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PDF 43 - Deutsche Sprachwelt

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AUSGABE <strong>43</strong><br />

Frühjahr 2011<br />

12. Jahrgang – 1<br />

ISSN1<strong>43</strong>9-8834<br />

(Ausgabe für Deutschland)<br />

Besuchen Sie uns auf der<br />

17.–20. März 2011<br />

Stand A 103 in Halle 5<br />

Wir freuen uns auf Sie!<br />

Sinnliche Erfahrung<br />

Der Sprecherzieher Lienhard<br />

Hinz stellt uns seine Arbeit vor.<br />

Seite 3<br />

Berlinisch<br />

Der Verleger und „jewordne<br />

Berliner“ Horst Meyer bringt<br />

uns das Berlinische näher.<br />

Seite 5<br />

Spadschetti<br />

Elmar Tannert erklärt uns, wie<br />

Spaghetti klebrig werden.<br />

Seite 9<br />

Ideologie?<br />

Hartmut Heuermann verrät<br />

uns, ob hinter Denglisch eine<br />

Ideologie steckt.<br />

Seite 11<br />

Wir <strong>Deutsche</strong>(n)<br />

Rominte van Thiel erläutert<br />

uns, ob wir <strong>Deutsche</strong>n wir<br />

<strong>Deutsche</strong> sind.<br />

Seite 12<br />

Sie spenden für:<br />

• Zusendung der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT<br />

• Aktionen für die deutsche Sprache<br />

Kostenloser Aufkleber<br />

Bestellen Sie auf Seite 5!<br />

Besuchen Sie<br />

www.Sprachpflege.info<br />

Hier geht’s zur deutschen Sprache<br />

Bundesverkehrsminister und <strong>Deutsche</strong> Bahn wollen wieder mehr Deutsch<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

erständnisstaus auf deutschen<br />

V Verkehrswegen: Damit soll jetzt<br />

Schluß sein. Das ist der erklärte Wille<br />

von Bundesverkehrsministerium,<br />

<strong>Deutsche</strong>r Bahn und Sprachschützern.<br />

Freilich ist es mühsam, die<br />

Sprachhürden auf die Seite zu räumen<br />

und die Schlaglöcher auf dem<br />

Weg zur Verständlichkeit zu füllen.<br />

Von heute auf morgen ist das nicht<br />

so leicht zu machen, und es gibt<br />

auch Rückschläge zu verzeichnen.<br />

So hängt die Autobahnpolizei Nordrhein-Westfalens<br />

seit kurzem an Autobahnbrücken<br />

Plakate mit der Aufschrift<br />

„Check your distance“ auf.<br />

Dieses schlechte Englisch bezeichnet<br />

sie auch noch als „klare und eindeutige<br />

Botschaft“. Nach Beschwerden<br />

ruderte die Polizei zurück. Ein<br />

Behördensprecher teilte mit, daß<br />

man „die nächste Kampagne möglichst<br />

mit Hilfe von Piktogrammen<br />

gestalten“ wolle. Die deutsche Landessprache<br />

scheint weiterhin tabu<br />

zu sein, aber immerhin verficht die<br />

Polizei nicht mehr Englisch als Leitsprache<br />

Deutschlands.<br />

Englischartige Sprüche an den Autobahnen<br />

sind nichts Neues. Im<br />

Jahr der Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 verantwortete unter anderem<br />

das Bundesverkehrsministerium ein<br />

Plakat, das zu „fairplay on the autobahn“<br />

aufrief. Inzwischen weht<br />

unter dem Minister Peter Ramsauer<br />

erfreulicherweise ein anderer<br />

Wind. Die Leser der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT haben den Bundesverkehrsminister<br />

deshalb zum<br />

Sprachwahrer des Jahres 2010 gewählt<br />

(siehe Seite 10).<br />

Ramsauer zeigt, was möglich<br />

ist, wenn ein Regierungsmitglied<br />

Erfolge aus der Arbeit der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />

Sprachstraße:<br />

Städte<br />

eingeladen<br />

Die Stadt Köthen und die Neue<br />

Fruchtbringende Gesellschaft haben<br />

für den 30. März hochrangige Städtevertreter<br />

ins Köthener Rathaus eingeladen,<br />

um sie für die „Straße der<br />

deutschen Sprache“ zu begeistern.<br />

(Ein Bericht folgt in der nächsten<br />

Ausgabe.) Unterdessen haben sich<br />

51 Prozent der Leser, die an unserer<br />

Befragung teilgenommen haben,<br />

bereits vorgenommen, Orte auf der<br />

Strecke zu besichtigen.<br />

Siehe Seite 4.<br />

Dieses Schild erhalten Sie von uns im Format DIN A8 als kostenlosen Aufkleber.<br />

Bestellen Sie ihn auf Seite 5! (Eine Spende für Druck und Versand hilft uns!)<br />

Sprachbewußtsein zeigt. Den Automobilclub<br />

von Deutschland (AvD)<br />

und den Reifenhersteller Goodyear<br />

brachte er dazu, eine Auszeichnung<br />

für selbstloses Verhalten im Straßenverkehr<br />

umzubenennen. Ramsauer<br />

berichtete beglückt: „Es ist mir<br />

eine besondere Freude, daß aus dem<br />

‚Highway-Hero‘ nun der ‚Held der<br />

Straße‘ geworden ist. So haben wir<br />

einen Anglizismus weniger im deutschen<br />

Straßenverkehr!“<br />

Mit seiner Verdeutschungsliste, die innerhalb<br />

seines Ministeriums gilt, setzt<br />

Ramsauer eine gute alte sprachpolitische<br />

Tradition fort. 1874 ermutigte<br />

Reichskanzler Otto von Bismarck<br />

den Generalpostmeister Heinrich von<br />

Stephan, Fremdwörter aus dem Gebrauch<br />

der Reichspost zu entfernen.<br />

Zwei Verordnungen von 1874 und<br />

1875 wiesen die Postbeamten zur Verwendung<br />

von 765 Ersatzwörtern an.<br />

Seitdem heißt es „Nachnahme“ statt<br />

„Remboursement“, „eingeschrieben“<br />

Tag der Muttersprache:<br />

Umdenken<br />

gefordert<br />

Zum Welttag der Muttersprache am<br />

21. Februar forderten wir die Öffentlichkeit<br />

mit einem zugespitzten Aufruf<br />

heraus. Um die Sprachenvielfalt<br />

zu erhalten, solle der Englischunterricht<br />

zugunsten anderer Sprachen<br />

eingeschränkt werden. Englisch solle<br />

erst als zweite Fremdsprache erlernt<br />

und Latein gestärkt werden. Englisch<br />

ab der Grundschule sei hingegen entbehrlich.<br />

Zahlreiche Zeitungen berichteten.<br />

Siehe Seite 6.<br />

statt „recommandirt“ und „Rückschein“<br />

statt „Retour-Recepisse“.<br />

Ein früher Vorläufer Peter Ramsauers<br />

war Albert von Maybach, der 1879<br />

zum preußischen „Minister der öffentlichen<br />

Arbeiten“ ernannt wurde.<br />

Sein Amtsbereich umfaßte teilweise<br />

den des heutigen Bundesministers für<br />

Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.<br />

Maybach organisierte die Verwaltung<br />

eines großen Eisenbahnnetzes.<br />

Er berief den Ingenieur Otto Sarrazin<br />

als Geheimen Oberbaurat in die<br />

Eisenbahnabteilung seines Ministeriums.<br />

Dieser Mann – übrigens ein Urgroßonkel<br />

Thilo Sarrazins – gründete<br />

einen Ausschuß zum Eindeutschen<br />

fremdsprachlicher Ausdrücke. 1 300<br />

Eindeutschungen für Satzungen, Verordnungen<br />

und Veröffentlichungen<br />

brachte der Ausschuß zustande. Die<br />

„Barriere“ wurde so zur „Schranke“,<br />

das „Veloziped“ zum „Fahrrad“, der<br />

„Perron“ zum „Bahnsteig“, das „Billet“<br />

zum „Fahrschein“.<br />

Sprachwahrer des Jahres:<br />

Vorbilder<br />

vorgestellt<br />

Wer hat sich im vergangenen Jahr<br />

besonders um die deutsche Sprache<br />

verdient gemacht? Die Leser der<br />

DEUTSCHEN SPRACHWELT haben<br />

entschieden. Diesmal hatten sie<br />

erstmals die Möglichkeit, über ein<br />

Formular im Netz abzustimmen. Davon<br />

machten sie reichlich Gebrauch.<br />

Wie in jedem Jahr schenkten uns viele<br />

Medien Aufmerksamkeit, nachdem<br />

wir die Liste mit unseren Vorschlägen<br />

veröffentlicht hatten.<br />

Siehe Seite 10.<br />

Ramsauers Liste – einen kleinen<br />

Auszug daraus finden Sie auf Seite<br />

10 – umfaßt derzeit schon über einhundert<br />

Ausdrücke. Und sie wächst<br />

immer weiter. Warum sollte es nicht<br />

auch heute möglich sein, deutsche<br />

Entsprechungen durchzusetzen?<br />

Gerade bei der <strong>Deutsche</strong>n Bahn gibt<br />

es viel zu tun. Die Auskunft heißt<br />

noch „Service-Point“, der Schalter<br />

„Counter“, der Fahrschein „Tikket“.<br />

Daneben gibt es Angebote wie<br />

„Call-a-Bike“ oder „Kiss and Ride“,<br />

unter denen sich kaum einer etwas<br />

vorstellen kann.<br />

Doch auch dort ist Besserung in<br />

Sicht. Der Vorstandsvorsitzende<br />

der <strong>Deutsche</strong>n Bahn, Rüdiger Grube,<br />

erläuterte in einem Brief an die<br />

DEUTSCHE SPRACHWELT die<br />

neue „Nomenklatur“ der Bahn: „In<br />

unseren Grundsätzen zur externen<br />

Kommunikation haben wir festgelegt:<br />

‚Ziel der Unternehmenskommunikation<br />

ist die Nähe zum<br />

Kunden. Der Weg dorthin ist eine<br />

Sprache, die verstanden und akzeptiert<br />

wird. In unseren externen Publikationen<br />

ist für die Wortwahl die<br />

klare Verständlichkeit das Maß aller<br />

Dinge.‘ … Zu den ergänzend formulierten<br />

Prinzipien gehört die ‚möglichst<br />

durchgängige Verwendung<br />

der deutschen Sprache‘. Zugleich<br />

haben wir eine Reihe von Kriterien<br />

festgelegt, um die Verwendung von<br />

englischen Begriffen einzugrenzen.<br />

… Und ergänzend haben wir selbstverständlich<br />

für unsere interne Kommunikation<br />

festgelegt: ‚Auch für die<br />

interne Kommunikation wird in unserem<br />

Unternehmen grundsätzlich<br />

die deutsche Sprache verwendet.‘“<br />

Die Bahn stellt also zum Beispiel<br />

keine neuen „Kiss and Ride“-Schilder<br />

mehr auf, sondern ersetzt diese<br />

nach und nach durch deutschsprachige<br />

Anzeigen. Darüber hinaus<br />

sind schon jetzt englischsprachige<br />

Lautsprecherdurchsagen, die weniger<br />

informierten als Internationalität<br />

vorgaukeln sollten, auf das<br />

notwendige Mindestmaß verringert<br />

worden.<br />

Die DEUTSCHE SPRACHWELT<br />

fördert nach Kräften die Rückbesinnung<br />

auf die deutsche Sprache.<br />

Dazu verteilen wir zum Beispiel<br />

einen neuen kostenlosen Aufkleber<br />

(siehe Abbildung), mit dem jeder<br />

bekennen kann, welcher Weg der<br />

richtige ist. Aber auch unser Plan einer<br />

„Straße der deutschen Sprache“<br />

(siehe Seite 4) soll das Bewußtsein<br />

für den Wert unserer Sprache schärfen.<br />

Machen Sie sich mit uns auf<br />

den Weg!


Seite 2 Leserbriefe<br />

D<br />

ies ist ein klitzekleiner Erlebnisbericht,<br />

der verdeutlicht,<br />

wie deutsche Wörter klammheimlich<br />

abgeschafft werden. Das anhaltend<br />

trübe Wetter ließ in mir den Wunsch<br />

entstehen, neben dem Kopf auch mal<br />

wieder die Hände in Bewegung zu<br />

bringen. Und so entschloß ich mich,<br />

meinem seit mehr als vierzig Jahren<br />

brachliegenden „bestrickenden“ Talent<br />

neues Leben einzuhauchen. Eine<br />

Strickjacke sollte es werden. Ich ging<br />

auf virtuelle Suche und wurde – nicht<br />

– fündig. Warum? Aus der Strickjakke<br />

ist das Cardigan geworden. Schön<br />

zu wissen, daß Strickjacke auf englisch<br />

Cardigan heißt. Und bei Wikipedia<br />

bekommt man gleich noch die<br />

Erklärung des Namens nachgereicht.<br />

D<br />

Strickjacke gesucht<br />

Erfahrungsbericht zum Sprachverlust<br />

„Der englische Name Cardigan für<br />

Strickjacke kommt von James Thomas<br />

Brudenell, 7. Earl of Cardigan.<br />

Dieser war ein britischer General<br />

im Krimkrieg. Die Kälteprobleme<br />

seiner Truppen haben offenbar zu<br />

gewaltigen Innovationen in der britischen<br />

Strickwarenindustrie geführt.“<br />

Wieder etwas gelernt. Nur, was geht<br />

mich der britische General nebst seiner<br />

Krim-Erfahrung an? Meines Wissens<br />

gab es in Deutschland schon vor<br />

ihm die Strickjacke. Und ich möchte<br />

gern, daß es diese auch nach ihm<br />

noch gibt. Es ist mir wichtig, daß althergebrachte<br />

Bezeichnungen erhalten<br />

bleiben; daß in unserem Deutschland<br />

deutsch gesprochen wird.<br />

Dr. Mareile Henke, Schkopau<br />

Sprachenvielfalt schadet<br />

Vorschlag zur Einführung von Englisch als Amtssprache<br />

ie weltweite Sprachenvielfalt<br />

hat einen schwächenden Einfluß<br />

auf die Entwicklung der Volkswirtschaften.<br />

Man stelle sich nur einmal<br />

vor, alle Menschen können sich irgendwann<br />

einmal in einer Sprache fließend<br />

verständigen! Was würde das für einen<br />

positiven Einfluß auf die wirtschaftliche<br />

Entwicklung, aber auch für das<br />

friedliche Zusammenleben bedeuten!<br />

Warum ist in deutschen Kindergärten<br />

Englisch-Unterricht eigentlich nicht<br />

obligatorisch? Dabei lernen Kinder<br />

um so besser, je jünger sie sind. Das<br />

frühe Erlernen der englischen Sprache<br />

bedeutete eine gigantische Kostenersparnis.<br />

Meines Erachtens sollten alle<br />

ZDF – Zweites<br />

<strong>Deutsche</strong>s Fernsehen<br />

– Anstalt<br />

des öffentlichen Rechts<br />

Zuschauerredaktion,<br />

55100 Mainz<br />

28. Januar 2011<br />

Sehr geehrter Herr B.,<br />

… Unser Mitarbeiter schrieb Ihnen<br />

damals, dass das ZDF eine generelle<br />

Ablehnung von Anglizismen im Zeitalter<br />

der Europäisierung und Globalisierung<br />

nicht für sinnvoll hält. Damit<br />

erklärt das ZDF keinesfalls, wie<br />

Sie mutmaßen, die Verenglischung<br />

zu einem Zeichen der Europäisierung<br />

und Globalisierung. Vielmehr<br />

möchte diese Formulierung auf den<br />

Umstand hinweisen, dass bestimm-<br />

4. Februar 2011<br />

Bundespräsidialamt<br />

11010 Berlin<br />

Sehr geehrter Herr Paulwitz,<br />

vielen Dank für Ihr Schreiben vom<br />

13. Januar 2011.* Der Herr Bundespräsident<br />

hatte sich gleich in den<br />

ersten Tagen seiner Amtszeit dazu<br />

entschlossen, den Institutionen der<br />

Europäischen Union in Straßburg und<br />

in Brüssel einen Antrittsbesuch abzustatten.<br />

Damit wollte er eine doppelte<br />

Botschaft senden: Zum einen, dass<br />

Europa für Deutschland von herausragender<br />

Bedeutung ist, und zum anderen,<br />

dass Deutschland sich seiner<br />

besonderen Verantwortung für den<br />

Fortgang des europäischen Integrationsprozesses<br />

bewusst ist. In diesem<br />

Sinne hat der Herr Bundespräsident<br />

seine Gespräche mit dem Präsidenten<br />

des Europäischen Parlaments, dem<br />

Länder – und die EU könnte da den<br />

Anfang machen – Englisch als zweite<br />

Amtssprache einführen. Schritt für<br />

Schritt sollten Straßenschilder, Produktkennzeichnungen,<br />

Formulare und<br />

so weiter auch die englische Übersetzung<br />

erhalten. Ebenso sollte Unterricht<br />

zusätzlich in Englisch abgehalten werden.<br />

Im Laufe der Jahre würde das zur<br />

Gewohnheit und mit den Generationen<br />

entwickelte sich Englisch als „zweite<br />

Muttersprache“. Ich bin der Meinung,<br />

daß diese Zukunftsvision einmal Realität<br />

werden wird. Wir werden es allerdings<br />

nicht mehr erleben!<br />

Frank Rösner, Garmisch-Partenkirchen<br />

Liebe Leser!<br />

Was hat Ihnen gefallen? Was hätten wir<br />

besser machen können? Worauf sollten<br />

wir stärker eingehen? Schreiben Sie uns,<br />

wir freuen uns auf Ihre Meinung! Auch<br />

wenn wir nicht jeden Brief beantworten<br />

und veröffentlichen können, so werten<br />

wir doch alle Zuschriften sorgfältig aus.<br />

Bei einer Veröffentlichung behält sich<br />

die Redaktion das Recht vor, sinnwah-<br />

rend zu kürzen. Auf diese Weise wollen<br />

wir möglichst viele Leser zu Wort kommen<br />

lassen. Schreiben Sie bitte an:<br />

DEUTSCHE SPRACHWELT<br />

Leserbriefe<br />

Postfach 1449, D-91004 Erlangen<br />

schriftleitung@deutsche-sprachwelt.de<br />

Komplex-Mode<br />

Ein Wort scheint heute ausgestorben,<br />

hat den Status „out“ erworben.<br />

„Kompliziert“ heißt dieses Wort,<br />

Eitelkeit warf’s über Bord!<br />

„Kompliziert“ trifft indirekt<br />

den, der hinterm Vorgang steckt,<br />

„kompliziert“ räumt Schwächen ein,<br />

wo doch gilt: Schwach darf nicht sein!<br />

Deshalb kriegt ein kaum bekanntes<br />

Wörtchen – als was Sinnverwandtes –<br />

dessen starke Position:<br />

Das „komplex“ erbt die Funktion!<br />

Dieses Wort zielt sehr direkt<br />

auf die Tücken im Objekt.<br />

So erfährt der Mensch der Handlung<br />

eine zeitgemäße Wandlung.<br />

Claus Ritterling, Leipzig<br />

Briefe an uns und unsere Leser<br />

(Rechtschreibung im Original)<br />

ZDF: Die deutsche Sprache spielt kaum noch eine Rolle<br />

te englische Begriffe international<br />

sowohl in Europa als auch weltweit<br />

gebräuchlich sind und von allen<br />

Menschen verstanden werden. Beispiele<br />

sind „Sweatshirt“, „Handy“‚<br />

„Homepage“, „Smartphone“‚ „Airbag“,<br />

„Airline“, „Flyer“, „Counter“,<br />

„Highlights“, „E-Mail“, „Park-andride“<br />

usw. Es wäre wenig sinnvoll<br />

oder gar Erfolg versprechend, wenn<br />

ein einziges Medium sich der allgemeinen<br />

Entwicklung entgegenstemmen<br />

und selbstständig deutsche Entsprechungen<br />

kreieren würde, die in<br />

der Kommunikation, vor allem auch<br />

mit Fachleuten, niemand verstünde.<br />

Die immer mehr um sich greifende<br />

Verwendung der englischen Sprache<br />

ist ein allgemeines Phänomen der<br />

Gesellschaft, nicht aber eines speziell<br />

des Fernsehens. Nehmen Sie<br />

zum Beispiel die <strong>Deutsche</strong> Bahn mit<br />

Bundespräsident: Sprachpflege ist ein wichtiges Anliegen<br />

Kommissionspräsidenten sowie dem<br />

Präsidenten des Europäischen Rates<br />

geführt. Der von Ihnen thematisierte<br />

Eintrag in das Gästebuch des Europäischen<br />

Parlaments fand im unmittelbaren<br />

Anschluss an das in Englisch<br />

geführte Gespräch mit dem (polnischen)<br />

Parlamentspräsidenten Buzek<br />

statt. Dabei hatte der Herr Bundespräsident<br />

Deutsch gesprochen und<br />

wurde ins Englische gedolmetscht.<br />

Beim informellen Treffen der vier<br />

deutschsprachigen Staatsoberhäupter<br />

Deutschlands, Österreichs, der<br />

Schweiz und Liechtensteins vom 1.<br />

November 2010 in Lübeck war das<br />

Thema „Zukunft der deutschen Sprache<br />

im mehrsprachigen Europa“ Gegenstand<br />

einer der beiden Arbeitssitzungen.<br />

Auf der sich anschließenden<br />

Pressekonferenz wurde im Übrigen<br />

öffentlich auf dieses wichtige Thema<br />

hingewiesen. Sie können versichert<br />

sein, dass dem Herrn Bundespräsidenten<br />

die Pflege der deutschen<br />

ihren Auskunfts-„Hotlines“ ihrer<br />

„Bahncard“ und ihrem „Intercity“.<br />

Es ist ein ganz normaler Vorgang,<br />

dass Sprachen im Laufe ihrer Entwicklung<br />

Einflüsse von anderen (oft<br />

benachbarten) Sprachen aufnehmen<br />

und natürlich auch selbst wiederum<br />

Einflüsse auf andere Sprachen haben.<br />

… Mittlerweile haben es viele<br />

englischsprachige Begriffe sogar in<br />

den deutschen Duden geschafft, wie<br />

beispielsweise „Event“ oder „Kid“.<br />

… Nach Ansicht von Sprachforschern<br />

besteht in Deutschland ohnehin<br />

keine Gefahr sprachlicher<br />

Überfremdung, denn der Anteil der<br />

Anglizismen im <strong>Deutsche</strong>n liegt bei<br />

unter 5 % und viele verschwinden<br />

ganz unmerklich wieder. Deutsch ist<br />

aber keine Weltsprache und die Globalisierung<br />

auf allen Gebieten wird<br />

sicherlich dazu führen, dass sich mit-<br />

Sprache im In- und Ausland auch<br />

künftig ein wichtiges Anliegen ist.<br />

Der Gebrauch von Deutsch als EU-<br />

Amtssprache gehört dazu.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Im Auftrag<br />

Michael Dorn<br />

Referat 21<br />

*Am 13. Januar 2011 hatten wir geschrieben:<br />

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,<br />

vor sechs Jahren äußerten Sie sich in<br />

einem Gastbeitrag für unsere Zeitschrift<br />

„<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“ kämpferisch<br />

gegen die Rechtschreibreform.<br />

Auch zu anderen Gelegenheiten betonten<br />

Sie, wie wichtig Ihnen die<br />

deutsche Sprache sei. Wir hatten daher<br />

große Hoffnungen auf Sie gesetzt.<br />

Um so überraschter waren wir, als wir<br />

erfuhren, daß Sie am 7. Juli 2010 bei<br />

E<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011<br />

„Alphabetkonvention“<br />

Vorschlag zur einheitlichen Aussprache von Buchstaben<br />

in grundlegendes Problem,<br />

welches das schnelle Erlernen<br />

einer neuen Sprache behindert, ist,<br />

daß die meisten EU-Länder in ihren<br />

Sprachen zwar das lateinische<br />

Alphabet mit seinen etwa 26 Buchstaben<br />

verwenden, leider aber diese<br />

Buchstaben sehr verschieden ausgesprochen<br />

werden. Ein besonders<br />

krasses Beispiel bietet die englische<br />

Aussprache, die nahezu chaotisch ist.<br />

Nehmen wir zum Beispiel den englischen<br />

Buchstaben A. Heute kann<br />

man ihn auf fünf Arten aussprechen.<br />

Als A wie in car, als Ä wie in have,<br />

als E wie in lamella, als I wie in language<br />

oder als O wie in ball. Mit den<br />

übrigen englischen Buchstaben ist es<br />

nicht viel besser. Oder denken Sie an<br />

das italienische CIAO. Wer kommt<br />

schon drauf, daß dieses Wort als<br />

„tschau“ ausgesprochen wird? Bei<br />

den übrigen Sprachen ist das nicht<br />

viel besser. Mein Vorschlag: Die EU-<br />

Länder sollten eine Alphabetkonvention<br />

beschließen mit der Maßgabe,<br />

daß innerhalb von zwei bis drei Jahren<br />

alle Buchstaben einheitlich ausgesprochen<br />

werden. 1.) Wir könnten<br />

ohne das zeitaufwendige Erlernen der<br />

Ausspracheregeln fremder Sprachen<br />

uns darauf beschränken, die Wörter<br />

so zu lernen, wie sie geschrieben<br />

stehen, ohne den Umweg über die<br />

heute umfangreiche internationale<br />

Lautschrift von Langenscheidt. 2.)<br />

„Zeit ist Geld“, sagt man. Und dieses<br />

Geld, das heute für die jeweils<br />

richtige Aussprache verschwendet<br />

wird, könnte gespart werden. 3.) In<br />

tel- und langfristig die Zahl der Anglizismen<br />

in unserer Sprache weiter<br />

erhöhen wird. Die deutsche Sprache<br />

spielt mittlerweile in der internationalen<br />

Wissenschaft kaum noch eine<br />

Rolle. 90 Prozent der Fachbeiträge<br />

werden auf Englisch veröffentlicht,<br />

Publikationen in anderen Sprachen<br />

kaum noch zur Kenntnis genommen.<br />

Versuche, gegen diesen Trend<br />

vorzugehen, sind nach Einschätzung<br />

von Fachleuten nicht aussichtsreich.<br />

Ein Sprachschutzgesetz gegen die<br />

wachsende Zahl von aus anderen<br />

Sprachen übernommenen Wörtern<br />

in den Alltagsgebrauch halten Experten<br />

und die Bundesregierung<br />

ebenfalls für ungeeignet. …<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Dirk Beilstein<br />

Ihrem Antrittsbesuch in das Gästebuch<br />

des Europäischen Parlaments schrieben:<br />

„Best wishes for the European<br />

Parliament for the future in the 21th<br />

century!“. Außerdem hörten wir, daß<br />

Sie sich mit dem Präsidenten des Europäischen<br />

Parlaments, Jerzy Buzek, zuvor<br />

auf englisch unterhielten, obwohl<br />

er – nach Angaben des Parlaments<br />

– auch Deutsch spricht. Im Rahmen<br />

seiner Bewerbung als EU-Parlamentspräsident<br />

sagte Buzek auf einer Pressekonferenz<br />

im Juli 2009, daß Englisch,<br />

Französisch und Polnisch „the most<br />

important languages“ (die wichtigsten<br />

Sprachen) der EU seien. Schließt sich<br />

der Bundespräsident dieser Auffassung<br />

an und ist damit die Flucht aus der<br />

deutschen Sprache zu erklären?<br />

Hochachtungsvoll<br />

Thomas Paulwitz<br />

DEUTSCHE SPRACHWELT<br />

Chefredakteur<br />

der EU werden über 15 verschiedene<br />

Sprachen gesprochen. Die Mehrheit<br />

dieser Sprachen wird heute vom<br />

Englischen in ihrer Existenz bedroht.<br />

Unsere Vorfahren haben es vor über<br />

einhundert Jahren fertiggebracht,<br />

Maße wie Elle, Fuß, Meile, Unze gegen<br />

die metrischen Maße wie Meter,<br />

Kilogramm und Liter auszutauschen,<br />

zu standardisieren. Damit haben sie<br />

einheitliche Verhältnisse in weiten<br />

Teilen der Welt hergestellt. Warum<br />

soll das mit der einheitlichen Aussprache<br />

von Buchstaben nicht auch<br />

möglich sein?<br />

Joachim Marcks, Ettlingen<br />

Dazwischen<br />

Es gibt Menschen, die verweilen –<br />

Aus gutem Grunde – zwischen<br />

den Zeilen.<br />

Und jeder, der dies ausprobiert,<br />

Ist plötzlich besser informiert!<br />

Günter B. Merkel, Wilhelmsfeld<br />

Einstieg in die dichterische Merkelwelt:<br />

Günter B. Merkel: Große Sprüche<br />

vom gnadenlosen Dichter, SWP-<br />

Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2007, 128<br />

Seiten, fester Einband, 9,50 Euro.<br />

Bestellung unter Telefon 06220/6310.<br />

www.merkel-gedichte.de<br />

Gegründet im Jahr 2000<br />

Erscheint viermal im Jahr<br />

Auflage: 25.000<br />

Die jährliche Bezugsgebühr beträgt 10 Euro.<br />

Für Nicht- und Geringverdiener ist der Bezug<br />

kostenfrei. Zusätzliche Spenden sind sehr<br />

willkommen.<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

Verein für Sprachpflege e. V.<br />

Stadt- und Kreissparkasse Erlangen<br />

Bankleitzahl 763 500 00<br />

Kontonummer 400 1957<br />

BIC: BYLADEM1ERH<br />

IBAN: DE63763500000004001957<br />

Republik Österreich<br />

Verein für Sprachpflege e. V.<br />

Volksbank Salzburg<br />

Bankleitzahl 45010<br />

Kontonummer 000 150 623<br />

Bitte bei der Überweisung vollständige<br />

Anschrift mit Postleitzahl angeben!<br />

ISSN 1<strong>43</strong>9-8834<br />

(Ausgabe für Deutschland)<br />

ISSN 1606-0008<br />

(Ausgabe für Österreich)<br />

Herausgeber<br />

Verein für Sprachpflege e. V.<br />

Sammelanschrift<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong><br />

Postfach 1449, D-91004 Erlangen<br />

Fernruf 0049-(0)91 31-48 06 61<br />

Ferndruck (Fax) 0049-(0)91 31-48 06 62<br />

Bestellung@deutsche-sprachwelt.de<br />

Schriftleitung@deutsche-sprachwelt.de<br />

Schriftleitung<br />

Thomas Paulwitz<br />

Thomas.Paulwitz@deutsche-sprachwelt.de<br />

Gestaltung und Satz<br />

moritz.marten.komm.<br />

Claudia Moritz-Marten<br />

momakomm@netcologne.de<br />

Anzeigen<br />

moritz.marten.komm.<br />

Hans-Paul Marten<br />

Fernruf 0049-(0)22 71-6 66 64<br />

Ferndruck (Fax) 0049-(0)22 71-6 66 63<br />

Werbeanfragen@deutsche-sprachwelt.de<br />

<strong>Sprachwelt</strong>-Mitarbeiter<br />

Ursula Bomba, Lienhard Hinz (Berlin), Rominte<br />

van Thiel, Dagmar Schmauks, Wolfgang<br />

Hildebrandt, Diethold Tietz, Jürgen<br />

Langhans, Ulrich Werner, Klemens Weilandt,<br />

Andreas Raffeiner (Bozen/Innsbruck)<br />

Druck<br />

Ferdinand Berger & Söhne GmbH<br />

Wiener Straße 80, A-3580 Horn<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben<br />

nicht unbedingt die Meinung der<br />

Redaktion wieder. Das gilt besonders für<br />

Leserbriefe.<br />

Die 44. Ausgabe erscheint im Sommer<br />

2011. Redaktions- und Anzeigenschluß<br />

sind am 23. Mai 2011.


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011 Hintergrund<br />

Seite 3<br />

Von Lienhard Hinz<br />

S<br />

eien Sie zu eigenen sinnlichen<br />

Erfahrungen beim Sprechen<br />

eingeladen. Wir beginnen mit dem<br />

Dichtungssprechen. Haben Sie es<br />

selbst schon einmal erlebt, daß Ihnen<br />

literarische Sprache so gefällt, daß<br />

Sie beim Lesen laut sprechen? Reime,<br />

Verse und Zeilen sind manchmal<br />

so ansprechend, daß wir sie vortragen<br />

wollen. Friedrich Schiller hat diese<br />

ansprechende Literatur 1795 in seinem<br />

Gedicht „Der Spaziergang“ beschrieben:<br />

„Körper und Stimme leiht<br />

die Schrift dem stummen Gedanken,<br />

/ Durch der Jahrhunderte Strom trägt<br />

ihn das redende Blatt.“<br />

Das Dichtungssprechen ist in den<br />

letzten beiden Jahren ein Arbeitsgebiet<br />

von mir geworden. Die Neue<br />

Fruchtbringende Gesellschaft zu<br />

Köthen (Anhalt) veranstaltet seit<br />

2007 jedes Jahr einen Schülerschreibwettbewerb<br />

unter dem Titel<br />

„Schöne deutsche Sprache“. Schüler<br />

aus dem ganzen Land reichen ihre<br />

Gedichte und Geschichten ein. Die<br />

jungen Preisträger dieses Wettbewerbs<br />

sprechen ihre Dichtungen im<br />

Festsaal des Köthener Schlosses am<br />

Tag der deutschen Sprache im September,<br />

und ich bereite sie am Vormittag<br />

darauf vor.<br />

Die sprecherische Gestaltung ist so<br />

schöpferisch wie das Schreiben. Erich<br />

Drach, der Begründer der Sprecherziehung,<br />

schrieb in den 1920er Jahren,<br />

daß es dabei darauf ankommt,<br />

das in der Dichtung Empfundene zu<br />

empfinden und in eine „neue Redelage“<br />

zu stellen. In seinem Buch „Die<br />

redenden Künste“ von 1926 zitiert<br />

er den Philosophen Richard Müller-<br />

Freienfels und bezeichnet das Dichtungssprechen<br />

als „Resubjektivieren<br />

objektivierter Subjektzustände“. Mit<br />

anderen Worten: Wenn wir Dichtungen<br />

sprechen, gestalten wir Sprache<br />

auf unsere eigene Weise und sind nur<br />

dem Text und uns selbst verantwortlich.<br />

Es ist dabei unerheblich, ob wir<br />

ein eigenes Werk oder das eines anderen<br />

Verfassers sprechen.<br />

Die Sprecherziehung hat drei Ziele:<br />

erstens die soeben beschriebene sprecherische<br />

Gestaltung von Dichtung,<br />

zweitens die wirkungsvolle Rede im<br />

Vortrag oder im Gespräch und drittens<br />

die Schulung der Sprechstimme<br />

und Artikulation, auch Stimm- und<br />

Sprechbildung genannt. Diese drei<br />

Ziele wurden schon in der Rhetorik<br />

der Antike verfolgt. Bei einem der<br />

bedeutendsten Autoren, Quintilian<br />

(35 bis 96 n. Chr.), heißt es: „Nihil<br />

potest intrare in affectum, quod in<br />

aure, velut quodam vestibulo, statim<br />

offendit.“ – Also: Nichts kann den<br />

Weg ins Gemüt finden, das schon im<br />

Ohr, also gewissermaßen im Vorhof,<br />

Anstoß erregt.<br />

Die Bedeutung von Sprache und<br />

Stimme wurde schon früh erkannt.<br />

Die Stimm- und Sprechbildung ist die<br />

Grundlage der sprecherzieherischen<br />

Arbeit. Mit der Stimme beschäftigen<br />

wir uns, wie überhaupt mit unserem<br />

Körper, meist erst bei Schwierigkeiten<br />

oder Erkrankungen. Die Stimm-<br />

und Sprachheilkunde, die „Phoniatrie“,<br />

gründete sich im Jahr 1905.<br />

Damals erwarb Hermann Gutzmann<br />

sen. an der Medizinischen Fakultät<br />

der Berliner Universität die Lehrbe-<br />

Sprechen als sinnliche Erfahrung<br />

von Sprache<br />

Anliegen und Arbeit eines Sprecherziehers<br />

Nicht nur den Königen kann ein Sprecherzieher dienen. Der vor kurzem mit mehreren Oscars ausgezeichnete Film „The<br />

King’s Speech – die Rede des Königs“ lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Kunst des unfallfreien Sprechens.<br />

Lienhard Hinz (rechtes Bild) hat zwar noch keinen Oscar erhalten, dafür kennt er sich aber sicher besser mit Sprecherziehung<br />

aus als der Schauspieler Geoffrey Rush (linkes Bild, zweite Person von links). Jener spielt den Sprachtherapeuten<br />

Lionel Logue, der den englischen König Georg VI. (gespielt von Colin Firth, linkes Bild, erste Person von links)<br />

von seinem Stottern befreite. (dsw)<br />

fähigung und begann mit seinen Vorlesungen<br />

über Sprachstörungen. Das<br />

beeindruckende Grab der Medizinerfamilie<br />

Gutzmann habe ich unlängst<br />

bei einem Wochenendausflug in der<br />

Mark Brandenburg in Teupitz am<br />

gleichnamigen See entdeckt. Sein<br />

Sohn Hermann Gutzmann jun. gründete<br />

1962 in Berlin-Dahlem die erste<br />

Logopädenlehranstalt. Der Heilberuf<br />

des Logopäden entstand nach dem<br />

Krieg, den pädagogischen Beruf<br />

Sprecherzieher gab es schon davor.<br />

Die Stimm- und Sprachheilkunde<br />

entwickelte sich zu Beginn des vorigen<br />

Jahrhunderts von zwei Zentren<br />

aus: Berlin und Wien. In Wien wirkte<br />

der Phoniater Emil Fröschels.<br />

Von Fröschels stammt die Kaumethode<br />

zur Ausbildung der Sprechstimme.<br />

Sie beruht auf der Doppelfunktion<br />

von Organen: für die Nahrungsaufnahme<br />

und für das Sprechen. Gut<br />

schmeckendes Essen weitet den Rachen<br />

und beeinflußt den Stimmklang.<br />

Die Stimme klingt weicher und voller.<br />

Der harte, spröde und gedrückte<br />

Stimmklang der Angstgefühle ist auf<br />

eine Einengung des Rachens zurückzuführen.<br />

Wenn wir beim Essen etwas<br />

brummen – „Mhm, mhm …“ – wird<br />

ein Stimmton unterhalb der mittleren<br />

Sprechstimmlage erreicht. Zunächst<br />

wird mit Eßbarem im Mund geübt<br />

und dann mit der Vorstellung einer<br />

schmeckenden Speise. Danach folgen<br />

Kausilben und Wörter, beispielsweise<br />

„Mjam, mjam, mjam – Name,<br />

mjem, mjem, mjem – nehmen, mjim,<br />

mjim, mjim – Miene, mnjom, mjom,<br />

mjom – Note“.<br />

Wenn wir uns jetzt gedanklich auf<br />

die Ebene unserer ein bis zwei Zentimeter<br />

langen Stimmlippen im Kehlkopf<br />

begeben, haben wir in dieser<br />

tiefen Stimmlage eine sogenannte<br />

Vollschwingung. Die Stimmlippen<br />

schwingen mit großer Schwingungsweite.<br />

Wir befinden uns von der<br />

Resonanz her betrachtet im Brustregister.<br />

Wenn wir die Stimme heben,<br />

weil wir uns über etwas aufregen,<br />

gegen Umgebungslärm ansprechen<br />

oder vielleicht besonders freundlich<br />

wirken wollen, werden die Stimmlippen<br />

angespannt und dadurch etwas<br />

verlängert. Es schwingt nur der<br />

äußere Rand der Stimmlippen. Die<br />

Muskulatur wird stärker beansprucht<br />

und kann schneller ermüden.<br />

Jede Schwingung, auch die Stimmlippenschwingung,<br />

braucht für die<br />

Resonanz den Körper. Wenn wir eine<br />

Stimmgabel anschlagen, hören wir<br />

kaum etwas. Erst wenn wir sie auf<br />

den Tisch stellen oder an die Stirn<br />

halten, ist der Ton wahrnehmbar. Wir<br />

können den menschlichen Körper mit<br />

einem Saiteninstrument vergleichen.<br />

Schlägt man eine Gitarrensaite an,<br />

schwingt sowohl die Luft im Korpus<br />

als auch der Korpus selbst. Gitarren<br />

brauchen gut schwingendes Holz,<br />

und wir brauchen eine gut schwingende<br />

Muskulatur von den Füßen bis<br />

zur Schädeldecke.<br />

Berufssprecher im Fernsehen nutzen<br />

die Körperresonanz aus, indem sie<br />

im Stehen sprechen. Jan Hofer, seit<br />

2004 Hauptsprecher der Tagesschau,<br />

hat am 20. Juni 2005 das Stehen<br />

während der Sendung eingeführt.<br />

Zur Begründung sagte er der Berliner<br />

Zeitung: „Beim Stehen hat man<br />

eine bessere Körperhaltung. Man<br />

kann besser atmen und ist dynamischer.“<br />

In vielen Sprechberufen in<br />

Wirtschaft und Verwaltung bemüht<br />

man sich auch, Stehplätze einzuführen.<br />

Doch läßt sich die sitzende<br />

Tätigkeit in manchen Büros nicht<br />

vermeiden. Hier kommt es darauf<br />

an, beim Sprechen im Sitzen eine<br />

aufrecht-elastische Haltung einzunehmen,<br />

die Atmen und Sprechen<br />

fördert. Auch im Sitzen können wir<br />

Körpergewicht über die Füße an die<br />

Erde abgeben. Die Sicherheit, die<br />

uns der Boden gibt, überträgt sich<br />

auf die Stimme und damit auf den<br />

Hörer. Wenn wir beide Füße ungefähr<br />

schulterbreit auseinander aufstellen,<br />

können wir uns vier rechte<br />

Winkel denken: den ersten zwischen<br />

Fuß und Unterschenkel, den zweiten<br />

zwischen Unter- und Oberschenkel,<br />

den dritten zwischen Oberschenkel<br />

und Rumpf und den vierten zwischen<br />

Hals und Unterkiefer.<br />

Wie sich diese aufrechte Körperhaltung<br />

auf die Atmung auswirkt, können<br />

wir spüren, wenn wir eine Hand<br />

auf den Bauch legen und mit locker<br />

aufeinanderliegenden Lippen langsam<br />

mit Lippenbremse ausatmen.<br />

Dann versuchen wir, die Reserveluft,<br />

die noch im Körper ist, durch die<br />

Lippen hinauszubewegen. Wir warten,<br />

bis Lufthunger entsteht, und lassen<br />

die frische Luft durch die Nase<br />

in den Körper strömen. Erfolgreich<br />

ist die Übung, wenn wir merken, daß<br />

sich die Hand auf der Bauchdecke<br />

nach vorn, außen bewegt. Wir aktivieren<br />

mit dieser Übung unseren<br />

Hauptatemmuskel, das Zwerchfell.<br />

Das bewegt sich beim Einatmen nach<br />

unten und verdrängt dabei innere Organe,<br />

wodurch sich die Bauchdecke<br />

nach vorn ausdehnt.<br />

Sprechen ist tönend gemachtes Ausatmen.<br />

Während des Sprechens atmen<br />

wir kaum durch die Nase. Wir<br />

brauchen mehr Luft und bekommen<br />

sie schneller durch den Mund. Wenn<br />

wir stehen oder aufrecht sitzen, hat<br />

das Zwerchfell genügend Bewegungsraum<br />

und kann die Atemluft<br />

leicht und geräuschlos ergänzen.<br />

Dieses Sprechen „aus dem Bauch<br />

heraus“, vom Zwerchfell her, können<br />

wir mit einem energischen<br />

„Ja!“ üben. Achten Sie auf eine gute<br />

Mundöffnung. Mit einer Hand bemerken<br />

wir dabei die Anspannung<br />

der Bauchmuskulatur beim Sprechen<br />

und die Lösung dieser Spannung am<br />

Ende des Ausspruchs. Mit der anderen<br />

Hand können wir die leichte<br />

Kehlkopfbewegung am Hals spüren.<br />

Bei der Stimmgebung wird im Kehlkopf<br />

Spannung aufgebaut und in der<br />

Sprechpause gelöst. Das geschieht<br />

auch, wenn wir „p“, „t“ und „k“ am<br />

Wortende deutlich sprechen, beispielsweise<br />

„Licht“, „Luft“.<br />

Die Aussprache ist ein Reiz, auf den<br />

der Körper antwortet. Die deutliche<br />

Artikulation spart Stimmkraft. Oft<br />

verbirgt sich hinter der Aufforderung.<br />

„Reden Sie mal lauter!“ die Botschaft<br />

„Ich habe Sie nicht verstanden, weil<br />

Sie undeutlich sprechen.“ Wichtig<br />

für eine gute Aussprache ist, daß wir<br />

den Mund möglichst leicht öffnen<br />

können. Im Kieferbereich kommt es<br />

schnell zu Verspannungen. Mit einer<br />

Massage der Kaumuskulatur mit den<br />

Fingerkuppen und der Schläfenmuskulatur<br />

mit den Handballen bei leicht<br />

geöffnetem Mund können wir diese<br />

Verspannungen lösen und danach mit<br />

auf den Gesichtshälften aufgelegten<br />

Händen den Mund weit öffnen.<br />

Die vier unterschiedlichen Kieferwinkel<br />

und Hebungsstufen der<br />

Zunge lassen sich gut mit den Vorderzungenvokalen<br />

„a“, „ä“, „e“ und<br />

„i“ üben. Vor dem Spiegel sollte auch<br />

beim engen „i“ die Zunge zwischen<br />

den Zähnen zu sehen sein. Beim<br />

Üben übertreiben wir bei der Artikulation,<br />

um in der Umgangssprache<br />

deutlicher zu werden. Stimmhafte<br />

Konsonanten bringen die Stimme<br />

nach vorn. Das spüren wir mit den<br />

Wörtern „Muntermacher“, „Neffen<br />

und Nichten“, „Wind und Wellen“,<br />

„Land und Leute“, „Sang und<br />

Klang“, „Sonnenseite“.<br />

Wir haben uns zuerst mit der Stimmgebung<br />

im Kehlkopf beschäftigt und<br />

danach gespürt, wie sich Körperhaltung,<br />

Atmung und Artikulation auf<br />

die Stimme auswirken. Ich empfehle,<br />

immer wieder die eigene Stimme<br />

aufzunehmen. Wir lassen uns photographieren<br />

und staunen, wie wir<br />

aussehen. Noch erstaunlicher und<br />

gewöhnungsbedürftiger ist die aufgenommene<br />

Stimme, weil wir uns<br />

selbst verzerrt hören. Ich bitte meine<br />

Kursteilnehmer, einen kurzen Redebeitrag<br />

aufzusprechen, beispielsweise:<br />

„Welcher Stimme hören Sie gern<br />

zu und warum?“ Bei der Auswertung<br />

der Aufnahmen erläutere ich<br />

Stimmeigenschaften. Ziele meiner<br />

Tagesseminare und Schulungen zur<br />

Stimm- und Sprechbildung sind die<br />

aufrecht-elastische Körperhaltung,<br />

natürliche Zwerchfellatmung, mittlere<br />

Sprechstimmlage, deutliche Lautbildung<br />

und der authentische Sprechausdruck.<br />

Den gekonnten Einsatz der<br />

Sprechausdrucksmittel hören wir in<br />

Aufnahmen mit Gedichten.<br />

Ich wünsche, daß Sie Ihre Stimme<br />

liebgewinnen und am Sprechen und<br />

Vortragen Freude haben. In Goethes<br />

Faust heißt es: „Allein der Vortrag<br />

macht des Redners Glück.“<br />

Lienhard Hinz ist Sprecherzieher.<br />

Der Text ist die gekürzte Fassung eines<br />

etwa einstündigen Vortrages, den<br />

Hinz im Januar 2011 vor dem VDS<br />

Berlin/Potsdam hielt.<br />

Wer den Verfasser ebenfalls zu einem<br />

Vortrag über diesen Gegenstand gewinnen<br />

möchte, wende sich bitte an<br />

die Schriftleitung. Wir reichen die<br />

Anfrage weiter.


Seite 4 Fremdenverkehr<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

J<br />

acob Grimm saß in Berlin in seiner<br />

Arbeitsstube und trommelte<br />

angespannt mit den Fingern auf die<br />

Schreibtischplatte. Der Gründervater<br />

der Germanistik wartete Ende November<br />

1841 voller Ungeduld auf den<br />

Besuch eines jungen Historikers. Der<br />

56jährige Grimm war bereits ein anerkannter<br />

Wissenschaftler mit einem<br />

herausragenden Ruf. Zusammen mit<br />

seinem Bruder Wilhelm hatte er 1812<br />

die Kinder- und Hausmärchen herausgebracht<br />

und arbeitete seit 1838 am<br />

<strong>Deutsche</strong>n Wörterbuch. Erst vor wenigen<br />

Monaten hatte der preußische<br />

König Friedrich Wilhelm IV. die Brüder<br />

nach Berlin gerufen, damit sie am<br />

Wörterbuch weiterarbeiten konnten.<br />

Beide hatten das Königreich Hannover<br />

1837 verlassen müssen, weil sie sich<br />

als Mitglieder der „Göttinger Sieben“<br />

gegen die Aufhebung der Verfassung<br />

gewehrt hatten. Jetzt hatten sie in Preußen<br />

Aufnahme gefunden.<br />

Wer war der junge Historiker, auf den<br />

Jacob Grimm so ungeduldig wartete?<br />

Es handelte sich um den damals 28jährigen<br />

Christoph Waitz. Mit seinem<br />

Namen verband sich in späteren Jahren<br />

die „Quellenkunde der deutschen<br />

Geschichte“ von Friedrich Christoph<br />

24. und 25. Juni 2011<br />

Sprachtag in Köthen<br />

zum Thema „Straße<br />

der deutschen Sprache“.<br />

Bitte vormerken!<br />

Dahlmann. Diese führte er fort, erweiterte<br />

sie zur Bibliographie und sollte<br />

noch heute als „Dahlmann-Waitz“<br />

jedem Geschichtsstudenten vertraut<br />

sein. Doch schon damals war Waitz<br />

begeistert auf der Jagd nach Quellen.<br />

Er verehrte aus persönlichem Erleben<br />

Leopold von Ranke, einen der Gründerväter<br />

der modernen Geschichtswissenschaft.<br />

Dessen Anspruch, der<br />

Historiker solle aufzeigen, „wie es eigentlich<br />

gewesen“ ist, hatte Waitz ver-<br />

S<br />

eit gut einem Jahr treiben wir das<br />

Vorhaben voran, in Deutschland<br />

eine „Straße der deutschen Sprache“ zu<br />

errichten. Am 30. März dieses Jahres<br />

(nach Redaktionsschluß) kommen im<br />

Köthener Rathaus erstmals Vertreter<br />

einzelner Städte zusammen. Auf dem<br />

Köthener Sprachtag am 24. und 25.<br />

Juni (Anmeldung auf Seite 12) stellen<br />

sich Orte, die auf der geplanten Strecke<br />

liegen, der Öffentlichkeit vor. Auch in<br />

der Presse findet die „Straße der deutschen<br />

Sprache“ großen Zuspruch. Seit<br />

einem Jahr erscheinen laufend Meldungen<br />

und Berichte.<br />

Doch wie denken Sie, liebe Leser, über<br />

die Straße? Ihr Urteil ist uns besonders<br />

wichtig, da wir auf Ihren Rückhalt und<br />

Ihre Unterstützung angewiesen sind.<br />

Ohne Sie könnten wir nichts tun. Außerdem<br />

gilt uns Ihre Meinung sehr viel,<br />

Die Stadt der Zaubersprüche ruft<br />

Wir reisen auf der Straße der deutschen Sprache: Merseburg<br />

innerlicht. Und so führte ihn der Weg<br />

im November 1841 auf seiner Handschriftenreise<br />

auch in die Merseburger<br />

Domstiftsbibliothek. Dort machte er<br />

eine für die deutsche Sprache sensationelle<br />

Entdeckung, von der er sogleich<br />

Jacob Grimm berichtete. Der erkannte<br />

sofort die Bedeutung.<br />

Wenige Tage später stand Waitz mit<br />

seinem Fund vor Grimm. Waitz erzählte<br />

später von dieser bedeutsamen<br />

Begegnung: „Er las sie wieder und<br />

wieder, erkannte natürlich gleich und<br />

viel besser als ich die Wichtigkeit des<br />

Fundes, und sprach<br />

seine Freude in der liebenswürdigsten<br />

Weise<br />

aus. Seine Gelehrsamkeit<br />

und sein Scharfsinn<br />

boten auch die<br />

Mittel zur Erklärung<br />

und Verwerthung des<br />

Inhalts dieser gerade<br />

für die Mythologie so<br />

merkwürdigen Denkmäler,<br />

wenn auch spätere<br />

Forschung einiges<br />

ergänzt oder anders<br />

bestimmt hat.“<br />

Jacob Grimm ist überwältigt. Wenig<br />

später schwärmte er in seiner Antrittsvorlesung<br />

vor der Königlichen Akademie<br />

der Wissenschaften Anfang Februar<br />

1842 in Berlin: „Gelegen zwischen<br />

Leipzig, Halle, Jena ist die reichhaltige<br />

Bibliothek des Domcapitels zu Merseburg<br />

von Gelehrten oft besucht und<br />

genutzt worden. Alle sind an einem<br />

Codex vorübergegangen, der ihnen,<br />

falls sie ihn näher zur Hand nahmen,<br />

nur bekannte kirchliche Stücke zu gewähren<br />

schien, jetzt aber, nach seinem<br />

ganzen Inhalt gewürdigt, ein Kleinod<br />

bilden wird, welchem die berühmtesten<br />

Bibliotheken nichts an die Seite<br />

zu setzen haben.“<br />

Das besagte Kleinod war nichts anderes<br />

als die berühmten „Merseburger<br />

Zaubersprüche“ – die einzigen erhaltenen<br />

Zeugen germanisch-heidnischer<br />

Religiosität in althochdeutscher Spra-<br />

che. Waitz fand sie in einer theologischen<br />

Sammelhandschrift aus dem<br />

9./10. Jahrhundert. Es ist eine Reihe<br />

von Zauber- und Segenssprüchen in<br />

althochdeutscher Sprache erhalten. Die<br />

Merseburger Sprüche sind jedoch die<br />

einzigen, in denen germanische Gottheiten<br />

erwähnt sind. Dies macht sie so<br />

wertvoll.<br />

Der Erste Merseburger Zauberspruch<br />

berichtet von den Idisen, geheimnisvollen<br />

Frauengestalten. Sie werden<br />

offenbar angerufen, um Gefangene zu<br />

Straße der<br />

deutschen Sprache<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011<br />

befreien. Die Macht<br />

des Wortes soll die<br />

Fesseln lösen:<br />

Eiris sazun idisi, sazun<br />

heraduoder. / suma<br />

hapt heptidun, suma<br />

heri lezidun, / suma<br />

clubodun umbi cuonio<br />

uuidi. / Insprinc haptbandun,<br />

inuar uigandun!<br />

Einst saßen Idisen,<br />

setzten sich hierher und dorthin. / Einige<br />

hefteten Fesseln, einige lähmten<br />

die Heere, / einige zertrennten scharfe<br />

Fesseln. / Entspringe den Haftbanden,<br />

entfahre den Feinden!<br />

Der Zweite Merseburger Zauberspruch<br />

berichtet von den Göttern Wodan und<br />

Phol, die in den Wald gehen, um dem<br />

Fohlen des Gottes Balder den Huf einzurenken.<br />

Wodan gelingt die Heilung mit<br />

Hilfe einer Zauberformel, wohingegen<br />

zuvor vier Göttinnen gescheitert waren:<br />

Phol ende Uodan uuorun zi holza. / Du<br />

uuart demo Balderes uolon sin uuoz<br />

birenkict. / Thu biguol en Sinhtgunt,<br />

Sunna era suister, / thu biguol en Friia,<br />

Uolla era suister, / thu biguol en<br />

Uodan, so he uuola conda: / Sose benrenki,<br />

sose bluotrenki, / sose lidirenki:<br />

/ Ben zi bena, bluot zi bluoda, / lid zi<br />

geliden, sose gelimida sin!<br />

Phol und Wodan fuhren in den Wald.<br />

/ Da wurde dem Fohlen des Balder<br />

sein Fuß verrenkt. / Da besprach ihn<br />

Sinthgunt, und Sunna, ihre Schwester,<br />

/ da besprach ihn Frija, und Volla, ihre<br />

Schwester. / Da besprach ihn Wodan,<br />

da er es gut konnte: / Wie Knochen-<br />

97 Prozent sind für die Straße<br />

weil Sie ein enges Verhältnis zur deutschen<br />

Sprache haben. Daher freuen wir<br />

uns, wenn Sie uns Ihre Meinung sagen.<br />

An der Kleinen Leserbefragung zur<br />

„Straße der deutschen Sprache“ haben<br />

sich schon zahlreiche Leser beteiligt.<br />

Sie können weiterhin daran teilnehmen.<br />

Der Fragebogen ist in DSW 42 auf Seite<br />

10 abgedruckt. Jede Meinung, jede Anregung<br />

nehmen wir ernst.<br />

Das wichtigste Ergebnis dieser Befragung<br />

ist für uns Ihre eindrucksvolle<br />

Zustimmung zu unserem Vorhaben.<br />

97 Prozent der Antwortenden finden<br />

es gut und ermuntern uns, es weiter zu<br />

verfolgen (siehe Abbildung 1).<br />

Was halten Sie grundsätzlich von dem Vorhaben,<br />

eine „Straße der deutschen Sprache“ einzurichten?<br />

Darüber habe ich<br />

mir noch keine<br />

Meinung gebildet.<br />

2 %<br />

1 %<br />

Das finde ich<br />

schlecht.<br />

Hören Sie bitte<br />

damit auf!<br />

Das finde ich gut.<br />

Verfolgen Sie das<br />

bitte weiter!<br />

97 %<br />

Das Ständehaus Bild: Wolfgang Kubak<br />

Der Dom Bild: Wolfgang Kubak<br />

Ergebnisse unserer kleinen Leserbefragung<br />

Umstritten ist unter unseren Lesern jedoch,<br />

daß wir uns zunächst auf einen<br />

Kern in den mitteldeutschen Bundesländern<br />

Thüringen, Sachsen-Anhalt<br />

und Sachsen beschränken wollen. 22<br />

Prozent sprechen sich dagegen aus,<br />

21 Prozent sind unsicher und immerhin<br />

57 Prozent finden es gut (siehe<br />

Abbildung 2). Von diesen 57 Prozent<br />

erklärten jedoch auch viele, daß es<br />

wünschenswert sei, die Straße auf<br />

ganz Deutschland auszudehnen. Warum<br />

können wir das im Augenblick<br />

nicht tun? Zum einen wollen wir<br />

Schritt für Schritt vorgehen und unsere<br />

Kräfte nicht überdehnen. Zum<br />

anderen gibt es sprachgeschichtlich<br />

Was halten Sie von dem Plan, die „Straße der<br />

deutschen Sprache“ zunächst auf einen Kern<br />

in Mitteldeutschland zu beschränken?<br />

Darüber habe ich mir noch<br />

keine Meinung gebildet.<br />

21 %<br />

Das finde<br />

ich schlecht.<br />

22 %<br />

gute Gründe, gerade dort den Anfang<br />

zu machen.<br />

Tatsächlich liegen in Mitteldeutschland<br />

die Wurzeln des Hochdeutschen.<br />

Erstens hat die ostmitteldeutsche<br />

Mundart die Sächsische Kanzleisprache<br />

maßgeblich beeinflußt. Zweitens<br />

bildete das Meißner Kanzleideutsch<br />

die Voraussetzung für ein allgemeines<br />

Standarddeutsch, das den Dialekten<br />

übergeordnet ist. Drittens griff Martin<br />

Luther in seiner Bibelübersetzung von<br />

1522 darauf zurück und trug damit erheblich<br />

zur Normierung des Hochdeutschen<br />

bei. Viertens gibt es nirgendwo<br />

in Deutschland eine solche Dichte an<br />

Das finde ich gut.<br />

57 %<br />

Abbildung 1 Abbildung 2<br />

Abbildung 3<br />

renkung, so Blutrenkung, / so Gliedrenkung:<br />

/ Knochen zu Knochen, Blut<br />

zu Blut, / Glied zu Glied, auf daß sie<br />

geleimt seien!<br />

Ein Faksimile der kostbaren Handschrift<br />

ist heute im „Zauberspruchgewölbe“<br />

in der Südklausur des Merseburger<br />

Domes zu sehen. Doch dies ist<br />

nicht die einzige Sehenswürdigkeit.<br />

Auch heute noch gibt es viel in der<br />

Stadt an der Saale zu entdecken. Dom,<br />

Schloß und Schloßgarten und die wunderschöne<br />

historische Altstadt bieten<br />

reizvolle Besichtigungsorte. Das<br />

bewohnte Rabenhaus des Schlosses<br />

belegt, daß die Raben hier in hohem<br />

Ansehen stehen. Grund dafür ist die<br />

Rabensage. Der Legende nach ließ der<br />

im 15. Jahrhundert in Merseburg regierende<br />

Bischof Thilo von Trotha seinen<br />

treuen Diener hinrichten, weil er<br />

diesen verdächtigte, einen wertvollen<br />

Ring gestohlen zu haben. Später fand<br />

sich der Ring in einem Rabennest wieder.<br />

Zur Mahnung, daß man nicht im<br />

Jähzorn richten soll, habe Thilo einen<br />

Raben in Gefangenschaft genommen.<br />

Der Verein <strong>Deutsche</strong> Sprache (VDS)<br />

hält Merseburg für sprachgeschichtlich<br />

so bedeutend, daß er vom 3. bis 5. Juni<br />

dieses Jahres seine Delegiertenversammlung<br />

in der Stadt abhält. Ort der<br />

Zusammenkunft soll das Ständehaus<br />

sein. Das Ende des 19. Jahrhunderts<br />

gebaute Haus befindet sich gegenüber<br />

dem Schloßgarten. Von 1895 bis 1933<br />

tagte hier der Landtag der Preußischen<br />

Provinz Sachsen. Seit 2003 dient es<br />

als gut besuchte Kongreß- und Kulturstätte.<br />

Die Merseburger Zaubersprüche<br />

jedoch prägen die Stadt bis heute.<br />

So wirbt sie mit dem schönen Spruch<br />

„Merseburg bezaubert“. Lassen auch<br />

Sie sich bezaubern?<br />

www.merseburg.de<br />

www.merseburg-tourist-ev.de<br />

www.merseburg-staendehaus.de<br />

Bisher vorgestellte Städte: Schleiz<br />

(DSW 40) – Bad Lauchstädt (DSW 41)<br />

– Gräfenhainichen (DSW 42).<br />

Orten, die für die deutsche Sprache bedeutsam<br />

sind. (Abbildung 2)<br />

Allerdings nehmen wir den Wunsch<br />

nach Erweiterung ernst. Die derzeit<br />

angestrebte Lösung ist, Partner zu finden,<br />

mit denen wir zusammenarbeiten<br />

können. So gibt es seit Januar bereits<br />

erste Gespräche mit den Betreibern der<br />

„Märchenstraße“, die von Hessen bis<br />

Bremen führt.<br />

Die Städte, die wir für die Straße gewinnen<br />

wollen, dürfte ein weiteres<br />

Ergebnis unserer Befragung besonders<br />

beeindrucken. 51 Prozent können sich<br />

vorstellen, Orte auf der Strecke anzusteuern,<br />

21 Prozent bekennen sogar,<br />

bereits Orte besucht zu haben (siehe<br />

Abbildung 3). Nur acht Prozent schließen<br />

eine Reise aus. Wann machen Sie<br />

sich auf? (pau)<br />

Können Sie sich vorstellen, Ausflüge zu Zielen auf der<br />

„Straße der deutschen Sprache“ zu unternehmen?<br />

Darüber habe ich mir noch<br />

keine Meinung gebildet.<br />

20 %<br />

Nein, ich werde<br />

keine Ausflüge<br />

dorthin<br />

unternehmen.<br />

8 %<br />

Ja, ich habe sogar schon Orte<br />

auf der Strecke besucht!<br />

21 %<br />

51 %<br />

Ja, ich habe mir<br />

vorgenommen,Orte auf<br />

der Strecke zu besuchen


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011 Sprachraum<br />

Seite 5<br />

Von Horst Meyer<br />

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Name, Vorname<br />

Straße<br />

Die Sprache der Jebornen und Jewordnen<br />

Icke, dette, kieke mal, Oogen, Fleesch<br />

und Beene.<br />

Die Berliner Straßenbahn fährt von<br />

janz allene.<br />

Um es gleich zu sagen: die Berliner<br />

Sprache heißt „Berlinisch“, und nicht,<br />

wie oftmals zu lesen ist, „Berlinerisch“.<br />

Darauf haben sich die Sprachforscher,<br />

die Etymologen, schon vor<br />

Jahrzehnten geeinigt. Es heißt ja auch<br />

nicht „Hamburgerisch“, sondern<br />

„Hamburgisch“, nicht „Bayrerisch“,<br />

sondern „Bairisch“, nicht „Kölnerisch“,<br />

sondern einfach „Kölsch“.<br />

Also Berlinisch: Wer spricht eigentlich<br />

noch Berlinisch? Wer berlinert<br />

denn noch? Und weshalb „noch“?<br />

Manche meinen nämlich, Berlinisch<br />

sei am Aussterben. Ist es aber nicht.<br />

Der richtige Berliner „berlinert“ nun<br />

einmal. Von ihnen gibt es drei Sorten:<br />

die „Jebornen“, die „Jewordnen“<br />

und die „Anjelernten“.<br />

Die Jebornen sind – gerechnet auf<br />

die Einwohnerzahl – in der Minderheit.<br />

Berlin war und ist ein ungeheurer<br />

Schmelztiegel. Die Anjelernten<br />

sind die „janz Frischen“, die erst seit<br />

einigen Jahren in Berlin leben. Die<br />

meisten sind jewordene Berliner, soll<br />

heißen, sie leben seit längerer Zeit in<br />

der Stadt. Sie fühlen sich inzwischen<br />

als Berliner. Auf die Frage „Woher<br />

kommen Sie?“ werden sie ohne zu<br />

zögern antworten: „Aus Berlin“.<br />

Det richtich scheene Berlinisch sprechen<br />

die Jebornen und meist auch die<br />

Jewordnen, wenn sie sich denn trauen.<br />

Denn noch immer wird – als Berliner<br />

muß ich sagen: leider – Kindern gesagt:<br />

„Berliner nicht so, sprich hochdeutsch!“<br />

Berlinisch wird nämlich<br />

häufig, vorwiegend in bürgerlichen<br />

Kreisen, als Jargon abgetan. Dabei ist<br />

es in Wahrheit ein Dialekt, und zwar<br />

ein ziemlich weit verbreiteter. Berlinisch<br />

wird keineswegs nur im Berliner<br />

Stadtgebiet gesprochen. Berlinisch ist<br />

als Dialekt verbreitet vom Oderbruch<br />

bis Brandenburg an der Havel, vom<br />

Fläming bis in die Uckermark, wobei<br />

die Grenzen fließend sind, das heißt<br />

nicht exakt abgegrenzt.<br />

Stärkere Aufmerksamkeit erfuhr<br />

das Berlinische durch Funk und<br />

Fernsehen, unter anderem durch<br />

die Popularität des ab 1948 vom<br />

RIAS ausgestrahlten Funkkabaretts<br />

„Die Insulaner“ („Der Mensch liebt<br />

keen Jetue nich“) oder auch Alfred<br />

Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“<br />

und dessen Verfilmungen<br />

(1931 und 1979/80).<br />

Nach meiner Beobachtung wird Berlinisch<br />

heute noch am meisten unter<br />

Handwerkern und Arbeitern, Müllwerkern<br />

und Busfahrern benutzt.<br />

Aber es kann einem auch passieren,<br />

daß er einem Professor begegnet,<br />

der richtig berlinert. Oder er trifft in<br />

Amtsstuben auf jemanden, der seine<br />

Herkunft deutlich auf der Zunge<br />

trägt. Dabei läßt sich beim Hören in<br />

der Regel nicht unterscheiden, ob<br />

derjenige nun jeborner oder jewordner<br />

Berliner ist.<br />

Sitzen zwei junge Farbige in der<br />

Bahn. Sie berlinern, daß es ein Ohrenschmaus<br />

ist. Auf die Frage, woher<br />

kommt ihr, antworten sie: Na,<br />

aus Berlin. – Aber eure Familie doch<br />

sicher nicht? – Doch, doch, unsere<br />

Familie auch. – Ja, wie? – Drei Generationen.<br />

– Ach so. Und wie geht das?<br />

– Oma hat eine Nähstube. Papa fährt<br />

Bus. Mama arbeitet im Hotel. Am<br />

Tresen. – An der Bar? – Nein, an der<br />

Rezeption. – Und ihr? – Wir machen<br />

gerade Fachabitur. – Woher könnt ihr<br />

so gut berlinern? – Haben wir eben<br />

so jelernt. Wir hören det doch jeden<br />

Tach. Aber für’t Abitur müssen wir<br />

natürlich richtich Deutsch schreiben.<br />

Das Berlinische hat also Nachwuchs<br />

auch unter Einwanderern. Wie konnte<br />

sich das Berlinische so lange behaupten,<br />

daß es in diesem Fall sogar<br />

unter Einwanderern in der dritten Generation<br />

gesprochen wird? Es ist eine<br />

schier unverwüstliche Mundart, und<br />

das hat viele Gründe. Vor der Wende<br />

wurde es im Osten Berlins und im<br />

Berliner Umland stärker angewendet<br />

als im Westteil der Stadt. In bürgerlichen<br />

Kreisen war es, wie gesagt, eher<br />

verpönt zu berlinern. Im Osten und<br />

im Umland war es eine meist unbewußte<br />

Abgrenzung gegen das in der<br />

regelmäßiger Bezug<br />

Bitte senden Sie mir regelmäßig kostenlos und unverbindlich<br />

die DEUTSCHE SPRACHWELT. Bei<br />

Gefallen werde ich sie mit einer Spende unterstützen.<br />

Ich verpflichte mich aber zu nichts.<br />

Mehrfachbezug<br />

Ich besitze eine Arztpraxis oder habe eine andere<br />

Gelegenheit, die DSW auszulegen. Bitte schicken<br />

Sie mir von jeder neuen Ausgabe ______ Stück.<br />

Nachbestellung<br />

Bitte liefern Sie mir kostenlos:<br />

______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />

______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />

Geburtsdatum<br />

Postleitzahl und Ort<br />

Berlinisch – in stetem Wandel<br />

Politik dominierende Sächsisch. Im<br />

täglichen Gebrauch ist das Berlinische<br />

gut für kurze Witze oder sinnige<br />

Sprüche wie etwa „Lieber’n bißken<br />

mehr, aber dafür wat Jutet!“ oder<br />

„Besser jut jelebt und det noch recht<br />

lange“. Oder ein anderes Beispiel:<br />

Ick sitz am Tisch und esse Klops.<br />

/ Uff eenmal kloppt’s. / Ick staune,<br />

kieke, wundre mir, / uff eenmal<br />

jeht’se uff, die Tür. / Nanu, denk ick,<br />

ick denk nanu, / jetzt steht se uff, erst<br />

war se zu. / Ick jeh nu raus und kieke.<br />

/ Und wer steht draußen? – Icke.<br />

Die Berliner Mundart ist immer wieder<br />

wissenschaftlich erforscht worden. Als<br />

die berlinische Sprachpäpstin gilt heute<br />

noch Agathe Lasch, die 1928 ihr Buch<br />

„Berlinisch. Eine Berliner Sprachgeschichte“<br />

herausbrachte. 1980 folgte<br />

Edda Prochownik mit „Berlinisch<br />

– eine Sprache mit Humor“. Streng<br />

wissenschaftlich war 1981 das „Brandenburg-Berlinische<br />

Wörterbuch“ der<br />

Akademie der Wissenschaften. Populär<br />

mit zahlreichen Auflagen war Wilhelm<br />

Frankes kleines Buch „So red’t<br />

der Berliner“ (14. Auflage 1990).<br />

Nach langjähriger Erforschung des<br />

Berlinischen hat Peter Schlobinski<br />

1984 eine praxistaugliche Anleitung<br />

vorgelegt: „Berlinisch für Berliner<br />

und alle, die es werden wollen“. Das<br />

nehmen besonders Zugereiste gern<br />

zur Hand, um zu studieren, wie diese<br />

Sprache zustande kommt und wie<br />

und wo man sie richtig anwendet.<br />

Schlobinski war in den 1980er Jahren<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

am Forschungsprojekt „Stadtsprache<br />

Berlin“ im Fachbereich Germanistik<br />

der Freien Universität Berlin. Er ist<br />

heute Professor für germanistische<br />

Linguistik an der Leibniz-Universität<br />

Hannover. Besonders seit seiner<br />

Veröffentlichung gilt das Berlinische<br />

als ernsthafter Dialekt und steht nicht<br />

mehr im Geruch eines Jargons.<br />

Alle diese Wissenschaftler haben<br />

sich auf die Sprachbezeichnung<br />

„Berlinisch“ geeinigt. Es gibt außer<br />

dem erwähnten Brandenburg-Berlinischen<br />

Wörterbuch mehrere Berliner<br />

Wörterbücher, deren Autoren den<br />

______ Faltblätter „Rettet die deutsche Sprache!“<br />

______ Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf<br />

der deutschen Sprache!“ (9,5 x 14,5 cm; farbig;<br />

witterungsbeständig)<br />

______ NEU! Aufkleber „Freie Fahrt für die<br />

deutsche Sprache“ (5,2 x 7,4 cm; farbig; witterungsbeständig)<br />

stets vergeblichen Versuch gemacht<br />

haben, den Berliner Wortschatz vollständig<br />

darzustellen. Das Berlinische<br />

ist viel zu lebendig, als daß es<br />

sich gänzlich einfangen ließe. Es ist<br />

zudem in einem ständigen Wandel:<br />

Wörter werden ungebräuchlich, neue<br />

kommen fortwährend hinzu. Rund<br />

4.000 Stichwörter hat Schlobinski<br />

in seinem „Berliner Wörterbuch“<br />

(1993) zusammengetragen. Der Tagesspiegel<br />

hat 2005 den „Kleinen<br />

Duden“ mit einem Sonderteil „Berlin-Berlin“<br />

„für alle Berliner und solche,<br />

die es werden wollen“ mit 2.000<br />

Wörtern und Redewendungen herausgebracht,<br />

zusammengestellt von<br />

der Redakteurin Brigitte Grunert.<br />

Die Wortfolge ist jeweils in Hochdeutsch<br />

– oder wie der Schweizer sagen<br />

würde: in Schriftdeutsch – nach<br />

dem Alphabet sortiert, und dann folgt<br />

die lautmalende Interpretation in der<br />

berlinischen Aussprache. Gerade<br />

damit hatten alle Anwender des Berlinischen<br />

ihre Probleme: wie stellt<br />

man das gesprochene Berlinisch<br />

phonetisch richtig dar?<br />

Ein Beispiel: „Saren Se mal ...“. Gemeint<br />

ist: „Sagen Sie mal ...“ Wenn<br />

diese Schreibweise nun ein Bayer<br />

vorlesen soll, kommt ein rollendes<br />

R heraus. Im Berlinischen ist es aber<br />

eine Mischung aus R und G, für die<br />

die phonetische Darstellung erst<br />

noch erfunden werden müßte. Die<br />

Lektorate in den Verlagen tun sich<br />

deshalb schwer, den Berliner Dialekt<br />

so zu schreiben, daß er auch von einem<br />

Nichtberliner vorgetragen werden<br />

könnte – eine Schwierigkeit, die<br />

allerdings wohl in allen deutschen<br />

Dialekten besteht, wenn sie geschrieben<br />

werden sollen.<br />

In den 1980er Jahren sind besonders<br />

viele Bücher „in Berlinisch“ erschienen.<br />

Bemerkenswerterweise oft in<br />

Zusammenarbeit von Verlagen in<br />

West- und Ostberlin. Seit der Wende<br />

hat das Angebot an sogenannter<br />

Berlin-Literatur, die außer der berlinischen<br />

Sprache Geschichte, Kultur,<br />

Geographie, Biographien, Bildbände<br />

und so weiter umfaßt, stark zuge-<br />

Bitte senden Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT auch an:<br />

Bitte deutlich schreiben!<br />

1<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

2<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

3<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

4<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

5<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

6<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

nommen. Fachleute schätzen, daß es<br />

etwa 4.000 lieferbare (!) Titel gibt,<br />

die unter dem Begriff Berlin-Literatur<br />

zusammengefaßt werden. Berlin<br />

hat damit als Stadt das umfangreichste<br />

Literaturangebot im deutschen<br />

Sprachgebiet.<br />

Verwechselt der Berliner nicht ständig<br />

mir und mich? Nee, der Berliner sagt<br />

immer mir, ooch wenn’t richtig is.<br />

Inzwischen ist eine Erweiterung des<br />

Berlinischen in eine ganz neue Richtung<br />

im Gange. Norbert Dittmar, ehemals<br />

Professor für Soziolinguistik an<br />

der Freien Universität Berlin, nennt<br />

das unter türkischen Einwanderern<br />

gesprochene Berlinisch „Berlintürkisch“.<br />

Beispiele: „Morgen üsch geh<br />

Schwimmbad“ oder „Üsch mach<br />

düsch Messer“ (klingt schlimmer als<br />

es gemeint ist). Ob und wie dieses<br />

„Kiezdeutsch“ das Berlinische auf<br />

Dauer verändern wird, läßt sich noch<br />

nicht einschätzen. Einen Einfluß wird<br />

es sicher ausüben, denken wir doch<br />

nur an die Auswirkungen des Hugenottischen<br />

(Bulette, Fisimatenten,<br />

Kleedage, aus der Lamäng) oder des<br />

Jiddischen (Tacheles, Schlamassel,<br />

Mischpoke). So wie Berlin stets ein<br />

Schmelztiegel der Menschen war, so<br />

ist auch das Berlinische letztlich eine<br />

sehr lebendige Mischsprache.<br />

Und der berühmte Berliner Witz? Na<br />

jut, kenn’se den? – „Orje, siehste wie<br />

der Storch da uff een Been steht?“ –<br />

„Muß er ja. Wenn er det andre ooch<br />

noch hebt, fliecht er uff de Fresse!“<br />

„Sach ma, wie alt biste eijentlich?“<br />

– „Achte. Aber wenn Vattern nich so<br />

schüchtern jewesen wär’, wär’ ick<br />

jetzt schon neune.“<br />

Manne kommt vom Zahnarzt. „Na,<br />

tut der Zahn noch weh?“ – „Weeß ick<br />

nich, er hat’n dabehalten.“<br />

Horst Meyer, Verleger im Ruhestand<br />

und „jewordner Berliner“, hat zahlreiche<br />

Bücher zur Berlinliteratur und<br />

zur Berliner Sprache verlegt.


Seite 6 Sprachraum<br />

Von Lienhard Hinz<br />

N<br />

iederdeutsch als Regionalsprache<br />

steht neben den Minderheitensprachen<br />

Dänisch, Friesisch,<br />

Romanes und Sorbisch seit 1999<br />

unter dem Schutz der Europäischen<br />

Sprachencharta. Wie die darin verankerten<br />

staatlichen Verpflichtungen<br />

umgesetzt werden, erörterte am 10.<br />

November 2010 der Bundesraat för<br />

Nedderdüütsch in der Berliner Landesvertretung<br />

Schleswig-Holsteins.<br />

In schonungsloser Offenheit wurden<br />

unerfreuliche Ergebnisse benannt.<br />

Zuversicht strahlten jedoch die Beiträge<br />

der Forscher, Lehrer, Journalisten<br />

und Künstler zur Sprachpflege<br />

aus. Die jungen Musiker der Tüdelband<br />

aus Hamburg gaben Kostproben<br />

plattdeutscher Rockmusik und<br />

berichteten vom großen Altersquerschnitt<br />

ihrer Anhänger.<br />

Stefan Oeter, Vorsitzender der Expertenkommission<br />

des Europarats zur<br />

← Bestellschein umseitig!<br />

Unsere Arbeit ist abhängig von Ihrer Spende!<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

Stadt- und Kreissparkasse Erlangen<br />

Bankleitzahl 763 500 00<br />

Kontonummer 400 1957<br />

BIC: BYLADEM1ERH<br />

IBAN: DE63763500000004001957<br />

Aufkleber<br />

Kleben Sie den<br />

Sprachverderbern eine!<br />

Anti-Sale-Aufkleber<br />

Auflage: 31.000<br />

Freie-Fahrt-Aufkleber<br />

Auflage: 10.000<br />

Bekennen Sie Farbe und bestellen<br />

Sie diese kostenlosen Aufkleber!<br />

Nedderdüütsch un de Tüdelband<br />

Berliner Kongreß zu Regional- und Minderheitensprachen<br />

Verein für Sprachpflege e.V.<br />

Sprachencharta, sieht keinen Grund<br />

für Deutschland, „sich sprachpolitisch<br />

zurückzulehnen“. Es gibt kein<br />

Minderheitssprachengesetz. Neben<br />

der schwierigen Lage der Sorben<br />

in der Niederlausitz und der dramatischen<br />

Situation der Saterfriesen<br />

könne das historisch gewachsene<br />

Dänisch in Südschleswig nicht als<br />

Luxusmodell angesehen werden.<br />

„Das Beispielmodell wird ins Trudeln<br />

gebracht, weil dem Dänischen<br />

Schulverein die deutschen Fördermittel<br />

gekürzt werden.“ Unter dem<br />

Sparzwang leide auch Sorbisch, indem<br />

beispielsweise die Lehrerausbildung<br />

in Brandenburg weggefallen<br />

ist. Mangel an Lehrern gebe es auch<br />

in Nordfriesland. Modellhaft erscheint<br />

dagegen die niederdeutsche<br />

Spracherhaltung in Hamburg. Die<br />

Hansestadt ist Vorreiter im regionalsprachlichen<br />

Unterricht und der Lehrerausbildung.<br />

Am 21. Februar 2011, dem Welttag der Muttersprache, meldete die Nachrichtenagentur dpa:<br />

Sprachwahrer: weniger Englisch, mehr Latein<br />

rlangen (dpa) – Steht zu viel Englisch auf dem Stundenplan deutscher Schüler? Sprachwahrer<br />

jedenfalls finden den Fremdsprachenunterricht zu einseitig. „Der stiere Blick auf die englische<br />

Sprache führt dazu, daß andere Sprachen und Kulturen in den Hintergrund des Bewußtseins<br />

geraten“, sagte der Chefredakteur der Erlanger Zeitschrift „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“, Thomas Paulwitz,<br />

am Montag zum Welttag der Muttersprache. Die weitverbreitete Auffassung, wer Englisch<br />

könne, brauche keine weitere Fremdsprache mehr zu lernen, sei „irrig, engstirnig und verhängnisvoll“.<br />

Wer kulturelle Vielfalt bewahren wolle, müsse sich auch der sprachlichen Vielfalt öffnen<br />

und mindestens zwei Fremdsprachen lernen. Um für Fremdsprachen gerüstet zu sein, sei Latein<br />

als Schulfach sowieso viel besser geeignet als Englisch. Für komplett überflüssig halten Paulwitz<br />

und seine Mitstreiter Englischunterricht bereits in der Grundschule oder gar im Kindergarten.<br />

Das Deutschlandradio berichtete ebenfalls am 21. Februar:<br />

„<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“ fordert Einschränkung<br />

des Englisch-Unterrichts<br />

nglischunterricht von der Grundschule bis zum Abitur? Die Macher der Zeitschrift „<strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Sprachwelt</strong>“ halten das für reine Zeitverschwendung. Lieber solle Latein gelehrt werden, am<br />

besten als erste Fremdsprache. So könnten romanische Sprachen leichter erlernt werden. Es sei<br />

engstirnig, Englisch als einzig nötige Fremdsprache anzusehen, ein „Schmalspurenglisch“ reiche<br />

für den internationalen Austausch völlig aus. Lieber sollten andere Sprachen zusätzlich erlernt<br />

und somit die Sprachenvielfalt gepflegt werden. Die Zeitschrift wird vom Verein für Sprachpflege<br />

herausgegeben. Er setzt sich unter anderem gegen Anglizismen im <strong>Deutsche</strong>n und die Rechtschreibreform<br />

ein.<br />

Julia Schollbach kommentierte am 22. Februar 2011 im Schwäbischen Tagblatt:<br />

Hier ruht die Sprachvielfalt<br />

lle zwei Wochen ein Sterbefall: Von den rund 6000 Sprachen auf der Welt ist die Hälfte<br />

bedroht. Auch Bairisch gehört dazu. Es gleicht ein wenig einer Kampfansage, was die Zeitschrift<br />

„<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“ anläßlich des gestrigen Welttages der Muttersprache gefordert hat:<br />

K<br />

Republik Österreich<br />

Volksbank Salzburg<br />

Bankleitzahl 45010<br />

Kontonummer 000 150 623<br />

Faltblatt<br />

lären Sie Ihre Mitmenschen<br />

auf! Unser Faltblatt „Rettet<br />

die deutsche Sprache!“ findet weiterhin<br />

reißenden Absatz. Gemeinsam<br />

mit Ihnen, liebe Leser, haben<br />

wir Tausende Faltblätter bereits<br />

gezielt verteilt. Bestellen und verbreiten<br />

auch Sie das Faltblatt und<br />

klären Sie über die Sprachpflege<br />

und die DEUTSCHE SPRACH-<br />

WELT auf!<br />

Die wissenschaftliche Grundlage<br />

erläuterte Ingrid Schröder von der<br />

Universität Hamburg. Sie verwies auf<br />

drei Jahrzehnte Forschung an der niederdeutschen<br />

Sprache von Flensburg<br />

bis Göttingen und Münster bis Greifswald.<br />

In diesem Sprachgebiet hat sich<br />

die Zahl der Platt-Sprecher innerhalb<br />

einer Generation nahezu halbiert. Fast<br />

die Hälfte der Norddeutschen gab in<br />

einer Umfrage an, Niederdeutsch in<br />

Radio und Fernsehen zu hören. Deshalb<br />

entwickelt die Rundfunkjournalistin<br />

Christianne Nölting in Zusammenarbeit<br />

mit Professorin Schröder<br />

Sprachlernmaterialien, die sie in<br />

Buchform und mit dem Netzauftritt<br />

www.plattolio.de vorstellte.<br />

Über Plautdietsch als Form des Ostniederdeutschen<br />

sprach der Germanist<br />

Heinrich Siemens. Die Erhaltung<br />

dieser Sprache erfordert einen<br />

gesteuerten Spracherwerb. Eine Un-<br />

Die DSW in der Presse<br />

Lieferbare Ausgaben<br />

<strong>43</strong><br />

42<br />

Frühling 2011<br />

Winter 2010/11<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Englisch<br />

darf in Deutschland nicht zur Gerichtssprache<br />

werden / Leserdiskussion (2):<br />

E-Mail oder E-Post? / Helmut Delbanco:<br />

Paul Gerhardt – der größte deutsche<br />

Sprachmeister nach Martin Luther / Straße<br />

der deutschen Sprache: Gräfenhainichen /<br />

Andreas Raffeiner: Südtirol spricht immer<br />

noch Deutsch (2) / Johannes Heinrichs:<br />

Das wichtigste nationale Kulturprojekt: die<br />

Sprache (Sprachpolitische Thesen, Teil1)<br />

/ Ursula Bomba: Hildebrandts zweiter<br />

Glossen-Band „Mal ganz ehrlich“ / Robert<br />

Mokry: Der Löwenzahn und sein Traum<br />

(Ausgewählter Beitrag aus dem Schülerwettbewerb<br />

„Schöne deutsche Sprache“<br />

2010) / Sprachsünder-Ecke: ZDF / Lienhard<br />

Hinz: Schlagabtausch zwischen GfdS<br />

und VDS in Berlin / Gespräch mit Werner<br />

Kieser: „Die Sprache eines Unternehmens<br />

ist ein Qualitätsmerkmal“ / Lienhard Hinz:<br />

Bericht aus Berlin / Günter Körner: Flüssig<br />

oder fließend? – Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher<br />

Sicht (5) / Wolfgang<br />

Hildebrandt: Staatssprache Deutsch: Wohin<br />

geht die Reise? (Anglizismenmuffel)<br />

Herbst 2010<br />

41<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Operation<br />

Rechtschreibung: streng geheim! Im<br />

Jahr 2011 wird die Reform wieder einmal<br />

reformiert / Leserdiskussion: E-Mail oder<br />

E-Post? / Peter Müller, Ministerpräsident<br />

des Saarlandes: Deshalb sollte Deutsch ins<br />

Grundgesetz / Straße der deutschen Sprache:<br />

Bad Lauchstädt / Andreas Raffeiner:<br />

Südtirol spricht immer noch Deutsch (1) /<br />

Hans Joachim Meyer: Kleid oder Haut?<br />

terrichtstradition gibt es noch nicht.<br />

Die mennonitischen Plautdietschen<br />

stammen aus Westpreußen und bilden<br />

heute eine globale Streuminderheit<br />

wie Sinti und Roma. Anita Awosusi<br />

vom Dokumentations- und Kulturzentrum<br />

<strong>Deutsche</strong>r Sinti und Roma<br />

hofft, daß das deutsche Romanes<br />

bald eine multidialektale Verschriftlichung<br />

erfährt. Den Wohlklang ihrer<br />

Sprache brachte ihre Tochter, die<br />

Sängerin Tayo, zu Gehör.<br />

Koloman Brenner aus Budapest sprach<br />

über Deutsch als Minderheitensprache<br />

in Ungarn. Seit dem Minderheitengesetz<br />

von 1993 gibt es in Ungarn<br />

für die deutsche Sprache Schulzentren<br />

in eigener Trägerschaft, wie zum<br />

Beispiel in Fünfkirchen. Heinz Grasmück<br />

von der Hamburger Schulbehörde<br />

stellte den Niederdeutschunterricht<br />

entsprechend der Sprachencharta mit<br />

dem auf www.hamburg.de veröffent-<br />

Was ist uns unsere deutsche Sprache?<br />

(Rede zur deutschen Sprache) / Walter<br />

Krämer: „Die englische Verdrengung“<br />

/ Ernst Jordan: Time to make Tennis /<br />

Thomas Paulwitz: Wie schreibt man eine<br />

Anti-Sprachschutz-Glosse? / Goethes später<br />

Gegenspieler / Jürgen Langhans: Ein<br />

Hilfsprogramm wandelt Neuschrieb in herkömmliche<br />

Rechtschreibung um / Sprachsünder-Ecke:<br />

REWE-Baumarkt „toom“<br />

/ Lienhard Hinz: Köthener Sprachtag<br />

über zweisprachige Erziehung / Andreas<br />

Raffeiner: Bericht aus Bozen / Lienhard<br />

Hinz: Bericht aus Berlin / Sprachschützer<br />

trifft Kulturredakteur / Günter Körner:<br />

Was bedeutet Wertigkeit? – Sprachkritik aus<br />

naturwissenschaftlicher Sicht (4) / Dagmar<br />

Schmauks: Noch mehr Quantensprünge /<br />

Klemens Weilandt: Binde-Strichitis / Wolfgang<br />

Hildebrandt: Deutschland schafft<br />

seine Sprache ab (Anglizismenmuffel)<br />

Sommer 2010<br />

40<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Zehn<br />

Jahre Spracharbeit – Die DEUTSCHE<br />

SPRACHWELT hat Geburtstag / Kräfte<br />

bündeln für die Muttersprache / Grußworte<br />

und Geburtstagswünsche der Sprachvereine<br />

/ Straße der deutschen Sprache: Schleiz<br />

/ Lienhard Hinz im Gespräch mit Winder<br />

McConell: Deutsch als Fremdsprache in<br />

den Vereinigten Staaten / Artur Stopyra:<br />

Deutschschüler aus Warschau reisen<br />

und werben für die deutsche Sprache /<br />

Lienhard Hinz: Die <strong>Deutsche</strong> Welle veröffentlicht<br />

Stellungnahmen zur deutschen<br />

Sprache / Richard Albrecht: Sprachbetrachtungen<br />

im Lichte der Gedanken Ernst<br />

Blochs / Steinfelds Standpauke in der „Süddeutschen“<br />

bringt den Sprachschützern Zulauf<br />

/ Sprachsünder-Ecke: Schweizerische<br />

Bundeskanzlei als Sprachpolizei / Diethold<br />

Tietz: 100. Geburtstag Konrad Zuses /<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011<br />

lichten Rahmenplan vor. Der Erwerb<br />

der Regionalsprache Niederdeutsch,<br />

so Grasmück, sei für die Kinder eine<br />

Brücke zu den Fremdsprachen Niederländisch<br />

und Englisch. Eine Bereicherung<br />

für den Unterricht seien<br />

die Schulpaten: Großeltern, die Niederdeutschstunden<br />

in der Schule mitgestalten.<br />

Das ist eine Antwort auf die Frage<br />

des Bundesraatssprechers Reinhard<br />

Goltz: „Was tun?“ Andere wirkungsvolle<br />

Antworten gaben die praktischen<br />

Programmbeiträge: der virtuelle<br />

Stadtrundgang auf Platt von<br />

Thorsten Börnsen, die Aufführung<br />

sorbischer Trachten und Tänze mit<br />

multimedialen Effekten und die szenische<br />

Lesung von Theodor Storms<br />

Novelle „De Schimmelrieder“. „De<br />

Tüdelband“ begleitete das abendliche<br />

Buffet der gastfreundlichen<br />

Schleswig-Holsteiner.<br />

Weniger Englisch in der Schule, dafür mehr Sprachenvielfalt, gerne auch Latein. Denn, so die<br />

Meinung des Chefredakteurs Thomas Paulwitz: Der stiere Blick auf das Englische zerstöre andere<br />

Sprachen. Und überhaupt: Für den internationalen Austausch sei ein „Schmalspurenglisch“ völlig<br />

ausreichend. Allein ist er mit seiner These nicht: Auch die Unesco läßt alljährlich neue Schreckensmeldungen<br />

verlauten. Von den mehr als 6.000 Sprachen weltweit ist die Hälfte vom Aussterben<br />

bedroht. Alle zwei Wochen stirbt eine Sprache ganz. Nicht nur Sprachen auf fernen Inselstaaten<br />

wie Papua-Neuguinea (850 Sprachen bei 3,6 Millionen Einwohnern) stehen auf der roten Liste der<br />

Unesco. Auch die deutsche Sprachvielfalt ist gefährdet. Vielleicht wird in ferner Zukunft weder<br />

Sorbisch noch Moselfränkisch oder Bairisch zu hören sein. Statt dessen gewinnen das Chinesische,<br />

das Spanische und das Englische die Oberhand. Schon jetzt sprechen Schätzungen zufolge mehr<br />

als eine Milliarde Menschen Englisch zumindest als Zweitsprache, rund 330 Millionen als Muttersprache.<br />

Das, so beschreiben es die Redakteure der „<strong>Deutsche</strong>n <strong>Sprachwelt</strong>“, hat auch direkte<br />

Auswirkungen auf das <strong>Deutsche</strong>: Neue Gesetze in Tschechien und in der Slowakei beispielsweise<br />

schreiben nun Englisch als erste Fremdsprache ab der Grundschule vor – zum Nachteil der deutschen<br />

Sprache, die in beiden Ländern als Fremd- und Muttersprache eine lange Tradition hat. ….<br />

Melanie Steck schrieb auf der Titelseite der Augsburger Allgemeinen vom 22. Februar 2011:<br />

Mehr Latein!<br />

remdsprachenunterricht steht schon auf dem Stundenplan der Kleinsten. Bereits im Kindergarten<br />

und in der Grundschule lernen Kinder heute Englisch. Anläßlich des gestrigen Welttags<br />

der Muttersprache fordert die Sprachzeitung „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“, den Englischunterricht<br />

zugunsten anderer Sprachen einzuschränken. „Der stiere Blick auf die englische Sprache führt<br />

dazu, daß andere Sprachen und Kulturen in den Hintergrund geraten“, sagte der Chefredakteur<br />

der Erlanger Sprachzeitung, Thomas Paulwitz. Wer kulturelle Vielfalt wahren wolle, müsse sich<br />

auch der sprachlichen Vielfalt öffnen und mindestens zwei Fremdsprachen lernen, so Paulwitz<br />

weiter. Wer sich eine neue Sprache aneigne, lasse sich damit automatisch auf eine neue Kultur<br />

ein, weiß Professor Werner König vom Lehrstuhl für Sprachwissenschaft an der Uni Augsburg.<br />

Schon in der Grammatik sei die Mentalität verwurzelt. Während wir <strong>Deutsche</strong>n Ortsangaben wie<br />

vorne oder hinten benutzen, gebe es dafür bei einigen Völkern Australiens etwa Himmelsrichtungen<br />

wie Norden und Süden. Als Grundlage für das Erlernen von Fremdsprachen sei Latein besser<br />

geeignet als Englisch, so Paulwitz. Latein sei nicht nur Türöffner für romanische Sprachen,<br />

sondern auch für das Englische, das zum Teil romanisch geprägt sei. Lateinkenntnisse förderten<br />

zudem das Verständnis der Grammatik und nützten der eigenen Sprache. …<br />

Rolf Zick: Sprachschützer trifft Kulturredakteur<br />

/ Günter Körner: Vom Quantensprung<br />

zum Tantensprung – Sprachkritik<br />

aus naturwissenschaftlicher Sicht<br />

(3) / Eine BILD-Ausgabe ohne Englisch /<br />

Wolfgang Hildebrandt: Udo Lindenberg<br />

erhält den Kulturpreis <strong>Deutsche</strong> Sprache /<br />

Wolfgang Hildebrandt: Zum Geburtstag<br />

kein Congratulation (Anglizismenmuffel)<br />

Frühling 2010<br />

39<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Wird<br />

Deutsch zur Affensprache? / Esperanto<br />

hat Nachteile / Peter Ramsauer: Meine<br />

„Deutsch-Initiative“ / Thomas Paulwitz:<br />

Das Ende des Service-Points / Thomas<br />

Paulwitz: Geht auf die Straße der deutschen<br />

Sprache / Gefunden: mehr als 1.000<br />

Gründe für die deutsche Sprache / Luc<br />

Degla: Sprache schafft Gemeinsamkeit /<br />

Ralph Mocikat: Wie das Vordringen der<br />

Unterrichtssprache Englisch der Landessprache<br />

schadet / Diethold Tietz: Besuch<br />

beim Sprachkünstler Peter Schönhoff /<br />

Werbesprüche für die deutsche Sprache /<br />

Sprachwahrer 2009: Guttenberg, Wickert,<br />

van Gaal gewinnen / Sprachsünder-Ecke:<br />

Justizminister Hamburgs und Nordrhein-<br />

Westfalens / Lienhard Hinz: „Deutsch –<br />

Sprache der Ideen“ / Rolf Zick: Paul-Josef<br />

Raue ist Ehrenmitglied der ADS / Wettbewerb:<br />

<strong>Deutsche</strong> Marken- und Produktnamen<br />

/ Wieland Kurzka: Deutsch – ein<br />

„No go“? / Günter Körner: Der kleinste<br />

gemeinsame Nenner – Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher<br />

Sicht (2) / Wolfgang<br />

Hildebrandt: Wein predigen, Wasser trinken<br />

(Anglizismenmuffel)<br />

Lieferbar sind auch noch alle früheren Ausgaben. Die Inhaltsverzeichnisse<br />

sämtlicher Ausgaben finden Sie unter<br />

www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/papier/index.shtml


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011 Hintergrund<br />

Seite 7<br />

Das wichtigste nationale Kulturprojekt: die Sprache<br />

Sprachpolitische Thesen von<br />

Prof. Dr. Johannes Heinrichs<br />

19. Es gibt eine systembedingte<br />

Fremdheit der Politiker gegenüber<br />

Kulturfragen<br />

Wenn man also begreift, daß es sich<br />

bei der Sprachenfrage um eine kulturpolitische<br />

Frage ersten Ranges für<br />

die ganze Welt handelt, versteht man<br />

auch, daß Sprache und Kultur engstens<br />

mit der Aufgabe der Weiterentwicklung<br />

unserer politischen Systeme<br />

zusammenhängen. Wenn man ferner<br />

bedenkt, wie fremd die politischen<br />

Institutionen den Kulturproblemen<br />

gegenüberstehen, obwohl Kultur der<br />

Inbegriff der sozialen Gemeinsamkeit<br />

ist, überkommt einen das Grausen.<br />

Kulturfremdheit kennzeichnet<br />

deshalb zutiefst den Charakter unserer<br />

eigenen Halb- oder genauer Vierteldemokratien,<br />

weil die vier zuvor<br />

genannten Untersysteme (Wirtschaft,<br />

Politik im engeren Sinn, Kultur und<br />

Grundwerte) in ihnen nicht differenziert<br />

werden und daher alles von der<br />

Politik im engeren Sinn beherrscht<br />

wird – diese aber von der Wirtschaft.<br />

Die neuerliche Einrichtung eines<br />

Staatsministeriums für Kultur ändert<br />

an diesen Gegebenheiten wenig. Gegen<br />

diesen Befund richtet sich – auf<br />

konstruktive Weise – die vom Verfasser<br />

vertretene, systemtheoretisch begründete<br />

Forderung einer „Viergliederung“<br />

der Demokratie, angefangen<br />

beim Herz der Demokratie, dem Parlament.<br />

Das menschliche Herz kann<br />

bekanntlich nur mit vier Kammern<br />

funktionieren (was jedoch nur ein<br />

Vergleich, kein Argument ist).<br />

20. Beispiel Wiedervereinigung:<br />

Ihr Halbgelingen beruht auf<br />

Nicht-Differenzierung der sozialen<br />

Ebenen<br />

Unsere derzeitigen Parteiensysteme<br />

erweisen sich als unfähig, spezifisch<br />

kulturelle Fragen als solche zu stellen,<br />

geschweige denn zu beantworten.<br />

Die Frage der Art der nationalen<br />

Einheit Deutschlands war eine solche.<br />

Sie wurde „eintopfpolitisch“ gelöst,<br />

also ohne jede Unterscheidung<br />

der genannten vier Untersysteme<br />

(Wirtschaft, Politik im engeren Sinn,<br />

Kultur und Grundwerte), wovon wir<br />

die teils unbefriedigenden Ergebnisse<br />

heute sehen. Es wäre möglich gewesen,<br />

das lebhafte Bedürfnis nach<br />

national-kultureller Einheit sofort<br />

voll zu berücksichtigen – um in der<br />

Frage der wirtschaftlichen und politischen<br />

Verfassung, über die wir<br />

bis heute nicht abstimmen durften,<br />

behutsamer, schrittweise vorzugehen.<br />

Es fehlte den Politikern aber ein<br />

realistisches systemlogisches Werkzeug,<br />

wenngleich zahlenmäßig kein<br />

Mangel an Sozialwissenschaftlern<br />

bestand. Die meisten von ihnen stehen<br />

jedoch den „Einheits-Parteien“<br />

zu nahe. Für diese Parteien ist gerade<br />

die Nicht-Unterscheidung der<br />

Systemebenen, also die sachfremde<br />

Bündelung aller Fragen, charakteristisch.<br />

Wir haben bis heute nur solche.<br />

Das systemische Problem wird<br />

von allen fleißig verdrängt. Die Einheits-Parteien<br />

sind die Feudalherren<br />

unserer Zeit.<br />

21. Beispiel Zuwanderung:<br />

wirtschaftlicher, kultureller und<br />

religiöser Aspekt sind sauber zu<br />

unterscheiden<br />

Die Ausländer- und Zuwanderungsfrage<br />

ist primär eine kulturelle, wurde<br />

jedoch nur nebenbei und erst in<br />

den letzten Jahren halb bewußt als<br />

solche behandelt. Die beherrschende<br />

Fragestellung war stets wirtschaftspolitisch,<br />

neuerdings (mit der Terrorismusangst)<br />

auch sicherheits-<br />

politisch. Die zentrale Frage einer<br />

grundsätzlichen Regelung im Sinne<br />

der „Gastfreundschaft der Kulturen“<br />

(Heinrichs 1994) wurde zerrieben<br />

zwischen einem geistlosen, kulturfremden<br />

Internationalismus („multikulturelle<br />

Gesellschaft“) einerseits<br />

und einem nationalistisch getönten<br />

Argwohn und Hochmut gegen Fremde<br />

andererseits. Beide Seiten arbeiten<br />

sich in die Hände, durch Nichtbeachten<br />

der einfachen Gesetze kultureller<br />

Identität und Gastfreundschaft. Die<br />

ganze Frage auf der Grundlage eines<br />

Rechtes auf Identität territorialer<br />

Gastkulturen (ius culturae) zu diskutieren,<br />

hätte die Auseinandersetzung<br />

geklärt und entschärft – ebenso die<br />

heutige Diskussion um Thilo Sarrazins<br />

Buch. Nicht Zahlen von Einwanderern<br />

machen das Problem aus,<br />

sondern mangelnde Kulturbewußtheit<br />

und daher Integrationsfähigkeit<br />

der falsch angeleiteten <strong>Deutsche</strong>n.<br />

Hinzu kommt, daß Kultur (türkisch,<br />

deutsch) und Religion (christlich, islamisch)<br />

nicht sauber unterschieden<br />

werden – was folgenreich ist.<br />

22. Beispiel Rechtschreibreform:<br />

Sie wurde zwischen Parteipolitik<br />

und Fach-Philologie zum Unsinn<br />

zerrieben<br />

Als drittes Beispiel für eine spezifisch<br />

kulturpolitische Aufgabe sei die Lach-<br />

und Weinnummer Rechtschreibreform<br />

genannt: Es fehlen unserer Demokratie<br />

die spezifisch kulturstaatlich-demokratischen<br />

Institutionen, sprich vor<br />

allem ein Kulturparlament, das eine<br />

bundesweite kulturpolitische Diskussion<br />

ohne Vermischung mit anderem<br />

Parteienhader transparent zusammenführen<br />

könnte; und dieses nicht nur in<br />

Unterscheidung zum Wirtschafts- und<br />

Politikparlament, sondern auch zum<br />

Grundwerteparlament. Wenn untergründig<br />

über alles gleichzeitig diskutiert<br />

wird, kann nichts Sachliches<br />

herauskommen. Eigens legitimierte<br />

Kulturpolitiker könnten auch mit der<br />

„Fachidiotie“ vieler Philologen besser<br />

umgehen.<br />

23. Der Unterschied zwischen<br />

religiöser und kultureller Zugehörigkeit<br />

hat größte praktische<br />

Bedeutung<br />

Unterschiedliche Parlamentskammern<br />

für Grundwerte (Religion) und<br />

für Kultur würden den wesentlichen<br />

Unterschied zwischen Weltanschauung/Religion<br />

und kultureller Zugehörigkeit<br />

berücksichtigen. Dieser<br />

Unterschied ist die unerläßliche<br />

Basis dafür, daß zum Beispiel auch<br />

Moslems solidarische <strong>Deutsche</strong> im<br />

kulturellen Sinne werden können, ja<br />

werden müssen, wenn sie auf Dauer<br />

bleiben wollen. Auch bei der jüngsten<br />

Stellungnahme des Bundespräsidenten<br />

Christian Wulff, daß der Islam<br />

zu Deutschland gehöre, entstanden<br />

notwendig Unklarheiten wegen dieser<br />

mangelnden Unterscheidung.<br />

Einerseits ist längst selbstverständlich,<br />

daß jede Weltanschauung und<br />

Religion, sofern sie unser Grundgesetz<br />

achtet, hier heimisch sein kann.<br />

Seitdem hier viele Muslime leben,<br />

trifft das selbstverständlich auch für<br />

den Islam zu. Wenn anderseits über<br />

kulturelle Traditionen gesprochen<br />

wird, gewinnt die Aussage des Bundespräsidenten<br />

einen ganz anderen,<br />

fragwürdigen Sinn. Im Grunde ist es<br />

unverantwortlich, diese beiden Ebenen<br />

nicht zu unterscheiden. Im Munde<br />

der Politiker hat die (sprachlich<br />

geprägte) Kultur meist gar keinen eigenen<br />

Stellenwert zwischen Religion<br />

und bloßer Rechtsordnung.<br />

Teil 2: Das <strong>Deutsche</strong> in die Zukunft übersetzen<br />

24. Integration ist nur vorübergehend<br />

von Assimilation verschieden<br />

Es ist höchst fragwürdig, wenn man<br />

mit dem Unterschied von „Integration“<br />

und „Assimilierung“ spielt. So lautete<br />

auch am 10. Oktober 2010 in Berlin<br />

noch die Ausflucht des türkischen Ministerpräsidenten<br />

Recep Erdo˘gan: Integration<br />

ja, Assimilierung sei jedoch<br />

„ein Verbrechen“. Es ist allerdings im<br />

höchsten Maße kulturzerstörerisch,<br />

die Staatsangehörigkeit zu beanspruchen<br />

und im Herzen einer anderen<br />

Nation anzugehören. Daß deutsche<br />

Politiker eine solche Unterscheidung<br />

billigen oder zumindest diplomatisch<br />

hinnehmen, gehört mit zu dem, was<br />

Thilo Sarrazin die Selbstabschaffung<br />

Deutschlands nennt. Dieser Fehler<br />

wird nicht demographisch von allein<br />

ausgebügelt. Landsmannschaftliche<br />

Sekundärkulturen können innerhalb<br />

einer intakten primären, gastgebenden<br />

Kultur weiterbestehen, doch<br />

nicht als Parallelgesellschaften. Von<br />

den einzelnen darf und muß erwartet<br />

werden, daß sie auf Dauer im vollen<br />

kulturellen Sinne <strong>Deutsche</strong> werden.<br />

Anders ist es auch in dem Einwanderungsland<br />

USA nicht! „Multikulturelle<br />

Gesellschaft“ hat nur in transnationalen<br />

Gebilden wie Europa oder<br />

in internationalen Ausnahme-Städten<br />

(zum Beispiel Brüssel oder Hongkong)<br />

einen vernünftigen Sinn. Selbst<br />

und gerade in Staaten, in denen die<br />

staatlich-rechtliche Einheit mehrere<br />

sprachlich kulturelle Regionen umfaßt<br />

(Schweiz, Belgien, auch Spanien oder<br />

Rumänien) gibt es mehr oder weniger<br />

gut funktionierende Regeln für die regionalen<br />

kulturellen Identitäten.<br />

25. Es gibt ein Menschenrecht auf<br />

unbeschädigte Muttersprache<br />

Die zweite Hauptaufgabe des Grundwerte-Gesetzgebers<br />

im Hinblick auf<br />

Kultur ist klarzustellen, daß es ein<br />

unveräußerliches Menschenrecht auf<br />

unbeschädigte und geachtete Muttersprache<br />

für jeden Erdenbürger, folglich<br />

auch für jeden <strong>Deutsche</strong>n gibt.<br />

Daß die Sprachen der Welt als Kulturgüter<br />

ersten Ranges gleichwertig<br />

zu achten und zu schützen seien, einschließlich<br />

der deutschen, aber auch<br />

der kleineren Sprachen wie der dänischen<br />

oder tschechischen in einem<br />

vereinten Europa. Daraus ergeben<br />

sich Folgerungen in Richtung einer<br />

europäischen Verkehrssprache, die<br />

wohl mit der Weltverkehrssprache<br />

identisch sein sollte.<br />

26. Kulturgesetzliche Vorgaben<br />

für Wirtschaft, Politik und Wissenschaft<br />

scheinen notwendig<br />

Unter solchen gesamtpolitischen<br />

Rahmenvoraussetzungen hat es Sinn,<br />

auf die sprachliche Innenpolitik näher<br />

einzugehen, zum Beispiel darauf,<br />

• daß auch die Sprache in Politik und<br />

Verwaltung sowie in Verkehr und<br />

Wirtschaft sich den kultursprachlichen<br />

Landessitten zu unterwerfen hat,<br />

• daß die Wirtschaft trotz kapitalistischer<br />

Globalisierung und Gleichmacherei<br />

unter kulturellen Vorgaben<br />

zu stehen hat (ebenso wie<br />

unter Grundwerte-Vorgaben) und<br />

• daß in der von der Allgemeinheit<br />

finanzierten Wissenschaft Deutsch<br />

nicht zum Regionalidiom herabsinken<br />

darf.<br />

In all diesen Bereichen muß im Bedarfsfall<br />

Zweisprachigkeit, also<br />

Übersetzung, gepflegt und gefördert<br />

werden. Insofern ist ein Sprachgesetz<br />

nach dem Vorbild Frankreichs demokratisch<br />

zumindest gerechtfertigt<br />

– wenn das freigesellschaftliche, bürgerschaftliche<br />

Engagement, also die<br />

freiwillige Beachtung kultureller Regeln<br />

allein nicht gelingt. Derzeit genügt<br />

Freiwilligkeit offenbar nicht. Die<br />

Argumente gegen ein Sprachgesetz<br />

beruhen auf unzureichender Demokratietheorie<br />

ebenso wie auf unserer<br />

völlig unzureichenden parlamentarischen<br />

Praxis: Zugegeben, einem Einheitsparlament<br />

derzeitiger Prägung,<br />

unter der Vorherrschaft der Wirtschaftslobby,<br />

stünde ein Sprachgesetz<br />

derzeit noch fremdartig zu Gesicht.<br />

Das läge aber nicht am Sprachgesetz,<br />

sondern an der Kulturfremdheit unseres<br />

derzeitigen Einheitsparlaments.<br />

27. Sprachgemeinschaft ist eine<br />

liberale, moderne Form sozialen<br />

Zusammenhalts<br />

Wer eine Sprachgemeinschaft zerstören<br />

will, braucht lediglich die babylonische<br />

Sprachverwirrung von einander<br />

nicht mehr verständlichen Dialekten,<br />

von „Fremdsprachen“ als Verfremdungsprodukten<br />

einer früher einmal<br />

gemeinsamen Muttersprache, zu fördern!<br />

Denn gerade die Sprache war es<br />

und könnte es künftig wieder sein, die<br />

all jene kulturellen Alltags-Dimensionen<br />

miteinander verbindet, die einen<br />

sozialen Zusammenhalt, ein Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

herstellt, bei<br />

aller arbeitsteiligen Differenzierung.<br />

Diese Aufgabe der Sprache ist so unersetzlich<br />

wie nie, wichtiger noch als in<br />

Zeiten einer konventionellen religiösen<br />

Gemeinsamkeit. Das kulturelle Medium<br />

Sprache leistet dies auf liberalere<br />

Weise als ein religiöses Bekenntnis das<br />

je könnte, und doch mit einer gewissen<br />

Wärme, die uns <strong>Deutsche</strong>n trotz des<br />

Wiedervereinigungserlebnisses so verdächtig<br />

geworden ist. Dagegen bleibt<br />

die Berufung allein auf gemeinsame<br />

ethische und rechtlich festgeschriebene<br />

Grundwerte („Verfassungspatriotismus“)<br />

eine kühle Angelegenheit.<br />

Wir brauchen jene liberale Sprachgemeinsamkeit<br />

mehr denn je, wobei<br />

die „Dialekte“ der verschiedenen Generationen<br />

reizvoll sind – solange sie<br />

nicht aus der Sprachgemeinsamkeit in<br />

einen angemaßten Internationalismus<br />

auswandern! Oder wir geben uns als<br />

Nation(en) auf – den oft fanatischen<br />

Propheten eines falschen, neokolonialen<br />

Internationalismus folgend, die im<br />

hohepriesterlichen Gewand des Fortschritts<br />

oder vorgeblich wissenschaftlicher<br />

Aufklärung daherschreiten.<br />

28. Ergebnis: Bewußte Sprach-<br />

und Kulturpolitik wird unbedingt<br />

notwendig<br />

Sprache ist – als allein alle Lebensbereiche<br />

und ihre „Dialekte“ Verbindendes<br />

– unser bei weitem wichtigstes<br />

Kulturprojekt, zumal in dieser<br />

sprachpolitisch völlig neuartigen<br />

und einzigartigen weltgeschichtlichen<br />

Stunde einer einsgewordenen<br />

Menschheit. Es geht um die bewußte<br />

Gestaltung einer Welteinheit in Verschiedenheit<br />

der Kulturen. Die kulturelle<br />

Dimension, die alle sozialen<br />

Sphären durchdringt, muß auch vom<br />

kulturellen Untersystem und seinen<br />

zu schaffenden Institutionen maßvoll<br />

gesteuert werden, wenn es bewußt<br />

zugehen soll. Man kann dies nicht<br />

allein einer wild wuchernden, im<br />

Grunde von interessierten Mächten<br />

gesteuerten „Zivilgesellschaft“ überlassen.<br />

„Sprachpflege“ als Liebhaberei,<br />

gleich ob von Fachleuten oder Laien<br />

betrieben, gar als konservative Nostalgie,<br />

reicht nicht, wenn man heute<br />

ernsthaft etwas Entscheidendes für<br />

die deutsche Sprache tun will. Man<br />

muß sich schon zur Sprachpolitik entschließen.<br />

Diese aber ist Kulturpolitik,<br />

weil Sprache nicht irgendein, sondern<br />

das Medium der Kultur ist (wie<br />

Geld das Medium der Wirtschaft).<br />

Kulturpolitik aber steht ihrerseits in<br />

dem umrissenen gesamtsystemischen<br />

und gesamtdemokratischen Rahmen.<br />

Man kann das alles verleugnen oder<br />

ausblenden, man kann den Kopf in<br />

den Sand stecken, weil man es nicht<br />

wahrhaben will. Doch argumentativ<br />

leugnen läßt es sich nicht. Soll der<br />

Einsatz für die deutsche Sprache<br />

auch von Menschen ernst genommen<br />

werden, die Sprachpflege nicht als ihr<br />

Steckenpferd betreiben, muß man ihn<br />

in den globalen und systematischen<br />

Gesamthorizont stellen.<br />

Der Philosoph und Sozialökologe Prof.<br />

Dr. Johannes Heinrichs ist Mitglied des<br />

Wissenschaftlichen Beirats des Vereins<br />

<strong>Deutsche</strong> Sprache und Autor zahlreicher<br />

sozialphilosophischer Bücher.<br />

www.viergliederung.de<br />

(Demokratiekonzept)<br />

www.johannesheinrichs.de<br />

(philosophisches Werk)<br />

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Bücher von Johannes Dornseiff<br />

Tractatus absolutus<br />

Selbstaufkläung des Denkens<br />

2. Auflage<br />

Aus der Erfahrung, daß sich alles von ihm Gedachte immer wieder zerdenken<br />

ließ, hat der Verfasser einen Standpunkt gewonnen ("Ist etwas zu sagen? – An<br />

sich ist nichts zu sagen"), von dem aus diese zunächst anstößige Erfahrung<br />

verständlich ist und alles bisherige Denken – zunächst nur das eigene Denken<br />

des Verfassers, dann aber auch das aller Anderen – als naiv erscheint. Dieser<br />

Standpunkt ist zugleich eine neue und vielleicht letzte Stufe eines historischen<br />

Weges, der mit der frühgriechischen Philosophie (Vorsokratik) beginnt.<br />

Während der Kern des Tractatus sozusagen ungegenständlich ist, werden in den<br />

weiteren Verzweigungen alle klassischen Gegenstände des Denkens – Raum,<br />

Existenz, Begriff, Welt, Ding, subjektiv-objektiv, Ich, Moral u.a. – in der gehörigen<br />

Ordnung entwickelt und dargestellt.<br />

Warnung! Ein Leser, der an Wortgebilde wie „kognitive Relevanz“, „taxonomische<br />

Interdependenz“ oder auch „basic relations“ gewöhnt ist, wird bald an<br />

Entzugserscheinungen leiden.<br />

Leinen, 896 Seiten * Euro 29.00 * ISBN 978-3-8280-1099-4 * Frieling-Verlag Berlin<br />

Sprache, wohin?<br />

Bemerkungen eines Sprachteilnehmers<br />

2. Auflage<br />

Die Sprache hat, vor allem in den letzten Jahrzehnten, schlimme<br />

Entwicklungen genommen, die man weitgehend als Schwächung oder als<br />

Verschmutzung bezeichnen kann; ersteres vor allem in der Grammatik (z.B.<br />

Viele würden die Gefahr leider noch unterschätzen), letzteres vor allem im<br />

Wortgebrauch (z.B. schwul oder die Menschen bei den Reformen mitnehmen).<br />

[Zur Wortschatzverschlechterung gehört auch die Fremdwörterei, die<br />

graecolateinische und mehr noch die englische.] Der Verfasser stellt den<br />

verdorbenen Sprachgebrauch an den Pranger und zeigt zugleich, daß man sich<br />

davon freihalten kann; darüber hinaus, daß auch Sprachbereicherung möglich<br />

ist. – Im Anhang wird die Rechtschreib„reform“ zerpflückt.<br />

288 Seiten * Euro 12,90 * ISBN 978-3-8280-2393-2 * Frieling-Verlag, Berlin


Seite 8 Besprechungen<br />

Von Johannes Heinrichs<br />

s gilt, zwei sehr verschieden-<br />

E artige, sich ergänzende Bücher<br />

aus dem Paderborner IFB-Verlag<br />

vorzustellen. Das erste, „Deutsch<br />

lebt! Ein Appell zum Aufwachen“,<br />

stellt ein Gemeinschaftswerk von<br />

vier hochkarätigen Fachleuten verschiedener<br />

Disziplinen dar. Zwar<br />

sind die zehn Kapitel, die sich in vier<br />

Hauptteile gliedern, den Beteiligten<br />

nicht namentlich zugeordnet.<br />

Doch der personen- und stilkundige<br />

Kenner kann meist erkennen, in welchen<br />

Kapiteln oder Passagen jeweils<br />

wer die Feder führt: So für „Deutsch<br />

in der Schule“ selbstverständlich<br />

Josef Kraus, der Präsident des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Lehrerverbandes, für „Deutsch<br />

in der Wirtschaft“ und viele Passagen,<br />

die mit Werbung und Statistik<br />

zu tun haben, auch für „Deutsch an<br />

Universitäten“, der VDS-Vorsitzende<br />

Walter Krämer. Die geschichtlich geprägten<br />

Kapitel über aktive Sprachpflege<br />

in Deutschland und anderswo<br />

teilen sich der Journalistenausbilder<br />

und Sachbuchautor Wolf Schneider<br />

und der Diplomat und Diplomatenausbilder<br />

Cornelius Sommer.<br />

Es ist amüsant, besser, belustigend,<br />

die Unterschiede in Stil und Kenntnissen<br />

bei aller Einheit der Stoßrichtung<br />

zu erkennen. So wird dieses<br />

Buch trotz der Fülle wohlfundierter<br />

Sachinformationen nirgends langweilig.<br />

Die Stoßrichtung wird im<br />

einleitenden Kapitel Krämers bereits<br />

unmißverständlich klar: zu beweisen,<br />

erstens daß der Appell zur Zurückdrängung<br />

des Englischen aus<br />

einer noch vitalen deutschen Sprache<br />

(noch sei sie „global Nr. 4 nach Englisch,<br />

Spanisch und Chinesisch“) kein<br />

Kampf gegen Windmühlenflügel und<br />

keine antiquierte Deutschtümelei ist;<br />

zweitens warum die Sprachkreativität<br />

bekannter wie unbekannter Vorfahren,<br />

die aus dem „acteur“ einen<br />

„Schau-Spieler“, aus dem „off-side“<br />

das perfekte deutsche „Abseits“<br />

machten, eine aktuelle Fortsetzung<br />

verdient; drittens „warum Deutsch<br />

eine weit über das rein Sprachliche<br />

hinausgehende Bedeutung besitzt<br />

(und die Flucht daraus den Fliehenden<br />

netto eher schadet“; viertens<br />

welche Beiträge der VDS selbst geleistet<br />

hat, wohlwissend, „wie Wörter<br />

seit jeher wandern und daß natürlich<br />

die gegenseitige Befruchtung für alle<br />

Sprachen von Vorteil ist“.<br />

Anzeigen<br />

Ein Appell zum Aufwachen<br />

Wieviel Englisch verkraftet die deutsche Sprache?<br />

Es ist zweifellos ein notwendiges,<br />

zeitgemäßes Buch, das demgemäß<br />

auch eine etwas modernere, weniger<br />

hausbackene Aufmachung verdiente.<br />

Und doch bin ich froh, nun eine wesentliche<br />

Ergänzung aus der Feder<br />

eines einzelnen Schreibers vorstellen<br />

zu können, der einen anderen, wenn<br />

nicht berichtigenden Akzent setzt.<br />

Franz Stark, der Verfasser des in stark<br />

erweiterter Auflage neu erschienenen<br />

Buches „Wieviel Englisch verkraftet<br />

die deutsche Sprache? Die Chance<br />

zwischen Globalisierungserfordernis<br />

und Deutschtümelei“, ist ehemaliger<br />

Fernsehredakteur beim Bayerischen<br />

Rundfunk, heute Lehrbeauftragter<br />

an den Universitäten München und<br />

Passau. Er gehört dem Wissenschaftlichen<br />

Beirat des „Vereins <strong>Deutsche</strong><br />

Sprache“ an. Darin ist er einer der<br />

wenigen, die sprachsoziologisch argumentieren,<br />

nicht allein innerlinguistisch<br />

oder sprachgeschichtlich.<br />

Der erste Hauptteil der Schrift<br />

(Die Linguistik und die öffentliche<br />

Sprachkritik) ist allerdings zunächst<br />

sehr sorgfältigen Stellungnahmen<br />

zur Kluft zwischen akademischer<br />

„Mainstream“-Toleranz und öffentlicher,<br />

immer populärer werdenden<br />

Sprachpolitik und<br />

Sprachkultur in Europa<br />

I<br />

n diesem Tagungsband sind die<br />

Vorträge des Grazer Symposiums<br />

„Sprachpolitik und Sprachkultur<br />

in Europa“ zusammengefaßt.<br />

Diese Veranstaltung trägt durch ihre<br />

widerstreitenden Beiträge dazu bei,<br />

die Diskussion um den Einfluß des<br />

Englischen auf zahlreiche europäische<br />

Sprachen sinnvoll zu erweitern.<br />

Dafür sorgt bereits die internationale<br />

Besetzung der Tagung, die französische,<br />

slowenische, ungarische, slowakische,<br />

österreichische und deutsche<br />

Referenten aufbieten konnte. Ebenso<br />

unterschiedlich wie ihre Herkunftsländer<br />

sind die Denkansätze und Diskussionsbeiträge<br />

der Teilnehmer der<br />

Konferenz. Der Herausgeber Werner<br />

Pfannhauser betont: „In der Vielfalt<br />

der Kulturen und Sprachen liegt die<br />

Kraft Europas. Sie zu schützen, zu<br />

Anglizismenkritik gewidmet. Stark<br />

versucht mit Erfolg, der Mehrheit<br />

der deutschen Sprachwissenschaftler<br />

seriös Rechnung zu tragen, die<br />

den Gebrauch von Anglizismen für<br />

unbedenklich hält. Sein Ergebnis:<br />

So unschön und snobistisch der uns<br />

allen bekannte, weitgehend unnötige<br />

Gebrauch englischer Wörter und Redewendungen<br />

im sogenannten Neudeutschen<br />

ist – eine Bedrohung für<br />

die Vitalität der deutschen Sprache<br />

stelle er im Hinblick auf die Sprachstruktur<br />

nun noch nicht dar. Wohl<br />

aber bestehe eine solche Bedrohung<br />

hinsichtlich der Kreativität der <strong>Deutsche</strong>n,<br />

einzelne neue und attraktive<br />

Wörter und Redewendungen zu finden.<br />

Die deutsche (Neu-)Wortbildung<br />

sei gelähmt. Gäbe es diese Lähmung<br />

nicht, würde die modische Flucht<br />

ins Englische auch für Jugendliche<br />

weitgehend überflüssig. Es gibt sie<br />

jedoch, und darüber tröstet auch das<br />

reichhaltige, neugeschriebene vierte<br />

Kapitel über die kulturelle Prägung<br />

des Denkens durch die jeweilige<br />

Sprache mit all seiner Sachlichkeit<br />

nicht hinweg.<br />

Des Pudels Kern liegt nämlich im<br />

Sprachsoziologischen, im Unterschied<br />

zur bloßen Sprachpflege, die<br />

erhalten und weiterzuentwickeln, ist<br />

eine wesentliche Aufgabe unserer<br />

Zeit!“ (dsw/ifb)<br />

Mit Beiträgen von Dr. Reiner Pogarell,<br />

Dr. Kurt Gawlitta, Odile Canale,<br />

Prof. Dr. Lívia Adamcová, MMag. Dr.<br />

Helwig Brunner, Prof. Dr. Marjeta<br />

Humar, Dr. Karl Irresberger, M. A.<br />

Thomas Paulwitz, Prof. Dr. Werner<br />

Pfannhauser, Mmag. Tünde Primus-<br />

Kövendi, Prof. Dr. Gerhard Stickel.<br />

Werner Pfannhauser und Interessengemeinschaft<br />

Muttersprache in Graz<br />

(Hrsg.): Sprachpolitik und Sprachkultur<br />

in Europa – Akten des Grazer<br />

Symposiums April 2010, 1. Auflage,<br />

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Prospektblatt des Frankenland-<br />

Versands, Nürnberg, bei. Wir<br />

bitten um freundliche Beachtung<br />

ja oft sehr konservativ angehaucht<br />

war und ist, wie modern sich auch<br />

die vorher besprochenen Autoren<br />

geben. Der Autor bringt im zweiten<br />

Teil „Außerlinguistische Überlegungen<br />

zur Anglizismenkontroverse“.<br />

„Sprachsoziologisch“ bedeutet hier:<br />

die Sprache als Medium einer Kultur<br />

oder als mißbrauchtes Werkzeug einer<br />

politischen und wirtschaftlichen<br />

Globalisierungsmacht zu sehen.<br />

Die Diagnose der wirklichen Ursachen<br />

führt auf den Befund: Diese<br />

Ursachen „sind doch vorwiegend<br />

politisch-gesellschaftlicher Natur<br />

bei gleichzeitiger Erinnerungslosigkeit<br />

an gute Seiten der eigenen<br />

Geschichte und Kultur, das Fehlen<br />

historischer ‚Großerzählungen‘, wie<br />

sie bei anderen Völkern nach wie vor<br />

lebendig sind, … ein auffallend geringes<br />

kulturelles Selbstgefühl, das<br />

auch auf die Verwendung und Pflege<br />

der eigenen Sprache durchschlägt“.<br />

Dabei ist Deutschland das einzige<br />

Land Europas, das seinen Namen<br />

von der Sprache herleitet und das<br />

geschichtlich, im alten <strong>Deutsche</strong>n<br />

Reich, primär eine kulturelle und<br />

religiöse, erst spät (an welchem<br />

Maßstab „verspätet“?) auch eine<br />

politische Einheit bildete. Dieses<br />

Bewußtsein für die in erster Linie<br />

kulturelle Identität Deutschlands ist<br />

aufgrund der Vorherrschaft der Politik<br />

seit der Gründung des Zweiten<br />

<strong>Deutsche</strong>n Reiches und der heutigen<br />

Vorherrschaft von Wirtschaft und<br />

Politik vollends verblaßt.<br />

Am Schluß zitiert Franz Stark eine<br />

im Grunde skandalöse, wenngleich<br />

vielleicht realistische Sicht des Romanisten<br />

Jürgen Trabant: daß die<br />

<strong>Deutsche</strong>n, im Unterschied zu den<br />

Spaniern und Franzosen „ihre anscheinend<br />

auf ewig kompromittierte<br />

Sprache aufgeben und das Englische<br />

als Kultursprache adoptieren“<br />

werden, auf ewig kompromittiert<br />

natürlich durch gewisse zwölf Jahre.<br />

Diese Alternative, mit Thilo Sarrazin<br />

zu sprechen, daß Deutschland<br />

sich sprachlich abschafft, muß klar<br />

erkannt werden. Es ist die grausame<br />

Alternative zum vollen Aufwachen,<br />

zum Bewußtsein dessen, worum es<br />

heute eigentlich geht.<br />

Die sprach- und kultursoziologische<br />

Sichtweise stellt in meinen Augen<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011<br />

Weltweite Verständigung<br />

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manche Frage an die eher sprachpflegerischen<br />

Bemühungen des<br />

„Vereins <strong>Deutsche</strong> Sprache“, obwohl<br />

im Untertitel des zuerst besprochenen<br />

Buches doch vom „Aufwachen“<br />

die Rede war. So löblich viele, nicht<br />

alle dieser Bemühungen an sich sind,<br />

so erfolgen sie doch auf verlorenem<br />

Posten, solange Kultur als eine eigene<br />

Ebene und Aufgabe (systemtheoretisch<br />

unter den weltanschaulichethischen<br />

Grundwerten, doch über<br />

Politik und Wirtschaft) nicht klar als<br />

eigene Hauptaufgabe aller sozialen<br />

Gestaltung und somit als kulturpolitische<br />

und darin gesamtpolitische<br />

Aufgabe thematisiert wird.<br />

Die vom Verein getragene Bewegung<br />

„Deutsch ins Grundgesetz“ zielt zwar<br />

ausnahmsweise in diese gesamtpolitische<br />

Richtung. Es brauchte aber<br />

mehr Schriften wie die von Franz<br />

Stark und viele kulturbewußte Fortsetzungen<br />

seines Gedankengangs, um<br />

aus einer halbherzigen Sprachpflegerei<br />

eine kraftvolle Bewegung für die<br />

Erhaltung der nationalen Kultur(en)<br />

angesichts der alles nivellierenden<br />

Globalisierung zu machen.<br />

Das soziale Medium (die „Währung“)<br />

einer Kultur ist wie kein anderes<br />

sonst die jeweilige Muttersprache.<br />

Schon das „jeweilige“ zeigt,<br />

daß hier keinem Nationalismus das<br />

Wort geredet wird. Es könnte zwar<br />

geschickt sein, die kulturpolitische<br />

Aufgabe vom Medium der Kultur<br />

her, von der Sprache her, anzufassen.<br />

Doch das ist nur dann der Fall,<br />

wenn diese eben als soziales Medium<br />

verstanden wird und nicht als<br />

für sich zu pflegender Gegenstand<br />

der akademisch-philologischen oder<br />

laienhaften Liebhaberei, geschweige<br />

denn der Nostalgie.<br />

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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011 Literatur<br />

Seite 9<br />

Von Elmar Tannert<br />

ine Zeitlang gelangen mir Spa-<br />

E ghetti nur noch sporadisch, obwohl<br />

ich meine Methode nie änderte:<br />

Ich gab stets 200 Gramm Spaghetti<br />

mit 20 Gramm Salz in drei Liter<br />

Wasser und ließ sie exakt siebeneinhalb<br />

Minuten kochen. Als ich<br />

eines Tages zum wiederholten Male<br />

feststellen mußte, daß dieser Weg<br />

keine Spaghetti al dente mehr garantiert,<br />

sondern zu einem klebrigen<br />

ungenießbaren Knäuel führt, rief ich<br />

kurzerhand die Verbrauchernummer<br />

des Nudelherstellers an, beschwerte<br />

mich über die neuerdings mindere<br />

Qualität der Spaghetti und fragte<br />

nach dem Grund. Man forsche bereits,<br />

wurde mir mitgeteilt, denn in<br />

letzter Zeit hätten sich die Beschwerden<br />

gehäuft, und man bat mich um<br />

Geduld, ich bekäme noch Bescheid.<br />

Nur eines sei bislang sicher: an den<br />

Rohstoffen liege es nicht.<br />

Nach einigen Wochen wurde ich angerufen,<br />

ausgerechnet in einem Augenblick,<br />

in dem mein Küchenwekker<br />

meldete, daß die Spaghetti den<br />

Zustand „al dente“ erreicht hätten,<br />

zumindest theoretisch. Eine Dame<br />

von der Kundenbetreuung teilte mir<br />

mit, daß nicht ein Lebensmittelchemiker,<br />

sondern ein Linguist die Ursache<br />

gefunden habe: Es handele sich<br />

um das fehlende „h“ in der Mitte, das<br />

aufgrund der Rechtschreibreform<br />

Klebrige Spadschetti<br />

Fehlerhafte Wörter ziehen fehlerhafte Dinge nach sich<br />

„Sketsch“ geht, „Schmand“ kommt, „Spagetti“ bleibt<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

D<br />

ürftig fällt die neue Reform<br />

der Reform aus. In Brüssel<br />

übergab am 9. Dezember 2010 der<br />

Rat für deutsche Rechtschreibung<br />

seinen zweiten Tätigkeitsbericht der<br />

Kultusministerkonferenz. Er umfaßt<br />

den Zeitraum von März 2006 bis Oktober<br />

2010. Die Reform ist zum einen<br />

gerade einmal so groß, daß neue<br />

Wörterbücher zu drucken sind. Zum<br />

anderen ist sie jedoch so winzig, daß<br />

sie keinen wesentlichen Mangel behebt,<br />

wie zum Beispiel den Wirrwarr<br />

doppelter Schreibweisen.<br />

Zwar erhält die Duden-Redaktion in<br />

dem Bericht einen deutlichen Rüffel<br />

für die Empfehlung altreformerischer<br />

Schreibweisen: „Als nicht sehr glücklich<br />

wurde angesehen, dass zumindest<br />

eines der auch im Rat vertretenen großen<br />

Wörterbücher von der ‚Beobachtungsmaxime‘<br />

des Rats deutlich abgewichen<br />

ist und – v. a. im Bereich der<br />

Getrennt- und Zusammenschreibung<br />

– die Schreibungen empfohlen werden,<br />

die mit der Reform von 1996ff.<br />

verbunden sind.“ An der Ursache<br />

des Übels, daß nämlich die Doppel-<br />

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D-37284 Waldkappel<br />

entfernt worden sei. Denn das „h“,<br />

so erläuterte sie mir weiter, habe die<br />

Spaghetti locker gemacht, während<br />

Spaghetti ohne „h“, dies sei nunmehr<br />

wissenschaftlich erwiesen, klebrig<br />

würden, was sich in der Aussprache<br />

widerspiegle. Denn Spaghetti ohne<br />

„h“ spreche der Italiener bekanntlich<br />

„Spadschetti“, also mit eindeutig<br />

matschigem Klang, ohne eine Spur<br />

von al dente. Man werde die bereits<br />

ausgelieferten Packungen zurückziehen<br />

und die Spaghetti in Packungen<br />

umfüllen, die nach bewährter Orthographie<br />

neu bedruckt sind. Und im<br />

übrigen sei mit der Post eine Ersatzsendung<br />

mit drei Familienpackungen<br />

an mich unterwegs.<br />

Ich kehrte an den Herd zurück, schüttete<br />

die inzwischen verkochten Spaghetti<br />

weg, setzte mich an den Küchentisch<br />

und dachte nach. Die Sache<br />

mit dem „h“ leuchtete mir ein, denn<br />

ich hatte schon immer das Gefühl<br />

gehabt, daß die reformierte deutsche<br />

Rechtschreibung aus Fehlern besteht,<br />

die man zur Regel gemacht hat. Und<br />

fehlerhafte Wörter, überlegte ich,<br />

müssen zwangsläufig fehlerhafte<br />

Dinge nach sich ziehen. Ich begann,<br />

die Auswirkungen der Rechtschreibreform<br />

zu begreifen. Ein Phantom mit<br />

„Ph“ war mir schon immer unheimlicher<br />

vorgekommen als ein Fantom<br />

mit „F“. Ich hatte Delphine klüger ge-<br />

I<br />

Einzelheiten zur winzigen Rechtschreibreform 2011<br />

schreibweisen verschiedene willkürliche<br />

Empfehlungen zulassen, ändert<br />

sich jedoch überhaupt nichts.<br />

Unter dem Strich bleibt von viereinhalb<br />

Jahren Ratsarbeit die folgende<br />

Empfehlung: „Der Rat empfiehlt die<br />

Streichung der Variantenschreibungen<br />

Butike, Fassette, Kabrio, Katarr,<br />

Krem/Kreme, Kupee, Maffia, Maläse,<br />

Mohär, Myrre, Scharm (inkl. scharmant),<br />

Schikoree, Schose, Sketsch,<br />

Sutane, transchieren. Der Rat empfiehlt<br />

die Aufnahme der Schreibungen<br />

Caprice, Clementine, Crème,<br />

Schmand.“ Das war’s. Davon sind<br />

lediglich sechs Wörter echte Reformschreibungen,<br />

die anderen standen<br />

schon vorher im Duden. Nicht einmal<br />

zu einer „Spaghetti“-Reform hat<br />

es gereicht: Die von den Reformern<br />

erfundene Fehlschreibung „Spagetti“<br />

bleibt den Schülern erhalten.<br />

Keine Verwechslungen<br />

beim „dass“?<br />

Ein Witz ist, daß der Rat die in der<br />

„AG Korpus“ versammelten Wörter-<br />

!"#$%&'()"* !<br />

/00 12 1/ 3 1 12 453 1<br />

"## $ $ #<br />

! %<br />

& & & '<br />

funden, so lange man sie noch wie das<br />

Orakel von Delphi mit „ph“ schrieb.<br />

Ein Faß mit scharfem „s“ erschien<br />

mir plötzlich runder und geschlossener<br />

als seine scheinbar modernisierte<br />

Variante. Nur mit scharfem „s“<br />

hat ein Schloß Majestät und Würde,<br />

dachte ich, während ein Schloss mit<br />

Doppel-„s“ nichts Besseres ist als ein<br />

deutsches Einheitsreihenhaus.<br />

Und allmählich ging mir auf, warum<br />

sich seit einiger Zeit eine so lähmende<br />

Phantasielosigkeit ausbreitet.<br />

Wir fantasieren nämlich heutzutage<br />

mit „f“, und eine Phantasie, die mit<br />

„f“ beginnt, ist affig wie ein Affo-<br />

buchverlage damit beauftragte zu begutachten,<br />

ob sich die eigenen Textsammlungen<br />

für eine Beobachtung<br />

des Schreibgebrauchs eignen. Und,<br />

welch ein Wunder: „Dabei zeigte<br />

sich sehr schnell, dass Vorbehalte im<br />

Hinblick auf die Grenzen einer Korpusanalyse<br />

unbegründet waren.“ Die<br />

Textsammlungen wiesen erstaunlicherweise<br />

„einen hohen Grad an Zuverlässigkeit“<br />

auf. Wer bescheinigt<br />

sich schon selbst etwas Schlechtes?<br />

So kommt die AG Korpus zum Beispiel<br />

für das Wort „dass“ zu dem<br />

Ergebnis einer „Normentsprechung<br />

von 100 % nach dem Jahr 2000“.<br />

Die Schreibung „dass“ statt „daß“<br />

wenden die Zeitungen also angeblich<br />

völlig problemlos an. Eine kleine<br />

Stichprobe aus der Zeitungssuchmaschine<br />

„Google News“ genügt, um<br />

nachzuweisen, wie wirklichkeitsfern<br />

dies ist. So gibt es immer noch jede<br />

Menge Belege für „daß“ statt „dass“<br />

und für die fehlerhafte Schreibung<br />

von „dass“ statt „das“. Ebenso lassen<br />

sich mit Leichtigkeit Belege finden,<br />

bei denen von „das“ statt von<br />

Bild: Ed Hawco<br />

rismus, den man mit doppeltem „f“<br />

schreibt und flach wie eine Flunder<br />

obendrein, was wiederum logisch ist,<br />

denn eine Phlunder mit „ph“ wäre<br />

ein aufgeblasenes Gebilde.<br />

Ich sah auf die Uhr. Herrgott, ich war<br />

ja verabredet; mit der Freundin. Voll<br />

Sehnsucht dachte ich an einen Kuß,<br />

und im selben Moment gab es mir einen<br />

Stich. Was wäre, wenn sie „Kuß“<br />

mit Doppel-„s“ buchstabierte? Dann<br />

hätten wir schon jahrelang aneinander<br />

vorbeigeküßt. Wie können<br />

zwei Menschen im Kuß zur Einheit<br />

verschmelzen, wenn der eine ihn so<br />

schreibt und der andere so?<br />

„dass“ zu lesen ist. Die vermeintliche<br />

„Normentsprechung von 100 %“ ist<br />

also hundertprozentiger Blödsinn.<br />

Eisenbergs Rückbauversuch<br />

scheiterte<br />

Der Versuch des Sprachwissenschaftlers<br />

Peter Eisenberg, über eine<br />

Neuformulierung der Regeln den<br />

Rückbau der Reform fortzusetzen,<br />

scheiterte mit Pauken und Trompeten.<br />

So heißt es in dem Bericht vorwurfsvoll,<br />

Eisenbergs Entwurf sei<br />

„an einer entscheidenden Stelle von<br />

den geltenden Regeln“ abgewichen.<br />

Er habe nämlich „Kleinschreibung<br />

für einzelne Formen substantivierter<br />

Adjektive in erstarrten Verbindungen<br />

mit idiomatisierter Bedeutung“<br />

vorgesehen. Eisenberg wollte also<br />

wieder Schreibungen wie „im allgemeinen“<br />

(statt „im Allgemeinen“)<br />

zulassen.<br />

Das kam bei den übrigen Ratsmitgliedern<br />

allerdings schlecht an. Die<br />

Rats-„AG Linguisten“, in der neben<br />

Eisenberg die Altreformer Richard<br />

Appetit<br />

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„Bevor ich dich küsse“, fragte ich<br />

sie, „sag mir eins: Wie schreibst du<br />

‚Kuß‘?“ Sie erkundigte sich befremdet,<br />

wieso ich das wissen wolle. Ich<br />

erzählte ihr von Spagetti und Delfinen,<br />

von Flüssen und Schlössern,<br />

von Raubeinen und Raufasertapeten,<br />

die nicht mehr das seien, was sie einmal<br />

waren. „Sie sind allesamt Opfer<br />

von deutschen Sprachingenieuren<br />

geworden“, sagte ich verbittert, „die<br />

alles, was lebendig ist, in einer Norm<br />

ersticken; sogar den Kuß. Wie also<br />

schreibst du Kuß?“ fragte ich und<br />

bemerkte einen drohenden Unterton<br />

in meiner Stimme.<br />

Da eröffnete sie mir, daß sie schon<br />

immer die Sprache nach Gefühl handhabe,<br />

weswegen sie während ihrer gesamten<br />

Schulzeit mit Deutschlehrern<br />

in Konflikt gewesen sei. Insbesondere<br />

wegen ihrer Vorliebe für das „h“.<br />

Ein Thor mit „h“ hinter dem „T“ beispielsweise<br />

sei ihr nämlich eindrucksvoller<br />

vorgekommen als ein modernes<br />

Tor ohne „h“. Und „Kuß“, sagte sie,<br />

werde sie ihr Leben lang mit „Eszet“<br />

schreiben. Denn seit ihrer Kindheit<br />

denke sie bei „Kuß“ an etwas Süßes,<br />

süß wie „Eszet-Schokolade“,<br />

die heute kaum noch jemand kenne.<br />

„Wahrscheinlich wurde sie verboten“,<br />

merkte meine Freundin an, „weil sie<br />

nach der Rechtschreibreform plötzlich<br />

‚SS-Schokolade‘ hieß.“<br />

Schrodt und Peter Gallmann sitzen,<br />

und die „AG Korpus“, die die Wörterbuchverlage<br />

umfaßt, zogen die Notbremse<br />

und gaben eine gemeinsame<br />

Stellungnahme ab. Der Direktor des<br />

Instituts für deutsche Sprache (IDS),<br />

das den Rechtschreibrat beherbergt,<br />

faßte sie so zusammen: „Die zu erarbeitende<br />

Textfassung … darf keine<br />

neuen Schreibungen erzeugen, muss<br />

aber sich vollziehende Änderungen<br />

in der Schreibgewohnheit aufnehmen<br />

können. … Die Erarbeitung<br />

einer solchen Textfassung wird von<br />

den Mitgliedern der beiden AGs als<br />

mittelfristige Aufgabe verstanden,<br />

die ohne äußeren Druck angegangen<br />

werden sollte.“ Das bedeutet, daß<br />

das Regelwerk unangetastet bleiben<br />

soll und lediglich Varianten gestrichen<br />

werden können, allerdings frühestens<br />

in fünf Jahren, wenn der Rat<br />

seinen dritten Bericht abliefert.<br />

Solange Altreformer und Wörterbuchverlage<br />

die Arbeit des Rechtschreibrats<br />

bestimmen, wird die Rechtschreibreform<br />

weiterhin lediglich im<br />

Schneckentempo zurückgebaut.<br />

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Seite 10 Werkstatt<br />

Peter Ramsauers „Deutsch-Initiative“ überzeugt<br />

Die Leser der DEUTSCHENDie SPRACHWELT Sprachwahrer haben des dieJahres Sprachwahrer 2010 des Jahres 2010 bestimmt<br />

E<br />

in Minister, zwei evangelische<br />

Theologen und ein Dichter haben<br />

die meisten Stimmen bei der<br />

Wahl zum Sprachwahrer des Jahres<br />

2010 erhalten. Bundesverkehrsminister<br />

Peter Ramsauer erringt mit<br />

25,3 Prozent der Stimmen den ersten<br />

Platz. Der Pastor Joachim Gauck<br />

folgt mit 18,2 Prozent an zweiter<br />

Stelle. Auf Platz 3 liegt der Theologe<br />

und Moderator Peter Hahne gleichauf<br />

mit dem Dichter Günter B. Merkel.<br />

Beide erreichen 16,7 Prozent.<br />

Platz 1: Peter Ramsauer<br />

Peter Ramsauer folgt auf Karl-<br />

Theodor zu Guttenberg, der im vergangenen<br />

Jahr die meisten Stimmen<br />

auf sich vereinigt hatte. Seine Anfang<br />

2010 begonnene „Deutsch-Initiative“,<br />

die er auch in der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT vorstellte („Achten<br />

wir die deutsche Sprache“, DSW<br />

39), trug ihm Tausende zustimmende<br />

Zuschriften aus der Bevölkerung ein.<br />

Mit Ramsauer gibt es einen verläßlichen<br />

Anwalt der deutschen Sprache<br />

in der Bundesregierung. Er hält keine<br />

Sonntagsreden, er handelt. In seinem<br />

Ministerium wird ein entbehrlicher<br />

Anglizismus nach dem anderen getilgt.<br />

Auf über einhundert Wörter<br />

ist seine Verdeutschungsliste (siehe<br />

Kasten) inzwischen gewachsen. Eine<br />

weitere Glanztat: Der Reifenhersteller<br />

Goodyear mußte den „Highway<br />

Hero“, einen Preis für selbstloses und<br />

mutiges Handeln im Straßenverkehr,<br />

umbenennen. „Ich verleihe den Preis<br />

gerne an einen ‚Helden der Straße‘<br />

– und wenn das den Organisatoren<br />

nicht paßt, werden sie wohl mit dem<br />

Staatssekretär vorliebnehmen müssen<br />

…“ Das wirkte. Ramsauer setzt<br />

sich auch dafür ein, daß die <strong>Deutsche</strong><br />

Bahn (DB) als privatrechtlich organisiertes<br />

Staatsunternehmen weniger<br />

Anglizismen verwendet. (Das Eisen-<br />

Joachim Gauck<br />

18,2%<br />

Andere<br />

4,7%<br />

Günter B. Merkel<br />

16,7%<br />

bahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde<br />

auch für die DB untersteht dem<br />

Bundesverkehrsministerium.) Ramsauer<br />

ist sich sicher: Rüdiger Grube,<br />

der Vorstandsvorsitzende der DB, sei<br />

ein „pragmatischer und handfester<br />

Mann, der in seinem Unternehmen<br />

in jeder Hinsicht aufräumen wird –<br />

auch in dieser!“<br />

Platz 2: Joachim Gauck<br />

Wie bei der vergangenen Bundespräsidentenwahl<br />

wurde der Pastor und<br />

ehemalige Bürgerrechtler Joachim<br />

Gauck auch diesmal nur zweiter Sieger.<br />

Als wir kurz vor Weihnachten<br />

die Kandidaten für den Sprachwahrer-Preis<br />

verkündet hatten, setzte<br />

sich Gauck gleich an die Spitze. Peter<br />

Ramsauer jedoch machte Ende<br />

Dezember von sich reden, weil sein<br />

Kampf gegen Denglisch erneut in das<br />

öffentliche Interesse rückte. Dadurch<br />

entschied Ramsauer die Wahl für<br />

Die DSW in der Presse<br />

Die Nachrichtenagentur dpa meldete am 23. Dezember 2010:<br />

Gauck als „Sprachwahrer<br />

des Jahres“ nominiert<br />

rlangen (dpa) – Der ehemalige Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten,<br />

Joachim Gauck, könnte „Sprachwahrer des Jahres“ 2010 werden.<br />

Gauck sei ein sprachgewandter Redner, der seine Zuhörer mit Hilfe<br />

von verständlichem Deutsch erreiche, begründete die Zeitschrift „<strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Sprachwelt</strong>“ am Donnerstag in Erlangen ihre Entscheidung. Neben<br />

Gauck nominierte das Blatt den Schauspieler Axel Milberg („Tatort“) und<br />

den ZDF-Moderator Peter Hahne für die Auszeichnung. Weitere Kandidaten<br />

sind <strong>Deutsche</strong>-Bahn-Chef Rüdiger Grube und Bundesverkehrsminister<br />

Peter Ramsauer (CSU), die Musikgruppe „Ich + Ich“ und der Dichter<br />

Günter B. Merkel. Aber auch Moderator Stefan Mross und der Karikaturist<br />

Götz Wiedenroth dürfen auf den Preis hoffen. An der Abstimmung via Internet<br />

können sich Interessierte noch bis zum 31. Januar 2011 beteiligen.<br />

Die „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“ zeichnet Persönlichkeiten, Unternehmen oder<br />

Gruppen aus, die sich um die deutsche Sprache verdient gemacht haben.<br />

Im vergangenen Jahr wurde Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu<br />

Guttenberg (CSU) „Sprachwahrer des Jahres“.<br />

Harald Peters schrieb am 24. Dezember 2010 in<br />

der Tageszeitung „Die Welt“:<br />

Das <strong>Deutsche</strong> schafft sich ab<br />

und 105 Millionen Menschen sprechen Deutsch als Muttersprache,<br />

etwa 28 Millionen als Zweitsprache, im Vergleich der wichtigsten<br />

Sprachen der Welt steht Deutsch auf dem zehnten Platz. Dabei wird der<br />

aktive Wortschatz auf etwa 75 000 Vokabeln geschätzt; rechnet man den<br />

Fachwortschatz hinzu, kommt man sogar mühelos auf mehrere Millionen.<br />

Aber, und das wird gerne übersehen, die deutsche Sprache ist bedroht. Kleine,<br />

zunächst unscheinbare Worte aus fernen Gegenden haben sich nachhaltig<br />

in den Alltagsgebrauch eingeschlichen und zersetzen das <strong>Deutsche</strong> von innen.<br />

Die Zeitung „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“ bemüht sich seit langer Zeit, dieser<br />

Gefahr Einhalt zu gebieten und läßt daher auch 2010 den Sprachwahrer<br />

des Jahres wählen. Nominiert ist der ZDF-Moderator Peter Hahne, weil ihm<br />

„dieses ewige Denglisch auf den Wecker“ geht. Das ist ein schöner Gedanke,<br />

wenn auch etwas unsauber formuliert, das geht bestimmt noch besser. Verkehrsminister<br />

Peter Ramsauer hat in seinem Ministerium entbehrliche Anglizismen<br />

getilgt (ja, gibt es denn unentbehrliche?) und das Meeting wieder<br />

zur Besprechung gemacht – ein tapferer Mann! Noch mutiger ist der Sänger<br />

Adel Tawil der inzwischen historischen Band Ich + Ich. Er sagt: „Für mich<br />

gibt es keine andere Sprache als Deutsch.“ Schauspieler Axel Milberg hat<br />

am jährlichen „Festspiel der deutschen Sprache“ in Bad Lauchstädt teilgenommen,<br />

während Volksmusikbläser Stefan Mross sagt: „Englisch kommt<br />

bei mir nicht in die Tüte.“ Wie auch, Englisch kann man ja nicht kaufen. Und<br />

Joachim Gauck, der Bundespräsident der Herzen, fordert von der politischen<br />

Klasse: „Redet mit uns, und so, daß wir euch auch verstehen!“ Offenbar hat<br />

er das Grundprinzip der politischen Sprache nicht verstanden. Wie rührend.<br />

Wir denken, zumindest diesmal hätte er den Sieg verdient.<br />

Die Sprachwahrer des Jahres 2010<br />

Peter Ramsauer<br />

25,3%<br />

Rüdiger Grube<br />

4,5%<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011<br />

<strong>Deutsche</strong><br />

Wortwelt<br />

Das entbehrliche Fremdwort<br />

Hashtag / live / streamen<br />

Die CDU/CSU schrieb in<br />

Twitter, einem Kurzmitteilungsdienst<br />

im Netz: „Der<br />

#Kongress Sprache ist Heimat<br />

wird am Montag live gestreamt<br />

… Der Hashtag zum Kongress<br />

Sprache ist Heimat ist #sih.“<br />

Wir übersetzen das einmal:<br />

„Der Kongreß ‚Sprache ist<br />

Heimat‘ wird am Montag im<br />

Netz direkt übertragen … Das<br />

(Twitter-)Kürzel lautet #sih.“<br />

Das richtig geschriebene Wort<br />

Libyen<br />

Der Name „Libyen“ geht<br />

auf die griechische Fassung<br />

„libyē“ der altägyptischen Bezeichnung<br />

„ribu“ zurück. Er<br />

gelangte über das Lateinische<br />

„libya“ ins <strong>Deutsche</strong>. Für uns<br />

ist das Wort schwierig auszusprechen,<br />

weil wir den Laut<br />

„ü“ in der Regel nur betont<br />

aussprechen, die Betonung<br />

von „Libyen“ jedoch auf der<br />

ersten Silbe liegt. Außerdem<br />

sind sich die Laute „i“ und „ü“<br />

sehr ähnlich. Daher kommt es<br />

zu Verwechslungen.<br />

Das treffende Wort<br />

zeitnah / bald<br />

Das Modewort „zeitnah“ ist<br />

bei Behörden, Politikern und<br />

Zeitungsschreibern sehr beliebt.<br />

Meistens bedeutet es<br />

schlicht und einfach „bald“,<br />

manchmal „sofort“, „kurzfristig“,<br />

„schnellstmöglich“,<br />

„zeitgemäß“ oder „neu“. Es<br />

läßt sich also immer durch ein<br />

schöneres Wort ersetzen.<br />

Das richtig gebeugte Wort<br />

geschafft / geschaffen<br />

Je nach Bedeutung wird das<br />

Wort „schaffen“ regelmäßig<br />

(schaffte, geschafft) oder unregelmäßig<br />

(schuf, geschaffen)<br />

gebeugt. Wer etwas geschafft<br />

hat, hat etwas geleistet. Wer etwas<br />

geschaffen hat, hat etwas<br />

entstehen lassen. Am Anfang<br />

schuf Gott Himmel und Erde.<br />

Er schaffte es.<br />

Welche weiteren Wörter sollten<br />

in dieser Wortwelt stehen?<br />

Schreiben Sie uns!<br />

„Platt is cool“ – Hochdeutsch wertlos<br />

D<br />

Peter Hahne<br />

16,7%<br />

Axel Milberg<br />

3,6%<br />

Götz Wiedenroth<br />

2,8%<br />

Ich + Ich<br />

3,5%<br />

Stefan Mross<br />

4,0%<br />

sich, da die Stimmen für ihn sprunghaft<br />

zunahmen. Doch auch Gauck<br />

hätte als sprachgewandter Redner,<br />

der seine Zuhörer mit Hilfe von kla-<br />

äußert er nicht einfach nur sein Unbehagen<br />

gegen eine als unangenehm<br />

empfundene Sprachentwicklung,<br />

sondern unterstreicht auch den Wert<br />

der Sprache für den Zusammenhalt<br />

des Volkes. Hahne fordert sprachpolitisches<br />

Handeln als „Schutz gegen<br />

Zwangsverblödung“: „Offenbar muß<br />

das Vaterland die Muttersprache per<br />

Grundgesetz schützen, da alle Appelle<br />

und Versprechungen nicht helfen.“<br />

Überraschend errang der weniger<br />

bekannte Dichter Günter B. Merkel<br />

ebenfalls den 3. Platz. Gründe<br />

für diesen Erfolg waren nicht nur<br />

seine Verse, die regelmäßig auch in<br />

der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />

zu lesen sind, sondern auch die Berichterstattung<br />

der Presse in seiner<br />

Heimat, wodurch viele auf uns aufmerksam<br />

wurden. Unter anderem berichtete<br />

die „Rhein-Neckar-Zeitung“<br />

ausführlich. Der „Mannheimer Morgen“<br />

brachte ein Gespräch mit Merkel,<br />

in dem dieser sagte: „Ich hoffe<br />

auf das Wohlwollen jener kritischen<br />

Zeitgenossen, die sich dem Zeitgeist<br />

Ramsauers Liste (Auszug)<br />

Advisory Board Beirat<br />

Beamer Datenprojektor<br />

Brainstorming Ideensammlung<br />

Briefing Vorbesprechung<br />

Checkliste Prüfliste<br />

Computer Rechner<br />

Deadline Abgabetermin,<br />

Frist<br />

Debriefing Nachbesprechung<br />

e-government elektronische<br />

Behördendienste<br />

Flipchart Tafelschreibblock,<br />

Schreibblocktafel<br />

Flyer Faltblatt<br />

Good Governance verantwortungs-<br />

bewußte Regie-<br />

rungsführung<br />

keynote speech Grundsatzrede<br />

rem Deutsch erreicht, den ersten Platz<br />

verdient gehabt. Seine Forderung<br />

nach verständlichem Politikerdeutsch<br />

wird von vielen Menschen geteilt.<br />

Platz 3: Peter Hahne<br />

und Günter B. Merkel<br />

Peter Hahne ist ein Glücksfall für<br />

die deutsche Sprachkritik. Er setzt<br />

sich nicht nur mit deutlichen und<br />

schnörkellosen Worten für die deutsche<br />

Sprache ein; er erreicht damit<br />

auch eine breite Öffentlichkeit: sei es<br />

als ZDF-Moderator, Bild-Kolumnist<br />

oder erfolgreicher Buchautor. Dabei<br />

Kick-off-Meeting Auftaktveranstal-<br />

tung<br />

Laptop mobiler Rechner<br />

Mail elektronische Post,<br />

Elektropost<br />

Meeting Besprechung,<br />

Sitzung, Treffen<br />

Monitoring Überwachung,<br />

Beobachtung,<br />

Kontrolle<br />

Styleguide Gestaltungs-<br />

handbuch<br />

Task Force Projektgruppe<br />

Team Gruppe<br />

Ticket Fahrschein, Flug-<br />

schein<br />

Travel Management Reisestelle<br />

Voting Abstimmung<br />

widersetzen und es ablehnen, den<br />

Mischmach nachzuplappern, den<br />

ihnen die Werbung vorsetzt, die<br />

mit Unverständnis und Wut auf<br />

die Flut des Kauderwelsches reagieren,<br />

… und ich hoffe auf die<br />

Stimmen jener Mitbürger, die die<br />

Wort-Akrobatik des ‚gnadenlosen<br />

Dichters‘ mögen.“ Möge die Wahl<br />

zum „Sprachwahrer des Jahres“<br />

auch in Zukunft dazu anspornen,<br />

für gutes Deutsch einzutreten!<br />

www.deutsche-sprachwelt.de/<br />

sprachwahrer<br />

und rufen unsere Leser zum Protest auf<br />

Das niedersächsische Kultusministerium wirbt mit<br />

Denglisch für Plattdeutsch<br />

as Richtige wollen, aber das Falsche tun: Johanna<br />

Wanka hat Übung darin. Als Kultusministerin<br />

des Landes Brandenburg erklärte sie einst<br />

freimütig dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“,<br />

kurz nachdem sie ihre Amtszeit als Präsidentin der<br />

Kultusministerkonferenz beendet hatte: „Die Kultusminister<br />

wissen längst, daß die Reform falsch war …<br />

Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen<br />

worden.“<br />

Heute ist Wanka Wissenschafts- und Kultusministerin<br />

in Niedersachsen und will etwas für Plattdeutsch<br />

tun. Sprachen 1986 noch fünf Millionen Niedersachsen<br />

Platt, so hat sich diese Zahl bis heute halbiert.<br />

Um das Aussterben des Plattdeutschen zu verhindern,<br />

unterstützt das Ministerium einen Musikwettstreit<br />

für junge Nachwuchsmusiker. Doch Hochdeutsch<br />

ist dabei offenbar nicht gern gesehen, sonst würden<br />

die Veranstalter es nicht so verhunzen. Der Wettbewerb<br />

heißt nämlich „Plattsounds – der plattdeutsche<br />

Bandcontest“ und ist Teil des Gemeinschaftsprojekts<br />

„Platt is cool“. „Plattsounds bietet die Möglichkeit,<br />

das Interesse und die Akzeptanz für Niederdeutsche<br />

Musik und Sprache bei Jugendlichen zu erhöhen“,<br />

meint Wanka. Die deutsche Sprache ist dabei wohl<br />

nicht akzeptiert.<br />

Auf einen entsprechenden Beschwerdebrief der „Aktion<br />

<strong>Deutsche</strong> Sprache“ (ADS) ist Wanka wiederum<br />

um eine Begründung nicht verlegen. Diesmal muß<br />

allerdings nicht die „Staatsräson“ herhalten. Hochdeutsch<br />

ist für Wanka einfach nicht modern genug:<br />

„Die Idee, den niederdeutschen Schüler-Band-Wettbewerb<br />

‚Plattsounds‘ zu nennen, soll keinen Affront<br />

gegen die deutsche Sprache darstellen, sondern als<br />

eine gelungene sprachliche Verbindung aus Tradition<br />

und Innovation verstanden werden“, antwortete<br />

Wanka am 31. Januar dieses Jahres der ADS. (dsw)<br />

Sprachsünder Ecke An dieser Stelle stellen wir Sprachsünder vor, die besonders unangenehm aufgefallen sind,<br />

Fragen Sie die niedersächsische Kultusministerin Johanna<br />

Wanka, warum zwischen „Tradition und Innovation“<br />

kein Platz mehr für die deutsche Sprache<br />

ist, und lassen Sie uns bitte ein Doppel zukommen:<br />

Sprachsünderin Frau Kultusministerin Prof. Dr. Johanna<br />

Wanka, Leibnizufer 9, D-30169 Hannover,<br />

Telefon +49-(0)511-120-2401, Telefax +49-(0)511-<br />

120-2622, johanna.wanka@mwk.niedersachsen.de


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011 Anstöße<br />

Seite 11<br />

Von Hartmut Heuermann<br />

S<br />

teckt hinter Denglisch eine<br />

Ideologie? Wer diese Frage<br />

hört, wird mit einer Antwort wahrscheinlich<br />

zögern. Entweder, weil<br />

er sich über den Ideologiebegriff<br />

nicht gleich im klaren ist, oder weil<br />

ihn dessen Anwendung auf die Erscheinung<br />

„Denglisch“ vor Probleme<br />

stellt. Er mag Denglisch vielleicht als<br />

modische Marotte, als zwitterhafte<br />

Pseudosprache, als dümmliche Nachäfferei<br />

oder als Symptom kulturellen<br />

Niedergangs ansehen; möglicherweise<br />

sieht er Denglisch aber auch bloß<br />

als Erscheinungsform eines natürlichen<br />

Sprachwandels. Doch als Ideologie?<br />

Ist das Phänomen dazu nicht<br />

viel zu verschwommen und zufällig,<br />

geistig unausgegoren und gesellschaftlich<br />

belanglos? Ideologien sind<br />

doch systematisch entwickelte Gedankengebäude<br />

mit geistig nachvollziehbaren<br />

Aussagen und politischen<br />

Ansprüchen. Vermitteln sie nicht ein<br />

spezifisches Welt- und Menschenbild<br />

mit erkennbarem geistigem Profil?<br />

Die treffende Definition eines Gelehrten,<br />

des Philosophen Karl Jaspers, mag<br />

uns auf die Sprünge helfen: „Ideologie<br />

heißt ein Gedanken- oder Vorstellungskomplex,<br />

der sich dem Denkenden zur<br />

Deutung der Welt und seiner Situation<br />

in ihr als absolute Wahrheit darstellt,<br />

jedoch so, daß er damit eine Selbsttäuschung<br />

vollzieht zur Rechtfertigung,<br />

zur Verschleierung, zum Ausweichen,<br />

in irgendeinem Sinne zu seinem gegenwärtigen<br />

Vorteil.“ Demnach gibt<br />

es also drei Merkmale: erstens einen<br />

Gedanken- oder Vorstellungskomplex<br />

mit Wahrheitsanspruch; zweitens eine<br />

Deutung der Welt aus der Sicht des<br />

Denkers/Deuters (= Ideologen); drittens<br />

eine Vorteilsbeschaffung durch<br />

Verschleierung des Motivs.<br />

So weit, so gut. Weshalb aber Verschleierung?<br />

Und was genau soll verschleiert<br />

werden? Gesellschaftswissenschaftler<br />

sind sich weithin einig,<br />

Steckt hinter Denglisch eine Ideologie?<br />

Muß jeder „im Job permanently seine intangible assets mit high risk neu relaunchen“?<br />

daß es der Machttrieb ist, das archaisch<br />

angelegte Streben des Menschen<br />

nach Geltung und Herrschaft. Ideologen<br />

sind machtgierige Einzelwesen<br />

oder auf Herrschaft erpichte Gruppen.<br />

Sie predigen bestimmte „Wahrheiten“,<br />

ohne zu erkennen oder einzugestehen,<br />

daß diese vornehmlich<br />

ihnen selbst nutzen, während sie anderen<br />

eher zum Nachteil gereichen.<br />

In einer Kurzformel: Ideologie ist<br />

behauptete Wahrheit hinter der Larve<br />

beanspruchter Macht.<br />

Der Anspruch wird verschleiert, weil<br />

die Gier nach Macht als „rohe“ Gemütserregung<br />

in der zivilisierten Gesellschaft<br />

verpönt ist. Der Trieb wird<br />

„rationalisiert“, umgewandelt in eine<br />

Doktrin, die als segensreich, da vorgeblich<br />

wahr, verkauft wird und nicht<br />

anstößig erscheint. Letztlich dienen<br />

Ideologien der Errichtung von Herrschaftssystemen,<br />

die Machtgelüste<br />

befriedigen. Doch auf niederer Ebene<br />

können Denkschulen, Organisationen<br />

und Institutionen entstehen,<br />

die die Handschrift der Ideologie nur<br />

mittelbar erkennen lassen. Läßt sich<br />

das – so oder so – auf Denglisch anwenden?<br />

Zunächst können wir getrost alle diejenigen<br />

vernachlässigen, die diesen<br />

sprachlichen Zwitter als reine Modeerscheinung<br />

kultivieren und einem<br />

pubertären Internationalismus frönen.<br />

Es sind die, welche sich „hip“<br />

dünken, sich an vorderster Front populärer<br />

Trends wähnen und im Gebrauch<br />

fetzig-poppiger Formen der<br />

Verständigung ihre Selbstbestätigung<br />

finden. Sie mögen sich weltmännisch<br />

fühlen, doch Weltbürgertum<br />

äußert sich anders als in denglischen<br />

Sprachfetzen, und einer Ideologie<br />

entspricht ihr Weltbild wohl kaum.<br />

Anders sieht es freilich bei den Großunternehmen<br />

und multinationalen<br />

Konzernen aus, welche die Globali-<br />

Den Fokus an<br />

den Hörnern gepackt!<br />

Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher Sicht (6)<br />

Von Günter Körner<br />

ie sprachphilosophische Prag-<br />

D matik verwendet das Wort<br />

„Fokus“ zur Kodierung von Satzteilen,<br />

in denen etwas behauptet oder<br />

gefragt wird. Äußert aber ein Minister,<br />

„wir“ wollten prüfen, inwieweit<br />

„wir“ ankündigen könnten, darüber<br />

nachzudenken, „den Fokus“ auf die<br />

Sicherheitsverwahrung zu legen, so<br />

sei ihm wenigstens unterstellt, er<br />

habe das Thema „Sicherheitsverwahrung“<br />

auf einem Zettel notiert.<br />

Sicher haben unverbindlich formulierende<br />

Politiker anderes im Sinn,<br />

als den Mikrofonträgern ein Beispiel<br />

von Diskurspragmatik anzubieten.<br />

Doch sogar diejenigen, die mit dem<br />

Sachverhalt in ihren Verlautbarungen<br />

vertraut sind, handhaben den Begriff<br />

„Fokus“ in modischer Fehlleistung.<br />

Dabei fordert die Bildhaftigkeit der<br />

physikalischen Bedeutung des „Fokus“<br />

seine Benutzung in einer eindrucksvollen<br />

Sprechweise geradezu<br />

heraus. Im Brennpunkt optischer oder<br />

elektromagnetischer Geräte kann es<br />

einerseits heiß hergehen, andererseits<br />

die Quantenstreuung zu einem<br />

vergrößert erscheinenden Betrachtungsfeld<br />

führen. Weiters bietet die<br />

wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen<br />

mit „Herd“ eine Metapher<br />

mit umfangreichen Einsatzmöglichkeiten.<br />

So haben sich beispielsweise<br />

die Mediziner des „Herdfeuers“<br />

bedient, um die – hier unerwünschte<br />

– Hitze im Mittelpunkt einer körperlichen<br />

Entzündung zu verdeutlichen.<br />

Was leistet der „Fokus“ als Bild? Als<br />

Sammelstelle gebündelten Lichts<br />

kann er beleuchten, bestrahlen, blenden,<br />

brennen, erhitzen, feuern, gleißen,<br />

glühen, strahlen, verschmoren,<br />

zerschmelzen. Umgekehrt wird er<br />

aufzeigen, darstellen, erhellen, erleuchten,<br />

ordnen, scheinen, strahlen,<br />

vereinzeln. Als Akkusativobjekt kann<br />

man ihn auf- oder abblenden, ihn eingrenzen,<br />

einrichten, einstellen, entfachen,<br />

verstärken. Will ihn jemand<br />

jedoch auffrischen, beschleunigen,<br />

drücken, fangen, gutheißen, legen,<br />

opfern, packen, oder verzögern, so<br />

möge er sich von einem Besserwissenden<br />

„reinen Tisch einschenken“<br />

lassen.<br />

sierung vorantreiben und daraus den<br />

Globalismus schaffen, jene weltumspannende<br />

neoliberale Wirtschaftslehre,<br />

die die Weltwirtschaft über den<br />

Leisten eines turbokapitalistischen<br />

Systems schlägt. In ihrem Fahrwasser<br />

bewegen sich Nutznießer wie Banker,<br />

Manager, Ökonomen, Börsenspezialisten<br />

und Werbepsychologen, die<br />

den Globalismus zur Heilslehre der<br />

Menschheit gekürt haben.<br />

Hier wird Englisch zu einem Motor,<br />

und wo einschlägige Sprachkompetenz<br />

nicht ausreicht, werden die<br />

mischmaschigen Gebilde namens<br />

Denglisch, Franglais, Italianglo oder<br />

Spanglish zu Hilfsaggregaten dieses<br />

Motors. Hier geraten die bestehenden<br />

Nationalsprachen unter das Diktat<br />

eines angloamerikanischen Kultur-<br />

und Wirtschaftsimperialismus und<br />

werden (lexikalisch) umgemodelt.<br />

Das Hilfsmittel der (pseudo-)englischen<br />

Sprache, so die Berechnung<br />

der „Anglo-Fuzzies“ (Wolf Schneider),<br />

erleichtert die Durchsetzung der<br />

Interessen der „Global Player“. Was<br />

sie dabei verkennen: Nicht-Sprachkundige<br />

geraten unter Zwänge, die<br />

Sprache ist Heimat<br />

Kongreß der Unionsfraktion im Bundestag<br />

Von Reingard Böhmer und Diethold Tietz<br />

Z<br />

um Tag der Muttersprache am<br />

21. Februar dieses Jahres lud<br />

die Fraktion der CDU/CSU zu einem<br />

Kongreß in den Bundestag ein. Er<br />

stand unter dem Motto „Sprache ist<br />

Heimat“. Über 200 Teilnehmer waren<br />

der Einladung gefolgt. Sie alle bewegte<br />

unter anderem die abnehmende<br />

Sprachkompetenz in Deutschland<br />

und deren Folgen, wie zum Beispiel<br />

die Allgegenwart des Englischen und<br />

die Verdrängung des <strong>Deutsche</strong>n aus<br />

den Einrichtungen der EU.<br />

Persönlichkeiten wie die Literaturnobelpreisträgerin<br />

Herta Müller, die<br />

Kammersängerin Edda Moser, der<br />

Literaturkritiker Hellmuth Karasek<br />

und Bundestagspräsident Norbert<br />

Lammert verliehen dem Kongreß Gewicht.<br />

Einer der Grundgedanken war:<br />

Die Muttersprache bewußt zu nutzen<br />

und ihre Schönheit zu genießen, vermittelt<br />

und festigt das Heimatgefühl.<br />

einer demokratischen Legitimierung<br />

entbehren und sie im sprachlichen<br />

Leben benachteiligen. Hier werden<br />

– einseitig – Machtansprüche artikuliert<br />

und Interessen durchgesetzt,<br />

die den wirtschaftlichen Ertrag an<br />

sprachliche Strategien knüpften, die<br />

den Nationalsprachen Gewalt antun.<br />

Versprochen werden die Segnungen<br />

eines weltweiten Marktes, bewirkt<br />

werden jedoch – wie von Joseph<br />

Stieglitz, Ulrich Beck und anderen<br />

gezeigt – die Besserstellung der<br />

Nutznießer und die Benachteiligung<br />

aller anderen. Wie immer die Zukunft<br />

der „Weltsprache“ Englisch<br />

aussieht: Noch leben wir in Nationalstaaten<br />

mit nationalen Sprachen und<br />

nationalen Kulturen. Von einer Welt<br />

mit einer Weltsprache sind wir weit<br />

entfernt. Wollen wir unterdessen in<br />

Limbo (in einem Schwebezustand)<br />

leben, wo die Menschen nicht mehr<br />

richtig Deutsch und noch nicht richtig<br />

Englisch sprechen?<br />

Wenn Hilmar Kopper, der ehemalige<br />

Vorstandssprecher der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bank, sein Publikum folgenderma-<br />

Auch drei Vertreter des Sprachrettungsklubs<br />

Bautzen waren der Einladung<br />

gefolgt und konnten mit Genugtuung<br />

feststellen, daß die brennenden<br />

Fragen klar und deutlich – wenn auch<br />

mit unterschiedlicher Bewertung –<br />

angesprochen wurden. Etwa: Ist die<br />

deutsche Sprache bedroht? Ist sie gar<br />

dem Untergang geweiht?<br />

Die Referenten beschränkten sich<br />

nicht nur auf statistische Aussagen<br />

wie: Für 100 Millionen Menschen ist<br />

Deutsch die Muttersprache, und 20<br />

Millionen Menschen lernen weltweit<br />

Deutsch als Fremdsprache. Viele der<br />

Ausführungen mündeten in der These,<br />

daß die Muttersprache der Nährboden<br />

für präzises Denken sei.<br />

Mit einer etwas knapp bemessenen<br />

Diskussionsrunde für die Zuhörer endete<br />

die Veranstaltung. Diethold Tietz<br />

vom Sprachrettungsklub Bautzen<br />

Ali schlägt Mohammed<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

W<br />

o bleibt Mohammed? Abgeschlagen<br />

auf Platz 116 finden<br />

wir ihn unter den beliebtesten männlichen<br />

Vornamen des Jahres 2010 in<br />

Deutschland. In westlichen Nachbarländern<br />

sieht es völlig anders aus. So<br />

meldete der Daily Telegraph im Oktober<br />

2010, daß nach Angaben der Nationalen<br />

Statistikbehörde nicht mehr<br />

„Jack“, sondern „Mohammed“ der<br />

am häufigsten vergebene Vorname in<br />

England sei. Die Engländer fühlen sich<br />

jedoch nicht als Sonderfall, denn sie<br />

weisen mit Recht darauf hin, daß nicht<br />

nur in London, sondern auch in Brüssel,<br />

Amsterdam, Kopenhagen und Oslo<br />

„Mohammed“ der am häufigsten vergebene<br />

Vorname für Neugeborene ist.<br />

Wie sieht es hingegen in der deutschen<br />

Hauptstadt Berlin aus? Unter den ersten<br />

30 Plätzen suchen wir vergeblich nach<br />

Mohammed. „Ali“ hat es im Jahr 2010<br />

gerade einmal auf Platz 29 geschafft<br />

und damit Mohammed überflügelt. Ge-<br />

genüber den Vorjahren hat sich die Plazierung<br />

Mohammeds in Deutschland<br />

sogar verschlechtert: von Platz 84 im<br />

Jahr 2007, 96 im Jahr 2008, 97 im Jahr<br />

2009 auf jetzt nur noch Platz 116.<br />

Auch in Frankreich liegt der Name<br />

„Mohammed“ nicht besonders hoch<br />

im Kurs und landet auf den hinteren<br />

Plätzen. Vor kurzem erregte ein Fall<br />

Aufsehen, bei dem ein Praktikant einer<br />

nordfranzösischen Firma entlassen<br />

wurde, weil er sich nicht mit dem Namen<br />

„Alexandre“ am Telefon nennen<br />

wollte. Sein Arbeitgeber hatte ihm das<br />

Pseudonym angetragen, weil er glaubte,<br />

daß es bei seinen Kunden schlecht<br />

ankomme, wenn der Praktikant sich mit<br />

seinem richtigen Namen „Mohammed“<br />

meldete. Moslemische Interessenverbände<br />

empörten sich darüber, so gelangte<br />

der Fall auch in unsere Presse.<br />

Was ist das Besondere an dem männlichen<br />

Vornamen „Mohammed“? Er ist<br />

ßen anredet, dann ist das – vordergründig<br />

– nur lächerlich: „Jeder muß<br />

im Job permanently seine intangible<br />

assets mit high risk neu relaunchen<br />

und seine skills so posten, daß die<br />

benefits alle ratings sprengen, damit<br />

der cash-flow stimmt. Wichtig<br />

ist corporate identity, die mit perfect<br />

customizing und eye catchern jedes<br />

Jahr geupdated wird.“<br />

Doch hintergründig verrät die Sprache<br />

die Denkweise eines Mannes, der<br />

so unter die verinnerlichten Zwänge<br />

seines Berufes geraten ist, daß die<br />

geäußerten Interessen zur Ideologie<br />

geronnen sind. Kopper bezweifelt<br />

offenbar keine Sekunde die „Wahrheit“<br />

seiner Aussage. Sein verunglückter<br />

Fachjargon ist Ausdruck eines<br />

Berufs- und Gesellschaftsbildes,<br />

das seine ideologischen Ansprüche<br />

kaum verbergen kann: „Jeder muß<br />

im Job permanently seine intangible<br />

assets mit high risk neu relaunchen<br />

…“ Wieso muß er das?<br />

Prof. Dr. Hartmut Heuermann lehrte<br />

Amerikanistik an der Technischen<br />

Universität Braunschweig.<br />

nutzte die Gelegenheit, für die „Straße<br />

der deutschen Sprache“ zu werben.<br />

Weitere Diskussionsteilnehmer forderten<br />

von der CDU/CSU-Fraktion,<br />

daß die deutsche Sprache nun endlich<br />

ins Grundgesetz aufgenommen<br />

werde. Norbert Lammert erklärte,<br />

daß die politischen Kräfte über diese<br />

Frage weniger inhaltlich als vielmehr<br />

parteitaktisch diskutierten. Unter den<br />

58 Änderungen und Ergänzungen des<br />

Grundgesetzes seit 1949 seien keine<br />

fünf Änderungen, „die es an Bedeutung<br />

und Rang mit der Sprache als<br />

Mittel der Selbstverständigung und<br />

Identität eines Landes aufnehmen<br />

können“. Bleibt die Hoffnung, daß<br />

die 59. Grundgesetz-Ergänzung den<br />

Worten auch Taten folgen läßt.<br />

„Unsere deutsche Sprache pflegen“:<br />

Positionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

zur deutschen Sprache<br />

(Beschluß vom 8. Februar 2011)<br />

nicht nur der häufigste Vorname der<br />

Welt, sondern seine Verbreitung gilt<br />

auch als Zeichen dafür, wie stark sich<br />

eine moslemische Einwanderergruppe<br />

zum Religiösen hinwendet. Umgekehrt<br />

könnte man die sinkende Anziehungskraft<br />

von Apostelnamen bei der<br />

Namensvergabe – von „Lukas“ und<br />

„Paul“ einmal abgesehen – als Zeichen<br />

wachsender Entfremdung von der Kirche<br />

verstehen.<br />

Selbstverständlich sollten wir die Beweiskraft<br />

der Statistik nicht überbewerten.<br />

Bei der Namensvergabe spielen oft<br />

auch ganz andere Gründe eine Rolle.<br />

Könnte der Verzicht auf „Mohammed“<br />

aber nicht vielleicht doch ein Zeichen<br />

dafür sein, daß in Deutschland – anders<br />

als in bestimmten west- und nordeuropäischen<br />

Staaten – die Eingliederungsschwierigkeiten<br />

vieler Türken und<br />

Araber nicht in erster Linie in den religiösen,<br />

sondern in anderen kulturellen<br />

Unterschieden zu suchen sind?


Seite 12 Bunte Seite<br />

Wir <strong>Deutsche</strong> oder wir <strong>Deutsche</strong>n?<br />

Von Rominte van Thiel<br />

M<br />

it „uns <strong>Deutsche</strong>n“ gibt es<br />

Schwierigkeiten. Nein, damit<br />

meine ich keine politischen Verwicklungen,<br />

sondern die Verwendung des<br />

Wortes, das uns bezeichnet. Anlaß<br />

ist ein Beitrag Michael Wolffsohns<br />

für die Tageszeitung „Die Welt“ von<br />

Anfang Februar dieses Jahres. Der<br />

Historiker schrieb nämlich, Außenminister<br />

Guido Westerwelle wisse<br />

nicht, wie dieses Wort gebeugt wird,<br />

denn er sage oft „Wir <strong>Deutsche</strong>“.<br />

Und das sei schlichtweg falsch, obwohl<br />

Westerwelle die deutsche Sprache<br />

doch in Wort und Schrift fließend<br />

beherrsche.<br />

Wolffsohn meinte weiter: „Der Bursche<br />

im Singular, die Burschen im<br />

Plural und nicht die Bursche. Oder:<br />

Der Lurch und die Lurche. Also: Der<br />

oder die <strong>Deutsche</strong> im Singular und<br />

die <strong>Deutsche</strong>n im Plural, also auch<br />

Wir <strong>Deutsche</strong>n. Wenn Westerwelle<br />

‚Wir <strong>Deutsche</strong>‘ sagt, vermengt er<br />

Singular und Plural.“<br />

Das ist scheinbar einleuchtend. Wie<br />

ist es aber, wenn wir statt des bestimmten<br />

Artikels den unbestimmten<br />

setzen? Ob „der“ oder „ein“, der<br />

Bursche bleibt ein Bursche. Nicht<br />

so der <strong>Deutsche</strong>, aus ihm wird „ein<br />

<strong>Deutsche</strong>r“. Auch im Plural ist der<br />

<strong>Deutsche</strong> widerspenstig: Ob „die<br />

Burschen“ oder „Burschen“, die<br />

Endung bleibt gleich, nicht so bei<br />

uns <strong>Deutsche</strong>n. Aus „der <strong>Deutsche</strong>“<br />

werden „die <strong>Deutsche</strong>n“. Aus „ein<br />

<strong>Deutsche</strong>r“ werden aber im Plural<br />

„<strong>Deutsche</strong>“.<br />

Des Rätsels Lösung: Was uns bezeichnet<br />

ist eben, anders als bei einem<br />

Franzosen, einem Briten oder<br />

Serben, ein substantiviertes Adjektiv,<br />

Es ist nicht einfach mit unserem Volksnamen<br />

A<br />

ls Bundesverkehrsminister<br />

Ramsauer Ende Dezember<br />

2010 wieder als Hüter<br />

unserer Muttersprache auftrat,<br />

schlugen die Wellen in der<br />

Presse hoch. Er hatte einst in seinem<br />

Ministerium, so die „Financial Times<br />

Deutschland“, eine Anzeige mit dem<br />

Text „Inhouse Meeting über Outsourcing<br />

Projekte“ gelesen, die ihn so erzürnte,<br />

daß er seitdem gegen „überflüssige<br />

Anglizismen“ vorgeht – in seinem<br />

Ministerium wie bei der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bahn (DB). Die Medien überschlugen<br />

sich mit Kritik an ihm. Der „Winterminister“<br />

solle lieber die Probleme lösen,<br />

die durch die unerwarteten großen<br />

Schneemengen und das Blitzeis entstanden<br />

seien, statt gegen Denglisch<br />

durchzugreifen, lautete der Tenor.<br />

Doch was spricht eigentlich dagegen,<br />

neben dem Auftauen eingefrorener<br />

Weichen auch die Weichen für eine<br />

Von Dagmar Schmauks<br />

DSW-Silbenrätsel<br />

1. sehr alter Alkohol (Kurzform) – 2. austauschbare Gefängnisstrafe – 3.<br />

nicht-städtisches Hühnerprodukt – 4. Flaggen schlachtreif füttern – 5. Diener<br />

eines Textilherstellers – 6. streitsüchtige Frucht – 7. freiwillige Übung<br />

des kleinen Wilhelm – 8. jemand, der die Anzahl großer Flüsse feststellt<br />

– 9. Gerät, mit dem man geborgtes Geld fängt – 10. etwas in einen großen<br />

Topf tun – 11. Frau, die kleinen Fingerschmuck nicht hört – 12. Muskelzucken<br />

durch vergorenen Traubensaft – 13. was der Scharfrichter ißt – 14.<br />

jemand, der Honighersteller betastet – 15. Kuriere tragen dieses Gewebe<br />

– 16. Schreibgerät für Arbeitsunterbrechungen – 17. schlüpfriger Regen-<br />

Die Weichen stellen?<br />

verständlichere und damit<br />

bessere Sprache zu stellen?<br />

Was spricht dagegen, neben<br />

der Beseitigung der Schneemassen<br />

und des Blitzeises<br />

an den Oberleitungen auch dafür zu<br />

sorgen, daß wir nicht auf dem denglischen<br />

Sprach-Parkett ausrutschen? Im<br />

übrigen wird das Wetter schon morgen<br />

„Schnee von gestern“ sein oder ist<br />

es heute schon; schön wäre es, wenn<br />

das auch vom „Service Point“, „Kiss<br />

& Ride“ und von anderem DB-Unsinn<br />

gesagt werden könnte, meint<br />

Ihr Anglizismenmuffel<br />

Wolfgang Hildebrandt<br />

Wolfgang Hildebrandt, Mal ganz ehrlich<br />

– denglischst du noch oder sprechen<br />

Sie schon?, Band 2, ISBN 978-3-<br />

929744-52-1, 6,00 Euro. Bestellungen:<br />

Wolfgang Hildebrandt, Am Steingrab<br />

20a, D-27628 Lehnstedt, Telefon +49-<br />

(0)4746-1069, Telefax +49-(0)4746-<br />

931<strong>43</strong>2, hillesimm@t-online.de<br />

schutz – 18. wärmendes Kriechtier – 19. Schlafmöbel oberhalb der Eisenbahn<br />

– 20. jemand, der durch Faserpflanzen kriecht – 21. kleines Unglück<br />

von Borstenvieh – 22. Fernwaffe, die Schmutz verteilt – 23. Lebensraum<br />

eines Kellners – 24. innerster Lotterieschein – 25. Meßlatte für Nachtlokale<br />

– 26. Bulle, der zwei Kühe begattet – 27. haarige Haut des Internets –<br />

28. kleiner Blutsauger als Anwendung für sog. „Smartphones“ – 29. wenn<br />

Mönche ihre Zimmer halbieren – 30. besonders gründliche Reinigung<br />

an – ap – ap – ba – baum – be – ber – ber – ber – bett – bie – bo – che – chen<br />

– dek – den – der – dop – dreck – ei – ein – fah – fal – fein – fel – fer – flä – füh –<br />

fül – ge – gel – gleit – haft – heiz – hen – kalk – ker – kern – kers – kes – knecht<br />

– krampf – kür – land – le – lend – ler – ler – ler – los – lung – mahl – mast<br />

– me – ne – nen – nen – o – pau – pel – pelz – plaus – putz – rin – ro – schirm<br />

– schlan – schleu – schlüp – schul – schwei – sel – seln – sen – stoff – strom –<br />

tau – tei – ten – ter – ti – ü – we – web – wech – wein – will – woll – zäh – zank<br />

– zeit – zell – zug<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>43</strong>_Frühjahr 2011<br />

Bericht aus Berlin<br />

Lösungen: 1. Antikalk – 2. wechselhaft – 3.<br />

Landei – 4. Fahnenmast – 5. Weberknecht<br />

– 6. Zankapfel – 7. Willkür – 8. Stromzähler<br />

– 9. Schuldenfalle – 10. einkesseln<br />

– 11. Ringeltaube – 12. Weinkrampf – 13.<br />

Henkersmahlzeit – 14. Bienenfühler – 15.<br />

Botenstoff – 16. Pausenfüller – 17. Gleitschirm<br />

– 18. Heizschlange – 19. Bettüberzug<br />

– 20. Baumwollschlüpfer – 21. Schweinelendchen<br />

– 22. Dreckschleuder – 23.<br />

Oberfläche – 24. kernlos – 25. Barometer<br />

– 26. Doppeldecker – 27. Webpelz – 28.<br />

Applaus – 29. Zellteilung – 30. Feinputz<br />

Prof. Dr. Dagmar Schmauks ist in der Arbeitsstelle<br />

für Semiotik an der Technischen Universität<br />

Berlin tätig. Semiotik ist die Wissenschaft<br />

von den Zeichen.<br />

Einladung zum Fünften Köthener Sprachtag<br />

am 24. und 25. Juni 2011 in Köthen/Anhalt, ausgerichtet von der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft<br />

Bitte deutlich schreiben!<br />

das im wesentlichen wie das attributive<br />

(beifügende) Adjektiv gebeugt<br />

wird. Und diese Deklination kann<br />

stark oder schwach sein; schwach<br />

nach dem bestimmten Artikel (der<br />

alte Mann, das kleine Kind), stark<br />

ohne Artikel (alter Mann, kleines<br />

Kind).<br />

So weit, so einfach. Dem Adjektiv<br />

können aber auch andere Adjektive,<br />

unbestimmte Für- und Zahlwörter,<br />

Demonstrativ- und Possessivpronomen<br />

vorangehen, genauso dem substantivierten.<br />

Da treffen wir etliche<br />

nette <strong>Deutsche</strong>, einige unangenehme<br />

<strong>Deutsche</strong>, einzelne <strong>Deutsche</strong>,<br />

manche <strong>Deutsche</strong>(n), mehrere <strong>Deutsche</strong>,<br />

sämtliche <strong>Deutsche</strong>(n), solche<br />

Anmeldung<br />

n Ich nehme am Fünften Köthener Sprachtag (24. und 25. Juni<br />

2011) teil und bringe ________ Personen mit. Bitte senden Sie<br />

mir die Tagungsunterlagen (endgültiges Programm, Hotelliste) zu<br />

___________________________________________________________<br />

Name, Vorname<br />

_________________________________________________________________________________________<br />

Straße<br />

_________________________________________________________________________________________<br />

Postleitzahl und Ort<br />

_________________________________________________________________________________________<br />

Elektronische Post<br />

_________________________________________________________________________________________<br />

Datum und Unterschrift<br />

Schicken Sie die ausgefüllte Anmeldung bitte bis spätestens zum 31. Mai 2011 an:<br />

Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen/Anhalt e. V., Schloßplatz 5, D-06366<br />

Köthen/Anhalt, Telefon und Telefax +49-(0)3496-405740, sprachtag@fruchtbringendegesellschaft.de<br />

<strong>Deutsche</strong>n, wenige <strong>Deutsche</strong>, unsere<br />

<strong>Deutsche</strong>n, diese <strong>Deutsche</strong>n und uns<br />

<strong>Deutsche</strong>.<br />

Es ist also nicht so einfach mit<br />

uns <strong>Deutsche</strong>n. Wie sollen wir<br />

<strong>Deutsche</strong>(n) nun richtig sagen und<br />

schreiben? Die Grammatik belehrt<br />

uns, daß nach Personalpronomen die<br />

Deklination schwankt, besonders im<br />

Nominativ Plural. „Wir <strong>Deutsche</strong>n“<br />

scheint etwas häufiger zu sein als das<br />

Bismarcksche „Wir <strong>Deutsche</strong> (fürchten<br />

Gott …)“. Doch falsch lag Otto<br />

von Bismarck nicht und Westerwelle<br />

in diesem Fall auch nicht. Sollte<br />

noch ein „als“ hinzukommen, wird<br />

übrigens nur stark gebeugt: „Wir als<br />

<strong>Deutsche</strong>“.<br />

E<br />

inmal im Jahr treffen sich Sprachfreunde<br />

und Sprachvereine im<br />

anhaltischen Köthen zum Sprachtag.<br />

Freitag, 24. Juni<br />

„Kleines Volksfest der deutschen<br />

Sprache“ von 16.00 bis 19.30 Uhr<br />

im Schloßbereich mit Informationen<br />

rund um die deutsche Sprache und<br />

mit Mitmachaktionen für Groß und<br />

Klein.<br />

Samstag, 25. Juni<br />

Vorträge und Vorführungen der Städte<br />

entlang der „Straße der deutschen<br />

Sprache“. Der Tagungsort ist in der<br />

Wallstraße 48, D-06366 Köthen/Anhalt.<br />

Von Lienhard Hinz<br />

s lebe Berlin“ heißt der treff-<br />

E liche Wahlspruch der Berliner<br />

Verkehrsbetriebe (BVG.de). „Es lebe<br />

Berlin“ könnte auch das Leitwort<br />

der Ausstellung „Berlins vergessene<br />

Mitte. Stadtkern 1840–2010“ im<br />

Ephraim-Palais sein. Die Stiftung<br />

Stadtmuseum und das Landesarchiv<br />

zeigen noch bis zum 27. März auf<br />

380 Originalfotos und mit Fundstükken<br />

Berlins historische Altstadt rund<br />

um die Kirchen St. Marien und St.<br />

Nikolai, wo heute der Fernsehturm<br />

am Alexanderplatz und das Nikolaiviertel<br />

sind. Die Spuren der Geschichte<br />

unter dem Berliner Pflaster<br />

reizen die heutigen Stadtplaner – das<br />

veranschaulicht ein Kartenausschnitt<br />

des Planwerkes Innenstadt.<br />

„Es lebe Berlin“ – unter diesem Zeichen<br />

stand bis zum 6. März auch die<br />

Ausstellung im <strong>Deutsche</strong>n Historischen<br />

Museum „Reinhold Begas:<br />

Monumente für das Kaiserreich“. Sie<br />

erinnerte an den berühmtesten Bildhauer<br />

des Berliner Neubarocks anläßlich<br />

seines 100. Todestages. Sein<br />

Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm<br />

I. wurde 1950, ein Jahr vor der<br />

Sprengung des Berliner Schlosses,<br />

zerstört. Verschwunden sind auch<br />

seine brandenburgisch-preußischen<br />

Herrscherstandbilder der Siegesallee<br />

im Tiergarten. Dort wurden sie 1954<br />

heimlich vergraben. Erhalten sind<br />

zum Glück nicht nur die Löwengruppen<br />

vom Sockel des Nationaldenkmals<br />

im Tierpark Friedrichsfelde.<br />

Verspielt und lebendig wirken die<br />

Figuren des „Neptunbrunnens“ vor<br />

dem Roten Rathaus. Anziehungspunkte<br />

sind auch das „Alexandervon-Humboldt-Denkmal“<br />

Unter den<br />

Linden, das „Bismarck-Denkmal“<br />

am Großen Stern und natürlich das<br />

Das endgültige Tagungsprogramm<br />

wird sowohl auf www.fruchtbringendegesellschaft.de<br />

veröffentlicht als auch<br />

nach der Anmeldung zugeschickt.<br />

Anreise<br />

Köthen liegt unweit der Autobahnen<br />

A9 (Berlin – München) und A14<br />

(Magdeburg – Dresden). Die nächsten<br />

großen Städte sind Berlin (120<br />

km), Leipzig (50 km), Magdeburg<br />

(50 km), Halle (30 km), Hannover<br />

(200 km). Züge des Fernverkehrs<br />

zwischen Leipzig – Halle – Köthen<br />

– Magdeburg – Braunschweig –<br />

Hannover – Dortmund fahren alle<br />

zwei Stunden. Nahverkehrszüge<br />

zwischen Köthen und Dessau sowie<br />

zwischen Magdeburg und Halle<br />

über Köthen verkehren stündlich.<br />

„Schiller-Denkmal“<br />

auf dem<br />

Gendarmenmarkt.<br />

Die Auseinandersetzung<br />

der<br />

Photographen mit<br />

Begas’ Werken im<br />

Berliner Stadtraum<br />

veranschaulichte bis zum 16. Januar<br />

die Photoschau im Georg-Kolbe-Museum<br />

„Reinhold Begas – Vom Atelier<br />

in die Stadt – Photographien“.<br />

Ergreifend sind die Photoserien zum<br />

Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal –<br />

die glanzvolle Einweihung und der<br />

Abriß. Dokumentiert sind richtungsweisende<br />

Werke, wie der Neptunbrunnen<br />

und das Schillerdenkmal.<br />

Der Dichter der Freiheit, Friedrich<br />

Schiller, konnte die Huldigung<br />

der Berliner anläßlich seiner Reise<br />

nach Berlin im Mai 1804 entgegennehmen.<br />

Vor der Aufführung seines<br />

Trauerspiels „Die Braut von Messina“<br />

wurde er bei seinem Erscheinen<br />

in der Theaterloge von den Zuschauern<br />

mit endlosem Jubel begrüßt. Eine<br />

Sensation war schon am 23. November<br />

1801 die Berliner Aufführung<br />

der romantischen Tragödie „Die<br />

Jungfrau von Orleans“ unter dem berühmten<br />

Schauspieler Iffland durch<br />

den prunkvoll inszenierten Krönungszug.<br />

Der 100. Geburtstag des<br />

Nationaldichters war den Berlinern<br />

1859 Anlaß für die Errichtung des<br />

auch heute bestaunten Denkmals.<br />

Im wieder reichhaltigen Berliner<br />

Konzertprogramm des Winters machten<br />

die Rockkonzerte der Gruppe<br />

„Unheilig“ von sich reden, weil der<br />

Sänger Graf mit hoher Musikalität<br />

nur deutsch singt. Ein viel gewünschtes<br />

Lied aus dem Album „Große Freiheit“<br />

ist „Geboren um zu leben“.<br />

Der Flughafen Leipzig-Halle ist mit<br />

einer direkten Zugverbindung in 35<br />

Minuten erreichbar.

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