PDF 41 - Deutsche Sprachwelt
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AUSGABE <strong>41</strong><br />
Herbst 2010<br />
11. Jahrgang – 3<br />
ISSN1439-8834<br />
(Ausgabe für Deutschland)<br />
Kostenloser Aufkleber<br />
Bestellen Sie auf Seite 5!<br />
Bekenntnis<br />
Der saarländische Ministerpräsident<br />
Peter Müller begründet,<br />
warum die deutsche Sprache<br />
im Grundgesetz verankert werden<br />
muß.<br />
Seite 3<br />
Südtirol<br />
Andreas Raffeiner führt uns auf<br />
einen Streifzug durch Sprache<br />
und Geschichte eines begehrten<br />
Landes.<br />
Seite 5<br />
Sprachrede<br />
Der Anglist Hans Joachim<br />
Meyer fragt in seiner Köthener<br />
Rede zur deutschen Sprache,<br />
ob uns die deutsche Sprache<br />
Kleid oder Haut ist.<br />
Seiten 6 und 7<br />
Entreformieren<br />
Jürgen Langhans stellt sein<br />
Hilfsprogramm vor, das reformierte<br />
Rechtschreibung wieder<br />
in die bewährte verwandelt.<br />
Seite 10<br />
Schon gespendet?<br />
M<br />
it Ihrer Spende sichern Sie nicht<br />
nur die Zusendung der DEUT-<br />
SCHEN SPRACHWELT, sondern auch<br />
Aktionen für die deutsche Sprache.<br />
Mit der Beteiligung am Aufbau eines<br />
Sprachpflegemittelpunkts in Köthen/<br />
Anhalt und der Entwicklung einer<br />
„Straße der deutschen Sprache“ sind<br />
unsere Aufgaben noch gewachsen.<br />
Können wir nach einer gewissen Zeit<br />
keine Spende verbuchen, senden<br />
wir die DSW nicht mehr zu, um Kosten<br />
zu sparen. Büchereien, Schulen<br />
oder Museen erhalten weiterhin die<br />
Zeitung. Falls Sie also schon lange<br />
nichts mehr gespendet haben sollten,<br />
holen Sie dies bitte möglichst bald<br />
nach, damit Sie nicht versehentlich<br />
aus dem Bezieherkreis ausscheiden.<br />
Falls sich Ihre Anschrift geändert hat<br />
oder Sie die Zeitung nicht mehr möchten,<br />
schreiben Sie am besten an:<br />
bestellung@deutsche-sprachwelt.de<br />
Vielen Dank!<br />
Ihr Verein für Sprachpflege<br />
Operation Rechtschreibung: streng geheim!<br />
Von Thomas Paulwitz<br />
N<br />
ur wenige wissen es, denn keine<br />
Zeitung berichtete darüber: Im<br />
Jahr 2011 kommt die nächste Rechtschreibreform.<br />
Am 1. Oktober übergab<br />
der Rat für deutsche Rechtschreibung<br />
der Kultusministerkonferenz (KMK)<br />
seine Änderungsvorschläge. Das war<br />
den Kultusministern sogar die erste<br />
Pressemitteilung zur Rechtschreibung<br />
seit fast fünf Jahren wert. Doch<br />
die Presse blieb still. Die sogenannte<br />
„Vierte Gewalt“ übt keinen Druck aus,<br />
um mehr über die Inhalte der Nachbesserungen<br />
zu erfahren.<br />
Woran liegt das? Von der Öffentlichkeit<br />
weitgehend unbeachtet konnte<br />
der Rat die vierte Rechtschreibreform<br />
nach 1996, 2004 und 2006 vorbereiten.<br />
Die KMK hatte den Rat als<br />
„maßgebende Instanz in Fragen der<br />
deutschen Rechtschreibung“ eingesetzt.<br />
Alle fünf Jahre muß er einen<br />
Bericht vorlegen, der „Vorschläge zur<br />
Anpassung des Regelwerks“ enthält.<br />
So steht es in der Satzung. Alle fünf<br />
Jahre gibt es also die Möglichkeit,<br />
die weiterhin bestehenden Mängel<br />
zu beheben. Sollte sich an den politischen<br />
Rahmenbedingungen nichts<br />
ändern, wird es also erst 2016 wieder<br />
die Gelegenheit geben, die Reform<br />
nachzubessern. Um so wichtiger<br />
wäre es gewesen, das schreibende<br />
Volk in die Debatte einzubeziehen.<br />
Doch seit 2006 gehen KMK und<br />
Rechtschreibrat systematisch der Öffentlichkeit<br />
aus dem Weg. Die KMK<br />
verweist bei Fragen zur Rechtschreibung<br />
auf den Rat. Dieser verzichtet<br />
allerdings weitgehend auf Pressearbeit.<br />
Das hänge „mit der Langfristigkeit<br />
der Aufgabe zusammen, die<br />
der Rat wahrnimmt“, erklärt die Geschäftsführerin<br />
des Rechtschreibrats,<br />
Kerstin Güthert, der DEUTSCHEN<br />
SPRACHWELT auf Nachfrage.<br />
Ohne die Beobachtung durch die Öffentlichkeit<br />
und ohne unangenehme<br />
Fragen läßt es sich wohl auch unbeschwerter<br />
arbeiten.<br />
Der Grund, warum der Rat die Öffentlichkeit<br />
scheut, liegt auf der<br />
Hand: Immer, wenn stärker über die<br />
Reform diskutiert wurde, wurden die<br />
Mängel offenbar, und es wuchs die<br />
Zahl der Gegner. Das belegen die<br />
Im Jahr 2011 wird die Reform wieder einmal reformiert – am Volk vorbei<br />
Erfolge aus der Arbeit der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />
Tag der deutschen Sprache:<br />
Zahlen des Instituts<br />
für Demoskopie<br />
in Allensbach,<br />
das seit<br />
1997 regelmäßig<br />
die Einstellung<br />
der <strong>Deutsche</strong>n<br />
zur Reform ermittelt.<br />
Von 2004<br />
bis 2005 stieg die<br />
Zahl der Reformgegner<br />
von 49<br />
auf 61 Prozent.<br />
In dieser Zeit<br />
war die Rechtschreibreform<br />
Tagesgespräch.<br />
So sah sich die<br />
KMK genötigt,<br />
die aufgebrachte<br />
Öffentlichkeit in dieser Zeit mit 17<br />
(!) Pressemitteilungen zu beruhigen.<br />
Nach der Reform von 2006 stellte<br />
die KMK die Öffentlichkeitsarbeit<br />
ein, während die Reform der Reform<br />
im stillen weiterging. Bis 2008 sank<br />
die Zahl der Gegner auf 55 Prozent,<br />
während die Zahl der Befürworter<br />
um ein Prozent auf neun Prozent<br />
stieg. Die Zahl der Gleichgültigen<br />
wuchs jedoch auf etwa ein Drittel.<br />
Sollte wieder öfter über die Rechtschreibreform<br />
gesprochen werden,<br />
dann ist folglich zu erwarten, daß<br />
wieder mehr Gleichgültige zu Gegnern<br />
werden.<br />
Opfer der Rechtschreibreform Bild: obs/Dideon GmbH<br />
Warum hakt aber die Presse nicht<br />
nach? Die meisten Tageszeitungen<br />
haben sich um die Meinungsumfragen<br />
nur wenig gekümmert. Hatte<br />
eine Zeitung auf Neuschreibung umgestellt,<br />
führte das gleichzeitig dazu,<br />
daß sie über dieses Thema nicht einmal<br />
mehr in Leserbriefen berichtete;<br />
– ein Umstand, der auch zur Gründung<br />
der DEUTSCHEN SPRACH-<br />
WELT Anfang 2000 beitrug. Wie<br />
eine Befreiung wirkte es dann, als<br />
von 2000 bis 2006 die „Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung“ (F.A.Z.) und<br />
von 2004 bis 2006 die Springer-<br />
Presse wieder zur traditionellen<br />
Rechtschreibung zurückkehrten. Inzwischen<br />
hat die Tagespresse auf die<br />
reformierte Reform umgestellt oder<br />
folgt einer eigenen Hausorthographie.<br />
Nach wie vor werden jedoch<br />
zahlreiche Zeitschriften und Bücher<br />
in traditioneller Rechtschreibung gedruckt.<br />
Dazu gehört zum Beispiel ein<br />
Drittel der Neuerscheinungen, die für<br />
den Preis der Leipziger Buchmesse<br />
2010 benannt waren.<br />
Einzig die DEUTSCHE SPRACH-<br />
WELT fragte den Rechtschreibrat<br />
nach den geplanten Änderungen.<br />
Güthert, die Geschäftsführerin, wich<br />
aus: „Über etwaige Änderungsvorschläge,<br />
die der Rat aus seiner Beobachtung<br />
zieht, wird wie in der Vergangenheit<br />
zu gegebener Zeit und in<br />
geeigneter Form berichtet.“ Daß die<br />
bundesdeutsche Öffentlichkeit die<br />
Sitzungen des Rechtschreibrats nicht<br />
wahrgenommen hat, hängt möglicherweise<br />
auch damit zusammen,<br />
daß diese häufig in anderen Staaten<br />
stattfanden: 2010 war man zum Beispiel<br />
in der Schweiz (Bern) und in<br />
Liechtenstein (Vaduz). Während von<br />
der Sitzung in Liechtenstein nur bekannt<br />
ist, daß Erbprinz Alois von und<br />
zu Liechtenstein die Rechtschreibräte<br />
zur Audienz ins Schloß Vaduz bitten<br />
ließ, brachte die Schweizer Sitzung<br />
unter der Leitung der Bundeskanzlerin<br />
Corina Casanova im April wenigstens<br />
etwas Licht ins Dunkel.<br />
Demnach ist für die Reform von<br />
2011 die „Streichung bestehender<br />
Varianten und die Zulassung neuer<br />
Varianten“ zu erwarten. Die 2006er-<br />
Reform hatte nämlich zahlreiche<br />
bewährte Schreibungen wieder zugelassen,<br />
allerdings daneben die refor-<br />
Auf die „Straße der deutschen Sprache“ neugierig gemacht<br />
Die „Straße der deutschen Sprache“,<br />
die bisher nur auf dem Papier besteht,<br />
wird immer bekannter. Zum „Tag der<br />
deutschen Sprache“ am 11. September<br />
rief die DEUTSCHE SPRACH-<br />
WELT Politiker und Bürger dazu<br />
auf, die Idee zu unterstützen. In ganz<br />
Deutschland berichteten Zeitungen<br />
über unseren Plan, mit einer solchen<br />
Ferienstraße Fremdenverkehr und<br />
Sprachpflege miteinander zu verknüpfen.<br />
Die „Süddeutsche Zeitung“<br />
überlegte sogar, wie es zu machen sei,<br />
daß die Straße kein Holzweg wird.<br />
Daß es richtig ist, den Kern der Straße<br />
in Mitteldeutschland zu bilden, zeigte<br />
der Tag der deutschen Sprache. In<br />
Sachsen-Anhalt fanden die zentralen<br />
Veranstaltungen statt. Sie standen unter<br />
der Schirmherrschaft des sachsenanhaltischen<br />
Ministerpräsidenten und<br />
der Kultusministerin. Am Vorabend<br />
ereignete sich im Goethe-Theater in<br />
Bad Lauchstädt das „Festspiel der<br />
deutschen Sprache“ unter der Leitung<br />
von Kammersängerin Edda<br />
Moser. Am nächsten Tag beging die<br />
Neue Fruchtbringende Gesellschaft<br />
im Spiegelsaal des Köthener Schlosses<br />
einen Festakt mit der alljährlichen<br />
„Rede zur deutschen Sprache“. In ersten<br />
Städten sind bereits Bürger und<br />
Politiker für die Idee der Ferienstraße<br />
gewonnen worden, zum Beispiel<br />
in Köthen, Schleiz, Gräfenhainichen<br />
und Bautzen. Auch aus anderen Städten<br />
Mitteldeutschlands kommt Zuspruch.<br />
Auf dem „Köthener Sprachtag“<br />
am 24. und 25. Juni 2011 werden<br />
Sprachfreunde und Vertreter verschiedener<br />
Städte über die Straße beraten.<br />
Siehe Seite 4.<br />
mierten Schreibweisen weiter gelten<br />
lassen. So gaben Duden und Wahrig<br />
unterschiedliche und willkürliche<br />
Empfehlungen und sorgten für weitere<br />
Verwirrung. 2011 soll außerdem<br />
eine Reihe erfundener Fremdwortschreibungen<br />
gestrichen werden. Als<br />
Beispiel nennt die Bundeskanzlei<br />
„Fassette“ (bewährt: „Facette“). Es<br />
ist anzunehmen, daß diesem weiteren<br />
Rückbau der Reform auch die „Spagetti“<br />
und der „Tunfisch“ zum Opfer<br />
fallen. Die Bundeskanzlei kündigt<br />
überdies an, daß weitere traditionelle<br />
Schreibungen wieder zugelassen<br />
werden: „Hier gilt es zu entscheiden,<br />
ob diese gebräuchlichen Schreibungen<br />
als Varianten zugelassen werden<br />
sollen oder nicht.“<br />
Der Retter der Rechtschreibreform,<br />
Rechtschreibrat Peter Eisenberg,<br />
machte im vergangenen Jahr in der<br />
F.A.Z. weitere Andeutungen. Er hat<br />
Teile des Regelwerks umgeschrieben,<br />
zum Beispiel bei der Großschreibung<br />
von Hauptwörtern. Eisenberg verfaßte<br />
einen Text, der seiner Ansicht nach<br />
„einige unhaltbare Fehlschreibungen<br />
ausschließt“. Außerdem schlägt er<br />
vor, den Rat von derzeit fast vierzig<br />
auf höchstens neun Mitglieder<br />
zu verkleinern, um das mangelhafte<br />
Regelwerk schneller weiterreparieren<br />
zu können. Daß es ihm glückt,<br />
die Nutznießer der Dauerreform aus<br />
dem Rat zu drängen, dürfen wir bezweifeln.<br />
Daß die Arbeit im Rat nicht rund<br />
läuft, zeigt die Geschichte über den<br />
vermeintlichen Rücktritt des Ratsvorsitzenden<br />
Hans Zehetmair. Im Juli<br />
2010 meldete der Münchner Merkur:<br />
„Zehetmair gibt Chefposten im<br />
Rechtschreibrat zum Jahresende ab“,<br />
und zitierte den Vorsitzenden mit den<br />
Worten: „Sechs Jahre Opfer reichen“.<br />
Der Merkur blieb gegenüber der<br />
DEUTSCHEN SPRACHWELT bei<br />
dieser Darstellung, während die Geschäftsführerin<br />
des Rechtschreibrats<br />
von einer „Fehlinformation“ sprach.<br />
Eine offizielle Richtigstellung gab<br />
es jedoch nicht. Beobachter aus dem<br />
Umfeld des Rechtschreibrats erklärten<br />
sich das damit, daß der Ratsvorsitzende<br />
von der KMK Zugeständnisse<br />
für eine bessere Ausstattung<br />
des Rats erreichen wollte. Zehetmair<br />
werde nach seiner Wiederwahl allerdings<br />
keine vollständige Amtsperiode<br />
mehr dem Rat vorsitzen, hieß es.<br />
Erst am 1. Oktober 2010 meldete die<br />
Kultusministerkonferenz dann unter<br />
der Überschrift „Rechtschreibung<br />
muß weiterentwickelt werden“, daß<br />
Zehetmair tatsächlich weitermacht.<br />
Welche Änderungen der Rechtschreibrat<br />
vorgeschlagen hat? Darüber ist<br />
nichts zu lesen. Wir werden es spätestens<br />
wissen, wenn Mitte 2011 die<br />
neuen Wörterbücher von Duden und<br />
Wahrig vorliegen. Doch dann ist es<br />
vorerst wieder einmal zu spät, um<br />
die Kritik der Öffentlichkeit noch<br />
zu berücksichtigen. Das mag gut für<br />
Politiker und Nutznießer der Reform<br />
sein, ist aber schlecht für die Sprachgemeinschaft,<br />
die eine eindeutige<br />
und funktionierende Rechtschreibung<br />
will.
Seite 2 Leserbriefe<br />
F<br />
E-Mail oder E-Post?<br />
Zum Leserbrief „E-Mail, nicht E-Post“ von Frank Wache<br />
in DSW 40, Seite 2, erreichten uns zahlreiche Zuschriften.<br />
rank Wache spricht mir aus der<br />
Seele! Bei aller Wichtigkeit der<br />
Bewahrung unserer Sprache sollte<br />
man aber doch die Kirche im Dorf<br />
lassen. Das Internet hat nun einmal<br />
die Welt erobert und Begriffe wie<br />
E-Mail, Download, Hardware, Software<br />
und so weiter haben sich eingebürgert<br />
und werden auch von allen<br />
Benützern verstanden. Oder sollte<br />
man den Internet-Explorer vielleicht<br />
„Weltnetz-Forscher“ nennen? Ich<br />
I<br />
Kirche im Dorf lassen<br />
kann mir nicht vorstellen, daß eine<br />
Übernahme solcher Wörter unserer<br />
deutschen Sprache schaden würde.<br />
Wir haben schließlich damals auch<br />
„Lavoir“, „Trottoir“ und so weiter<br />
überstanden. Diese beiden Wörter<br />
werden übrigens noch heute in Wien<br />
häufig verwendet! Aber wie heißt es<br />
doch? „Der größte Unterschied zwischen<br />
<strong>Deutsche</strong>n und Österreichern<br />
ist die gemeinsame Sprache.“<br />
Alfred Kämmerer, Wien<br />
E-Post in anderen Sprachen<br />
st das Wort „E-Mail“ auch in anderen<br />
Sprachen zwingend? Wohl<br />
kaum! Ohne angestrengtes Nachdenken<br />
nenne ich: Courrier electronique,<br />
correo electronico, posta elettronica,<br />
L<br />
correio eletronico, ינורטקלא דואר אלקטרוני ראוד<br />
(doar elektroni), posto elektronika<br />
und so weiter.<br />
Joachim R. Gröger, Schneverdingen<br />
Nordeuropa übersetzt „e-mail“<br />
ieber Herr Wache, Sie müssen<br />
sich nicht unbedingt Rat holen<br />
in Afrika. Schauen Sie einfach<br />
einmal ein wenig nach Norden. In<br />
Schweden, Norwegen und in Dänemark<br />
ist die Bezeichnung „epost“<br />
oder „e-post“ Standard, in Finnland<br />
ist „sähköposti“ das heimische Wort,<br />
W<br />
und bei den Isländern, die nun erklärtermaßen<br />
„Sprachpuristen“ sind und<br />
stets versuchen, Begriffe „von auswärts“<br />
in ihrer Sprache neu zu formen,<br />
heißt die E-Post „netfang“, und<br />
das Bureau/Büro nennen sie schlicht<br />
„skrifstofa“, also Schreibstube.<br />
Uwe Schärff, Hamburg<br />
Erfindungen können übersetzt werden<br />
enn man sich die Art und<br />
Weise ansieht, wie man im<br />
angelsächsischen Sprachraum mit<br />
Erfindungen aus Deutschland umgeht,<br />
so kommt man zu folgendem<br />
Ergebnis: Bei einigen Erfindungen<br />
deutscher Herkunft übernimmt man<br />
die deutsche Bezeichnung, zum Beispiel<br />
Diesel, Otto (Motor), Aspirin,<br />
Buna, Bunsen, Zeppelin und andere.<br />
Bei anderen geht man selbstherrlich<br />
über die deutsche Bezeichnung<br />
F<br />
rank Wache schreibt: „Kein<br />
Volksstamm in Afrika, sei er<br />
noch so auf Traditionen bedacht,<br />
also unter anderem auch auf die Bewahrung<br />
seiner Kultur und Sprache,<br />
würde auf die Idee kommen, das Wort<br />
‚E-Mail‘ in die Stammessprache zu<br />
übersetzen und dann auch noch als<br />
Kontakt anzugeben.“ „E-Mail“ soll<br />
weltweit die einzig richtige Schreibweise<br />
sein? Was laut Duden für die<br />
deutsche Sprache gilt, stimmt nicht für<br />
Afrikaans, eine der elf Amtssprachen<br />
in Südafrika. Die „E-Mail“ heißt dort<br />
ganz einfach „e-pos“ oder „vonkpos“.<br />
Diese Begriffe sind dort üblich und<br />
jeder Südafrikaner weiß, wovon man<br />
spricht. „E-pos“ ist die „elektroniese<br />
pos“, die elektronische Post. „Vonkpos“<br />
bedeutet im wörtlichen Sinne<br />
„Funkpost“. Und sagen Sie jetzt nicht:<br />
Ons noem dit e-pos!<br />
hinweg, zum Beispiel erscheint die<br />
Erfindung Röntgens als „X-ray“,<br />
von Guerickes Luftpumpe als „air<br />
bump“, die Litfaßsäule als „outdoor<br />
advertising pillar“, Leibniz’ Rechenmaschine<br />
als „calculating machine“<br />
und andere mehr. Wenn Briten und<br />
Amerikaner so wenig Respekt vor<br />
deutschen Erfindungen haben, so<br />
sollte man umgekehrt ruhig „E-Post“<br />
statt „E-Mail“ sagen dürfen.<br />
Hermann Schubart, Marburg<br />
„Die Buren sind doch gar kein afrikanischer<br />
Stamm!“ Selbst Jacob Zuma,<br />
der Präsident Südafrikas, stellte einst<br />
fest: „It is the only white tribe in a<br />
black continent or outside of Europe<br />
which is truly African, the Afrikaner.“<br />
(„Der einzige weiße Stamm auf einem<br />
schwarzen Kontinent oder außerhalb<br />
Europas, der wahrhaft afrikanisch ist,<br />
sind die Buren.“) Herr Wache schloß<br />
seinen Leserbrief mit dem Wunsch,<br />
man möge ihm und seinen Schülern<br />
doch Vorschläge für eine deutsche<br />
Bezeichnung für das Wort „Internet“<br />
zukommen lassen. Wie wäre es denn<br />
mit dem eingedeutschten „Internetz“?<br />
Es könnte aber auch sein, daß ihm<br />
„Weltnetz“ oder „Zwischennetz“<br />
mehr zusagen. Hou jou taal suiwer! –<br />
Halte deine Sprache rein!<br />
Ralf Merz, Berlin<br />
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Weltweite Verständigung<br />
durch die internationale Sprache Ido<br />
Weltweite Verständigung durch eine Sprache, aber nicht zum Vorteil der<br />
englischsprachigen Länder, denn mit Englisch als Muttersprache hat<br />
dieser Teil der Welt erhebliche wirtschaftliche Vorteile gegenüber allen<br />
anderen Nationen.<br />
Mit der internationalen Sprache Ido, wesentlich leichter zu erlernen als<br />
Englisch, bestünde Chancengleichheit mit anderen Sprachgruppen.<br />
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D-37284 Waldkappel-Bu.<br />
alfred.neussner@ido.li<br />
Liebe Leser!<br />
Was hat Ihnen gefallen? Was hätten wir<br />
besser machen können? Worauf sollten<br />
wir stärker eingehen? Schreiben Sie uns,<br />
wir freuen uns auf Ihre Meinung! Auch<br />
wenn wir nicht jeden Brief beantworten<br />
und veröffentlichen können, so werten<br />
wir doch alle Zuschriften sorgfältig aus.<br />
Bei einer Veröffentlichung behält sich<br />
die Redaktion das Recht vor, sinnwah-<br />
rend zu kürzen. Auf diese Weise wollen<br />
wir möglichst viele Leser zu Wort kommen<br />
lassen. Schreiben Sie bitte an:<br />
DEUTSCHE SPRACHWELT<br />
Leserbriefe<br />
Postfach 1449, D-91004 Erlangen<br />
schriftleitung@deutsche-sprachwelt.de<br />
Z<br />
E<br />
H<br />
Danke!<br />
Für die zahlreichen Glückwünsche unserer Leser zum zehnjährigen Bestehen der<br />
DEUTSCHEN SPRACHWELT danken wir herzlich. Sie ermutigen uns sehr!<br />
Ihre Schriftleitung<br />
P<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
Immigranten sind<br />
keine Wanderer<br />
Zur öffentlichen Sprachregelung<br />
olitiker, Medien wie zum Beispiel<br />
die Rhein-Zeitung am 10.<br />
Juli dieses Jahres, und sogenannte<br />
staatliche „Beauftragte“ sprechen<br />
und schreiben fast immer von „Migranten“<br />
oder von „Migrationshintergrund“,<br />
wenn Menschen gemeint<br />
sind, die aus ihrem Land ausgewandert<br />
sind und hier als Einwanderer<br />
leben, und das nicht nur vorübergehend.<br />
Diese Auswanderer, aus unserer<br />
Sicht Einwanderer, sind – sprachlich<br />
korrekt – vielmehr Immigranten<br />
(lateinisch immigrare = einwandern,<br />
einziehen) also keine Migranten =<br />
Wanderer. Das Wort „Migrant“ steht<br />
noch nicht mal im Duden, und das<br />
will schon viel heißen, zumal die Du-<br />
Geiler Wortschatz<br />
Zum Beitrag „Alles klar auf der Andrea Doria?“<br />
von Wolfgang Hildebrandt in DSW 40, Seite 12<br />
ur Verleihung des Jacob-<br />
Grimm-Preises an Udo Lin-<br />
denberg muß ich leider feststellen,<br />
daß die Preisrichter den großen Wortschatz<br />
des Rockers nicht gewürdigt<br />
haben. Für diesen Fundus des Rokkers<br />
wenigstens ein Beispiel: Als er<br />
anläßlich der Festveranstaltung zum<br />
Bedauerliches Kauderwelsch<br />
Zum Sprachsünder „<strong>Deutsche</strong> Telekom“<br />
W<br />
ir haben unseren Festnetzanschluß<br />
bei der Telekom<br />
gekündigt. Daraufhin erhielt ich ein<br />
Bestätigungsschreiben. Es beginnt<br />
mit dem wunderbaren Satz: „Wir<br />
bedauern Ihren Auftrag das Angebot<br />
Zum Mitnehmen<br />
Zum Englisch-Wahn<br />
s ist manchmal unglaublich,<br />
aber durchaus auch belustigend,<br />
wie weit es <strong>Deutsche</strong> mit ihrem einfältigen<br />
Englisch-Tick treiben können.<br />
Vor einer Erfrischungsbude bei<br />
Alles ist „spannend“<br />
Zum öffentlichen Sprachgebrauch<br />
ier möchte ich auf ein Wort aufmerksam<br />
machen, das zur Verflachung<br />
der deutschen Sprache beiträgt.<br />
Bei Moderatoren in Hörfunk und<br />
Fernsehen werden Adjektive und Adverbien<br />
auf ein Wort reduziert: „spannend“!<br />
Alles ist nur noch „spannend“:<br />
ein spannender Platz, eine spannende<br />
Jörg Hellmann,<br />
Die Fäden ziehen<br />
Kriminalroman und Gesellschaftssatire<br />
Gebundene Erstausgabe,<br />
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Michel schlägt zurück<br />
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A. Neussner<br />
D-37284 Waldkappel<br />
Jubiläum des Berliner Friedrichstadtpalastes<br />
in dessen Foyer kurz<br />
interviewt wurde, befand er, daß die<br />
Veranstaltung „geil“ sei und bemerkte<br />
gleich danach, daß sein früherer<br />
Auftritt in diesem Hause „auch geil“<br />
gewesen sei.<br />
Theodor Seidel, Berlin<br />
BusinessCall 501 zu kündigen.“ Ich<br />
rief die vermeintliche Urheberin an,<br />
die beteuerte, das sei nicht ihre Formulierung,<br />
sondern die ihr von oben<br />
vorgegebene.<br />
Konrad Honig, Münster<br />
Preetz in Schleswig-Holstein ist folgender<br />
Hinweis zu finden: „Coffee to<br />
go. Auch zum Mitnehmen.“<br />
Wow …!<br />
Detlef Schwenkler, Hamburg<br />
Gegend, eine spannende Veranstaltung,<br />
ein spannender Mensch, ein<br />
spannender Haarschnitt und so weiter.<br />
– Und kein anderes Adjektiv kommt<br />
mehr vor! Es ist eine Unsitte in der<br />
deutschen Presselandschaft, und keiner<br />
wundert sich darüber!<br />
Lothar Kädtler, Wesseling<br />
Kompetenz<br />
Verschwunden scheinen Fähigkeit<br />
und Urteilskraft dazu,<br />
im Plural auch die Fertigkeit,<br />
selbst Sachverstand hält Ruh’.<br />
Befugnis und Berechtigung<br />
sowie Geschäftsbereich<br />
und jemandes Befähigung<br />
vermißt man auch zugleich.<br />
Und was hat das zur Konsequenz?<br />
Wie kommt’s zu dem Verzicht?<br />
Jetzt sagt man ständig Kompetenz<br />
– und die fällt ins Gewicht!<br />
Ein jeder hat sie heut im Mund,<br />
doch keiner kennt genau<br />
für den Gebrauch den Hintergrund.<br />
Allein – sie klingt sehr schlau.<br />
Claus Ritterling, Leipzig<br />
denredaktion ihre vornehmliche Aufgabe<br />
darin sieht, Wörter zu zählen.<br />
Mit Migranten sind die Menschen gemeint,<br />
die wandern, also aus verschiedenen<br />
Gründen die Nationalgrenzen<br />
zeitweise überschreiten und wieder<br />
zurückkehren. Eine Begründung für<br />
das Wort „Migranten“ könnte sein,<br />
daß wir uns noch immer an den Gastarbeitern<br />
aus den sechziger Jahren<br />
sprachlich orientieren, von denen wir<br />
ja ursprünglich dachten, sie kehrten<br />
nach einer gewissen Zeit wieder zurück.<br />
Also plappern erst die Politiker<br />
und Medien, dann „das Volk“ – wie<br />
meist – jeden Unsinn nach, den ihnen<br />
die „Beauftragten“ vorplappern.<br />
Ingo Dedenbach, Bad Breisig<br />
Herbstlich<br />
Immer, wenn die Farben<br />
Erst leuchten und dann darben;<br />
Sich häufig Winde regen,<br />
Dann ist der Herbst zugegen.<br />
Günter B. Merkel, Wilhelmsfeld<br />
Einstieg in die dichterische Merkelwelt:<br />
Günter B. Merkel: Große Sprüche<br />
vom gnadenlosen Dichter, SWP-<br />
Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2007, 128<br />
Seiten, fester Einband, 9,50 Euro.<br />
Bestellung unter Telefon 06220/6310.<br />
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nicht unbedingt die Meinung der<br />
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Die 42. Ausgabe erscheint im Winter<br />
2010/11. Redaktions- und Anzeigenschluß<br />
sind am 15. November 2010.
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010 Hintergrund<br />
Seite 3<br />
B<br />
„Die Sprache ist wichtiger als<br />
Schwarz-Rot-Gold“<br />
Bundestagspräsident Lammert wirbt für die Verankerung<br />
von Deutsch im Grundgesetz<br />
undestagspräsident Norbert<br />
Lammert will Deutsch als<br />
Staatssprache in der Verfassung<br />
verankern. „Für die Kultur und das<br />
Selbstverständnis eines Landes gibt<br />
es keinen wichtigeren Faktor als die<br />
Sprache“, sagte der CDU-Politiker<br />
Ende Juli dem Bonner General-Anzeiger<br />
und fuhr fort: „Die Sprache ist<br />
noch wichtiger als die Festlegung auf<br />
Berlin als Hauptstadt und auf Schwarz-<br />
Rot-Gold als die Landesfarben. Beides<br />
wird vom Grundgesetz geregelt,<br />
die Sprache leider nicht.“ Auf ihrem<br />
Bundesparteitag 2008 in Stuttgart<br />
hatte die CDU entschieden, daß ein<br />
Bekenntnis zur deutschen Sprache ins<br />
Grundgesetz aufgenommen werden<br />
soll. „Im Unterschied zu manchen<br />
geradezu banalen Grundgesetzänderungen“,<br />
so Lammert, „hat sich dafür<br />
bislang keine ausreichende Mehrheit<br />
gefunden.“ Für eine Änderung des<br />
Grundgesetzes ist eine Zweidrittel-<br />
2006<br />
Im Zuge der Föderalismusreform<br />
fordert Bundestagspräsident Norbert<br />
Lammert im Juni 2006, Artikel<br />
22 des Grundgesetzes mit dem Satz<br />
zu ergänzen: „Die Landessprache ist<br />
Deutsch.“ Seine Begründung lautet:<br />
„Deutschland ist unter allen deutschsprachigen<br />
Ländern das einzige, das<br />
die Sprache nicht in der Verfassung<br />
regelt, obwohl es nach seiner Sprache<br />
benannt ist.“ Die CDU-Vorsitzende<br />
Angela Merkel unterstützt Lammert.<br />
Dieser kann sich zwar nicht durchsetzen,<br />
löst jedoch die erste breite<br />
Diskussion aus.<br />
2008<br />
Im Herbst 2008 fordert Hartmut Koschyk<br />
(CSU), Parlamentarischer Geschäftsführer<br />
der CSU-Landesgruppe<br />
im <strong>Deutsche</strong>n Bundestag und Vorsitzender<br />
des Vereins für <strong>Deutsche</strong> Kulturbeziehungen<br />
im Ausland (VDA),<br />
in der DEUTSCHEN SPRACH-<br />
WELT (DSW 33): „Deutsch gehört<br />
ins Grundgesetz!“ Der saarländische<br />
CDU-Stadtverband Völklingen un-<br />
Deshalb sollte Deutsch ins Grundgesetz<br />
Bekennen wir uns zu unserer Sprache und damit zu unserer Heimat und zu unserer Nation<br />
Von Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes<br />
S<br />
elten hat ein Antrag der CDU<br />
Saar auf einem Bundesparteitag<br />
so viel Aufmerksamkeit und kontroverse<br />
Diskussionen ausgelöst wie<br />
die im Grunde genommen selbstverständliche<br />
Forderung, die deutsche<br />
Sprache im Grundgesetz zu verankern.<br />
Aufregung um eine schiere<br />
Selbstverständlichkeit? Nimmt man<br />
das kontroverse Echo in der veröffentlichten<br />
deutschen Medienwelt<br />
zum Gradmesser, so scheint mit dieser<br />
Forderung ein erhebliches Maß<br />
an Erregungspotential verbunden zu<br />
sein.<br />
Dabei hat eine solche Forderung<br />
weder mit der deutschen Leitkultur-<br />
Debatte noch mit einem neuen Na-<br />
tionalchauvinismus zu tun. Sie ist<br />
nichts Außergewöhnliches, sondern<br />
– so sollte man meinen – nur ein<br />
ganz und gar selbstverständliches<br />
Anliegen, über das zu streiten sich<br />
eigentlich nicht lohnt. Denn was bei<br />
uns die kritischen Gemüter bewegte,<br />
ist anderswo längst gängige Verfassungswirklichkeit.<br />
In den Verfassungen unserer deutschsprachigen<br />
Nachbarländer Österreich,<br />
Liechtenstein und der Schweiz ist die<br />
deutsche Sprache als Landessprache<br />
enthalten. Anders als in diesen Staaten<br />
ist bei uns in Deutschland das Bekenntnis<br />
zur deutschen Sprache nur<br />
in verschiedenen nachgeordneten<br />
Gesetzen festgelegt, nicht aber im<br />
„Ohne gemeinsame<br />
Sprache keine Integration“<br />
„Der Schutz der deutschen<br />
Sprache gehört im Grundgesetz<br />
verankert. Respekt vor unserer<br />
deutschen Sprache ist Respekt<br />
vor unserer Kultur und unserem<br />
Land, den wir von allen fordern,<br />
die bei uns leben. Ohne gemeinsame<br />
Sprache gibt es keine wirksame<br />
Integration. Wer sich der<br />
deutschen Sprache verweigert,<br />
verweigert sich der Integration in<br />
Deutschland.“<br />
CSU-Generalsekretär Alexander<br />
Dobrindt am 9. September 2010<br />
zur BILD-Zeitung<br />
mehrheit in Bundestag und Bundesrat<br />
nötig. Von den 27 Mitgliedstaaten der<br />
EU haben 17 ihre Landessprache(n)<br />
in der jeweiligen Verfassung festgeschrieben.<br />
Der Bundestagspräsident<br />
warb „für einen zurückhaltenden Einsatz<br />
von Anglizismen und für mehr<br />
Anläufe zur Änderung des Grundgesetzes<br />
ter der Leitung von Stefan Rabel,<br />
dem Referenten für Grundsatzfragen<br />
im Landesvorstand der Saar-CDU,<br />
greift Koschyks Initiative auf. Er<br />
bewegt sowohl den CDU-Kreisverband<br />
Saarbrücken-Land als auch den<br />
CDU-Landesvorstand zu einem Antrag<br />
der Saar-CDU für den Bundesparteitag<br />
in Stuttgart. Ministerpräsident<br />
Peter Müller unterstützt den<br />
Antrag ausdrücklich.<br />
Der Antrag der saarländischen CDU<br />
hat den folgenden Wortlaut: „Der<br />
Bundesparteitag möge beschließen:<br />
Die CDU Deutschlands setzt sich<br />
für die Verankerung der deutschen<br />
Sprache im Grundgesetz ein. Dies<br />
soll durch einen Zusatz in Artikel<br />
22 des Grundgesetzes erfolgen mit<br />
dem Wortlaut: ‚Die Sprache der<br />
Bundesrepublik ist Deutsch‘.“ Am<br />
2. Dezember gelingt es, den Bundesparteitag<br />
zu überzeugen, der dem<br />
Antrag mehrheitlich zustimmt. Der<br />
Beschluß kommt gegen den Willen<br />
der Parteispitze um Angela Merkel<br />
zustande, die den Antrag lieber an<br />
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />
weitergereicht hätte, wo er dann vor-<br />
Grundgesetz. Doch<br />
für die Kultur und<br />
das Selbstverständnis<br />
eines Landes<br />
gibt es keinen wichtigeren<br />
Faktor als<br />
die Sprache. Deshalb<br />
sollte es eine<br />
schiere Selbstverständlichkeit<br />
sein,<br />
daß sie neben den<br />
nationalen Symbolen<br />
„Schwarz-<br />
Rot-Gold“ als<br />
Bundesflagge und<br />
Berlin als Hauptstadt<br />
in Artikel 22<br />
des Grundgesetzes Verfassungsrang<br />
erhält – mit dem schlichten Satz:<br />
Selbstbewußtsein, was den Gebrauch<br />
unserer Landessprache angeht“.<br />
Lammert warnte zugleich vor der<br />
Ausgrenzung jener Gesellschaftsteile,<br />
die des Englischen nicht mächtig<br />
sind: „Daß sie sich angesichts einer<br />
Flut von englischsprachigen Begriffen<br />
gestört, ja ausgegrenzt fühlen,<br />
kann ich sehr gut nachempfinden.“ Er<br />
trat Befürchtungen entgegen, daß ein<br />
Land, das englische Begriffe meidet,<br />
den Anspruch auf Internationalität im<br />
Denken und Fühlen verlieren könne.<br />
„Internationalität im Denken“, meinte<br />
Lammert, „läßt sich auch hervorragend<br />
auf deutsch beweisen. Ich habe<br />
den Eindruck, daß wir leider allzu<br />
oft dazu neigen, ohne zwingenden<br />
Grund die eigene Landessprache einem<br />
vermeintlichen Nachweis von<br />
Weltoffenheit zu opfern, der zu genau<br />
der Dominanz der englischen Sprache<br />
beiträgt, die wir gemeinsam regelmäßig<br />
beklagen.“ (ots/dsw)<br />
aussichtlich abgelehnt worden wäre.<br />
Er löst eine breite Debatte quer durch<br />
alle Parteien aus.<br />
2009<br />
85 Prozent der <strong>Deutsche</strong>n sprechen<br />
sich Anfang 2009 in einer repräsentativen<br />
Umfrage der Technischen Universität<br />
Dresden für eine Ergänzung<br />
des Grundgesetzes um die deutsche<br />
Sprache aus.<br />
Der Petitionsausschuß des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bundestags behandelt im Mai<br />
2009 zwei Petitionen, die sich mit<br />
der deutschen Sprache beschäftigen.<br />
Sie enthalten unter anderem auch die<br />
Forderung, Deutsch im Grundgesetz<br />
zu verankern. Das Bundesinnenministerium<br />
lehnt in einer Stellungnahme<br />
eine Ergänzung des Grundgesetzes<br />
ab. Der Petitionsausschuß schließt<br />
sich dieser Haltung an: „Eine Ergänzung<br />
des Grundgesetzes um den Passus<br />
‚Die Sprache der Bundesrepublik<br />
Deutschland ist Deutsch‘ bzw. die<br />
Schaffung sonstiger Vorschriften zum<br />
Schutze der deutschen Sprache werden<br />
… nicht für erforderlich gehal-<br />
Der saarländische Ministerpräsident<br />
Peter Müller<br />
„Die Sprache der<br />
Bundesrepublik<br />
Deutschland ist<br />
Deutsch.“<br />
Damit geschähe<br />
nichts, was nicht<br />
in den meisten<br />
e u r o p ä i s c h e n<br />
Staaten längst<br />
der Fall ist. Von<br />
den insgesamt 27<br />
Mitgliedstaaten<br />
der Europäischen<br />
Union haben<br />
nämlich 17 ihre<br />
Landessprachen<br />
in der jeweiligen Verfassung festgeschrieben.<br />
Sprache verstehen und<br />
sprechen ist elementar für unser Leben.<br />
Das Neugeborene lernt als erstes<br />
im wortwörtlichen Sinne die „Muttersprache“.<br />
Sie hilft ihm, Schritt für<br />
Schritt ins Leben zu treten. In der<br />
Schule lernen die jungen Menschen<br />
auf der Grundlage ihrer Muttersprache<br />
die Welt in allen ihren Facetten<br />
zu verstehen. Gleichzeitig schafft<br />
die Muttersprache, als gemeinsame<br />
Sprache, auch Heimat und Identität<br />
mit dem Land, in dem man lebt. Dies<br />
zeigt: Unsere Sprache ist wesentlicher<br />
Bestandteil unserer kulturellen<br />
Identität und geistige Lebensgrundlage,<br />
um Kultur und Werte der Gesellschaft<br />
zu verstehen und weiterzuentwickeln.<br />
Durch die Erhebung<br />
der deutschen Sprache in den Verfassungsrang<br />
verdeutlichen wir, welche<br />
Bedeutung und Wertschätzung wir<br />
unserer Sprache einräumen.<br />
Gerade die Integrationsdebatte zeigt,<br />
wie sehr das Beherrschen der deutschen<br />
Sprache eine unerläßliche und<br />
durch nichts zu ersetzende Voraussetzung<br />
einer gelungenen Eingliederung<br />
in unsere Gesellschaft ist. Bürgerinnen<br />
und Bürger unseres Landes<br />
mit Migrationshintergrund können<br />
deshalb eine solche Verfassungsergänzung<br />
als Ansporn begreifen, die<br />
deutsche Sprache als Schlüssel für<br />
ten.“ Der Bundestag folgt der Empfehlung<br />
des Petitionsausschusses und<br />
beschließt am 14. Mai, die Petitionen<br />
dem Bundesministerium des Innern<br />
und dem Beauftragten der Bundesregierung<br />
für Kultur und Medien zu<br />
überweisen. Außerdem werden sie<br />
den Fraktionen des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages<br />
zur Kenntnis gegeben. Das<br />
Verfahren ist damit abgeschlossen.<br />
Bei den Koalitionsverhandlungen für<br />
die neue Bundesregierung im Oktober<br />
2009 einigen sich CDU/CSU und FDP<br />
zunächst darauf, ein Bekenntnis zur<br />
deutschen Sprache im Grundgesetz zu<br />
verankern. Die für Kultur zuständige<br />
Koalitionsarbeitsgruppe beschließt<br />
einstimmig, dieses Ziel in den Koalitionsvertrag<br />
aufzunehmen. Die Zustimmung<br />
der FDP-Vertreter erwirkt die<br />
Union über das Zugeständnis, auch die<br />
Kultur als Staatsziel in der Verfassung<br />
zu verankern. Die SPD deutet daraufhin<br />
ebenfalls ihre Zustimmung an. Somit<br />
rückt eine Zweidrittelmehrheit in<br />
Bundestag und Bundesrat zur Grundgesetzänderung<br />
erstmals in greifbare<br />
Nähe. Doch jetzt wenden sich Innen-<br />
und Rechtspolitiker aus Union und<br />
eine erfolgreiche Integration zu verstehen.<br />
Darüber hinaus stimmt mich auch die<br />
zunehmende Zahl an Anglizismen in<br />
unserer Alltags- und Geschäftssprache<br />
nachdenklich. Natürlich führt<br />
besonders die internationale Computersprache<br />
dazu, daß mehr und mehr<br />
englischsprachige Begriffe Eingang<br />
in unsere tägliche Sprache bekommen.<br />
Doch wird eine Schlagzeile als<br />
„headline“ nicht aufregender und ein<br />
Treffpunkt ist als „meeting point“<br />
auch nicht einfacher zu finden. Wir<br />
sollten hier zurückhaltender werden<br />
beim Einsatz von Anglizismen. Viele<br />
ältere Menschen, die nie die Chance<br />
hatten, die englische Sprache zu erlernen,<br />
fühlen sich angesichts einer<br />
Flut von englischsprachigen Begriffen<br />
ausgegrenzt. Ich bin sicher: Es<br />
geht im Alltag auch ohne die vielen<br />
Anglizismen, und man findet sich<br />
trotzdem in der Welt zurecht.<br />
Mein Plädoyer: Bekennen wir uns zu<br />
unserer Sprache, so wie es fast alle<br />
unsere europäischen Partner auch tun.<br />
Unsere Sprache ist Teil unserer Identität<br />
als Bürger der Bundesrepublik<br />
Deutschland. Sie ist Bekenntnis zur<br />
Heimat und zur eigenen Nation. Deshalb<br />
sollte Deutsch ins Grundgesetz.<br />
FDP gegen dieses Ansinnen, darunter<br />
Wolfgang Schäuble (CDU) und<br />
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger<br />
(FDP). Die DEUTSCHE SPRACH-<br />
WELT ruft nun über die Medien dazu<br />
auf, von dem Beschluß nicht abzurükken.<br />
Außerdem schickt sie an alle 27<br />
Spitzenpolitiker der Koalitionsrunde<br />
einen persönlichen Brief mit Argumenten<br />
– vergeblich: Die Gegner der<br />
Grundgesetzerweiterung sorgen dafür,<br />
daß dieses Ziel wieder aus den<br />
Entwürfen zum Koalitionsvertrag gestrichen<br />
wird.<br />
2010<br />
In der zweiten Hälfte des Jahres 2010<br />
unternehmen Norbert Lammert, Peter<br />
Müller und CSU-Generalsekretär Alexander<br />
Dobrindt einen erneuten Anlauf,<br />
um für die Verankerung der deutschen<br />
Sprache im Grundgesetz zu werben<br />
(siehe Berichte auf dieser Seite).<br />
Auf dem Bundesparteitag der CDU<br />
vom 14. bis 16. November in Karlsruhe<br />
besteht die Gelegenheit, die Parteispitze<br />
an die Umsetzung des Beschlusses<br />
von 2008 zu erinnern. (dsw)
Seite 4 Fremdenverkehr<br />
Von Thomas Paulwitz<br />
E<br />
s war ein unentschuldbares Versäumnis<br />
von mir. Bereits viermal<br />
hatte das „Festspiel der deutschen<br />
Sprache“ stattgefunden, ohne daß<br />
ich die Gelegenheit genutzt hatte, es<br />
zu besuchen. Unsere Bestrebungen,<br />
in Mitteldeutschland den Kern einer<br />
„Straße der deutschen Sprache“ zu<br />
bilden, boten jedoch einen willkommenen<br />
Anlaß, endlich den Weg nach<br />
Bad Lauchstädt zu finden, wo sich das<br />
Festspiel alljährlich ereignet. Am 10.<br />
September dieses Jahres war es also<br />
soweit, und ich besuchte die Goethe-<br />
Stadt im Süden Sachsen-Anhalts.<br />
Dabei war es durchaus nicht so, daß<br />
die Bemühungen der weltbekannten<br />
Kammersängerin Edda Moser, ein<br />
solches Festspiel ins Leben zu rufen,<br />
von der DEUTSCHEN SPRACH-<br />
WELT zuvor unbemerkt geblieben<br />
sind. Unsere Leser lohnten Mosers<br />
Einsatz bereits frühzeitig, indem sie<br />
der Kammersängerin bei der Wahl<br />
zum „Sprachwahrer des Jahres 2006“<br />
den ersten Platz zusprachen.<br />
Was verschlug die einst an der New<br />
Yorker Metropolitan Opera („MET“)<br />
gefeierte Sopranistin in das nur 9.000<br />
Einwohner zählende Städtchen Bad<br />
Lauchstädt? Während ihrer Zeit in<br />
Amerika litt sie unter starkem Heimweh.<br />
Damals habe sie erst die Schönheit<br />
der deutschen Sprache entdeckt,<br />
sagt sie. Diese Liebe zur Muttersprache<br />
verband sich mit einem Haß auf<br />
Sprachmischerei: „Diese Anglizismen<br />
verabscheue ich, die müssen<br />
weg.“ Bei ihren Studenten an der<br />
Kölner Hochschule für Musik fing sie<br />
an. Für jedes „Sorry“ oder „Okay“<br />
mußten die Gesangsstudenten einen<br />
Euro in die Kasse<br />
zahlen.<br />
Doch Edda Moser<br />
wollte höher hinaus<br />
und ein weithin<br />
sichtbares Zeichen<br />
setzen. Und so kam<br />
ihr am 3. September<br />
2003 der glückliche<br />
Gedanke,<br />
ein „Festspiel der<br />
deutschen Sprache“<br />
zu begründen.<br />
Auf der Feier zum<br />
60. Geburtstag der<br />
Thüringer CDU-<br />
Politikerin Dagmar<br />
Schipanski in<br />
Weimar trug Moser<br />
aus den Italien-<br />
Briefen Goethes an<br />
Charlotte Stein vor.<br />
An diesem Abend<br />
begegnete Moser<br />
auch der Urenkelin<br />
Richard Wagners,<br />
Nike Wagner, der Leiterin des Weimarer<br />
Kunstfestes, das den für die meisten<br />
unverständlichen Namen „Pélerinages“<br />
trägt. Moser erzählt von dem<br />
unerfreulichen Versuch, Nike Wagner<br />
zu überzeugen: „Ihr galt meine Klage,<br />
daß unsere deutsche Sprache<br />
verunstaltet, verstümmelt und nicht<br />
mehr zur Kenntnis genommen wird.<br />
Mein Argument, gegen die überhand-<br />
Zum Festspiel in die Goethestadt<br />
Wir reisen auf der Straße der deutschen Sprache: Bad Lauchstädt<br />
Wunderschöne<br />
Wörter<br />
„Kennen Sie das Wort ‚ungeschlacht‘<br />
oder ‚lieblich‘ oder<br />
‚betrüblich‘? Wunderschöne<br />
Wörter, die eine Begebenheit<br />
punktgenau treffen. Sie<br />
werden meinen: ‚Ja, so etwas<br />
sagt man doch heute<br />
nicht mehr!‘ Wieso eigentlich<br />
nicht? Wir wollen doch<br />
alle unsere Persönlichkeit,<br />
unsere Befindlichkeit darstellen,<br />
jeder sich dem anderen<br />
offenbaren in Leid und<br />
Schmerz, verständnisheischend<br />
(auch so ein Wort<br />
…), und man flüchtet in die<br />
englische Sprache, während<br />
der deutschen, der wunderbaren,<br />
so viel Nichtachtung<br />
gezollt wird. – Dem möchte<br />
ich entgegentreten.“<br />
Edda Moser, Festspielleiterin<br />
nehmenden Anglizismen, das Vergessen<br />
der Kostbarkeit des vielseitigen<br />
Ausdrucksreichtums in Weimar eine<br />
Bastion zu begründen, wohin jeder<br />
sprachbezogene Darsteller ‚auf den<br />
Knien seines Herzens‘ (Kleist) käme,<br />
unserer deutschen Sprache wieder<br />
auf die wackeligen Beine zu helfen,<br />
wurde abgeschmettert mit dem erbärmlichen<br />
Satz: ‚Kein Bedarf‘.“<br />
Moser gab nicht auf und verwirklichte<br />
das erste „Festspiel der deutschen<br />
Festspielleiterin Edda Moser mit<br />
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident<br />
Wolfgang Böhmer auf dem roten<br />
Teppich Bild: pau<br />
Sprache“ am 19. Oktober 2006 –<br />
nicht im Weimarer Nationaltheater,<br />
wie ursprünglich gedacht, sondern<br />
auf Schloß Heidecksburg im thüringischen<br />
Rudolstadt. Schirmherrin<br />
war Dagmar<br />
Schipanski, die<br />
inzwischen Landtagspräsidentingeworden<br />
war. Es war<br />
von Moser gewollt,<br />
daß das erste Festspiel<br />
genau am 200.<br />
Hochzeitstag von<br />
Johann Wolfgang<br />
Goethe und Christiane<br />
Vulpius stattfand.<br />
Zusammen<br />
mit dem Dichter<br />
Reiner Kunze und<br />
den Schauspielern<br />
Mario Adorf, Jutta<br />
Hofmann und Otto<br />
Schenk las Moser<br />
auf der Heidecksburg<br />
literarische und<br />
klassische philosophische<br />
Texte, um<br />
die Schönheit und<br />
Kraft der deutschen<br />
Sprache zu feiern.<br />
Der Mitteldeutsche<br />
Rundfunk zeichnete das Festspiel<br />
auf, wie alle folgenden auch, denn sie<br />
wurden ein Erfolg. Als Festspielleiterin<br />
sucht Moser Texte aus, schreibt<br />
herausragende Schauspieler an und<br />
versucht, deren Wünsche und Vorschläge<br />
einzuarbeiten. Wie hat sie die<br />
großen Namen zum Mitmachen bewegt?<br />
Sie triumphiert: „Ich habe sie<br />
mir alle ersungen – wie Orpheus“.<br />
Der Andrang vor dem Goethe-Theater ist groß. Bild: pau<br />
Seit dem Jahre 2007 ist das Festspiel<br />
in Bad Lauchstädt angesiedelt, wo<br />
es nach dem Willen der Veranstalter<br />
auch bleiben soll. Schirmherr ist<br />
seither Ministerpräsident Wolfgang<br />
Böhmer, der betont: „In einer Zeit<br />
voller Meetings, Info-Points, Hotlines<br />
oder Shopping-Centren ist es<br />
wichtig, die deutsche Sprache in den<br />
Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rükken.“<br />
Die entscheidende Empfehlung<br />
für Lauchstädt gab der langjährige<br />
Außenminister Hans-Dietrich Genscher.<br />
Er meint: „Wo, wenn nicht hier<br />
an der Wirkungsstätte Goethes, ist<br />
der richtige Platz, die deutsche Sprache<br />
zu pflegen. Aber jeder von uns<br />
ist aufgefordert, dies zu tun.“ Hier<br />
ist tatsächlich der beste Ort für das<br />
„Festspiel der deutschen Sprache“,<br />
den man sich vorstellen kann. Das<br />
kleine Sommertheater wurde am 26.<br />
Juni 1802 unter Goethes Leitung eröffnet.<br />
Es ist der einzige im Original<br />
erhaltene Theaterbau aus der Zeit, in<br />
der Goethe als Oberdirektor der Weimarer<br />
Hofschauspieler-Gesellschaft<br />
gearbeitet hat.<br />
Lauchstädt bot als Kurort günstigste<br />
Voraussetzungen. Bereits um das<br />
Jahr 1700 war eine Mineralquelle<br />
entdeckt worden. Die daraufhin entstandenen<br />
Historischen Kuranlagen,<br />
die den Besucher auch heute noch<br />
beeindrucken, lockten so bedeutende<br />
Persönlichkeiten wie Gottsched, Gellert<br />
und den sächsischen Kurfürsten<br />
Friedrich August III. als Kurgäste an.<br />
Außerdem strömten die Besucher aus<br />
der nahegelegenen Universitätsstadt<br />
Halle an der Saale herbei, wo es kein<br />
Theater gab. Joseph von Eichendorff<br />
berichtet: „In Lauchstädt selbst aber<br />
konnte man, wenn es sich glücklich<br />
fügte, Goethe und Schiller oft leibhaftig<br />
erblicken, als ob die olympischen<br />
Götter wieder unter den Sterblichen<br />
umherwandelten.“<br />
Noch heute atmet Lauchstädt diesen<br />
Geist aus der Zeit der Dichter und<br />
Denker. Seit 2009 findet das Festspiel<br />
allerdings nicht mehr zu Goethes<br />
Hochzeitstag statt, sondern am<br />
Vorabend des Tags der deutschen<br />
Sprache im September. Möglicherweise<br />
wollte man Rücksicht auf den<br />
Kulturpreis <strong>Deutsche</strong> Sprache nehmen,<br />
dessen Verleihung ebenfalls im<br />
Oktober stattfindet. Glücklicherweise<br />
rückten die Veranstalter von dem<br />
Vorhaben ab, das Festspiel ab 2009<br />
auf zwei Tage auszudehnen und am<br />
zweiten Tag Schüler einzubeziehen.<br />
Denn dann hätte es sich zeitlich und<br />
inhaltlich mit dem Festakt der Neuen<br />
Fruchtbringenden Gesellschaft<br />
zum Tag der deutschen Sprache<br />
überschnitten. Bei der Veranstaltung<br />
im Köthener Schloß, die unter<br />
der Schirmherrschaft des sachsenanhaltischen<br />
Kultusministers steht,<br />
wird nicht nur die Rede zur deutschen<br />
Sprache gehalten (siehe Seiten<br />
6 und 7). Auch tragen die Sieger des<br />
Schülerwettbewerbs „Schöne deutsche<br />
Sprache“ ihre Beiträge vor und<br />
werden dafür geehrt. Insofern ergänzen<br />
sich die beiden Ver-<br />
Eintrittskarten<br />
sind nur<br />
schwer zu<br />
bekommen.<br />
Das „Festspiel<br />
der deutschen<br />
Sprache“ ist nämlich bereits mehrere<br />
Monate im voraus ausverkauft. Die<br />
Anzahl der Plätze im Goethe-Theater<br />
ist begrenzt. In diesem Jahr wurde<br />
daher erstmals das Festspiel auch<br />
auf eine Großbildleinwand vor dem<br />
Theater übertragen. Bild: pau<br />
Straße der<br />
deutschen Sprache<br />
anstaltungen in Bad Lauchstädt und<br />
Köthen/Anhalt wunderbar, und es ist<br />
zu überlegen, ob man dies nicht auch<br />
in eine tiefere organisatorische Zusammenarbeit<br />
münden lassen sollte.<br />
Aber das ist noch Zukunftsmusik,<br />
wenden wir uns jetzt lieber der Ge-<br />
genwart zu. Heute<br />
bin ich endlich in<br />
Bad Lauchstädt. Das<br />
Festspiel ist eröffnet.<br />
Edda Moser thront<br />
in ihrer Loge über<br />
der Versammlung.<br />
Als Axel Milberg beginnt,<br />
Rilke vorzutragen, wird der<br />
ganze Saal mucksmäuschenstill. Alle<br />
lauschen gebannt – bis das Telefon<br />
eines Zuschauers plötzlich anfängt,<br />
Musik zu spielen. Die Gebanntheit ist<br />
auf einen Schlag zerstört. Das unpassende<br />
Geräusch ist vermutlich nicht<br />
so sehr als Antwort auf die zuvor von<br />
Wolfgang Böhmer geäußerte Kritik<br />
an der Sprache telefonischer Kurzbriefe<br />
(„SMS“) zu sehen. Statt dessen<br />
ist es eher ein Symbol dafür, wie die<br />
technische Entwicklung fortschreitet,<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
ohne immer Rücksicht auf die Sprache<br />
zu nehmen.<br />
Doch Milberg gelingt es an diesem<br />
Abend rasch, das an die Technik verlorene<br />
Gebiet zurückzuerobern. Seine<br />
Stimme, seine Bewegungen, sein<br />
Blick – ja sogar sein Schweigen: Alles<br />
paßt genau zum Gesprochenen, und<br />
es wird deutlich, daß nicht nur der<br />
Inhalt, sondern auch die Darbietung<br />
wichtig ist, wenn Sprache wirken soll.<br />
Gudrun Landgrebe hingegen setzt<br />
trotz glutwallender Blicke vor allem<br />
auf ihre Stimme. Diese geht nicht<br />
auf eine Berg-und-Tal-Fahrt, sondern<br />
läßt eher an eine bunt blühende Wie-<br />
24. und 25. Juni 2011<br />
Sprachtag in Köthen<br />
zum Thema „Straße der<br />
deutschen Sprache“.<br />
Bitte vormerken!<br />
se in einer Ebene<br />
denken. Auch die<br />
Schauspieler Hans<br />
Stetter, Sebastian<br />
Koch, Ernst Jacobi<br />
und Pauline Knof<br />
sind gut in Form.<br />
Bei der szenischen Lesung von Schillers<br />
„Kabale und Liebe“, die den<br />
zweiten Teil des Abends bildet, zeigen<br />
vor allem Landgrebe als Lady<br />
Milford und Milberg als Sekretär<br />
Wurm, daß auch ein Drama, das lesend<br />
und im Sitzen dargeboten wird,<br />
fesselnd sein kann, wenn die Worte<br />
mächtig sind. Dieser Versuch gelang<br />
vortrefflich. Der Abend erfüllte<br />
nicht nur mich. Eines steht daher fest:<br />
Nächstes Jahr werde ich wieder nach<br />
Bad Lauchstädt fahren.<br />
Die DSW in der Presse<br />
Die Nachrichtenagentur dpa meldete am 10. September 2010:<br />
Sprachwahrer für<br />
„Straße der deutschen Sprache“<br />
rlangen (dpa) – Sprachwahrer haben sich für die Ausweisung einer<br />
„Straße der deutschen Sprache“ ausgesprochen. Eine solche Ferienstraße<br />
könnte Sprachpflege und Tourismus miteinander verbinden, erklärte<br />
der Chefredakteur der Zeitung „Die <strong>Sprachwelt</strong>“, Thomas Paulwitz, am<br />
Freitag in einer Mitteilung. Der Kern einer solchen touristischen Route sollte<br />
seiner Ansicht nach in Ostdeutschland liegen. Die sächsische Kanzleisprache<br />
und das Wirken Martin Luthers hätten das Hochdeutsche stark geprägt.<br />
In den ersten Städten seien bereits Bürger und Politiker für die Idee einer<br />
solchen Ferienstraße gewonnen worden, berichtete Paulwitz in Erlangen. Als<br />
Beispiele nannte er die Stadt Köthen, die Konrad-Duden-Stadt Schleiz, die<br />
Paul-Gerhardt-Stadt Gräfenhainichen und die Sorben-Stadt Bautzen. Weitere<br />
Stationen könnten die Wartburg, Weimar und Wittenberg sein. Auf dem<br />
Köthener Sprachtag Ende Juni 2011 wollen Sprachfreunde und Vertreter verschiedener<br />
Städte über die Ferienstraße beraten. Die „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“<br />
ist nach eigenen Angaben die größte deutsche Zeitschrift für Sprachpflege<br />
und Sprachpolitik.<br />
Das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung beschäftigte sich<br />
am 14. September 2010 ebenfalls mit der Straße der deutschen Sprache:<br />
Das Streiflicht<br />
(SZ) – Man müßte an der Verwilderung des <strong>Deutsche</strong>n verzweifeln, schrieb<br />
der Sprachpurist Eduard Engel vor 100 Jahren, sähe man nicht zugleich den<br />
Gegentrieb „aus den Eingeweiden der Nation“, sich des Jochs der „Fremdwörtler“<br />
zu erwehren. Engel hat viele Nachfolger gefunden, die sich heute<br />
zwar anders ausdrücken als er, in der Diagnose mit ihm aber einer Meinung<br />
sind. In den Eingeweiden der Nation gibt es deswegen allerlei nervöse Störungen,<br />
nicht zuletzt auch aus dem Grund, daß ebenso viele Sprachfreunde<br />
das blanke Gegenteil glauben. Ihrer Ansicht nach ist die deutsche Sprache<br />
bei erfreulich guter Gesundheit und verfügt darüber hinaus über Kraft genug,<br />
sich das Neue und Fremde mit Lust einzuverleiben und zu ihrem eigenen<br />
Besten zu verdauen. Dies der einigermaßen verwirrende Sachstand, zu dem<br />
nun die ebenfalls recht ambivalente Neuigkeit kommt, daß eine „Straße der<br />
deutschen Sprache“ angelegt werden soll. … Früher hätte man eine Straße<br />
der deutschen Sprache wahrscheinlich danach geplant, wie weit laut Ernst<br />
Moritz Arndt „die deutsche Zunge klingt“. Die „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“, die<br />
das Vorhaben jetzt propagiert, ist da bescheidener. Nach der Vision des Blattes<br />
soll sich die Straße zunächst durch Mitteldeutschland schlängeln, eine für<br />
die Entwicklung des <strong>Deutsche</strong>n in der Tat bedeutsame Gegend, man denke<br />
nur an den wortgewaltigen Luther, der dort wirkte. Dort, in Köthen, gab es<br />
auch die „Fruchtbringende Gesellschaft“, über deren Eindeutschungsbemühungen<br />
so viel Spott ausgegossen wurde, daß man das Bleibende kaum noch<br />
sehen konnte. Die Sprachwahrer der Gegenwart leben in der ständigen Versuchung,<br />
die Anglizismen für die Hauptgefahr zu halten und darüber alles<br />
andere zu vergessen. Man muß aufpassen, daß diese enge Sicht der Dinge<br />
nicht den Bau der <strong>Deutsche</strong>n Sprachstraße bestimmt. Es soll ja weder eine<br />
Einbahnstraße noch ein Holzweg werden.
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010 Sprachraum<br />
Seite 5<br />
Von Andreas Raffeiner<br />
W<br />
ieso sprechen Sie als Italiener<br />
so gut deutsch?“ Diese<br />
Frage deutscher Landsleute läßt<br />
mich immer wieder aufs neue erstaunen.<br />
Staunen über Unwissen über die<br />
Geschichte und die Bevölkerungsgeographie.<br />
Man glaubt, Deutsch als<br />
Muttersprache wäre auf Deutschland<br />
und Österreich, ferner Liechtenstein,<br />
allenfalls noch auf die Deutschschweiz<br />
beschränkt. Keine Rede von<br />
den <strong>Deutsche</strong>n in Ostbelgien, in den<br />
niederländischen Grenzgebieten, im<br />
Elsaß und Ostlothringen, in Nordschleswig;<br />
und schon gar nicht von<br />
jenen Resten deutscher Bevölkerung,<br />
die nicht durch Flucht, Vertreibung<br />
und Spätaussiedlung vollständig ausgelöscht<br />
worden sind; von den <strong>Deutsche</strong>n<br />
in Rußland, in der Ukraine, im<br />
Baltikum, in Kasachstan, Usbekistan,<br />
Siebenbürgen, Schlesien ganz<br />
zu schweigen.<br />
Die Existenz der autochthonen<br />
deutschsprachigen Minderheit in<br />
Oberitalien bemerken viele Urlauber<br />
erst während ihres Besuches in Südtirol,<br />
in diesem fast 7.500 Quadratkilometer<br />
großen Gebiet zwischen dem<br />
Brennerpaß und der Salurner Klause,<br />
das heute eine Autonome Provinz<br />
mit Bozen als Hauptstadt bildet. Die<br />
Einwohner sprechen eine südbairische<br />
Mundart, die sich auch über die<br />
bei Österreich verbliebenen Gebiete<br />
Osttirol, Kärnten und die südlichen<br />
und östlichen Teile Nordtirols erstreckt.<br />
Von etwas mehr als 500.000<br />
Einwohnern Südtirols bekennen sich<br />
zwei Drittel zur deutschen, etwas<br />
mehr als ein Viertel zur italienischen<br />
und der Rest zur ladinischen Volksgruppe.<br />
Andere bezeichnen sich als<br />
Gemischtsprachige, einige wenige<br />
verweigern die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung.<br />
Seit Mitte des 12. Jahrhunderts sind<br />
die Grafen von Tirol als Grafschaftsverwalter<br />
des Bischofs von Trient ur-<br />
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Name, Vorname<br />
Straße<br />
Südtirol spricht immer noch Deutsch<br />
Ein Streifzug durch die Geschichte eines begehrten Landes – Teil 1: bis 1945<br />
kundlich belegbar.<br />
Sie erwarben die<br />
Grafschaft Bozen<br />
und setzten sich im<br />
Bistum Brixen fest.<br />
Unter der Landesherrin<br />
Margarethe<br />
Maultasch kam Tirol<br />
1363 zu Habsburg,<br />
dem mächtigsten<br />
Fürstenhaus<br />
Süddeutschlands.<br />
1805 verlor Österreich<br />
Tirol, 1809<br />
erhoben sich die Tiroler<br />
unter Führung<br />
von Andreas Hofer<br />
gegen Napoleon<br />
und die mit ihm<br />
verbündeten Bayern<br />
und Sachsen – ein<br />
Beispiel von vielen<br />
unter den deutschen<br />
Bruderkriegen. In<br />
drei Schlachten am<br />
Bergisel befreite<br />
das Aufgebot der<br />
Tiroler Landesschützen<br />
die LandeshauptstadtInnsbruck.<br />
Die vierte<br />
und letzte Schlacht<br />
führte zur Niederlage<br />
der Tiroler und<br />
zur Hinrichtung<br />
Hofers 1810 in Mantua. Im gleichen<br />
Jahr wurde Tirol geteilt. Das Gebiet<br />
nördlich von Klausen kam zum französischen<br />
Vasallen Bayern, der Süden<br />
zu dem von Napoleon gegründeten<br />
Königreich Italien, der Osten zu den<br />
Illyrischen Provinzen des Kaiserreichs<br />
Frankreich. Aber schon 1813<br />
wurde diesem Zustand durch die Befreiung<br />
Europas von Napoleon ein<br />
Ende gesetzt.<br />
Als während des Ersten Weltkrieges<br />
1915 das Königreich Italien seinem<br />
bisherigen Verbündeten Österreich-<br />
Ungarn den Krieg erklärte, waren<br />
Nord- und Osttirol gehören heute zu Österreich, Südtirol und Welschtirol (Trentino) zu Italien.<br />
regelmäßiger Bezug<br />
Bitte senden Sie mir regelmäßig kostenlos und unverbindlich<br />
die DEUTSCHE SPRACHWELT. Bei<br />
Gefallen werde ich sie mit einer Spende unterstützen.<br />
Ich verpflichte mich aber zu nichts.<br />
Mehrfachbezug<br />
Ich besitze eine Arztpraxis oder habe eine andere<br />
Gelegenheit, die DSW auszulegen. Bitte schicken<br />
Sie mir von jeder neuen Ausgabe ______ Stück.<br />
Nachbestellung<br />
Bitte liefern Sie mir kostenlos:<br />
Geburtsdatum<br />
______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />
______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />
______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />
Postleitzahl und Ort<br />
die 21- bis 43jährigen schon eingezogen<br />
worden und befanden sich an<br />
der russischen Front in Galizien oder<br />
an der serbischen Front im Buchenland<br />
(Bukowina). Der Landsturm,<br />
formiert aus Jugendlichen und über<br />
43jährigen, verteidigte erfolgreich<br />
die Grenzen Tirols. Kein Italiener<br />
betrat je den Boden Südtirols. Doch<br />
der Londoner Geheimvertrag von<br />
1915 hatte Italien zugesichert, als<br />
Lohn für seinen Treubruch und den<br />
Kriegseintritt auf Seiten der Entente<br />
den Brennerpaß am Alpenhauptkamm<br />
als strategische Grenze zu bekommen.<br />
Im schroffen Widerspruch<br />
______ Faltblätter „Rettet die deutsche Sprache!“<br />
______ Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf<br />
der deutschen Sprache!“ (9,5 x 14,5 cm; farbig;<br />
witterungsbeständig)<br />
zum Selbstbestimmungsrecht und<br />
den 14 Punkten des US-Präsidenten<br />
Woodrow Wilson wurde auf der Friedenskonferenz<br />
von Paris 1919 Tirol<br />
zerrissen. Aufgrund der menschenverachtendenWasserscheidentheorie<br />
kam der Süden Tirols gegen den<br />
eindeutigen Willen der fast durchweg<br />
deutschsprachigen Bevölkerung<br />
(damals gab es lediglich drei Prozent<br />
Italiener in Südtirol) zum Königreich<br />
Italien.<br />
1922 kamen die Faschisten in Rom<br />
an die Macht. Ihr Duce (Führer) Benito<br />
Mussolini verbot den Namen<br />
Bitte senden Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT auch an:<br />
Bitte deutlich schreiben!<br />
1<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Postleitzahl und Ort<br />
2<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Postleitzahl und Ort<br />
3<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Postleitzahl und Ort<br />
4<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Postleitzahl und Ort<br />
5<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Postleitzahl und Ort<br />
6<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Postleitzahl und Ort<br />
Tirol, nannte Südtirol Alto Adige<br />
(Oberetsch) und stellte den Unterricht<br />
in deutscher Sprache unter Strafe.<br />
Trotzdem überlebte die deutsche<br />
Sprache in den sogenannten Katakombenschulen.<br />
Mutige Frauen und<br />
Männer, allen voran Kanonikus Michael<br />
Gamper, Josef Noldin, Rudolf<br />
Riedl und Angela Nikoletti organisierten<br />
den Geheimunterricht. Einige<br />
wurden ertappt und auf Strafinseln<br />
verbannt. Alle deutschen Beamten<br />
wurden entlassen oder in altitalienische<br />
Provinzen versetzt. Drei Millionen<br />
Quadratkilometer Obstanlagen<br />
und Edelreben wurden enteignet, um<br />
das Bozner Industriegebiet im Süden<br />
der Talferstadt zu errichten und auf<br />
diese Weise Zehntausende Italiener<br />
anzusiedeln.<br />
Mussolinis Bündnispartner Adolf<br />
Hitler opferte die deutschen Südtiroler,<br />
indem er 1939 mit ihm ein<br />
Abkommen zu deren Umsiedlung,<br />
die sogenannte „Option“ schloß. Von<br />
den rund 250.000 Optionsberechtigten<br />
entschieden sich über 85 Prozent<br />
für die deutsche, der Rest für die<br />
italienische Staatsbürgerschaft. Die<br />
Optanten für Deutschland wurden<br />
häufig in die deutsche Wehrmacht<br />
eingezogen, kämpften und fielen an<br />
allen Fronten. 1943 war das faschistische<br />
Italien militärisch am Ende<br />
und mußte einen Waffenstillstand<br />
mit den Alliierten unterzeichnen.<br />
<strong>Deutsche</strong> Truppen besetzten fast das<br />
ganze Land, so daß die Umsiedlung<br />
der Südtiroler beinahe zum Stillstand<br />
kam. Im Mai 1945 rückten Amerikaner<br />
und Briten in Südtirol ein.<br />
Fortsetzung folgt.<br />
Andreas Raffeiner kommt aus Bozen<br />
und studiert Geschichte, Politik- und<br />
Rechtswissenschaften an der Universität<br />
Innsbruck.
Seite 6 Hintergrund<br />
Lieferbare Ausgaben<br />
<strong>41</strong> Herbst 2010<br />
40<br />
Sommer 2010<br />
Unter anderem: Thomas Paulwitz:<br />
Zehn Jahre Spracharbeit – Die DEUT-<br />
SCHE SPRACHWELT hat Geburtstag<br />
/ Kräfte bündeln für die Muttersprache /<br />
Grußworte und Geburtstagswünsche der<br />
Sprachvereine / Straße der deutschen<br />
Sprache: Schleiz / Lienhard Hinz im Gespräch<br />
mit Winder McConell: Deutsch<br />
als Fremdsprache in den Vereinigten<br />
Staaten / Artur Stopyra: Deutschschüler<br />
aus Warschau reisen und werben für die<br />
deutsche Sprache / Lienhard Hinz: Die<br />
<strong>Deutsche</strong> Welle veröffentlicht Stellungnahmen<br />
zur deutschen Sprache / Richard<br />
Albrecht: Sprachbetrachtungen im Lichte<br />
der Gedanken Ernst Blochs / Steinfelds<br />
Standpauke in der „Süddeutschen“ bringt<br />
den Sprachschützern Zulauf / Sprachsünder-Ecke:<br />
Schweizerische Bundeskanzlei<br />
als Sprachpolizei / Diethold Tietz: 100.<br />
Geburtstag Konrad Zuses / Rolf Zick:<br />
Sprachschützer trifft Kulturredakteur /<br />
Günter Körner: Vom Quantensprung<br />
zum Tantensprung – Sprachkritik aus<br />
naturwissenschaftlicher Sicht (3) / Eine<br />
BILD-Ausgabe ohne Englisch / Wolfgang<br />
Hildebrandt: Udo Lindenberg erhält<br />
den Kulturpreis <strong>Deutsche</strong> Sprache /<br />
Wolfgang Hildebrandt: Zum Geburtstag<br />
kein Congratulation (Anglizismenmuffel)<br />
39<br />
Frühling 2010<br />
Unter anderem: Thomas Paulwitz: Wird<br />
Deutsch zur Affensprache? / Esperanto<br />
hat Nachteile / Peter Ramsauer: Meine<br />
„Deutsch-Initiative“ / Thomas Paulwitz:<br />
Das Ende des Service-Points / Thomas<br />
Paulwitz: Geht auf die Straße der deutschen<br />
Sprache / Gefunden: mehr als 1.000<br />
Gründe für die deutsche Sprache / Luc<br />
Degla: Sprache schafft Gemeinsamkeit /<br />
Ralph Mocikat: Wie das Vordringen der<br />
Unterrichtssprache Englisch der Landessprache<br />
schadet / Diethold Tietz: Besuch<br />
beim Sprachkünstler Peter Schönhoff /<br />
Werbesprüche für die deutsche Sprache /<br />
Sprachwahrer 2009: Guttenberg, Wickert,<br />
van Gaal gewinnen / Sprachsünder-Ecke:<br />
Justizminister Hamburgs und Nordrhein-<br />
Westfalens / Lienhard Hinz: „Deutsch<br />
– Sprache der Ideen“ / Rolf Zick: Paul-<br />
Josef Raue ist Ehrenmitglied der ADS /<br />
Wettbewerb: <strong>Deutsche</strong> Marken- und Produktnamen<br />
/ Wieland Kurzka: Deutsch<br />
– ein „No go“? / Günter Körner: Der<br />
kleinste gemeinsame Nenner – Sprachkritik<br />
aus naturwissenschaftlicher Sicht (2) /<br />
Wolfgang Hildebrandt: Wein predigen,<br />
Wasser trinken (Anglizismenmuffel)<br />
38<br />
Winter 2009/10<br />
Unter anderem: Thomas Paulwitz: Werben<br />
für die deutsche Sprache / Können<br />
wir die Sprachentwicklung steuern? / Alfredo<br />
Grünberg: Esperanto: Weltsprache<br />
ohne Machtanspruch / Thomas Paulwitz:<br />
Was ist eine Weltsprache? / Klemens<br />
Weilandt: Ein bewegtes Leben /<br />
Günter Körner: Ka Em Ha – Sprachkritik<br />
aus naturwissenschaftlicher Sicht (1)<br />
/ Die deutsche Sprache im Koalitionsvertrag<br />
/ Karin Pfeiffer-Stolz: Eine Irrlehre<br />
– Was „Vereinfachte Ausgangsschrift“<br />
und Rechtschreibreform gemein haben /<br />
Gespräch mit Josef Kraus: Bürgerliche<br />
Revolte gegen den Bildungsabbau / Peter<br />
Fischer: <strong>Deutsche</strong> Zwillingsformeln /<br />
Horst Stein: „Sergejs Schatten“ / Ausgewählte<br />
Beiträge aus dem Schreibwettbewerb<br />
„Schöne deutsche Sprache“ 2009 /<br />
Thomas Paulwitz: Die Kulturhauptstadt<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
Kleid oder Haut?<br />
Was ist uns unsere deutsche Sprache?<br />
Köthener Rede zur deutschen Sprache 2010<br />
Von Hans Joachim Meyer<br />
W<br />
as ist uns unsere deutsche Sprache?<br />
Was ist jedem Menschen<br />
die Sprache, in der er aufwuchs, mit<br />
der er zu denken und zu handeln lernte,<br />
die ihm zur zweiten Natur wurde? Ist<br />
sie nur ein Kleid, das man anzieht, aber<br />
auch wieder ausziehen kann? Können<br />
Sprachen, ob Muttersprache oder<br />
Fremdsprache, Kleider sein, die wir<br />
beliebig wechseln? Oder ist uns unsere<br />
Muttersprache eine zweite Haut,<br />
die wir gar nicht ablegen können, die<br />
mit unserer Persönlichkeit untrennbar<br />
verbunden ist und welche die meisten<br />
von uns auch nicht verbergen können,<br />
soviel Mühe sie sich auch mit fremdsprachigen<br />
Kleidern machen mögen –<br />
seien dies Kleider ihrer Wahl oder vorgegebener<br />
Notwendigkeit? Gewiß: Die<br />
Gegenüberstellung von Kleid und Haut<br />
schmerzt, wenn man die beiden Bilder<br />
ernst nimmt. Manchem mag dies<br />
eine unangemessene Dramatisierung<br />
scheinen. Aber die deutsche Geschichte<br />
zeigt uns in vielen Beispielen, wie<br />
innig die Beziehung zwischen uns und<br />
unserer Sprache ist und wie schmerzlich<br />
wir es empfinden, wenn wir erleben<br />
müssen, daß diese Beziehung uns<br />
oder unserer Umwelt nicht oder nicht<br />
mehr selbstverständlich ist.<br />
Denn auch wenn uns unsere Sprache<br />
ganz zu eigen zu sein scheint, so ist sie<br />
doch ein Eigentum, das wir mit anderen<br />
teilen. Sprache ermöglicht uns ja nicht<br />
nur auszudrücken, was wir selbst mitteilen<br />
wollen. Durch Sprache erfahren<br />
wir auch, was andere empfinden, wollen<br />
und denken. So begründet Sprache<br />
einerseits Gemeinsamkeit mit anderen<br />
und signalisiert Übereinstimmung und<br />
Vertrautheit, sie ist aber andererseits<br />
auch das gemeinsam genutzte Mittel<br />
zum Austragen von Streit. Sprache<br />
vereint und trennt. In seinem Spruchgedicht<br />
„An den Dichter“ hat Friedrich<br />
Schiller beide Wirkungen im Bild der<br />
Liebe versöhnt:<br />
Laß die Sprache dir sein, was der Körper<br />
den Liebenden: Er nur /<br />
Ist’s, der die Wesen trennt und der die<br />
Wesen vereint.<br />
Was Liebe versöhnt, entzweit der Haß.<br />
Das gilt für einzelne Menschen wie<br />
für eine ganze Sprachgemeinschaft.<br />
In der Auseinandersetzung darüber,<br />
was Deutschland und die <strong>Deutsche</strong>n<br />
sind und sein sollen, stoßen wir daher<br />
K<br />
Unsere Arbeit ist abhängig von Ihrer Spende!<br />
Bundesrepublik Deutschland<br />
Stadt- und Kreissparkasse Erlangen<br />
Bankleitzahl 763 500 00<br />
Kontonummer 400 1957<br />
BIC: BYLADEM1ERH<br />
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Aufkleber<br />
leben Sie den Sprachverderbern<br />
eine! Unser Anti-SALE-<br />
Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf<br />
der deutschen Sprache“<br />
ist nach wie vor heißbegehrt. Die<br />
Auflage ist mittlerweile auf 26.000<br />
Stück gestiegen. Mit Hilfe dieses<br />
Aufklebers tragen wir nicht nur unser<br />
Anliegen in die Öffentlichkeit,<br />
sondern gewinnen laufend neue<br />
Leser und Mitstreiter. Bekennen<br />
Sie Farbe und bestellen Sie diesen<br />
kostenlosen Aufkleber!<br />
Verein für Sprachpflege e.V.<br />
Hans Joachim Meyer (rechts) kurz<br />
vor seiner „Rede zur deutschen Sprache“.<br />
Links neben ihm sitzt Köthens<br />
Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander.<br />
Bild: Hildebrandt<br />
auch immer wieder auf den Konflikt<br />
im Anspruch auf die deutsche Sprache.<br />
Wer hat Anteil an der Kultur, die in ihr<br />
Gestalt annimmt? Und wer soll ausgeschlossen<br />
werden? Zwei Tatsachen<br />
sind es, die für die Antwort auf diese<br />
Fragen bedeutsam wurden: Einerseits<br />
war es zunächst die Kultur, welche die<br />
<strong>Deutsche</strong>n zum Bewußtsein einer nationalen<br />
Zusammengehörigkeit führte,<br />
bevor sich die Möglichkeit eines deutschen<br />
Nationalstaates abzuzeichnen<br />
begann und der Wunsch danach lauter<br />
wurde. Führende Persönlichkeiten des<br />
geistigen Lebens sahen lange gerade<br />
in dieser überstaatlichen kulturellen<br />
Zusammengehörigkeit einen Vorzug<br />
der <strong>Deutsche</strong>n. Andererseits gehört es<br />
jedoch zu den Belastungen der deutschen<br />
Geschichte, daß der sich aus der<br />
kulturellen Zusammengehörigkeit entwickelnde<br />
Wunsch nach nationalstaatlicher<br />
Einheit und das Streben nach<br />
bürgerlicher Freiheit schon früh in<br />
Spannung zueinander traten. Zu denken<br />
ist hier an die Widersprüchlichkeit<br />
der Befreiungskriege gegen Napoleon.<br />
Der Gedanke einer deutschen Kulturnation<br />
war maßgeblich geprägt gewesen<br />
von den Idealen freier Persönlichkeitsbildung<br />
und völkerverbindender<br />
Humanität. Aber wenn wir auf jene<br />
politischen Kräfte blicken, welche<br />
dann zunehmend den Weg zum deutschen<br />
Nationalstaat und dessen Selbstverständnis<br />
prägten, dann müssen wir<br />
bekennen: Nicht wenige standen auf<br />
nationalistischen Positionen und verachteten<br />
die westliche Demokratie.<br />
← Bestellschein umseitig!<br />
K<br />
Republik Österreich<br />
Volksbank Salzburg<br />
Bankleitzahl 45010<br />
Kontonummer 000 150 623<br />
Faltblatt<br />
lären Sie Ihre Mitmenschen<br />
auf! Unser Faltblatt „Rettet<br />
die deutsche Sprache!“ findet weiterhin<br />
reißenden Absatz. Gemeinsam<br />
mit Ihnen, liebe Leser, haben<br />
wir Tausende Faltblätter bereits<br />
gezielt verteilt. Bestellen und verbreiten<br />
auch Sie das Faltblatt und<br />
klären Sie über die Sprachpflege<br />
und die DEUTSCHE SPRACH-<br />
WELT auf!<br />
Zugleich beanspruchten sie die deutsche<br />
Geschichte für sich. Das warf<br />
schon früh die Frage auf, wer denn zur<br />
deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft<br />
gehöre und Deutschland geistig<br />
repräsentiere. Für namhafte deutsche<br />
Demokraten wurde so die Frage existentiell,<br />
ob ihnen ihre deutsche Sprache<br />
Haut oder nur Kleid sei. Es gehört<br />
zu den Tragödien der deutschen Geschichte<br />
des 19. und 20. Jahrhunderts,<br />
daß nicht wenige von ihnen sich diese<br />
Frage im Exil stellen mußten. Unter<br />
diesen <strong>Deutsche</strong>n waren viele Juden.<br />
An die traurige und schmerzhafte<br />
Liebe deutscher Demokraten zu ihrer<br />
Sprache will ich heute erinnern.<br />
„Abgespalten vom lebendigen<br />
Strom der Muttersprache“<br />
An erster Stelle sei Heinrich Heine<br />
genannt als literarisch und geistig herausragendes<br />
Beispiel für jene <strong>Deutsche</strong>n,<br />
die im 19. Jahrhundert ihr Land<br />
aus Empörung und Verzweiflung oder<br />
unter Zwang und durch Verfolgung<br />
verließen. Zu Heines Erfahrungen als<br />
Student gehörte der Widerspruch zwischen<br />
der Judenemanzipation als Teil<br />
der von Stein, Hardenberg und anderen<br />
durchgesetzten Reformen und<br />
der zunehmenden Ausgrenzung von<br />
Juden als „undeutsch“, wie sie ihm<br />
bald durch seinen Ausschluß aus studentischen<br />
Verbindungen entgegentrat.<br />
So lebte er in einer ständigen Spannung<br />
zwischen seiner Verachtung für<br />
jene, die sich „nicht aus dem Sumpfe<br />
der Nationalselbstsucht hervorwinden<br />
können, und die nur Deutschland und<br />
die <strong>Deutsche</strong>n lieben“ und andererseits<br />
seiner Sehnsucht nach Deutschland und<br />
seinem Einverständnis mit jenen, die<br />
von dessen freiheitlicher Zukunft träumen;<br />
„ihr Wort wird Saat der Freiheit“,<br />
schrieb er zuversichtlich. Die meisten<br />
von Ihnen werden Heines großes Gedicht<br />
„Deutschland, ein Wintermärchen“<br />
kennen, das beides umschließt:<br />
Seine große, wenn auch oft ironisch<br />
gebrochene Liebe zu Deutschland und<br />
seine spöttischen Angriffe auf die dort<br />
herrschende politische und geistige Reaktion.<br />
Untrennbar verbunden ist dies<br />
mit seiner Liebe zur deutschen Sprache,<br />
die ihn bei seiner Einreise nach<br />
Deutschland fast überwältigt, so daß er<br />
sich dann nur durch eine schneidende<br />
Attacke auf die deutschen Zustände<br />
wieder in den Griff bekommt:<br />
Im traurigen Monat November war’s,<br />
Die Tage wurden trüber,<br />
Der Wind riß von den Bäumen das<br />
Laub,<br />
Da reist ich nach Deutschland hinüber<br />
Und als ich an die Grenze kam,<br />
Da fühlt’ ich ein stärkeres Klopfen<br />
In meiner Brust, ich glaube sogar<br />
Die Augen begannen zu tropfen.<br />
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,<br />
Da ward mir seltsam zumute;<br />
Ich meinte nicht anders, als ob das<br />
Herz<br />
Recht angenehm verblute.<br />
Auch wenn Heine vor den deutschen<br />
Zuständen nach Paris flieht und zeitweise<br />
sogar mit dem Gedanken spielt,<br />
in die Vereinigten Staaten mit ihrer,<br />
wie er sagte, „washingtonschen Freiheit“<br />
auszuwandern, so gibt er seinen<br />
Anspruch auf die deutsche Sprache<br />
dennoch nicht auf. Und niemals werden<br />
ihm die deutschen Dinge gleichgültig.<br />
Bekannt ist sein – trotz seines<br />
Grolls auf die Burschenschaften – im<br />
Vorwort zum „Wintermärchen“ formuliertes<br />
Bekenntnis: „Pflanzt die<br />
schwarz-rot-goldne Fahne auf die<br />
Höhe des deutschen Gedankens, macht<br />
sie zur Standarte des freien Menschentums,<br />
und ich will mein bestes Herzblut<br />
für sie hingeben.“<br />
Aber die Fahne des 1871 gegründeten<br />
Kaiserreiches war nicht Schwarz-Rot-<br />
Gold. Und als nach der Revolution von<br />
1918 eine deutsche Republik mit diesen<br />
Farben entstand, wurde sie im Innern<br />
von einer wachsenden Zahl von Feinden<br />
bekämpft. Und der nationalistische<br />
Anspruch, die deutsche Kultur und damit<br />
auch die deutsche Sprache allein<br />
zu repräsentieren, wurde übermächtig,<br />
blieb jedoch nachdrücklich bestritten<br />
– vor und nach 1933. Für die sich den<br />
Idealen der Freiheit und der Demokratie<br />
verpflichtet fühlenden deutschen<br />
Denker und Künstler will ich hier nur<br />
drei nennen. Gemeinsam ist ihnen, daß<br />
sie Juden waren und daß sie im erzwungenen<br />
Exil starben: Kurt Tucholsky, Joseph<br />
Roth und Bruno Frank.<br />
Der totale Zugriff der verbrecherischen<br />
Diktatur der Nationalsozialisten erstreckte<br />
sich auch auf die Sprache. Zu<br />
erinnern ist hier an die kritische Analy-<br />
se der Lingua Tertii Imperii durch den<br />
als Juden verfolgten Philologen Viktor<br />
Klemperer. Auf die Machtergreifung<br />
folgten bald die Bücherverbrennungen,<br />
der Zugriff auf die Preußische Akademie<br />
der Künste sowie schließlich die<br />
Etablierung einer Reichskulturkammer<br />
und einer Reichsschrifttumskammer<br />
als Teile des Propagandaapparats.<br />
Für die meisten dem System widerstehenden<br />
oder sich verweigernden Dichter<br />
und Schriftsteller bedeutete dies<br />
Verstummen oder Verlust der Freiheit<br />
oder Verlust der Heimat.<br />
So zahlreich wie noch nie zuvor in<br />
der deutschen Geschichte verließen<br />
Künstler und Wissenschaftler das<br />
Land. Nicht zuletzt war es eine Emigration,<br />
welche für die Betroffenen die<br />
lebendige Verbindung mit der eigenen<br />
Sprache unterbrach oder doch stark<br />
einschränkte. Das war ein gravierender<br />
Unterschied zur Emigration des 19.<br />
Jahrhunderts. Durch die nationalsozialistische<br />
Diktatur war die Trennung<br />
vom Leben in Deutschland so radikal,<br />
daß sie die künstlerische und intellektuelle<br />
Existenz zutiefst gefährdete.<br />
Lion Feuchtwanger bekannte damals:<br />
„Da ist zunächst die bittere Erfahrung,<br />
abgespalten zu sein vom lebendigen<br />
Strom der Muttersprache.“<br />
Was der Wechsel der sprachlichen<br />
Umwelt für einen Menschen bedeutet,<br />
dessen Werk mit und durch seine Sprache<br />
lebt, hat Susanne Utsch am Beispiel<br />
der „linguistischen Metamorphose“<br />
von Klaus Mann untersucht. Er,<br />
der sich in Deutschland schon einen<br />
eigenen Namen gemacht hatte, kam in<br />
die USA zunächst nur als Sohn seines<br />
auch dort berühmten Vaters Thomas<br />
Mann. Für einen Erwachsenen ist das<br />
eine demütigende Existenz. Wie seine<br />
Schwester Erika Mann versuchte er<br />
sich zunächst mit englischen Vorträgen.<br />
Und es wird ihm wie ihr gegangen<br />
sein, die über ihre ersten Versuche<br />
auf diesem Gebiet schrieb: „Natürlich<br />
war es peinlich, wenn ich nach dem<br />
durch mein Nachahmungstalent überzeugend<br />
klingenden Vortrag mit Fragen<br />
bombardiert wurde, die ich nicht<br />
verstehen und schon gar nicht beantworten<br />
konnte.“<br />
Es gibt zwei Äußerungen von Klaus<br />
Mann, die man gleichsam als Beginn<br />
und als Ende seiner tragischen Exiler-<br />
deutscht zurück / Sprachsünder-Ecke:<br />
Technische Universität München / Lienhard<br />
Hinz: Die <strong>Deutsche</strong> Welle diskutiert<br />
über Sprachpolitik / Thomas Paulwitz:<br />
Köthener Gespräch über Deutsch<br />
als Wissenschaftssprache / Bautzener<br />
Sprachretter appellieren an die Parteien /<br />
Wettbewerb zur Jagdlyrik / Heinz Böhme:<br />
Gedanken über einen Modegruß / Ein<br />
Baum für die deutsche Sprache / Wolfgang<br />
Hildebrandt: Den Regierenden ein<br />
besseres Deutsch (Anglizismenmuffel)<br />
37<br />
Herbst 2009<br />
Unter anderem: Thomas Paulwitz:<br />
Was haben wir von der neuen Bundesregierung<br />
sprachpolitisch zu erwarten? /<br />
Stephan Elbern: Zweisprachige Erziehung:<br />
ein Erfahrungsbericht / Günther<br />
Zimmermann: Sprechen Sie „Versicherisch“?<br />
/ Wolfgang Hildebrandt:<br />
Die Masche mit den „selbsternannten“<br />
Sprachpflegern / Kurt Reinschke: Unsere<br />
Sprache ist Ausdruck unserer kulturellen<br />
Identität (Rede zur deutschen<br />
Sprache) / Thomas Paulwitz: 2011<br />
kommt die nächste Rechtschreibreform /<br />
Oliver Höher: Peter von Matt gibt Heinrich<br />
Hoffmanns „Struwwelpeter“ heraus<br />
/ Thomas Paulwitz: Deutschlehrer, denen<br />
Englisch lieber ist / Sprachsünder-<br />
Ecke: Kulturhauptstadt Europas – 2010<br />
wird die Ruhr amerikanisch / Rolf Zick:<br />
Die Verantwortung der Presse / Diethold<br />
Tietz: Sprachfest mit den Sorben / Fotowettbewerb<br />
brachte geistreiche deutsche<br />
Werbesprüche ans Licht / Tag der deutschen<br />
Sprache in Straubing / Ein Herz für<br />
die deutsche Sprache / Wolfgang Hildebrandt:<br />
Denglisch als Folge mangelnder<br />
Zivilcourage? (Anglizismenmuffel)<br />
Lieferbar sind auch noch alle früheren Ausgaben. Die Inhaltsverzeichnisse<br />
sämtlicher Ausgaben finden Sie unter<br />
www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/papier/index.shtml.
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010 Hintergrund<br />
Seite 7<br />
fahrung mit der deutschen Sprache<br />
nehmen kann. Im Jahre 1936 sagte er<br />
mit trotziger Entschlossenheit: „Es ist<br />
meine Sprache, kein Hitler kann sie<br />
mir nehmen.“ Im Jahre 1949 schrieb<br />
er traurig: „Damals hatte ich eine<br />
Sprache, in der ich mich recht flink<br />
auszudrücken vermochte; jetzt stokke<br />
ich in zwei Zungen.<br />
Im Englischen werde<br />
ich wohl nie ganz so<br />
zu Hause sein, wie ich<br />
es im <strong>Deutsche</strong>n war –<br />
aber wohl nicht mehr<br />
recht bin.“<br />
Englisch sprechen,<br />
amerikanisch denken<br />
Wer sich allerdings dem<br />
Sprachverständnis und<br />
dem Sprachverhalten<br />
der deutschen Gegenwart<br />
aussetzt, der kann<br />
dem Eindruck schwerlich<br />
entgehen, daß sich<br />
viele in den Eliten dieses<br />
Landes eilfertig ihrer<br />
deutschen Sprache entledigen, als<br />
wäre sie ein altes und schäbiges Kleid.<br />
Für sie ist es selbstverständlich, daß<br />
die globale Gesellschaft von morgen<br />
englisch spricht und amerikanisch<br />
denkt. Wer meint, zur Elite zu gehören,<br />
schickt seine Kinder selbstverständlich<br />
in solche Kindergärten und Schulen,<br />
in denen nur Englisch gesprochen<br />
wird und die daher als „international“<br />
gelten. Ganz generell wird ja heute<br />
„international“ und „englisch“ gleichgesetzt.<br />
Wenn in Deutschland etwas<br />
als modern, innovativ, modisch oder<br />
kreativ charakterisiert werden soll, so<br />
geschieht dies selbstverständlich fast<br />
nur in Englisch. Es gehört Mut dazu,<br />
dieser Entwicklung zu widersprechen.<br />
Den Mut haben die meisten Menschen<br />
nicht. Denn sie müssen damit rechnen,<br />
als Deutschtümler verlacht, als Ewiggestrige<br />
mißachtet, ja, als Nationalisten<br />
beschimpft zu werden. Gleichgültigkeit<br />
gegenüber der deutschen<br />
Sprache gilt heute vielen als Ausweis<br />
aufgeklärter Weltbürgerlichkeit.<br />
Als selbstverständlich gilt bei uns,<br />
daß, wer dieses Land repräsentiert, sei<br />
dies im Ausland oder im Inland, dies<br />
in Englisch tut. Selbst ausländische<br />
Germanisten erhalten aus Deutschland<br />
amtliche Briefe in Englisch. Daß<br />
in Deutschland Wissenschaft über<br />
deutsche Sprache, deutsche Kultur<br />
oder deutsche Geschichte jedenfalls<br />
in Englisch begutachtet wird, wenn<br />
nicht sogar überhaupt in Englisch zu<br />
erfolgen hat, bedarf nach Meinung<br />
vieler überhaupt keiner Diskussion.<br />
Minister und Botschafter reden mit<br />
oder vor Ausländern in Englisch auch<br />
dann, wenn diese sie in Deutsch angesprochen<br />
haben. Inzwischen hat das ja<br />
auch eine höhere Weihe erhalten. Der<br />
neue Bundespräsident hat sich, wie<br />
von einer überregionalen Zeitung abgebildet<br />
wurde, beim Besuch des Europäischen<br />
Parlaments im Gästebuch<br />
mit einem englischen Satz verewigt.<br />
Wie viele andere europäische Staatsoberhäupter<br />
mag es geben, die das<br />
auch täten?<br />
Nun mag man einwenden, viele würden<br />
Englisch statt Deutsch benutzen,<br />
weil dies unvermeidlich sei. Daran<br />
ist so viel wahr, daß in der Wirtschaft<br />
wie in der Wissenschaft der Gebrauch<br />
des Englischen vielfach durch Entscheidungen<br />
von oben erzwungen<br />
wird. Unternehmer und Manager, die<br />
sich rühmen, international führend zu<br />
sein, behaupten gleichwohl, nur wenn<br />
man sich von Deutsch verabschiede,<br />
könne man erfolgreich agieren. Daß<br />
die Unternehmensfusion des Jürgen<br />
Schrempp vor allem deshalb scheiterte,<br />
weil er die sprachlich-kulturellen<br />
Implikationen seines Projekts negierte,<br />
hat kein Umdenken bewirkt. Auch<br />
daß englische Reklame häufig eher<br />
kontraproduktiv ist, schreckt nicht ab.<br />
Was soll ich zum Beispiel von einer<br />
Firma halten, die sich in deutschen Eisenbahnzügen<br />
mit dem Satz anpreist:<br />
„We enable mobility“? Das ist eine<br />
sinnfreie, weil grammatisch falsche<br />
Verbindung von drei englischen Wörtern.<br />
Wozu jemand oder etwas befähigt<br />
wird, muß mit einem nachfolgenden<br />
Infinitiv angegeben werden. Einen<br />
Sinn erhält dieser Satz erst, wenn man<br />
ihn deutsch denkt. Man kann nur hoffen,<br />
daß in diesem Unternehmen die<br />
fachlichen Leistungen besser sind als<br />
die Englischkenntnisse!<br />
Opfer der Globalisierungsideologie<br />
Viele in Wissenschaft und Hochschulen<br />
sind von ähnlicher Bedenkenlosigkeit.<br />
Offenbar hat sich die Auffassung<br />
durchgesetzt, internationale Sichtbarkeit<br />
hänge nicht so sehr von Leistung<br />
und Erkenntniswert ab als vom Ge-<br />
Zahlreiche Zuschauer verfolgten die Festveranstaltung zum Tag der<br />
deutschen Sprache, darunter auch die Preisträger des diesjährigen<br />
Schülerwettbewerbs der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft. Links<br />
spricht die Vorsitzende Uta Seewald-Heeg. Bild: Hildebrandt<br />
brauch des Englischen. Als Begründung<br />
dient immer wieder die Aussage,<br />
Englisch sei heute nun einmal die Lingua<br />
Franca der Wissenschaft. Den allermeisten<br />
scheint überhaupt nicht klar<br />
zu sein, daß sie damit eher ein Problem<br />
anzeigen als eine Begründung zu liefern.<br />
Denn was ist eine Lingua Franca?<br />
Eine Lingua Franca war nämlich mitnichten,<br />
obwohl dies immer wieder gesagt<br />
wird, das Latein des Mittelalters.<br />
Die Lingua Franca des Mittelalters war<br />
vielmehr ein Mischidiom im östlichen<br />
Mittelmeer, das See- und Kaufleuten<br />
zur primitiven Verständigung diente.<br />
Weil in dieser Sprache italienische<br />
Elemente dominierten, die aus dem<br />
Westen stammten, wo die „Franken“<br />
wohnen, nannte man sie Lingua Franca<br />
– die fränkische Sprache – nicht „freie<br />
Sprache“, wie unlängst ausgerechnet<br />
ein deutscher Germanistikprofessor<br />
meinte. Heute ist Lingua Franca in der<br />
Linguistik die Bezeichnung für eine<br />
grenzüberschreitende Verkehrssprache,<br />
die dem Austausch von Informationen<br />
dient und dafür lediglich ein reduziertes<br />
Inventar sprachlicher Mittel einsetzt.<br />
In diesem Sinne kann man in der Tat<br />
die standardisierten Ausdrucksformen<br />
(natur)wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel<br />
als eine Lingua Franca der<br />
Wissenschaft bezeichnen. Das ändert<br />
aber nichts daran, daß dieses Englisch<br />
eine Sprache der Information ist, aber<br />
keine Sprache der Erkenntnis. Und daß<br />
englischsprachige Wissenschaftler ihr<br />
Englisch natürlich niemals auf die Rolle<br />
einer Lingua Franca reduzieren. Was<br />
soll man also davon halten, wenn der<br />
neu gewählte Präsident der FU Berlin,<br />
übrigens ein Germanist, allen Ernstes<br />
erklärt, in Zukunft sollten in seiner Einrichtung<br />
möglichst viele Studiengänge<br />
in Englisch als der Lingua Franca der<br />
Wissenschaften angeboten werden. Vor<br />
einem solchen Studienniveau kann man<br />
nur eindringlich warnen. Bezeichnend<br />
für das vorherrschende Meinungsklima<br />
ist es, daß eben diese Äußerung<br />
des FU-Präsidenten auf einer seiner<br />
Universität gewidmeten Zeitungsseite<br />
zu finden war, welche die Überschrift<br />
trägt: „Auf in die Harvard-Liga“.<br />
In der Tat: Mit diesem falschen Versprechen<br />
ist Deutschland in die Studienreform<br />
und in die sogenannte Exzellenzinitiative<br />
getrieben worden. So zu<br />
werden wie die USA war bekanntlich<br />
auch die Illusion der gescheiterten<br />
Globalisierungsstrategie maßgeblicher<br />
Kräfte in der deutschen Wirtschaft.<br />
Aber was da anspruchsvoll als neue<br />
„große Erzählung“ daherkommt, erweist<br />
sich bei näherer Betrachtung als<br />
kenntnisarme Ideologie, welche die<br />
Realität verzerrt. Bei solchen Einstellungen<br />
kann es nicht wundern, daß<br />
deutsche Universitäten, die immerhin<br />
zu den ältesten der Welt gehören, „mit<br />
Freudigkeit“, um es mal mit Schillers<br />
frommem Knecht Fridolin zu sagen,<br />
die angeblich international anerkannten<br />
Gradbezeichnungen Bachelor und Master<br />
einführten. Sie fanden auch nichts<br />
dabei, daß sich die Politik dabei auf die<br />
dies angeblich fordernde Bologna-Erklärung<br />
berief. Und dies, obwohl jeder<br />
nachlesen kann, daß diese Behauptung<br />
so schlicht nicht stimmt.<br />
Wenn Menschen freudig und freiwillig<br />
etwas tun, was die Realität ignoriert<br />
und eigentlich sogar ihren Interessen<br />
zuwiderläuft, dann leiden sie an Ideologie.<br />
Das gestörte Verhältnis vieler<br />
<strong>Deutsche</strong>r zu ihrer eigenen Sprache,<br />
die Vorstellung, man könne, ja, man<br />
müsse sich als Amerikaner verkleiden,<br />
zeigt alle Symptome einer ideologischen<br />
Krankheit. Wolf Schneider beschreibt<br />
in seinem lesenwerten Buch<br />
„Speak German!“ seine Erfahrungen<br />
mit angehenden Journalisten: „Deutsch<br />
ist natürlich eine Weltsprache.<br />
Aber als ich<br />
diese Binsenweisheit<br />
1986 dem überwiegend<br />
akademisch gebildeten<br />
Nachwuchs an der HamburgerJournalistenschule<br />
vortrug, wurde ich<br />
ausgelacht und niedergeschrieen:<br />
Deutsch sollte<br />
keine Weltsprache sein!<br />
Sie wollten es nicht, sie<br />
ertrugen es nicht.“<br />
Selbstverleugnung:<br />
„Amerikaner mit<br />
deutschem Paß“<br />
Nun kann man mir entgegenhalten:<br />
Das ist<br />
Scham. Sie schämen sich, <strong>Deutsche</strong> zu<br />
sein. Das ist gewiß zunächst einmal ein<br />
ernstzunehmendes Argument. Meine<br />
Eltern, Jahrgang 1891 und 1900, haben<br />
sich, obwohl sie keine Nationalsozialisten<br />
waren, für Deutschland geschämt.<br />
So ging es vielen ihrer Generation.<br />
Und auch ich, obwohl ich 1945 erst<br />
acht Jahre alt war, habe mich mehr<br />
als einmal in meinem Leben für das<br />
geschämt, was in deutschem Namen<br />
geschehen ist. Etwas ganz anderes ist<br />
jedoch jenes modische und für besonders<br />
kleidsam gehaltene Bußgewand,<br />
das sich jene anlegen, die zu allem, was<br />
deutsch ist oder danach klingt, auf prinzipielle<br />
Distanz gehen, auf daß man sie<br />
mit keinerlei überindividueller Zumutung<br />
belästige. Denn einem Land, das<br />
man nicht achtet und nicht liebt, dem<br />
ist man auch nichts schuldig. Im Gegenteil:<br />
Indem man sich und anderen<br />
pausenlos versichert, etwas anderes zu<br />
sein als die <strong>Deutsche</strong>n, ist man natürlich<br />
auch sofort etwas Besseres. Und<br />
zugleich hat man als Waffe gegenüber<br />
allem Überkommenden, was immer es<br />
auch sei, den Vorwurf zur Hand, dies<br />
seien wieder einmal die Ungeister der<br />
bösen deutschen Vergangenheit. So<br />
wurde in der bundesdeutschen Gesellschaft<br />
der Generalverdacht gegen alles,<br />
was mit Deutschland zusammenhängt,<br />
zu einem Motor des gemeinwohlverachtenden<br />
Individualismus.<br />
Für die nationale Scham wurde die<br />
deutsche Sprache gleichsam zum Sündenbock<br />
gemacht, den man in die Wüste<br />
jagen kann. Die meisten <strong>Deutsche</strong>n,<br />
die, wie ich, erst seit 1990 Bürger der<br />
Bundesrepublik sind, werden in den<br />
vergangenen zwanzig Jahren sicherlich<br />
mindestens einmal einem dieser<br />
westlichen Zeitgenossen<br />
begegnet sein, die einem<br />
erklären, sie seien Bayern,<br />
Rheinländer, Hamburger<br />
oder was weiß ich und natürlich<br />
Europäer, aber eigentlich<br />
keine <strong>Deutsche</strong>n.<br />
Ja, gut, wenn man kein<br />
<strong>Deutsche</strong>r ist, warum soll<br />
einen dann die deutsche<br />
Sprache kümmern. Da ist<br />
man doch besser gleich<br />
Weltbürger. Und als Welt-<br />
bürger erweist man sich<br />
eben, indem man Englisch<br />
spricht. Von jenen,<br />
die sich, wie Thomas Middelhoff, gern<br />
als „Amerikaner mit deutschem Paß“<br />
betrachten, ganz zu schweigen.<br />
Das Versagen der<br />
Sprachwissenschaft<br />
Leider halten es heutzutage auch<br />
nicht wenige Vertreter der Sprachwissenschaft<br />
und ihre Verbündeten<br />
im Feuilleton für einen Ausweis wissenschaftlicher<br />
Sachbezogenheit, die<br />
Bedrohung des <strong>Deutsche</strong>n schlichtweg<br />
zu leugnen und sich über alle, die<br />
ihre Meinung nicht teilen, erhaben zu<br />
dünken. Ihre Argumente sind fast immer<br />
die gleichen. Fremdwörter habe es<br />
schon immer gegeben, sie bereicherten<br />
die Sprache. Und wer das anders<br />
sehe, hänge einem irrationalen und<br />
unwissenschaftlichen Purismus an.<br />
Was sich hier zeigt, ist Unwille oder<br />
Unvermögen, die Wirklichkeit wahrzunehmen.<br />
Gewiß ärgern sich nicht<br />
wenige über ein Übermaß an Anglizismen.<br />
Trotzdem sind Fremdwörter eine<br />
normale Sache und keine Bedrohung,<br />
ja sie können sogar eine Bereicherung<br />
sein. Die eigentliche Gefährdung des<br />
<strong>Deutsche</strong>n liegt vielmehr darin, daß es<br />
ganz unübersehbar aus wichtigen und<br />
einflußreichen Sphären des höheren<br />
Diskurses verdrängt wird – wie jeder<br />
täglich bemerken kann, wenn er nicht<br />
Augen und Ohren verschließt. Wer<br />
heute demonstriert, meint dies unter<br />
englischen Losungen tun zu sollen. Wer<br />
etwas gründet, wofür er auf öffentliche<br />
Unterstützung setzt, erfindet dafür einen<br />
englischen Namen. Daß dies auf<br />
die Vitalität unserer Demokratie und<br />
unserer Bürgergesellschaft nicht ohne<br />
Wirkung bleibt, kann ja wohl niemand<br />
ernsthaft bestreiten. Es geht überhaupt<br />
nicht um den einen oder anderen Begriff<br />
aus dem Englischen, sondern<br />
um die erzwungene und zentral angeordnete<br />
Ersetzung geschichtlich<br />
gewachsener deutscher Begriffs- und<br />
Bezeichnungssysteme durch englische<br />
Begriffe und Bezeichnungen, wie das<br />
inzwischen für das wirtschaftliche und<br />
wissenschaftliche Leben in Deutschland<br />
typisch ist. Es sind alles Symbole<br />
des Abschieds vom <strong>Deutsche</strong>n.<br />
Beliebt ist bei realitätsblinden Germanisten<br />
auch das Argument, die Sprache<br />
entwickle sich autonom und könne darin<br />
nicht beeinflußt werden. So viel ist<br />
wahr, daß dies auf grammatische und<br />
phonetische Entwicklungen zutrifft,<br />
mitnichten aber auf die Entwicklung<br />
der Lexik. Im Gegenteil: Gerade an der<br />
Wortwahl und an der lebendigen Kraft<br />
der Wortbildung läßt sich zeigen, welche<br />
Einstellung die Sprechergemeinschaft<br />
zu ihrer Sprache hat. Ob eine<br />
Sprache stirbt oder weiter lebt, ja, ob<br />
sie wieder aufersteht – das, so zeigen<br />
Vergangenheit und Gegenwart, hängt<br />
vom Willen der Sprechenden und<br />
Schreibenden zum eigenen Wortschatz<br />
ab. Und dieser Wille ist Teil des beeinflußbaren<br />
und veränderbaren öffentlichen<br />
Bewußtseins. Ist dieser Wille<br />
schwach oder gilt eine solche Haltung<br />
als „nicht mehr zeitgemäß“, dann ist<br />
es die Lexik, auf die man als erste verzichtet.<br />
Man ersetzt das Eigene durch<br />
Fremdes, um sich als „modern“ zu präsentieren.<br />
Ganz gewiß ist Englisch eine wunderbare<br />
Sprache – mit Vorteilen und Nachteilen,<br />
wie jede Sprache. Daß sie heute<br />
unstreitig unter den Weltsprachen den<br />
führenden Platz einnimmt, ist ein Ergebnis<br />
der politischen Geschichte,<br />
nicht ihrer sprachlichen Eigenschaften<br />
oder gar Vorzüge. Zwar mag es helfen,<br />
daß sie zunächst leicht zu erlernen<br />
scheint. Sie in ihrem Reichtum zu kennen<br />
und einsetzen zu können, ist dagegen<br />
eine große Herausforderung. Daß<br />
man das, wenn wir <strong>Deutsche</strong>n uns des<br />
Englischen bedienen, ziemlich häufig<br />
bemerkt, liegt in der Natur der Sache.<br />
Ich kann der Versuchung nicht wider-<br />
Die Tanzgruppe des Köthener Ludwiggymnasiums<br />
trat auch in diesem Jahr auf. Bild: Hildebrandt<br />
stehen, als Beleg dafür ein Gedicht von<br />
Carl Zuckmayer zu zitieren, mit dem<br />
dieser 1945 seine sprachliche Situation<br />
wie die der anderen deutschen Emigranten<br />
in englischsprachiger Umgebung<br />
ironisierte, wenn auch nicht ohne<br />
bitteren Unterton:<br />
Jeder denkt, sein Englisch wäre gut,<br />
Wenn er nur den Mund verstellen tut.<br />
Jeder hört so gern die Komplimente,<br />
Daß man es ja gar nicht glauben<br />
könnte:<br />
Die Geläufigkeit in so kurzer Zeit<br />
Und fast frei vom störenden Akzente!<br />
Aber ach, in Deiner stillen Kammer<br />
Spürest Du der Sprachverbannung<br />
Jammer,<br />
Krampfhaft suchend die korrekte<br />
Wendung<br />
Für ‚Beseeltheit‘ und ‚Gefühlsverblendung‘<br />
…<br />
Entscheidend bleibt schließlich die<br />
Frage nach der angemessenen Konsequenz<br />
aus der geschichtlichen Scham<br />
der <strong>Deutsche</strong>n. Ist die richtige Antwort<br />
wirklich eine angebliche Weltoffenheit,<br />
die nicht mehr wissen will, woher sie<br />
kommt? Oder wäre es nicht richtiger,<br />
an der deutschen Freiheits- und Humanitätstradition<br />
festzuhalten, für die<br />
viele im 19. und 20. Jahrhundert gelitten<br />
haben? Und ist nicht diese – von zu<br />
vielen mißachtete – deutsche Freiheits-<br />
und Humanitätstradition die lebendige<br />
geschichtliche Wurzel unserer Demokratie<br />
und zugleich die beste Garantie<br />
wahren Weltbürgertums? Diese Tradition<br />
vereint in sich Selbstfindung und<br />
Selbstbestätigung mit Offenheit für andere<br />
und Lust auf Neues. Davon zeugt<br />
nicht zuletzt die Geschichte der deutschen<br />
Sprache und des Eintretens für<br />
die deutsche Sprache. Die Fruchtbringende<br />
Gesellschaft zu Köthen ist Teil<br />
dieser Geschichte. Weder damals noch<br />
heute ging es darum, über die deutsche<br />
Sprache eine Käseglocke zu stülpen,<br />
wie die Verächter solcher Bemühungen<br />
mit einem mißratenen Bild behaupten.<br />
Wer die Lebenskraft des <strong>Deutsche</strong>n beweisen<br />
wollte, mußte schöpferisch sein<br />
und etwas riskieren. Da verdienen auch<br />
mißglückte Experimente allemal mehr<br />
Respekt als sprachlicher Opportunismus<br />
„à la mode“, der freilich damals<br />
gesellschaftlichen Rückenwind genoß.<br />
Heute scheint die Situation ähnlich und<br />
ist doch anders. Einerseits wirkt das<br />
Englische wie eine uns enteignende<br />
Macht. Andererseits bietet diese Sprache<br />
die Chance zur internationalen<br />
Kommunikation in einer mehrsprachigen<br />
Welt. Für eine globale Gesellschaft<br />
ist sie daher unerläßlich. Zu einer Gefahr<br />
wird sie allerdings dann, wenn<br />
die Menschen sprachliche und kulturelle<br />
Verschiedenheit nicht mehr als<br />
Reichtum wertschätzen, sondern sich<br />
um scheinbarer Vorteile willen selbst<br />
sprachlich und kulturell enteignen. Auf<br />
diesem Weg sind wir <strong>Deutsche</strong>n schon<br />
ein erschreckend weites Stück gegangen.<br />
Es ist Zeit, dies als einen Irrweg<br />
zu erkennen.<br />
Unsere deutsche Muttersprache ist unsere<br />
Haut. Fremdsprachen zu kennen<br />
und sie so tief wie möglich zu verstehen,<br />
ist allemal ein großer Gewinn,<br />
nicht zuletzt für die Beziehung zu unserer<br />
eigenen Sprache. So gut wir aber<br />
auch Fremdsprachen zu beherrschen<br />
lernen – für die meisten von uns bleiben<br />
sie ein mehr oder weniger passendes<br />
Kleid. Auch diese Erfahrung ist eine<br />
völkerumspannende Gemeinsamkeit in<br />
einer zusammenwachsenden Welt, wie<br />
ständig und überall zu hören und zu<br />
lesen ist. Darum kann das Lebensprinzip<br />
und Friedensgesetz unserer bunten<br />
Welt nur die Einheit in der Vielfalt<br />
sein. Das gilt auch für die Sprachen.<br />
Menschen leben in ihrer Haut, und es<br />
gibt viele Hautfarben. Das erfordert<br />
Treue zu sich selbst und Achtung der<br />
anderen. Zugleich bedürfen wir, um<br />
in dieser Welt verträglich zusammen<br />
leben zu können, vieler Kleider. So<br />
gesehen gibt es keinen unüberwindbaren<br />
Gegensatz zwischen den Sprachen<br />
als Haut und als Kleid. Wir sollten uns<br />
jedoch nicht verkleiden und meinen,<br />
dann ein anderer zu sein!<br />
Der Anglist Prof. Dr. Dr. h.c. Hans<br />
Joachim Meyer hielt am 11. September<br />
dieses Jahres die vierte Köthener<br />
„Rede zur deutschen Sprache“. Meyer<br />
war 1990 Wissenschaftsminister der<br />
DDR und von 1990 bis 2002 Sächsischer<br />
Staatsminister für Wissenschaft<br />
und Kunst. Von 1997 bis 2009 war er<br />
Präsident des Zentralkomitees der<br />
<strong>Deutsche</strong>n Katholiken. Wir drucken<br />
hier eine stark gekürzte Fassung der<br />
Rede ab. Der vollständige Text wird in<br />
der Schriftenreihe „Unsere Sprache“<br />
erscheinen, herausgegeben von der<br />
Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft.<br />
Jedes Jahr am Tag der deutschen<br />
Sprache trägt ein bedeutender Sprachfreund<br />
vor der Neuen Fruchtbringenden<br />
Gesellschaft zu Köthen/Anhalt eine<br />
Grundsatzrede vor. 2007 sprach der<br />
Dichter Reiner Kunze, 2008 der Präsident<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Lehrerverbandes,<br />
Josef Kraus, und 2009 Kurt Reinschke,<br />
Vorstandsmitglied des Bundes Freiheit<br />
der Wissenschaft und des Arbeitskreises<br />
Deutsch als Wissenschaftssprache<br />
(ADAWIS). Die Reden sind in DSW 29<br />
(3/2007), DSW 33 (3/2008) und DSW<br />
37 (3/2009) abgedruckt. Wie alle bisherigen<br />
Ausgaben der DEUTSCHEN<br />
SPRACHWELT sind auch diese Nummern<br />
noch lieferbar. Den Bestellschein<br />
finden Sie auf Seite 5.
Seite 8 Besprechungen<br />
Unzuverlässig, fehlerhaft, dürftig<br />
Neues vom Macher des Aldi-Wörterbuchs:<br />
„Deutsch – Biografie einer Sprache“<br />
Von Thomas Paulwitz<br />
D<br />
ieses Buch von Karl-Heinz<br />
Göttert über die Geschichte der<br />
deutschen Sprache ist mit Vorsicht zu<br />
genießen. Es ist unzuverlässig, fehlerhaft<br />
und einseitig parteiisch. Über<br />
die sprachwissenschaftlichen Mängel<br />
hat Hans-Martin Gauger in der<br />
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“<br />
das Notwendige geschrieben. Gauger<br />
war wie Göttert und der Verfasser<br />
dieser Zeilen „Experte“ im „Reading<br />
Room“ der F.A.Z. Dieses Diskussionsforum<br />
beschäftigte sich vor zwei<br />
Jahren mit Jutta Limbachs Buch „Hat<br />
die deutsche Sprache eine Zukunft?“<br />
Im Laufe der Diskussion benannte<br />
die F.A.Z. den „Reading Room“ in<br />
„Lesesaal“ um (http://lesesaal.faz.<br />
net/).<br />
Göttert beteiligte sich mit einer Reihe<br />
von Stellungnahmen an den Erörterungen.<br />
Dabei nahm er stets die in<br />
der Sprachwissenschaft so verbreitete<br />
Beliebigkeitshaltung ein: Es ist alles<br />
nicht so schlimm. Die überaus zaghafte<br />
Kritik Limbachs am Zustand der<br />
deutschen Sprache ging ihm schon zu<br />
weit. So sähe Göttert zum Beispiel<br />
keine Schwierigkeit darin, wenn in<br />
der Europäischen Union Englisch als<br />
Einheitssprache eingeführt würde.<br />
Göttert „schwebte vor, als Entgegnung<br />
auf Limbachs Buch ein eigenes<br />
vorzulegen, in dem zu zeigen wäre,<br />
wie sich das <strong>Deutsche</strong> heute unter<br />
den Voraussetzungen der Globalisierung<br />
behaupten könne“, schreibt er<br />
jetzt. Dieses Buch liegt nun vor.<br />
Gauger hat die sprachwissenschaftlichen<br />
Schwächen des Buches schon<br />
dargelegt. Es ist zu sehr Literaturgeschichte,<br />
zu wenig Sprachgeschichte.<br />
Die Abschnittsüberschriften verwirren<br />
eher: „Lippe, Blutgeld und holdselige<br />
Maria“ etwa, oder „Hörspiel<br />
mit Würsten, Käse und sehr viel<br />
Alkohol“ oder „Viel Arbeit und ein<br />
großer Beschiß“. Erklärende Unterüberschriften<br />
fehlen. „Das eigentliche<br />
Problem ist aber“, stellt Gauger<br />
fest, „daß, was an Information gegeben<br />
wird, immer wieder eindeutig<br />
nicht richtig ist und die Unrichtigkeiten<br />
im Fortgang zunehmen.“ Ein vernichtendes<br />
Urteil, das jedoch völlig<br />
richtig ist; etwa, wenn Göttert den<br />
Beginn der französischen Sprachpolitik<br />
nicht, wie es eigentlich gewesen<br />
ist, der Französischen Revolution zuschreibt,<br />
sondern dem französischen<br />
Königtum des 15. Jahrhunderts; oder<br />
wenn er bei den Straßburger Eiden<br />
842 durcheinanderbringt, welcher<br />
König in welcher Sprache schwor.<br />
Doch auch ohne Gaugers Vorwarnungen<br />
stellt sich schnell heraus, wie<br />
dürftig dieses Buch ist. Unfreiwillig<br />
lächerlich macht sich Göttert, wenn<br />
er für das Übermaß französischer<br />
Fremdwörter, das im 19. Jahrhundert<br />
herrschte, den Französischunterricht<br />
an Gymnasien verantwortlich macht.<br />
Das wäre so, als ob jemand behauptete,<br />
zu viel Englischunterricht sei heute<br />
am „Service Point“ der <strong>Deutsche</strong>n<br />
Bahn schuld. Dabei ist das prahlerische<br />
Verwenden von Modewörtern<br />
alles andere als ein Zeichen von Bildung.<br />
Fremdwortkritik tut Göttert jedoch<br />
als „Unsinn“ ab. Dahinter stecke<br />
doch bloß „Fremdenangst“. Sein<br />
Haß auf den „Nationalismus“ der<br />
Sprachvereine des 19. Jahrhunderts<br />
ist offenbar so groß, daß er nicht nur<br />
allen Ernstes die Verhaftung Friedrich<br />
Ludwig Jahns durch Metternich<br />
verteidigt, sondern auch die zahlreichen<br />
Sprachvereine von heute mit<br />
keiner Silbe erwähnt. Es gelingt ihm<br />
das Kunststück, über Anglizismenkritik<br />
zu schreiben, ohne die Kritiker<br />
zu erwähnen. Seine Begründung für<br />
die derzeitige Verdrängung deutscher<br />
Wörter ist haarsträubend und verharmlosend:<br />
„Die deutsche Sprache<br />
war lange Zeit künstlich von der internationalen<br />
Entwicklung ferngehalten<br />
worden und holt nun nach, was<br />
andernorts bereits Realität ist.“<br />
Was Göttert zur Rechtschreibreform<br />
schreibt, grenzt an Geschichtsklitterung.<br />
Nicht die Duden-Redaktion hat<br />
die Reform durchgesetzt, wie er behauptet,<br />
sondern die Kultusministerkonferenz.<br />
Während er die „<strong>Deutsche</strong><br />
Akademie für Sprache und Dichtung“,<br />
die er fälschlicherweise unter<br />
das Dach des <strong>Deutsche</strong>n Sprachrats<br />
stellt, über den grünen Klee lobt, verschweigt<br />
er völlig den Widerstand<br />
der organisierten Gegner der Rechtschreibreform.<br />
Diese Ahnungslosigkeit ist erstaunlich,<br />
hat sich Göttert doch selbst,<br />
obzwar nur Literaturwissenschaftler,<br />
eingehend mit der Reform beschäftigt.<br />
So hat er ein eigenes, über<br />
eintausend Seiten starkes „Neues<br />
<strong>Deutsche</strong>s Wörterbuch“ herausgegeben,<br />
das die Reformschreibungen<br />
„weiter gehend“ erläutert, wie auf<br />
dem Schutzumschlag zu lesen ist; ein<br />
Buch, das in hoher Auflage mit einem<br />
Kampfpreis von 4,99 Euro über<br />
Aldi vertrieben wurde. Jetzt ist klar,<br />
warum er der Duden-Redaktion den<br />
Schwarzen Peter zuschieben will.<br />
Göttert verantwortet ein Wörterbuch,<br />
das dem Duden Marktanteile streitig<br />
macht.<br />
Alles in allem handelt es sich um<br />
eine leider allzu lässig hingeschluderte<br />
Arbeit: Göttert hat schlampig<br />
recherchiert und sich wohl eher durch<br />
Hörensagen unterrichtet. Aus diesem<br />
schönen Thema hätte man mehr machen<br />
können. Schade!<br />
Karl-Heinz Göttert: Deutsch – Biografie<br />
einer Sprache, Ullstein, Berlin<br />
2010, 400 Seiten, 19,95 Euro.<br />
Time to make Tennis<br />
Eine neue deutsche Tenniszeitschrift<br />
schwelgt in Anglizismen<br />
Von Ernst Jordan<br />
G<br />
anz artig – wie es eigentlich<br />
immer seine Art war – dankt er<br />
für das „durchgehend sehr positive<br />
Feedback“, das er als Herausgeber des<br />
neusten deutschen Tennismagazins<br />
erfahren habe – der Carl-Uwe „Charly“<br />
Steeb, einst der eher unauffällige,<br />
nichtsdestoweniger erfolgreiche deutsche<br />
Daviscup-Spieler im Schatten<br />
der Größen Boris Becker und Michael<br />
Stich. „Tennis ist wieder im Aufwind“<br />
lautet denn auch die frohe Botschaft<br />
in der ersten Ausgabe seiner neuen<br />
„Tennis Times International“, und das<br />
wirft gleich zwei Fragen auf: „Im Aufwind“?<br />
Ja, aber wo denn? Und zum<br />
zweiten: eine deutsche „Zeitung für<br />
Tennis und Tenniskultur“ und gleich<br />
ein Inhaltsverzeichnis (auf Seite 3), in<br />
dem die Bezeichnungen der neun Kapitel<br />
nicht ein einziges deutsches Wort<br />
mehr brauchen? „Editorial“, „News-<br />
Break“, „Tennis Times Talk“, „Glam<br />
Slam“, „Tennis Times Legends“, „Best<br />
of Five“, „Team Germany“ (!), „Clubbing“<br />
und „Tennis Times National“<br />
(einschließlich „Short News“).<br />
Doch, da entsteht der Eindruck, wir<br />
spielten international ganz groß mit.<br />
Zumindest sprachlich – ganz Lingua<br />
Franca. Aber auf der „Tour“, auf den<br />
„Courts“ und in den „Finals“? Unser<br />
Allerbester ist Philipp Kohlschreiber<br />
auf Platz 32 im „ATP-Ranking“,<br />
und unsere Allerbeste, die gebürtige<br />
Bosnierin Andrea Petkovic, „rankt“<br />
bei der Women’s Tennis Association<br />
(WTA) auf Nummer 35 (Stand: 27.<br />
September 2010). Der ehemals beste<br />
deutsche Spieler Tommy Haas geht<br />
inzwischen für die Vereinigten Staaten<br />
auf den Tennisplatz.<br />
Wir sind natürlich ein bißchen verwöhnt<br />
„im nörgelnden Deutschland“,<br />
wie es auf Seite 20 der ersten Ausgabe<br />
von 2009 heißt. (In diesem Fall paßt<br />
der Redaktion das Wort „Germany“<br />
nicht.) Aber wir sind auch Realisten.<br />
Da sind in dieser neuen „Times“ zwar<br />
etliche Seiten, die Jörg Allmeroth<br />
wirklich fleißig zusammenschreibt,<br />
mit Hoffnung gefüllt, aber unter dem<br />
Strich trösten die „Top five Nations“-<br />
Plazierungen im „Top 100 Singles<br />
Ranking“ nicht darüber hinweg, daß<br />
gegenwärtig allenfalls Masse, jedenfalls<br />
kaum Klasse das deutsche Tennis<br />
bestimmt. So prägt denn auch mehr<br />
Rück- als Vorausschau diese neue<br />
„Times“ (sprich: Nostalgie): Endlich<br />
erfahren wir über John McEnroe<br />
(„The Legend of Big Mäc“), was wir<br />
alle noch nicht wußten: daß es (ihm)<br />
„schon mal passiert, daß ich zornig<br />
werde“. Unter den „John McEnroe<br />
Facts“ zählt „Tennis Times“ auch seine<br />
Preisgelder auf, akkurat in amerikanischer<br />
Schreibweise mit dem US-<br />
Komma: „US$ 12,539,622“. Dazu<br />
gehörte eigentlich die Geburtstagsangabe<br />
„February, 16, 1959“, aber da<br />
zögert unsere neue deutsche „Times“<br />
doch noch. Dafür erfahren wir aber,<br />
was „Clubbing“ ist. Das wird sich die<br />
Duden-Redaktion sicher nicht entgehen<br />
lassen, die das Wort bisher noch<br />
nicht im Rechtschreibwörterbuch verzeichnet<br />
hat.<br />
Irgendwie paßt das „Schluß-Cover“<br />
zum Gesamtkonzept: unser aller Boris,<br />
wie wir ihn inzwischen nur noch kennen.<br />
Das unvermeidliche Bierglas hält<br />
er in der „Spielhand rechts“ vor der<br />
Haupttribüne (voller Flaschen) in DIN<br />
A3: „Große Momente kann man immer<br />
wieder genießen“. Ein „Tennis“-<br />
Schluß in deutscher Sprache. Na also.<br />
Tennis Times International – die<br />
Zeitung für Tennisbegeisterte, Charlysteeb<br />
GmbH, Stuttgart.<br />
Anzeigen DIE 'Frucht' von Adam und Eva ist<br />
Habgier – ihre Erbin Konsum. ALLEs<br />
spricht imME(H)R bloss Habgier an.<br />
Wegweiser aus dem Labyrinth der Gier<br />
sind die Broschüren im 3er Paket für<br />
25,- Euro frei Haus in Deutschland –<br />
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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
„Die englische Verdrengung“<br />
Ein Frankokanadier kämpft gegen die Vorherrschaft<br />
des Englischen<br />
Von Walter Krämer<br />
E<br />
s gibt neutrale Sachbücher, parteiische<br />
Polemiken und politische<br />
Kampfschriften. Dieses Buch von<br />
Michel Brûlé ist alles drei. Der Autor<br />
von „Die englische Verdrengung“ ist<br />
Frankokanadier und arbeitet als Autor<br />
und Verleger in Montreal. Und wie es<br />
sich für alle echten Frankokanadier zu<br />
gehören scheint, hat sich in ihm ein<br />
gehöriger Frust gegen die arrogante<br />
Selbstverständlichkeit gestaut, mit der<br />
englische Muttersprachler weltweit im<br />
allgemeinen und im kanadischen Quebec<br />
im besonderen die Dominanz ihrer<br />
Sprache als sozusagen gottgegeben und<br />
selbstverständlich anzusehen pflegen.<br />
So existiert etwa nach Brûlé die angebliche<br />
Zweisprachigkeit in seiner<br />
Heimat nur auf dem Papier – von Frankokanadiern<br />
erwarte man, daß sie Englisch<br />
können, aber englische Muttersprachler<br />
sprächen kein Französisch.<br />
Hier wie anderswo erwarten sie, wie<br />
Brulé an zahlreichen Beispielen nachweist,<br />
daß man sich ihnen anpaßt. Oder<br />
kann man sich irgendeine renommierte<br />
Universität vorstellen, die von ihren<br />
Studenten nicht die Kenntnisse einer<br />
Fremdsprache verlangte? Im englischen<br />
Cambridge wurde diese Bedingung<br />
vor kurzem abgeschafft.<br />
Zu den weiteren von Brûlé aufgeführten<br />
Indizien für diesen Dünkel gehören<br />
auch die Weigerung vieler Angelsachsen,<br />
das metrische System zu nutzen,<br />
die fast schon automatische Gleichsetzung<br />
USA gleich Amerika oder<br />
die Unterdrückung frankokanadischer<br />
Leistungen bei der Besiedlung Nordamerikas.<br />
So melden etwa fast alle englischsprachigen<br />
Lexika das US-amerikanische<br />
Jamestown als die älteste Stadt des<br />
nordamerikanischen Kontinents, während<br />
in Wahrheit der Franzose Samuel<br />
de Champlain schon Jahre früher das<br />
im heutigen Kanada gelegene Port<br />
Royal gegründet hatte. Erinnert das<br />
nicht ein wenig an den bekannten Ausspruch<br />
von Barack Obama anläßlich<br />
seiner Rettung von General Motors<br />
Anfang 2008: „Amerika kann es sich<br />
nicht leisten, die Automobilindustrie<br />
aufzugeben, das Land, in dem das Automobil<br />
erfunden wurde.“<br />
Erfunden wurde das Automobil natürlich,<br />
wie es jeder außerhalb Amerikas<br />
Gutes Deutsch für gute Uhren<br />
ertarbeit und deutsche Spra-<br />
W che, das paßt gut zusammen;<br />
wie zum Beispiel beim Spezialuhrenhersteller<br />
„Sinn“. Bester Beweis ist<br />
das neue Katalogbuch 2010/2011, das<br />
auf Imponierdenglisch und reformierte<br />
Rechtschreibung bewußt verzichtet.<br />
Der Stil der Produktbeschreibungen ist<br />
sachlich, aber von großer Liebe zum<br />
technischen Detail geprägt – ein Lesegenuß<br />
auch für den technikinteressierten<br />
Laien. Die Texte erinnern ein wenig<br />
an die schönen Schilderungen im<br />
Katalog des Versandhändlers „Manufactum“.<br />
– Das ist sicher kein Zufall.<br />
„Sinn“ ist eine Ingenieursmarke, eine<br />
technologische Uhrenmarke. Langlebigkeit,<br />
Robustheit, Genauigkeit, sowie<br />
der Verzicht auf modischen Schnickschnack<br />
haben für den Firmeninhaber<br />
Silvia mag Fraktur<br />
… und Sie?<br />
weiß, in Mannheim von Carl Benz (und<br />
kurz darauf und unabhängig davon von<br />
Gottlieb Daimler in Stuttgart). Bei so<br />
viel Arroganz und Ignoranz kann man es<br />
verstehen, wenn ein in seinem Stolz verletzter<br />
Frankokanadier wie Brûlé einmal<br />
laut und deutlich sagt: „Auf einen groben<br />
Klotz gehört ein grober Keil.“<br />
Und dieser Keil ist in der Tat sehr grob.<br />
„Angesichts dessen, was ich über die<br />
Geschichte der Menschheit weiß, kann<br />
ich behaupten, daß die Engländer und<br />
die US-Amerikaner die beschränktesten<br />
und egozentrischsten Völker<br />
sind, die es je gab!“ Das ist starker<br />
Tobak. Und auch an anderen Stellen<br />
spart Brûlé nicht mit Schlägen unter<br />
die Gürtellinie: „Die US-Amerikaner<br />
und englischen Kanadier sprechen wie<br />
kläffende Hunde und die Briten wie<br />
zischende Schlangen.“<br />
Was sich hier Bahn bricht, ist offenbar<br />
eine Reaktion auf Demütigungen<br />
und intellektuelle Mißhandlungen, die<br />
Brûlé als Frankokanadier von seinen<br />
englisch sprechenden Landsleuten in<br />
seiner Kindheit und während seines<br />
Studiums erdulden mußte, und die er<br />
auch im Buch ausführlich nacherzählt.<br />
Im französischen Original heißt das<br />
Buch „Anglaid“. Das ist ein Kunstwort<br />
aus den Bestandteilen „Anglais“<br />
(Englisch) und „laid“ (häßlich). Daß<br />
Brulé diese beiden Wörter fast schon<br />
reflexhaft zusammenzieht, ist nach<br />
seinen Erfahrungen kaum verwunderlich.<br />
Nicht direkt beteiligte Zeitgenossen<br />
müssen diesen Reflex nicht teilen,<br />
finden hier aber dennoch eine große<br />
Menge wissenswerter Fakten, die<br />
ohne das Buch von Brûlé wohl nie eine<br />
Chance gehabt hätten, in der politisch<br />
korrekten deutschen Medienlandschaft<br />
präsentiert zu werden. Nicht umsonst<br />
hat daher die Provinzregierung von<br />
Quebec die deutsche Übersetzung des<br />
Buches großzügig unterstützt.<br />
Prof. Dr. Walter Krämer ist Vorsitzender<br />
des Vereins <strong>Deutsche</strong> Sprache.<br />
Michel Brûlé: Die englische Verdrengung.<br />
Anglaid – eine Polemik<br />
aus Kanada über eine Herrschaftssprache,<br />
IFB-Verlag <strong>Deutsche</strong> Sprache,<br />
Paderborn 2010, 181 Seiten,<br />
14,20 Euro. Übersetzung aus dem<br />
Französischen: Kurt Gawlitta.<br />
Lothar Schmidt, einen Diplomingenieur,<br />
völligen Vorrang. Die Uhren warten<br />
allein mit technischen Merkmalen<br />
auf, die sinnvoll sind. Schmidt umschreibt<br />
es so: „Produkte müssen für<br />
sich selbst sprechen.“ „Sinn“ hat zum<br />
Beispiel im Magnetfeldschutz und in<br />
der Kratzfestigkeit Maßstäbe gesetzt.<br />
Nicht ohne Grund setzen Menschen<br />
auf „Sinn“-Uhren, die sich unbedingt<br />
auf ihren Zeitmesser verlassen müssen,<br />
wie beispielsweise Piloten, Taucher<br />
oder die Eliteeinheit GSG 9. Im<br />
Inland werden die Uhren ausschließlich<br />
ab Fabrik und über ausgewählte<br />
Depots vermarktet. (dsw)<br />
Sinn Spezialuhren GmbH: Das Katalogbuch<br />
2010/2011, Im Füldchen 5-7,<br />
D-60489 Frankfurt am Main, 215 Seiten.<br />
www.sinn.de<br />
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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
Literatur<br />
Wie schreibt man eine Anti-Sprachschutz-Glosse?<br />
Kleine Anleitung für den fortschrittlichen Sprachbeobachter, der stets über den Dingen steht<br />
Von Thomas Paulwitz<br />
D<br />
ie deutsche Sprache ist in der<br />
Obhut eines erlesenen Kreises<br />
von Sprachwissenschaftlern. Diese<br />
beobachten in aller Stille den „Sprachwandel“<br />
und wollen dabei möglichst<br />
ungestört bleiben. Hierbei sind sie eine<br />
friedliche Symbiose mit Sprachverhunzern<br />
eingegangen, die ebenso ungestört<br />
sein wollen, um die Sprache zu<br />
ihrem Nutzen zu prägen. Denn manche<br />
Sprachverderber wollen die <strong>Deutsche</strong>n<br />
offenbar zu Konsumtrotteln erziehen,<br />
die alles kaufen, worauf „Sale“,<br />
„Event“ oder „Fun“ steht.<br />
Die Sprachbeobachter wiederum stehen<br />
lediglich staunend daneben, bewundern<br />
diesen „Sprachwandel“ und<br />
verzeichnen ihn fleißig in ihren Notizbüchern,<br />
womit sie ihre Arbeit als<br />
erledigt ansehen. Doch diese Idylle ist<br />
gefährdet. Immer mehr Bürger wollen<br />
sich nicht bevormunden lassen. Sie finden,<br />
daß etwas für die deutsche Sprache<br />
getan werden muß. Sie wagen es<br />
mitzureden und den Frieden zu stören.<br />
Das Volk von der Sprache fernhalten<br />
Um dieser für die Sprachbeobachter<br />
unangenehmen Entwicklung entgegenzuwirken,<br />
muß die veröffentlichte<br />
Meinung wieder stärker verbreiten,<br />
daß das Volk in Wirklichkeit keine<br />
Ahnung von der deutschen Sprache<br />
hat. Als besonders wirksam hat sich<br />
das Verfassen von Anti-Sprachschutz-<br />
Glossen erwiesen, mit denen Sprach-<br />
V<br />
ergessen ist heute ein erbitterter<br />
Widersacher Goethes: Der Literaturkritiker<br />
Garlieb Helwig Merkel<br />
(1769 bis 1850) tadelte in scharfen Polemiken<br />
Johann Wolfgang von Goethe<br />
und die Dichter der Romantik. Zu diesem<br />
Zwecke gab Merkel zusammen mit<br />
dem Dramatiker August von Kotzebue<br />
nach 1800 die Zeitschrift „Der Freymüthige“<br />
heraus. Kotzebues Ermordung<br />
durch den Burschenschafter Karl<br />
Ludwig Sand 1819 löste die Karlsbader<br />
Beschlüsse aus, welche die Meinungsfreiheit<br />
empfindlich einschränkten.<br />
Einer läßt sich nicht den Mund verbieten,<br />
während Kotzebue und sein Mörder<br />
Sand längst friedlich nebeneinander<br />
auf dem Mannheimer Hauptfriedhof<br />
ruhen: Merkel ist wieder da; und zwar<br />
in der Gestalt Günter B. Merkels, der in<br />
der Nähe Mannheims wohnt. Weder historische<br />
noch zeitgenössische Dichter<br />
verschont er: „Gernhardt reimte ohne<br />
Sinn / Und unrein – aber immerhin …<br />
/ Er ist berühmt, anstatt begnadet, was<br />
seinem Ruf – bisher – nicht schadet.“<br />
schreibt Merkel neben ein Gedicht<br />
Robert Gernhardts. Selbst vor Goethe<br />
macht er nicht halt: „Über den Gipfeln<br />
ist keine Ruh. / Diese UnRuh spürest<br />
Du / Tag und Nacht und immerzu […].<br />
Selbst Vogel-Nerven liegen blank, /<br />
Dank Lärm und Kerosin-GesTank.<br />
/ Und die Elster krächzt im Wipfel: /<br />
Dieser Fluglärm ist der Gipfel!“<br />
Mit Merkelstolz vor Dichterthronen<br />
setzt der heute 67jährige Merkel die<br />
Kritik seines historischen Namensvetters<br />
fort. Mit den satirischen „Gegengedichten“<br />
fand er eine einzigartige<br />
lyrische Form, präzise verfaßt mit reinem<br />
Endreim und genau gegliedert in<br />
Kurz- und Langvers. So verwundert es<br />
nicht, daß die Anhänger Merkels ihm<br />
bereits den Titel „Reimkanzler“ antrugen.<br />
Dabei hatte ihn einst die <strong>Deutsche</strong><br />
Journalistenschule als untalentiert abgewiesen.<br />
Nun hat er binnen fünf Jahren<br />
acht kurzweilige Bücher – davon<br />
ein Hörbuch – herausgebracht. Die<br />
letzten vier Bücher illustrierte Dietrich<br />
Gondosch. Dieser Nachfahre Friedrich<br />
Schillers lebt als Zeichner in einem<br />
Stadtmauerturm der freien Reichsstadt<br />
Billigheim. Inzwischen liegt das neunte<br />
Buch vor: „Goethe – ungeschminkt.<br />
Vernichtendes über Werk und Charakter<br />
eines Gecken“.<br />
Wer ist dieser Mann, der auszieht, die<br />
Dichtergrößen zu verspotten, um nichts<br />
weniger als „DIE ANTWORT auf die<br />
Dichtkunst der vergangenen 200 Jahre“<br />
zu geben? Er sei „Vegetarier, aber kein<br />
Kostverächter, Pessimist, aber trotzdem<br />
verheiratet“, sagt er von sich. Als<br />
ihn die Journalistenschule nicht wollte,<br />
freunde verhöhnt und verspottet<br />
werden. Vor zehn Jahren waren sie<br />
hierzulande noch gang und gäbe, heute<br />
scheinen sie aber vom Aussterben<br />
bedroht zu sein.<br />
Doch gibt es in der jüngsten Vergangenheit<br />
hoffnungsvolle Versuche, diese<br />
versunken geglaubte Tradition wieder<br />
aufleben zu lassen. Um der gestiegenen<br />
Nachfrage Rechnung zu tragen,<br />
haben wir eine kurze Anleitung zum<br />
Schreiben einer Anti-Sprachschutz-<br />
Glosse entwickelt. Sie besteht im wesentlichen<br />
aus zwei Schritten. Erstens<br />
gilt es, die Sprachschützer lächerlich<br />
zu machen. Zweitens muß der Verfasser<br />
sich selbst unangreifbar machen.<br />
Letztlich geht es darum, eine Diskussion<br />
geschickt zu verhindern.<br />
Dieses Vorgehen hört sich zunächst<br />
ganz einleuchtend an und läßt sich<br />
gewiß auch erfolgreich auf andere<br />
Auseinandersetzungen anwenden.<br />
Es ist ein bewährtes Mittel der Herrschenden:<br />
Jeden, der die gegenwärtige<br />
Ordnung in Frage stellt, kann man<br />
auf diese Weise mundtot machen. Wie<br />
soll jedoch der ambitionierte Verfasser<br />
diese Schritte am besten ins Werk<br />
setzen? Als Hilfestellung bieten wir<br />
aus diesem Grund eine weitergehende<br />
Anleitung mit Beispielen, die sich in<br />
der Vergangenheit schon des öfteren<br />
bewährt haben. Alle Zitate, die nun folgen,<br />
sind echt und haben sich bereits in<br />
Anti-Sprachschutz-Glossen bewährt.<br />
Anzeigen<br />
Die Sprachschützer<br />
lächerlich machen<br />
Schritt 1 ist also, den Sprachschützer<br />
lächerlich zu machen und seine Satisfaktionsfähigkeit<br />
in Frage zu stellen.<br />
Schließlich befindet man sich nicht auf<br />
gleicher Augenhöhe. Zunächst einmal<br />
spricht man dem Sprachschützer folglich<br />
den Sachverstand ab, schließlich<br />
ist er kein staatlich geprüfter Sprachbeobachter.<br />
Hilfreich ist dabei, ihn als<br />
„selbsternannt“ zu bezeichnen und darauf<br />
hinzuweisen, daß er „ohne fachlichen<br />
Hintergrund“ sei. Ein Glanzstück<br />
ist zum Beispiel der folgende Satz:<br />
„Selbsternannte Sprachschützer zeichnen<br />
sich nicht selten durch ein gestörtes<br />
Verhältnis zur deutschen Sprache aus.“<br />
Damit ist ein weiteres Mittel ins Spiel<br />
gebracht. Ratsam ist es nämlich, bei<br />
den Sprachschützern charakterliche<br />
Mängel, ja sogar „Fehlfunktionen“<br />
zu diagnostizieren. Sie „nörgeln“ und<br />
„jammern“, sind „besserwisserisch“<br />
und „kulturpessimistisch“. Sie besitzen<br />
ein „Gefühl von Minderwertigkeit<br />
und Trotz“ und haben eine „pöbelhafte<br />
Lust am Vergröbern, am Denunzieren<br />
und Herabsetzen“. Nicht zuletzt<br />
sprechen sie ein „Altertümeldeutsch“,<br />
während sie auf „Hexenjagd“ gegen<br />
Anglizismen gehen.<br />
So kann man Sprachschützer wirkungsvoll<br />
als nicht ernst zu nehmende<br />
Randgruppe abstempeln: „Da nörgeln<br />
sie also an der angeblich verfallenden<br />
deutschen Sprache herum, die ‚alten<br />
Männer‘ mit erhobenem Zeigefinger.“<br />
Als allerletztes Mittel bleibt dann<br />
noch, die Sprachschützer als Ewiggestrige<br />
in die rechte Ecke zu stellen.<br />
Zu den schwächeren Versuchen gehört<br />
dabei noch die Vermutung, daß<br />
der Vorschlag, statt „Public Viewing“<br />
auch einmal „Rudelgucken“ zu sagen,<br />
„wohl keine Reminiszenz an den<br />
Jagdflieger Hans-Ulrich Rudel ist“.<br />
Ein Volltreffer hingegen ist der Ansatz,<br />
den Sprachschützer auf eine Ebene mit<br />
Massenmördern zu stellen: „Das weiß<br />
man aus der deutschen Vergangenheit,<br />
in der Fremdwörter ausgemerzt wurden<br />
wie Menschen.“<br />
Die eigene Überlegenheit betonen<br />
Ist der Sprachschützer auf diese Weise<br />
in Mißkredit gebracht, folgt Schritt 2:<br />
die Absicherung des eigenen Standpunkts.<br />
Das geschieht selbstverständlich<br />
nicht mit Hilfe von klugen<br />
Begründungen, sondern indem man<br />
seine eigene Überlegenheit hervorhebt.<br />
Während die anderen nörgeln und unter<br />
charakterlichen Mängeln leiden, ruht<br />
man selbst völlig in sich und pflegt einen<br />
„unaufgeregten Umgang mit dem<br />
Sprachwandel“.<br />
Man ist angetreten, um zur „Versachlichung“<br />
beizutragen. Daher ist es an<br />
der Zeit, den Mantra der unfehlbaren<br />
Sprachbeobachter anzustimmen und<br />
Goethes später Gegenspieler<br />
„Reimkanzler“ Merkel rettet den reinen Reim<br />
studierte er Musik, und er gründete als<br />
30jähriger den Musikverlag SWP, der<br />
deutsche Rockmusiker unter Vertrag<br />
nahm. 1992 gab er den Verlag ab.<br />
Heute lebt er zurückgezogen im Odenwald,<br />
inmitten einer malerischen Landschaft,<br />
„weitsichtig, aber kaum fernsehend“.<br />
Dennoch war es gut, daß er den<br />
Fernseher vor zehn Jahren doch einmal<br />
einschaltete. Es lief eine Sendung<br />
über den Komiker und Dichter Heinz<br />
Erhardt, einen Meister der Wortspiele<br />
und verdrehten Redewendungen. „Das<br />
kann ich auch“, sagte sich Merkel –<br />
lange vor Barack Obamas „Yes, we<br />
can“ – und setzte sich ans Werk.<br />
Und er kann es tatsächlich. Trotz freiwilliger<br />
Selbstbeschränkung auf den<br />
reinen Reim sprühen seine Gedichte<br />
vor Witz. Seit seiner Berufung zum<br />
Dichter schreibt er jedes Jahr durchschnittlich<br />
2.000 Zweizeiler, Gedichte,<br />
Essays. Dem genialen Verseschmied<br />
gelingt ein kleines Meisterwerk nach<br />
dem anderen, zum Beispiel: „Was mäkelt<br />
ihr am Stroh herum? / Nicht das<br />
Stroh, der Mensch ist dumm!“ Oder:<br />
„Ihr könnt machen, was ihr wollt, /<br />
Sofern ihr das tut, was ihr sollt!“ Und:<br />
„Der Seitensprung – ein Sprung zur<br />
Seite – / Erst sucht man Liebe, dann<br />
das Weite.“<br />
Seine Vorbilder sind Heinz Erhardt,<br />
Wilhelm Busch, Joachim Ringelnatz,<br />
Erich Kästner oder Eugen Roth. Daß<br />
diese Größen heute nicht mehr angesagt<br />
sind, bedauert er. „Ob Kästner, Erhardt,<br />
Eugen Roth; / Sie sind im Grunde<br />
doppelt tot, / Denn Jurys mögen nur<br />
noch Prosa / Von der linken Haus-Frau<br />
Rosa / Und von fremden Licht-Gestalten,<br />
/ Die Roth für eine Farbe halten. /<br />
Ringelnatz und Busch – längst stumm<br />
– / Drehen sich im Grab herum!“ beklagt<br />
Merkel. Für die Feuilletons der<br />
überregionalen Tageszeitungen ist der<br />
bodenständige Merkel offenbar nicht<br />
abgehoben genug.<br />
Zwar sammelt zum Beispiel das Düsseldorfer<br />
Heine-Institut Merkels Gegengedichte<br />
zu Heinrich Heine für eine<br />
Veröffentlichung, doch trotz Anerkennung<br />
von Fachleuten ist ihm der große<br />
Durchbruch bisher versagt geblieben.<br />
Noch gilt Merkel lediglich als Geheimtip.<br />
Was nützt es da, daß Hellmuth<br />
Karasek ihn als zweiten Eugen Roth<br />
bezeichnet? Daß Martin Walser die<br />
„herzhaft festen Gedichte“ lobt? Daß<br />
dem ehemaligen SWR-Intendanten<br />
Peter Voß „die Gelassenheit und humorige<br />
Distanz“ gefällt, die Merkel als<br />
Dichter zur Dichtkunst wahre? Auch<br />
ein Erfolgsautor wie Bastian Sick, der<br />
bekennt, Merkels Sprüche „mit großem<br />
Vergnügen“ zu lesen, wäre ohne<br />
den Großverlag Kiepenheuer & Witsch<br />
und das Nachrichtenmagazin „Der<br />
Seite 9<br />
die ehernen und unverrückbaren Glaubenssätze<br />
zu beschwören: Nicht die<br />
Menschen verändern die Sprachen,<br />
statt dessen ist die Sprache ein Lebewesen,<br />
das sich selbst verändert: „Lebende<br />
Sprachen verändern sich.“ Da kann<br />
man eben nichts machen. Verstöße gegen<br />
die Sprachnorm sind also völlig in<br />
Ordnung, denn: „Die Fehler von heute<br />
sind die Regeln von morgen.“ Es lohnt<br />
sich auch nicht, Fehlentwicklungen zu<br />
geißeln: „Die Klage vom Sprachverfall<br />
ist so alt wie die Sprache selbst.“<br />
Schließlich ist festzuhalten: „Es gibt<br />
keine reine Sprache.“ Diese Tatsachen<br />
sind so beeindruckend, daß sie jede<br />
Sprachkritik im Keim ersticken.<br />
Den Rest gibt man den Sprachschützern<br />
dann, indem man nie geäußerte<br />
Behauptungen erfindet und sie anschließend<br />
widerlegt; etwa die angebliche<br />
„Überzeugung, der Wandel einer<br />
Sprache sei notwendig Ausdruck ihres<br />
Niedergangs“ oder die Rede vom<br />
„dahinsiechenden, dem Tode geweihten<br />
Patienten Deutsch“ oder, daß sich<br />
Fremdwörter „schmarotzend in unsere<br />
heile deutsche <strong>Sprachwelt</strong> einschleichen“<br />
und sich „parasitär an einem immer<br />
schwächer werdenden deutschen<br />
Wirt festsaugen“.<br />
Nur eines darf man auf gar keinen<br />
Fall: die Kritik der Sprachschützer<br />
ernstnehmen und sich mit ihren Argumenten<br />
auseinandersetzen. Das<br />
wäre viel zu gefährlich!<br />
Spiegel“ im Rücken weitgehend unbekannt<br />
geblieben.<br />
Vielleicht ist die unverdient geringe Beachtung<br />
ein Grund, daß Merkel mit Vorliebe<br />
die Größen des Literaturbetriebes<br />
aufs Korn nimmt. Gegen die „Letzten<br />
Tänze“ des Literaturnobelpreisträgers<br />
Günter Grass hat er gleich ein ganzes<br />
Gegen-Buch geschrieben. Merkel wirft<br />
Grass nicht nur „dilettantische Poesie“<br />
und „gruselige Zeichnungen“ vor, sondern<br />
auch Selbstüberschätzung. Wenn<br />
Grass zum Beispiel bekennt: „Verjüngt<br />
war ich gottähnlich. / Die Pfeife lag abseits,<br />
kalt.“ antwortet der Gegendichter<br />
spitz: „Lieber Günter, das sind Worte; /<br />
Wohlbedacht, genialer Sorte! / Himmlisch<br />
anstatt drastisch, / Gottähnlich<br />
und phantastisch. / DichtKunst in vollster<br />
Reife; / Doch wen meinst Du mit<br />
der Pfeife?“<br />
Günter B. Merkel: Große Sprüche<br />
vom gnadenlosen Dichter, SWP-<br />
Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2007, 128<br />
Seiten, fester Einband, 9,50 Euro.<br />
Bestellung unter Telefon 06220/6310.<br />
www.merkel-gedichte.de<br />
Erschienen in „Die Rheinpfalz“,<br />
18. Oktober 2008.<br />
Wenn das, was du tust, richtig ist,<br />
machen wir alle etwas falsch.<br />
Das kann nicht sein!«<br />
sagte eine Mutter<br />
zu mir, als ich<br />
gerade <strong>41</strong> war.<br />
Doch 14 Jahre<br />
später bewahrheitet sich tatsächlich, dass die<br />
Verständigung Mutter-Kind-Vater<br />
absolut anders als bisher angenommen ist. Das Buch<br />
Ausweg von Ahnne Seinn<br />
ISBN 978-3-00-030701-0<br />
ist ein Meilenstein im Verständnis der Beziehung von<br />
Erwachsenen zu Kleinkindern: beleuchtet die Ursachen<br />
für Gewaltneigung von Kindern an Fremden und sich...<br />
Ausschließlich für Leser der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Sprachwelt</strong><br />
stehen zusätzlich noch zwei Folge-Schriften zur Verfügung, die in<br />
Freundschafts-Ausgaben erschienen sind, und die Einsichten mit<br />
Beispielen aus meiner Kindheit und Jugend vertiefend verankern:<br />
‡BESTELLE 1 • bezahl 1 • BEKOMM 3 ‡‡‡<br />
Preis 25,-€ frei Haus BRD: Ausweg@Biosophie21.de
Seite 10 Werkstatt<br />
Von Jürgen Langhans<br />
em belesenen Bürger dreht sich<br />
D gewöhnlich der Magen um,<br />
wenn er Texte vorgelegt bekommt,<br />
die nach den „Regeln“ der sogenannten<br />
Rechtschreibreform (RSR) verfaßt<br />
worden sind – oder zumindest diesen<br />
Anschein erwecken sollen. Will er<br />
nun solche Texte in einem vernünftigen<br />
Deutsch am Rechner weiterverarbeiten,<br />
begegnet er unwillkürlich der<br />
Frage:<br />
� Wie kriege ich die vermurksten<br />
Texte ohne viel Aufwand wieder<br />
zurück in die altbewährte herkömmliche<br />
Rechtschreibung?<br />
Zwar bietet MS Office selbst in der<br />
Fassung 2007 noch die Möglichkeit,<br />
die „neue deutsche Rechtschreibung“<br />
bei der automatischen Prüfung abzuwählen,<br />
aber bei Spracherkennungssoftware<br />
geht das in aller Regel nicht.<br />
Zudem gelangen zunehmend reformierte<br />
Texte auf den Schreibtisch, die<br />
man so nicht akzeptieren möchte. Der<br />
vom Verfasser entwickelte „Falschnach-Richtig-Konverter“(FNR-Konverter)<br />
versucht, aus einem „staatlich<br />
verordneten“ Reformschrieb wieder<br />
einen vernünftigen Text zu machen.<br />
Warum „versucht“ er es lediglich?<br />
Eine Rückumwandlung von reformierter<br />
in bewährte Schreibung ist weitaus<br />
schwieriger als umgekehrt, denn das<br />
Ergebnis ist nicht immer eindeutig.<br />
Durch die Anwendung der reformierten<br />
„Regeln“ verlieren sich wichtige<br />
Informationen für den Leser. So ist es<br />
einfach, in einem Text alle „ß“ durch<br />
ein „ss“ zu ersetzen (wie man das für<br />
Schweizer Leser gern tut), nicht jedoch<br />
von „ss“ nach „ß“: Aus einer Diskusscheibe<br />
darf ja keine Diskußcheibe<br />
werden. Auch sind sowohl „wieder sehen“<br />
als auch „wiedersehen“ mögliche<br />
Schreibungen; das Programm kann<br />
nicht wissen, was wirklich gemeint<br />
ist. FNR liefert als Ergebnis einen<br />
Hinweis auf eine Mehrdeutigkeit. Der<br />
Anwender des FNR-Konverters muß<br />
dann selbst entscheiden, wie geschrieben<br />
werden soll. Der Konverter nimmt<br />
ihm dabei aber eine gute Portion Routinearbeit<br />
ab.<br />
Der extrem hohe Aufwand bei der<br />
Konzipierung und Programmierung<br />
des FNR-Konverters ist ein Indiz für<br />
den hohen Zerstörungsgrad unserer<br />
Schriftsprache durch die Reformer. Es<br />
ist unglaublich, welcher Schaden hier<br />
angerichtet wurde. FNR ist eine Ehrerbietung<br />
an die Vernunft, ein winziger<br />
Schachzug gegen die Borniertheit<br />
und Uneinsichtigkeit einflußreicher<br />
Einzelpersonen oder Institutionen in<br />
Politik, Bildung und in der Medienwirtschaft.<br />
Was leistet der FNR-Konverter?<br />
FNR konvertiert „ss“ nach kurzem Vokal<br />
(das Markenzeichen der Reform)<br />
wieder nach „ß“; „kennen lernen“<br />
wird zu „kennenlernen“, und aus „im<br />
Allgemeinen“ wird wieder „im allgemeinen“.<br />
Dabei wird berücksichtigt,<br />
ob die Rückumwandlung eindeutig,<br />
mehrdeutig oder gar nicht möglich<br />
ist. Die verbesserten oder für die Korrektur<br />
vorgeschlagenen Textstellen<br />
werden gekennzeichnet und können<br />
dann gegengeprüft werden.<br />
Das Programm untersucht nicht nur<br />
einzelne Wörter auf Neuschrieb, sondern<br />
nimmt sich auch der Themen Getrennt-/Zusammenschreibung,<br />
Groß-/<br />
Kleinschreibung, Zusammensetzung<br />
mit Ziffern, Bindestrich, Eigennamen<br />
und Abkürzungen an. Die Ersetzungsvorschriften<br />
sind in Regeln typisiert,<br />
die der Anwender zu- oder abschalten<br />
kann. So kann er beispielsweise<br />
alle „falschen“ ss-Schreibungen so<br />
lassen und nur den anderen Unfug<br />
beseitigen. Eine besondere Option<br />
ersetzt zum Ende aller Regeldurchläufe<br />
alle „ß“ durch „ss“. Dadurch<br />
können Schweizer Texte ohne „ß“<br />
erzeugt werden, die ansonsten aber<br />
der herkömmlichen Rechtschreibung<br />
entsprechen.<br />
Wie arbeitet der FNR-Konverter?<br />
Der FNR-Konverter ersetzt zunächst<br />
pauschal alle uns bekannten Falschschreibungen<br />
von Wörtern oder Wortkombinationen<br />
durch den richtigen<br />
Text. Da es hier zu Mehrdeutigkeiten<br />
kommen kann, versucht das Programm<br />
anschließend, einige mehrdeutige<br />
Schreibungen wieder in die<br />
ursprünglichen zu verwandeln. Kernstück<br />
des Konverters ist ein VBA-<br />
Makro, das die Daten für die Regeln<br />
aus einer gesonderten Umsetztabelle<br />
(Excel) lädt. Diese Umsetztabelle<br />
ordnet jeder falschen Schreibung die<br />
vermeintlich korrekte zu.<br />
Basis für die Umsetzregeln ist die<br />
reformierte Schreibung, wie sie etwa<br />
ab 1997 eingeführt wurde. Grund dafür<br />
ist das Fehlen eines einheitlichen<br />
„neuesten Standes“ der reformierten<br />
Schreibung: Jeder Verlag oder jedes<br />
Nachschlagewerk definiert noch immer<br />
seine hauseigenen Regeln. Zudem<br />
Die direkte Demokratie<br />
ist schuld<br />
In einem Leitfaden empfiehlt die Schweizerische Bundeskanzlei „geschlechtergerechte“<br />
Sprachverrenkungen. In DSW 40 stand sie deswegen in der<br />
Sprachsünder-Ecke der DEUTSCHEN SPRACHWELT. Daraufhin beschwerten<br />
sich zahlreiche Leser. Im August antwortete für die Bundeskanzlei die Gesetzesredaktorin<br />
Margret Schiedt (Rechtschreibung im Original):<br />
Z<br />
uerst möchte ich etwas richtigstellen:<br />
Wir sehen uns in keiner<br />
Art und Weise als Sprachpolizei<br />
und weder den erwähnten Leitfaden<br />
noch den Leitfaden zur deutschen<br />
Rechtschreibung als „Zwangsmittel“.<br />
Zudem erachtet in der Schweiz<br />
weder Regierung noch Parlament<br />
die Frage des geschlechtergerechten<br />
Formulierens als überflüssig. Vielmehr<br />
hat der Bundesrat 1993 aus<br />
der Überzeugung, dass Rechte und<br />
Pflichten, die den Bürgerinnen und<br />
Bürgern dieses Landes aus Gesetzen<br />
und Verordnungen erwachsen, besser<br />
von Personen beiderlei Geschlechts<br />
wahrgenommen werden, wenn eben<br />
Männer und Frauen explizit angesprochen<br />
werden. Schliesslich müssen<br />
Frauen beispielsweise ebenso<br />
Steuern bezahlen wie Männer. Das<br />
Parlament ist dem Bundesrat in diesem<br />
Entscheid gefolgt. Mittlerweile<br />
ist im Übrigen auch wissenschaftlich<br />
belegt, dass sich Frauen durch Texte,<br />
die im generischen Maskulinum<br />
verfasst sind, deutlich weniger angesprochen<br />
fühlen, als durch Texte, in<br />
denen neben den männlichen Formen<br />
Falsch wird wieder richtig<br />
Ein Hilfsprogramm wandelt Neuschrieb in herkömmliche Schreibung um<br />
auch die weiblichen stehen. Gerade<br />
in einer direkten Demokratie wie der<br />
Schweiz ist es wichtig, dass sich alle<br />
beteiligen, dass alle Verantwortung<br />
übernehmen und beispielsweise an<br />
Volksabstimmungen teilnehmen.<br />
Die geschlechtergerechte Formulierung<br />
widerspiegelt auch eine gesellschaftliche<br />
Entwicklung. Frauen<br />
leisten in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft<br />
einen sehr beträchtlichen<br />
Beitrag. Und dies soll auch in der<br />
Sprache zum Ausdruck kommen. Die<br />
Sprache ist denn auch kein starres Gebilde,<br />
sie verändert sich aufgrund der<br />
gesellschaftlichen Gegebenheiten, im<br />
Kontakt mit anderen Sprachen und<br />
weitere Einflüsse. Man kann sie also<br />
unserer Meinung nach nicht ‚rein‘ bewahren.<br />
Der Leitfaden zur geschlechtergerechten<br />
Formulierung ist wie gesagt<br />
kein Zwangsmittel. Er bietet einen<br />
breiten Fächer an Möglichkeiten an,<br />
die in den verschiedensten Textsorten<br />
angewendet werden können, damit die<br />
Texte dem Beschluss des Bundesrates<br />
entsprechen und gleichzeitig verständlich<br />
und gut lesbar sind.“<br />
befindet sich die Rechtschreibreform<br />
in einem Stadium stetigen Rückbaus,<br />
was jedoch kaum öffentlich verbreitet<br />
und somit der „neuschreibenden“<br />
Bevölkerung eher unbekannt sein<br />
dürfte. Insofern würden Fehler, die<br />
eigentlich gar keine mehr sind, vom<br />
Konverter nicht gefunden – ein Beispiel:<br />
„so genannt“ darf heute wieder<br />
korrekt „sogenannt“ geschrieben werden.<br />
Aber dieses Wörtchen muß auch<br />
heute noch in die Prüfung einbezogen<br />
werden. Es werden jedoch Ausnahmen<br />
berücksichtigt: „Leid tun“ wird<br />
ebenso korrigiert wie das re-reformierte<br />
„leidtun“.<br />
Darüber hinaus versucht das Programm<br />
eine große Anzahl von Einzelwörtern,<br />
Konstrukten, Getrennt-/<br />
Zusammenschreibungen, Anreden,<br />
Eigennamen und Abkürzungen um-<br />
Bild 1<br />
Bild 2<br />
zuwandeln, einschließlich möglicher<br />
Deklinationen, Konjugationen, Singular<br />
/ Plural und Zeitformen. Beispiele<br />
sind „Delfin“, „so genannt“,<br />
„behände“, „zurzeit“, „Abscheu erregend“,<br />
„kennen lernen“, „schwarzes<br />
Brett“, „deine“, „i. Allg.“). Wörter<br />
wie „gräulich“ oder „Fön“ werden<br />
lediglich als „verdächtig“ markiert,<br />
jedoch nicht konvertiert.<br />
FNR ist nicht besonders schnell, dafür<br />
jedoch recht gründlich. Die Komplexität<br />
der Umwandlungsversuche,<br />
das fortlaufende Prüfen auf Plausibilität<br />
und gegebenenfalls eine Wiederrücknahme<br />
der Konvertierung sowie<br />
die große Palette der berücksichtigten<br />
Regeln gehen zu Lasten der Rechenzeit.<br />
Das Programm verbessert keine<br />
Kommasetzung oder „unendliche“<br />
Konstrukte wie beispielsweise „tut<br />
mir nicht Leid“, „der / die Elfte“.<br />
FNR leistet keine grundsätzlichen<br />
Rechtschreibkorrekturen und berücksichtigt<br />
keine fremdsprachigen Texte:<br />
„dress“ wird immer zu „dreß“.<br />
N<br />
Die einzelnen Regeln und Algorithmen<br />
sind im Bedienerhandbuch ausführlich<br />
erläutert. Eine sehr einfache<br />
Regel lautet zum Beispiel:<br />
� Die Zeichenketten „sss“, „ss-S“<br />
sowie die Endungen „sslich“,<br />
„sslig“ und „ssrig“ können in dieser<br />
Form nie auftreten. Außerdem<br />
stehen diese Zeichenketten nie<br />
am Satzanfang. Bei „ss-S“ kann<br />
der Trennstrich allerdings gewollt<br />
sein, daher sind hier Mehrdeutigkeiten<br />
möglich.<br />
Aus dieser Regel ergibt sich der Algorithmus<br />
für das Programm: „Ersetze<br />
im Text alle obigen Zeichenketten immer<br />
und ohne Bedingung und kennzeichne<br />
Mehrdeutigkeiten!“ Insgesamt<br />
gibt es elf Regeln.<br />
Wie bedient man das Programm?<br />
Ein Klick auf die Raute (Bild 1) in der<br />
Symbolleiste öffnet den Bediendialog<br />
(Bild 2). Nach wenigen Sekunden ist<br />
der FNR-Konverter startklar. Nach<br />
Programmende können die Korrekturen<br />
im Text mit Hilfe der Schaltflächen<br />
EK (alle eindeutigen Konvertierungen<br />
übernehmen), ZK (alle<br />
zweideutigen Konvertierungen übernehmen)<br />
und VW (alle verdächtigen<br />
Wörter prüfen) bearbeitet werden.<br />
Wie kommt der FNR-Konverter ins<br />
MS Office?<br />
Für Office 2000 und 2007 gibt es ein<br />
Installierungsprogramm. Andernfalls<br />
wird das Makropaket einfach in das<br />
„Start-Up“-Verzeichnis von Office<br />
kopiert. Damit wird es bei jedem<br />
Word-Aufruf mitgeladen. Laden Sie<br />
einfach alle erforderlichen Dateien<br />
bei www.rechtschreibreform-neindanke.de<br />
kostenlos herunter und folgen<br />
Sie den Anweisungen im Handbuch.<br />
Viel Spasss!<br />
Dr.-Ing. Jürgen Langhans ist der Entwickler<br />
des „Falsch-nach-Richtig-<br />
Konverters“ und Verfasser reformkritischer<br />
Schriften.<br />
und rufen unsere Leser zum Protest auf<br />
achdem sich bereits seit Monaten<br />
zahlreiche Leser der<br />
DEUTSCHEN SPRACHWELT über<br />
das bescheidene Sprachgebaren des<br />
REWE-Baumarkts „toom“ beklagt<br />
haben, ist es nun an der Zeit, ihn endlich<br />
in unsere Sprachsünder-Ecke zu<br />
stellen. Das medizinische Wörterbuch<br />
„Pschyrembel“ bezeichnet das „zwanghafte Wiederholen<br />
von vulgären Ausdrücken aus der Fäkalsprache“<br />
als „Koprolalie“. Von diesem „psychopathologischen<br />
Symptom“ ist offenbar die Werbeabteilung<br />
des Baumarkts befallen. Würde sie sonst massenhaft<br />
in Anzeigen und Werbezetteln das Motto „OHNE<br />
SCH…“ (im Original ausgeschrieben) unters Volk<br />
bringen? Folgende Antwort erhalten die entsetzten<br />
Kunden (Rechtschreibung unverändert):<br />
„Zuerst einmal möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir<br />
uns bereits bei der Konzeption im Klaren waren, dass<br />
das Motto ‚Ohne Sch…‘ auf ein geteiltes Echo stoßen<br />
wird. Daher haben wir Verständnis für Ihre Kritik.<br />
Vor dem Start der Kampagne wurde jedoch eine<br />
repräsentative Auswahl an Kunden, Verbrauchern und<br />
Werbefachleuten befragt. Dabei kam heraus, dass die<br />
Mehrheit der Befragten positiv auf das Motto reagierte.<br />
In erster Linie wurden Begriffe wie Aufrichtigkeit<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
Griff ins Klo<br />
<strong>Deutsche</strong><br />
Wortwelt<br />
Das entbehrliche Fremdwort<br />
Wellness<br />
Das Ungeheuer von „Wellness“<br />
ist leider nicht so scheu<br />
wie sein schottischer Verwandter<br />
„Nessie“ und treibt<br />
in der Freizeitindustrie schon<br />
seit Jahren sein Unwesen. Was<br />
ist so schlecht an Gesundheit,<br />
Behaglichkeit, Erholung oder<br />
Wohlgefühl?<br />
Das richtig geschriebene Wort<br />
Stegreif<br />
Wer weiß, daß der „Stegreif“<br />
nichts mit „stehen“ und „greifen“<br />
zu tun hat, sondern mit<br />
„Steg“ und „Reif“ und ein anderes<br />
Wort für Steigbügel ist,<br />
der wird es nie wieder falsch<br />
„Stehgreif“ schreiben.<br />
Das treffende Wort<br />
ich denke / ich glaube<br />
„Ich denke“ heben viele Politiker<br />
an, wenn sie lediglich etwas<br />
glauben oder meinen. Das<br />
Denken ist jedoch oft nur vorgetäuscht.<br />
Übernommen haben<br />
sie diesen Auswuchs aus<br />
dem Englischen. Dort heißt es<br />
„I think“, wenn jemand seine<br />
Meinung kundtun möchte.<br />
Das richtig gebeugte Wort<br />
gesinnt/gesonnen<br />
Ich bin gesonnen, ihm zu helfen,<br />
denn er ist mir wohlgesinnt.<br />
„Gesonnen sein“ bedeutet<br />
„gewillt sein“; „gesinnt“<br />
bedeutet „von einer bestimmten<br />
Gesinnung“.<br />
Das wiederentdeckte Wort<br />
Grille<br />
Nein, weder ist das zirpende<br />
Heimchen noch eine Rösterei<br />
gemeint, sondern die im 16.<br />
Jahrhundert entstandene Entsprechung<br />
für „Laune“ und<br />
„wunderlicher Einfall“. Goethe<br />
hat einst sogar „eine dramatische<br />
Grille in sechs Akten“<br />
geschrieben<br />
Das willkommene Wort<br />
Warentrennstab<br />
Lange hatte es keine Bezeichnung<br />
für den Klotz gegeben,<br />
der in den Kaufläden auf einem<br />
Kassenband zwischen<br />
die Waren verschiedener Kunden<br />
gelegt werden kann – bis<br />
der „Warentrennstab“ kam.<br />
In Ostfriesland heißt er übrigens<br />
„Miendientje“, also etwa<br />
„Meindeinchen“.<br />
Welche weiteren Wörter sollten<br />
in dieser Wortwelt stehen?<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Der REWE-Baumarkt „toom“ verbreitet sprachlichen Dünnpfiff<br />
und Ehrlichkeit damit in Verbindung<br />
gebracht. Punkte, die auch für toom<br />
BauMarkt zu den Kernaussagen<br />
unserer Werbekampagne gehören.<br />
Dies zeigt aus unserer Sicht, dass<br />
die Formulierung ‚Ohne Sch…‘<br />
heute fester Bestandteil des aktiven<br />
Wortschatzes und allgemeinen<br />
Sprachgebrauchs ist und hat uns dazu bewogen, die<br />
Kampagne in der geplanten Form zu starten.“<br />
Sprachsünder Ecke An dieser Stelle stellen wir Sprachsünder vor, die besonders unangenehm aufgefallen sind,<br />
Leser Wolfgang Doose schreibt: „Über die Begründung,<br />
die Formulierung ‚OHNE SCH…‘ sei heute<br />
fester Bestandteil des aktiven Wortschatzes, bin ich<br />
empört. Umgangssprache und geschriebenes Wort<br />
sind meines Erachtens große Unterschiede. Ich werde<br />
den Markt meiden.“ (dsw)<br />
Fragen Sie den REWE-Baumarkt „toom“, warum<br />
er von Fäkalausdrücken nicht lassen will, und lassen<br />
Sie uns bitte ein Doppel zukommen:<br />
Sprachsünder toom Bau-Markt GmbH, Herren Geschäftsführer<br />
Magel, Kunath und Riesche, Humboldtstraße<br />
140-144, D-51149 Köln, Telefon +49-(0)221-<br />
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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
Bericht aus<br />
Bozen<br />
Von Andreas Raffeiner<br />
90 Jahre nach der<br />
Einverleibung<br />
Südtirols herrscht<br />
immer noch kein<br />
Frieden. Darf es<br />
sein, daß lediglich<br />
überlieferte<br />
deutsche Namen<br />
auf Schildern<br />
von Berg- und<br />
Wanderwegen<br />
Bild: Roshan-Kofler stehen? Seit jeher<br />
haben der<br />
Alpenverein Südtirol (AVS) und die<br />
Tourismusvereine hölzerne Wegweiser<br />
aufgestellt, die teilweise einsprachig<br />
deutsch, teilweise zweisprachig<br />
beschriftet wurden. Nachdem der<br />
AVS im Rahmen eines einmaligen<br />
Projekts sämtliche Südtiroler Wanderwege<br />
digital erfaßt hatte, wurden<br />
neue Hinweisschilder aufgestellt.<br />
Schon bald protestierten italienische<br />
Nationalisten gegen die einsprachigen<br />
Hinweisschilder, die eigentlich<br />
nichts Neues waren. Lediglich der<br />
Prozentsatz der rein deutschsprachigen<br />
Tafeln hatte sich stark erhöht.<br />
Der Bozner Oberstaatsanwalt Guido<br />
Rispoli leitete eine Untersuchung ein.<br />
So will er ermitteln, ob die Wegweiser<br />
mit öffentlichen Geldern bezuschußt<br />
wurden, denn nur dann kann<br />
die Justiz aktiv werden. Im Auftrag<br />
von Rispoli haben die Carabinieri<br />
angeblich alle rund 36.000 von den<br />
Tourismusvereinen und dem AVS<br />
aufgestellten Holztafeln kontrolliert<br />
und festgestellt, daß die Mehrheit<br />
einsprachig deutsch ist. Daß es auch<br />
vom italienischen Alpenverein (CAI)<br />
aufgestellte Schilder gibt, die einsprachig<br />
italienisch sind, interessiert<br />
den Staatsanwalt nicht.<br />
Rein deutsche Beschilderungen auf<br />
Holztafeln sind auch Rom ein Dorn<br />
im Auge. Auf Betreiben der italienischen<br />
Nationalisten aus Südtirol (vor<br />
allem Michaela Biancofiore aus dem<br />
Berlusconi-Lager) schaltete sich der<br />
aus Apulien stammende italienische<br />
Regionenminister Raffaele Fitto ein.<br />
Die italienische Regierung stellte<br />
der Südtiroler Landesregierung unter<br />
Landeshauptmann Luis Durnwalder<br />
ein Ultimatum. Die rein einsprachigen<br />
Schilder sollten innerhalb von<br />
sechzig Tagen entfernt werden. „Wir<br />
leben in Italien, und es ist nicht hinzunehmen,<br />
daß es in der Provinz Bozen<br />
nur deutsche Wegweiser gibt“,<br />
sagte der Minister der Zeitung „Dolomiten“.<br />
Das sei ihm „wurscht“, erklärte<br />
Landeshauptmann Durnwalder zur<br />
Weisung aus Rom. Daß in der Autonomen<br />
Provinz Bozen-Südtirol Orte<br />
deutsch und italienisch bezeichnet<br />
sein müssen, steht im Sonderstatut<br />
von 1972. Und Schilder der Südtiroler<br />
Landesregierung sind durchaus<br />
zweisprachig. Dagegen sind nicht alle<br />
Schilder auf öffentlichem Grund auch<br />
amtlich. Durnwalder sagte, er könne<br />
keine Ortsnamen vorschreiben, denn<br />
das sei Zuständigkeit des Landtages.<br />
Außerdem sei keines der Schilder<br />
von der Landesverwaltung aufgestellt<br />
worden; folglich könne er keinesfalls<br />
zur Verantwortung gezogen werden.<br />
Regionenminister Fitto habe verlangt,<br />
keineswegs nur Begriffe wie „Hütte“<br />
und „Bach“ zu übersetzen, sondern<br />
alle Flurnamen – 300.000 insgesamt.<br />
Durnwalder hält es ferner für einen<br />
Unsinn, auch historische Namen zu<br />
übersetzen. Darüber, sagt Fitto, solle<br />
aber eine Kommission entscheiden.<br />
Die italienischen, amtlichen Namen,<br />
alles Phantasiegebilde aus der Feder<br />
des italienischen Nationalisten Ettore<br />
Tolomei, gibt es aus der unmittelbaren<br />
Zeit nach dem Ersten Weltkrieg,<br />
nachdem der südliche Teil Tirols<br />
von Österreich an Italien gefallen<br />
war. Gesetzliche und alleinige Anerkennung<br />
fanden sie 1923 und 1940.<br />
Durnwalder erklärte, man könne von<br />
ihm keinesfalls erwarten, daß er die<br />
unter dem Faschismus aufgezwungenen<br />
Namen genehmige.<br />
Am 22. September dieses Jahres unterzeichneten<br />
Durnwalder und Fitto<br />
ein Kompromißabkommen. Es sieht<br />
vor, daß die Namen von Gemeinden<br />
Anstöße<br />
Die Muttersprache<br />
legt den Grundstein<br />
Köthener Sprachtag über zweisprachige Erziehung<br />
Von Lienhard Hinz<br />
V<br />
oraussetzungen und Möglichkeiten<br />
zweisprachiger Erziehung er-<br />
örterte der 4. Köthener Sprachtag. Der<br />
Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft<br />
(NFG) gelang am 21. August dieses<br />
Jahres im voll besetzten Anna-Magdalena-Bach-Saal<br />
des Schlosses Köthen<br />
ein fruchtbringender Streit um das bewußte<br />
zweisprachige Aufwachsen von<br />
Kindern. Schirmherr war der Präsident<br />
des sachsen-anhaltischen Landtags,<br />
Dieter Steinecke. Im Halbstundentakt<br />
folgten Vorträge und Diskussionen<br />
über bilinguale Erziehung durch die<br />
Eltern und im Kindergarten sowie den<br />
sogenannten Immersionsunterricht in<br />
der Grundschule. Darunter versteht<br />
man das Eintauchenlassen von Kindern<br />
in eine für sie neue Sprachumgebung.<br />
Die Vorsitzende des Sorbischen Schulvereins,<br />
Ludmilla Budar, legte mit<br />
Bild und Ton eindrucksvolle und international<br />
beachtete Untersuchungsergebnisse<br />
zur Zweisprachigkeit in den<br />
Kindergärten der sorbischen Lausitz<br />
vor. Den erstaunten Zuhörern begründete<br />
sie die zweisprachigen Fortschrit-<br />
Was bedeutet<br />
Wertigkeit?<br />
Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher<br />
Sicht (4)<br />
Von Günter Körner<br />
D<br />
ie in Gehältern ausgedrückte Wertigkeit von Arbeit<br />
entspricht selten dem Anspruch auf Nachhaltigkeit“<br />
(Spiegel Online, 22. September 2010). Warum ist hier das<br />
Wort „Wertigkeit“ falsch? Der Quantitätsbegriff Wertigkeit<br />
bedeutet immer eine ganze Zahl: 1. In der Chemie zählt man<br />
Valenzelektronen oder Oxidationsstufen eines Reagens. – 2.<br />
Mit Hilfe des Referenzwertes für Vollei wird die biologische<br />
Wertigkeit eines Lebensmittels danach eingestuft, in welchem<br />
Verhältnis dessen Eiweiß zu körpereigenem Protein<br />
wird. – 3. Im linguistischen Sinn wird die Wertigkeit eines<br />
Verbs festgestellt hinsichtlich Anzahl und Art von Ergänzungen,<br />
die für eine sinnvolle Satzbildung erforderlich sind. – 4.<br />
Die Anzahl der möglichen Zustände eines Informationsträgers<br />
der Datentechnologie heißt Wertigkeit. – 5. Römische<br />
Zahlenzeichen besitzen Wertigkeiten, gemessen an ihrem<br />
Vermögen, benachbarte Zeichen zu modifizieren.<br />
Andere Verwendungen des Begriffs Wertigkeit muten zweifelhaft<br />
an, denn meistens ist der abstrakte Begriff Wert in<br />
qualitativer Bedeutung gemeint. Diejenigen, welche damit<br />
umgehen, mögen dann bitteschön auch die zugehörigen<br />
Vergleichsmaße beschreiben. Eine beispielhafte Betrachtung<br />
stammt von Lothar Kreiser, Mitglied der Sprachwissenschaftlichen<br />
Kommission in der Sächsischen Akademie<br />
der Wissenschaften zu Leipzig, im Rahmen einer thematischen<br />
Klassensitzung: „Wert – Versuch einer Begriffsbestimmung“.<br />
www.saw-leipzig.de/forschung/kommissionen/sprachwissenschaft/kreiser_1<br />
Anzeigen<br />
und Ortschaften und die allgemeinen<br />
Begriffe wie „See“, „Hütte“ oder<br />
„Berg“ mehrsprachig sein sollen.<br />
Historische Namen, zum Beispiel<br />
Gewässer- und Flurnamen, bleiben<br />
einsprachig. Die freiheitliche Opposition<br />
im Bozner Landtag beanstandet,<br />
daß damit auch die erfundenen<br />
italienischen Ortsnamen anerkannt<br />
würden. Das „faschistische Kulturverbrechen“<br />
würde auf diese Weise<br />
legalisiert. Parteiobmann Pius Leitner<br />
wirft Durnwalder einen „Kniefall<br />
vor Rom“vor.<br />
Bemerkenswert ist, daß im Fassatal<br />
in der Nachbarprovinz Trient letzthin<br />
sämtliche italienischen Wegweiser<br />
durch ladinischsprachige ersetzt<br />
wurden, ohne daß sich jemand aufregte.<br />
Im ebenfalls autonomen Aostatal,<br />
wo die Faschisten ebenfalls alle<br />
Ortsnamen übersetzt und italienische<br />
Ortsnamen aufgezwungen hatten, ist<br />
man schon bald nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg wieder zu den historischen<br />
französischen Namen zurückgekehrt.<br />
Lediglich der Hauptort Aoste trägt<br />
auch den italienischen Namen Aosta.<br />
Auch die erklärenden Beiwörter auf<br />
den Wegweisern wie beispielsweise<br />
Alm, Steig, Seilbahn und so weiter<br />
sind im Regelfall französisch.<br />
te mit der engen Zusammenarbeit von<br />
Kindergärten und Eltern. Dr. Georg<br />
Brankatschk von der Universität Heidelberg<br />
stellte Erkenntnisse aus der<br />
Hirnforschung vor. Eltern und Erzieher<br />
konnten hier für den praktischen<br />
Umgang mit Kleinkindern wertvolle<br />
Anregungen mitnehmen. So nimmt<br />
ein Kind schon drei Monate vor der<br />
Geburt Sprache wahr.<br />
Vor allen Dingen auf die Eltern kommt<br />
es bei der zweisprachigen Erziehung<br />
an, erklärte Prof. Dr. Hermann Dieter<br />
vom Vorstand des Arbeitskreises<br />
Deutsch als Wissenschaftssprache. In<br />
seinem persönlichen Erfahrungsbericht<br />
schilderte er, wie das Französisch<br />
der Mutter und das Deutsch des Vaters<br />
bei den Kindern bewußt und selbstverständlich<br />
von Geburt an entwickelt<br />
wurden. Er unterstrich die Notwendigkeit<br />
der Gleichwertigkeit beider<br />
Sprachen für eine erfolgreiche zweisprachige<br />
Erziehung. Dieter regte an,<br />
eine Handreichung für zweisprachig<br />
erziehende Eltern auszuarbeiten.<br />
Dieser Ausgabe liegen Prospekte<br />
des Atlas Verlages, Weil am<br />
Rhein, (nur Deutschland) und<br />
des Verlages Junge Freiheit,<br />
Berlin, bei. Wir bitten um freundliche<br />
Beachtung. Vielen Dank.<br />
Die Englischlehrerin Birgit Richter von<br />
der privaten Bilingualen Grundschule<br />
„Altmark“ warb mit Eifer und ihren<br />
langjährigen Erfahrungen in Michigan/<br />
USA für den Immersionsunterricht.<br />
In der Diskussion wurden allerdings<br />
zahlreiche bilinguale Angebote als<br />
„Mogelpackung“ erkannt. Denn wenn<br />
Sachfachangebote ausschließlich in<br />
der Fremdsprache unterrichtet werden,<br />
erlernen Kinder für diese Gebiete die<br />
Fachbegriffe in ihrer Muttersprache<br />
nicht. Die Sprachheilpädagogin und<br />
Autorin Margund Hinz verwies in ihrem<br />
Vortrag „Die preußischen Kleinkinderschulen“<br />
auf die frühkindliche<br />
Sprachförderung vor 200 Jahren.<br />
Die Vorträge und Diskussionen an diesem<br />
Sprachtag sind nach Ansicht der<br />
NFG-Vorsitzenden Uta Seewald-Heeg<br />
ein Zeichen, Sprachförderung in Kindergärten<br />
durchzusetzen. Dabei müsse<br />
der Schwerpunkt auf der Förderung<br />
der deutschen Sprache liegen, um einen<br />
Grundstein auch für das spätere<br />
Erlernen von Fremdsprachen zu legen.<br />
Noch mehr<br />
Quantensprünge<br />
Ergänzung zu Körners Sprachkritik<br />
(3) in DSW 40<br />
Von Dagmar Schmauks<br />
G<br />
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ünter Körner hat in der vergangenen Ausgabe („Vom<br />
Quantensprung zum Tantensprung“, DSW 40, Seite 11)<br />
klargestellt, daß ein „Quantensprung“ wirklich nicht medaillenverdächtig<br />
ist. Ja, deutsche Komposita haben nun einmal<br />
ihre Tücken. Wie ähnlich klingen etwa „Schweineschnitzel“<br />
und „Kinderschnitzel“! Da bürgern sich leicht Wendungen<br />
ein, die sachlich falsch oder mißverständlich sind. Man denke<br />
an das hoffnungsfrohe „Nullwachstum“ und die an einen<br />
Kippschalter erinnernde „Schwangerschaftsunterbrechung“.<br />
Gern gelobt werden „ellenlange Beine“, obwohl die klassische<br />
Elle der Länge des Unterarms entspricht und nur rund<br />
50 Zentimeter beträgt, so daß die Beinbesitzerin nicht gerade<br />
Model-Maße hätte. Weitere schräge Ausdrücke beruhen<br />
darauf, daß wir sehr naturfern leben. Wer etwa von „Waldesstille“<br />
spricht, sollte beim nächsten Spaziergang einmal<br />
seine Ohren spitzen! Noch verfehlter ist der Ausdruck „Totholz“,<br />
der nicht den „Lebensraum Totholz“ (!) sieht, sondern<br />
nur den forstwirtschaftlichen – na ja – „Nullnutzen“.<br />
Sehr tiefsinniger Blödsinn begegnet jedem Rechnerbenutzer,<br />
der immer wieder einmal den „Ruhezustand aktivieren“<br />
muß – eigentlich auch ein nettes Synonym für „einschlafen“!<br />
Eher unheimlich klingt dem gegenüber eine „Seniorenpräventionswoche“,<br />
die im November 2009 in Berlin-<br />
Charlottenburg veranstaltet wurde – wollte man wohl der<br />
überalterten Gesellschaft rechtzeitig entgegensteuern? Und<br />
schließlich gibt es noch die bedauernswerten Autofahrer, die<br />
immer wieder „im Stau STEHEN“ und nie zugeben würden,<br />
daß sie ganz einfach ein Teil dieses Staus SIND.<br />
Seite 11<br />
Bericht aus<br />
Berlin<br />
Von Lienhard Hinz<br />
„Solang noch<br />
Untern Linden /<br />
die alten Bäume<br />
blühen / kann<br />
nichts uns überwinden.<br />
/ Berlin<br />
bleibt doch Berlin.<br />
/ Wenn keiner<br />
treu dir bliebe,<br />
/ ich bleib dir<br />
ewig grün. / Du<br />
meine alte Liebe!<br />
/ Berlin bleibt doch Berlin.“<br />
Getreu der Berlin-Hymne gibt es seit<br />
nunmehr einem Jahr eine Berlin-Werbung<br />
in deutscher Sprache, die auf<br />
die Unverwechselbarkeit der Hauptstadt<br />
hinweist. Deutschlandweit sind<br />
Ansichten von Berlin unter dem Titel<br />
„Von Berlin hat man mehr“ zu sehen.<br />
„Die einzige Weltstadt, die nicht die<br />
Welt kostet“, will sagen, daß die Lebenshaltungskosten<br />
im Vergleich zu<br />
anderen Hauptstädten günstig sind.<br />
„Die freundlichsten Preise hat Berlin<br />
schon. Am Rest arbeiten wir noch.“<br />
Zu diesem Rest zählen die barschen<br />
Taxifahrer. „So günstige Hotelzimmer<br />
und trotzdem geht keiner schlafen.“<br />
Das spielt auf das Berliner Nachtleben<br />
an. Ebenso: „Berlin hat viel durchgemacht.<br />
Jedes Wochenende.“ Und:<br />
„Woanders explodieren die Preise.<br />
In Berlin explodiert die Stimmung.“<br />
Nicht nur auf Feste und Feiern wird<br />
aufmerksam gemacht, sondern auch<br />
auf das kulturelle Angebot: „Berlin ist<br />
die reichste Stadt der Welt. Zumindest<br />
an Opern.“ Mit dem Gepäckband eines<br />
Flughafens wirbt die „Berlin Tourismus<br />
Marketing GmbH“ für Flugreisen<br />
in die Hauptstadt: „Wer noch keinen<br />
Koffer in Berlin hat, kann jetzt günstig<br />
einen hinbringen.“<br />
„Ich hab noch einen Koffer in Berlin<br />
/ Deswegen muß ich nächstens wieder<br />
hin.“<br />
Allen Fluggästen des künftigen<br />
Hauptstadtflughafens teilte der Senat<br />
von Berlin unlängst mit: „Das Wegeleitsystem<br />
im Außenbereich und<br />
im Fluggastterminal des Flughafens<br />
Berlin-Brandenburg International<br />
wird zweisprachig realisiert. Es wird<br />
in Deutsch und in Englisch verfaßt<br />
sowie um Piktogramme der Inhalte<br />
der Hinweise ergänzt. Dabei wird generell<br />
in der ersten Zeile die deutsche<br />
und in der zweiten Zeile die englische<br />
Bezeichnung mit schmalerer Schriftgestaltung<br />
abgebildet. Damit ist ein<br />
schnelles Erfassen möglich.“ Darüber<br />
steht die deutsche Bezeichnung und<br />
drunter mit kleineren Buchstaben die<br />
englische. So kann ein Drunter und<br />
Drüber vermieden werden. Aus der<br />
Revue der 20er Jahre „Drunter und<br />
Drüber“ stammt das flotte, eingangs<br />
angestimmte und zur Hymne gewordene<br />
Berliner Lied „Solang noch Untern<br />
Linden“.
Seite 12 Bunte Seite<br />
Binde-Strichitis als Seuche<br />
Wenn die Sprache auf den Strich geschickt wird<br />
Von Klemens Weilandt<br />
W<br />
as hat der Strich mit der<br />
Sprache zu tun? Auf den er-<br />
sten Blick wenig. Schaut man aber<br />
etwas genauer hin, dann erkennt<br />
man: viel! Das Wort „Strich“ bildet<br />
den Kern sehr schöner, beliebter und<br />
ausdrucksstarker Metaphern: „Einen<br />
Strich ziehen“,<br />
„einen Strich<br />
durch die<br />
Rechnung machen“,<br />
„unter<br />
dem Strich“,<br />
„nach Strich<br />
und Faden“<br />
sind uns genauso<br />
vertraut wie<br />
„strichweise“<br />
oder „Strichregen“<br />
und auch,<br />
w e n n g l e i c h<br />
wenig empfehlenswert,<br />
„auf<br />
den Strich gehen“.<br />
Nicht so<br />
geläufig, aber<br />
dennoch sehr<br />
e i n p r ä g s a m ,<br />
sind Ausdrücke<br />
wie „das geht<br />
(mir) wider den<br />
Strich“ oder „wider den Strich bürsten“.<br />
In der Sprache der Jäger gibt<br />
es neben den „Strichvögeln“ den sehr<br />
geschätzten „Schnepfenstrich“. Und<br />
im Schatzkästlein der Sprichwörter<br />
finden wir „Die stärksten Striche sind<br />
nicht gerade die schönste Musik“.<br />
Diese sprichwörtliche Weisheit läßt<br />
sich neuerdings unmittelbar auf ein<br />
Merkmal unserer Gegenwartssprache<br />
beziehen, das man in Anlehnung<br />
an die „Apostrophitis“ die „Bindestrichitis“<br />
(oder vielleicht doch<br />
„Binde-Strichitis“?) nennen darf. Sie<br />
ist zu einer Seuche geworden. Ihr infektiöser<br />
Charakter läßt sie Bereiche<br />
unserer Sprache in einer Weise zersetzen,<br />
die vor einigen Jahren nicht<br />
einmal erahnt werden konnte. Der<br />
Bindestrich taucht plötzlich allüberall<br />
auf, jedoch in besonderer Aufdringlichkeit<br />
in der Werbung.<br />
Sprachwissenschaftler werden da<br />
hoffentlich bald ein neues Betätigungsfeld<br />
beackern und den Ursachen<br />
auf den (vermeintlichen) Grund<br />
gehen. Ob sie auf die wohl nächstliegende<br />
Ursache dieser verderblichen<br />
-itis, der Bindestrichitis, von allein<br />
kommen werden? Da regen sich<br />
Zweifel, nicht zuletzt deshalb, weil<br />
gerade Linguisten bei der sogenannten<br />
Rechtschreibreform einige der<br />
unheilvollen Räder gedreht haben.<br />
Und genau diese Rechtschreibreform<br />
darf man als nicht mehr versiegende<br />
Energiequelle der Bindestrichorgie<br />
vermuten:<br />
„Zusammenschreibung oder Getrenntschreibung,<br />
was soll’s, der Bindestrich<br />
hilft aus der Klemme. Nur<br />
nicht zögern, einfach einsetzen, wird<br />
schon hinhauen irgendwie, Logik hin,<br />
Logik her. Seit wann soll, bitte sehr,<br />
die Sprache denn noch einer Logik<br />
unterworfen<br />
sein, die sich<br />
in Normen<br />
manifestieren<br />
könnte?<br />
Davon haben<br />
wir uns doch<br />
längst emanzipiert,<br />
seitdem<br />
Emanzipation<br />
von allem und<br />
jedem zum<br />
Grundrecht,<br />
wenn nicht<br />
gar zum Gebotschlechthin<br />
ausgerufen<br />
worden ist.<br />
Also: Auf den<br />
Strich gehen!<br />
Was unter dem<br />
Strich herauskommt,<br />
ist<br />
doch völlig<br />
belanglos, auch wenn manchem ein<br />
Strich durch die Rechnung seines<br />
überlieferten und deshalb, jawohl,<br />
über Bord zu werfenden Sprachverständnisses<br />
gemacht wird. Soll er<br />
doch raten, was gemeint ist. So viel<br />
Phantasie darf man doch zumuten,<br />
oder nicht?“<br />
Sind das Eierband-Nudeln oder Eier-<br />
Bandnudeln, Frau Künast? Bild: obs/CMA<br />
So oder so ähnlich wird man gedacht<br />
oder wohl eher geschwafelt haben,<br />
als man sich, für ein Erzeugnis einen<br />
Werbetext ausheckend, zu folgender<br />
Bereicherung der Bindestrichkultur<br />
entschloß:<br />
• „Eierband-Nudeln“<br />
Werbetext der Firma Jawoll,<br />
24. November 2008<br />
Es ging, keine Frage, um Nudeln.<br />
Aber es drängte sich die Frage auf,<br />
um welche Art von Nudeln es sich da<br />
handelte. Welche Form hatten sie?<br />
Welcher Funktion sollten sie dienen?<br />
Was hatte es mit dem Eierband auf<br />
sich? Konnten und sollten die Nudeln<br />
als Eierband eingesetzt werden?<br />
War eine neue Möglichkeit der Verpackung<br />
oder gar des Transports von<br />
Eiern entwickelt worden? Der nicht<br />
einschlägig bewanderte, einfache Eierkäufer<br />
ist da sehr schnell am Ende<br />
seines Lateins.<br />
Als hilfreich erweist sich dann das<br />
zunächst abstrakte Gespräch mit einem<br />
Mediziner über Krankheitsvorgeschichte,<br />
Diagnose und Therapie.<br />
Legt man ihm bei dieser Gelegenheit<br />
Von Dagmar Schmauks<br />
DSW-Silbenrätsel<br />
1. Dusche für rote Beeren – 2. jemand, der Schmetterlingslarven herumträgt<br />
– 3. nicht seetaugliches Nagetier – 4. Schublade in einem Sitzmöbel – 5. einen<br />
Reim in Blumenerde pflanzen – 6. Gottesdienst für kleine Schiffe – 7. hilfsbedürftiger<br />
Gatte des Huhns – 8. wo militärische Ledergürtel grasen – 9. Barbies<br />
Freund aus dem südamerikanischen Hochgebirge – 10. sofort bezahlter<br />
nordischer Hirsch – 11. jemand, der die Ohren am Haupt hat – 12. Leute,<br />
denen die wichtigste Flüssigkeit fehlt – 13. kleiner Blutsauger in ländlichem<br />
Stoff – 14. aggressives kleines Nichts – 15. wenn eine Maueröffnung einer<br />
anderen schreibt – 16. Nachtlokal, wo man Speisen probiert – 17. Keime der<br />
warmen Jahreszeit – 18. Lob für etwas, das nicht voll ist – 19. Wegabschnitt<br />
den zitierten Werbetext vor, stutzt<br />
er wie selbstverständlich, um dann<br />
aber mit einem erhellenden Beitrag<br />
aufzuwarten: Im Sprachgebrauch<br />
der Mediziner gebe es tatsächlich<br />
das „Eierband“. Bei entsprechender<br />
Heilanzeige werde es zu therapeutischen<br />
Zwecken eingesetzt.<br />
Der Laie fragt zwangsläufig naiv,<br />
wie es sein kann, ob sich denn Nudeln,<br />
wenn erhitzt, angesichts ihrer<br />
dann grundsätzlich sehr hohen<br />
Dehnbarkeit für die Verwendung als<br />
Eierbänder anböten. Er fragt auch,<br />
ganz mitdenkend, ob sich der Teigwarenindustrie<br />
da neue Wege der<br />
Angebotserweiterung eröffneten?<br />
Ob man nicht an eine gewinnträchtige<br />
Zusammenarbeit von Medizin<br />
und Nudelherstellern denken wolle?<br />
Solchen Fragen folgt die Ent-Täuschung<br />
(!) auf dem Fuße. Nachdem<br />
man sich nämlich mit dem Werbetext<br />
angesichts seiner Komplexität etwas<br />
eingehender beschäftigt und den Bindestrich<br />
an eine andere Stelle gesetzt<br />
hat, folgt die erlösende Erkenntnis<br />
wie von selbst: Es waren ganz alltägliche<br />
„Eier-Bandnudeln“ angepriesen<br />
worden, selbstverständlich als besonders<br />
preiswert. Ein hoher Preis war ja<br />
auf ganz andere Weise zu entrichten!<br />
Also: Es ging um Bandnudeln. Aber<br />
nicht um ganz einfache. Sie hatten<br />
schließlich ihren Wert. Ihrem Teig waren<br />
Eier zugeführt worden. Sie stellten<br />
sozusagen das Attribut der Bandnudeln<br />
dar, das sie preiswürdig (oder<br />
preis-würdig?) machte. Attribute aber<br />
sind immer auch eine sprachliche<br />
Herausforderung. Ihr mit dem Wort<br />
„Eierbandnudeln“ zu entsprechen, das<br />
ist schon außerhalb der Vorstellungskraft<br />
der Bindestrichsüchtigen.<br />
Süchtigen wird auch medizinische<br />
Therapie angeboten. Mancher „-itis“<br />
ist bereits erfolgreich der Kampf angesagt<br />
worden. In unserem Falle aber<br />
sollte man nicht auf die Medizin setzen.<br />
Mit der „Bindestrichitis“ hat sie,<br />
wie wir alle, nicht nur diagnostische<br />
Probleme. Sie hat auch keine Therapie<br />
zur Hand. Das gibt der Seuche<br />
weitere Spielräume. Grenzen sind<br />
vorerst nicht auszumachen. Schließlich<br />
können wir unseren Wortschatz<br />
nicht vollständig auf einsilbige Wörter<br />
reduzieren. Wo aber zwei oder<br />
mehr Silben vorkommen, kann der<br />
Bindestrich sein Unwesen treiben:<br />
• „Die schönsten Weihnachts-Hits“<br />
Programmankündigung des ZDF<br />
für den 26. November 2008<br />
Einst hätte man „Weihnachtslieder“<br />
angepriesen, ganz harmlos. Diese<br />
Schreibweise war vertraut. Da man<br />
jedoch inzwischen in der Werbung<br />
deutsche Wörter verachtet, greift<br />
man in die Schundtruhe des Denglischen<br />
und handelt sich ein Problem<br />
ein: Wie schreibt man das Wort nur?<br />
„Weihnachtshits“? Für Denglisch ist<br />
das zu deutsch. Also muß der Bindestrich<br />
her: „Weihnachts-Hits“! Wenn<br />
es nicht so abgrundtief traurig wäre,<br />
könnte man stundenlang lachen. Die<br />
Kombination von Denglisch und<br />
Bindestrichitis, sie bringt unsere<br />
Sprache voran.<br />
Wie abgrundtief altväterlich verhält<br />
sich doch die Stadt Wolfsburg. Sie<br />
wirbt mit Schildern für eine, wie sie<br />
meint, besondere Attraktion. Auf ihnen<br />
steht, wer es nicht glaubt, möge<br />
auf der Bundesstraße 188 durch<br />
Wolfsburg fahren, „Bade Land“. Das<br />
ist der reine Protest der „Wellness“-<br />
Kultur gegen Bindestrichitis als einer<br />
Unkultur. So viel Kultur war nie!<br />
Aber die Lösung des Problems ist<br />
das wohl auch nicht. Jedenfalls nicht<br />
unter dem Strich!<br />
Klemens Weilandt war Schulabteilungsleiter<br />
der Bezirksregierung<br />
Hannover. Buchhinweis:<br />
Klemens Weilandt: Blütenlese. Die<br />
deutsche Sprache – (k)ein Grund<br />
zur Heiterkeit, Verlag Leuenhagen<br />
& Paris, Hannover 2008, gebunden,<br />
400 Seiten, 19,90 Euro.<br />
D<br />
eutschland schafft sich ab – wer<br />
hat sich nicht schon einmal an<br />
dieser Diskussion beteiligt,<br />
egal, ob nach dem Lesen des<br />
gleichnamigen Buches von<br />
Thilo Sarrazin oder ohne es<br />
je gelesen zu haben! Nun sei<br />
einmal dahingestellt, ob sich<br />
Deutschland wirklich abschafft,<br />
es kann aber kaum bestritten<br />
werden, daß die <strong>Deutsche</strong>n Schritt für<br />
Schritt ihre Sprache abschaffen. Denn<br />
das an dieser Stelle immer wieder behandelte<br />
irrsinnige Denglisch ist nicht<br />
das einzige Alarmzeichen. Im Jahr<br />
2003 klagte der Germanist Horst Dieter<br />
Schlosser von der Frankfurter Goethe-Universität,<br />
seine Studenten beherrschten<br />
weder die Rechtschreibung,<br />
noch verfügten sie über grammatische<br />
Grundkenntnisse! Er kündigte damals<br />
an, ein Buch mit dem Titel „Deutsch<br />
für Deutschlehrer“ zu schreiben. Auch<br />
beim diesjährigen Germanistentag im<br />
September in Freiburg wurde ¬– wieder<br />
einmal – die Verarmung unserer<br />
Sprache festgestellt.<br />
Die Muttersprache mit freudiger Hingabe<br />
zur Verfügung zu stellen, zeigt<br />
sich aber auch darin, daß sich noch<br />
zu wenig Widerstand regt. Dieter E.<br />
ohne Getränke – 20. letzte Stücke von Reimen – 21. deutsch-englische Anweisung<br />
„Keine Fliegenlarven!“ – 22. Stifte unter den Fußballschuhen von Jesus<br />
– 23. rastloser Ofen – 24. jemand, der Gartengeräte auf dem Schwarzmarkt<br />
handelt – 25. voyeuristische Schmetterlingslarve – 26. Süßspeise, auf die man<br />
bläst – 27. sehr gekonntes Herumrennen – 28. Dummkopf, der Wäsche plättet<br />
– 29. Ängste in getrocknetem Gras – 30. anregendes Getränk, das sich<br />
rhythmisch bewegt<br />
an – ar – bank – bar – bar – beer – ber – boots – brau – brief – bü – chen – chen<br />
– christ – de – den – den – den – durst – fach – fen – fen – filz – fla – gel – gut<br />
– hahn – he – herd – heu – him – hö – ke – ken – ken – kop – kopf – kost – ku<br />
– kunst – land – laus – leer – len – loch – ma – me – mer – mes – ner – no – not –<br />
pe – pel – pen – per – pu – ra – rat – rau – rau – re – ren – rer – ru – sche – schie<br />
– schlag – schlep – schrek – se – se – sen – sen – sen – ser – som – span – spros<br />
– ste – ster – stol – stop – strek – tanz – te – tee – un – ver – ver – was – wei<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />
Port Authority<br />
Am Elbstrand ging ich ahnungslos,<br />
doch jäh war mein Erstaunen<br />
groß,<br />
am Schild stand „Port Authority“,<br />
und ich bekam fast weiche Knie.<br />
Bis dahin hatte ich gedacht,<br />
die englische Besatzungsmacht<br />
hätt’ längst verlassen unser Land,<br />
jetzt wußt’ ich, daß sie hier noch<br />
stand.<br />
Statt deutscher Souveränität<br />
galt hier ein britisches Dekret,<br />
und das bestimmte klipp und klar,<br />
daß Baden hier verboten war.<br />
Dahinter steckte, wie mir schien,<br />
wohl gar Her Majesty the Queen,<br />
doch wer beriet sie so genau?<br />
Der alte „Strom- und Hafenbau“?<br />
Georg Winter<br />
Anmerkung der Schriftleitung:<br />
Die Hamburger Hafenbehörde<br />
heißt „Hamburg Port Authority“<br />
und veröffentlicht Studien auf<br />
englisch, zum Beispiel „Benchmark<br />
of Environmental Emission<br />
for Railway“. Aufsichtsbehörde<br />
ist die Freie und Hansestadt<br />
Hamburg, Behörde für Wirtschaft<br />
und Arbeit, Alter Steinweg 4/Wexstraße<br />
7, D-20459 Hamburg, Telefon<br />
+49(0)40-428<strong>41</strong>-0, Telefax<br />
+49(0)40-428<strong>41</strong>-1620,<br />
poststelle@bwa.hamburg.de.<br />
Deutschland schafft<br />
seine Sprache ab<br />
Zimmer befand 1998 in seinem Buch<br />
„Deutsch und anders“: Der Wille,<br />
Deutsch zu erhalten, „ist nicht<br />
vorhanden und würde, wenn<br />
er sich irgendwo regen sollte,<br />
sofort als Deutschtümelei ausgepfiffen.“<br />
Stimmt, davon können<br />
viele <strong>Deutsche</strong> ein Lied<br />
singen! Wenn sie denn noch<br />
singen könnten, muß ich hinzufügen.<br />
Denn schon 2002 beklagten HNO-<br />
Ärzte, daß sich bei deutschen Kindern<br />
im Gegensatz zu anderen europäischen<br />
Kindern die Stimmbänder verkürzen.<br />
Der Grund: Es wird in Deutschland<br />
zu wenig gesungen! Doch das sollte<br />
für uns kein Grund sein, schweigend<br />
zuzulassen, wie sich Deutsch zu einer<br />
Teletubby-Sprache entwickelt. Denn:<br />
Schafft sich Deutschland nicht auch<br />
dadurch ab? fragt sich besorgt.<br />
Ihr Anglizismenmuffel<br />
Wolfgang Hildebrandt<br />
NEU! Wolfgang Hildebrandt, Mal ganz<br />
ehrlich – denglischst du noch oder<br />
sprechen Sie schon?, Band 2, ISBN<br />
978-3-929744-52-1, 6,00 Euro. Bestellungen:<br />
Wolfgang Hildebrandt, Am<br />
Steingrab 20a, D-27628 Lehnstedt,<br />
Telefon +49-(0)4746-1069, Telefax<br />
+49-(0)4746-931432,<br />
hillesimm@t-online.de<br />
Lösungen: 1. Himbeerbrause – 2. Raupenschlepper<br />
– 3. Landratte – 4. Bankfach<br />
– 5. verstopfen – 6. Bootsmesse – 7. Nothahn<br />
– 8. Koppelweide – 9. Andenken – 10.<br />
Barren – 11. Kopfhörer – 12. Wasserarme<br />
– 13. Filzlaus – 14. Schlagloch – 15. Fensterbrief<br />
– 16. kostbar – 17. Sommersprossen<br />
– 18. Leergut – 19. Durststrecke – 20.<br />
versenden – 21. Nomaden – 22. Christstollen<br />
– 23. Unruheherd – 24. Rechenschieber<br />
– 25. Spannerraupe – 26. Pustekuchen<br />
– 27. Kunstrasen – 28. Bügelflasche – 29.<br />
Heuschrecken – 30. Tanztee<br />
Prof. Dr. Dagmar Schmauks ist in der Arbeitsstelle<br />
für Semiotik an der Technischen Universität<br />
Berlin tätig. Semiotik ist die Wissenschaft<br />
von den Zeichen.