />

die Arme. Eine andere Dame,<br />

der auffiel, daß die Symbole durchgestrichen<br />

waren, meinte unvermittelt<br />

nach meiner Erklärung, daß es um die<br />

vier Wahlen geht: „Da sollen wir wahrscheinlich<br />

nicht hingehen.“ Zur zweiten<br />

Frage, was von der Plakatierung<br />

Aus der Mundart ist schwieriger zu übersetzen als aus dem Englischen<br />

Zum Beitrag „Eine schwer zu übersetzende Sprache“ von Oliver Höher in DSW 35, Seite 9<br />

E<br />

nglisch und Deutsch sind nah verwandt. Dennoch ist es sehr schwer, aus<br />

dem Englischen ins <strong>Deutsche</strong> zu übersetzen. Da ich sowohl aus der englischen<br />

(Richard Burton, The Kasidah, Tübingen 2007) als auch aus der uns<br />

viel ferner stehenden russischen Sprache (Puschkin – Rußland und sein erster<br />

Dichter, Tübingen 2000) übersetze, glaube ich zu wissen, wovon ich spreche.<br />

Das hängt mit den kurzen englischen Wörtern zusammen und mit der Grammatik.<br />

Im Innersten beruht diese besondere Schwierigkeit aber wohl auf dem<br />

Phänomen der Nächstenferne. Wir verlangen, daß Fernes sich in Unterschieden<br />

erweise. Was aber nahe ist, sollte auch gleich sein, sonst wirkt das Trennende<br />

um so stärker. Das scheint Hölderlin in Patmos zu meinen: wo „die Liebsten<br />

nah wohnen, ermattend auf getrenntesten Bergen“.<br />

Die englische Sprache ist im Grunde ein um lateinisches Wortgut erweiterter<br />

deutscher Dialekt; erst diese Nähe macht das Trennende so spürbar. Noch viel<br />

schwieriger als aus dem Englischen zu übersetzen, ist es, aus einer deutschen<br />

Mundart in die deutsche Hochsprache zu übersetzen. Das geht eigentlich gar<br />

nicht! Ein Gedicht des alemannischen Dichters Johann Peter Hebel in hochdeutscher<br />

Übersetzung verliert eigentlich alles. Dasselbe gilt für den geographisch<br />

entgegengesetzten Dialekt, die niederdeutsche Sprache.<br />

Ick wull, wi weern noch kleen, Jehann,<br />

Dor weer de Welt so groot<br />

Wi seeten op den Steen, Jehann,<br />

Weest noch, bi Naver’s Soot?<br />

Mit Ausnahme der Worte „Soot“ (=Brunnen), Naver (=Nachbar) erschließt<br />

sich der Wortsinn sofort. Aber gerade das zeigt uns, daß es auf diesen (fast)<br />

nicht ankommt. Sofort tritt die niederdeutsche Landschaft, die weite Ebene<br />

vor uns auf, und die Enge der niederdeutschen <strong>Sprachwelt</strong> macht deutlicher<br />

als irgend etwas, wie unendlich groß für die beiden Knaben damals die „Welt<br />

jenseits der Kastanien“ (Paul Celan) war. Wie will man das auf hochdeutsch<br />

wiedergeben? Wenn das Trennende so sehr empfunden wird, dürfen wir also<br />

annehmen, der Sache selbst ganz nahe zu sein. Wir werden mutiger – gar so<br />

schwer ist es nun auch wieder nicht, Gedichte aus dem Englischen zu übersetzen.<br />

Eigentlich ist es sogar leichter als aus anderen Sprachen. Landschaft,<br />

Lebensgefühl und das Naturerleben in England sind ähnlich bis gleich wie bei<br />

uns. Auch wenn wir Worte wie „eglantine“ oder „broom-flowre“ nachschlagen<br />

müssen, erkennen wir doch sofort, worum es geht.<br />

Wenn Wörter in der fremden Sprache bei uns dieselben Bilder berufen, so müssen<br />

wir, aus Treue zum Dichter, auch die entsprechenden deutschen Wörter benutzen.<br />

Aber nicht auf Wörter, sondern auf die berufenen Bilder kommt es an. Wenn daher<br />

das Originalwort nicht mehr stimmt, dann muß der Übersetzer das stimmige<br />

suchen. Spenser nennt Rose, Wacholder und so weiter „sweet“. „Süß“ ist aber<br />

verbraucht; ein Ginsterstrauch ist nicht ,,süß“, wohl aber schön. Für die Übersetzung<br />

ziehe ich also „schön“ vor. In der vorletzten Zeile steht nichts von einem<br />

,,leuchtenden“ Ginster, auch nicht, daß er uns „narrt“. Aber der blühende Ginster<br />

leuchtet. Das ist uns an diesem Busch wichtig, nicht der Sud, den der Dichter vor<br />

der Zeit des indischen Tees daraus zog und zu sauer fand. Aber was der Dichter<br />

sagen will, bleibt ausgedrückt, und es reimt sich zwanglos auf „hart“. Man darf<br />

das Gedicht nicht schöner machen, als es ist. Spensers Gedicht ist kantig und eher<br />

unmelodisch. Es ist nicht eigentlich schön, und will es nicht sein. Es will etwas<br />

Ernstes sagen. Wenn man so an die Sache herangeht, gelingt es auch, die ersten<br />

beiden so sperrigen Quartette aus Edmund Spensers 26. Sonett zu übersetzen:<br />

Sweet is the Rose, but growes upon a brere;<br />

Sweet is the Junipere, but sharpe his bough;<br />

sweet is the Eglantine, but pricketh nere;<br />

sweet is the firbloome, but his braunches rough<br />

Sweet is the Cypresse, but his rynd is tough,<br />

sweet is the nut, but bitter is his pill;<br />

sweet is the broome-flowre, but yet sowre enough;<br />

and sweet is Moly,* but his root is ill.<br />

Schön ist die Rose, doch nie ohne Dorn,<br />

Schön der Wacholder, doch spitzig sein Ast;<br />

Schön auch der Rotdorn, doch weh, wer ihn faßt;<br />

Schön ist die Fichte, doch rauher als Horn;<br />

Schön die Zypresse, doch außen noch hart;<br />

Schön ist die Nuß, darin Bitteres wächst;<br />

Schön ist der Ginster, der leuchtend uns narrt,<br />

und schön ist auch Moly* – doch gründlich verhext.<br />

*Moly ist das mythische Kraut, mit dem sich Odysseus gegen die Künste der<br />

Kirke schützt.<br />

Prof. Dr. iur. Menno Aden, Essen<br />

Vorstandsmitglied im Verein <strong>Deutsche</strong> Sprache<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009<br />

GET READY 4 VOTE<br />

Zum Beitrag „Laßt euch nicht auffressen!“ von Thomas Paulwitz<br />

in DSW 35, Seite 1<br />

zu halten sei, kamen die folgenden<br />

Antworten: Kopfschütteln, „Blödsinn“,<br />

„Mist“, „Sch…“ (dreimal); also totales<br />

Unverständnis. Ein älteres Ehepaar und<br />

ein Mann meinten dann noch, naja, es<br />

habe keinen Zweck, sich aufzuregen,<br />

„die“ machten sowieso, was sie wollen.<br />

Als ich dann noch sagte, daß die Landeszentrale<br />

für politische Bildung vom<br />

Innenministerium aus unseren Steuergeldern<br />

finanziert wird, gab es durchgehende<br />

und einhellige Empörung. Meine<br />

Überzeugung: Wenn ein Blumenhändler<br />

seinen Laden auf eigene Kosten<br />

„Flower Shop“ nennt, so ist das seine<br />

Sache, er ist ein freier Bürger in einem<br />

freien Staat. Jeder blamiert sich so gut,<br />

wie er kann. Wenn jedoch eine staatliche<br />

Einrichtung die deutsche Sprache<br />

verleugnet und damit Zeug produziert,<br />

was nur ein Bruchteil der Bevölkerung<br />

versteht, im Gegenteil Leute zum Kopfschütteln<br />

bringt und zur Resignation,<br />

also das angestrebte Ergebnis kaum<br />

erreicht wird, so ist das Verschleudern<br />

von Geld, das der Gesellschaft gehört.<br />

Vielleicht kann man sogar behaupten,<br />

daß schließlich diese Spezialisten auf<br />

Dauer die demokratische Gesellschaft<br />

ruinieren.<br />

Johannes Hummel, Dresden<br />

Gegründet im Jahr 2000<br />

Erscheint viermal im Jahr<br />

Auflage: 25.000<br />

Die jährliche Bezugsgebühr beträgt 10 Euro.<br />

Für Nicht- und Geringverdiener ist der Bezug<br />

kostenfrei. Zusätzliche Spenden sind sehr<br />

willkommen.<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

Verein für Sprachpflege e. V.<br />

Stadt- und Kreissparkasse Erlangen<br />

Bankleitzahl 763 500 00<br />

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(Ausgabe für Deutschland)<br />

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Weilandt<br />

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Ferdinand Berger & Söhne GmbH<br />

Wiener Straße 80, A-3580 Horn<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben<br />

nicht unbedingt die Meinung der<br />

Redaktion wieder. Das gilt besonders für<br />

Leserbriefe.<br />

Die 37. Ausgabe erscheint im Herbst<br />

2009. Redaktions- und Anzeigenschluß<br />

sind am 22. August 2009.


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009 Hintergrund<br />

Seite 3<br />

Von Arthur Brühlmeier<br />

Z<br />

ahlreiche Journalisten, Autoren,<br />

Gesetzgeber und Werbetexter<br />

haben sich angewöhnt, menschliche<br />

Funktionsträger stets doppelt zu erwähnen.<br />

Und so liest und – soweit es<br />

auszusprechen ist – hört man denn<br />

allenthalben von „Athleten und Athletinnen“,<br />

„EidgenossInnen“ und<br />

„Bürger/innen“. In diesen Sprachgebräuchen<br />

spiegelt sich einerseits die<br />

vorauseilende Haltung der Schreiber<br />

gegenüber dem Gleichstellungsanliegen<br />

der Frauen wider; andererseits<br />

aber wird dadurch so schwerwiegend<br />

in die Sprache eingegriffen, daß die<br />

Lektüre nicht bloß ermüdend wirkt,<br />

sondern das laute Lesen teilweise<br />

sogar unmöglich wird und der Inhalt<br />

kaum mehr verständlich ist. Ein Auszug<br />

aus einem Protokoll des Basler<br />

Gesundheitsdepartements möge dies<br />

belegen:<br />

„Bereits die mildeste und häufigste<br />

Form der Trennung einer ‚Rolle des<br />

Verantwortungstragens‘ (Arzt/Ärztin)<br />

von einer ‚Rolle des Sich-Anvertrauens<br />

und Sich-Unterordnens‘<br />

(Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit,<br />

mit der der/die Patient/in<br />

Entscheidungen in bezug auf<br />

seine/ihre Gesundheit trifft. Damit<br />

wird der/die ‚beratende Arzt/Ärztin‘<br />

zum/zur ‚entscheidenden Arzt/<br />

Ärztin‘. In bestimmten Situationen<br />

haben Patient/in und Arzt/Ärztin<br />

natürlich keine andere Wahl (zum<br />

Beispiel bei einer Notfallbehandlung<br />

eines Bewusstlosen). Doch<br />

bereits die Entscheidung, ob ein<br />

vom Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff<br />

durchgeführt werden soll,<br />

will der/die mündige Patient/in in<br />

Eigenverantwortlichkeit selbst treffen.<br />

Demgegenüber nimmt der/die<br />

unmündige Patient/in seine/ihre<br />

Eigenverantwortlichkeit nicht wahr,<br />

ohne dass er/sie durch zwingende<br />

Gründe daran gehindert würde.“<br />

Es ist kaum anzunehmen, daß jemand<br />

mit besonderer Freude solcherart<br />

geschriebene Bücher lesen möchte.<br />

Angesichts dieses Ergebnisses verwundert<br />

es denn auch nicht, wenn<br />

zunehmend auch Frauen die neuen<br />

Sprachgebräuche als lästig, ja sogar<br />

als lächerlich empfinden. Sie vermögen<br />

keinen echten Gewinn darin zu<br />

sehen, beim Lesen immer wieder bestätigt<br />

zu bekommen, daß dem Schreiber<br />

die Zweigeschlechtlichkeit des<br />

Menschen bewußt war. Meist macht<br />

sich die Verärgerung in sarkastischen<br />

Leserbriefen oder Glossen Luft. Dies<br />

ist aber der Tragweite des Problems<br />

nicht angemessen, weshalb hier eine<br />

sachliche, auf sprachwissenschaftlichen<br />

Überlegungen fußende Analyse<br />

vorgelegt werden soll.<br />

Der grundlegende sprachwissenschaftliche<br />

Irrtum<br />

Tatsächlich beruht die Forderung<br />

nach einer konsequenten Doppelnennung<br />

menschlicher Funktionsträger<br />

auf einem grundlegenden sprachwissenschaftlichen<br />

Irrtum. Die Fehlüberlegung<br />

besteht in der Gleichsetzung<br />

von biologischem Geschlecht<br />

und grammatischem Genus. Diese<br />

Gleichsetzung ist aber unstatthaft,<br />

denn es gibt ja drei Genera (Maskulinum,<br />

Femininum, Neutrum), aber<br />

bloß zwei Geschlechter. Auch wird<br />

allem Ungeschlechtlichen (der Ofen,<br />

die Wolke, das Faß) ein Genus beigeordnet,<br />

was wiederum zeigt, daß wir<br />

biologisches Geschlecht und grammatisches<br />

Genus keinesfalls gleichsetzen<br />

dürfen.<br />

Das Genus wird aber nicht bloß geschlechtlich<br />

oder ungeschlechtlich,<br />

sondern auch übergeschlechtlich verwendet:<br />

Der Mensch, der Gast, der<br />

Flüchtling – die Person, die Persön-<br />

Sprachfeminismus in der Sackgasse<br />

Die fortwährende Betonung des biologischen Geschlechts ist lästig und entbehrlich<br />

lichkeit, die Waise – das Kind, das<br />

Individuum, das Geschwister – sie<br />

alle können männlich oder weiblich<br />

sein. So sind besonders sämtliche<br />

Funktionsträger, die nahezu von allen<br />

Verben abgeleitet werden können<br />

und auf „-er“ enden, trotz des maskulinen<br />

Genus nicht biologisch männlich,<br />

sondern übergeschlechtlich zu<br />

verstehen. Ein Mensch, der liest, ist<br />

ein Leser, einer,<br />

der singt, ein<br />

Sänger und einer,<br />

der arbeitet,<br />

ein Arbeiter. Die<br />

Forderung nach<br />

k o n s e q u e n t e r<br />

Doppelnennung<br />

m e n s c h l i c h e r<br />

Funktionsträger<br />

wird gegenstandslos,<br />

wenn man die<br />

zusätzliche übergeschlechtliche<br />

Funktion aller<br />

drei Genera erkennt.<br />

Wenn<br />

somit heute einzelne<br />

Frauen<br />

behaupten, sie<br />

möchten bei der<br />

Erwähnung menschlicher Funktionsträger<br />

(Sänger, Bewohner) nicht<br />

„bloß mitgemeint“ sein, so ist entgegenzuhalten,<br />

daß auch die Männer<br />

„bloß mitgemeint“ sind. Für die<br />

Nichtübereinstimmung von Genus<br />

und Geschlecht ist „das Geschwister“<br />

ein besonders anschaulicher<br />

Fall: grammatisch ein Neutrum, vom<br />

Wortstamm her weiblich und in der<br />

Bedeutung übergeschlechtlich.<br />

Auf dem sprachwissenschaftlichen<br />

Fehlschluß beruht ein weiterer Irrtum:<br />

nämlich die angebliche Benachteiligung<br />

der Frauen durch die<br />

Sprache. Vielmehr bevorzugt das<br />

<strong>Deutsche</strong> das weibliche Geschlecht:<br />

Das meiste wirklich Männliche unterscheidet<br />

sich ja nicht von der<br />

übergeschlechtlichen Form. „Der<br />

Fußgänger“ kann Mann oder Frau<br />

sein, und wenn auf sein männliches<br />

Geschlecht Gewicht gelegt wird,<br />

muß dies zusätzlich ausgedrückt<br />

werden. Aber das wirklich Weibliche<br />

kennzeichnet die Sprache eindeutig:<br />

einerseits mit dem geschlechtsspezifisch<br />

gemeinten Wechsel des Artikels<br />

(„der“ zu „die“) und andererseits mit<br />

der kennzeichnenden Endung „-in“.<br />

Der Verlust des allgemeinen<br />

Menschen<br />

Die Folgen der neuen Sprachgebräuche<br />

sind schwerwiegend: Durch die<br />

gewohnheitsmäßige Doppelnennung<br />

menschlicher Funktionsträger (Bürgerinnen<br />

und Bürger, Schülerinnen<br />

und Schüler) geht nämlich die übergeschlechtliche<br />

Bedeutung des maskulinen<br />

Genus allmählich verloren,<br />

und dann wird alles Maskuline als<br />

wirklich männlich und alles Feminine<br />

als wirklich weiblich empfunden.<br />

Damit fällt zuerst einmal alles grammatisch<br />

Neutrale unter den Tisch,<br />

und das Kind, das Mädchen, das<br />

Weib und das Individuum, aber auch<br />

alle Diminutive (Verkleinerungswörter<br />

wie „das Knäblein“, „das tapfere<br />

Schneiderlein“ und so weiter) müssen<br />

sich als biologisch geschlechtslose<br />

Wesen empfinden.<br />

Darüber hinaus – und dies wiegt<br />

schwerer – führt diese Umdeutung<br />

des Übergeschlechtlichen in biologisch<br />

Geschlechtliches zum Verlust<br />

des wichtigsten Oberbegriffs der<br />

deutschen Sprache, nämlich des allgemeinen,<br />

nicht unter geschlechtlichem<br />

Blickwinkel betrachteten Menschen.<br />

Ehedem konnte man von Einwohnern,<br />

Wanderern, Musikliebhabern,<br />

Studenten, Fußgängern, Autofahrern,<br />

Christen, Experten, Anfängern,<br />

Ausländern und so fort sprechen,<br />

ohne vorentschieden zu haben, ob es<br />

sich dabei um Männer oder Frauen<br />

handelt, weil dies im jeweiligen Zusammenhang<br />

vollkommen unbedeutend<br />

war. Heute jedoch tritt mit der<br />

üblich gewordenen Doppelnennung<br />

die Betonung des Verbindenden, des<br />

Übergeordneten,<br />

der Funktion<br />

zurück<br />

und macht der<br />

Betonung der<br />

Geschlechtlichkeit<br />

irgendeines<br />

Funktionsträgers<br />

Platz.<br />

Damit wird der<br />

Sexismus nicht<br />

etwa aus der<br />

Sprache entfernt,<br />

sondern<br />

erst in diese<br />

e i n g e f ü h r t .<br />

Mit der Beseitigung<br />

jener<br />

sprachlichen<br />

Instrumente,<br />

Bild: Stockxpert<br />

die niemals sexistisch<br />

gemeint waren und stets der<br />

Darstellung des Allgemeinen, Übergeschlechtlichem<br />

dienten, nimmt<br />

man dem Menschen jene Oberbegriffe,<br />

die er benötigt, um sich genau<br />

über einen Sachverhalt zu äußern, in<br />

dem es nicht um das Nebeneinander<br />

oder die Summe von Männlichem<br />

und Weiblichem, sondern um das<br />

geschlechtlich nicht bedeutende allgemein<br />

Menschliche geht. Wer nun<br />

über den Menschen in seinen Funktionen<br />

und Rollen – unabhängig vom<br />

Geschlecht – zu schreiben hat, steht<br />

dadurch vor unnötigen und teils unüberwindbaren<br />

Schwierigkeiten: Er<br />

muß sich zum Ärger sprachlich empfindsamer<br />

Leser dauernd unnötig<br />

wiederholen und kann gewisse logisch<br />

erkannte Zusammenhänge gar<br />

nicht mehr sprachlich angemessen<br />

ausdrücken.<br />

Ermüdende Wiederholungen<br />

Die „Abschaffung des allgemeinen<br />

Menschen“ führt zu Folgen in der<br />

Sprachpraxis, welche die Urheber<br />

der hier kritisierten Sprachreform<br />

gewiß weder voraussahen noch beabsichtigten:<br />

Ausgesprochen lästig sind<br />

die ermüdenden Wiederholungen: In<br />

Lehrplänen kann man heute Dutzende,<br />

ja Hunderte von Malen lesen „Die<br />

Schülerinnen und Schüler sollen …“<br />

Eine gewisse Hilfe scheint dann das<br />

Wort „beziehungsweise“ zu sein, das<br />

aber – auch als Abkürzung – schwer<br />

lesbare Texte erzeugt. So lesen wir<br />

beispielsweise in einer Verordnung<br />

über das Fleischhygienerecht folgende<br />

Bestimmung:<br />

„Der Kantonstierarzt beziehungsweise<br />

die Kantonstierärztin und der<br />

leitende Tierarzt beziehungsweise<br />

die leitende Tierärztin können auch<br />

die Funktion eines Fleischinspektors<br />

beziehungsweise einer Fleischinspektorin<br />

ausüben, der Kantonstierarzt<br />

beziehungsweise die<br />

Kantonstierärztin, der leitende Tierarzt<br />

beziehungsweise die leitende<br />

Tierärztin und der Fleischinspektor<br />

beziehungsweise die Fleischinspektorin<br />

die eines Fleischkontrolleurs<br />

beziehungsweise die einer<br />

Fleischkontrolleurin.“<br />

Um diesen Ungeheuerlichkeiten aus<br />

dem Wege zu gehen, greifen einzelne<br />

Schreiber zur Klammer. So ist in einer<br />

kürzlich erschienenen Dissertation<br />

wörtlich zu lesen: „So wird ein(e)<br />

Lernende(r) zu einer(m) LernbegleiterIn<br />

und umgekehrt.“ Man lese die-<br />

sen Satz, der eher einer mathematischen<br />

Formel als einem sprachlichen<br />

Gebilde gleicht, doch einmal laut! Er<br />

mißachtet eine elementare sprachliche<br />

Forderung: daß Geschriebenes<br />

auch gesprochen werden kann. Sobald<br />

Eigenschaftswörter und abhängige<br />

Fürwörter verwendet werden,<br />

wird die Sprache außerordentlich<br />

umständlich:<br />

„Der interessierte Leser bzw. die<br />

interessierte Leserin kümmert sich<br />

immer auch um die Person des unbekannten<br />

Autors bzw. der unbekannten<br />

Autorin. – Wie künftig ein<br />

Deutschlehrer bzw. eine Deutschlehrerin<br />

mit den aufgeworfenen<br />

Problemen umgeht und ob dann<br />

auch sein/ihr Inspektor bzw. seine/<br />

ihre Inspektorin damit einverstanden<br />

ist, daß er seinen bzw. sie<br />

ihren Schülern und Schülerinnen<br />

so etwas beibringt, kann heute<br />

wohl noch keiner, der bzw. keine,<br />

welche die Abschaffung des nichtgeschlechtlich<br />

ins Auge gefaßten<br />

Menschen betreibt, voraussagen.“<br />

Eine weitere Schwierigkeit ergibt<br />

sich aus der Möglichkeit, Hauptwörter<br />

zusammenzusetzen: Geläufig ist<br />

bereits die „Lehrerinnen- und Lehrerzeitung“.<br />

Logischerweise werden<br />

wir künftig wohl bei der Fahrprüfung<br />

den „Führerinnen- und Führerausweis“<br />

erwerben und müssen dann<br />

aufpassen, niemanden auf einem<br />

„Fußgängerinnen- und Fußgängerstreifen“<br />

anzufahren. Kaum mehr<br />

lösbare Probleme ergeben sich bei<br />

Koppelung zweier Funktionen: Der<br />

Satz „Ein guter Lehrerberater sollte<br />

zuvor auch ein bewährter Schülerbetreuer<br />

gewesen sein“ lautet neu „Ein<br />

künftiger Lehrer- bzw. Lehrerinnenbetreuer<br />

bzw. eine künftige Lehrer-<br />

bzw. Lehrerinnenbetreuerin sollte<br />

zuvor auch ein guter Schüler- bzw.<br />

Schülerinnenberater bzw. auch eine<br />

gute Schüler- bzw. Schülerinnenberaterin<br />

gewesen sein.“<br />

Zu diesen ideologisch erzeugten<br />

Umständlichkeiten gesellt sich die<br />

Unmöglichkeit, gewisse Zusammenhänge<br />

logisch richtig auszudrücken.<br />

Der Verlust der Oberbegriffe verhindert<br />

grundsätzlich Aussagen, in denen<br />

Frauen und Männer als Einheit<br />

zusammengefaßt oder miteinander<br />

verglichen werden. Der Satz „Müllers<br />

sind Schweizer“ lautet nun: „Müllers<br />

sind Schweizer und Schweizerin“.<br />

Haben sie aber noch eine Tochter,<br />

heißt es dann „Müllers sind Schweizer<br />

und Schweizerinnen“.<br />

Hinzu kommt die Ächtung von übergeschlechtlichen,<br />

grammatisch maskulinen<br />

Vokabeln wie etwa „man,<br />

jeder, jedermann, niemand, jemand“.<br />

Ein Satz wie „Verletze niemanden in<br />

seinen Gefühlen“ lautet sprachfeministisch<br />

„Verletze keinenmann und<br />

keinefrau in seinen bzw. ihren Gefühlen“.<br />

Steht irgendwo „Jedermann<br />

ist eingeladen“ folgt umgehend die<br />

Frage: „Und die Frauen?“ Einfachste<br />

Wahrheiten wie „Liebe deinen Nächsten“<br />

werden zu sprachlichen Seifenblasen:<br />

„Liebe deinen Nächsten<br />

und deine Nächste“. Bedenklich ist<br />

aber auch die geistige Abkoppelung<br />

von allem, was vor 1990 geschrieben<br />

wurde. Hätte sich Goethe dem<br />

Sprachsexismus unterzogen, lautete<br />

der zweite Absatz des 7. Buches von<br />

„Dichtung und Wahrheit“:<br />

„In ruhigen Zeiten will jeder/jede<br />

nach seiner/ihrer Weise leben, der<br />

Bürger/die Bürgerin sein/ihr Gewerb,<br />

sein/ihr Geschäft treiben und<br />

sich nachher vergnügen; so mag<br />

auch der Schriftsteller/die Schriftstellerin<br />

gern etwas verfassen, seine/ihre<br />

Arbeiten bekanntmachen<br />

und, wo nicht Lohn, doch Lob dafür<br />

hoffen, weil er/sie glaubt, etwas Gutes<br />

und Nützliches getan zu haben.<br />

In dieser Ruhe wird der Bürger/die<br />

Bürgerin durch den Satiriker/die Satirikerin,<br />

der Autor/die Autorin durch<br />

den Kritiker/die Kritikerin und so die<br />

friedliche Gesellschaft in eine unangenehme<br />

Bewegung gesetzt.“<br />

Die bereits erwähnte und bedauerte<br />

Abschaffung des allgemeinen, nicht<br />

unter geschlechtlichem Blickwinkel<br />

betrachteten Menschen zeigt sich –<br />

zum Beispiel in pädagogischen Fachzeitschriften<br />

– auch noch in einer<br />

immer abstrakter werdenden Sprache,<br />

und zwar ganz einfach darum,<br />

weil natürlich auch die heutigen angepaßten<br />

Schreiber merken, daß die<br />

dauernden Wiederholungen mühsam<br />

zu lesen sind, und sie sich dann damit<br />

behelfen, menschliche Funktionsträger<br />

einfach nicht mehr zu erwähnen.<br />

So läßt sich etwa der einfache Satz<br />

„Die Lehrer sollten wieder vermehrt<br />

mit den Schülern üben“ umformen<br />

zur Aussage „Aufgabe der Schule ist<br />

es, durch gezielte Wiederholungen<br />

die Kulturtechniken wieder vermehrt<br />

zu festigen“. Ganz allgemein sind<br />

Lehrer heute „Lehrkräfte“, „Lehrpersonen“.<br />

Oder statt von Studenten und<br />

Sängern ist von „Studierenden“ und<br />

„Singenden“ die Rede, ohne alles<br />

Verständnis dafür, daß dies nicht dasselbe<br />

ist. Auf diese Weise bringen es<br />

heutzutage einschlägige Zeitschriften<br />

fertig, kaum mehr von den Menschen,<br />

die eigentlich im Zentrum stehen<br />

sollten, zu sprechen: von Schülern,<br />

Lehrern, Erziehern, Psychologen,<br />

Therapeuten, Beamten.<br />

Mut zur Umkehr<br />

Man kann es drehen und wenden,<br />

wie man will: Auf der Gewinnseite<br />

liegt lediglich die Genugtuung jener<br />

Männer und Frauen, denen die Doppelnennung<br />

menschlicher Funktionsträger<br />

ein Anliegen ist und die es<br />

offensichtlich verstanden haben, sich<br />

durchzusetzen. Die damit verbundene<br />

Komplizierung der Sprache und<br />

der Verlust an Sprachästhetik und<br />

logischen Ausdrucksmöglichkeiten<br />

schafft nicht eine einzige zusätzliche<br />

Information, dafür aber einen nicht<br />

geringen Ärger bei vielen Schreibern<br />

und Lesern. Es ist gewiß richtig<br />

und angezeigt, zum Beispiel auf<br />

Einladungen oder in Anreden beide<br />

Geschlechter anzusprechen, da man<br />

dann ja offensichtlich konkrete Menschen<br />

als Männer und Frauen vor sich<br />

sieht. In diesen Fällen sollte man sich<br />

denn auch die Mühe nehmen, beide<br />

Formen ganz auszuschreiben.<br />

Darüber hinaus sollten die Sprachfeministen<br />

jedoch den Mut aufbringen,<br />

in der Sackgasse, in die sie sich verrannt<br />

haben, wieder umzukehren. Die<br />

Sprache ist ein geistiger Organismus,<br />

in den man nicht derart gewaltsam<br />

eingreifen darf, daß wichtigste Ausdrucksmöglichkeiten<br />

verlorengehen<br />

und Umständlichkeit die Klarheit<br />

verdrängt. Es ist daher zu wünschen,<br />

daß alle feinfühligen Menschen ihren<br />

Sinn für sprachliche Ästhetik und<br />

auch für das natürlich Gewachsene<br />

beim Schreiben bewahren, auch<br />

wenn die derzeit gängige Ideologie<br />

anderes verlangt. Sprache darf nicht<br />

zur unaussprechbaren Schreibe verkommen.<br />

Wer immer durch sein politisches<br />

Amt oder seine berufliche Tätigkeit<br />

Einfluß auf die Entwicklung<br />

der deutschen Sprache haben oder<br />

nehmen kann, möge den Mut zur<br />

Umkehr aufbringen.<br />

Der Pädagoge und Psychologe Dr.<br />

Arthur Brühlmeier ist Schweizer und<br />

Pestalozzi-Kenner.<br />

www.bruehlmeier.info


Seite 4 Sprachpolitik<br />

Von Alexander Kissler<br />

J<br />

edes Volk habe die Regierung, die<br />

es verdient. So heißt es. Hat aber<br />

auch jede Zeit die Sprache, die sie verdient?<br />

Können wir an der Sprache ablesen,<br />

wie frei oder unfrei, wie demokratisch<br />

oder monarchisch, wie knechtend<br />

oder liberal eine Gegenwart ist? Für die<br />

meisten Epochen läßt sich der Beweis<br />

antreten, und für das beginnende 21.<br />

Jahrhundert verheißt er nichts Gutes.<br />

Denn das Deutsch der Kanzlerin ist das<br />

schlechteste Deutsch,<br />

das ein bundesrepublikanischer<br />

Kanzler<br />

je sprach.<br />

Heerscharen von Kabarettisten<br />

sind Merkel<br />

dankbar für ihre<br />

Lieblingsfloskel „Ich<br />

sage aber auch“. Ein<br />

Kontrast wird da inszeniert,<br />

ein Gegensatz<br />

vorgegaukelt, der<br />

nur an der Oberfläche<br />

besteht. Sowohl vor als<br />

auch nach der Scharnierfloskel<br />

ergeht sich<br />

die Kanzlerin in Platitüden,<br />

die eine persönliche<br />

Färbung gerade<br />

vermissen lassen. Das<br />

Einerseits-Andererseits<br />

ist ihr Metier, die<br />

Synthese, die immer schon geleistet ist,<br />

ohne daß die Positionen trennscharf erfaßt<br />

worden wären.<br />

Bei der Sicherheitskonferenz in München<br />

sagte sie einmal: Deutschland<br />

verdanke den USA viel, „ich sage aber<br />

auch, daß die deutsch-amerikanische<br />

Partnerschaft zu lange allein mit Dankbarkeit<br />

begründet wurde.“ Ende Januar<br />

verteidigte sie das Konjunkturpaket II<br />

Deutsch für Bundespräsidenten<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

ie Bundesversammlung wähl-<br />

D te Horst Köhler am 23. Mai<br />

wieder zum Bundespräsidenten.<br />

Köhler ist Schirmherr der „Initiative<br />

<strong>Deutsche</strong> Sprache“. Als ehemaliger<br />

Sparkassendirektor sieht er die<br />

Sprache jedoch offenbar eher vom<br />

bürokratischen Blickwinkel aus. Auf<br />

die Frage der „Bild am Sonntag“ im<br />

Dezember des vergangenen Jahres,<br />

ob es so bleiben könne, daß die EU-<br />

Bürokratie offizielle Dokumente auf<br />

deutsch immer noch verspätet oder<br />

gar nicht vorlegt, „obwohl wir den<br />

größten Beitrag zahlen“, antwortete<br />

Köhler: „Nein. Der deutschen Sprache<br />

als Amtssprache in multinationalen<br />

Einrichtungen sollte entsprechend<br />

der Bedeutung des Landes Rechnung<br />

getragen sein.“ Allerdings sprach sich<br />

Köhler im selben Atemzug gegen die<br />

Verankerung der deutschen Sprache<br />

im Grundgesetz aus: „Die deutsche<br />

Sprache ist etwas sehr Wichtiges für<br />

die Nation. Sie liegt uns allen am Herzen.<br />

Und doch sage ich: Manchmal<br />

liegt mehr Stärke im Unterlassen als<br />

im Handeln.“ Liegt tatsächlich Stärke<br />

darin, etwas zu unterlassen, was nach<br />

allen repräsentativen Umfragen rund<br />

70 Prozent der <strong>Deutsche</strong>n fordern?<br />

Deutlicher wurde Köhlers Mitbewerberin<br />

Gesine Schwan. Sie sieht in der<br />

Forderung, daß die deutsche Sprache<br />

Verfassungsrang erhalten müsse,<br />

„die Fortsetzung einer aversiven Politik<br />

gegen Einwanderer“. Und „ein<br />

Bild von Deutschland, in dem das<br />

<strong>Deutsche</strong> alleinverbindlich ist und<br />

alles andere sich in eine homogene<br />

Mehrheitsgesellschaft einpassen<br />

muß“, lehnt sie ab. Schwan will statt<br />

dessen die Mehrsprachigkeit fördern.<br />

Die bisherigen christdemokratischen<br />

Merkel:<br />

Es wimmelt<br />

von Anglizismen<br />

„In Bahnhöfen, im Internet und<br />

in Einkaufszentren wimmelt<br />

es von Anglizismen und Wortschöpfungen,<br />

die nicht nur<br />

älteren Menschen das Leben<br />

unnötig schwer machen. Deshalb<br />

sind die Anbieter gefordert,<br />

ihre Informationen klar,<br />

eindeutig, verständlich und in<br />

einer leserlichen Schriftgröße<br />

zu formulieren. Das sind eigentlich<br />

ganz einfache Dinge.<br />

Man wundert sich, warum unsere<br />

deutsche Sprache so selten<br />

benutzt wird, um einfache<br />

Sachverhalte darzustellen.“<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

am 12. Mai 2009 auf dem<br />

2. <strong>Deutsche</strong>n Verbrauchertag<br />

in Berlin<br />

„Ich sage aber auch …“<br />

Die Kanzlerin, die DDR und das Merkeldeutsch<br />

und den Plan einer Schuldenbremse:<br />

„Ich sage aber auch: Das ist dringend<br />

erforderlich und nur verantwortbar,<br />

wenn damit Tilgungsregelungen verbunden<br />

sind.“ Den Opelanern in Rüsselsheim<br />

rief sie Ende März zu, man<br />

brauche General Motors, „ich sage<br />

aber auch selbstbewußt:<br />

General Motors<br />

braucht auch Opel.“<br />

Ist das nicht eine pure<br />

Selbstverständlichkeit?<br />

Machen nicht<br />

immer mindestens<br />

zwei Partner eine Beziehung<br />

aus? Sollten<br />

nicht alle Schulden irgendwann<br />

einmal getilgt<br />

sein? Hat jemand<br />

wirklich behauptet,<br />

das Verhältnis von<br />

Deutschland und USA<br />

habe eine ausreichende<br />

Basis, wenn es allein<br />

auf Dankbarkeit<br />

beruhe?<br />

Die Merkelsche Meisterschaft<br />

im fortgeschrittenen<br />

Floskeltum zeitigt geradezu<br />

sinnwidrige Folgen, wenn sie auf<br />

historischem Feld agiert. Bei ihrer Videobotschaft<br />

Anfang Mai dieses Jahres<br />

wäre es schon plump genug gewesen,<br />

hätte sie nur der Neigung nachgegeben,<br />

Verben brachial zu substantivieren. Im<br />

Rückblick auf die gefälschten Kommunalwahlen<br />

in der DDR vom Mai 1989<br />

urteilte sie historisch korrekt, aber stilistisch<br />

ungenügend: „Das Bekannt-<br />

<strong>Sprachwelt</strong>-Mitarbeiter Wolfgang Hildebrandt sprach auf der diesjährigen<br />

Leipziger Buchmesse mit der Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine<br />

Schwan und mit Altbundespräsident Roman Herzog über die deutsche Sprache.<br />

Die DEUTSCHE SPRACHWELT nahmen sie gerne entgegen. Bilder: pau<br />

Bundespräsidenten spitzten weniger<br />

zu als die sozialdemokratischen,<br />

verkannten aber nicht die Bedeutung<br />

einer gepflegten Sprache, etwa Roman<br />

Herzog 1996 in der Paulskirche:<br />

„Genauen und reflektierten Umgang<br />

mit der Sprache zu lernen, heißt immer<br />

noch: genau denken zu lernen.<br />

Deswegen ist auch die behutsame<br />

Pflege der Sprache, die Vermeidung<br />

von überflüssigen und unsinnigen<br />

Neuprägungen, gerade in der Medien-<br />

und Wirtschaftswelt, von so großer<br />

Bedeutung.“<br />

Bei Äußerungen zur Rechtschreibreform,<br />

die nach Allensbach-Umfragen<br />

von zwei Dritteln der <strong>Deutsche</strong>n<br />

abgelehnt wird, war Herzog weniger<br />

mutig. Zwar sagte er einmal, die Reform<br />

sei „überflüssig wie ein Kropf“,<br />

ließ aber 1997 auf Nachfrage antworten:<br />

„Hier hatte er allerdings nicht<br />

nur gesagt, die Rechtschreibreform<br />

sei ‚überflüssig wie ein Kropf‘, sondern<br />

im gleichen Atemzug auch ausgeführt,<br />

er halte die Aufregung über<br />

die Rechtschreibreform für genauso<br />

überflüssig.“ Völlige Ahnungslo-<br />

werden und Sich-Herumsprechen des<br />

Wahlbetruges gab der Bürgerrechtsbewegung<br />

massiven Auftrieb.“<br />

Wie soll einem PISA-gebeutelten<br />

Schüler vermittelt werden, er müsse<br />

seinen schriftlichen wie mündlichen<br />

Ausdruck verbessern, wenn die erste<br />

Frau im Staate derart schlampig formuliert?<br />

Wenn Verben – abgesehen<br />

von „tun“ und „machen“ – zu Auslaufmodellen<br />

erklärt und primär mit Substantiven<br />

und Hilfsverben gearbeitet<br />

wird? Die falsche Moral kann doch nur<br />

lauten: Hauptsache, man versteht dich<br />

irgendwie. Daß Arbeit am Ausdruck<br />

immer Arbeit am Gedanken ist und<br />

wir deshalb in oft so gedankenlosen<br />

Zeiten leben, will der Kanzlerin nicht<br />

einleuchten.<br />

Schlimmer aber ist die historisch wie stilistisch<br />

falsche Rede von der „ehemaligen<br />

DDR“. Die „ehemalige DDR“ ist nichts<br />

anderes als der östliche Teil der heutigen<br />

Bundesrepublik. Solange die DDR noch<br />

existierte, kann sie nicht ehemalig gewesen<br />

sein. Deshalb ist es dreifach falsch,<br />

wenn Merkel im Video räsoniert: In Berlin-Hohenschönhausen<br />

„war in der ehemaligen<br />

DDR die Untersuchungshaftanstalt<br />

des Staatssicherheitsdienstes.“ Die<br />

Kommunalwahlen bedeuteten den ersten<br />

großen Erfolg der Bürgerrechtler „in der<br />

ehemaligen DDR“, ja seien geradezu<br />

„der Anfang vom Ende der ehemaligen<br />

DDR“ gewesen.<br />

Zwischen Dadaismus und hermetischer<br />

Lyrik schwanken diese Aussagen. Wie<br />

soll etwas Ehemaliges untergehen,<br />

sigkeit offenbarte 2006 ein Sprecher<br />

Horst Köhlers in einem Antwortbrief:<br />

„Es ist jetzt wichtig, daß<br />

nunmehr Sicherheit hinsichtlich der<br />

Rechtschreibregelungen herrscht.“<br />

Wer glaubt, daß die Schüler die reformierte<br />

Rechtschreibung sicher<br />

beherrschen, glaubt wahrscheinlich<br />

auch, daß die Rente sicher ist.<br />

Unsere Sprache hält unser Volk zusammen.<br />

Als Staatsoberhaupt trägt<br />

der Bundespräsident somit eine besondere<br />

Verantwortung gerade für<br />

die deutsche Sprache. Auch wenn er<br />

mit geringen Machtmitteln ausgestattet<br />

ist, kann er auf Fehlentwicklungen<br />

hinweisen und sich für die<br />

Landessprache einsetzen. Die Staatsoberhäupter<br />

sind zu großen Worten<br />

bereit, solange sie sich damit nicht<br />

ins politische Tagesgeschäft begeben,<br />

wie bei der Frage der Rechtschreibreform.<br />

Für uns bedeutet das,<br />

daß wir in einem sprachbewußten<br />

Bundespräsidenten zwar keinen Mitstreiter<br />

haben, der mit uns auf die<br />

Barrikaden geht, aber einen moralischen<br />

Rückhalt.<br />

etwas Totes also sterben? Wie sollen<br />

Bürgerrechtler gegen einen Staat protestieren,<br />

der zum Zeitpunkt des Protestes<br />

bereits nicht mehr bestand? Und<br />

gab es tatsächlich in der „ehemaligen<br />

DDR“, also doch wohl in der Bundesrepublik<br />

Deutschland, einen „Staatssicherheitsdienst“?<br />

Absurd sind diese Fragen, weil die<br />

Merkelschen Formulierungen absurd<br />

sind. Vermutlich werden Sätze so geformt,<br />

wenn man zur Sprache ein rein<br />

technisches Verhältnis hat. Das offensichtlich<br />

Widersinnige möge der<br />

Zuhörer abziehen, um zum Kern des<br />

Gemeinten vorzudringen: Mit dieser<br />

Anmutung treten die Sätze in eine Öffentlichkeit,<br />

der man jenes Sprachgefühl<br />

nicht mehr zutraut, das nötig ist,<br />

um die Fehler zu erkennen und stillschweigend<br />

zu beheben.<br />

Daß Merkel unter den führenden deutschen<br />

Politikern kein Einzelfall ist,<br />

macht die Sache nicht besser. Laut<br />

dem Werbetexter Reinhard Siemes<br />

bestehen fünfzig Prozent der heutigen<br />

Politikerreden aus „verbaler Spachtelmasse.“<br />

Ich sage aber auch: Das ist erst<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009<br />

Der Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat<br />

Frank-Walter Steinmeier<br />

freut sich über die DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT, während ihm sein<br />

Leibwächter mißtrauisch über die<br />

Schulter blickt. Die DSW sprach mit<br />

Steinmeier am 12. März auf der Leipziger<br />

Buchmesse. Bild: pau<br />

der Anfang. Erst wenn der letzte Sinn<br />

zusammengestaucht worden ist auf<br />

SMS-Länge, werden die Abwracker<br />

der Sprache Ruhe geben.<br />

Aus dem Netz-Tagebuch „Frisch am<br />

Stück“ des Kulturjournalisten Alexander<br />

Kissler, siehe www.alexanderkissler.de.<br />

Im Juli erscheint vom Autor<br />

im Gütersloher Verlagshaus das<br />

Sachbuch „Dummgeglotzt. Wie das<br />

Fernsehen uns verblödet.“<br />

„Wie gruselig ist<br />

dieses Europa“<br />

Köthen spricht über die deutsche Sprache in der EU<br />

A<br />

uf dem 3. Köthener Sprachtag<br />

hat sich der sachsen-anhaltische<br />

Europaminister Rainer Robra<br />

am 20. Juni dieses Jahres für eine stärkere<br />

Berücksichtigung der deutschen<br />

Sprache innerhalb der Europäischen<br />

Union (EU) ausgesprochen: „Die<br />

Förderung der deutschen Sprache ist<br />

ein zentraler Baustein, um in der Europäischen<br />

Union mehr Bürgernähe<br />

zu schaffen, um die Akzeptanz der<br />

EU zu erhöhen und Wettbewerbsnachteile<br />

für die deutsche Wirtschaft<br />

zu beseitigen.“ Unternehmen dürften<br />

nicht benachteiligt werden, weil Ausschreibungen<br />

nicht in ihrer Sprache<br />

vorlägen. Auch für Bürger sei grundlegende<br />

Voraussetzung einer aktiven<br />

Teilnahme am europäischen Leben,<br />

daß Informationen in ihrer Sprache<br />

zur Verfügung stünden, betonte<br />

Robra.<br />

Der Europaminister verwies darauf,<br />

daß die europäischen Institutionen in<br />

den vergangenen Jahren die deutsche<br />

Sprache immer weniger verwendeten.<br />

Weit über 90 Millionen Bürger<br />

in der EU hätten Deutsch als Muttersprache.<br />

Das werde bislang jedoch<br />

zu wenig geachtet. Sachsen-Anhalt<br />

habe deshalb gemeinsam mit fünf<br />

weiteren Bundesländern eine Erklärung<br />

von 18 europäischen Regionen<br />

und vierzig Abgeordneten des Europaparlaments<br />

unterzeichnet, in der<br />

eine stärkere Verwendung der deutschen<br />

Sprache innerhalb der europäischen<br />

Institutionen gefordert wird.<br />

In einer Zeit, in der Mitteilungen oft<br />

auf SMS-Format verknappt würden,<br />

sei Sprachpflege auch im eigenen<br />

Land unabdingbar. „Ein sicherer<br />

Umgang mit der Muttersprache ist<br />

die Voraussetzung dafür, sich eine<br />

umfassende Bildung anzueignen.“<br />

Der Europaminister würdigte die<br />

Bemühungen der Neuen Fruchtbringenden<br />

Gesellschaft um die Pflege<br />

der deutschen Sprache. Die 2007 gegründete<br />

Gesellschaft lädt jedes Jahr<br />

Sprachfreunde und Sprachvereine<br />

zum Köthener Sprachtag ein.<br />

Bereits das Köthener Gespräch<br />

am 15. Mai dieses Jahres hatte die<br />

Sprachenvielfalt in der EU zum Gegenstand.<br />

Anwesend waren Werner<br />

Grünewald, der Referatsleiter der<br />

deutschen Übersetzungsabteilung in<br />

der EU-Kommission, die Europaabgeordneten<br />

Horst Schnellhardt (CDU)<br />

und Ulrich Stockmann (SPD), Jochen<br />

Dreetz als Bewerber der Grünen und<br />

Johann-Michael Möller, Hörfunkdirektor<br />

des Mitteldeutschen Rundfunks.<br />

Die Gesprächsleitung hatte<br />

Dietrich Voslamber übernommen, ein<br />

pensionierter Beamter der EU-Kommission<br />

und einer der besten Kenner<br />

der europäischen Sprachenfrage.<br />

Die Abgeordneten zeigten sich einerseits<br />

sehr zufrieden. „Wir haben das<br />

Glück, daß alles übersetzt wird“, sagte<br />

Stockmann. Andererseits sprächen die<br />

Abgeordneten untereinander Englisch.<br />

Schnellhardt berichtete, es gelinge nicht<br />

einmal, die Hinweisschilder im Parlament<br />

mehrsprachig zu beschriften.<br />

Dreetz erklärte, man müsse sich irgendwann<br />

auf eine EU-Amtssprache einigen,<br />

seinetwegen könne man auch würfeln,<br />

ob es Englisch, Russisch oder Türkisch<br />

werde. Grünewald hingegen war darauf<br />

bedacht, die Schwierigkeiten herunterzuspielen.<br />

Zwar gab er zu, daß 85 Prozent<br />

aller Rechtstexte auf „eine Art“ Englisch<br />

vorgelegt würden. Er sei aber mit der<br />

jetzigen Regelung sehr zufrieden und<br />

müsse im übrigen als EU-Beamter die<br />

Meinung seines Chefs vertreten.<br />

Die besten Worte fand Johann-Michael<br />

Möller: „Wie gruselig ist doch<br />

dieses Europa, das würfelt, zählt und<br />

abstrakte Verordnungen erläßt. Wenn<br />

ich mir meine Sprache nehmen lasse,<br />

dann lasse ich mir meine Geschichte<br />

nehmen. Wenn wir unseren Komplex<br />

nicht überwinden, wird unsere<br />

Sprache bald aussterben. Wir müssen<br />

versuchen, diesem Europa wieder ein<br />

menschliches Gesicht zu geben. Wir<br />

brauchen eine Idee dieses Kontinents,<br />

wie sie unsere Vorfahren bereits hatten,<br />

ohne Kommissionen.“ (dsw)


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009 Leserdienst<br />

Seite 5<br />

U<br />

Sommer 2009<br />

Frühling 2009<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz:<br />

Laßt euch nicht auffressen! Wahlen<br />

2009 / Rudolf Wachter: Wo bleibt die<br />

<strong>Deutsche</strong> Orthographische Konferenz?<br />

/ Thomas Paulwitz: SALE? Nicht mit<br />

uns! / Gesucht: Die besten deutschen<br />

Werbesprüche / Geert Teunis: Vortrag<br />

vor der Hauptversammlung der Siemens<br />

AG / Einzigartiges Eurofon / Werner<br />

Pfannhauser: Werden unsere Universitäten<br />

englisch? / Sprachenvielfalt vor<br />

der Rettung? Fragen an Klaus Däßler<br />

/ Buchbesprechungen / Thomas Paulwitz:<br />

Goethe ungeschminkt / Oliver<br />

Höher: Schwer zu übersetzende Sprache<br />

/ Sprachwahrer 2008: Mahnung<br />

an die <strong>Deutsche</strong> Welle / Sprachsünder-<br />

Ecke: Apothekerverbände / Günter<br />

Körner: Georg Philipp Harsdörffer /<br />

Diethold Tietz: Fremdwörter in der<br />

Presse / Klemens Weilandt: Scheinbares<br />

Denken / Wolfgang Hildebrandt:<br />

Bad Bank – Kurort oder Schrottplatz?<br />

(Anglizismenmuffel)<br />

Winter 2008/09<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Kein<br />

Europa ohne Deutsch / Wolfgang Reinhart:<br />

Stärkt Deutsch in Europa! / Karin<br />

Pfeiffer: Wie Kinder heute das Schreiben<br />

lernen müssen / Thomas Paulwitz: Zum<br />

gegenwärtigen Stand der Rechtschreibreform<br />

/ Hermann H. Dieter: Was Sprachbilder<br />

vermögen (Teil 2) / Gespräch mit<br />

Richard G. Kerschhofer, dem Verfasser<br />

eines angeblichen Tucholsky-Gedichts /<br />

Buchbesprechungen / Beiträge der Schülerinnen<br />

Diana V. Behr, Undine Schenke<br />

und Anna-Maria Weigelt aus dem<br />

Schreibwettbewerb „Schöne deutsche<br />

Sprache“ 2008 / Sprachsünder-Ecke:<br />

<strong>Deutsche</strong> Welle / Thomas Paulwitz:<br />

Kommt Deutsch ins Grundgesetz? / Ausstellungen<br />

zur deutschen Sprache / Angelika<br />

Davey: Über den Abbau des Fremdsprachenunterrichts<br />

in England / Klemens<br />

Weilandt: Ein genialer Ski / Altweibersommer<br />

frauenfeindlich? / Wolfgang<br />

Hildebrandt: Swinging Christmas auf<br />

der Wartburg (Anglizismenmuffel)<br />

Herbst 2008<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Eine<br />

Leitkultur zerfällt / Josef Kraus: Wider<br />

die Selbstvergessenheit einer Sprachnation<br />

(Rede zur deutschen Sprache) / Hermann<br />

H. Dieter: Was Sprachbilder vermögen<br />

(Teil 1) / Ferdinand Urbanek:<br />

Sportler-Deutsch: Das gesprochene Wort<br />

(Teil 2) / Thomas Paulwitz: Sinkt Sicks<br />

Stern? / Wolfgang Hildebrandt: Einspruch,<br />

Herr Sick! / Heinz Böhme: Happy<br />

oder Aua? / Albrecht Balzer: Rettet<br />

die Fälle, bevor sie uns davonschwimmen<br />

/ Hartmut Koschyk: Deutsch gehört ins<br />

Grundgesetz! / Georg Ochsner: Wird<br />

es bald Netzanschriften mit „ß“ geben?<br />

/ Sprachsünder-Ecke: „Hall of Fame des<br />

deutschen Sports“ / Astrid Vockert:<br />

Freude an der Muttersprache wecken<br />

/ Dieter Althaus: Verteidigen wir die<br />

deutsche Sprache! / Petra Wust: Bitterfeld-Wolfen<br />

kämpft gegen englische<br />

Straßennamen / Klemens Weilandt: Der<br />

Nachruf – eine üble Nachrede? / Heinz-<br />

Peter Haustein: Deutsch nicht in die<br />

Mottenkiste / Wolfgang Hildebrandt:<br />

Sprachbankrott (Anglizismenmuffel)<br />

Sommer 2008<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Ein<br />

Haus für die deutsche Sprache / Jürgen<br />

Trabant: Globalesisch ist ein Sprachenkiller<br />

/ Rominte van Thiel: Die<br />

große Büchervernichtung / Dagmar<br />

Rosenstock: Zur Geschichte des Wortes<br />

„deutsch“ (Teil 3) / Hartmut Heuermann:<br />

Zehn Thesen zu Sprachkultur<br />

und Sprachverfall / Ferdinand Urbanek:<br />

Sportler-Deutsch: Das geschriebene<br />

Wort (Teil 1) / Thomas Paulwitz: Gebt<br />

der deutschen Sprache eine Zukunft!<br />

Stellungnahmen im „Lesesaal“ der<br />

F.A.Z. / Oliver Höher bespricht Jutta<br />

Limbachs „Hat Deutsch eine Zukunft?“<br />

/ Rominte van Thiel bespricht Eike<br />

Christian Hirschs „Deutsch kommt<br />

gut“ / Heinz Böhme: Immer noch mit<br />

der gleichen Frau verheiratet? / Hellmut<br />

Seiler: Sprachschmuddelei / Sprachsünder<br />

BASF antwortet auf Kritik / Sprachsünder-Ecke:<br />

Peterstaler Mineralquellen<br />

(„Black forest“) / Diethold Tietz: Zehn<br />

Jahre Sprachrettungsklub Bautzen/<br />

Oberlausitz e. V. / Urkundenübergabe<br />

an Initiative „Sprachlicher Verbraucherschutz“<br />

/ Wolfgang Hildebrandt: Waterboarding<br />

(Anglizismenmuffel)<br />

Unterstützen Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT. Sie haben drei Möglichkeiten:<br />

1. Die Spende 2. Die Bestellung 3. Die Empfehlung<br />

Bitte nutzen Sie den beigelegten Zahlschein für Ihre<br />

Spende. Mit einer Einzugsermächtigung ersparen<br />

Sie sich den Gang zur Bank. Über die Einrichtung<br />

von Daueraufträgen freuen wir uns sehr.<br />

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Einzugsermächtigung<br />

Zur Erhaltung der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />

möchte ich den Verein für Sprachpflege e. V.<br />

regelmäßig unterstützen. Darum ermächtige ich<br />

diesen Verein,<br />

einmalig - vierteljährlich - halbjährlich - jährlich<br />

[Nichtzutreffendes bitte durchstreichen]<br />

einen Betrag von EURO<br />

von meinem Konto abzubuchen.<br />

Diese Einzugsermächtigung kann ich jederzeit<br />

widerrufen.<br />

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Meine Anschrift Postfach 1449, D-91004 Erlangen, bestellung@deutsche-sprachwelt.de<br />

Name, Vorname<br />

Straße<br />

Faltblatt<br />

nser neues Faltblatt „Rettet<br />

die deutsche Sprache“ findet<br />

weiterhin reißenden Absatz. 12 000<br />

Stück sind bereits gezielt verteilt<br />

worden: die meisten durch unsere<br />

Leser. Bestellen und verbreiten<br />

auch Sie das Faltblatt und klären<br />

Sie über die Sprachpflege und die<br />

DEUTSCHE SPRACHWELT auf!<br />

Den Bestellschein finden Sie auf<br />

dieser Seite.<br />

Unsere Arbeit<br />

ist abhängig<br />

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Bundesrepublik Deutschland<br />

Stadt- und Kreissparkasse Erlangen<br />

Bankleitzahl 763 500 00<br />

Kontonummer 400 1957<br />

BIC: BYLADEM1ERH<br />

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Republik Österreich<br />

Volksbank Salzburg<br />

Bankleitzahl 45010<br />

Kontonummer 000 150 623<br />

Bitte deutlich schreiben!<br />

Lieferbare Ausgaben<br />

<strong>36</strong><br />

35<br />

34<br />

Wir bitten um eine Spende zur Deckung unserer Kosten<br />

auf das Konto des Vereins für Sprachpflege e.V.<br />

regelmäßiger Bezug<br />

Bitte senden Sie mir regelmäßig kostenlos und unverbindlich<br />

die DEUTSCHE SPRACHWELT. Bei<br />

Gefallen werde ich sie mit einer Spende unterstützen.<br />

Ich verpflichte mich aber zu nichts.<br />

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Ich besitze eine Arztpraxis oder habe eine andere<br />

Gelegenheit, die DSW auszulegen. Bitte schicken<br />

Sie mir von jeder neuen Ausgabe ______ Stück.<br />

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Geburtsdatum<br />

______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />

Postleitzahl und Ort<br />

33<br />

32<br />

Lieferbar sind auch noch alle früheren<br />

Ausgaben. Die Inhaltsverzeichnisse<br />

sämtlicher Ausgaben finden Sie unter<br />

www.deutsche-sprachwelt.de/<br />

archiv/papier/index.shtml.<br />

______ Faltblätter „Rettet die deutsche Sprache!“<br />

______ Stück der Broschüre „Gebt der deutschen<br />

Sprache eine Zukunft! Antworten im ‚Lesesaal‘<br />

der F.A.Z.“ von Thomas Paulwitz. Für das Büchlein<br />

habe ich 5 Euro als Spende überwiesen.<br />

______ Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf<br />

der deutschen Sprache!“ (9,5 x 14,5 cm; farbig;<br />

witterungsbeständig)<br />

D<br />

Bitte senden Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT auch an:<br />

1<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

2<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

3<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

4<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

5<br />

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Straße, Postleitzahl und Ort<br />

6<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

Es bleibt haften!<br />

Wir lassen für Sie 5.000 neue Aufkleber drucken<br />

er Sommerschlußverkauf steht<br />

vor der Tür. Damit wird wieder<br />

eine große SALE-Welle durch<br />

Deutschlands Innenstädte schwappen.<br />

Kleben Sie den Sprachverderbern<br />

eine. Bekennen Sie Farbe mit unserem<br />

erfolgreichen Anti-SALE-Aufkleber<br />

„Schluß mit dem Ausverkauf der<br />

deutschen Sprache!“ Die ersten 6 000<br />

Aufkleber (9,5 x 14,5 cm, farbig, witterungsbeständig)<br />

sind bereits unter<br />

die Leute gebracht. Die Nachfrage ist<br />

Die zehn sprachpolitischen Forderungen<br />

1. Deutsch muß im öffentlichen Raum die vorrangige Sprache sein.<br />

2. Die Unterrichtssprache in Schulen und Hochschulen ist Deutsch.<br />

Deutsch muß nationale Wissenschaftssprache sein.<br />

3. Die deutsche Rechtschreibung muß einheitlich geregelt sein.<br />

4. Deutsch muß in der Europäischen Union Arbeits- und Veröffentlichungssprache<br />

sein.<br />

5. Die deutschen Mundarten und die deutsche Schrift sind besonders<br />

zu schützen.<br />

6. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Voraussetzung für<br />

Einbürgerung und langfristigen Aufenthalt.<br />

7. Bildung und Familie müssen gefördert werden, um die deutsche<br />

Sprache zu stärken.<br />

8. Die deutsche Sprache muß auch im Ausland gefördert werden.<br />

9. Die deutsche Sprache ist vor politischem Mißbrauch zu schützen.<br />

10. Ein neuer <strong>Deutsche</strong>r Sprachrat betreut die Erfüllung dieser<br />

Forderungen.<br />

Mehr auf unserer Netzseite www.deutsche-sprachwelt.de/forderungen.shtml<br />

Bitte deutlich schreiben!<br />

groß. Eine kleine Umfrage hat ergeben,<br />

daß die Aufkleber beeindrucken<br />

und weiterhin benötigt werden. Daher<br />

haben wir uns entschlossen, weitere<br />

5 000 Stück drucken zu lassen. Wir<br />

geben die Aufkleber weiterhin kostenlos<br />

ab. Die Kosten für Druck und Versand<br />

versuchen wir durch Spenden zu<br />

decken. Bestellen Sie den Aufkleber<br />

mit dem Bestellschein auf dieser Seite<br />

oder noch besser elektronisch über<br />

bestellung@deutsche-sprachwelt.de.


Seite 6 Bildung<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009<br />

Einfach zweisprachig oder doppelt halbsprachig?<br />

Ist 1+1=2? Möglichkeiten und Grenzen mehrsprachiger Erziehung<br />

Von Irmela van Thiel<br />

D<br />

as Aufwachsen eines Kindes<br />

mit mehreren Sprachen ist<br />

die eine Sache – Mehrsprachigkeit<br />

in Verbindung mit einer Sprachentwicklungsstörung<br />

die andere. Durch<br />

die zunehmende Ein- und Auswanderung<br />

gibt es zahlreiche Kinder, die<br />

als Fremdsprachler in Deutschland<br />

aufwachsen oder Eltern mit verschiedenen<br />

Muttersprachen haben.<br />

Für die mehrsprachige Erziehung eines<br />

Kindes innerhalb der Familie ist<br />

bedeutsam, daß das Kind von Geburt<br />

an beide Sprachen dargeboten bekommt.<br />

Dabei spielt Sprachtrennung<br />

eine Rolle. Das bedeutet, daß jeder<br />

Elternteil in seiner eigenen Muttersprache<br />

bleibt, wenn er mit dem<br />

Kind spricht. Zusätzlich muß es in<br />

einer solchen Familie eine sogenannte<br />

Tischsprache geben. Hier müssen<br />

sich die Eltern entscheiden, welcher<br />

Elternteil besser die Sprache des anderen<br />

sprechen kann, so daß diese<br />

während der gemeinsamen Familienzeiten<br />

gesprochen wird.<br />

Es zeigt sich immer wieder, wie<br />

wichtig eine solch klare Sprachtrennung<br />

ist, damit das Kind die Systeme<br />

beider Sprachen zu unterscheiden<br />

lernt. Kleinere Kinder neigen noch<br />

zu Sprachmischungen, während<br />

Kinder ab dem 8. Lebensjahr meist<br />

sehr schnell zwischen den Sprachen<br />

wechseln können. Beim Spracherwerb<br />

auftretende Sprachmischungen<br />

sind in der Regel unbedenklich, außer<br />

wenn der Wortschatz der einen Sprache<br />

mit der Grammatik der anderen<br />

gebraucht wird (Interferenzen).<br />

Wenn die Eltern untereinander die<br />

gleiche Sprache sprechen, aber in einem<br />

anderen Land leben, ist die Pflege<br />

der Muttersprache das entscheidende<br />

Kriterium für eine ausreichende<br />

Sprachentwicklung des Kindes.<br />

Wächst beispielsweise das Kind einer<br />

Familie, die aus Griechenland<br />

stammt, in Deutschland auf, so sollten<br />

die Eltern bei der Erziehung des Kindes<br />

in ihrer Muttersprache bleiben.<br />

Säuglinge können bereits die Muttersprache<br />

von einer anderen Sprache<br />

unterscheiden und reagieren bevor-<br />

zugt auf sie, wie auch auf die Stimme<br />

der Mutter. Während in der ersten<br />

Lebenszeit alle Säuglinge der Welt<br />

ähnliche Laute äußern, ahmen sie bereits<br />

ab dem sechsten Lebensmonat<br />

Laute und Satzmelodie der Muttersprache<br />

nach und verstehen mit neun<br />

bis zehn Monaten Wörter und erste<br />

Sätze. Dies zeigt zum einen, wie entscheidend<br />

bereits das erste Lebensjahr<br />

die Entwicklung der Muttersprache<br />

prägt. Zum anderen läßt es auch<br />

verstehen, warum es nicht gelingen<br />

kann, wenn die Eltern (!) dem Kind<br />

später plötzlich durchgehend eine<br />

andere Sprache als die eigene(n)<br />

Muttersprache(n) anbieten.<br />

Gefahr der doppelten<br />

Halbsprachigkeit<br />

Dem Kind genügen bei einer regulär<br />

verlaufenden Sprachentwicklung wenige<br />

Monate in einem deutschen Kindergarten,<br />

um die deutsche Sprachentwicklung<br />

anzustoßen. Sprechen<br />

die Eltern jedoch mit ihren Kindern<br />

gebrochenes Deutsch statt der eigenen<br />

Muttersprache, so entsteht die<br />

Gefahr der doppelten Halbsprachigkeit.<br />

Das Kind lernt dann womöglich<br />

das System der Muttersprache nicht<br />

und kann auch nicht darauf aufbauend<br />

eine zweite Sprache erlernen,<br />

also zum Beispiel das <strong>Deutsche</strong> der<br />

Alltagsumgebung. Dieses Phänomen<br />

können wir leider bei vielen jungen<br />

Erwachsenen beobachten, die bereits<br />

in zweiter Generation in Deutschland<br />

leben. Denn hier haben die Eltern oft<br />

nicht mehr ausreichende Kenntnisse<br />

in der eigenen Muttersprache, so daß<br />

zuweilen die gesamte Familie in einer<br />

doppelten Halbsprachigkeit lebt.<br />

Erlernt das Kind in den ersten drei<br />

Lebensjahren zum Beispiel Griechisch<br />

als Muttersprache und kommt<br />

dann in den deutschen Kindergarten,<br />

so wird die deutsche Sprachentwicklung<br />

angestoßen. Trotzdem können<br />

auch jetzt psychische Probleme für<br />

das Kind auftreten, wenn es zunächst<br />

in der neuen Umgebung kein Wort<br />

versteht. Deshalb können Eltern<br />

hier durchaus vorsorgen, ohne daß<br />

sie selbst versuchen, mit dem Kind<br />

durchgehend eine fremde Sprache<br />

Grundschulenglisch gescheitert<br />

„Englisch wird die Arbeitssprache … Deswegen haben<br />

wir in Baden-Württemberg, ab der Grundschule,<br />

1. Klasse, Englisch eingeführt.“ (Günther Oettinger)<br />

E<br />

nglischunterricht ab der 1. oder 3. Klasse gibt es mittlerweile in allen<br />

deutschen Bundesländern. Unter dem Eindruck des PISA-Schocks<br />

hatten die Kultusminister das durchgesetzt, sehr schnell und ohne viel<br />

nachzudenken. Denn Schüler ohne Grundschulenglisch holen den vermeintlichen<br />

Rückstand in der fünften Klasse binnen eines halben Jahres<br />

auf. Das ergaben psycholinguistische Studien des Sprachwissenschaftlers<br />

Manfred Pienemann von der Universität Paderborn. Heiner Böttger,<br />

Professor für Englischdidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt,<br />

forschte im Sommer 2008 an bayerischen Realschulen und Gymnasien.<br />

Dabei fand er heraus, daß 95 Prozent der befragten Englischlehrer am<br />

Ende der 5. Klasse keinen signifikanten Leistungsunterschied erkennen<br />

können zwischen Schülern, die Grundschulenglisch hatten, und Schülern,<br />

die kein Grundschulenglisch hatten. Zwei Drittel der Lehrer halten den<br />

Englischunterricht vor der 5. Klasse für überflüssig. Untersuchungen in<br />

der Schweiz zeigten, daß der frühere Beginn des Fremdsprachenunterrichts<br />

keineswegs für einen größeren Erfolg bürgt, da sich ältere Schüler Sprachen<br />

effizienter aneignen. Professor Rudolf Wachter von der Universität<br />

Basel nannte das frühe Fremdsprachenlernen nach dem Grundsatz „Versuch<br />

und Irrtum“ „reine Zeitverschwendung“. Wolfgang Klein, Direktor<br />

des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nimwegen, urteilt: „Der<br />

Effekt des Grundschulenglischs ist gleich null.“ Englischunterricht in der<br />

Grundschule geht nur auf Kosten des muttersprachlichen Unterrichts. Die<br />

Muttersprache ist jedoch die Bildungsgrundlage für alles andere. (pau)<br />

zu sprechen. Sprachinseln wie eine<br />

deutsche Spielgruppe oder Freundschaften<br />

mit deutschen Nachbarskindern<br />

können in diesem Fall helfen,<br />

das deutsche Sprachverständnis<br />

bereits vor dem Kindergarten anzubahnen.<br />

Hier spielt auch eine Rolle,<br />

daß das Kind lernen muß, daß unterschiedliche<br />

Lebensräume (Familie,<br />

Kindergarten, Freunde) verschiedene<br />

Sprachen erfordern (funktionale<br />

Sprachtrennung).<br />

Unterschieden wird zwischen simultanem<br />

(natürlichem) und sukzessivem<br />

(kulturellem) Bilingualismus<br />

(Zweisprachigkeit). Simultaner<br />

Spracherwerb bedeutet, daß jeder<br />

Elternteil eine andere Sprache (seine<br />

Muttersprache!) spricht und das<br />

Kind so mit zwei Sprachen von Geburt<br />

an aufwächst. Dies erfordert den<br />

Grundsatz „eine Person – eine Sprache“,<br />

sowie ein hohes Sprachangebot<br />

in beiden Sprachen. Der sukzessive<br />

Erwerb zweier Sprachen bedeutet,<br />

daß das Kind mit dem Eintritt in den<br />

Kindergarten eine zweite Sprache,<br />

also die Umgebungssprache erlernt.<br />

Bespaßung mit Englisch<br />

gelingt nicht<br />

Künstlich Mehrsprachigkeit zu erzeugen,<br />

indem ein Kind mit deutschen<br />

Eltern, das in Deutschland aufwächst,<br />

bereits im Kindergarten oder<br />

im Kleinkindalter mit einer Stunde<br />

Englisch pro Woche bespaßt wird,<br />

gelingt nicht. Das Kind wird Englisch<br />

immer als eine Fremdsprache<br />

empfinden. Einem sich völlig regulär<br />

entwickelnden Kind wird diese Englischstunde<br />

freilich auch nichts anhaben,<br />

denn der Spracherwerb ist da<br />

sehr unempfindlich. Das Kind wird<br />

möglicherweise seinen Spaß daran<br />

haben, aber sicherlich nicht Englisch<br />

als zweite „Mutter“sprache empfinden.<br />

Fängt nun aber die deutsche<br />

Mutter auf einmal an, Englisch mit<br />

dem Kind zu sprechen, dann leuchtet<br />

ein, daß dem Kind die Grundlage zur<br />

Ausbildung von Regeln und Strukturen<br />

in der eigentlichen Muttersprache<br />

entzogen wird. Dies wäre eine<br />

Rahmenbedingung, die zu Sprachentwicklungsproblemen<br />

führen kann.<br />

Unsinnig ist auch, wenn die Erzieherin<br />

in der Krippe unter der Woche<br />

die Hauptbezugsperson ist und nun<br />

plötzlich Englisch (ohne daß es ihre<br />

Muttersprache ist!) mit dem Kind,<br />

das als deutsches in Deutschland<br />

lebt, spricht.<br />

Problematisch wird es, wenn Mehrsprachigkeit<br />

und Sprachentwicklungsstörung<br />

zusammentreffen. Hier<br />

stellt sich die Frage, ob Mehrspra-<br />

Bild: Stockxpert<br />

chigkeit ein Auslöser und Verstärker<br />

von Sprachstörungen sein kann. Die<br />

Ursache der Sprachentwicklungsstörung<br />

kann nicht genau auf einen<br />

Faktor eingegrenzt werden. Es können<br />

biologische oder genetische Ursachen<br />

eine Rolle spielen, aber auch<br />

zum Beispiel das Sprachverhalten<br />

der Eltern. Ist ein Kind nun in seiner<br />

Sprachentwicklung gefährdet –<br />

sieben bis zehn Prozent der Kinder<br />

sind davon betroffen –, ist auch eine<br />

Überprüfung des elterlichen Sprechens<br />

wichtig: Liegt Sprachtrennung<br />

vor? Sind die elterlichen Äußerungen<br />

dem Altersniveau des Kindes angepaßt?<br />

Wird modellierende Sprache<br />

eingesetzt? (Das heißt, die Äußerungen<br />

des Kindes werden aufgegriffen<br />

und dann ausmodelliert noch einmal<br />

zurück gegeben: „Auto da“ – „Ja, genau,<br />

da fährt ein Auto“.)<br />

Mehrsprachigkeit kann zu sprachlichen<br />

Entwicklungsstörungen führen,<br />

wenn von innen her kommende,<br />

„intrinsische Faktoren“ (Gesamtentwicklung,<br />

genetische Faktoren, Hörentwicklung)<br />

oder von außen her<br />

kommende, „extrinsische Faktoren“<br />

(Sprachvorbild, Menge an sprachlichem<br />

Angebot, Sprachlehrstrategien,<br />

Sprachtrennung) problematisch sind<br />

oder unzureichend zueinander passen.<br />

Sprachstörungen bei<br />

Einwandererkindern<br />

Untersuchungen zeigen, daß besonders<br />

Einwandererkinder von<br />

Sprachstörungen betroffen sind.<br />

Untersucht wurden beispielsweise<br />

1.014 deutschsprachige Kinder und<br />

347 nicht-deutschsprachige Kinder.<br />

9,7 Prozent der deutschen Kinder<br />

waren bezüglich der Sprachentwicklung<br />

auffällig, ein Prozentsatz, der<br />

sich ähnlich auch in anderen internationalen<br />

Studien mit einsprachigen<br />

Kindern zeigt. Bei den nichtdeutschsprachigen<br />

Kindern hatten<br />

34,5 Prozent massive Störungen.<br />

Zusammengefaßt zeigen Untersuchungen<br />

aber sowohl eine positive<br />

als auch eine negative Auswirkung<br />

mehrsprachiger Erziehung. Man<br />

spricht von „additivem versus subtraktiven<br />

Bilingualismus“, also von<br />

einer stärkenden gegenüber einer<br />

schwächenden Zweisprachigkeit. So<br />

zeigten Studien über die Entwicklung<br />

von Mutter- und Zweitsprache<br />

einerseits, daß mehrsprachig erzogene<br />

Kinder im Vergleich zu einsprachigen<br />

Kindern höhere Werte im<br />

Bereich der Intelligenz, der Schulleistungen<br />

und der emotionalen Entwicklung<br />

erreichten (additiver Bilingualismus).<br />

Genauso gab es aber<br />

auch Kinder, bei denen genau das<br />

Gegenteil eintrat (subtraktiver Bilingualismus).<br />

Die Schlußfolgerung ist,<br />

daß es keine zu verallgemeinernde<br />

positive oder negative Auswirkung<br />

von Mehrsprachigkeit gibt, sondern<br />

daß im Kind liegende (intrinsische)<br />

Faktoren sowie die Rahmenbedingungen<br />

(extrinsische Faktoren) eine<br />

entscheidende Rolle spielen.<br />

Die entscheidende veränderliche<br />

Größe bei mehrsprachiger Erziehung<br />

ist wohl das Niveau, das ein Kind<br />

in beiden Sprachen erreicht und das<br />

über die weitere Entwicklung von<br />

Gefühl und Verstand entscheidet.<br />

Eine erste Kompetenzstufe muß das<br />

Kind erreichen, damit kein negativer<br />

(„subtraktiver“) Bilingualismus entsteht,<br />

eine weitere, damit die positiven<br />

(„additiven“) Wirkungen eintreten<br />

können. Es bildet sich dann eine<br />

Sprachfähigkeit, die für die gesamte<br />

Entwicklung des Kindes zuträglich<br />

ist (Intelligenz, geistige Gewandtheit,<br />

Kreativität, Sozialverhalten). Dieser<br />

„additive Bilingualismus“ betrifft<br />

meist Kinder der Mehrheitsgesellschaft<br />

mit gut ausgebildeter Muttersprache<br />

und sozialer Anerkennung.<br />

Mehrsprachigkeit als Chance<br />

Das Gegenteil stellt sich eher bei<br />

Kindern einer Minderheit mit einem<br />

geringen sozialen und sprachlichen<br />

Ansehen ein: Sie erreichen<br />

in der Erstsprache nicht die erste<br />

Kompetenzstufe. Damit kann sich<br />

die Zweitsprache nicht ausreichend<br />

entwickeln. Es zeigt sich die oben<br />

genannte Erscheinung der doppelten<br />

Halbsprachigkeit (Semilingualismus).<br />

Die Muttersprache gibt also<br />

die Struktur und den weiteren Verlauf<br />

vor. Die Entwicklung der Zweitsprache<br />

ist abhängig vom Niveau der<br />

Erstsprache (Interdependenz), was<br />

vor allem bei sukzessivem (kulturellem)<br />

Spracherwerb entscheidend ist.<br />

Bei einem altersgemäßen Gesamtentwicklungsstand,<br />

entsprechendem<br />

Sprachverhalten der Eltern und günstigen<br />

Rahmenbedingungen kann<br />

Mehrsprachigkeit eine große Chance<br />

sein, da ein Kind ohne Schwierigkeiten<br />

zwei oder mehr Sprachen erlernen<br />

kann. Sollte ein Kind in seiner<br />

sprachlichen Entwicklung jedoch<br />

zurückfallen, so ist es für Sprachtherapeuten<br />

ein wichtiges Anliegen,<br />

Eltern zu ermutigen, möglichst früh<br />

bei einem Logopäden oder einem<br />

Sprachtherapeuten nachzufragen<br />

und Rat einzuholen. Gerade bei<br />

Mehrsprachigkeit handelt es sich<br />

eben nicht nur um fremdsprachliche<br />

Schwierigkeiten, wenn ein Kind nach<br />

einem Jahr im deutschen Kindergarten<br />

immer noch nicht oder nicht altersgemäß<br />

spricht. Hier können auch<br />

Erzieherinnen aufmerksam werden<br />

und den Eltern zu einer Sprachtherapie<br />

raten, gerade wenn der Einblick<br />

in die Familiensprache durch Verständigungsprobleme<br />

gar nicht möglich<br />

ist. Grundsätzlich sollten Eltern<br />

aufmerksam werden und sich sprachtherapeutisch<br />

beraten lassen, wenn<br />

ein Kind mit 22 bis 24 Monaten noch<br />

keine fünfzig Wörter spricht.<br />

Irmela van Thiel ist Akademische<br />

Sprachtherapeutin M. A.<br />

Literaturhinweis:<br />

Vassilia Triarchi-Herrmann, Mehrsprachige<br />

Erziehung. Wie Sie Ihr<br />

Kind fördern, Reinhardt Verlag,<br />

München 2006.


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009 Europa<br />

Seite 7<br />

Deutsch: Mauerblümchen der EU<br />

Der kulturpolitische Sprecher der FDP zur europäischen Sprachenfrage<br />

Von Christoph Waitz MdB<br />

eutsch ist die am weitesten ver-<br />

D breitete Sprache in der Europäischen<br />

Union (EU). Von den 450<br />

Millionen EU-Bürgern sprechen 18<br />

Prozent Deutsch als Muttersprache.<br />

Der deutsche Sprachraum in Mitteleuropa<br />

umfaßt vor allem Deutschland,<br />

Österreich, die deutschsprachige<br />

Schweiz und Liechtenstein. Darüber<br />

hinaus wird Deutsch in Luxemburg,<br />

Ostbelgien, Südtirol, Elsaß und (Nordost-)Lothringen<br />

gesprochen. Kleinere<br />

Sprachinseln finden sich in heute<br />

fremden Sprachräumen wie Siebenbürgen,<br />

Westungarn, Oberschlesien.<br />

Auf dem zweiten Platz folgen Englisch<br />

und Italienisch gleichauf mit 13<br />

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Prozent. Danach kommt Französisch<br />

mit zwölf Prozent. Dennoch führt<br />

Deutsch in den Institutionen der EU<br />

eher ein Mauerblümchendasein. Hier<br />

dominiert ganz eindeutig Englisch,<br />

gefolgt von Französisch.<br />

Die Entwicklung und Benutzung internationaler<br />

Verkehrssprachen ist so<br />

alt wie die Menschheit. War dies in<br />

früheren Jahrhunderten Griechisch,<br />

dann Latein und später Französisch,<br />

so hat sich seit Ende des vergangenen<br />

Jahrhunderts Englisch als Lingua<br />

franca durchgesetzt. Die Existenz einer<br />

internationalen Verkehrssprache<br />

wird oft mit politischer Vorherrschaft<br />

Die DSW in der Presse<br />

Über die Sprachprüfsteine zur Europawahl berichteten am 5. Juni 2009 die<br />

Nachrichtenagentur ddp und am 22. Juni die Mitteldeutsche Zeitung:<br />

Deutsch, Englisch oder Sprachenvielfalt<br />

– Parteien setzen sich in Europawahlprogrammen<br />

unterschiedlich für<br />

die deutsche Sprache ein<br />

Von ddp-Korrespondentin Yasmin Schulten<br />

rlangen (ddp) – Die CSU kämpft darum, am Sonntag bei der Europawahl<br />

bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, in einem<br />

Punkt hat sie aber schon jetzt die Nase vorn. Mehr als die anderen großen<br />

Parteien setzen sich die Christsozialen für die deutsche Sprache auf europäischer<br />

Ebene ein. Die Zeitschrift DEUTSCHE SPRACHWELT hat die<br />

Wahlprogramme der großen Parteien unter die Lupe genommen und am<br />

Freitag in Erlangen „Sprachprüfsteine“ zur Europawahl publikgemacht.<br />

Ziel dieser Analyse war es, eine Entscheidungshilfe für unentschlossene,<br />

aber sprachbewußte Wähler zu geben, hieß es.<br />

So widmet sich die CSU in ihrem Programm ausführlich der Bedeutung<br />

der deutschen Sprache in der EU. Europa lebe aus dem Reichtum seiner<br />

Regionen, Völker und Kulturen und aus dem gegenseitigen geistigen und<br />

kulturellen Austausch, hieß es im CSU-Europawahlprogramm. <strong>Deutsche</strong><br />

Sprache und bayerische Kultur hätten dabei aber eine „ganz besondere<br />

Bedeutung“. Als „meistgesprochene Muttersprache in Europa“ müsse<br />

Deutsch gleichberechtigte Arbeitssprache neben Englisch und Französisch<br />

sein, fordert die CSU. Auch sollen alle Antragsformulare auf EU-Fördergelder<br />

auf deutsch verfügbar sein und auch ausgefüllt werden können. Nur<br />

die CSU trete zu 100 Prozent für die deutsche Sprache ein, schlußfolgerten<br />

die Sprachexperten.<br />

Ähnlich sieht das auch die Schwesterpartei CDU, die die deutsche Sprache<br />

in Institutionen der EU „angemessen berücksichtigt“ und „stärker<br />

verwendet“ sehen möchte. Zugleich spricht sich die Partei auch für einen<br />

frühen Erwerb einer Fremdsprache aus. Die SPD fordert „dringend auch<br />

die Gleichberechtigung der deutschen Sprache auf Ebene der Europäischen<br />

Union“. Gleichzeitig weisen die Sozialdemokraten in ihrem Programm<br />

darauf hin, daß allgemeiner „sprachlicher Bildung“ ein „noch größeres Gewicht“<br />

gegeben werden müsse.<br />

Gänzlich anders sehen das die Grünen. In ihrem Wahlprogramm machen sie<br />

sich den Untersuchungen zufolge zu einhundert Prozent für eine Sprachenvielfalt<br />

stark. Basis und Ausdruck der kulturellen Vielfalt seien die Sprachen<br />

Europas, hieß es. Ähnlich tritt auch die FDP für eine Sprachenvielfalt<br />

in Europa ein. Der Mehrsprachigkeit und Anhebung der Sprachkompetenz<br />

müßten ihrem Programm zufolge „besondere Aufmerksamkeit“ geschenkt<br />

werden. Für die Linken spielt die Gewichtung von Sprache offenbar keine<br />

Rolle, in ihrem Programm gibt es dazu keine Stellungnahme.<br />

Forderung aus Köthen an die EU<br />

Von Thomas Rinke und Claus Blumstengel (Mitteldeutsche Zeitung)<br />

… Allgemein beklagt und mit zahlreichen Beispielen nachgewiesen wurde<br />

auf dem 3. Sprachtag die stiefmütterliche Behandlung der deutschen Sprache<br />

in den Institutionen der Europäischen Union. … Die Ursache für die<br />

geringe Rolle der deutschen Sprache in der Europäischen Union war bald<br />

ausgemacht: Die <strong>Deutsche</strong>n selbst, so das Fazit des Vortrags vom Mitglied<br />

der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft, Thomas Paulwitz, widmen ihrer<br />

Sprache nicht die nötige Aufmerksamkeit. So habe die Muttersprache in<br />

den EU-Wahlprogrammen der Linken, von Bündnis 90 / Die Grünen und<br />

der FDP überhaupt keine Rolle gespielt und das Programm der SPD sei<br />

zum Teil in schwer verdaulichen Schachtelsätzen abgefaßt, die der Referent<br />

augenzwinkernd in verständliches Deutsch übertrug. Demgegenüber<br />

lobte Paulwitz aus sprachlicher Sicht das EU-Programm der CSU …<br />

Band 1<br />

Ein Leitfaden durch<br />

die lateinischen Regeln<br />

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Sprache und ihrer Denkweise kann<br />

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ihres Stammlandes gleichgesetzt,<br />

meist zu Recht. Auf Athen und den<br />

Attischen Seebund folgte das Römische<br />

Reich. Frankreich war unter<br />

Ludwig XIV. die Hegemonialmacht<br />

Europas. Seit ihrem Eintritt in den<br />

Ersten Weltkrieg, mehr noch seit<br />

1945 und dem Zusammenbruch der<br />

Sowjetunion 1991, sind die USA politisch<br />

das wichtigste Land der Welt.<br />

Englisch: zwanglose Beeinflussung<br />

Genau so oft wie die Vermutung<br />

politischer Hegemonie wird Angst<br />

vor kultureller Vorherrschaft formuliert.<br />

Diese Vermutung ist jedoch<br />

immer dann unbegründet, wenn die<br />

Verkehrssprache nicht zum Zweck<br />

politisch-kultureller Vorherrschaft<br />

mißbraucht wird, wie das beim Russischen<br />

in der ehemaligen Sowjetunion,<br />

beim Kastilischen unter Franco<br />

oder beim Türkischen gegenüber den<br />

Kurden der Fall war. Auf das Englische<br />

unserer Tage trifft dies nicht zu,<br />

genauso wenig wie es für das Französisch<br />

der frühen Neuzeit galt. Als<br />

Friedrich und Voltaire auf französisch<br />

korrespondierten, schuf Bach seine<br />

Kantaten auf deutsch. Mozart schrieb<br />

seine Opern erst auf italienisch, einer<br />

Art Verkehrssprache für diese Musiksparte,<br />

dann aber auch auf deutsch.<br />

Die Zauberflöte entstand, als man an<br />

allen Höfen nach wie vor selbstverständlich<br />

nur Französisch sprach und<br />

schrieb. Auch in der Neuzeit hat sich<br />

daran nichts geändert. Die Schriftsteller<br />

Heinrich Böll und Günter Grass<br />

erhielten ihre Literaturnobelpreise<br />

zu einer Zeit, als Englisch längst etablierte<br />

Verkehrssprache war.<br />

Das Englische als internationale Verkehrssprache<br />

unserer Tage beeinflußt<br />

zwar andere Kulturen, aber nicht durch<br />

Zwang, sondern durch Verbreitung<br />

und läßt nationalen Kulturen jeden<br />

gewünschten Entfaltungsraum. Englisch<br />

hat auch nach dem 2. Weltkrieg<br />

eine immer beherrschendere Rolle in<br />

der Welt eingenommen. War dies zunächst<br />

auf die westliche Hemisphäre<br />

beschränkt, so eroberte sich Englisch<br />

Sprachprüfsteine zur Europawahl<br />

K<br />

urz vor den Europawahlen veröffentlichte<br />

die DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT Sprachprüfsteine<br />

zur Europawahl. Wir werteten die<br />

Europawahlprogramme der sechs im<br />

Europaparlament vertretenen bundesdeutschen<br />

Parteien aus, zunächst, um<br />

sprachbewußten Wählern eine Entscheidungshilfe<br />

zu bieten; dann aber<br />

auch, um festzustellen, was wir in den<br />

nächsten fünf Jahren von den deutschen<br />

Abgeordneten erwarten können.<br />

Wir stellten erstens die programmatischen<br />

Aussagen über Sprache zusammen,<br />

damit sich jeder schnell einen<br />

Überblick verschaffen kann. Über eine<br />

Wörterzählung ermittelten wir zweitens<br />

den Anteil des Themas am Gesamtprogramm,<br />

um festzustellen, wie wichtig es<br />

eine Partei nimmt. Dann untersuchten<br />

wir die Gewichtung innerhalb des Themas<br />

Sprache. Dazu unterschieden wir<br />

zwischen dem Eintreten für Deutsch,<br />

für Fremdsprachen und für Sprachenvielfalt.<br />

Als Anhaltspunkt für Verständlichkeit<br />

errechneten wir schließlich die<br />

Länge der Sätze zur Sprache.<br />

neu!<br />

Band 2<br />

Ein Leitfaden durch<br />

die lateinische Grammatik<br />

ist neu erschienen<br />

(ca. 96 Seiten, 10,- Euro,<br />

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nach dem Fall des Eisernen Vorhangs<br />

auch in Osteuropa eine unangefochtene<br />

Position als Lingua franca.<br />

Vielsprachigkeit ist unerläßlich<br />

In der EU sind Vertragstexte grundsätzlich<br />

in allen derzeit 23 Vertragssprachen<br />

gleich verbindlich. Alle<br />

offiziellen Dokumente (Rechtstexte,<br />

amtlicher Außenverkehr der EU-Institutionen<br />

und das Amtsblatt) müssen in<br />

alle 23 Sprachen übersetzt werden, da<br />

den EU-Bürgern das sie betreffende<br />

Recht in ihrer jeweiligen Sprache zugänglich<br />

sein muß. Die Mitgliedstaaten<br />

oder einzelne EU-Bürger können<br />

im Schriftverkehr mit den Organen<br />

der EU eine der Amtssprachen wählen<br />

und die Institution muß in derselben<br />

Sprache antworten. Die Institutionen<br />

der EU halten sich an diese Vorschriften.<br />

Im Europäischen Parlament wird<br />

zum Beispiel nur dann über einen Text<br />

abgestimmt, wenn dieser in allen Arbeitssprachen<br />

verfügbar ist. Davon zu<br />

unterscheiden ist der Umgang mit den<br />

verschiedenen Sprachen im internen<br />

Geschäftsablauf oder beim Abfassen<br />

der Arbeitsdokumente. In der Kommission<br />

sind die Arbeitssprachen Englisch,<br />

Französisch und Deutsch. Im Rat<br />

wird entschieden, in welche Sprachen<br />

aktiv oder passiv gedolmetscht wird.<br />

Im Europäischen Parlament wird in<br />

informellen Besprechungen zumeist<br />

Englisch, seltener Französisch oder<br />

Deutsch gesprochen.<br />

Die Vielsprachigkeit ist – trotz eines<br />

erheblichen personellen und finanziellen<br />

Aufwands – unerläßlich in<br />

einem Europa, dessen kulturelle Vielfalt<br />

durch die Einheit nicht beseitigt<br />

werden soll und das die Eigenständigkeit<br />

auch kleiner Mitgliedstaaten anerkennt.<br />

In der EU hat sich die Lage<br />

seit der Osterweiterung in den letzten<br />

Jahren auf geradezu paradoxe Weise<br />

geändert. Lagen vor zehn Jahren noch<br />

Englisch und Französisch ungefähr<br />

gleichauf, so ist heute das Englische<br />

weit enteilt. Für viele Beamte aus den<br />

Beitrittsstaaten Mittel- und Osteuropas<br />

ist Englisch zwar die erste Fremdsprache,<br />

Deutsch aber die zweite.<br />

Französisch rangiert auf Rang drei.<br />

Damit hat Deutsch gegenüber Französisch<br />

erheblich an Rang gewonnen,<br />

beide gemeinsam aber gegenüber dem<br />

Englischen weiter verloren.<br />

Zusammenfassung<br />

der wichtigsten Ergebnisse<br />

1. Die Partei „Die Linke“ weiß in<br />

ihrem Europawahlprogramm zum<br />

Thema Sprache überhaupt nichts<br />

zu sagen.<br />

2. Bündnis 90 / Die Grünen gewichten<br />

das Thema Sprache sehr<br />

gering. Sie erwähnen zwar ausdrücklich<br />

Esperanto, „vergessen“<br />

aber die deutsche Sprache.<br />

3. Die CDU tritt für einen „möglichst<br />

frühzeitigen Fremdsprachenunterricht“<br />

ein. Die FDP vertritt eine<br />

ähnliche Position. (Zu Frühenglisch<br />

siehe auch Seite 6!)<br />

4. Drei Viertel des Textes der FDP<br />

befassen sich nicht mit der Stärkung<br />

der deutschen Sprache,<br />

sondern mit der Förderung von<br />

Fremdsprachen, besonders von<br />

Englisch.<br />

5. Die SPD bringt das Thema Sprache<br />

in lediglich drei Sätzen unter<br />

und erreicht mit 31,3 Wörtern je<br />

Satz einen einsamen Spitzenwert.<br />

6. Die CSU gewichtet das Thema<br />

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Besserstellung der deutschen Sprache<br />

Englisch herrscht als Arbeitssprache<br />

in allen Organen vor, gefolgt von<br />

Französisch und Deutsch. Das hat historische<br />

Gründe, spiegelt aber nicht<br />

mehr die heutige Wirklichkeit einer<br />

größer gewordenen EU wider. Aus<br />

dieser „sprachlichen“ Fortentwicklung<br />

gilt es nun die notwendigen Konsequenzen<br />

zu ziehen. Problematisch aus<br />

deutscher Sicht ist, daß nur sehr wenige<br />

EU-Dokumente auf deutsch verfaßt<br />

werden. Wichtige Dokumente liegen<br />

zwar zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung<br />

in allen Sprachen vor, nicht aber<br />

in der Entstehungsphase, wo sie oft nur<br />

auf englisch und französisch verfügbar<br />

sind. Dadurch wird eine frühzeitige<br />

Reaktion, besonders was Handlungen<br />

der Kommission und des Ministerrats<br />

anbelangt, erheblich erschwert. Durch<br />

die bevorzugte Verwendung des Sprachenpaares<br />

Englisch-Französisch, zum<br />

Beispiel bei der Erstellung von Wirtschaftsdatenbanken,<br />

bei Ausschreibungen<br />

und in den Netzauftritten der<br />

EU ist grundsätzlich die deutsche<br />

Wirtschaft – und besonders der Mittelstand<br />

– benachteiligt.<br />

Die FDP-Bundestagsfraktion sieht in<br />

der Sprachenpolitik einen wichtigen<br />

Aspekt der Kulturpolitik. Sie setzt<br />

sich aktiv dafür ein, daß die Stellung<br />

der deutschen Sprache in den Institutionen<br />

der Europäischen Union besser<br />

berücksichtigt wird und fordert<br />

die verstärkte Berücksichtigung des<br />

<strong>Deutsche</strong>n in den Internetauftritten<br />

der EU-Institutionen. Letzteres gilt<br />

insbesondere bei den ins Netz gestellten<br />

Ausschreibungen für die Wirtschaft.<br />

Alle entscheidungsrelevanten<br />

Texte, die dem <strong>Deutsche</strong>n Bundestag<br />

zur Beratung oder zur Entscheidung<br />

zugeleitet werden, müssen auf<br />

deutsch übermittelt werden.<br />

Christoph Waitz MdB ist Sprecher der<br />

FDP-Bundestagsfraktion für Kultur-<br />

und Medienpolitik. Er bezweifelt,<br />

daß es einen Sinn hat, die deutsche<br />

Sprache im Grundgesetz zu verankern.<br />

Außerdem setzt er sich mit dem<br />

Wahlspruch „Sächsisch ist säxy“ für<br />

einen besseren Ruf des Dialektes seines<br />

Bundeslandes ein.<br />

www.christoph-waitz.de<br />

Sprache in ihrem Programm von<br />

allen Parteien am höchsten. Die<br />

Partei konzentriert sich dabei ausschließlich<br />

auf die deutsche Sprache.<br />

Sie wählt dabei klare, einfache,<br />

schnörkellose, verständliche<br />

Formulierungen.<br />

Die Wahlprüfsteine beflügelten möglicherweise<br />

Peter Ramsauer, den<br />

Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe<br />

im <strong>Deutsche</strong>n Bundestag, bei der<br />

Erarbeitung des gemeinsamen Bundestagswahlprogramms<br />

von CDU<br />

und CSU. Die Passauer Neue Presse<br />

meldete am 27. Juni, daß Ramsauer<br />

viele Anglizismen aus den Entwürfen<br />

herausstreichen ließ. Bei Widerspruch<br />

sagte er: „Wie will man in<br />

Deutschland etwas politisch umsetzen,<br />

wenn man es nicht einmal auf<br />

deutsch sagen kann?“<br />

Die vollständige Untersuchung können<br />

Sie sich aus dem Netz herunterladen:<br />

www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/<br />

Europawahl_2009.pdf<br />

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25.04.2008<br />

Inhalt:<br />

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Seite 8 Besprechungen<br />

E<br />

Deutsch als „heilige Sprache“<br />

Sprachbegeisterte Mönche schufen eine neue Psalmenübersetzung<br />

Von Norbert Pietsch<br />

ngewöhnlichen Besuch erhielt<br />

U die Neue Fruchtbringende Gesellschaft<br />

zu Köthen/Anhalt Ende<br />

Februar dieses Jahres: Vier Mönche<br />

des deutschen orthodoxen Klosters<br />

Buchhagen im Weserbergland suchten<br />

die Gesellschaft auf und brachten<br />

Geschenke in Form einer neuen<br />

Psalmenübersetzung und weiterer<br />

Buchausgaben zu liturgischen und<br />

biblischen Texten in deutscher Sprache<br />

mit.<br />

Mit dem Begriff „Orthodoxie in<br />

Deutschland“ können wohl nur wenige<br />

Zeitgenossen etwas anfangen.<br />

Orthodoxe Kirchengemeinden und<br />

ihre Einrichtungen hierzulande ver-<br />

stehen sich zumeist als Auslandsgemeinden<br />

unterschiedlicher Nationen<br />

und Länder. Sie sind den meisten<br />

<strong>Deutsche</strong>n schon wegen der Liturgiesprachen<br />

fremd und damit fast<br />

verschlossen. Dennoch erfreuen<br />

sich zum Beispiel die gelegentlichen<br />

Konzerte russisch-orthodoxer Kammerchöre<br />

schon sehr lange großer<br />

Beliebtheit. Die dargebotenen Texte<br />

bleiben dem deutschen Zuhörer dennoch<br />

in der Regel unverständlich, es<br />

sei denn, daß er ihren Inhalt aus dem<br />

interkonfessionellen Zusammenhang<br />

ableiten kann.<br />

Die kleine Mönchsgemeinschaft des<br />

Heiligen Dreifaltigkeitsklosters in<br />

Buchhagen mit ihrem Vorsteher, Abt<br />

Johannes, besteht aus <strong>Deutsche</strong>n. Sie<br />

betrachten es als ihre Aufgabe, den<br />

<strong>Deutsche</strong>n die orthodoxe Kirche mit<br />

ihrer Lehre, dem liturgischen Geschehen<br />

und den Schriften – letztere<br />

Umfrage des Tausendschön-Verlages in Zusammenarbeit mit der<br />

DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />

s war einmal Deutschland – das<br />

Land der Dichter und Denker.<br />

Die Träger jener fruchtbaren Schaffenszeiten<br />

waren unsere Vorfahren –<br />

und was schaffen wir heute?<br />

Was lebt noch in uns fort, was wird<br />

noch von uns gelebt von dem, was<br />

den Großen von damals als Ideal<br />

galt? Leben sie weiter in uns – oder<br />

scheint der Strang gerissen wie bei<br />

längst vergangenen Hochkulturen?<br />

Etwas Licht in diese Frage zu bringen,<br />

darum bemüht sich dieser kleine<br />

Fragebogen. Wollen Sie sich ein<br />

wenig Zeit nehmen, ihn zu beantworten?<br />

So greifen Sie doch bitte zur Feder<br />

und lassen Ihren Gedanken freien<br />

Lauf! Wir sind gespannt auf die<br />

Worte, die Sie uns – und sich selber<br />

– schenken.<br />

Und wenn sie nicht gestorben sind,<br />

dann leben sie noch heute …?<br />

1) Welche Gedanken und Gefühle<br />

überkamen mich beim erstmaligen<br />

Lesen des Titels?<br />

in deutscher Übersetzung – näherzubringen.<br />

So erarbeiteten die Mönche eine Neuübersetzung<br />

der Psalmen, „Die Psalmen<br />

– deutsch“, die im vergangenen<br />

Jahr erschienen ist. Der Übersetzung<br />

legten die Mönche die Septuaginta zugrunde,<br />

das ist die altgriechische Übersetzung<br />

der Bibel und die älteste durchgehende<br />

Bibelübersetzung überhaupt.<br />

Die ursprüngliche sprachliche Form ist<br />

heute noch die übliche Liturgiesprache<br />

der byzantinischen Kirche Konstantinopels<br />

(Istanbuls), der griechischen<br />

oder melchitischen Nationalkirche und<br />

der Klöster der Insel Athos.<br />

Übersetzungen der hebräischen,<br />

griechischen und slawischen Bibeltexte<br />

des Alten und Neuen Testaments<br />

ins <strong>Deutsche</strong> sind von Martin<br />

Luther an bis in die Neuzeit häufig.<br />

Gottesdienstliche Texte wie Gebete<br />

und Psalmen orientieren sich in der<br />

Regel nach den Gesangstraditionen<br />

der unterschiedlichen „nationalen“<br />

orthodoxen Kirchen, die dann auch<br />

im Ausland bindend sind.<br />

In der alltäglichen Gebetspraxis des<br />

Klosters nehmen die Psalmen einen<br />

großen Rahmen ein. Die Besonderheit<br />

der Buchhäger Psalmenübersetzung<br />

besteht darin, daß die Übersetzer,<br />

die orthodoxen Mönche selbst,<br />

einen überzeugenden Text schufen,<br />

der „ein Leben lang jeden Tag mit<br />

Freude und geistigem Gewinn gelesen,<br />

rezitiert und gesungen werden<br />

kann“ – so im Nachwort der Ausgabe.<br />

Weiter erfährt der Leser: „…<br />

hierfür (war) eine Sprachgestalt zu<br />

finden, welche aus dem Ureigensten<br />

der deutschen Sprache schöpft und<br />

ihre verdrängte Eigenschaft als heilige<br />

Sprache neu zum Tragen kommen<br />

läßt“ (Seite 252). Die Mönche<br />

erarbeiteten und erprobten die Übersetzung<br />

24 Jahre hindurch in Gebet,<br />

Studium und Gottesdienst.<br />

2) „Dichter und Denker“ – was verstehe<br />

ich unter diesen Begriffen?<br />

3) Woraus beziehe ich mein Wertegerüst?<br />

Welche Rolle spielt das Gedankengut<br />

der Dichter-und-Denker-Zeit<br />

gegebenenfalls in diesem?<br />

4) Was sind meine Wünsche, wenn<br />

ich über unsere Dichter und Denker<br />

nachsinne?<br />

Verschiedene Übersetzungen von<br />

Psalm 42<br />

Gleich wie ein Hirsch mit schneller<br />

Flucht<br />

Ein frisches Quell im Walde sucht<br />

Und embsig läufft nach kühlen Bächen;<br />

So ist auch meine Seel’, o Gott,<br />

Sie dürstet nach dir in der Noth<br />

Und sehnet sich, dich anzusprechen.<br />

Martin Opitz 1626<br />

Wie der Hirsch schreit nach frischem<br />

Wasser,<br />

so schreit meine Seele, Gott, zu<br />

dir.<br />

Meine Seele dürstet nach Gott,<br />

nach dem lebendigen Gott.<br />

Wann werde ich dahin kommen,<br />

daß ich Gottes Angesicht schaue?<br />

Lutherbibel 1912<br />

Wie der Hirsch lechzt nach frischem<br />

Wasser,<br />

So lechzt meine Seele, Gott, nach<br />

dir.<br />

Meine Seele dürstet nach Gott,<br />

nach dem lebendigen Gott.<br />

Wann darf ich kommen und Gottes<br />

Antlitz schauen?<br />

Einheitsübersetzung 1980<br />

Wie der Hirsch nach Wasserquellen<br />

lechzet,<br />

Also lechzet meine Seele, o Gott,<br />

nach dir.<br />

Es dürstet meine Seele nach dem<br />

Herrn, dem lebendigen Gott:<br />

Wann werde ich kommen und erscheinen<br />

vor dem Angesicht Gottes?<br />

Die Psalmen, Übersetzung nach<br />

Leopold Zunz, Tel Aviv 1985<br />

Wie der Hirsch zu den Quellen der<br />

Wasser strebt /<br />

so strebt meine Seele zu Dir, meinem<br />

Gott +<br />

Meine Seele,<br />

sie dürstet nach dem lebendigen<br />

Gott /<br />

wann komme ich dahin,<br />

daß mich Sein Angesicht schaut? +<br />

Buchhäger Psalter 2008<br />

5) Steckt vielleicht auch in mir ein<br />

Dichter, ein Denker? Habe ich<br />

schon einmal solch ein Gefühl<br />

gespürt? Was habe ich gespürt,<br />

wie habe ich es gespürt?<br />

6) Ein kleines Gedankenspiel: Durch<br />

einen tragischen Schlag erwachen<br />

eines Morgens die <strong>Deutsche</strong>n und<br />

haben alle ihr Gedächtnis verloren:<br />

keiner erinnert sich mehr an<br />

seine Gewohnheiten, seine Bücher.<br />

Kurz: alle Geisteskultur ist ausgelöscht.<br />

Ich als einziger bin diesem<br />

Schicksale nicht erlegen und hätte,<br />

wenn ich möchte, die Gelegenheit,<br />

das Vermächtnis den andern wieder<br />

nahezubringen. Was wäre mir<br />

dabei am wichtigsten?<br />

7) Das Kultur-Erbe der <strong>Deutsche</strong>n:<br />

Geschenk oder Bürde? Warum?<br />

Die im Rahmen des Programms<br />

„Leipzig liest“ der diesjährigen Leipziger<br />

Buchmesse gebotene Darbietung<br />

geistlicher Gesänge in der Petrikirche<br />

durch die Buchhäger Mönche<br />

und sechs Thomaner ließen ebenfalls<br />

die hohen Ansprüche an die melodische<br />

Umsetzung auf der Grundlage<br />

des deutschen Chorals erkennen. Sie<br />

stellen gegenüber der herkömmlichen<br />

Praxis eine Neuerung dar.<br />

Neben dem missionarischen Auftrag<br />

der deutschen orthodoxen Mönche,<br />

„Orthodoxie“, das heißt das „rechte<br />

Lehren und Loben“, unter den<br />

<strong>Deutsche</strong>n bekanntzumachen, leistet<br />

die Gemeinschaft durch ihre Über-<br />

Haben Sie weitere Gedanken zu<br />

diesem Thema? – Dann lassen Sie<br />

uns daran teilhaben! Wenn Sie uns<br />

Ihre Antworten zusenden möchten,<br />

dann bitte an:<br />

Carolin Schulz<br />

beim Tausendschön-Verlag<br />

Dorfstraße 39<br />

17509 Lodmannshagen/Pommern<br />

Netzpost: CaroS1987@Aol.Com<br />

Aus dem Fragebogen soll ein<br />

Buch entstehen. Die DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT wird Sie auf dem<br />

laufenden halten. Alle Ihre Angaben<br />

bleiben völlig vertraulich: sie<br />

werden namenlos behandelt und<br />

ausgewertet.<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009<br />

Fibel der<br />

Völker Europas<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

ie Nüchternheit und der Hang<br />

D zur Vereinheitlichung, die<br />

sich im vergangenen Jahrhundert<br />

durchgesetzt haben, spiegeln sich<br />

bekanntlich auch in den Büchern wider.<br />

Das gilt nicht nur für Gestaltung<br />

und Inhalt, sondern auch für die zur<br />

Herstellung benutzten Werkstoffe.<br />

Und so kann ein Buch, vor fünfzehn<br />

Jahren wegen seiner Schönheit gekauft,<br />

bereits vom Gilb bedroht sein<br />

und erste Anzeichen des Verfalls erkennen<br />

lassen. Dauerhaftigkeit und<br />

gutes Handwerk sind bei der Bücherherstellung<br />

immer weiter in den Hintergrund<br />

geraten.<br />

Einem jungen Verleger ist dies ein<br />

Graus. Bereits in seiner Kindheit beschlich<br />

Thorwald Poschenrieder das<br />

Gefühl, „uns würde in unsern Schulbüchern<br />

Schönheit vorenthalten“. Er<br />

ist der Meinung, daß wieder „mehr<br />

Gewicht auf zeitloser Gediegenheit,<br />

Gestaltung und Ausstattung“ liegen<br />

sollte. Als Antwort auf die Mißachtung<br />

der Buchkunst gründete er im<br />

Herbst 2007 einen Verlag und taufte<br />

ihn auf den für sich selbst sprechenden<br />

Namen „Tausendschön-Verlag“.<br />

8) Meinem Kinde, dem Menschen,<br />

den ich am liebsten auf<br />

der Welt habe – welche Wünsche,<br />

welche Worte würde ich<br />

ihm in meiner letzten Stunde<br />

mitgeben?<br />

9) Wenn ich in eine längst vergangene<br />

Zeit meiner Wahl, ja<br />

wenn ich zu einem geschichtlichen<br />

Ereignis meiner Wahl<br />

reisen könnte, welches wäre<br />

dies – und warum?<br />

10) Was bewegt mich derzeit in<br />

meinem Innersten?<br />

setzungen einen wichtigen Beitrag<br />

zur Pflege der deutschen Sprache.<br />

Die sprachbegeisterten Mönche sind<br />

der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft<br />

nach ihrem Besuch des<br />

Köthener Fürst-Ludwig-Hauses der<br />

deutschen Sprache als korporatives<br />

Mitglied beigetreten.<br />

Die Psalmen – deutsch aus der<br />

Septuaginta. Buchhäger Psalter,<br />

<strong>Deutsche</strong>s orthodoxes Dreifaltigkeitskloster,<br />

37619 Bodenwerder, Verlag<br />

des Klosters Buchhagen, 2008,<br />

zweifarbig, feste Bindung, Leder mit<br />

Blind- und Goldprägung, 288 Seiten,<br />

24,00 Euro.<br />

www.orthodox.de<br />

Vorbild sind ihm Bücher aus der<br />

Zeit des zweiten <strong>Deutsche</strong>n Kaiserreichs.<br />

Poschenrieder rühmt die hohe<br />

Druckkunst und gediegene Verarbeitung<br />

der damaligen Zeit, die „später<br />

kaum wieder erreicht“ worden seien.<br />

Diesem Ideal nähert er sich nun mit<br />

seiner „Fibel der Völker Europas“,<br />

deren erster Band zur Leipziger<br />

Buchmesse erschienen ist. Dabei hat<br />

Poschenrieder in der Tat nicht etwa<br />

„etwas Bestehendes abgekupfert,<br />

sondern etwas gänzlich Neues geschaffen“.<br />

Mit diesem verdienstvollen Buch ermöglicht<br />

Poschenrieder als Verleger<br />

und Herausgeber einen Blick auf die<br />

Vielfalt der europäischen Schriftkultur.<br />

Er will der „lebendigen Fortpflege<br />

dieses unermeßlichen Erbschatzes“<br />

dienen. Zahlreiche Fachleute<br />

wirkten mit. Das Werk behandelt in<br />

Fibelform alle abendländischen Alphabete.<br />

Im ersten Band stellt es die<br />

deutsche Schrift auf deutsch, die irische<br />

Schrift auf irisch und die Lateinschrift<br />

auf ladinisch (Südtirol) vor.<br />

Die Mecklenburger Künstlerin Gunn-<br />

Heide Fröhlich bebilderte liebevoll<br />

jeden Buchstaben in jeder Schrift.<br />

Alle sind in ihren unterschiedlichen<br />

Druck- und Schreibschriftformen<br />

dargestellt. Beigefügt sind außerdem<br />

Anleitungen, wie die Buchstaben zu<br />

schreiben sind, sowie jeweils zehn<br />

Sprichwörter. Die fremdsprachigen<br />

Texte sind ins <strong>Deutsche</strong> übersetzt, die<br />

deutschen Texte in Fraktur gesetzt.<br />

Sonder-Abeces aus der Blindenschrift<br />

und der Gebärdensprache<br />

und auch das Winker-, das Morse-<br />

und das Flaggen-Abece runden das<br />

Buch ab. Auf den zweiten Band dürfen<br />

sich Auge und Herz jetzt schon<br />

freuen. Er wird das kyrillische Abece<br />

auf russisch, das griechische auf<br />

neugriechisch und das hebräische<br />

auf jiddisch vorstellen – jeweils mit<br />

deutscher Übersetzung. So leistet<br />

der kleine Tausendschön-Verlag in<br />

wunderbar gepflegter Sprache einen<br />

wertvollen Beitrag zur Bewahrung<br />

kultureller Vielfalt.<br />

Thorwald Poschenrieder (Herausgeber):<br />

Fibel der Völker Europas, Ein<br />

Abece-Buch für groß und klein.<br />

Unser Erbschatz ist die Vielfalt!<br />

Band 1, Tausendschön-Verlag,<br />

Lodmannshagen in Pommern 2009,<br />

152 Seiten, gebunden, 34,50 Euro.<br />

www.tausendschoen-verlag.de<br />

Bitte nehmen Sie auch an der Umfrage<br />

des Verlages teil, die Sie nebenstehend<br />

auf dieser Seite finden.


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009 Literatur<br />

Seite 9<br />

SOK fordert<br />

Rechtschreibmoratorium<br />

D<br />

ie Schweizer Orthographische<br />

Konferenz (SOK) ruft die<br />

politisch Verantwortlichen in Bund<br />

und Kantonen auf, die Rechtschreibreform<br />

am 1. August 2009 in den<br />

Schulen nicht notenwirksam werden<br />

zu lassen. Am 31. Juli 2009 geht die<br />

dreijährige Übergangsfrist, während<br />

der die herkömmlichen Schreibungen<br />

noch toleriert wurden, zu Ende.<br />

In der Bundesrepublik Deutschland<br />

endete die Übergangsregelung bereits<br />

vor zwei Jahren.<br />

In einer an der Frühlingstagung vom<br />

4. Juni 2009 in Zürich einstimmig<br />

gutgeheißenen Resolution fordert<br />

die SOK ein Moratorium für Schule<br />

und Verwaltung. Das amtliche Regelwerk<br />

von 2006 und die Lehrmittel<br />

seien widersprüchlich und mit Fehlern<br />

behaftet. Alle herkömmlichen<br />

Schreibungen müßten wieder anerkannt<br />

und auf die Bevorzugung von<br />

Reformschreibungen müsse verzichtet<br />

werden.<br />

Die Unzufriedenheit mit dem mittlerweile<br />

dritten amtlichen Regelwerk<br />

sei in den vergangenen Jahren stetig<br />

gewachsen. Der Rat für deutsche<br />

Rechtschreibung packe die anstehenden<br />

Verbesserungen nicht zügig<br />

genug an. Zeitungen, Verlage und<br />

Verwaltungen gäben sich Hausorthographien<br />

mit ganz unterschiedlichen<br />

Schreibweisen. 2008 haben die<br />

Chefredaktorenkonferenz und der<br />

Verband Schweizer Presse beschlossen,<br />

sich die Empfehlungen der SOK<br />

zu eigen zu machen. Die SOK sei<br />

bereit, bei einer Überarbeitung des<br />

Regelwerks 2006 für schweizerische<br />

Bedürfnisse mitzuwirken.<br />

An der Tagung nahmen neben<br />

Sprachwissenschaftern unter anderem<br />

Chefredaktoren und Chefkorrektoren,<br />

Verleger, Lektoren und<br />

Schriftsteller, National-, Kantons-<br />

und Gemeinderäte, Mitglieder des<br />

Rats für deutsche Rechtschreibung<br />

sowie Gäste aus Deutschland und<br />

Österreich teil. In der SOK sind Vertreter<br />

der Presse, der Literatur und<br />

der Sprachwissenschaft vereinigt.<br />

Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die<br />

Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit<br />

der Rechtschreibung in Presse und<br />

Literatur zu fördern. (dsw/sok)<br />

www.sok.ch<br />

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Einfühlsam und klug ins <strong>Deutsche</strong> gebracht<br />

T. S. Eliots „The Waste Land“ erscheint in neuer Übersetzung<br />

Von Oliver Höher<br />

D<br />

as Ding geht jetzt ohne Unterbrechung<br />

von ‚April …‘ bis<br />

‚shantih‘. Das sind 19 Seiten und,<br />

sagen wir mal, das längste Gedicht<br />

in englischer Sprache“, schrieb am<br />

24. Dezember 1921 Ezra Pound an<br />

T. S. (Thomas Stearns) Eliot. Knapp<br />

ein Jahr später erschien im Oktober<br />

1922 jenes „Ding“ in der von Eliot<br />

herausgegebenen Zeitschrift „The<br />

Criterion“. Der Herausgeber war<br />

zugleich der Autor des besagten Gedichts<br />

„The Waste Land“. Zuvor hatte<br />

Pound den Text noch um ungefähr die<br />

Hälfte, auf immerhin noch 433 Verse<br />

zusammengeschmiedet. Auch wenn<br />

es keineswegs „das längste Gedicht in<br />

englischer Sprache“ ist, gilt für diese<br />

Tat dem „besseren Schmied“ nun<br />

die gedruckte Widmung: „For Ezra<br />

Pound / il miglior fabbro“.<br />

Die vorliegende Neuübersetzung wird<br />

vom Suhrkamp-Verlag als „Jahrhundertgedicht“<br />

bezeichnet. Das ist keinesfalls<br />

übertrieben, obwohl in deutscher<br />

Sprache neben einer Handvoll<br />

Teilübersetzungen bisher lediglich<br />

zwei vollständige Übertragungen erschienen<br />

sind. Die des Romanisten<br />

Ernst Robert Curtius stammt aus dem<br />

Jahr 1927. Nach einer Überarbeitung<br />

fand sie 1957 in der Insel-Bücherei<br />

weite Verbreitung. Die der Pound-<br />

Spezialistin Eva Hesse erschien zuerst<br />

1972 in einer deutschen Eliot-<br />

Werkausgabe. <strong>36</strong> Jahre später liegt<br />

nun die dritte deutsche Übertragung<br />

vor, zugleich die erste von einem<br />

Dichter. Norbert Hummelt ist bereits<br />

als Übersetzer englischer Lyrik hervorgetreten.<br />

Neben Gedichten von<br />

William Wordsworth hat er von Eliot<br />

die „Four Quartets“ übersetzt sowie<br />

Gedichte von William Butler Yeats<br />

herausgegeben.<br />

Dergestalt im Umgang mit englischer<br />

Lyrik vertraut, beschreitet Hummelt<br />

unbequeme Wege und ändert bereits<br />

im Titel seiner Übertragung den etablierten<br />

deutschen Text. Mag auch<br />

das Adjektiv „öde“ im Bedeutungsspektrum<br />

des englischen „waste“ liegen,<br />

so nimmt doch die Rezeptionsgeschichte<br />

auf Texttreue selten genug<br />

Rücksicht. Daher bleibt fraglich, ob<br />

Hummelts „ödes Land“ sich gegen<br />

das seit 1927 rezipierte „wüste Land“<br />

von Curtius durchsetzen wird.<br />

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Thomas Stearns Eliot (1888 bis 1965)<br />

Fremdsprachige Zeilen auf deutsch<br />

oder französisch stehen so neben<br />

Umgangssprache, Gesprächs- und<br />

Musikfetzen sowie fachsprachlichen<br />

Wendungen.<br />

Zu dieser Vielstimmigkeit, die wie<br />

auch die nachdrückliche Beschäftigung<br />

mit Geschichte ein Merkmal<br />

des Modernismus ist, bemerkte Eliot<br />

1919: „Kein Dichter – und überhaupt<br />

kein Künstler – ist in seiner vollen<br />

Bedeutung für sich allein zu erfassen.<br />

Seine Bedeutung, die Würdigung<br />

seines Wesens, setzt die Erfassung<br />

seines Verhältnisses zu den früheren<br />

Dichtern und Künstlern voraus.“ Curtius<br />

war der erste Übersetzer, der sich<br />

in diesem Sinne bemühte, das Wesen<br />

des Dichters zu würdigen. Hummelt<br />

geht diesen Weg weiter. Er horcht in<br />

das Stimmengewirr der 1920er Jahre<br />

und mythischer Zeiten und überführt<br />

Zitate, Musik- und Gesprächsfetzen<br />

in die Sprache seiner Gegenwart, seinen<br />

„Sprachstandpunkt“, wie er in der<br />

Notiz zu seiner Übersetzung schreibt<br />

(Seite 59). Hummelt versteht seine<br />

Übertragung als „stimmbildend“, die<br />

zunächst „eine Art von Stimmenhören“<br />

voraussetzt (ebenda).<br />

„Kein Blatt vorm Mund, aber Dreck am Stecken“ ist ein<br />

Buch über Redewendungen. Es befasst sich mit solchen Redewendungen,<br />

deren Herkunft wenig bekannt ist – und Unterhaltungswert<br />

besitzt. Um das Buch lesbarer zu machen, hat<br />

es der Verfasser nach Herkunftsbereichen der Redewendungen<br />

(Militär, Handwerk, Juristerei, Medizin etc.) strukturiert. Und<br />

er hat die Redewendungen, wo möglich, chronologisch geordnet,<br />

um sie in logischen Zusammenhängen präsentieren zu<br />

können. Die meisten Kapitel gerieten so zu unterhaltsamen<br />

Geschichten, die auch das Verständnis der Herkunft und der<br />

heutigen Bedeutung der Redewendungen erleichtern. Es ist ein<br />

vergnügliches Buch geworden – und ein Novum in seiner Art.<br />

Hans-Gert Braun legt hiermit – nach „Wenn die Wörter wandern“<br />

– ein zweites Buch auf dem Gebiet der Etymologie vor.<br />

Dabei betreibt er diesen Zweig der Sprachwissenschaft ausschließlich<br />

als Hobby. Denn eigentlich ist er Wirtschaftswissenschaftler.<br />

Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der<br />

Universität Stuttgart und lehrt insbesondere Internationale<br />

Wirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik. Über 20 Jahre war<br />

er Direktor und Chefvolkswirt einer internationalen Finanzinstitution<br />

in Köln, die in Entwicklungsländern operiert. Über<br />

20 Jahre war er auch Mitherausgeber und Chefredakteur der<br />

Zeitschrift „Internationales Afrikaforum“. Er war als Berater für<br />

nationale Regierungen und Organisationen der internationalen<br />

Entwicklungszusammenarbeit tätig. Er hat eine Reihe wirtschaftswissenschaftlicher<br />

Bücher verfasst und zahlreiche wirtschafts-<br />

und entwicklungspolitische Artikel in Fachzeitschriften<br />

und in der überregionalen Presse (FAZ, NZZ etc.) publiziert.<br />

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nichts und bleibt direkt wie Eliot (Seite<br />

9): „April ist der übelste Monat von allen,<br />

treibt / Flieder aus der toten Erde,<br />

mischt / Erinnerung mit Lust, schreckt<br />

/ Spröde Wurzeln auf mit Frühlingsregen.“<br />

Zu Curtius’ Zeiten war der Lenz<br />

noch durchaus geläufig, wohingegen er<br />

heute eher gesucht klingt. Dafür hat im<br />

21. Jahrhundert die Lust das Begehren<br />

eingeholt. Bleibt somit „übel“ als Modewort,<br />

über das man streiten könnte.<br />

Edmund Wilson bezeichnete in einer<br />

zeitgenössischen Rezension die<br />

Nachtigall-Passage im zweiten Teil<br />

als „einen der einzigen erfolgreichen<br />

Teile zeitgenössischer Blankverse“ –<br />

ein großes Lob.<br />

„Above the antique mantel was displayed<br />

/ As though a window gave<br />

upon the sylvan scene / The change<br />

of Philomel, by the barbarous king /<br />

So rudely forced; yet there the nightingale<br />

/ Filled all the desert with inviolable<br />

voice / And still she cried, and<br />

still the world pursues, / ‚Jug Jug‘ to<br />

dirty ears.“ (Seite 14)<br />

Bei Hummelt heißt das:<br />

„Über dem altertümlichen Kaminsims<br />

stellte, / Ganz so, als ob ein Fenster<br />

nach dem Wald hin aufging, / Ein Bild<br />

die Wandlung Philomelas dar, die der<br />

Barbarenfürst / So rüde zwang; aber<br />

die Nachtigall / Ließ in der Wüste<br />

überall ihr heiles Lied ertönen, / Noch<br />

geht ihr Ruf, noch stellt die Welt ihr<br />

nach, / Dreckigen Ohren ein ‚tak tak‘.“<br />

(Seite 15)<br />

Eingangsverse von<br />

„The Waste Land“<br />

April is the cruellest month, breeding<br />

/ Lilacs out of the dead land,<br />

mixing / Memory and desire, stirring<br />

/ Dull roots with spring rain.<br />

T. S. Eliot (1922)<br />

Und so geht er an die berühmten Eingangsverse<br />

heran (Seite 8): „April is<br />

Übersetzungen:<br />

the cruellest month, breeding / Lilacs April ist der grausamste Monat, er<br />

out of the dead land, mixing / Memo- treibt / Flieder aus toter Erde, er<br />

ry and desire, stirring / Dull roots with mischt / Erinnern und Begehren,<br />

spring rain.“ Geradezu schnörkellos<br />

glückte Curtius dieser abrupte Auftakt:<br />

„April ist der grausamste Mo-<br />

er weckt / Dumpfe Wurzeln mit<br />

Lenzregen.<br />

Ernst Robert Curtius (1927)<br />

Dabei hat Hummelt durchaus den<br />

Mut, das Gedicht in seinen verschienat,<br />

er treibt / Flieder aus toter Erde,<br />

er mischt / Erinnern und Begehren, er<br />

weckt / Dumpfe Wurzeln mit Lenzregen.“<br />

Bei Eva Hesse klang Eliot dann<br />

wie ein zeitlich verirrter Anakreonti-<br />

April benimmt das Herz, er heckt /<br />

Flieder mit der toten Flur, verquickt<br />

/ Erinnern und Verlangen, langt /<br />

Taube Wurzeln an mit Lenzregen.<br />

Eva Hesse (1972)<br />

denen Sprachschichten zu erfassen ker (Anakreontik ist ein Dichtungsstil<br />

und nicht etwa wie Eva Hesse mit aus der Zeit des Rokokos, Anmerkung April ist der übelste Monat von al-<br />

einem einheitlichen Zuckerguß zu der Schriftleitung): „April benimmt len, treibt / Flieder aus der toten<br />

überziehen. In Eliots Text finden sich das Herz, er heckt / Flieder mit der Erde, mischt / Erinnerung mit Lust,<br />

direkte Zitate – in Anmerkungen ei-<br />

schreckt / Spröde Wurzeln auf mit<br />

toten Flur, verquickt / Erinnern und<br />

Frühlingsregen.<br />

gens nachgewiesen –, die teilweise Verlangen, langt / Taube Wurzeln an<br />

Norbert Hummelt (2008)<br />

mit eigenen Versen verschmelzen. mit Lenzregen.“ Hummelt schönt nun<br />

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Hans-Gert Braun Kein Blatt vorm Mund aber Dreck am Stecken<br />

Hans-Gert Braun<br />

Kein Blatt<br />

vorm Mund<br />

aber<br />

Dreck am<br />

Stecken<br />

Ausgewählte Redewendungen<br />

und ihre kuriose Herkunft<br />

Der Rhythmus gerät zwar gelegentlich<br />

aus dem Takt, aber dafür macht<br />

Hummelt den „barbarous king“, von<br />

Curtius als „der wilde König“ und<br />

Eva Hesse als „der entmenschte König“<br />

umschrieben, ganz direkt zum<br />

„Barbarenfürst“. Und direkter als<br />

seine beiden Vorgänger zeigt er die<br />

Vergewaltigung Philomelas, deren<br />

Ruf weder schmutzigen (Curtius)<br />

noch unzarten Ohren (Hesse) tönt,<br />

sondern schlicht dreckigen. Auch<br />

Hummelts „tak tak“ kommt nah an<br />

die elisabethanische Lautmalerei des<br />

Geschlechtsaktes heran, ohne allzu<br />

obszön zu klingen.<br />

Ein Prüfstein für jeden Übersetzer<br />

ist der Schlager „That Shakespearian<br />

Rag“ von Gene Buck und Herman<br />

Ruby aus dem Jahr 1912, den Eliot<br />

mit dem Refrain „That Shakespearian<br />

Rag, / Most intelligent, very elegant“<br />

in den Text integriert hat: „O O<br />

O O that Shakespearian Rag – / It’s<br />

so elegant / So intelligent“ (Seite<br />

16 und 18). „O o o o dieser Fetzen<br />

Shakespeare – / Ist so elegant, / So<br />

intelligent“, steht bei Curtius. Natürlich<br />

war Ragtime 1922 schon altmodische<br />

Musik, was Curtius wohl<br />

bewußt war – anders als Hummelt<br />

behauptet (Seite 47). Eva Hesse<br />

scheint sich 1972 dann eher an den<br />

Texten Friedrich Hollaenders und<br />

der Comedian Harmonists orientiert<br />

zu haben: „O O O O der Shakespeher’sche<br />

Rag – / Der ist so elegant<br />

/ So überaus rasant“. Bei Hummelt<br />

wird Shakespeare schließlich zum<br />

Diskjockey: „No No No No Shakespeare<br />

hat den Groove – / So elegant<br />

/ So interessant“ (S. 17 und 19). Das<br />

ist dann auch schon die einzige Stelle,<br />

die dem Rezensenten wirklich<br />

nicht gefallen mag.<br />

Sonst kann man Norbert Hummelt<br />

für seine einfühlsame und kluge<br />

Übertragung nicht genug danken,<br />

ihr so viele Leser wünschen, wie das<br />

bei Lyrik nur möglich ist, und einen<br />

Verlag, der bei einer hoffentlich bald<br />

notwendigen Neuauflage den scheußlichen<br />

Fehler „die zersteute Schrift“<br />

auf Seite 59 korrigiert. Auch wäre ein<br />

Hinweis auf die Textvorlage der 435<br />

Verse (der Erstdruck hat nur 433) zu<br />

begrüßen, ohne zum Abschluß beckmesserisch<br />

sein zu wollen.<br />

Thomas Stearns Eliot, Das öde Land.<br />

Englisch und deutsch, übertragen<br />

und mit einem Nachwort versehen<br />

von Norbert Hummelt, Suhrkamp<br />

Verlag, Frankfurt am Main 2008, 71<br />

Seiten, 16,80 Euro (in herkömmlicher<br />

Rechtschreibung).<br />

Hans-Gert Braun<br />

Kein Blatt vorm Mund,<br />

aber<br />

Dreck am Stecken<br />

Ausgewählte Redewendungen und ihre kuriose Herkunft<br />

Dieses Buch befaßt sich mit etwa 400 gängigen<br />

Redewendungen, deren Herkunft wenig bekannt<br />

ist, aber besonderen Unterhaltungswert besitzt. Der<br />

Verfasser zeigt dabei, daß die Redewendungen in<br />

ihrem ursprünglichen Milieu einmal wörtlich Sinn<br />

machten. Das Buch ist nach Herkunftsbereichen ge-<br />

ordnet. Wo möglich, werden die Redewendungen in logischen Zusammenhängen<br />

präsentiert. Die meisten Kapitel gerieten so zu amüsanten Geschichten, die auch<br />

das Verständnis der Herkunft und der heutigen Bedeutung der Redewendungen<br />

erleichtern. Es ist ein vergnügliches Buch geworden.<br />

Taschenbuch, 172 Seiten, 12,50 € - ISBN-13: 978-3-8334-5490-5, BoD Verlag, Norderstedt<br />

Einem Teil unserer Ausgabe (nur Deutschland) liegt ein<br />

Prospekt des Atlas Verlages, Weil am Rhein, bei. Wir<br />

bitten um freundliche Beachtung. Vielen Dank.


Seite 10 Werkstatt<br />

Der Sprachschützer als Massenmörder?<br />

Das Ergebnis der Sprachwahrerabstimmung schlägt hohe, sehr „<strong>Deutsche</strong>“ Wellen<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

it der Wahl der Mitarbeiterinitiative<br />

„Pro <strong>Deutsche</strong> Welle“ zum<br />

Sprachwahrer des Jahres haben die Leser<br />

der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />

(DSW) offensichtlich in ein Wespennest<br />

gestochen. Anders lassen sich die<br />

zum Teil haßerfüllten Antworten kaum<br />

erklären. Sie stammen von Feuilletonjournalisten,<br />

die den Kurs der Amerikanisierung<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Welle (DW)<br />

unterstützen, und von der Intendanz der<br />

„<strong>Deutsche</strong>n Welle“ selbst.<br />

Die Bekanntgabe des Ergebnisses der<br />

Leserabstimmung hatte die DEUT-<br />

SCHE SPRACHWELT mit Kritik an<br />

der Führung der <strong>Deutsche</strong>n Welle verbunden.<br />

Intendant Erik Bettermann<br />

(SPD) will den steuerfinanzierten<br />

Auslandssender nicht nur verstärkt<br />

auf englisch senden lassen; die DW<br />

soll sich künftig auch als „Sachwalter<br />

der Menschenrechte“ aufspielen und<br />

„Weltpolitik“ treiben. Das bedeutet<br />

nichts anderes, als sich in innere Angelegenheiten<br />

souveräner Staaten einzumischen.<br />

Das kann zum Beispiel so<br />

vor sich gehen, daß die DW die Opposition<br />

in Staaten stärkt, die Regierungen<br />

haben, die dem Westen mißfallen.<br />

So erhielt die stellvertretende Leiterin<br />

der DW-China-Redaktion, Zhang Danhong,<br />

bereits Sprechverbot, weil sie<br />

sich zu wenig chinakritisch äußerte.<br />

Statt jedoch der Großmannssucht zu<br />

erliegen und Weltpolizist zu spielen,<br />

sollte sich der Auslandssender wieder<br />

auf die Vermittlung deutscher Sprache<br />

und Kultur konzentrieren. Das forderten<br />

wir in einer Aussendung. (Vergleiche<br />

auch „Mahnung an die <strong>Deutsche</strong><br />

Welle“, DSW 35, Seite 10.)<br />

Gewählte und „selbsternannte“<br />

Sprachwahrer<br />

Während wir für diese Stellungnahme<br />

von Sprachfreunden sehr viel Zustimmung<br />

erhielten und die meisten Medien<br />

unbefangen berichteten, war unser<br />

Einspruch für einige Journalisten wohl<br />

zuviel des Guten. Das Feuilleton der<br />

„Thüringer Allgemeinen“ (TA) wetterte<br />

am 11. März in einem Kommentar<br />

gegen „die selbsternannten Sprachwahrer<br />

von der Zeitung DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT“. – Das Wort „selbsternannt“<br />

tritt ja immer dann auf, wenn<br />

die Argumente fehlen: Man stellt dann<br />

einfach die Fähigkeiten des anderen<br />

in Frage. – Die TA brachte außerdem<br />

etwas durcheinander: Nicht wir hatten<br />

uns zu Sprachwahrern ernannt, sondern<br />

die Leser der DSW hatten andere<br />

zu Sprachwahrern des Jahres gewählt.<br />

Die TA schrieb weiter: „Sie kanzeln<br />

den Chef der <strong>Deutsche</strong>n Welle, Erik<br />

Bettermann, ab – in ihrem Altertümeldeutsch<br />

heißt das: sie verpassen ihm<br />

eine ‚peinliche Maulschelle‘ –, weil er<br />

den Sender verstärkt auf englisch senden<br />

lassen will; in derjenigen Sprache<br />

also, die ‚<strong>Sprachwelt</strong>‘-Chef Thomas<br />

Paulwitz als Quelle aller Deutschverhunzung<br />

ausgemacht hat.“ Es lebe das<br />

Vorurteil. Wer mir beweisen kann, daß<br />

ich irgendwo geäußert habe, daß Englisch<br />

die „Quelle aller Deutschverhunzung“<br />

ist, dem gebe ich ein Fäßlein<br />

besten fränkischen Bieres aus.<br />

„Fremdwörter wurden wie<br />

Menschen ausgemerzt“<br />

Noch eine Schublade tiefer griff der<br />

Feuilletonchef des Bremer Weser-Kuriers,<br />

Arnulf Marzluf. Er schrieb am<br />

12. März 2009 in seinem Blatt:<br />

Die DEUTSCHE SPRACHWELT gibt<br />

bekannt: „Die <strong>Deutsche</strong> Welle darf nicht<br />

amerikanisch werden.“ So pointiert<br />

kann sich Sprache ausdrücken, wenn<br />

sie die „<strong>Sprachwelt</strong>“ in den Mund nimmt.<br />

Wellen-Intendant Erik Bettermann hatte<br />

ja nur angekündigt, man wolle verstärkt<br />

auf englisch senden. Da Deutsch unter<br />

anderem vermutlich deshalb nicht Weltsprache<br />

geworden ist, weil deutsche<br />

Funktionäre dann doch zuviel Deutschtum<br />

im Blut hatten und die Völker andere<br />

Zungen vorzogen, liegt undeutsches<br />

Sprechen als Verständigungsmittel<br />

heute näher. Und der Fall hat uns die<br />

DEUTSCHE SPRACHWELT beschert,<br />

die trotz ihrer sprachlichen Beschränkung<br />

den feinen Unterschied zwischen<br />

dem Englischen und dem Amerikanischen<br />

kennt; und daß der Unterschied<br />

gar nicht immer nur in der Sprache liegt,<br />

sondern im Denken allgemein. Das weiß<br />

man aus der deutschen Vergangenheit,<br />

in der Fremdwörter ausgemerzt wurden<br />

wie Menschen. Die DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT beklagt nun, daß die<br />

<strong>Deutsche</strong> Welle zu allem Überfluß auch<br />

noch „Sachwalter der Menschenrechte“<br />

sein wolle und nennt den ganzen Vorgang<br />

Amerikanisierung der Welle. 1945<br />

nicht verwunden? Das nennt man nachhaltiges<br />

Denken.<br />

und rufen unsere Leser zum Protest auf<br />

Watch your Deutsch!<br />

Die Bundesregierung läßt auf Jugendliche den „Webman“ los<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

s geht auch anders. „Starker Wille statt Promille“<br />

E heißt seit Mai die Aufklärungskampagne des Bayerischen<br />

Gesundheitsministeriums gegen Alkoholmißbrauch<br />

bei Jugendlichen. Zehn Jahre lang war sie unter<br />

englischen Vorzeichen gelaufen. Daher hieß es bislang<br />

an den bayerischen Schulen: „Be hard, drink soft“. Nun<br />

war Bürgerprotest aus zwei Gründen erfolgreich: Der<br />

Münchner Merkur, eine regionale Tageszeitung, gab<br />

ihm eine Stimme, und er traf auf einen aufgeschlossenen<br />

Minister.<br />

Sprachsünder Ecke An dieser Stelle stellen wir Sprachsünder vor, die besonders unangenehm aufgefallen sind,<br />

Der Merkur rief seine Leser dazu auf, Vorschläge für einen<br />

verständlichen deutschen Spruch einzusenden. Über<br />

sechzig Vorschläge kamen zusammen, darunter recht<br />

geistreiche wie „Sei schlau, nicht blau“. Der bayerische<br />

Gesundheitsminister Markus Söder entschied sich als<br />

Ein-Mann-Preisgericht für „Starker Wille statt Promille“.<br />

Die neue Namensfindung kostete das Ministerium im<br />

Gegensatz zur vorherigen nur einen Blumenstrauß. Der<br />

neue Spruch soll so bald wie möglich den alten ersetzen.<br />

Söder setzt damit lediglich einen Beschluß des Bayerischen<br />

Landtages aus dem Jahr 2004 um (Drucksache<br />

15/1046), der lautet: „Die Staatsregierung wird aufgefordert,<br />

… den Gebrauch von fremdsprachlichen Begriffen<br />

auf ein Mindestmaß zu beschränken.“ Daran hält sich die<br />

Regierung leider nicht immer. Das Sozialministerium hat<br />

zum Beispiel das Programm „Fit for Work“ aufgelegt,<br />

das Landwirtschaftsministerium gibt eine Broschüre<br />

„Cross Compliance 2009“ heraus, und das Kultusministerium<br />

unterstützt den Wettbewerb „EarSinn – Ohren<br />

auf und durch!“ – Der Irrsinn kennt keine Grenzen.<br />

Natürlich ist Fremdwörtersucht keine bayerische Besonderheit.<br />

Auch die Bundesregierung flüchtet zuweilen<br />

aus der deutschen Sprache. Jüngstes Beispiel ist<br />

die Kampagne „watch your web“ (etwa: „Paß auf dein<br />

Netz auf“). Die Initiative geht vom Familien- und vom<br />

Verbraucherschutzministerium aus und richtet sich an<br />

Da war sie endlich, die beliebte Nazikeule.<br />

Ein Leser aus Bremen schrieb<br />

mir: „Tja, lieber Herr Paulwitz, da<br />

stehen Sie – der potentielle Massenmörder<br />

– also mit rauchender Maschinenpistole<br />

am Massengrab.“ Unser Leser<br />

schrieb dem Feuilletonchef einen<br />

Leserbrief, der freilich nie erschien.<br />

Marzluf rechtfertigte sich ihm gegenüber<br />

mit Hilfe eines Adorno-Zitats:<br />

„Fremdwörter sind die Juden der Sprache“.<br />

Ob Marzluf weiß, daß Eduard<br />

Engel, der Verfasser des Werkes<br />

„<strong>Deutsche</strong> Stilkunst“ (1911) und des<br />

Verdeutschungswörterbuchs „Entwelschung“<br />

(1917), der die Fremdwörter<br />

mit großer Leidenschaft bekämpfte,<br />

ein Jude war?<br />

Kritik ohne Absender?<br />

Aber auch die <strong>Deutsche</strong> Welle selbst<br />

meldete sich. Ansgar Burghof (SPD),<br />

der Leiter der Intendanz, der in der<br />

Hierarchie gleich nach dem Intendanten<br />

Bettermann (SPD) kommt, schrieb mir<br />

am 11. März einen bösen Brief. Dieser<br />

ging auch an den Evangelischen Pressedienst<br />

(epd), eine Nachrichtenagentur,<br />

die offenbar nachgefragt hatte.<br />

Der Presse entnehmen wir, dass Sie<br />

eine Mitarbeiterinitiative der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Welle zum „Sprachwahrer des Jahres“<br />

gewählt haben. Ich möchte darauf hinweisen,<br />

dass es eine solche Mitarbeiterinitiative<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Welle nicht<br />

gibt. Sie berufen sich offensichtlich auf<br />

ein Papier, das unter dem Absender<br />

„Pro <strong>Deutsche</strong> Welle“ anonym verbreitet<br />

wurde. Dass sie [!] anonyme Papiere<br />

auszeichnen, verwundert. Insofern geht<br />

auch Ihre Kritik der „Amerikanisierung“<br />

ins Leere. Nicht nur, dass sie nicht<br />

stimmt – sie hat auch keinen Absender.<br />

Wer sich mit den Planungen der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Welle befasst, wird zu der Auffassung<br />

gelangen, dass solch ungeprüfte<br />

Vorwürfe vollkommen ungerechtfertigt<br />

sind. In dem Zusammenhang auch noch<br />

von „Großmannssucht“ zu schwadronieren,<br />

zielt an der Wirklichkeit vollends<br />

vorbei. Dass die DEUTSCHE SPRACH-<br />

WELT auf derart windiger Grundlage<br />

eine Wahl vornimmt, fällt nun doch auf<br />

den Auslober zurück.<br />

Hier lernen wir eine weitere Möglichkeit<br />

kennen, wie man sich vor der<br />

Auseinandersetzung mit Argumenten<br />

drücken kann: Man leugnet einfach,<br />

Jugendliche. Sie will vor den Gefahren warnen, die eine<br />

unbedachte Preisgabe persönlicher Daten birgt. So läßt<br />

die Bundesregierung einen in Lila gekleideten „Webman“<br />

gegen den orangen „Data Devil“ antreten. Die<br />

Regierenden wollen sich bei den Jugendlichen anbiedern<br />

und machen sich dabei mit einer bemüht jugendlichen<br />

Sprache lächerlich. Dazu ahmen sie die anglisierte<br />

Werbesprache nach, deren erstes Ziel bekanntlich nicht<br />

die Verständlichkeit ist, sondern die Vernebelung des<br />

Denkens, um Konsumgefühle zu wecken. Wir lesen von<br />

„Tutorials“ (Anleitungen), von „adden“ (hinzufügen)<br />

und so weiter. Ein Testergebnis fängt so an: „Uh-oh!<br />

Danger!“ (Achtung, Gefahr!). Kein Wunder, daß die<br />

Seitenbetreiber auch mit deutscher Rechtschreibung<br />

und Grammatik auf Kriegsfuß stehen: „zum warm machen“,<br />

„hoch geladene Inhalte“.<br />

Lassen wir den bayerischen Gesundheitsminister Markus<br />

Söder zu Wort kommen: „Es herrscht offenbar der<br />

Gedanke vor, daß man junge Menschen besonders dann<br />

anspricht, wenn man das alles in Englisch formuliert.<br />

… Ich glaube aber, das Gegenteil ist der Fall, denn am<br />

Schluß versteht keiner mehr etwas.“<br />

Fragen Sie Ilse Aigner, als Verbraucherschutzministerin<br />

mitverantwortlich für „watch your web“, ob<br />

sie es nötig hat, sich mit einer scheinbar jugendlichen<br />

Sprache anzubiedern. Fragen Sie Ilse Aigner,<br />

ob sie es nicht ihrem Parteifreund Markus Söder<br />

gleichtun und den fremdsprachigen Spruch durch<br />

einen deutschen austauschen möchte. Lassen Sie uns<br />

bitte ein Doppel zukommen:<br />

Sprachsünderin Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung,<br />

Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Wiesseer<br />

Straße 16, D-83703 Gmund am Tegernsee, Telefon:<br />

+49-(0)30-18529-0, Telefax: +49-(0)30-18529-3179,<br />

poststelle@bmelv.bund.de, www.bmelv.de<br />

daß es einen Kritiker gibt. Und wieder<br />

einmal spricht man dem anderen dünkelhaft<br />

das notwendige Fachwissen<br />

ab. Wenn man sieht, wie die Intendanz<br />

unliebsame Mitarbeiter innerhalb der<br />

<strong>Deutsche</strong>n Welle maßregelt, kann man<br />

verstehen, warum die Initiative die Namen<br />

ihrer Mitglieder nicht preisgibt.<br />

Gleichwohl gibt es sie.<br />

Wir erinnern uns: Seit dem Winter<br />

2008/09 (DSW 34) steht der Intendant<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Welle in der<br />

Sprachsünder-Ecke der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT. Möglicherweise hatten<br />

die zahlreichen Protestschreiben<br />

unserer Leser die Genossen zermürbt.<br />

Schließlich geht es bei der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Welle um viel Macht und Geld – unser<br />

Geld. Auf beides will die DW-Sozi-<br />

Riege mit Sicherheit nicht verzichten.<br />

Daher rühren die harschen Worte.<br />

Selbstverständlich haben wir selbst<br />

nicht „ungeprüft“ Vorwürfe erhoben,<br />

sondern uns ausgiebig mit den Planungen<br />

befaßt. Was Bettermann und<br />

Burghof vorhaben, kann jeder Bürger<br />

in der „Unterrichtung des Bundestages<br />

zur Aufgabenplanung 2010 bis 2013“<br />

nachlesen (Drucksache 16/118<strong>36</strong>). So<br />

kommt man nicht aus der Sprachsünderecke,<br />

liebe Genossen. Lieber sollte<br />

der Steuerzahler die Mittel für die<br />

<strong>Deutsche</strong> Welle kürzen, als Geld für<br />

eine Politik bereitzustellen, die gegen<br />

die deutsche Sprache und Kultur gerichtet<br />

ist.<br />

Sprachsünder Erik Bettermann, Intendant,<br />

oder Dr. Ansgar Burghof, Leiter<br />

der Intendanz, <strong>Deutsche</strong> Welle – Anstalt<br />

des öffentlichen Rechts, D-53110<br />

Bonn, Telefon: +49-(0)228-429-2009,<br />

Telefax: +49-(0)228-429-2080, info@<br />

dw-world.de, Ansgar.Burghof@dwworld.de,<br />

www.dw-world.de<br />

Bravo, Herr<br />

Dr. Krötsch!<br />

L<br />

iebe Leser, heute erleben Sie<br />

eine Erstaufführung: Wir stellen<br />

Ihnen den ersten Sprachsünder vor,<br />

den wir feierlich aus der Sprachsünder-Ecke<br />

entlassen. In der vergangenen<br />

Ausgabe hatten wir Dr. Ulrich<br />

Krötsch, den Präsidenten der Bundesapothekerkammer<br />

und der Bayerischen<br />

Landesapothekerkammer,<br />

in die Sprachsünder-Ecke gestellt.<br />

Krötsch kennt jedoch die Arznei, mit<br />

der er dieses Mal entfernen kann. Am<br />

24. April dieses Jahres schrieb er an<br />

die DEUTSCHE SPRACHWELT:<br />

Bild: ABDA – Bundesvereinigung<br />

<strong>Deutsche</strong>r<br />

Apothekerverbände<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009<br />

Auf Ihren Artikel in<br />

der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT<br />

darf ich Ihnen<br />

antworten, daß<br />

ich zukünftig darauf<br />

achten werde,<br />

englische Abkürzungen<br />

tunlichst<br />

zu vermeiden.<br />

Ohne Vorbehalt<br />

unterstütze ich<br />

Ihr Anliegen, die deutsche Sprache<br />

hochzuhalten. Leider kam dieses<br />

unglückliche Zitat durch eine Vermengung<br />

mündlicher Aussagen und<br />

schriftlicher Bezugnahme auf einen<br />

englischsprachigen Artikel zustande,<br />

ohne daß ich noch einmal Korrektur<br />

lesen konnte.<br />

Mit freundlichen Grüße<br />

Dr. Ulrich Krötsch<br />

Wie selten erleben wir die menschliche<br />

Größe, einen Fehler einzugestehen.<br />

Allein dies verdient bereits Anerkennung.<br />

Ich danke herzlich allen<br />

Lesern, die mit ihren Briefen mitgeholfen<br />

haben, das Sprachbewußtsein<br />

zu schärfen. Machen Sie bitter weiter<br />

so und freuen Sie sich bitte mit mir<br />

über diesen Erfolg!<br />

Ihr Thomas Paulwitz<br />

<strong>Deutsche</strong><br />

Wortwelt<br />

Das entbehrliche Fremdwort<br />

Sale<br />

Schluß mit dem Ausverkauf<br />

der deutschen Sprache! Nein,<br />

„Sale“ ist kein Fluß, sondern<br />

das Schämwort für den<br />

Schlußverkauf.<br />

Das richtig geschriebene Wort<br />

hanebüchen<br />

Gerne gönnt man dem Wort<br />

ein „h“, so daß es zu „hahnebüchen“<br />

wird. Es hat aber ursprünglich<br />

nichts mit Hähnen<br />

zu tun, sondern mit der Hainbuche.<br />

Richtig ist also „hanebüchen“.<br />

Das treffende Wort<br />

mehrfach / mehrmals<br />

Die Wörter „mehrfach“ und<br />

„mehrmals“ bedeuten keineswegs<br />

dasselbe, denn Mehrfaches<br />

findet gleichzeitig statt,<br />

Mehrmaliges jedoch einzeln<br />

nacheinander.<br />

Das richtig gebeugte Wort<br />

gehangen/gehängt<br />

Ich habe die Wäsche „aufgehängt“,<br />

aber nicht „aufgehangen“.<br />

Das Bild hat dort „gehangen“,<br />

aber nicht „gehängt“:<br />

er hängt, hängte, hat etwas<br />

gehängt – er hängt, hing, hat<br />

selbst gehangen.<br />

Das wiederentdeckte Wort<br />

Volk<br />

Die Ersatzwörter „Bevölkerung“<br />

und „Gesellschaft“ haben<br />

das Wort „Volk“ aus dem<br />

Sprachgebrauch verdrängt.<br />

Beinahe haftet ihm schon etwas<br />

Anrüchiges an. Es ist aber<br />

deutsch und deutlich und völlig<br />

verfassungsgemäß!<br />

Welche weiteren Wörter sollten<br />

in dieser Wortwelt stehen?<br />

Schreiben Sie uns!<br />

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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009 Anstöße<br />

Seite 11<br />

Bald wird der Bundestag Verständlichkeit fordern<br />

Abgeordnete Gitta Connemann bei der Aktion <strong>Deutsche</strong> Sprache<br />

Von Rolf Zick<br />

D<br />

ie korrekte Benennung, Bezeichnung<br />

und damit auch<br />

das Verständnis dessen, über das wir<br />

reden, ist unentbehrlich. Ein entsprechender<br />

Antrag wird noch vor Ende<br />

der Legislaturperiode eingebracht<br />

werden können und von allen Abgeordneten<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages<br />

unterstützt werden.“ Das kündigte<br />

die CDU-Bundestagsabgeordnete<br />

Gitta Connemann Ende Mai vor der<br />

Aktion <strong>Deutsche</strong> Sprache in Hannover<br />

an.<br />

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung<br />

in Deutschland ist des Englischen<br />

nicht mächtig. Die zunehmende<br />

Verwendung von Englisch, besonders<br />

aber von Anglizismen und der<br />

Mischmasch mit der deutschen Sprache<br />

bringen für sie große Verständigungs-<br />

und Verständnisprobleme im<br />

Alltag. Sie werden verunsichert und,<br />

noch schlimmer, zunehmend ausgegrenzt.<br />

Darauf wies Connemann hin.<br />

Die Vorsitzende der Enquête-Kommission<br />

„Kultur in Deutschland“<br />

und Mitbegründerin der Initiative<br />

Sprachlicher Verbraucherschutz, zu<br />

deren Initiatoren noch die CDU-Bundestagsabgeordneten<br />

Julia Klöckner,<br />

Peter Bleser, Laurenz Meyer und Erika<br />

Steinbach gehören, stellte beim<br />

Sprachtreff der Aktion <strong>Deutsche</strong><br />

Sprache das Leitbild des mündigen,<br />

selbständigen Verbrauchers vor. Sie<br />

betonte, für eine moderne Verbraucherpolitik<br />

und einen effektiven Verbraucherschutz<br />

sei eine verständliche<br />

Sprache die Voraussetzung. „Es muß<br />

im Alltag wieder selbstverständlich<br />

werden, daß man sich als Verbraucher<br />

in Deutschland mit der Beherrschung<br />

ausschließlich der deutschen<br />

Nachruf auf Annedore Zschiedrich<br />

Die wohl älteste DSW-Leserin ist kurz nach ihrem 100. Geburtstag gestorben<br />

Von Sieghard Kosel<br />

m März, am 13. Tag des Frühling<br />

I verheißenden Monats, feierten wir<br />

in Bautzen den 100. Geburtstag von Annedore<br />

Zschiedrich, Ehrenmitglied des<br />

Sprachrettungsklubs Bautzen/Oberlausitz.<br />

Drei Monate später mußten wir<br />

sie voller Trauer zu Grabe tragen. Annedore<br />

Zschiedrich war das, was man<br />

belesen zu nennen pflegt, doch stellte<br />

sie ihre literarische Bildung nicht –<br />

was so mancher gerne zu tun trachtet –<br />

zur Schau. Vor Jahren fesselte sie eine<br />

Krankheit, die sich mit dem fortschreitenden,<br />

hohen Alter einstellte, ans Bett.<br />

„In dieser Zeit habe ich zwanzig Bücher<br />

gelesen“, sagte sie.<br />

Was auf der Welt, was im engeren<br />

Umfeld sich so tat, das wollte sie wissen.<br />

Und so war sie, ungeachtet spürbarer<br />

körperlicher Anstrengungen,<br />

bei den regelmäßigen, monatlichen<br />

Begegnungen des Bautzener Sprachklubs<br />

dabei, lauschte den thematisch<br />

weit angelegten Vorträgen, folgte interessiert<br />

den Gesprächen und bedauerte<br />

es immer wieder, daß sie selbst<br />

nicht mehr allzu viel beizutragen<br />

vermochte zur sprichwörtlichen fami-<br />

Der Bautzener Theater-Intendant Lutz<br />

Hillmann beglückwünschte Annedore<br />

Zschiedrich wenige Monate vor ihrem<br />

Tod zu ihrem 100. Geburtstag Bild: privat<br />

liären, sprachfamiliären Atmosphäre<br />

der Klubbegegnungen. Indes war allein<br />

ihre Teilnahme an sich schon eine<br />

Bereicherung: Da strahlte Lebenserfahrung,<br />

ein in Kultur gelebtes, der<br />

Sprache gewidmetes Leben aus.<br />

83jährig spielte sie noch im Stück<br />

„Acht Frauen“ und gab in den 1980er<br />

Jahren am Bautzener Theater, wohin es<br />

sie zuletzt verschlug, die Großmutter<br />

im damals im Osten weit verbreiteten<br />

Stück nach Maxi Wanders Erfolgsbuch<br />

Sprache zurechtfindet“, sagte die Politikerin.<br />

In Flughäfen und Bahnhöfen sei<br />

Deutsch inzwischen zur Randsprache<br />

verkommen. Ähnlich gehe es<br />

bei der <strong>Deutsche</strong>n Bahn zu. Täglich<br />

würden Millionen von Menschen,<br />

die nur der deutschen Sprache mächtig<br />

sind, ausgegrenzt. Das betreffe<br />

besonders Menschen mit geringerer<br />

Bildungsqualifikation, ältere Menschen,<br />

ebenso ehemalige DDR-Bürger<br />

oder Menschen mit sogenanntem<br />

„Migrationshintergrund“. Hilflosigkeit,<br />

Unkenntnis und Angst vor<br />

Bloßstellungen seien die Folgen für<br />

die Betroffenen, sagte Gitta Connemann.<br />

Und dann erzählte sie, wie sie<br />

als Mitglied des Kreistages in Leer<br />

in Ostfriesland kürzlich erlebte, daß<br />

der Landrat eine gemeinsame Er-<br />

„Guten Morgen Du Schöne“. Ein reiches<br />

Schauspielerleben liegt hinter ihr,<br />

gefüllt mit Engagements an verschiedenen<br />

Theatern, immer bestimmt vom<br />

übergreifenden Engagement für die<br />

deutsche Sprache. Annedore Zschiedrich<br />

nannte das zehnjährige Bestehen<br />

des Sprachrettungsklubs Bautzen /<br />

Oberlausitz „einen Höhepunkt“, gehörte<br />

sie doch mit zu den Gründern<br />

dieses spontan aus der Not, aus der um<br />

sich greifenden Sprachverschluderung<br />

entstandenen Klubs.<br />

Annedore Zschiedrich, aus einer<br />

Schauspielerdynastie stammend, hatte<br />

drei Kinder, die sich alle ebenfalls<br />

dem Theater verschrieben haben oder<br />

hatten. Ihr 100. Geburtstag vereinte<br />

darum neben den Kindern auch Theaterleute<br />

aus Bautzen. Und die „Sprachretter“<br />

waren mittendrin. Es ging der<br />

Jubilarin, geistig hellwach, wenn auch<br />

körperlich von Krankheit gezeichnet,<br />

ums gesprochene, ums geschriebene<br />

Wort, um gepflegte Sprache. So war<br />

das Leben der nun verstorbenen Annedore<br />

Zschiedrich auch ein Leben<br />

für die deutsche Sprache.<br />

klärung mit dem niedersächsischen<br />

Wirtschaftsministerium als „Letter<br />

of Intent“ bezeichnete. Die Mehrheit<br />

des Kreistages wußte nicht, wovon<br />

er redete. „Ein Vorwurf ist diesen<br />

Kollegen nicht zu machen, denn die<br />

Amtssprache in Deutschland ist nach<br />

wie vor Deutsch – und deswegen<br />

sollten wir es auch pflegen“, betonte<br />

die Politikerin.<br />

Vor diesem Hintergrund habe die<br />

CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefordert,<br />

die Rahmenbedingungen<br />

des Alltags für alle so zu gestalten,<br />

daß sie nicht von Informationen<br />

ausgegrenzt werden. Hier habe die<br />

Bundesregierung Vorbildcharakter.<br />

Gesetzestexte, Verlautbarungen,<br />

Werbekampagnen der Regierungen,<br />

Veröffentlichungen aller Art sowie<br />

auch weitergehende Verständigung<br />

Tschechische<br />

Sprachpflege<br />

Von Rudolf Erler<br />

M<br />

an könnt’ sich ja auch manchmal<br />

aufregen über heutigen<br />

Sprachunfug, bis der Kreislauf zusammenbricht;<br />

oder sich totlachen.<br />

Dem vorgebeugt hat der Sprachrettungsklub<br />

Bautzen/Oberlausitz durch<br />

seine Arbeitsmethode der „fröhlichen<br />

Aggressivität“. Und gelegentlich ist<br />

ein Blick über den Tellerrand, sprich<br />

über die Ländergrenzen, ganz hilfreich.<br />

So luden wir zu einem Vortrag<br />

über „Tschechische Sprachpflege vom<br />

Mittelalter bis heute“ Prof. Dr. Ludger<br />

Udolph vom Institut für Slawistik der<br />

Technischen Universität Dresden ein.<br />

Der in der Nähe von Bautzen wohnende,<br />

seit 1992 in Dresden lehrende<br />

Westfale mit sächsisch-schlesischen<br />

Wurzeln zog schon nach wenigen<br />

Sätzen die Zuhörer in seinen Bann.<br />

So wurde uns unter anderem bewußt,<br />

daß das doch recht kleine Sprachvolk<br />

der Tschechen über Jahrhunderte einen<br />

immerwährenden Kampf um die Erhaltung<br />

seiner Sprache führen mußte.<br />

Wir zittern und zetern heute, wenn wissenschaftliche<br />

Vorträge auf deutscher<br />

Bühne auf englisch gehalten werden.<br />

Anzeigen<br />

mit den Bürgern sollen in verständlicher<br />

und deutscher Sprache abgefaßt<br />

sein. Die Bundesregierung müsse<br />

als Anteilseigner, Genehmigungsbehörde<br />

oder Geldgeber Einfluß<br />

auf eine durchgehende Verwendung<br />

der deutschen Sprache etwa in Beschilderungen,<br />

Leitsystemen nehmen,<br />

beispielsweise in öffentlichen<br />

Gebäuden, Flughäfen, Bahnhöfen.<br />

Schließlich appelliert die Enquête-<br />

Kommission an die Spitzenverbände<br />

der deutschen Wirtschaft, daß Gebrauchs-<br />

und Betriebsanleitungen,<br />

Bedienelemente sowie die Garantievoraussetzungen<br />

eines Erzeugnisses<br />

auch in deutscher, verständlicher<br />

Sprache zu finden sind. Gerade die<br />

jetzige Finanzkrise zeige, welche<br />

verheerenden Folgen die Verwendung<br />

unverständlicher Bezeichnungen<br />

haben kann.<br />

In Böhmen sprach man bis zum 13.<br />

Jahrhundert Tschechisch nur auf dem<br />

Lande, sonst herrschten Latein und<br />

Deutsch vor. Wußten Sie, daß König<br />

Wenzel eigentlich kein Tschechisch<br />

konnte? Seine persönliche Bibel war in<br />

Deutsch geschrieben. Trotzdem kamen<br />

immer wieder einflußreiche Personen<br />

oder Vereinigungen zum Zuge, die<br />

die Übermacht des <strong>Deutsche</strong>n zurückdrängten.<br />

Eine Schlüsselrolle nahm die<br />

Kirche ein, die von den Geistlichen die<br />

Abhaltung der Gottesdienste auf tschechisch<br />

forderte.<br />

Rudolf Erler gehört dem Sprachrettungsklub<br />

Bautzen/Oberlausitz an.<br />

Anmerkung der Schriftleitung:<br />

Heute ist in der Tschechischen Republik<br />

Deutsch hinter Englisch zurückgefallen.<br />

Zwischen 2000 und 2005<br />

ging laut der „Ständigen Arbeitsgruppe<br />

Deutsch als Fremdsprache“ die<br />

Zahl von Deutschlernern signifikant<br />

zurück: an den Schulen von 624.000<br />

auf 497.000, an den Universitäten von<br />

125.000 auf 35.000. Neuere Zahlen<br />

gibt es nicht. (dsw)<br />

Weltweite Verständigung<br />

durch Weltweite die internationale Verständigung Sprache<br />

durch die internationale Ido Sprache<br />

Ido<br />

Kulturelle und sprachliche Vielfalt ist ein Reichtum der Menschheit<br />

– doch der Prozess des Sterbens von Sprachen dauert an, auch in Europa.<br />

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Seite 12 Bunte Seite<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

ie <strong>Deutsche</strong>n lieben ihre Spra-<br />

D che. Mit dieser „bahnbrechenden“<br />

Erkenntnis ging das Institut für<br />

deutsche Sprache in Mannheim (IDS)<br />

am 17. Juni dieses Jahres an die Öffentlichkeit.<br />

IDS-Direktor Ludwig M.<br />

Eichinger erklärte, daß er überrascht<br />

sei von dem „unglaublich positiven<br />

Urteil“ über die eigene Sprache. Warum<br />

hat er nicht vorher mit uns gesprochen?<br />

Wir Sprachschützer hätten es<br />

ihm kostenlos bestätigt. Schließlich<br />

veranlaßt die Liebe zur Muttersprache<br />

seit ungefähr zehn Jahren immer<br />

mehr Menschen dazu, sich für die<br />

deutsche Sprache einzusetzen.<br />

Das IDS überging außerdem eine<br />

Untersuchung des Instituts für Demoskopie<br />

(IfD) in Allensbach, veröffentlicht<br />

am 13. Juni 2008 von<br />

der – ebenfalls steuerfinanzierten<br />

– Gesellschaft für deutsche Sprache<br />

(GfdS). „Wie denken die <strong>Deutsche</strong>n<br />

über ihre Muttersprache und über<br />

Fremdsprachen?“ hatte die Leitfrage<br />

dieser repräsentativen IfD-Umfrage<br />

gelautet. Dessen ungeachtet kündigte<br />

das IDS nur einen Monat später,<br />

am 15. Juli 2008, seine eigene Untersuchung<br />

an, deren Ergebnisse jetzt<br />

vorliegen. Das Aufwärmen derselben<br />

Fragestellung beschrieb das IDS folgendermaßen:<br />

„Damit betritt das<br />

Projekt Neuland, denn eine umfassende<br />

Erhebung und Analyse aktuel-<br />

S<br />

Ein Turm<br />

der deutschen<br />

Sprache<br />

Von Dagmar Schmauks<br />

DSW-Silbenrätsel<br />

1. umkippende Hebevorrichtung – 2. blökende Krawatte – 3. vier schalkhafte<br />

Musiker – 4. Zeitpunkt, ab dem die Hühner keine Eier mehr produzieren – 5.<br />

unbehaart und gierig essen – 6. Gruppe eng verwandter Gauner – 7. wenn das<br />

Geld wegläuft – 8. Festnahme von Landwirten – 9. Vorrichtung zum Anhalten von<br />

Nutztieren – 10. Zimmer für absonderliche Menschen – 11. Fuß eines weiblichen<br />

Hausschweins – 12. Erholungsaufenthalt für Beerenfrüchte – 13. Sehorgane säubern<br />

– 14. Kleidungsstück für Personen, die auf Pferde setzen – 15. magischer<br />

Beleuchtungskörper – 16. laut platzender Lurch – 17. Behälter für allerfeinste<br />

Teilchen – 18. leise gehender Nachkomme – 19. Stellmöbel für ein lateinisches<br />

S<br />

hopping, Shipping,<br />

Photoshooting, Routing,<br />

Ranking, Screening,<br />

Marketing, Walking, Stalking,<br />

Watching, Mindmapping,<br />

Controlling – die Liste<br />

der „-ing-Wörter“, die aus<br />

dem Englischen entliehen sind, aber<br />

alle eine deutsche Entsprechung haben,<br />

ließe sich unendlich fortführen.<br />

Doch allein diese wenigen Beispiele<br />

sollten uns bewußtmachen, wie wir<br />

uns langsam von unserer Sprache<br />

abseilen.<br />

Abseilen? Moment mal, gibt es dafür<br />

nicht längst ein englisches Wort?<br />

Richtig, wer seinen Urlaub in Österreich<br />

oder Süddeutschland verbracht<br />

hat, wird den Rückimport dieses alten<br />

deutschen Wortes aus dem Englischen,<br />

wenn auch mit einer winzigen<br />

Veränderung, bestätigen können: Ein<br />

angeblich neuer Sport, der aber uralt<br />

ist, heißt seit geraumer Zeit Abseiling!<br />

Wer also den mühsamen Aufstieg<br />

zum Gipfel der Bildung scheut<br />

– zum Beispiel dadurch, daß er korrektes<br />

Deutsch oder Englisch lernt –<br />

kann nun wenigstens das Abseilen auf<br />

Zeugnis – 20. Lockruf für den ersten Buchstaben des Alphabets – 21. nicht sehr<br />

warmer Brustkorbknochen – 22. jemand, der in Zwischenräumen bereut – 23.<br />

nach Edelmetall ausspähen – 24. gereimte Hochzeiten – 25. hochprozentiger Einfall<br />

– 26. zur Musik sich drehende Denker – 27. Häuschen für Kopflauseier – 28.<br />

klebriges Zahlungsmittel – 29. Kampf auf sumpfigem Boden – 30. Nasen von<br />

Betrügern (umgangssprachlich)<br />

au – aus – ban – bau – be – ben – ber – bin – blick – brem – bü – cher – de –<br />

de – de – dee – der – der – di – e – en – erb – ern – fa – fall – fän – fäß – flucht<br />

– fraß – frosch – gau – ge – ge – geld – gen – gen – hen – hüt – i – ka – kahl<br />

– ken – ken – klau – knall – kom – kühl – kur – lam – le – li – lük – ma – ma<br />

– mäh – man – mi – ner – nis – pe – pe – pi – plo – quar – rei – rei – rip – sau<br />

– sche – schlacht – schlamm – schlei – schmier – schnaps – se – se – se – sen –<br />

sil – spinn – staub – streich – stu – ßer – tal – tanz – te – tel – ter – tett – tisch<br />

– trau – ver – vieh – wei – wet – wi – win – wun – zin<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>36</strong>_Sommer 2009<br />

Binsenweisheiten von Sprachbürokraten<br />

Eine teure Untersuchung des Instituts für <strong>Deutsche</strong> Sprache bringt wenig Neues<br />

Bild: pau<br />

eit kurzem kann der Pegnesische<br />

Blumenorden, die 1644 gegründete<br />

Nürnberger Sprachgesellschaft,<br />

einen Turm in der Nürnberger Stadtmauer<br />

mitnutzen. Es handelt sich um<br />

den sogenannten Bürgermeisterturm,<br />

der bereits mehrere hundert Jahre alt<br />

ist. Er befindet sich in der Nähe des<br />

Dürerhauses. Das gemütliche, mit<br />

dunklem Holz verkleidete Turmzim-<br />

ler Spracheinstellungen in Deutschland<br />

gibt es bisher nicht.“<br />

275 000 Euro kostet die<br />

Meinungsumfrage<br />

Doch das IDS hatte es ja gar nicht<br />

nötig, uns zu fragen oder andere<br />

Untersuchungen heranzuziehen.<br />

Schließlich kann sich das Institut aus<br />

einem prallen Förderfaß mit 275 000<br />

Euro bedienen, großzügig befüllt von<br />

der Volkswagen-Stiftung. Über eine<br />

Viertelmillion Euro kann das IDS<br />

zusammen mit dem Institut für Sozialpsychologie<br />

der Universität Mannheim<br />

verbraten: für die „Erkundung<br />

und Analyse aktueller Spracheinstellungen<br />

in Deutschland“!<br />

Dem ehrenamtlichen Sprachschützer,<br />

der sich für Gotteslohn bei Wind<br />

und Wetter auf die Straße stellt und<br />

unermüdlich für die deutsche Sprache<br />

trommelt, können bei einer solchen<br />

Summe nur die Tränen kommen.<br />

Weiß er doch wesentlich besser<br />

über die „Einstellungen zur Sprache“<br />

Bescheid als die Sprachbürokraten in<br />

ihren Elfenbeintürmen! Warum hat<br />

man ihn nicht gefragt? Er hätte aus<br />

seiner Erfahrung heraus die folgenden<br />

Ergebnisse nur bestätigen können:<br />

87 Prozent der Befragten gefällt<br />

die deutsche Sprache gut bis sehr<br />

gut. 56 Prozent empfinden Stolz, 47<br />

mer hat Bürgermeister Georg von<br />

Schuh (1846 bis 1918) einrichten lassen.<br />

Nun entsteht hier gewissermaßen<br />

ein Turm der deutschen Sprache.<br />

Donnerstags veranstaltet Reingard<br />

Fuchs Märchenstunden. Mittwochs<br />

kann der Blumenorden den Turm behausen.<br />

So finden dort künftig auch<br />

die Sitzungen des Sprachausschusses<br />

statt. Wer eine solche Sitzung<br />

mit seiner Anwesenheit bereichern<br />

möchte, möge sich bitte bei Thomas<br />

Paulwitz, dem Ausschußvorsitzenden<br />

und Ordensrat für Sprachpflege, melden.<br />

(dsw)<br />

Thomas.Paulwitz@<br />

deutsche-sprachwelt.de<br />

A<br />

Edda Moser<br />

geehrt<br />

m 29. Juni dieses Jahres gab<br />

es im <strong>Deutsche</strong>n Bundestag in<br />

Berlin die Gelegenheit, der Kammersängerin<br />

Edda Moser die Sprachwahrer-Urkunde<br />

zu überreichen. Die<br />

Leser der DEUTSCHEN SPRACH-<br />

WELT hatten sie zur „Sprachwahrerin<br />

des Jahres“ gewählt, weil sie<br />

2006 das Festspiel der deutschen<br />

Sprache begründete und seither lei-<br />

Auch in diesem Jahr strömten wieder zahlreiche Besucher an den Stand,<br />

den die DEUTSCHE SPRACHWELT auf der Leipziger Buchmesse hatte.<br />

Dort hätten die Sprachbürokraten viel über „Einstellungen zur Sprache“ erfahren<br />

können. Bild: pau<br />

Prozent Liebe für ihre Sprache. 78<br />

Prozent der <strong>Deutsche</strong>n finden, daß<br />

mehr für die deutsche Sprache getan<br />

werden sollte. Ein Gesetz zum<br />

Schutz der deutschen Sprache lehnen<br />

die meisten ab (58 Prozent).<br />

Immer mehr interessieren<br />

sich für Sprachpflege<br />

Die Befragten beschreiben Deutsch<br />

als schön, anziehend, logisch, aber<br />

auch schwierig. Dreißig Prozent<br />

tet. In diesem Jahr findet es am 11.<br />

September wieder in Bad Lauchstädt<br />

statt. <strong>Sprachwelt</strong>-Mitarbeiter Diethold<br />

Tietz übergab Edda Moser die Urkunde<br />

anläßlich des Expertengesprächs<br />

„Sprache schafft Identität“. Die CDU/<br />

CSU-Bundestagsfraktion hatte dazu<br />

eingeladen. Ein wesentliches Ergebnis<br />

des Gesprächs war die gemeinsame<br />

Forderung, die deutsche<br />

Sprache in der kommenden Legislaturperiode<br />

ins Grundgesetz aufzunehmen.<br />

Hinter Edda Moser ist Hans<br />

Zehetmair zu sehen, der Vorsitzende<br />

des Rechtschreibrats. (dsw)<br />

Bild: Tietz/Schleyer<br />

sind der Ansicht, die Entwicklung<br />

der deutschen Sprache sei „eher besorgniserregend“<br />

oder „sehr besorgniserregend“.<br />

Nur 16 Prozent finden<br />

die Veränderungen „eher erfreulich“<br />

oder „sehr erfreulich“. Das alles sind<br />

für jeden Sprachkämpfer Binsenweisheiten,<br />

tausendfach erfahren an<br />

zahllosen Informationsständen und<br />

-veranstaltungen.<br />

Der Sprachschützer, der nicht gefragt<br />

wurde, kann sich wenigstens<br />

bestätigt fühlen. Außerdem kann er<br />

sich über offensichtliche Erfolge seiner<br />

Arbeit freuen: Während 1997/98<br />

nur 13 Prozent der <strong>Deutsche</strong>n großes<br />

Interesse an der Pflege der deutschen<br />

Sprache bekundeten, sind es heute<br />

35 Prozent. Fielen damals noch 53<br />

Prozent der <strong>Deutsche</strong>n Veränderungen<br />

in der deutschen Sprache auf, so<br />

sind es heute 84.<br />

Das ist beileibe nicht das Verdienst<br />

des IDS, das mit dem Verbrechen<br />

der Rechtschreibreform große<br />

Schuld auf sich geladen hat, sondern<br />

das der Sprachschützer, die immer<br />

wieder den Finger in die Wunde<br />

legen und für ein stärkeres Sprachbewußtsein<br />

kämpfen. Mehr als ein<br />

Dutzend Sprachvereine gründeten<br />

sich seit 1997, auch weil die steuerfinanzierten<br />

Einrichtungen auf dem<br />

Gebiet der Sprachpflege kläglich<br />

versagten.<br />

Untersuchungen zu „Meinungen und<br />

Einstellungen“ sind zwar schön und<br />

unterhaltsam, bringen uns aber nicht<br />

wesentlich weiter, weil sie lediglich<br />

Bekanntes bestätigen und Kräfte binden.<br />

Was wir benötigen, sind handfeste<br />

sprachpolitische Maßnahmen,<br />

um die deutsche Sprache zu stärken.<br />

Alles andere ist hinausgeworfenes<br />

Geld und Beschäftigungstherapie für<br />

zahnlose Sprachbürokraten.<br />

Abseiling zum Abwracking<br />

denglisch betreiben. Wohin<br />

aber dieses Abseiling von<br />

unserer Muttersprache<br />

führt, ist auch klar: zum<br />

Abwracken – oder heißt es<br />

schon Abwracking? – eben<br />

dieser Sprache.<br />

Verkehrte Welt! Im Gegensatz zum<br />

jetzigen Abwracken alter Autos im<br />

Tausch gegen neue wird hier eine<br />

Kultursprache gegen eine Schrottsprache<br />

getauscht. Wer dafür aber<br />

eine Prämie erwartet, hat nichts verstanden,<br />

denn die Zeche bezahlen<br />

wir …<br />

Ihr Anglizismenmuffel<br />

Wolfgang Hildebrandt<br />

Wolfgang Hildebrandt, Mal ganz<br />

ehrlich – Gedanken eines Anglizismenmuffels<br />

über Überflüssiges im<br />

Überfluß, ISBN 978-3-929744-33-0,<br />

6,00 Euro (einschließlich Portokosten<br />

innerhalb Deutschlands). Bestellungen:<br />

Wolfgang Hildebrandt, Am<br />

Steingrab 20a, D-27628 Lehnstedt,<br />

Telefon +49-(0)4746-1069, Telefax<br />

+49-(0)4746-931432, hillesimm@tonline.de<br />

Lösungen: 1. Fallwinde – 2. Mähbinder –<br />

3. Streichquartett – 4. Legende – 5. Kahlfraß<br />

– 6. Familienbande – 7. Kapitalflucht<br />

– 8. Bauernfängerei – 9. Viehbremse – 10.<br />

Spinnstube – 11. Sauklaue – 12. Traubenkur<br />

– 13. Augenauswischerei – 14. Wettermantel<br />

– 15. Wunderlampe – 16. Knallfrosch<br />

– 17. Staubgefäß – 18. Erbschleicher – 19.<br />

diplomatisch – 20. Komma – 21. Kühlrippe<br />

– 22. Lückenbüßer – 23. Silberblick – 24.<br />

Versehen – 25. Schnapsidee – 26. Tanzweise<br />

– 27. Nissenhütte – 28. Schmiergeld – 29.<br />

Schlammschlacht – 30. Gaunerzinken<br />

Prof. Dr. Dagmar Schmauks ist in der Arbeitsstelle<br />

für Semiotik an der Technischen Universität<br />

Berlin tätig. Semiotik ist die Wissenschaft<br />

von den Zeichen.

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