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PDF 41 - Deutsche Sprachwelt

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AUSGABE <strong>41</strong><br />

Herbst 2010<br />

11. Jahrgang – 3<br />

ISSN1439-8834<br />

(Ausgabe für Deutschland)<br />

Kostenloser Aufkleber<br />

Bestellen Sie auf Seite 5!<br />

Bekenntnis<br />

Der saarländische Ministerpräsident<br />

Peter Müller begründet,<br />

warum die deutsche Sprache<br />

im Grundgesetz verankert werden<br />

muß.<br />

Seite 3<br />

Südtirol<br />

Andreas Raffeiner führt uns auf<br />

einen Streifzug durch Sprache<br />

und Geschichte eines begehrten<br />

Landes.<br />

Seite 5<br />

Sprachrede<br />

Der Anglist Hans Joachim<br />

Meyer fragt in seiner Köthener<br />

Rede zur deutschen Sprache,<br />

ob uns die deutsche Sprache<br />

Kleid oder Haut ist.<br />

Seiten 6 und 7<br />

Entreformieren<br />

Jürgen Langhans stellt sein<br />

Hilfsprogramm vor, das reformierte<br />

Rechtschreibung wieder<br />

in die bewährte verwandelt.<br />

Seite 10<br />

Schon gespendet?<br />

M<br />

it Ihrer Spende sichern Sie nicht<br />

nur die Zusendung der DEUT-<br />

SCHEN SPRACHWELT, sondern auch<br />

Aktionen für die deutsche Sprache.<br />

Mit der Beteiligung am Aufbau eines<br />

Sprachpflegemittelpunkts in Köthen/<br />

Anhalt und der Entwicklung einer<br />

„Straße der deutschen Sprache“ sind<br />

unsere Aufgaben noch gewachsen.<br />

Können wir nach einer gewissen Zeit<br />

keine Spende verbuchen, senden<br />

wir die DSW nicht mehr zu, um Kosten<br />

zu sparen. Büchereien, Schulen<br />

oder Museen erhalten weiterhin die<br />

Zeitung. Falls Sie also schon lange<br />

nichts mehr gespendet haben sollten,<br />

holen Sie dies bitte möglichst bald<br />

nach, damit Sie nicht versehentlich<br />

aus dem Bezieherkreis ausscheiden.<br />

Falls sich Ihre Anschrift geändert hat<br />

oder Sie die Zeitung nicht mehr möchten,<br />

schreiben Sie am besten an:<br />

bestellung@deutsche-sprachwelt.de<br />

Vielen Dank!<br />

Ihr Verein für Sprachpflege<br />

Operation Rechtschreibung: streng geheim!<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

N<br />

ur wenige wissen es, denn keine<br />

Zeitung berichtete darüber: Im<br />

Jahr 2011 kommt die nächste Rechtschreibreform.<br />

Am 1. Oktober übergab<br />

der Rat für deutsche Rechtschreibung<br />

der Kultusministerkonferenz (KMK)<br />

seine Änderungsvorschläge. Das war<br />

den Kultusministern sogar die erste<br />

Pressemitteilung zur Rechtschreibung<br />

seit fast fünf Jahren wert. Doch<br />

die Presse blieb still. Die sogenannte<br />

„Vierte Gewalt“ übt keinen Druck aus,<br />

um mehr über die Inhalte der Nachbesserungen<br />

zu erfahren.<br />

Woran liegt das? Von der Öffentlichkeit<br />

weitgehend unbeachtet konnte<br />

der Rat die vierte Rechtschreibreform<br />

nach 1996, 2004 und 2006 vorbereiten.<br />

Die KMK hatte den Rat als<br />

„maßgebende Instanz in Fragen der<br />

deutschen Rechtschreibung“ eingesetzt.<br />

Alle fünf Jahre muß er einen<br />

Bericht vorlegen, der „Vorschläge zur<br />

Anpassung des Regelwerks“ enthält.<br />

So steht es in der Satzung. Alle fünf<br />

Jahre gibt es also die Möglichkeit,<br />

die weiterhin bestehenden Mängel<br />

zu beheben. Sollte sich an den politischen<br />

Rahmenbedingungen nichts<br />

ändern, wird es also erst 2016 wieder<br />

die Gelegenheit geben, die Reform<br />

nachzubessern. Um so wichtiger<br />

wäre es gewesen, das schreibende<br />

Volk in die Debatte einzubeziehen.<br />

Doch seit 2006 gehen KMK und<br />

Rechtschreibrat systematisch der Öffentlichkeit<br />

aus dem Weg. Die KMK<br />

verweist bei Fragen zur Rechtschreibung<br />

auf den Rat. Dieser verzichtet<br />

allerdings weitgehend auf Pressearbeit.<br />

Das hänge „mit der Langfristigkeit<br />

der Aufgabe zusammen, die<br />

der Rat wahrnimmt“, erklärt die Geschäftsführerin<br />

des Rechtschreibrats,<br />

Kerstin Güthert, der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT auf Nachfrage.<br />

Ohne die Beobachtung durch die Öffentlichkeit<br />

und ohne unangenehme<br />

Fragen läßt es sich wohl auch unbeschwerter<br />

arbeiten.<br />

Der Grund, warum der Rat die Öffentlichkeit<br />

scheut, liegt auf der<br />

Hand: Immer, wenn stärker über die<br />

Reform diskutiert wurde, wurden die<br />

Mängel offenbar, und es wuchs die<br />

Zahl der Gegner. Das belegen die<br />

Im Jahr 2011 wird die Reform wieder einmal reformiert – am Volk vorbei<br />

Erfolge aus der Arbeit der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />

Tag der deutschen Sprache:<br />

Zahlen des Instituts<br />

für Demoskopie<br />

in Allensbach,<br />

das seit<br />

1997 regelmäßig<br />

die Einstellung<br />

der <strong>Deutsche</strong>n<br />

zur Reform ermittelt.<br />

Von 2004<br />

bis 2005 stieg die<br />

Zahl der Reformgegner<br />

von 49<br />

auf 61 Prozent.<br />

In dieser Zeit<br />

war die Rechtschreibreform<br />

Tagesgespräch.<br />

So sah sich die<br />

KMK genötigt,<br />

die aufgebrachte<br />

Öffentlichkeit in dieser Zeit mit 17<br />

(!) Pressemitteilungen zu beruhigen.<br />

Nach der Reform von 2006 stellte<br />

die KMK die Öffentlichkeitsarbeit<br />

ein, während die Reform der Reform<br />

im stillen weiterging. Bis 2008 sank<br />

die Zahl der Gegner auf 55 Prozent,<br />

während die Zahl der Befürworter<br />

um ein Prozent auf neun Prozent<br />

stieg. Die Zahl der Gleichgültigen<br />

wuchs jedoch auf etwa ein Drittel.<br />

Sollte wieder öfter über die Rechtschreibreform<br />

gesprochen werden,<br />

dann ist folglich zu erwarten, daß<br />

wieder mehr Gleichgültige zu Gegnern<br />

werden.<br />

Opfer der Rechtschreibreform Bild: obs/Dideon GmbH<br />

Warum hakt aber die Presse nicht<br />

nach? Die meisten Tageszeitungen<br />

haben sich um die Meinungsumfragen<br />

nur wenig gekümmert. Hatte<br />

eine Zeitung auf Neuschreibung umgestellt,<br />

führte das gleichzeitig dazu,<br />

daß sie über dieses Thema nicht einmal<br />

mehr in Leserbriefen berichtete;<br />

– ein Umstand, der auch zur Gründung<br />

der DEUTSCHEN SPRACH-<br />

WELT Anfang 2000 beitrug. Wie<br />

eine Befreiung wirkte es dann, als<br />

von 2000 bis 2006 die „Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung“ (F.A.Z.) und<br />

von 2004 bis 2006 die Springer-<br />

Presse wieder zur traditionellen<br />

Rechtschreibung zurückkehrten. Inzwischen<br />

hat die Tagespresse auf die<br />

reformierte Reform umgestellt oder<br />

folgt einer eigenen Hausorthographie.<br />

Nach wie vor werden jedoch<br />

zahlreiche Zeitschriften und Bücher<br />

in traditioneller Rechtschreibung gedruckt.<br />

Dazu gehört zum Beispiel ein<br />

Drittel der Neuerscheinungen, die für<br />

den Preis der Leipziger Buchmesse<br />

2010 benannt waren.<br />

Einzig die DEUTSCHE SPRACH-<br />

WELT fragte den Rechtschreibrat<br />

nach den geplanten Änderungen.<br />

Güthert, die Geschäftsführerin, wich<br />

aus: „Über etwaige Änderungsvorschläge,<br />

die der Rat aus seiner Beobachtung<br />

zieht, wird wie in der Vergangenheit<br />

zu gegebener Zeit und in<br />

geeigneter Form berichtet.“ Daß die<br />

bundesdeutsche Öffentlichkeit die<br />

Sitzungen des Rechtschreibrats nicht<br />

wahrgenommen hat, hängt möglicherweise<br />

auch damit zusammen,<br />

daß diese häufig in anderen Staaten<br />

stattfanden: 2010 war man zum Beispiel<br />

in der Schweiz (Bern) und in<br />

Liechtenstein (Vaduz). Während von<br />

der Sitzung in Liechtenstein nur bekannt<br />

ist, daß Erbprinz Alois von und<br />

zu Liechtenstein die Rechtschreibräte<br />

zur Audienz ins Schloß Vaduz bitten<br />

ließ, brachte die Schweizer Sitzung<br />

unter der Leitung der Bundeskanzlerin<br />

Corina Casanova im April wenigstens<br />

etwas Licht ins Dunkel.<br />

Demnach ist für die Reform von<br />

2011 die „Streichung bestehender<br />

Varianten und die Zulassung neuer<br />

Varianten“ zu erwarten. Die 2006er-<br />

Reform hatte nämlich zahlreiche<br />

bewährte Schreibungen wieder zugelassen,<br />

allerdings daneben die refor-<br />

Auf die „Straße der deutschen Sprache“ neugierig gemacht<br />

Die „Straße der deutschen Sprache“,<br />

die bisher nur auf dem Papier besteht,<br />

wird immer bekannter. Zum „Tag der<br />

deutschen Sprache“ am 11. September<br />

rief die DEUTSCHE SPRACH-<br />

WELT Politiker und Bürger dazu<br />

auf, die Idee zu unterstützen. In ganz<br />

Deutschland berichteten Zeitungen<br />

über unseren Plan, mit einer solchen<br />

Ferienstraße Fremdenverkehr und<br />

Sprachpflege miteinander zu verknüpfen.<br />

Die „Süddeutsche Zeitung“<br />

überlegte sogar, wie es zu machen sei,<br />

daß die Straße kein Holzweg wird.<br />

Daß es richtig ist, den Kern der Straße<br />

in Mitteldeutschland zu bilden, zeigte<br />

der Tag der deutschen Sprache. In<br />

Sachsen-Anhalt fanden die zentralen<br />

Veranstaltungen statt. Sie standen unter<br />

der Schirmherrschaft des sachsenanhaltischen<br />

Ministerpräsidenten und<br />

der Kultusministerin. Am Vorabend<br />

ereignete sich im Goethe-Theater in<br />

Bad Lauchstädt das „Festspiel der<br />

deutschen Sprache“ unter der Leitung<br />

von Kammersängerin Edda<br />

Moser. Am nächsten Tag beging die<br />

Neue Fruchtbringende Gesellschaft<br />

im Spiegelsaal des Köthener Schlosses<br />

einen Festakt mit der alljährlichen<br />

„Rede zur deutschen Sprache“. In ersten<br />

Städten sind bereits Bürger und<br />

Politiker für die Idee der Ferienstraße<br />

gewonnen worden, zum Beispiel<br />

in Köthen, Schleiz, Gräfenhainichen<br />

und Bautzen. Auch aus anderen Städten<br />

Mitteldeutschlands kommt Zuspruch.<br />

Auf dem „Köthener Sprachtag“<br />

am 24. und 25. Juni 2011 werden<br />

Sprachfreunde und Vertreter verschiedener<br />

Städte über die Straße beraten.<br />

Siehe Seite 4.<br />

mierten Schreibweisen weiter gelten<br />

lassen. So gaben Duden und Wahrig<br />

unterschiedliche und willkürliche<br />

Empfehlungen und sorgten für weitere<br />

Verwirrung. 2011 soll außerdem<br />

eine Reihe erfundener Fremdwortschreibungen<br />

gestrichen werden. Als<br />

Beispiel nennt die Bundeskanzlei<br />

„Fassette“ (bewährt: „Facette“). Es<br />

ist anzunehmen, daß diesem weiteren<br />

Rückbau der Reform auch die „Spagetti“<br />

und der „Tunfisch“ zum Opfer<br />

fallen. Die Bundeskanzlei kündigt<br />

überdies an, daß weitere traditionelle<br />

Schreibungen wieder zugelassen<br />

werden: „Hier gilt es zu entscheiden,<br />

ob diese gebräuchlichen Schreibungen<br />

als Varianten zugelassen werden<br />

sollen oder nicht.“<br />

Der Retter der Rechtschreibreform,<br />

Rechtschreibrat Peter Eisenberg,<br />

machte im vergangenen Jahr in der<br />

F.A.Z. weitere Andeutungen. Er hat<br />

Teile des Regelwerks umgeschrieben,<br />

zum Beispiel bei der Großschreibung<br />

von Hauptwörtern. Eisenberg verfaßte<br />

einen Text, der seiner Ansicht nach<br />

„einige unhaltbare Fehlschreibungen<br />

ausschließt“. Außerdem schlägt er<br />

vor, den Rat von derzeit fast vierzig<br />

auf höchstens neun Mitglieder<br />

zu verkleinern, um das mangelhafte<br />

Regelwerk schneller weiterreparieren<br />

zu können. Daß es ihm glückt,<br />

die Nutznießer der Dauerreform aus<br />

dem Rat zu drängen, dürfen wir bezweifeln.<br />

Daß die Arbeit im Rat nicht rund<br />

läuft, zeigt die Geschichte über den<br />

vermeintlichen Rücktritt des Ratsvorsitzenden<br />

Hans Zehetmair. Im Juli<br />

2010 meldete der Münchner Merkur:<br />

„Zehetmair gibt Chefposten im<br />

Rechtschreibrat zum Jahresende ab“,<br />

und zitierte den Vorsitzenden mit den<br />

Worten: „Sechs Jahre Opfer reichen“.<br />

Der Merkur blieb gegenüber der<br />

DEUTSCHEN SPRACHWELT bei<br />

dieser Darstellung, während die Geschäftsführerin<br />

des Rechtschreibrats<br />

von einer „Fehlinformation“ sprach.<br />

Eine offizielle Richtigstellung gab<br />

es jedoch nicht. Beobachter aus dem<br />

Umfeld des Rechtschreibrats erklärten<br />

sich das damit, daß der Ratsvorsitzende<br />

von der KMK Zugeständnisse<br />

für eine bessere Ausstattung<br />

des Rats erreichen wollte. Zehetmair<br />

werde nach seiner Wiederwahl allerdings<br />

keine vollständige Amtsperiode<br />

mehr dem Rat vorsitzen, hieß es.<br />

Erst am 1. Oktober 2010 meldete die<br />

Kultusministerkonferenz dann unter<br />

der Überschrift „Rechtschreibung<br />

muß weiterentwickelt werden“, daß<br />

Zehetmair tatsächlich weitermacht.<br />

Welche Änderungen der Rechtschreibrat<br />

vorgeschlagen hat? Darüber ist<br />

nichts zu lesen. Wir werden es spätestens<br />

wissen, wenn Mitte 2011 die<br />

neuen Wörterbücher von Duden und<br />

Wahrig vorliegen. Doch dann ist es<br />

vorerst wieder einmal zu spät, um<br />

die Kritik der Öffentlichkeit noch<br />

zu berücksichtigen. Das mag gut für<br />

Politiker und Nutznießer der Reform<br />

sein, ist aber schlecht für die Sprachgemeinschaft,<br />

die eine eindeutige<br />

und funktionierende Rechtschreibung<br />

will.


Seite 2 Leserbriefe<br />

F<br />

E-Mail oder E-Post?<br />

Zum Leserbrief „E-Mail, nicht E-Post“ von Frank Wache<br />

in DSW 40, Seite 2, erreichten uns zahlreiche Zuschriften.<br />

rank Wache spricht mir aus der<br />

Seele! Bei aller Wichtigkeit der<br />

Bewahrung unserer Sprache sollte<br />

man aber doch die Kirche im Dorf<br />

lassen. Das Internet hat nun einmal<br />

die Welt erobert und Begriffe wie<br />

E-Mail, Download, Hardware, Software<br />

und so weiter haben sich eingebürgert<br />

und werden auch von allen<br />

Benützern verstanden. Oder sollte<br />

man den Internet-Explorer vielleicht<br />

„Weltnetz-Forscher“ nennen? Ich<br />

I<br />

Kirche im Dorf lassen<br />

kann mir nicht vorstellen, daß eine<br />

Übernahme solcher Wörter unserer<br />

deutschen Sprache schaden würde.<br />

Wir haben schließlich damals auch<br />

„Lavoir“, „Trottoir“ und so weiter<br />

überstanden. Diese beiden Wörter<br />

werden übrigens noch heute in Wien<br />

häufig verwendet! Aber wie heißt es<br />

doch? „Der größte Unterschied zwischen<br />

<strong>Deutsche</strong>n und Österreichern<br />

ist die gemeinsame Sprache.“<br />

Alfred Kämmerer, Wien<br />

E-Post in anderen Sprachen<br />

st das Wort „E-Mail“ auch in anderen<br />

Sprachen zwingend? Wohl<br />

kaum! Ohne angestrengtes Nachdenken<br />

nenne ich: Courrier electronique,<br />

correo electronico, posta elettronica,<br />

L<br />

correio eletronico, ינורטקלא דואר אלקטרוני ראוד<br />

(doar elektroni), posto elektronika<br />

und so weiter.<br />

Joachim R. Gröger, Schneverdingen<br />

Nordeuropa übersetzt „e-mail“<br />

ieber Herr Wache, Sie müssen<br />

sich nicht unbedingt Rat holen<br />

in Afrika. Schauen Sie einfach<br />

einmal ein wenig nach Norden. In<br />

Schweden, Norwegen und in Dänemark<br />

ist die Bezeichnung „epost“<br />

oder „e-post“ Standard, in Finnland<br />

ist „sähköposti“ das heimische Wort,<br />

W<br />

und bei den Isländern, die nun erklärtermaßen<br />

„Sprachpuristen“ sind und<br />

stets versuchen, Begriffe „von auswärts“<br />

in ihrer Sprache neu zu formen,<br />

heißt die E-Post „netfang“, und<br />

das Bureau/Büro nennen sie schlicht<br />

„skrifstofa“, also Schreibstube.<br />

Uwe Schärff, Hamburg<br />

Erfindungen können übersetzt werden<br />

enn man sich die Art und<br />

Weise ansieht, wie man im<br />

angelsächsischen Sprachraum mit<br />

Erfindungen aus Deutschland umgeht,<br />

so kommt man zu folgendem<br />

Ergebnis: Bei einigen Erfindungen<br />

deutscher Herkunft übernimmt man<br />

die deutsche Bezeichnung, zum Beispiel<br />

Diesel, Otto (Motor), Aspirin,<br />

Buna, Bunsen, Zeppelin und andere.<br />

Bei anderen geht man selbstherrlich<br />

über die deutsche Bezeichnung<br />

F<br />

rank Wache schreibt: „Kein<br />

Volksstamm in Afrika, sei er<br />

noch so auf Traditionen bedacht,<br />

also unter anderem auch auf die Bewahrung<br />

seiner Kultur und Sprache,<br />

würde auf die Idee kommen, das Wort<br />

‚E-Mail‘ in die Stammessprache zu<br />

übersetzen und dann auch noch als<br />

Kontakt anzugeben.“ „E-Mail“ soll<br />

weltweit die einzig richtige Schreibweise<br />

sein? Was laut Duden für die<br />

deutsche Sprache gilt, stimmt nicht für<br />

Afrikaans, eine der elf Amtssprachen<br />

in Südafrika. Die „E-Mail“ heißt dort<br />

ganz einfach „e-pos“ oder „vonkpos“.<br />

Diese Begriffe sind dort üblich und<br />

jeder Südafrikaner weiß, wovon man<br />

spricht. „E-pos“ ist die „elektroniese<br />

pos“, die elektronische Post. „Vonkpos“<br />

bedeutet im wörtlichen Sinne<br />

„Funkpost“. Und sagen Sie jetzt nicht:<br />

Ons noem dit e-pos!<br />

hinweg, zum Beispiel erscheint die<br />

Erfindung Röntgens als „X-ray“,<br />

von Guerickes Luftpumpe als „air<br />

bump“, die Litfaßsäule als „outdoor<br />

advertising pillar“, Leibniz’ Rechenmaschine<br />

als „calculating machine“<br />

und andere mehr. Wenn Briten und<br />

Amerikaner so wenig Respekt vor<br />

deutschen Erfindungen haben, so<br />

sollte man umgekehrt ruhig „E-Post“<br />

statt „E-Mail“ sagen dürfen.<br />

Hermann Schubart, Marburg<br />

„Die Buren sind doch gar kein afrikanischer<br />

Stamm!“ Selbst Jacob Zuma,<br />

der Präsident Südafrikas, stellte einst<br />

fest: „It is the only white tribe in a<br />

black continent or outside of Europe<br />

which is truly African, the Afrikaner.“<br />

(„Der einzige weiße Stamm auf einem<br />

schwarzen Kontinent oder außerhalb<br />

Europas, der wahrhaft afrikanisch ist,<br />

sind die Buren.“) Herr Wache schloß<br />

seinen Leserbrief mit dem Wunsch,<br />

man möge ihm und seinen Schülern<br />

doch Vorschläge für eine deutsche<br />

Bezeichnung für das Wort „Internet“<br />

zukommen lassen. Wie wäre es denn<br />

mit dem eingedeutschten „Internetz“?<br />

Es könnte aber auch sein, daß ihm<br />

„Weltnetz“ oder „Zwischennetz“<br />

mehr zusagen. Hou jou taal suiwer! –<br />

Halte deine Sprache rein!<br />

Ralf Merz, Berlin<br />

Anzeigen<br />

Weltweite Verständigung<br />

durch die internationale Sprache Ido<br />

Weltweite Verständigung durch eine Sprache, aber nicht zum Vorteil der<br />

englischsprachigen Länder, denn mit Englisch als Muttersprache hat<br />

dieser Teil der Welt erhebliche wirtschaftliche Vorteile gegenüber allen<br />

anderen Nationen.<br />

Mit der internationalen Sprache Ido, wesentlich leichter zu erlernen als<br />

Englisch, bestünde Chancengleichheit mit anderen Sprachgruppen.<br />

Unterstützen Sie Ido!<br />

Informationen gegen 90 Cent in Briefmarken.<br />

Kurzkursus 2,50 Euro<br />

Öffentliche Ido-Kurse in Berlin/Verd.di-Haus<br />

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oder:<br />

<strong>Deutsche</strong> Ido-Gesellschaft,<br />

D-37284 Waldkappel-Bu.<br />

alfred.neussner@ido.li<br />

Liebe Leser!<br />

Was hat Ihnen gefallen? Was hätten wir<br />

besser machen können? Worauf sollten<br />

wir stärker eingehen? Schreiben Sie uns,<br />

wir freuen uns auf Ihre Meinung! Auch<br />

wenn wir nicht jeden Brief beantworten<br />

und veröffentlichen können, so werten<br />

wir doch alle Zuschriften sorgfältig aus.<br />

Bei einer Veröffentlichung behält sich<br />

die Redaktion das Recht vor, sinnwah-<br />

rend zu kürzen. Auf diese Weise wollen<br />

wir möglichst viele Leser zu Wort kommen<br />

lassen. Schreiben Sie bitte an:<br />

DEUTSCHE SPRACHWELT<br />

Leserbriefe<br />

Postfach 1449, D-91004 Erlangen<br />

schriftleitung@deutsche-sprachwelt.de<br />

Z<br />

E<br />

H<br />

Danke!<br />

Für die zahlreichen Glückwünsche unserer Leser zum zehnjährigen Bestehen der<br />

DEUTSCHEN SPRACHWELT danken wir herzlich. Sie ermutigen uns sehr!<br />

Ihre Schriftleitung<br />

P<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

Immigranten sind<br />

keine Wanderer<br />

Zur öffentlichen Sprachregelung<br />

olitiker, Medien wie zum Beispiel<br />

die Rhein-Zeitung am 10.<br />

Juli dieses Jahres, und sogenannte<br />

staatliche „Beauftragte“ sprechen<br />

und schreiben fast immer von „Migranten“<br />

oder von „Migrationshintergrund“,<br />

wenn Menschen gemeint<br />

sind, die aus ihrem Land ausgewandert<br />

sind und hier als Einwanderer<br />

leben, und das nicht nur vorübergehend.<br />

Diese Auswanderer, aus unserer<br />

Sicht Einwanderer, sind – sprachlich<br />

korrekt – vielmehr Immigranten<br />

(lateinisch immigrare = einwandern,<br />

einziehen) also keine Migranten =<br />

Wanderer. Das Wort „Migrant“ steht<br />

noch nicht mal im Duden, und das<br />

will schon viel heißen, zumal die Du-<br />

Geiler Wortschatz<br />

Zum Beitrag „Alles klar auf der Andrea Doria?“<br />

von Wolfgang Hildebrandt in DSW 40, Seite 12<br />

ur Verleihung des Jacob-<br />

Grimm-Preises an Udo Lin-<br />

denberg muß ich leider feststellen,<br />

daß die Preisrichter den großen Wortschatz<br />

des Rockers nicht gewürdigt<br />

haben. Für diesen Fundus des Rokkers<br />

wenigstens ein Beispiel: Als er<br />

anläßlich der Festveranstaltung zum<br />

Bedauerliches Kauderwelsch<br />

Zum Sprachsünder „<strong>Deutsche</strong> Telekom“<br />

W<br />

ir haben unseren Festnetzanschluß<br />

bei der Telekom<br />

gekündigt. Daraufhin erhielt ich ein<br />

Bestätigungsschreiben. Es beginnt<br />

mit dem wunderbaren Satz: „Wir<br />

bedauern Ihren Auftrag das Angebot<br />

Zum Mitnehmen<br />

Zum Englisch-Wahn<br />

s ist manchmal unglaublich,<br />

aber durchaus auch belustigend,<br />

wie weit es <strong>Deutsche</strong> mit ihrem einfältigen<br />

Englisch-Tick treiben können.<br />

Vor einer Erfrischungsbude bei<br />

Alles ist „spannend“<br />

Zum öffentlichen Sprachgebrauch<br />

ier möchte ich auf ein Wort aufmerksam<br />

machen, das zur Verflachung<br />

der deutschen Sprache beiträgt.<br />

Bei Moderatoren in Hörfunk und<br />

Fernsehen werden Adjektive und Adverbien<br />

auf ein Wort reduziert: „spannend“!<br />

Alles ist nur noch „spannend“:<br />

ein spannender Platz, eine spannende<br />

Jörg Hellmann,<br />

Die Fäden ziehen<br />

Kriminalroman und Gesellschaftssatire<br />

Gebundene Erstausgabe,<br />

256 Seiten, 10 €,<br />

e-book, 246 Seiten, 8 €<br />

Michel schlägt zurück<br />

e-book 7 € (überarbeitete<br />

Fassung des Buches)<br />

Kleine Geschichten über<br />

Enkel und andere Lichtblicke<br />

des Lebens, 12 €<br />

Im Buchhandel,<br />

unter www.politik-satire.de<br />

oder Fax 05064 962261<br />

7000 antiquarische<br />

Bücher<br />

Liste für 1,45 € in Briefmarken<br />

A. Neussner<br />

D-37284 Waldkappel<br />

Jubiläum des Berliner Friedrichstadtpalastes<br />

in dessen Foyer kurz<br />

interviewt wurde, befand er, daß die<br />

Veranstaltung „geil“ sei und bemerkte<br />

gleich danach, daß sein früherer<br />

Auftritt in diesem Hause „auch geil“<br />

gewesen sei.<br />

Theodor Seidel, Berlin<br />

BusinessCall 501 zu kündigen.“ Ich<br />

rief die vermeintliche Urheberin an,<br />

die beteuerte, das sei nicht ihre Formulierung,<br />

sondern die ihr von oben<br />

vorgegebene.<br />

Konrad Honig, Münster<br />

Preetz in Schleswig-Holstein ist folgender<br />

Hinweis zu finden: „Coffee to<br />

go. Auch zum Mitnehmen.“<br />

Wow …!<br />

Detlef Schwenkler, Hamburg<br />

Gegend, eine spannende Veranstaltung,<br />

ein spannender Mensch, ein<br />

spannender Haarschnitt und so weiter.<br />

– Und kein anderes Adjektiv kommt<br />

mehr vor! Es ist eine Unsitte in der<br />

deutschen Presselandschaft, und keiner<br />

wundert sich darüber!<br />

Lothar Kädtler, Wesseling<br />

Kompetenz<br />

Verschwunden scheinen Fähigkeit<br />

und Urteilskraft dazu,<br />

im Plural auch die Fertigkeit,<br />

selbst Sachverstand hält Ruh’.<br />

Befugnis und Berechtigung<br />

sowie Geschäftsbereich<br />

und jemandes Befähigung<br />

vermißt man auch zugleich.<br />

Und was hat das zur Konsequenz?<br />

Wie kommt’s zu dem Verzicht?<br />

Jetzt sagt man ständig Kompetenz<br />

– und die fällt ins Gewicht!<br />

Ein jeder hat sie heut im Mund,<br />

doch keiner kennt genau<br />

für den Gebrauch den Hintergrund.<br />

Allein – sie klingt sehr schlau.<br />

Claus Ritterling, Leipzig<br />

denredaktion ihre vornehmliche Aufgabe<br />

darin sieht, Wörter zu zählen.<br />

Mit Migranten sind die Menschen gemeint,<br />

die wandern, also aus verschiedenen<br />

Gründen die Nationalgrenzen<br />

zeitweise überschreiten und wieder<br />

zurückkehren. Eine Begründung für<br />

das Wort „Migranten“ könnte sein,<br />

daß wir uns noch immer an den Gastarbeitern<br />

aus den sechziger Jahren<br />

sprachlich orientieren, von denen wir<br />

ja ursprünglich dachten, sie kehrten<br />

nach einer gewissen Zeit wieder zurück.<br />

Also plappern erst die Politiker<br />

und Medien, dann „das Volk“ – wie<br />

meist – jeden Unsinn nach, den ihnen<br />

die „Beauftragten“ vorplappern.<br />

Ingo Dedenbach, Bad Breisig<br />

Herbstlich<br />

Immer, wenn die Farben<br />

Erst leuchten und dann darben;<br />

Sich häufig Winde regen,<br />

Dann ist der Herbst zugegen.<br />

Günter B. Merkel, Wilhelmsfeld<br />

Einstieg in die dichterische Merkelwelt:<br />

Günter B. Merkel: Große Sprüche<br />

vom gnadenlosen Dichter, SWP-<br />

Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2007, 128<br />

Seiten, fester Einband, 9,50 Euro.<br />

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Gegründet im Jahr 2000<br />

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Namentlich gekennzeichnete Artikel geben<br />

nicht unbedingt die Meinung der<br />

Redaktion wieder. Das gilt besonders für<br />

Leserbriefe.<br />

Die 42. Ausgabe erscheint im Winter<br />

2010/11. Redaktions- und Anzeigenschluß<br />

sind am 15. November 2010.


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010 Hintergrund<br />

Seite 3<br />

B<br />

„Die Sprache ist wichtiger als<br />

Schwarz-Rot-Gold“<br />

Bundestagspräsident Lammert wirbt für die Verankerung<br />

von Deutsch im Grundgesetz<br />

undestagspräsident Norbert<br />

Lammert will Deutsch als<br />

Staatssprache in der Verfassung<br />

verankern. „Für die Kultur und das<br />

Selbstverständnis eines Landes gibt<br />

es keinen wichtigeren Faktor als die<br />

Sprache“, sagte der CDU-Politiker<br />

Ende Juli dem Bonner General-Anzeiger<br />

und fuhr fort: „Die Sprache ist<br />

noch wichtiger als die Festlegung auf<br />

Berlin als Hauptstadt und auf Schwarz-<br />

Rot-Gold als die Landesfarben. Beides<br />

wird vom Grundgesetz geregelt,<br />

die Sprache leider nicht.“ Auf ihrem<br />

Bundesparteitag 2008 in Stuttgart<br />

hatte die CDU entschieden, daß ein<br />

Bekenntnis zur deutschen Sprache ins<br />

Grundgesetz aufgenommen werden<br />

soll. „Im Unterschied zu manchen<br />

geradezu banalen Grundgesetzänderungen“,<br />

so Lammert, „hat sich dafür<br />

bislang keine ausreichende Mehrheit<br />

gefunden.“ Für eine Änderung des<br />

Grundgesetzes ist eine Zweidrittel-<br />

2006<br />

Im Zuge der Föderalismusreform<br />

fordert Bundestagspräsident Norbert<br />

Lammert im Juni 2006, Artikel<br />

22 des Grundgesetzes mit dem Satz<br />

zu ergänzen: „Die Landessprache ist<br />

Deutsch.“ Seine Begründung lautet:<br />

„Deutschland ist unter allen deutschsprachigen<br />

Ländern das einzige, das<br />

die Sprache nicht in der Verfassung<br />

regelt, obwohl es nach seiner Sprache<br />

benannt ist.“ Die CDU-Vorsitzende<br />

Angela Merkel unterstützt Lammert.<br />

Dieser kann sich zwar nicht durchsetzen,<br />

löst jedoch die erste breite<br />

Diskussion aus.<br />

2008<br />

Im Herbst 2008 fordert Hartmut Koschyk<br />

(CSU), Parlamentarischer Geschäftsführer<br />

der CSU-Landesgruppe<br />

im <strong>Deutsche</strong>n Bundestag und Vorsitzender<br />

des Vereins für <strong>Deutsche</strong> Kulturbeziehungen<br />

im Ausland (VDA),<br />

in der DEUTSCHEN SPRACH-<br />

WELT (DSW 33): „Deutsch gehört<br />

ins Grundgesetz!“ Der saarländische<br />

CDU-Stadtverband Völklingen un-<br />

Deshalb sollte Deutsch ins Grundgesetz<br />

Bekennen wir uns zu unserer Sprache und damit zu unserer Heimat und zu unserer Nation<br />

Von Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes<br />

S<br />

elten hat ein Antrag der CDU<br />

Saar auf einem Bundesparteitag<br />

so viel Aufmerksamkeit und kontroverse<br />

Diskussionen ausgelöst wie<br />

die im Grunde genommen selbstverständliche<br />

Forderung, die deutsche<br />

Sprache im Grundgesetz zu verankern.<br />

Aufregung um eine schiere<br />

Selbstverständlichkeit? Nimmt man<br />

das kontroverse Echo in der veröffentlichten<br />

deutschen Medienwelt<br />

zum Gradmesser, so scheint mit dieser<br />

Forderung ein erhebliches Maß<br />

an Erregungspotential verbunden zu<br />

sein.<br />

Dabei hat eine solche Forderung<br />

weder mit der deutschen Leitkultur-<br />

Debatte noch mit einem neuen Na-<br />

tionalchauvinismus zu tun. Sie ist<br />

nichts Außergewöhnliches, sondern<br />

– so sollte man meinen – nur ein<br />

ganz und gar selbstverständliches<br />

Anliegen, über das zu streiten sich<br />

eigentlich nicht lohnt. Denn was bei<br />

uns die kritischen Gemüter bewegte,<br />

ist anderswo längst gängige Verfassungswirklichkeit.<br />

In den Verfassungen unserer deutschsprachigen<br />

Nachbarländer Österreich,<br />

Liechtenstein und der Schweiz ist die<br />

deutsche Sprache als Landessprache<br />

enthalten. Anders als in diesen Staaten<br />

ist bei uns in Deutschland das Bekenntnis<br />

zur deutschen Sprache nur<br />

in verschiedenen nachgeordneten<br />

Gesetzen festgelegt, nicht aber im<br />

„Ohne gemeinsame<br />

Sprache keine Integration“<br />

„Der Schutz der deutschen<br />

Sprache gehört im Grundgesetz<br />

verankert. Respekt vor unserer<br />

deutschen Sprache ist Respekt<br />

vor unserer Kultur und unserem<br />

Land, den wir von allen fordern,<br />

die bei uns leben. Ohne gemeinsame<br />

Sprache gibt es keine wirksame<br />

Integration. Wer sich der<br />

deutschen Sprache verweigert,<br />

verweigert sich der Integration in<br />

Deutschland.“<br />

CSU-Generalsekretär Alexander<br />

Dobrindt am 9. September 2010<br />

zur BILD-Zeitung<br />

mehrheit in Bundestag und Bundesrat<br />

nötig. Von den 27 Mitgliedstaaten der<br />

EU haben 17 ihre Landessprache(n)<br />

in der jeweiligen Verfassung festgeschrieben.<br />

Der Bundestagspräsident<br />

warb „für einen zurückhaltenden Einsatz<br />

von Anglizismen und für mehr<br />

Anläufe zur Änderung des Grundgesetzes<br />

ter der Leitung von Stefan Rabel,<br />

dem Referenten für Grundsatzfragen<br />

im Landesvorstand der Saar-CDU,<br />

greift Koschyks Initiative auf. Er<br />

bewegt sowohl den CDU-Kreisverband<br />

Saarbrücken-Land als auch den<br />

CDU-Landesvorstand zu einem Antrag<br />

der Saar-CDU für den Bundesparteitag<br />

in Stuttgart. Ministerpräsident<br />

Peter Müller unterstützt den<br />

Antrag ausdrücklich.<br />

Der Antrag der saarländischen CDU<br />

hat den folgenden Wortlaut: „Der<br />

Bundesparteitag möge beschließen:<br />

Die CDU Deutschlands setzt sich<br />

für die Verankerung der deutschen<br />

Sprache im Grundgesetz ein. Dies<br />

soll durch einen Zusatz in Artikel<br />

22 des Grundgesetzes erfolgen mit<br />

dem Wortlaut: ‚Die Sprache der<br />

Bundesrepublik ist Deutsch‘.“ Am<br />

2. Dezember gelingt es, den Bundesparteitag<br />

zu überzeugen, der dem<br />

Antrag mehrheitlich zustimmt. Der<br />

Beschluß kommt gegen den Willen<br />

der Parteispitze um Angela Merkel<br />

zustande, die den Antrag lieber an<br />

die CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

weitergereicht hätte, wo er dann vor-<br />

Grundgesetz. Doch<br />

für die Kultur und<br />

das Selbstverständnis<br />

eines Landes<br />

gibt es keinen wichtigeren<br />

Faktor als<br />

die Sprache. Deshalb<br />

sollte es eine<br />

schiere Selbstverständlichkeit<br />

sein,<br />

daß sie neben den<br />

nationalen Symbolen<br />

„Schwarz-<br />

Rot-Gold“ als<br />

Bundesflagge und<br />

Berlin als Hauptstadt<br />

in Artikel 22<br />

des Grundgesetzes Verfassungsrang<br />

erhält – mit dem schlichten Satz:<br />

Selbstbewußtsein, was den Gebrauch<br />

unserer Landessprache angeht“.<br />

Lammert warnte zugleich vor der<br />

Ausgrenzung jener Gesellschaftsteile,<br />

die des Englischen nicht mächtig<br />

sind: „Daß sie sich angesichts einer<br />

Flut von englischsprachigen Begriffen<br />

gestört, ja ausgegrenzt fühlen,<br />

kann ich sehr gut nachempfinden.“ Er<br />

trat Befürchtungen entgegen, daß ein<br />

Land, das englische Begriffe meidet,<br />

den Anspruch auf Internationalität im<br />

Denken und Fühlen verlieren könne.<br />

„Internationalität im Denken“, meinte<br />

Lammert, „läßt sich auch hervorragend<br />

auf deutsch beweisen. Ich habe<br />

den Eindruck, daß wir leider allzu<br />

oft dazu neigen, ohne zwingenden<br />

Grund die eigene Landessprache einem<br />

vermeintlichen Nachweis von<br />

Weltoffenheit zu opfern, der zu genau<br />

der Dominanz der englischen Sprache<br />

beiträgt, die wir gemeinsam regelmäßig<br />

beklagen.“ (ots/dsw)<br />

aussichtlich abgelehnt worden wäre.<br />

Er löst eine breite Debatte quer durch<br />

alle Parteien aus.<br />

2009<br />

85 Prozent der <strong>Deutsche</strong>n sprechen<br />

sich Anfang 2009 in einer repräsentativen<br />

Umfrage der Technischen Universität<br />

Dresden für eine Ergänzung<br />

des Grundgesetzes um die deutsche<br />

Sprache aus.<br />

Der Petitionsausschuß des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bundestags behandelt im Mai<br />

2009 zwei Petitionen, die sich mit<br />

der deutschen Sprache beschäftigen.<br />

Sie enthalten unter anderem auch die<br />

Forderung, Deutsch im Grundgesetz<br />

zu verankern. Das Bundesinnenministerium<br />

lehnt in einer Stellungnahme<br />

eine Ergänzung des Grundgesetzes<br />

ab. Der Petitionsausschuß schließt<br />

sich dieser Haltung an: „Eine Ergänzung<br />

des Grundgesetzes um den Passus<br />

‚Die Sprache der Bundesrepublik<br />

Deutschland ist Deutsch‘ bzw. die<br />

Schaffung sonstiger Vorschriften zum<br />

Schutze der deutschen Sprache werden<br />

… nicht für erforderlich gehal-<br />

Der saarländische Ministerpräsident<br />

Peter Müller<br />

„Die Sprache der<br />

Bundesrepublik<br />

Deutschland ist<br />

Deutsch.“<br />

Damit geschähe<br />

nichts, was nicht<br />

in den meisten<br />

e u r o p ä i s c h e n<br />

Staaten längst<br />

der Fall ist. Von<br />

den insgesamt 27<br />

Mitgliedstaaten<br />

der Europäischen<br />

Union haben<br />

nämlich 17 ihre<br />

Landessprachen<br />

in der jeweiligen Verfassung festgeschrieben.<br />

Sprache verstehen und<br />

sprechen ist elementar für unser Leben.<br />

Das Neugeborene lernt als erstes<br />

im wortwörtlichen Sinne die „Muttersprache“.<br />

Sie hilft ihm, Schritt für<br />

Schritt ins Leben zu treten. In der<br />

Schule lernen die jungen Menschen<br />

auf der Grundlage ihrer Muttersprache<br />

die Welt in allen ihren Facetten<br />

zu verstehen. Gleichzeitig schafft<br />

die Muttersprache, als gemeinsame<br />

Sprache, auch Heimat und Identität<br />

mit dem Land, in dem man lebt. Dies<br />

zeigt: Unsere Sprache ist wesentlicher<br />

Bestandteil unserer kulturellen<br />

Identität und geistige Lebensgrundlage,<br />

um Kultur und Werte der Gesellschaft<br />

zu verstehen und weiterzuentwickeln.<br />

Durch die Erhebung<br />

der deutschen Sprache in den Verfassungsrang<br />

verdeutlichen wir, welche<br />

Bedeutung und Wertschätzung wir<br />

unserer Sprache einräumen.<br />

Gerade die Integrationsdebatte zeigt,<br />

wie sehr das Beherrschen der deutschen<br />

Sprache eine unerläßliche und<br />

durch nichts zu ersetzende Voraussetzung<br />

einer gelungenen Eingliederung<br />

in unsere Gesellschaft ist. Bürgerinnen<br />

und Bürger unseres Landes<br />

mit Migrationshintergrund können<br />

deshalb eine solche Verfassungsergänzung<br />

als Ansporn begreifen, die<br />

deutsche Sprache als Schlüssel für<br />

ten.“ Der Bundestag folgt der Empfehlung<br />

des Petitionsausschusses und<br />

beschließt am 14. Mai, die Petitionen<br />

dem Bundesministerium des Innern<br />

und dem Beauftragten der Bundesregierung<br />

für Kultur und Medien zu<br />

überweisen. Außerdem werden sie<br />

den Fraktionen des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages<br />

zur Kenntnis gegeben. Das<br />

Verfahren ist damit abgeschlossen.<br />

Bei den Koalitionsverhandlungen für<br />

die neue Bundesregierung im Oktober<br />

2009 einigen sich CDU/CSU und FDP<br />

zunächst darauf, ein Bekenntnis zur<br />

deutschen Sprache im Grundgesetz zu<br />

verankern. Die für Kultur zuständige<br />

Koalitionsarbeitsgruppe beschließt<br />

einstimmig, dieses Ziel in den Koalitionsvertrag<br />

aufzunehmen. Die Zustimmung<br />

der FDP-Vertreter erwirkt die<br />

Union über das Zugeständnis, auch die<br />

Kultur als Staatsziel in der Verfassung<br />

zu verankern. Die SPD deutet daraufhin<br />

ebenfalls ihre Zustimmung an. Somit<br />

rückt eine Zweidrittelmehrheit in<br />

Bundestag und Bundesrat zur Grundgesetzänderung<br />

erstmals in greifbare<br />

Nähe. Doch jetzt wenden sich Innen-<br />

und Rechtspolitiker aus Union und<br />

eine erfolgreiche Integration zu verstehen.<br />

Darüber hinaus stimmt mich auch die<br />

zunehmende Zahl an Anglizismen in<br />

unserer Alltags- und Geschäftssprache<br />

nachdenklich. Natürlich führt<br />

besonders die internationale Computersprache<br />

dazu, daß mehr und mehr<br />

englischsprachige Begriffe Eingang<br />

in unsere tägliche Sprache bekommen.<br />

Doch wird eine Schlagzeile als<br />

„headline“ nicht aufregender und ein<br />

Treffpunkt ist als „meeting point“<br />

auch nicht einfacher zu finden. Wir<br />

sollten hier zurückhaltender werden<br />

beim Einsatz von Anglizismen. Viele<br />

ältere Menschen, die nie die Chance<br />

hatten, die englische Sprache zu erlernen,<br />

fühlen sich angesichts einer<br />

Flut von englischsprachigen Begriffen<br />

ausgegrenzt. Ich bin sicher: Es<br />

geht im Alltag auch ohne die vielen<br />

Anglizismen, und man findet sich<br />

trotzdem in der Welt zurecht.<br />

Mein Plädoyer: Bekennen wir uns zu<br />

unserer Sprache, so wie es fast alle<br />

unsere europäischen Partner auch tun.<br />

Unsere Sprache ist Teil unserer Identität<br />

als Bürger der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Sie ist Bekenntnis zur<br />

Heimat und zur eigenen Nation. Deshalb<br />

sollte Deutsch ins Grundgesetz.<br />

FDP gegen dieses Ansinnen, darunter<br />

Wolfgang Schäuble (CDU) und<br />

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger<br />

(FDP). Die DEUTSCHE SPRACH-<br />

WELT ruft nun über die Medien dazu<br />

auf, von dem Beschluß nicht abzurükken.<br />

Außerdem schickt sie an alle 27<br />

Spitzenpolitiker der Koalitionsrunde<br />

einen persönlichen Brief mit Argumenten<br />

– vergeblich: Die Gegner der<br />

Grundgesetzerweiterung sorgen dafür,<br />

daß dieses Ziel wieder aus den<br />

Entwürfen zum Koalitionsvertrag gestrichen<br />

wird.<br />

2010<br />

In der zweiten Hälfte des Jahres 2010<br />

unternehmen Norbert Lammert, Peter<br />

Müller und CSU-Generalsekretär Alexander<br />

Dobrindt einen erneuten Anlauf,<br />

um für die Verankerung der deutschen<br />

Sprache im Grundgesetz zu werben<br />

(siehe Berichte auf dieser Seite).<br />

Auf dem Bundesparteitag der CDU<br />

vom 14. bis 16. November in Karlsruhe<br />

besteht die Gelegenheit, die Parteispitze<br />

an die Umsetzung des Beschlusses<br />

von 2008 zu erinnern. (dsw)


Seite 4 Fremdenverkehr<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

E<br />

s war ein unentschuldbares Versäumnis<br />

von mir. Bereits viermal<br />

hatte das „Festspiel der deutschen<br />

Sprache“ stattgefunden, ohne daß<br />

ich die Gelegenheit genutzt hatte, es<br />

zu besuchen. Unsere Bestrebungen,<br />

in Mitteldeutschland den Kern einer<br />

„Straße der deutschen Sprache“ zu<br />

bilden, boten jedoch einen willkommenen<br />

Anlaß, endlich den Weg nach<br />

Bad Lauchstädt zu finden, wo sich das<br />

Festspiel alljährlich ereignet. Am 10.<br />

September dieses Jahres war es also<br />

soweit, und ich besuchte die Goethe-<br />

Stadt im Süden Sachsen-Anhalts.<br />

Dabei war es durchaus nicht so, daß<br />

die Bemühungen der weltbekannten<br />

Kammersängerin Edda Moser, ein<br />

solches Festspiel ins Leben zu rufen,<br />

von der DEUTSCHEN SPRACH-<br />

WELT zuvor unbemerkt geblieben<br />

sind. Unsere Leser lohnten Mosers<br />

Einsatz bereits frühzeitig, indem sie<br />

der Kammersängerin bei der Wahl<br />

zum „Sprachwahrer des Jahres 2006“<br />

den ersten Platz zusprachen.<br />

Was verschlug die einst an der New<br />

Yorker Metropolitan Opera („MET“)<br />

gefeierte Sopranistin in das nur 9.000<br />

Einwohner zählende Städtchen Bad<br />

Lauchstädt? Während ihrer Zeit in<br />

Amerika litt sie unter starkem Heimweh.<br />

Damals habe sie erst die Schönheit<br />

der deutschen Sprache entdeckt,<br />

sagt sie. Diese Liebe zur Muttersprache<br />

verband sich mit einem Haß auf<br />

Sprachmischerei: „Diese Anglizismen<br />

verabscheue ich, die müssen<br />

weg.“ Bei ihren Studenten an der<br />

Kölner Hochschule für Musik fing sie<br />

an. Für jedes „Sorry“ oder „Okay“<br />

mußten die Gesangsstudenten einen<br />

Euro in die Kasse<br />

zahlen.<br />

Doch Edda Moser<br />

wollte höher hinaus<br />

und ein weithin<br />

sichtbares Zeichen<br />

setzen. Und so kam<br />

ihr am 3. September<br />

2003 der glückliche<br />

Gedanke,<br />

ein „Festspiel der<br />

deutschen Sprache“<br />

zu begründen.<br />

Auf der Feier zum<br />

60. Geburtstag der<br />

Thüringer CDU-<br />

Politikerin Dagmar<br />

Schipanski in<br />

Weimar trug Moser<br />

aus den Italien-<br />

Briefen Goethes an<br />

Charlotte Stein vor.<br />

An diesem Abend<br />

begegnete Moser<br />

auch der Urenkelin<br />

Richard Wagners,<br />

Nike Wagner, der Leiterin des Weimarer<br />

Kunstfestes, das den für die meisten<br />

unverständlichen Namen „Pélerinages“<br />

trägt. Moser erzählt von dem<br />

unerfreulichen Versuch, Nike Wagner<br />

zu überzeugen: „Ihr galt meine Klage,<br />

daß unsere deutsche Sprache<br />

verunstaltet, verstümmelt und nicht<br />

mehr zur Kenntnis genommen wird.<br />

Mein Argument, gegen die überhand-<br />

Zum Festspiel in die Goethestadt<br />

Wir reisen auf der Straße der deutschen Sprache: Bad Lauchstädt<br />

Wunderschöne<br />

Wörter<br />

„Kennen Sie das Wort ‚ungeschlacht‘<br />

oder ‚lieblich‘ oder<br />

‚betrüblich‘? Wunderschöne<br />

Wörter, die eine Begebenheit<br />

punktgenau treffen. Sie<br />

werden meinen: ‚Ja, so etwas<br />

sagt man doch heute<br />

nicht mehr!‘ Wieso eigentlich<br />

nicht? Wir wollen doch<br />

alle unsere Persönlichkeit,<br />

unsere Befindlichkeit darstellen,<br />

jeder sich dem anderen<br />

offenbaren in Leid und<br />

Schmerz, verständnisheischend<br />

(auch so ein Wort<br />

…), und man flüchtet in die<br />

englische Sprache, während<br />

der deutschen, der wunderbaren,<br />

so viel Nichtachtung<br />

gezollt wird. – Dem möchte<br />

ich entgegentreten.“<br />

Edda Moser, Festspielleiterin<br />

nehmenden Anglizismen, das Vergessen<br />

der Kostbarkeit des vielseitigen<br />

Ausdrucksreichtums in Weimar eine<br />

Bastion zu begründen, wohin jeder<br />

sprachbezogene Darsteller ‚auf den<br />

Knien seines Herzens‘ (Kleist) käme,<br />

unserer deutschen Sprache wieder<br />

auf die wackeligen Beine zu helfen,<br />

wurde abgeschmettert mit dem erbärmlichen<br />

Satz: ‚Kein Bedarf‘.“<br />

Moser gab nicht auf und verwirklichte<br />

das erste „Festspiel der deutschen<br />

Festspielleiterin Edda Moser mit<br />

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident<br />

Wolfgang Böhmer auf dem roten<br />

Teppich Bild: pau<br />

Sprache“ am 19. Oktober 2006 –<br />

nicht im Weimarer Nationaltheater,<br />

wie ursprünglich gedacht, sondern<br />

auf Schloß Heidecksburg im thüringischen<br />

Rudolstadt. Schirmherrin<br />

war Dagmar<br />

Schipanski, die<br />

inzwischen Landtagspräsidentingeworden<br />

war. Es war<br />

von Moser gewollt,<br />

daß das erste Festspiel<br />

genau am 200.<br />

Hochzeitstag von<br />

Johann Wolfgang<br />

Goethe und Christiane<br />

Vulpius stattfand.<br />

Zusammen<br />

mit dem Dichter<br />

Reiner Kunze und<br />

den Schauspielern<br />

Mario Adorf, Jutta<br />

Hofmann und Otto<br />

Schenk las Moser<br />

auf der Heidecksburg<br />

literarische und<br />

klassische philosophische<br />

Texte, um<br />

die Schönheit und<br />

Kraft der deutschen<br />

Sprache zu feiern.<br />

Der Mitteldeutsche<br />

Rundfunk zeichnete das Festspiel<br />

auf, wie alle folgenden auch, denn sie<br />

wurden ein Erfolg. Als Festspielleiterin<br />

sucht Moser Texte aus, schreibt<br />

herausragende Schauspieler an und<br />

versucht, deren Wünsche und Vorschläge<br />

einzuarbeiten. Wie hat sie die<br />

großen Namen zum Mitmachen bewegt?<br />

Sie triumphiert: „Ich habe sie<br />

mir alle ersungen – wie Orpheus“.<br />

Der Andrang vor dem Goethe-Theater ist groß. Bild: pau<br />

Seit dem Jahre 2007 ist das Festspiel<br />

in Bad Lauchstädt angesiedelt, wo<br />

es nach dem Willen der Veranstalter<br />

auch bleiben soll. Schirmherr ist<br />

seither Ministerpräsident Wolfgang<br />

Böhmer, der betont: „In einer Zeit<br />

voller Meetings, Info-Points, Hotlines<br />

oder Shopping-Centren ist es<br />

wichtig, die deutsche Sprache in den<br />

Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rükken.“<br />

Die entscheidende Empfehlung<br />

für Lauchstädt gab der langjährige<br />

Außenminister Hans-Dietrich Genscher.<br />

Er meint: „Wo, wenn nicht hier<br />

an der Wirkungsstätte Goethes, ist<br />

der richtige Platz, die deutsche Sprache<br />

zu pflegen. Aber jeder von uns<br />

ist aufgefordert, dies zu tun.“ Hier<br />

ist tatsächlich der beste Ort für das<br />

„Festspiel der deutschen Sprache“,<br />

den man sich vorstellen kann. Das<br />

kleine Sommertheater wurde am 26.<br />

Juni 1802 unter Goethes Leitung eröffnet.<br />

Es ist der einzige im Original<br />

erhaltene Theaterbau aus der Zeit, in<br />

der Goethe als Oberdirektor der Weimarer<br />

Hofschauspieler-Gesellschaft<br />

gearbeitet hat.<br />

Lauchstädt bot als Kurort günstigste<br />

Voraussetzungen. Bereits um das<br />

Jahr 1700 war eine Mineralquelle<br />

entdeckt worden. Die daraufhin entstandenen<br />

Historischen Kuranlagen,<br />

die den Besucher auch heute noch<br />

beeindrucken, lockten so bedeutende<br />

Persönlichkeiten wie Gottsched, Gellert<br />

und den sächsischen Kurfürsten<br />

Friedrich August III. als Kurgäste an.<br />

Außerdem strömten die Besucher aus<br />

der nahegelegenen Universitätsstadt<br />

Halle an der Saale herbei, wo es kein<br />

Theater gab. Joseph von Eichendorff<br />

berichtet: „In Lauchstädt selbst aber<br />

konnte man, wenn es sich glücklich<br />

fügte, Goethe und Schiller oft leibhaftig<br />

erblicken, als ob die olympischen<br />

Götter wieder unter den Sterblichen<br />

umherwandelten.“<br />

Noch heute atmet Lauchstädt diesen<br />

Geist aus der Zeit der Dichter und<br />

Denker. Seit 2009 findet das Festspiel<br />

allerdings nicht mehr zu Goethes<br />

Hochzeitstag statt, sondern am<br />

Vorabend des Tags der deutschen<br />

Sprache im September. Möglicherweise<br />

wollte man Rücksicht auf den<br />

Kulturpreis <strong>Deutsche</strong> Sprache nehmen,<br />

dessen Verleihung ebenfalls im<br />

Oktober stattfindet. Glücklicherweise<br />

rückten die Veranstalter von dem<br />

Vorhaben ab, das Festspiel ab 2009<br />

auf zwei Tage auszudehnen und am<br />

zweiten Tag Schüler einzubeziehen.<br />

Denn dann hätte es sich zeitlich und<br />

inhaltlich mit dem Festakt der Neuen<br />

Fruchtbringenden Gesellschaft<br />

zum Tag der deutschen Sprache<br />

überschnitten. Bei der Veranstaltung<br />

im Köthener Schloß, die unter<br />

der Schirmherrschaft des sachsenanhaltischen<br />

Kultusministers steht,<br />

wird nicht nur die Rede zur deutschen<br />

Sprache gehalten (siehe Seiten<br />

6 und 7). Auch tragen die Sieger des<br />

Schülerwettbewerbs „Schöne deutsche<br />

Sprache“ ihre Beiträge vor und<br />

werden dafür geehrt. Insofern ergänzen<br />

sich die beiden Ver-<br />

Eintrittskarten<br />

sind nur<br />

schwer zu<br />

bekommen.<br />

Das „Festspiel<br />

der deutschen<br />

Sprache“ ist nämlich bereits mehrere<br />

Monate im voraus ausverkauft. Die<br />

Anzahl der Plätze im Goethe-Theater<br />

ist begrenzt. In diesem Jahr wurde<br />

daher erstmals das Festspiel auch<br />

auf eine Großbildleinwand vor dem<br />

Theater übertragen. Bild: pau<br />

Straße der<br />

deutschen Sprache<br />

anstaltungen in Bad Lauchstädt und<br />

Köthen/Anhalt wunderbar, und es ist<br />

zu überlegen, ob man dies nicht auch<br />

in eine tiefere organisatorische Zusammenarbeit<br />

münden lassen sollte.<br />

Aber das ist noch Zukunftsmusik,<br />

wenden wir uns jetzt lieber der Ge-<br />

genwart zu. Heute<br />

bin ich endlich in<br />

Bad Lauchstädt. Das<br />

Festspiel ist eröffnet.<br />

Edda Moser thront<br />

in ihrer Loge über<br />

der Versammlung.<br />

Als Axel Milberg beginnt,<br />

Rilke vorzutragen, wird der<br />

ganze Saal mucksmäuschenstill. Alle<br />

lauschen gebannt – bis das Telefon<br />

eines Zuschauers plötzlich anfängt,<br />

Musik zu spielen. Die Gebanntheit ist<br />

auf einen Schlag zerstört. Das unpassende<br />

Geräusch ist vermutlich nicht<br />

so sehr als Antwort auf die zuvor von<br />

Wolfgang Böhmer geäußerte Kritik<br />

an der Sprache telefonischer Kurzbriefe<br />

(„SMS“) zu sehen. Statt dessen<br />

ist es eher ein Symbol dafür, wie die<br />

technische Entwicklung fortschreitet,<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

ohne immer Rücksicht auf die Sprache<br />

zu nehmen.<br />

Doch Milberg gelingt es an diesem<br />

Abend rasch, das an die Technik verlorene<br />

Gebiet zurückzuerobern. Seine<br />

Stimme, seine Bewegungen, sein<br />

Blick – ja sogar sein Schweigen: Alles<br />

paßt genau zum Gesprochenen, und<br />

es wird deutlich, daß nicht nur der<br />

Inhalt, sondern auch die Darbietung<br />

wichtig ist, wenn Sprache wirken soll.<br />

Gudrun Landgrebe hingegen setzt<br />

trotz glutwallender Blicke vor allem<br />

auf ihre Stimme. Diese geht nicht<br />

auf eine Berg-und-Tal-Fahrt, sondern<br />

läßt eher an eine bunt blühende Wie-<br />

24. und 25. Juni 2011<br />

Sprachtag in Köthen<br />

zum Thema „Straße der<br />

deutschen Sprache“.<br />

Bitte vormerken!<br />

se in einer Ebene<br />

denken. Auch die<br />

Schauspieler Hans<br />

Stetter, Sebastian<br />

Koch, Ernst Jacobi<br />

und Pauline Knof<br />

sind gut in Form.<br />

Bei der szenischen Lesung von Schillers<br />

„Kabale und Liebe“, die den<br />

zweiten Teil des Abends bildet, zeigen<br />

vor allem Landgrebe als Lady<br />

Milford und Milberg als Sekretär<br />

Wurm, daß auch ein Drama, das lesend<br />

und im Sitzen dargeboten wird,<br />

fesselnd sein kann, wenn die Worte<br />

mächtig sind. Dieser Versuch gelang<br />

vortrefflich. Der Abend erfüllte<br />

nicht nur mich. Eines steht daher fest:<br />

Nächstes Jahr werde ich wieder nach<br />

Bad Lauchstädt fahren.<br />

Die DSW in der Presse<br />

Die Nachrichtenagentur dpa meldete am 10. September 2010:<br />

Sprachwahrer für<br />

„Straße der deutschen Sprache“<br />

rlangen (dpa) – Sprachwahrer haben sich für die Ausweisung einer<br />

„Straße der deutschen Sprache“ ausgesprochen. Eine solche Ferienstraße<br />

könnte Sprachpflege und Tourismus miteinander verbinden, erklärte<br />

der Chefredakteur der Zeitung „Die <strong>Sprachwelt</strong>“, Thomas Paulwitz, am<br />

Freitag in einer Mitteilung. Der Kern einer solchen touristischen Route sollte<br />

seiner Ansicht nach in Ostdeutschland liegen. Die sächsische Kanzleisprache<br />

und das Wirken Martin Luthers hätten das Hochdeutsche stark geprägt.<br />

In den ersten Städten seien bereits Bürger und Politiker für die Idee einer<br />

solchen Ferienstraße gewonnen worden, berichtete Paulwitz in Erlangen. Als<br />

Beispiele nannte er die Stadt Köthen, die Konrad-Duden-Stadt Schleiz, die<br />

Paul-Gerhardt-Stadt Gräfenhainichen und die Sorben-Stadt Bautzen. Weitere<br />

Stationen könnten die Wartburg, Weimar und Wittenberg sein. Auf dem<br />

Köthener Sprachtag Ende Juni 2011 wollen Sprachfreunde und Vertreter verschiedener<br />

Städte über die Ferienstraße beraten. Die „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“<br />

ist nach eigenen Angaben die größte deutsche Zeitschrift für Sprachpflege<br />

und Sprachpolitik.<br />

Das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung beschäftigte sich<br />

am 14. September 2010 ebenfalls mit der Straße der deutschen Sprache:<br />

Das Streiflicht<br />

(SZ) – Man müßte an der Verwilderung des <strong>Deutsche</strong>n verzweifeln, schrieb<br />

der Sprachpurist Eduard Engel vor 100 Jahren, sähe man nicht zugleich den<br />

Gegentrieb „aus den Eingeweiden der Nation“, sich des Jochs der „Fremdwörtler“<br />

zu erwehren. Engel hat viele Nachfolger gefunden, die sich heute<br />

zwar anders ausdrücken als er, in der Diagnose mit ihm aber einer Meinung<br />

sind. In den Eingeweiden der Nation gibt es deswegen allerlei nervöse Störungen,<br />

nicht zuletzt auch aus dem Grund, daß ebenso viele Sprachfreunde<br />

das blanke Gegenteil glauben. Ihrer Ansicht nach ist die deutsche Sprache<br />

bei erfreulich guter Gesundheit und verfügt darüber hinaus über Kraft genug,<br />

sich das Neue und Fremde mit Lust einzuverleiben und zu ihrem eigenen<br />

Besten zu verdauen. Dies der einigermaßen verwirrende Sachstand, zu dem<br />

nun die ebenfalls recht ambivalente Neuigkeit kommt, daß eine „Straße der<br />

deutschen Sprache“ angelegt werden soll. … Früher hätte man eine Straße<br />

der deutschen Sprache wahrscheinlich danach geplant, wie weit laut Ernst<br />

Moritz Arndt „die deutsche Zunge klingt“. Die „<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>“, die<br />

das Vorhaben jetzt propagiert, ist da bescheidener. Nach der Vision des Blattes<br />

soll sich die Straße zunächst durch Mitteldeutschland schlängeln, eine für<br />

die Entwicklung des <strong>Deutsche</strong>n in der Tat bedeutsame Gegend, man denke<br />

nur an den wortgewaltigen Luther, der dort wirkte. Dort, in Köthen, gab es<br />

auch die „Fruchtbringende Gesellschaft“, über deren Eindeutschungsbemühungen<br />

so viel Spott ausgegossen wurde, daß man das Bleibende kaum noch<br />

sehen konnte. Die Sprachwahrer der Gegenwart leben in der ständigen Versuchung,<br />

die Anglizismen für die Hauptgefahr zu halten und darüber alles<br />

andere zu vergessen. Man muß aufpassen, daß diese enge Sicht der Dinge<br />

nicht den Bau der <strong>Deutsche</strong>n Sprachstraße bestimmt. Es soll ja weder eine<br />

Einbahnstraße noch ein Holzweg werden.


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010 Sprachraum<br />

Seite 5<br />

Von Andreas Raffeiner<br />

W<br />

ieso sprechen Sie als Italiener<br />

so gut deutsch?“ Diese<br />

Frage deutscher Landsleute läßt<br />

mich immer wieder aufs neue erstaunen.<br />

Staunen über Unwissen über die<br />

Geschichte und die Bevölkerungsgeographie.<br />

Man glaubt, Deutsch als<br />

Muttersprache wäre auf Deutschland<br />

und Österreich, ferner Liechtenstein,<br />

allenfalls noch auf die Deutschschweiz<br />

beschränkt. Keine Rede von<br />

den <strong>Deutsche</strong>n in Ostbelgien, in den<br />

niederländischen Grenzgebieten, im<br />

Elsaß und Ostlothringen, in Nordschleswig;<br />

und schon gar nicht von<br />

jenen Resten deutscher Bevölkerung,<br />

die nicht durch Flucht, Vertreibung<br />

und Spätaussiedlung vollständig ausgelöscht<br />

worden sind; von den <strong>Deutsche</strong>n<br />

in Rußland, in der Ukraine, im<br />

Baltikum, in Kasachstan, Usbekistan,<br />

Siebenbürgen, Schlesien ganz<br />

zu schweigen.<br />

Die Existenz der autochthonen<br />

deutschsprachigen Minderheit in<br />

Oberitalien bemerken viele Urlauber<br />

erst während ihres Besuches in Südtirol,<br />

in diesem fast 7.500 Quadratkilometer<br />

großen Gebiet zwischen dem<br />

Brennerpaß und der Salurner Klause,<br />

das heute eine Autonome Provinz<br />

mit Bozen als Hauptstadt bildet. Die<br />

Einwohner sprechen eine südbairische<br />

Mundart, die sich auch über die<br />

bei Österreich verbliebenen Gebiete<br />

Osttirol, Kärnten und die südlichen<br />

und östlichen Teile Nordtirols erstreckt.<br />

Von etwas mehr als 500.000<br />

Einwohnern Südtirols bekennen sich<br />

zwei Drittel zur deutschen, etwas<br />

mehr als ein Viertel zur italienischen<br />

und der Rest zur ladinischen Volksgruppe.<br />

Andere bezeichnen sich als<br />

Gemischtsprachige, einige wenige<br />

verweigern die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung.<br />

Seit Mitte des 12. Jahrhunderts sind<br />

die Grafen von Tirol als Grafschaftsverwalter<br />

des Bischofs von Trient ur-<br />

Unterstützen Sie bitte die <strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>!<br />

1. Die Spende 2. Die Bestellung 3. Die Empfehlung<br />

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möchte ich den Verein für Sprachpflege e. V.<br />

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Nichtzutreffendes bitte durchstreichen<br />

einen Betrag von Euro<br />

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Meine Anschrift Postfach 1449, D-91004 Erlangen, bestellung@deutsche-sprachwelt.de<br />

Name, Vorname<br />

Straße<br />

Südtirol spricht immer noch Deutsch<br />

Ein Streifzug durch die Geschichte eines begehrten Landes – Teil 1: bis 1945<br />

kundlich belegbar.<br />

Sie erwarben die<br />

Grafschaft Bozen<br />

und setzten sich im<br />

Bistum Brixen fest.<br />

Unter der Landesherrin<br />

Margarethe<br />

Maultasch kam Tirol<br />

1363 zu Habsburg,<br />

dem mächtigsten<br />

Fürstenhaus<br />

Süddeutschlands.<br />

1805 verlor Österreich<br />

Tirol, 1809<br />

erhoben sich die Tiroler<br />

unter Führung<br />

von Andreas Hofer<br />

gegen Napoleon<br />

und die mit ihm<br />

verbündeten Bayern<br />

und Sachsen – ein<br />

Beispiel von vielen<br />

unter den deutschen<br />

Bruderkriegen. In<br />

drei Schlachten am<br />

Bergisel befreite<br />

das Aufgebot der<br />

Tiroler Landesschützen<br />

die LandeshauptstadtInnsbruck.<br />

Die vierte<br />

und letzte Schlacht<br />

führte zur Niederlage<br />

der Tiroler und<br />

zur Hinrichtung<br />

Hofers 1810 in Mantua. Im gleichen<br />

Jahr wurde Tirol geteilt. Das Gebiet<br />

nördlich von Klausen kam zum französischen<br />

Vasallen Bayern, der Süden<br />

zu dem von Napoleon gegründeten<br />

Königreich Italien, der Osten zu den<br />

Illyrischen Provinzen des Kaiserreichs<br />

Frankreich. Aber schon 1813<br />

wurde diesem Zustand durch die Befreiung<br />

Europas von Napoleon ein<br />

Ende gesetzt.<br />

Als während des Ersten Weltkrieges<br />

1915 das Königreich Italien seinem<br />

bisherigen Verbündeten Österreich-<br />

Ungarn den Krieg erklärte, waren<br />

Nord- und Osttirol gehören heute zu Österreich, Südtirol und Welschtirol (Trentino) zu Italien.<br />

regelmäßiger Bezug<br />

Bitte senden Sie mir regelmäßig kostenlos und unverbindlich<br />

die DEUTSCHE SPRACHWELT. Bei<br />

Gefallen werde ich sie mit einer Spende unterstützen.<br />

Ich verpflichte mich aber zu nichts.<br />

Mehrfachbezug<br />

Ich besitze eine Arztpraxis oder habe eine andere<br />

Gelegenheit, die DSW auszulegen. Bitte schicken<br />

Sie mir von jeder neuen Ausgabe ______ Stück.<br />

Nachbestellung<br />

Bitte liefern Sie mir kostenlos:<br />

Geburtsdatum<br />

______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />

______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />

______ DSW-Ausgabe(n) Nr.______<br />

Postleitzahl und Ort<br />

die 21- bis 43jährigen schon eingezogen<br />

worden und befanden sich an<br />

der russischen Front in Galizien oder<br />

an der serbischen Front im Buchenland<br />

(Bukowina). Der Landsturm,<br />

formiert aus Jugendlichen und über<br />

43jährigen, verteidigte erfolgreich<br />

die Grenzen Tirols. Kein Italiener<br />

betrat je den Boden Südtirols. Doch<br />

der Londoner Geheimvertrag von<br />

1915 hatte Italien zugesichert, als<br />

Lohn für seinen Treubruch und den<br />

Kriegseintritt auf Seiten der Entente<br />

den Brennerpaß am Alpenhauptkamm<br />

als strategische Grenze zu bekommen.<br />

Im schroffen Widerspruch<br />

______ Faltblätter „Rettet die deutsche Sprache!“<br />

______ Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf<br />

der deutschen Sprache!“ (9,5 x 14,5 cm; farbig;<br />

witterungsbeständig)<br />

zum Selbstbestimmungsrecht und<br />

den 14 Punkten des US-Präsidenten<br />

Woodrow Wilson wurde auf der Friedenskonferenz<br />

von Paris 1919 Tirol<br />

zerrissen. Aufgrund der menschenverachtendenWasserscheidentheorie<br />

kam der Süden Tirols gegen den<br />

eindeutigen Willen der fast durchweg<br />

deutschsprachigen Bevölkerung<br />

(damals gab es lediglich drei Prozent<br />

Italiener in Südtirol) zum Königreich<br />

Italien.<br />

1922 kamen die Faschisten in Rom<br />

an die Macht. Ihr Duce (Führer) Benito<br />

Mussolini verbot den Namen<br />

Bitte senden Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT auch an:<br />

Bitte deutlich schreiben!<br />

1<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

2<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

3<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

4<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

5<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

6<br />

Name, Vorname<br />

Straße, Postleitzahl und Ort<br />

Tirol, nannte Südtirol Alto Adige<br />

(Oberetsch) und stellte den Unterricht<br />

in deutscher Sprache unter Strafe.<br />

Trotzdem überlebte die deutsche<br />

Sprache in den sogenannten Katakombenschulen.<br />

Mutige Frauen und<br />

Männer, allen voran Kanonikus Michael<br />

Gamper, Josef Noldin, Rudolf<br />

Riedl und Angela Nikoletti organisierten<br />

den Geheimunterricht. Einige<br />

wurden ertappt und auf Strafinseln<br />

verbannt. Alle deutschen Beamten<br />

wurden entlassen oder in altitalienische<br />

Provinzen versetzt. Drei Millionen<br />

Quadratkilometer Obstanlagen<br />

und Edelreben wurden enteignet, um<br />

das Bozner Industriegebiet im Süden<br />

der Talferstadt zu errichten und auf<br />

diese Weise Zehntausende Italiener<br />

anzusiedeln.<br />

Mussolinis Bündnispartner Adolf<br />

Hitler opferte die deutschen Südtiroler,<br />

indem er 1939 mit ihm ein<br />

Abkommen zu deren Umsiedlung,<br />

die sogenannte „Option“ schloß. Von<br />

den rund 250.000 Optionsberechtigten<br />

entschieden sich über 85 Prozent<br />

für die deutsche, der Rest für die<br />

italienische Staatsbürgerschaft. Die<br />

Optanten für Deutschland wurden<br />

häufig in die deutsche Wehrmacht<br />

eingezogen, kämpften und fielen an<br />

allen Fronten. 1943 war das faschistische<br />

Italien militärisch am Ende<br />

und mußte einen Waffenstillstand<br />

mit den Alliierten unterzeichnen.<br />

<strong>Deutsche</strong> Truppen besetzten fast das<br />

ganze Land, so daß die Umsiedlung<br />

der Südtiroler beinahe zum Stillstand<br />

kam. Im Mai 1945 rückten Amerikaner<br />

und Briten in Südtirol ein.<br />

Fortsetzung folgt.<br />

Andreas Raffeiner kommt aus Bozen<br />

und studiert Geschichte, Politik- und<br />

Rechtswissenschaften an der Universität<br />

Innsbruck.


Seite 6 Hintergrund<br />

Lieferbare Ausgaben<br />

<strong>41</strong> Herbst 2010<br />

40<br />

Sommer 2010<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz:<br />

Zehn Jahre Spracharbeit – Die DEUT-<br />

SCHE SPRACHWELT hat Geburtstag<br />

/ Kräfte bündeln für die Muttersprache /<br />

Grußworte und Geburtstagswünsche der<br />

Sprachvereine / Straße der deutschen<br />

Sprache: Schleiz / Lienhard Hinz im Gespräch<br />

mit Winder McConell: Deutsch<br />

als Fremdsprache in den Vereinigten<br />

Staaten / Artur Stopyra: Deutschschüler<br />

aus Warschau reisen und werben für die<br />

deutsche Sprache / Lienhard Hinz: Die<br />

<strong>Deutsche</strong> Welle veröffentlicht Stellungnahmen<br />

zur deutschen Sprache / Richard<br />

Albrecht: Sprachbetrachtungen im Lichte<br />

der Gedanken Ernst Blochs / Steinfelds<br />

Standpauke in der „Süddeutschen“ bringt<br />

den Sprachschützern Zulauf / Sprachsünder-Ecke:<br />

Schweizerische Bundeskanzlei<br />

als Sprachpolizei / Diethold Tietz: 100.<br />

Geburtstag Konrad Zuses / Rolf Zick:<br />

Sprachschützer trifft Kulturredakteur /<br />

Günter Körner: Vom Quantensprung<br />

zum Tantensprung – Sprachkritik aus<br />

naturwissenschaftlicher Sicht (3) / Eine<br />

BILD-Ausgabe ohne Englisch / Wolfgang<br />

Hildebrandt: Udo Lindenberg erhält<br />

den Kulturpreis <strong>Deutsche</strong> Sprache /<br />

Wolfgang Hildebrandt: Zum Geburtstag<br />

kein Congratulation (Anglizismenmuffel)<br />

39<br />

Frühling 2010<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Wird<br />

Deutsch zur Affensprache? / Esperanto<br />

hat Nachteile / Peter Ramsauer: Meine<br />

„Deutsch-Initiative“ / Thomas Paulwitz:<br />

Das Ende des Service-Points / Thomas<br />

Paulwitz: Geht auf die Straße der deutschen<br />

Sprache / Gefunden: mehr als 1.000<br />

Gründe für die deutsche Sprache / Luc<br />

Degla: Sprache schafft Gemeinsamkeit /<br />

Ralph Mocikat: Wie das Vordringen der<br />

Unterrichtssprache Englisch der Landessprache<br />

schadet / Diethold Tietz: Besuch<br />

beim Sprachkünstler Peter Schönhoff /<br />

Werbesprüche für die deutsche Sprache /<br />

Sprachwahrer 2009: Guttenberg, Wickert,<br />

van Gaal gewinnen / Sprachsünder-Ecke:<br />

Justizminister Hamburgs und Nordrhein-<br />

Westfalens / Lienhard Hinz: „Deutsch<br />

– Sprache der Ideen“ / Rolf Zick: Paul-<br />

Josef Raue ist Ehrenmitglied der ADS /<br />

Wettbewerb: <strong>Deutsche</strong> Marken- und Produktnamen<br />

/ Wieland Kurzka: Deutsch<br />

– ein „No go“? / Günter Körner: Der<br />

kleinste gemeinsame Nenner – Sprachkritik<br />

aus naturwissenschaftlicher Sicht (2) /<br />

Wolfgang Hildebrandt: Wein predigen,<br />

Wasser trinken (Anglizismenmuffel)<br />

38<br />

Winter 2009/10<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz: Werben<br />

für die deutsche Sprache / Können<br />

wir die Sprachentwicklung steuern? / Alfredo<br />

Grünberg: Esperanto: Weltsprache<br />

ohne Machtanspruch / Thomas Paulwitz:<br />

Was ist eine Weltsprache? / Klemens<br />

Weilandt: Ein bewegtes Leben /<br />

Günter Körner: Ka Em Ha – Sprachkritik<br />

aus naturwissenschaftlicher Sicht (1)<br />

/ Die deutsche Sprache im Koalitionsvertrag<br />

/ Karin Pfeiffer-Stolz: Eine Irrlehre<br />

– Was „Vereinfachte Ausgangsschrift“<br />

und Rechtschreibreform gemein haben /<br />

Gespräch mit Josef Kraus: Bürgerliche<br />

Revolte gegen den Bildungsabbau / Peter<br />

Fischer: <strong>Deutsche</strong> Zwillingsformeln /<br />

Horst Stein: „Sergejs Schatten“ / Ausgewählte<br />

Beiträge aus dem Schreibwettbewerb<br />

„Schöne deutsche Sprache“ 2009 /<br />

Thomas Paulwitz: Die Kulturhauptstadt<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

Kleid oder Haut?<br />

Was ist uns unsere deutsche Sprache?<br />

Köthener Rede zur deutschen Sprache 2010<br />

Von Hans Joachim Meyer<br />

W<br />

as ist uns unsere deutsche Sprache?<br />

Was ist jedem Menschen<br />

die Sprache, in der er aufwuchs, mit<br />

der er zu denken und zu handeln lernte,<br />

die ihm zur zweiten Natur wurde? Ist<br />

sie nur ein Kleid, das man anzieht, aber<br />

auch wieder ausziehen kann? Können<br />

Sprachen, ob Muttersprache oder<br />

Fremdsprache, Kleider sein, die wir<br />

beliebig wechseln? Oder ist uns unsere<br />

Muttersprache eine zweite Haut,<br />

die wir gar nicht ablegen können, die<br />

mit unserer Persönlichkeit untrennbar<br />

verbunden ist und welche die meisten<br />

von uns auch nicht verbergen können,<br />

soviel Mühe sie sich auch mit fremdsprachigen<br />

Kleidern machen mögen –<br />

seien dies Kleider ihrer Wahl oder vorgegebener<br />

Notwendigkeit? Gewiß: Die<br />

Gegenüberstellung von Kleid und Haut<br />

schmerzt, wenn man die beiden Bilder<br />

ernst nimmt. Manchem mag dies<br />

eine unangemessene Dramatisierung<br />

scheinen. Aber die deutsche Geschichte<br />

zeigt uns in vielen Beispielen, wie<br />

innig die Beziehung zwischen uns und<br />

unserer Sprache ist und wie schmerzlich<br />

wir es empfinden, wenn wir erleben<br />

müssen, daß diese Beziehung uns<br />

oder unserer Umwelt nicht oder nicht<br />

mehr selbstverständlich ist.<br />

Denn auch wenn uns unsere Sprache<br />

ganz zu eigen zu sein scheint, so ist sie<br />

doch ein Eigentum, das wir mit anderen<br />

teilen. Sprache ermöglicht uns ja nicht<br />

nur auszudrücken, was wir selbst mitteilen<br />

wollen. Durch Sprache erfahren<br />

wir auch, was andere empfinden, wollen<br />

und denken. So begründet Sprache<br />

einerseits Gemeinsamkeit mit anderen<br />

und signalisiert Übereinstimmung und<br />

Vertrautheit, sie ist aber andererseits<br />

auch das gemeinsam genutzte Mittel<br />

zum Austragen von Streit. Sprache<br />

vereint und trennt. In seinem Spruchgedicht<br />

„An den Dichter“ hat Friedrich<br />

Schiller beide Wirkungen im Bild der<br />

Liebe versöhnt:<br />

Laß die Sprache dir sein, was der Körper<br />

den Liebenden: Er nur /<br />

Ist’s, der die Wesen trennt und der die<br />

Wesen vereint.<br />

Was Liebe versöhnt, entzweit der Haß.<br />

Das gilt für einzelne Menschen wie<br />

für eine ganze Sprachgemeinschaft.<br />

In der Auseinandersetzung darüber,<br />

was Deutschland und die <strong>Deutsche</strong>n<br />

sind und sein sollen, stoßen wir daher<br />

K<br />

Unsere Arbeit ist abhängig von Ihrer Spende!<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

Stadt- und Kreissparkasse Erlangen<br />

Bankleitzahl 763 500 00<br />

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leben Sie den Sprachverderbern<br />

eine! Unser Anti-SALE-<br />

Aufkleber „Schluß mit dem Ausverkauf<br />

der deutschen Sprache“<br />

ist nach wie vor heißbegehrt. Die<br />

Auflage ist mittlerweile auf 26.000<br />

Stück gestiegen. Mit Hilfe dieses<br />

Aufklebers tragen wir nicht nur unser<br />

Anliegen in die Öffentlichkeit,<br />

sondern gewinnen laufend neue<br />

Leser und Mitstreiter. Bekennen<br />

Sie Farbe und bestellen Sie diesen<br />

kostenlosen Aufkleber!<br />

Verein für Sprachpflege e.V.<br />

Hans Joachim Meyer (rechts) kurz<br />

vor seiner „Rede zur deutschen Sprache“.<br />

Links neben ihm sitzt Köthens<br />

Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander.<br />

Bild: Hildebrandt<br />

auch immer wieder auf den Konflikt<br />

im Anspruch auf die deutsche Sprache.<br />

Wer hat Anteil an der Kultur, die in ihr<br />

Gestalt annimmt? Und wer soll ausgeschlossen<br />

werden? Zwei Tatsachen<br />

sind es, die für die Antwort auf diese<br />

Fragen bedeutsam wurden: Einerseits<br />

war es zunächst die Kultur, welche die<br />

<strong>Deutsche</strong>n zum Bewußtsein einer nationalen<br />

Zusammengehörigkeit führte,<br />

bevor sich die Möglichkeit eines deutschen<br />

Nationalstaates abzuzeichnen<br />

begann und der Wunsch danach lauter<br />

wurde. Führende Persönlichkeiten des<br />

geistigen Lebens sahen lange gerade<br />

in dieser überstaatlichen kulturellen<br />

Zusammengehörigkeit einen Vorzug<br />

der <strong>Deutsche</strong>n. Andererseits gehört es<br />

jedoch zu den Belastungen der deutschen<br />

Geschichte, daß der sich aus der<br />

kulturellen Zusammengehörigkeit entwickelnde<br />

Wunsch nach nationalstaatlicher<br />

Einheit und das Streben nach<br />

bürgerlicher Freiheit schon früh in<br />

Spannung zueinander traten. Zu denken<br />

ist hier an die Widersprüchlichkeit<br />

der Befreiungskriege gegen Napoleon.<br />

Der Gedanke einer deutschen Kulturnation<br />

war maßgeblich geprägt gewesen<br />

von den Idealen freier Persönlichkeitsbildung<br />

und völkerverbindender<br />

Humanität. Aber wenn wir auf jene<br />

politischen Kräfte blicken, welche<br />

dann zunehmend den Weg zum deutschen<br />

Nationalstaat und dessen Selbstverständnis<br />

prägten, dann müssen wir<br />

bekennen: Nicht wenige standen auf<br />

nationalistischen Positionen und verachteten<br />

die westliche Demokratie.<br />

← Bestellschein umseitig!<br />

K<br />

Republik Österreich<br />

Volksbank Salzburg<br />

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Faltblatt<br />

lären Sie Ihre Mitmenschen<br />

auf! Unser Faltblatt „Rettet<br />

die deutsche Sprache!“ findet weiterhin<br />

reißenden Absatz. Gemeinsam<br />

mit Ihnen, liebe Leser, haben<br />

wir Tausende Faltblätter bereits<br />

gezielt verteilt. Bestellen und verbreiten<br />

auch Sie das Faltblatt und<br />

klären Sie über die Sprachpflege<br />

und die DEUTSCHE SPRACH-<br />

WELT auf!<br />

Zugleich beanspruchten sie die deutsche<br />

Geschichte für sich. Das warf<br />

schon früh die Frage auf, wer denn zur<br />

deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft<br />

gehöre und Deutschland geistig<br />

repräsentiere. Für namhafte deutsche<br />

Demokraten wurde so die Frage existentiell,<br />

ob ihnen ihre deutsche Sprache<br />

Haut oder nur Kleid sei. Es gehört<br />

zu den Tragödien der deutschen Geschichte<br />

des 19. und 20. Jahrhunderts,<br />

daß nicht wenige von ihnen sich diese<br />

Frage im Exil stellen mußten. Unter<br />

diesen <strong>Deutsche</strong>n waren viele Juden.<br />

An die traurige und schmerzhafte<br />

Liebe deutscher Demokraten zu ihrer<br />

Sprache will ich heute erinnern.<br />

„Abgespalten vom lebendigen<br />

Strom der Muttersprache“<br />

An erster Stelle sei Heinrich Heine<br />

genannt als literarisch und geistig herausragendes<br />

Beispiel für jene <strong>Deutsche</strong>n,<br />

die im 19. Jahrhundert ihr Land<br />

aus Empörung und Verzweiflung oder<br />

unter Zwang und durch Verfolgung<br />

verließen. Zu Heines Erfahrungen als<br />

Student gehörte der Widerspruch zwischen<br />

der Judenemanzipation als Teil<br />

der von Stein, Hardenberg und anderen<br />

durchgesetzten Reformen und<br />

der zunehmenden Ausgrenzung von<br />

Juden als „undeutsch“, wie sie ihm<br />

bald durch seinen Ausschluß aus studentischen<br />

Verbindungen entgegentrat.<br />

So lebte er in einer ständigen Spannung<br />

zwischen seiner Verachtung für<br />

jene, die sich „nicht aus dem Sumpfe<br />

der Nationalselbstsucht hervorwinden<br />

können, und die nur Deutschland und<br />

die <strong>Deutsche</strong>n lieben“ und andererseits<br />

seiner Sehnsucht nach Deutschland und<br />

seinem Einverständnis mit jenen, die<br />

von dessen freiheitlicher Zukunft träumen;<br />

„ihr Wort wird Saat der Freiheit“,<br />

schrieb er zuversichtlich. Die meisten<br />

von Ihnen werden Heines großes Gedicht<br />

„Deutschland, ein Wintermärchen“<br />

kennen, das beides umschließt:<br />

Seine große, wenn auch oft ironisch<br />

gebrochene Liebe zu Deutschland und<br />

seine spöttischen Angriffe auf die dort<br />

herrschende politische und geistige Reaktion.<br />

Untrennbar verbunden ist dies<br />

mit seiner Liebe zur deutschen Sprache,<br />

die ihn bei seiner Einreise nach<br />

Deutschland fast überwältigt, so daß er<br />

sich dann nur durch eine schneidende<br />

Attacke auf die deutschen Zustände<br />

wieder in den Griff bekommt:<br />

Im traurigen Monat November war’s,<br />

Die Tage wurden trüber,<br />

Der Wind riß von den Bäumen das<br />

Laub,<br />

Da reist ich nach Deutschland hinüber<br />

Und als ich an die Grenze kam,<br />

Da fühlt’ ich ein stärkeres Klopfen<br />

In meiner Brust, ich glaube sogar<br />

Die Augen begannen zu tropfen.<br />

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,<br />

Da ward mir seltsam zumute;<br />

Ich meinte nicht anders, als ob das<br />

Herz<br />

Recht angenehm verblute.<br />

Auch wenn Heine vor den deutschen<br />

Zuständen nach Paris flieht und zeitweise<br />

sogar mit dem Gedanken spielt,<br />

in die Vereinigten Staaten mit ihrer,<br />

wie er sagte, „washingtonschen Freiheit“<br />

auszuwandern, so gibt er seinen<br />

Anspruch auf die deutsche Sprache<br />

dennoch nicht auf. Und niemals werden<br />

ihm die deutschen Dinge gleichgültig.<br />

Bekannt ist sein – trotz seines<br />

Grolls auf die Burschenschaften – im<br />

Vorwort zum „Wintermärchen“ formuliertes<br />

Bekenntnis: „Pflanzt die<br />

schwarz-rot-goldne Fahne auf die<br />

Höhe des deutschen Gedankens, macht<br />

sie zur Standarte des freien Menschentums,<br />

und ich will mein bestes Herzblut<br />

für sie hingeben.“<br />

Aber die Fahne des 1871 gegründeten<br />

Kaiserreiches war nicht Schwarz-Rot-<br />

Gold. Und als nach der Revolution von<br />

1918 eine deutsche Republik mit diesen<br />

Farben entstand, wurde sie im Innern<br />

von einer wachsenden Zahl von Feinden<br />

bekämpft. Und der nationalistische<br />

Anspruch, die deutsche Kultur und damit<br />

auch die deutsche Sprache allein<br />

zu repräsentieren, wurde übermächtig,<br />

blieb jedoch nachdrücklich bestritten<br />

– vor und nach 1933. Für die sich den<br />

Idealen der Freiheit und der Demokratie<br />

verpflichtet fühlenden deutschen<br />

Denker und Künstler will ich hier nur<br />

drei nennen. Gemeinsam ist ihnen, daß<br />

sie Juden waren und daß sie im erzwungenen<br />

Exil starben: Kurt Tucholsky, Joseph<br />

Roth und Bruno Frank.<br />

Der totale Zugriff der verbrecherischen<br />

Diktatur der Nationalsozialisten erstreckte<br />

sich auch auf die Sprache. Zu<br />

erinnern ist hier an die kritische Analy-<br />

se der Lingua Tertii Imperii durch den<br />

als Juden verfolgten Philologen Viktor<br />

Klemperer. Auf die Machtergreifung<br />

folgten bald die Bücherverbrennungen,<br />

der Zugriff auf die Preußische Akademie<br />

der Künste sowie schließlich die<br />

Etablierung einer Reichskulturkammer<br />

und einer Reichsschrifttumskammer<br />

als Teile des Propagandaapparats.<br />

Für die meisten dem System widerstehenden<br />

oder sich verweigernden Dichter<br />

und Schriftsteller bedeutete dies<br />

Verstummen oder Verlust der Freiheit<br />

oder Verlust der Heimat.<br />

So zahlreich wie noch nie zuvor in<br />

der deutschen Geschichte verließen<br />

Künstler und Wissenschaftler das<br />

Land. Nicht zuletzt war es eine Emigration,<br />

welche für die Betroffenen die<br />

lebendige Verbindung mit der eigenen<br />

Sprache unterbrach oder doch stark<br />

einschränkte. Das war ein gravierender<br />

Unterschied zur Emigration des 19.<br />

Jahrhunderts. Durch die nationalsozialistische<br />

Diktatur war die Trennung<br />

vom Leben in Deutschland so radikal,<br />

daß sie die künstlerische und intellektuelle<br />

Existenz zutiefst gefährdete.<br />

Lion Feuchtwanger bekannte damals:<br />

„Da ist zunächst die bittere Erfahrung,<br />

abgespalten zu sein vom lebendigen<br />

Strom der Muttersprache.“<br />

Was der Wechsel der sprachlichen<br />

Umwelt für einen Menschen bedeutet,<br />

dessen Werk mit und durch seine Sprache<br />

lebt, hat Susanne Utsch am Beispiel<br />

der „linguistischen Metamorphose“<br />

von Klaus Mann untersucht. Er,<br />

der sich in Deutschland schon einen<br />

eigenen Namen gemacht hatte, kam in<br />

die USA zunächst nur als Sohn seines<br />

auch dort berühmten Vaters Thomas<br />

Mann. Für einen Erwachsenen ist das<br />

eine demütigende Existenz. Wie seine<br />

Schwester Erika Mann versuchte er<br />

sich zunächst mit englischen Vorträgen.<br />

Und es wird ihm wie ihr gegangen<br />

sein, die über ihre ersten Versuche<br />

auf diesem Gebiet schrieb: „Natürlich<br />

war es peinlich, wenn ich nach dem<br />

durch mein Nachahmungstalent überzeugend<br />

klingenden Vortrag mit Fragen<br />

bombardiert wurde, die ich nicht<br />

verstehen und schon gar nicht beantworten<br />

konnte.“<br />

Es gibt zwei Äußerungen von Klaus<br />

Mann, die man gleichsam als Beginn<br />

und als Ende seiner tragischen Exiler-<br />

deutscht zurück / Sprachsünder-Ecke:<br />

Technische Universität München / Lienhard<br />

Hinz: Die <strong>Deutsche</strong> Welle diskutiert<br />

über Sprachpolitik / Thomas Paulwitz:<br />

Köthener Gespräch über Deutsch<br />

als Wissenschaftssprache / Bautzener<br />

Sprachretter appellieren an die Parteien /<br />

Wettbewerb zur Jagdlyrik / Heinz Böhme:<br />

Gedanken über einen Modegruß / Ein<br />

Baum für die deutsche Sprache / Wolfgang<br />

Hildebrandt: Den Regierenden ein<br />

besseres Deutsch (Anglizismenmuffel)<br />

37<br />

Herbst 2009<br />

Unter anderem: Thomas Paulwitz:<br />

Was haben wir von der neuen Bundesregierung<br />

sprachpolitisch zu erwarten? /<br />

Stephan Elbern: Zweisprachige Erziehung:<br />

ein Erfahrungsbericht / Günther<br />

Zimmermann: Sprechen Sie „Versicherisch“?<br />

/ Wolfgang Hildebrandt:<br />

Die Masche mit den „selbsternannten“<br />

Sprachpflegern / Kurt Reinschke: Unsere<br />

Sprache ist Ausdruck unserer kulturellen<br />

Identität (Rede zur deutschen<br />

Sprache) / Thomas Paulwitz: 2011<br />

kommt die nächste Rechtschreibreform /<br />

Oliver Höher: Peter von Matt gibt Heinrich<br />

Hoffmanns „Struwwelpeter“ heraus<br />

/ Thomas Paulwitz: Deutschlehrer, denen<br />

Englisch lieber ist / Sprachsünder-<br />

Ecke: Kulturhauptstadt Europas – 2010<br />

wird die Ruhr amerikanisch / Rolf Zick:<br />

Die Verantwortung der Presse / Diethold<br />

Tietz: Sprachfest mit den Sorben / Fotowettbewerb<br />

brachte geistreiche deutsche<br />

Werbesprüche ans Licht / Tag der deutschen<br />

Sprache in Straubing / Ein Herz für<br />

die deutsche Sprache / Wolfgang Hildebrandt:<br />

Denglisch als Folge mangelnder<br />

Zivilcourage? (Anglizismenmuffel)<br />

Lieferbar sind auch noch alle früheren Ausgaben. Die Inhaltsverzeichnisse<br />

sämtlicher Ausgaben finden Sie unter<br />

www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/papier/index.shtml.


<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010 Hintergrund<br />

Seite 7<br />

fahrung mit der deutschen Sprache<br />

nehmen kann. Im Jahre 1936 sagte er<br />

mit trotziger Entschlossenheit: „Es ist<br />

meine Sprache, kein Hitler kann sie<br />

mir nehmen.“ Im Jahre 1949 schrieb<br />

er traurig: „Damals hatte ich eine<br />

Sprache, in der ich mich recht flink<br />

auszudrücken vermochte; jetzt stokke<br />

ich in zwei Zungen.<br />

Im Englischen werde<br />

ich wohl nie ganz so<br />

zu Hause sein, wie ich<br />

es im <strong>Deutsche</strong>n war –<br />

aber wohl nicht mehr<br />

recht bin.“<br />

Englisch sprechen,<br />

amerikanisch denken<br />

Wer sich allerdings dem<br />

Sprachverständnis und<br />

dem Sprachverhalten<br />

der deutschen Gegenwart<br />

aussetzt, der kann<br />

dem Eindruck schwerlich<br />

entgehen, daß sich<br />

viele in den Eliten dieses<br />

Landes eilfertig ihrer<br />

deutschen Sprache entledigen, als<br />

wäre sie ein altes und schäbiges Kleid.<br />

Für sie ist es selbstverständlich, daß<br />

die globale Gesellschaft von morgen<br />

englisch spricht und amerikanisch<br />

denkt. Wer meint, zur Elite zu gehören,<br />

schickt seine Kinder selbstverständlich<br />

in solche Kindergärten und Schulen,<br />

in denen nur Englisch gesprochen<br />

wird und die daher als „international“<br />

gelten. Ganz generell wird ja heute<br />

„international“ und „englisch“ gleichgesetzt.<br />

Wenn in Deutschland etwas<br />

als modern, innovativ, modisch oder<br />

kreativ charakterisiert werden soll, so<br />

geschieht dies selbstverständlich fast<br />

nur in Englisch. Es gehört Mut dazu,<br />

dieser Entwicklung zu widersprechen.<br />

Den Mut haben die meisten Menschen<br />

nicht. Denn sie müssen damit rechnen,<br />

als Deutschtümler verlacht, als Ewiggestrige<br />

mißachtet, ja, als Nationalisten<br />

beschimpft zu werden. Gleichgültigkeit<br />

gegenüber der deutschen<br />

Sprache gilt heute vielen als Ausweis<br />

aufgeklärter Weltbürgerlichkeit.<br />

Als selbstverständlich gilt bei uns,<br />

daß, wer dieses Land repräsentiert, sei<br />

dies im Ausland oder im Inland, dies<br />

in Englisch tut. Selbst ausländische<br />

Germanisten erhalten aus Deutschland<br />

amtliche Briefe in Englisch. Daß<br />

in Deutschland Wissenschaft über<br />

deutsche Sprache, deutsche Kultur<br />

oder deutsche Geschichte jedenfalls<br />

in Englisch begutachtet wird, wenn<br />

nicht sogar überhaupt in Englisch zu<br />

erfolgen hat, bedarf nach Meinung<br />

vieler überhaupt keiner Diskussion.<br />

Minister und Botschafter reden mit<br />

oder vor Ausländern in Englisch auch<br />

dann, wenn diese sie in Deutsch angesprochen<br />

haben. Inzwischen hat das ja<br />

auch eine höhere Weihe erhalten. Der<br />

neue Bundespräsident hat sich, wie<br />

von einer überregionalen Zeitung abgebildet<br />

wurde, beim Besuch des Europäischen<br />

Parlaments im Gästebuch<br />

mit einem englischen Satz verewigt.<br />

Wie viele andere europäische Staatsoberhäupter<br />

mag es geben, die das<br />

auch täten?<br />

Nun mag man einwenden, viele würden<br />

Englisch statt Deutsch benutzen,<br />

weil dies unvermeidlich sei. Daran<br />

ist so viel wahr, daß in der Wirtschaft<br />

wie in der Wissenschaft der Gebrauch<br />

des Englischen vielfach durch Entscheidungen<br />

von oben erzwungen<br />

wird. Unternehmer und Manager, die<br />

sich rühmen, international führend zu<br />

sein, behaupten gleichwohl, nur wenn<br />

man sich von Deutsch verabschiede,<br />

könne man erfolgreich agieren. Daß<br />

die Unternehmensfusion des Jürgen<br />

Schrempp vor allem deshalb scheiterte,<br />

weil er die sprachlich-kulturellen<br />

Implikationen seines Projekts negierte,<br />

hat kein Umdenken bewirkt. Auch<br />

daß englische Reklame häufig eher<br />

kontraproduktiv ist, schreckt nicht ab.<br />

Was soll ich zum Beispiel von einer<br />

Firma halten, die sich in deutschen Eisenbahnzügen<br />

mit dem Satz anpreist:<br />

„We enable mobility“? Das ist eine<br />

sinnfreie, weil grammatisch falsche<br />

Verbindung von drei englischen Wörtern.<br />

Wozu jemand oder etwas befähigt<br />

wird, muß mit einem nachfolgenden<br />

Infinitiv angegeben werden. Einen<br />

Sinn erhält dieser Satz erst, wenn man<br />

ihn deutsch denkt. Man kann nur hoffen,<br />

daß in diesem Unternehmen die<br />

fachlichen Leistungen besser sind als<br />

die Englischkenntnisse!<br />

Opfer der Globalisierungsideologie<br />

Viele in Wissenschaft und Hochschulen<br />

sind von ähnlicher Bedenkenlosigkeit.<br />

Offenbar hat sich die Auffassung<br />

durchgesetzt, internationale Sichtbarkeit<br />

hänge nicht so sehr von Leistung<br />

und Erkenntniswert ab als vom Ge-<br />

Zahlreiche Zuschauer verfolgten die Festveranstaltung zum Tag der<br />

deutschen Sprache, darunter auch die Preisträger des diesjährigen<br />

Schülerwettbewerbs der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft. Links<br />

spricht die Vorsitzende Uta Seewald-Heeg. Bild: Hildebrandt<br />

brauch des Englischen. Als Begründung<br />

dient immer wieder die Aussage,<br />

Englisch sei heute nun einmal die Lingua<br />

Franca der Wissenschaft. Den allermeisten<br />

scheint überhaupt nicht klar<br />

zu sein, daß sie damit eher ein Problem<br />

anzeigen als eine Begründung zu liefern.<br />

Denn was ist eine Lingua Franca?<br />

Eine Lingua Franca war nämlich mitnichten,<br />

obwohl dies immer wieder gesagt<br />

wird, das Latein des Mittelalters.<br />

Die Lingua Franca des Mittelalters war<br />

vielmehr ein Mischidiom im östlichen<br />

Mittelmeer, das See- und Kaufleuten<br />

zur primitiven Verständigung diente.<br />

Weil in dieser Sprache italienische<br />

Elemente dominierten, die aus dem<br />

Westen stammten, wo die „Franken“<br />

wohnen, nannte man sie Lingua Franca<br />

– die fränkische Sprache – nicht „freie<br />

Sprache“, wie unlängst ausgerechnet<br />

ein deutscher Germanistikprofessor<br />

meinte. Heute ist Lingua Franca in der<br />

Linguistik die Bezeichnung für eine<br />

grenzüberschreitende Verkehrssprache,<br />

die dem Austausch von Informationen<br />

dient und dafür lediglich ein reduziertes<br />

Inventar sprachlicher Mittel einsetzt.<br />

In diesem Sinne kann man in der Tat<br />

die standardisierten Ausdrucksformen<br />

(natur)wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel<br />

als eine Lingua Franca der<br />

Wissenschaft bezeichnen. Das ändert<br />

aber nichts daran, daß dieses Englisch<br />

eine Sprache der Information ist, aber<br />

keine Sprache der Erkenntnis. Und daß<br />

englischsprachige Wissenschaftler ihr<br />

Englisch natürlich niemals auf die Rolle<br />

einer Lingua Franca reduzieren. Was<br />

soll man also davon halten, wenn der<br />

neu gewählte Präsident der FU Berlin,<br />

übrigens ein Germanist, allen Ernstes<br />

erklärt, in Zukunft sollten in seiner Einrichtung<br />

möglichst viele Studiengänge<br />

in Englisch als der Lingua Franca der<br />

Wissenschaften angeboten werden. Vor<br />

einem solchen Studienniveau kann man<br />

nur eindringlich warnen. Bezeichnend<br />

für das vorherrschende Meinungsklima<br />

ist es, daß eben diese Äußerung<br />

des FU-Präsidenten auf einer seiner<br />

Universität gewidmeten Zeitungsseite<br />

zu finden war, welche die Überschrift<br />

trägt: „Auf in die Harvard-Liga“.<br />

In der Tat: Mit diesem falschen Versprechen<br />

ist Deutschland in die Studienreform<br />

und in die sogenannte Exzellenzinitiative<br />

getrieben worden. So zu<br />

werden wie die USA war bekanntlich<br />

auch die Illusion der gescheiterten<br />

Globalisierungsstrategie maßgeblicher<br />

Kräfte in der deutschen Wirtschaft.<br />

Aber was da anspruchsvoll als neue<br />

„große Erzählung“ daherkommt, erweist<br />

sich bei näherer Betrachtung als<br />

kenntnisarme Ideologie, welche die<br />

Realität verzerrt. Bei solchen Einstellungen<br />

kann es nicht wundern, daß<br />

deutsche Universitäten, die immerhin<br />

zu den ältesten der Welt gehören, „mit<br />

Freudigkeit“, um es mal mit Schillers<br />

frommem Knecht Fridolin zu sagen,<br />

die angeblich international anerkannten<br />

Gradbezeichnungen Bachelor und Master<br />

einführten. Sie fanden auch nichts<br />

dabei, daß sich die Politik dabei auf die<br />

dies angeblich fordernde Bologna-Erklärung<br />

berief. Und dies, obwohl jeder<br />

nachlesen kann, daß diese Behauptung<br />

so schlicht nicht stimmt.<br />

Wenn Menschen freudig und freiwillig<br />

etwas tun, was die Realität ignoriert<br />

und eigentlich sogar ihren Interessen<br />

zuwiderläuft, dann leiden sie an Ideologie.<br />

Das gestörte Verhältnis vieler<br />

<strong>Deutsche</strong>r zu ihrer eigenen Sprache,<br />

die Vorstellung, man könne, ja, man<br />

müsse sich als Amerikaner verkleiden,<br />

zeigt alle Symptome einer ideologischen<br />

Krankheit. Wolf Schneider beschreibt<br />

in seinem lesenwerten Buch<br />

„Speak German!“ seine Erfahrungen<br />

mit angehenden Journalisten: „Deutsch<br />

ist natürlich eine Weltsprache.<br />

Aber als ich<br />

diese Binsenweisheit<br />

1986 dem überwiegend<br />

akademisch gebildeten<br />

Nachwuchs an der HamburgerJournalistenschule<br />

vortrug, wurde ich<br />

ausgelacht und niedergeschrieen:<br />

Deutsch sollte<br />

keine Weltsprache sein!<br />

Sie wollten es nicht, sie<br />

ertrugen es nicht.“<br />

Selbstverleugnung:<br />

„Amerikaner mit<br />

deutschem Paß“<br />

Nun kann man mir entgegenhalten:<br />

Das ist<br />

Scham. Sie schämen sich, <strong>Deutsche</strong> zu<br />

sein. Das ist gewiß zunächst einmal ein<br />

ernstzunehmendes Argument. Meine<br />

Eltern, Jahrgang 1891 und 1900, haben<br />

sich, obwohl sie keine Nationalsozialisten<br />

waren, für Deutschland geschämt.<br />

So ging es vielen ihrer Generation.<br />

Und auch ich, obwohl ich 1945 erst<br />

acht Jahre alt war, habe mich mehr<br />

als einmal in meinem Leben für das<br />

geschämt, was in deutschem Namen<br />

geschehen ist. Etwas ganz anderes ist<br />

jedoch jenes modische und für besonders<br />

kleidsam gehaltene Bußgewand,<br />

das sich jene anlegen, die zu allem, was<br />

deutsch ist oder danach klingt, auf prinzipielle<br />

Distanz gehen, auf daß man sie<br />

mit keinerlei überindividueller Zumutung<br />

belästige. Denn einem Land, das<br />

man nicht achtet und nicht liebt, dem<br />

ist man auch nichts schuldig. Im Gegenteil:<br />

Indem man sich und anderen<br />

pausenlos versichert, etwas anderes zu<br />

sein als die <strong>Deutsche</strong>n, ist man natürlich<br />

auch sofort etwas Besseres. Und<br />

zugleich hat man als Waffe gegenüber<br />

allem Überkommenden, was immer es<br />

auch sei, den Vorwurf zur Hand, dies<br />

seien wieder einmal die Ungeister der<br />

bösen deutschen Vergangenheit. So<br />

wurde in der bundesdeutschen Gesellschaft<br />

der Generalverdacht gegen alles,<br />

was mit Deutschland zusammenhängt,<br />

zu einem Motor des gemeinwohlverachtenden<br />

Individualismus.<br />

Für die nationale Scham wurde die<br />

deutsche Sprache gleichsam zum Sündenbock<br />

gemacht, den man in die Wüste<br />

jagen kann. Die meisten <strong>Deutsche</strong>n,<br />

die, wie ich, erst seit 1990 Bürger der<br />

Bundesrepublik sind, werden in den<br />

vergangenen zwanzig Jahren sicherlich<br />

mindestens einmal einem dieser<br />

westlichen Zeitgenossen<br />

begegnet sein, die einem<br />

erklären, sie seien Bayern,<br />

Rheinländer, Hamburger<br />

oder was weiß ich und natürlich<br />

Europäer, aber eigentlich<br />

keine <strong>Deutsche</strong>n.<br />

Ja, gut, wenn man kein<br />

<strong>Deutsche</strong>r ist, warum soll<br />

einen dann die deutsche<br />

Sprache kümmern. Da ist<br />

man doch besser gleich<br />

Weltbürger. Und als Welt-<br />

bürger erweist man sich<br />

eben, indem man Englisch<br />

spricht. Von jenen,<br />

die sich, wie Thomas Middelhoff, gern<br />

als „Amerikaner mit deutschem Paß“<br />

betrachten, ganz zu schweigen.<br />

Das Versagen der<br />

Sprachwissenschaft<br />

Leider halten es heutzutage auch<br />

nicht wenige Vertreter der Sprachwissenschaft<br />

und ihre Verbündeten<br />

im Feuilleton für einen Ausweis wissenschaftlicher<br />

Sachbezogenheit, die<br />

Bedrohung des <strong>Deutsche</strong>n schlichtweg<br />

zu leugnen und sich über alle, die<br />

ihre Meinung nicht teilen, erhaben zu<br />

dünken. Ihre Argumente sind fast immer<br />

die gleichen. Fremdwörter habe es<br />

schon immer gegeben, sie bereicherten<br />

die Sprache. Und wer das anders<br />

sehe, hänge einem irrationalen und<br />

unwissenschaftlichen Purismus an.<br />

Was sich hier zeigt, ist Unwille oder<br />

Unvermögen, die Wirklichkeit wahrzunehmen.<br />

Gewiß ärgern sich nicht<br />

wenige über ein Übermaß an Anglizismen.<br />

Trotzdem sind Fremdwörter eine<br />

normale Sache und keine Bedrohung,<br />

ja sie können sogar eine Bereicherung<br />

sein. Die eigentliche Gefährdung des<br />

<strong>Deutsche</strong>n liegt vielmehr darin, daß es<br />

ganz unübersehbar aus wichtigen und<br />

einflußreichen Sphären des höheren<br />

Diskurses verdrängt wird – wie jeder<br />

täglich bemerken kann, wenn er nicht<br />

Augen und Ohren verschließt. Wer<br />

heute demonstriert, meint dies unter<br />

englischen Losungen tun zu sollen. Wer<br />

etwas gründet, wofür er auf öffentliche<br />

Unterstützung setzt, erfindet dafür einen<br />

englischen Namen. Daß dies auf<br />

die Vitalität unserer Demokratie und<br />

unserer Bürgergesellschaft nicht ohne<br />

Wirkung bleibt, kann ja wohl niemand<br />

ernsthaft bestreiten. Es geht überhaupt<br />

nicht um den einen oder anderen Begriff<br />

aus dem Englischen, sondern<br />

um die erzwungene und zentral angeordnete<br />

Ersetzung geschichtlich<br />

gewachsener deutscher Begriffs- und<br />

Bezeichnungssysteme durch englische<br />

Begriffe und Bezeichnungen, wie das<br />

inzwischen für das wirtschaftliche und<br />

wissenschaftliche Leben in Deutschland<br />

typisch ist. Es sind alles Symbole<br />

des Abschieds vom <strong>Deutsche</strong>n.<br />

Beliebt ist bei realitätsblinden Germanisten<br />

auch das Argument, die Sprache<br />

entwickle sich autonom und könne darin<br />

nicht beeinflußt werden. So viel ist<br />

wahr, daß dies auf grammatische und<br />

phonetische Entwicklungen zutrifft,<br />

mitnichten aber auf die Entwicklung<br />

der Lexik. Im Gegenteil: Gerade an der<br />

Wortwahl und an der lebendigen Kraft<br />

der Wortbildung läßt sich zeigen, welche<br />

Einstellung die Sprechergemeinschaft<br />

zu ihrer Sprache hat. Ob eine<br />

Sprache stirbt oder weiter lebt, ja, ob<br />

sie wieder aufersteht – das, so zeigen<br />

Vergangenheit und Gegenwart, hängt<br />

vom Willen der Sprechenden und<br />

Schreibenden zum eigenen Wortschatz<br />

ab. Und dieser Wille ist Teil des beeinflußbaren<br />

und veränderbaren öffentlichen<br />

Bewußtseins. Ist dieser Wille<br />

schwach oder gilt eine solche Haltung<br />

als „nicht mehr zeitgemäß“, dann ist<br />

es die Lexik, auf die man als erste verzichtet.<br />

Man ersetzt das Eigene durch<br />

Fremdes, um sich als „modern“ zu präsentieren.<br />

Ganz gewiß ist Englisch eine wunderbare<br />

Sprache – mit Vorteilen und Nachteilen,<br />

wie jede Sprache. Daß sie heute<br />

unstreitig unter den Weltsprachen den<br />

führenden Platz einnimmt, ist ein Ergebnis<br />

der politischen Geschichte,<br />

nicht ihrer sprachlichen Eigenschaften<br />

oder gar Vorzüge. Zwar mag es helfen,<br />

daß sie zunächst leicht zu erlernen<br />

scheint. Sie in ihrem Reichtum zu kennen<br />

und einsetzen zu können, ist dagegen<br />

eine große Herausforderung. Daß<br />

man das, wenn wir <strong>Deutsche</strong>n uns des<br />

Englischen bedienen, ziemlich häufig<br />

bemerkt, liegt in der Natur der Sache.<br />

Ich kann der Versuchung nicht wider-<br />

Die Tanzgruppe des Köthener Ludwiggymnasiums<br />

trat auch in diesem Jahr auf. Bild: Hildebrandt<br />

stehen, als Beleg dafür ein Gedicht von<br />

Carl Zuckmayer zu zitieren, mit dem<br />

dieser 1945 seine sprachliche Situation<br />

wie die der anderen deutschen Emigranten<br />

in englischsprachiger Umgebung<br />

ironisierte, wenn auch nicht ohne<br />

bitteren Unterton:<br />

Jeder denkt, sein Englisch wäre gut,<br />

Wenn er nur den Mund verstellen tut.<br />

Jeder hört so gern die Komplimente,<br />

Daß man es ja gar nicht glauben<br />

könnte:<br />

Die Geläufigkeit in so kurzer Zeit<br />

Und fast frei vom störenden Akzente!<br />

Aber ach, in Deiner stillen Kammer<br />

Spürest Du der Sprachverbannung<br />

Jammer,<br />

Krampfhaft suchend die korrekte<br />

Wendung<br />

Für ‚Beseeltheit‘ und ‚Gefühlsverblendung‘<br />

…<br />

Entscheidend bleibt schließlich die<br />

Frage nach der angemessenen Konsequenz<br />

aus der geschichtlichen Scham<br />

der <strong>Deutsche</strong>n. Ist die richtige Antwort<br />

wirklich eine angebliche Weltoffenheit,<br />

die nicht mehr wissen will, woher sie<br />

kommt? Oder wäre es nicht richtiger,<br />

an der deutschen Freiheits- und Humanitätstradition<br />

festzuhalten, für die<br />

viele im 19. und 20. Jahrhundert gelitten<br />

haben? Und ist nicht diese – von zu<br />

vielen mißachtete – deutsche Freiheits-<br />

und Humanitätstradition die lebendige<br />

geschichtliche Wurzel unserer Demokratie<br />

und zugleich die beste Garantie<br />

wahren Weltbürgertums? Diese Tradition<br />

vereint in sich Selbstfindung und<br />

Selbstbestätigung mit Offenheit für andere<br />

und Lust auf Neues. Davon zeugt<br />

nicht zuletzt die Geschichte der deutschen<br />

Sprache und des Eintretens für<br />

die deutsche Sprache. Die Fruchtbringende<br />

Gesellschaft zu Köthen ist Teil<br />

dieser Geschichte. Weder damals noch<br />

heute ging es darum, über die deutsche<br />

Sprache eine Käseglocke zu stülpen,<br />

wie die Verächter solcher Bemühungen<br />

mit einem mißratenen Bild behaupten.<br />

Wer die Lebenskraft des <strong>Deutsche</strong>n beweisen<br />

wollte, mußte schöpferisch sein<br />

und etwas riskieren. Da verdienen auch<br />

mißglückte Experimente allemal mehr<br />

Respekt als sprachlicher Opportunismus<br />

„à la mode“, der freilich damals<br />

gesellschaftlichen Rückenwind genoß.<br />

Heute scheint die Situation ähnlich und<br />

ist doch anders. Einerseits wirkt das<br />

Englische wie eine uns enteignende<br />

Macht. Andererseits bietet diese Sprache<br />

die Chance zur internationalen<br />

Kommunikation in einer mehrsprachigen<br />

Welt. Für eine globale Gesellschaft<br />

ist sie daher unerläßlich. Zu einer Gefahr<br />

wird sie allerdings dann, wenn<br />

die Menschen sprachliche und kulturelle<br />

Verschiedenheit nicht mehr als<br />

Reichtum wertschätzen, sondern sich<br />

um scheinbarer Vorteile willen selbst<br />

sprachlich und kulturell enteignen. Auf<br />

diesem Weg sind wir <strong>Deutsche</strong>n schon<br />

ein erschreckend weites Stück gegangen.<br />

Es ist Zeit, dies als einen Irrweg<br />

zu erkennen.<br />

Unsere deutsche Muttersprache ist unsere<br />

Haut. Fremdsprachen zu kennen<br />

und sie so tief wie möglich zu verstehen,<br />

ist allemal ein großer Gewinn,<br />

nicht zuletzt für die Beziehung zu unserer<br />

eigenen Sprache. So gut wir aber<br />

auch Fremdsprachen zu beherrschen<br />

lernen – für die meisten von uns bleiben<br />

sie ein mehr oder weniger passendes<br />

Kleid. Auch diese Erfahrung ist eine<br />

völkerumspannende Gemeinsamkeit in<br />

einer zusammenwachsenden Welt, wie<br />

ständig und überall zu hören und zu<br />

lesen ist. Darum kann das Lebensprinzip<br />

und Friedensgesetz unserer bunten<br />

Welt nur die Einheit in der Vielfalt<br />

sein. Das gilt auch für die Sprachen.<br />

Menschen leben in ihrer Haut, und es<br />

gibt viele Hautfarben. Das erfordert<br />

Treue zu sich selbst und Achtung der<br />

anderen. Zugleich bedürfen wir, um<br />

in dieser Welt verträglich zusammen<br />

leben zu können, vieler Kleider. So<br />

gesehen gibt es keinen unüberwindbaren<br />

Gegensatz zwischen den Sprachen<br />

als Haut und als Kleid. Wir sollten uns<br />

jedoch nicht verkleiden und meinen,<br />

dann ein anderer zu sein!<br />

Der Anglist Prof. Dr. Dr. h.c. Hans<br />

Joachim Meyer hielt am 11. September<br />

dieses Jahres die vierte Köthener<br />

„Rede zur deutschen Sprache“. Meyer<br />

war 1990 Wissenschaftsminister der<br />

DDR und von 1990 bis 2002 Sächsischer<br />

Staatsminister für Wissenschaft<br />

und Kunst. Von 1997 bis 2009 war er<br />

Präsident des Zentralkomitees der<br />

<strong>Deutsche</strong>n Katholiken. Wir drucken<br />

hier eine stark gekürzte Fassung der<br />

Rede ab. Der vollständige Text wird in<br />

der Schriftenreihe „Unsere Sprache“<br />

erscheinen, herausgegeben von der<br />

Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft.<br />

Jedes Jahr am Tag der deutschen<br />

Sprache trägt ein bedeutender Sprachfreund<br />

vor der Neuen Fruchtbringenden<br />

Gesellschaft zu Köthen/Anhalt eine<br />

Grundsatzrede vor. 2007 sprach der<br />

Dichter Reiner Kunze, 2008 der Präsident<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Lehrerverbandes,<br />

Josef Kraus, und 2009 Kurt Reinschke,<br />

Vorstandsmitglied des Bundes Freiheit<br />

der Wissenschaft und des Arbeitskreises<br />

Deutsch als Wissenschaftssprache<br />

(ADAWIS). Die Reden sind in DSW 29<br />

(3/2007), DSW 33 (3/2008) und DSW<br />

37 (3/2009) abgedruckt. Wie alle bisherigen<br />

Ausgaben der DEUTSCHEN<br />

SPRACHWELT sind auch diese Nummern<br />

noch lieferbar. Den Bestellschein<br />

finden Sie auf Seite 5.


Seite 8 Besprechungen<br />

Unzuverlässig, fehlerhaft, dürftig<br />

Neues vom Macher des Aldi-Wörterbuchs:<br />

„Deutsch – Biografie einer Sprache“<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

D<br />

ieses Buch von Karl-Heinz<br />

Göttert über die Geschichte der<br />

deutschen Sprache ist mit Vorsicht zu<br />

genießen. Es ist unzuverlässig, fehlerhaft<br />

und einseitig parteiisch. Über<br />

die sprachwissenschaftlichen Mängel<br />

hat Hans-Martin Gauger in der<br />

„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“<br />

das Notwendige geschrieben. Gauger<br />

war wie Göttert und der Verfasser<br />

dieser Zeilen „Experte“ im „Reading<br />

Room“ der F.A.Z. Dieses Diskussionsforum<br />

beschäftigte sich vor zwei<br />

Jahren mit Jutta Limbachs Buch „Hat<br />

die deutsche Sprache eine Zukunft?“<br />

Im Laufe der Diskussion benannte<br />

die F.A.Z. den „Reading Room“ in<br />

„Lesesaal“ um (http://lesesaal.faz.<br />

net/).<br />

Göttert beteiligte sich mit einer Reihe<br />

von Stellungnahmen an den Erörterungen.<br />

Dabei nahm er stets die in<br />

der Sprachwissenschaft so verbreitete<br />

Beliebigkeitshaltung ein: Es ist alles<br />

nicht so schlimm. Die überaus zaghafte<br />

Kritik Limbachs am Zustand der<br />

deutschen Sprache ging ihm schon zu<br />

weit. So sähe Göttert zum Beispiel<br />

keine Schwierigkeit darin, wenn in<br />

der Europäischen Union Englisch als<br />

Einheitssprache eingeführt würde.<br />

Göttert „schwebte vor, als Entgegnung<br />

auf Limbachs Buch ein eigenes<br />

vorzulegen, in dem zu zeigen wäre,<br />

wie sich das <strong>Deutsche</strong> heute unter<br />

den Voraussetzungen der Globalisierung<br />

behaupten könne“, schreibt er<br />

jetzt. Dieses Buch liegt nun vor.<br />

Gauger hat die sprachwissenschaftlichen<br />

Schwächen des Buches schon<br />

dargelegt. Es ist zu sehr Literaturgeschichte,<br />

zu wenig Sprachgeschichte.<br />

Die Abschnittsüberschriften verwirren<br />

eher: „Lippe, Blutgeld und holdselige<br />

Maria“ etwa, oder „Hörspiel<br />

mit Würsten, Käse und sehr viel<br />

Alkohol“ oder „Viel Arbeit und ein<br />

großer Beschiß“. Erklärende Unterüberschriften<br />

fehlen. „Das eigentliche<br />

Problem ist aber“, stellt Gauger<br />

fest, „daß, was an Information gegeben<br />

wird, immer wieder eindeutig<br />

nicht richtig ist und die Unrichtigkeiten<br />

im Fortgang zunehmen.“ Ein vernichtendes<br />

Urteil, das jedoch völlig<br />

richtig ist; etwa, wenn Göttert den<br />

Beginn der französischen Sprachpolitik<br />

nicht, wie es eigentlich gewesen<br />

ist, der Französischen Revolution zuschreibt,<br />

sondern dem französischen<br />

Königtum des 15. Jahrhunderts; oder<br />

wenn er bei den Straßburger Eiden<br />

842 durcheinanderbringt, welcher<br />

König in welcher Sprache schwor.<br />

Doch auch ohne Gaugers Vorwarnungen<br />

stellt sich schnell heraus, wie<br />

dürftig dieses Buch ist. Unfreiwillig<br />

lächerlich macht sich Göttert, wenn<br />

er für das Übermaß französischer<br />

Fremdwörter, das im 19. Jahrhundert<br />

herrschte, den Französischunterricht<br />

an Gymnasien verantwortlich macht.<br />

Das wäre so, als ob jemand behauptete,<br />

zu viel Englischunterricht sei heute<br />

am „Service Point“ der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Bahn schuld. Dabei ist das prahlerische<br />

Verwenden von Modewörtern<br />

alles andere als ein Zeichen von Bildung.<br />

Fremdwortkritik tut Göttert jedoch<br />

als „Unsinn“ ab. Dahinter stecke<br />

doch bloß „Fremdenangst“. Sein<br />

Haß auf den „Nationalismus“ der<br />

Sprachvereine des 19. Jahrhunderts<br />

ist offenbar so groß, daß er nicht nur<br />

allen Ernstes die Verhaftung Friedrich<br />

Ludwig Jahns durch Metternich<br />

verteidigt, sondern auch die zahlreichen<br />

Sprachvereine von heute mit<br />

keiner Silbe erwähnt. Es gelingt ihm<br />

das Kunststück, über Anglizismenkritik<br />

zu schreiben, ohne die Kritiker<br />

zu erwähnen. Seine Begründung für<br />

die derzeitige Verdrängung deutscher<br />

Wörter ist haarsträubend und verharmlosend:<br />

„Die deutsche Sprache<br />

war lange Zeit künstlich von der internationalen<br />

Entwicklung ferngehalten<br />

worden und holt nun nach, was<br />

andernorts bereits Realität ist.“<br />

Was Göttert zur Rechtschreibreform<br />

schreibt, grenzt an Geschichtsklitterung.<br />

Nicht die Duden-Redaktion hat<br />

die Reform durchgesetzt, wie er behauptet,<br />

sondern die Kultusministerkonferenz.<br />

Während er die „<strong>Deutsche</strong><br />

Akademie für Sprache und Dichtung“,<br />

die er fälschlicherweise unter<br />

das Dach des <strong>Deutsche</strong>n Sprachrats<br />

stellt, über den grünen Klee lobt, verschweigt<br />

er völlig den Widerstand<br />

der organisierten Gegner der Rechtschreibreform.<br />

Diese Ahnungslosigkeit ist erstaunlich,<br />

hat sich Göttert doch selbst,<br />

obzwar nur Literaturwissenschaftler,<br />

eingehend mit der Reform beschäftigt.<br />

So hat er ein eigenes, über<br />

eintausend Seiten starkes „Neues<br />

<strong>Deutsche</strong>s Wörterbuch“ herausgegeben,<br />

das die Reformschreibungen<br />

„weiter gehend“ erläutert, wie auf<br />

dem Schutzumschlag zu lesen ist; ein<br />

Buch, das in hoher Auflage mit einem<br />

Kampfpreis von 4,99 Euro über<br />

Aldi vertrieben wurde. Jetzt ist klar,<br />

warum er der Duden-Redaktion den<br />

Schwarzen Peter zuschieben will.<br />

Göttert verantwortet ein Wörterbuch,<br />

das dem Duden Marktanteile streitig<br />

macht.<br />

Alles in allem handelt es sich um<br />

eine leider allzu lässig hingeschluderte<br />

Arbeit: Göttert hat schlampig<br />

recherchiert und sich wohl eher durch<br />

Hörensagen unterrichtet. Aus diesem<br />

schönen Thema hätte man mehr machen<br />

können. Schade!<br />

Karl-Heinz Göttert: Deutsch – Biografie<br />

einer Sprache, Ullstein, Berlin<br />

2010, 400 Seiten, 19,95 Euro.<br />

Time to make Tennis<br />

Eine neue deutsche Tenniszeitschrift<br />

schwelgt in Anglizismen<br />

Von Ernst Jordan<br />

G<br />

anz artig – wie es eigentlich<br />

immer seine Art war – dankt er<br />

für das „durchgehend sehr positive<br />

Feedback“, das er als Herausgeber des<br />

neusten deutschen Tennismagazins<br />

erfahren habe – der Carl-Uwe „Charly“<br />

Steeb, einst der eher unauffällige,<br />

nichtsdestoweniger erfolgreiche deutsche<br />

Daviscup-Spieler im Schatten<br />

der Größen Boris Becker und Michael<br />

Stich. „Tennis ist wieder im Aufwind“<br />

lautet denn auch die frohe Botschaft<br />

in der ersten Ausgabe seiner neuen<br />

„Tennis Times International“, und das<br />

wirft gleich zwei Fragen auf: „Im Aufwind“?<br />

Ja, aber wo denn? Und zum<br />

zweiten: eine deutsche „Zeitung für<br />

Tennis und Tenniskultur“ und gleich<br />

ein Inhaltsverzeichnis (auf Seite 3), in<br />

dem die Bezeichnungen der neun Kapitel<br />

nicht ein einziges deutsches Wort<br />

mehr brauchen? „Editorial“, „News-<br />

Break“, „Tennis Times Talk“, „Glam<br />

Slam“, „Tennis Times Legends“, „Best<br />

of Five“, „Team Germany“ (!), „Clubbing“<br />

und „Tennis Times National“<br />

(einschließlich „Short News“).<br />

Doch, da entsteht der Eindruck, wir<br />

spielten international ganz groß mit.<br />

Zumindest sprachlich – ganz Lingua<br />

Franca. Aber auf der „Tour“, auf den<br />

„Courts“ und in den „Finals“? Unser<br />

Allerbester ist Philipp Kohlschreiber<br />

auf Platz 32 im „ATP-Ranking“,<br />

und unsere Allerbeste, die gebürtige<br />

Bosnierin Andrea Petkovic, „rankt“<br />

bei der Women’s Tennis Association<br />

(WTA) auf Nummer 35 (Stand: 27.<br />

September 2010). Der ehemals beste<br />

deutsche Spieler Tommy Haas geht<br />

inzwischen für die Vereinigten Staaten<br />

auf den Tennisplatz.<br />

Wir sind natürlich ein bißchen verwöhnt<br />

„im nörgelnden Deutschland“,<br />

wie es auf Seite 20 der ersten Ausgabe<br />

von 2009 heißt. (In diesem Fall paßt<br />

der Redaktion das Wort „Germany“<br />

nicht.) Aber wir sind auch Realisten.<br />

Da sind in dieser neuen „Times“ zwar<br />

etliche Seiten, die Jörg Allmeroth<br />

wirklich fleißig zusammenschreibt,<br />

mit Hoffnung gefüllt, aber unter dem<br />

Strich trösten die „Top five Nations“-<br />

Plazierungen im „Top 100 Singles<br />

Ranking“ nicht darüber hinweg, daß<br />

gegenwärtig allenfalls Masse, jedenfalls<br />

kaum Klasse das deutsche Tennis<br />

bestimmt. So prägt denn auch mehr<br />

Rück- als Vorausschau diese neue<br />

„Times“ (sprich: Nostalgie): Endlich<br />

erfahren wir über John McEnroe<br />

(„The Legend of Big Mäc“), was wir<br />

alle noch nicht wußten: daß es (ihm)<br />

„schon mal passiert, daß ich zornig<br />

werde“. Unter den „John McEnroe<br />

Facts“ zählt „Tennis Times“ auch seine<br />

Preisgelder auf, akkurat in amerikanischer<br />

Schreibweise mit dem US-<br />

Komma: „US$ 12,539,622“. Dazu<br />

gehörte eigentlich die Geburtstagsangabe<br />

„February, 16, 1959“, aber da<br />

zögert unsere neue deutsche „Times“<br />

doch noch. Dafür erfahren wir aber,<br />

was „Clubbing“ ist. Das wird sich die<br />

Duden-Redaktion sicher nicht entgehen<br />

lassen, die das Wort bisher noch<br />

nicht im Rechtschreibwörterbuch verzeichnet<br />

hat.<br />

Irgendwie paßt das „Schluß-Cover“<br />

zum Gesamtkonzept: unser aller Boris,<br />

wie wir ihn inzwischen nur noch kennen.<br />

Das unvermeidliche Bierglas hält<br />

er in der „Spielhand rechts“ vor der<br />

Haupttribüne (voller Flaschen) in DIN<br />

A3: „Große Momente kann man immer<br />

wieder genießen“. Ein „Tennis“-<br />

Schluß in deutscher Sprache. Na also.<br />

Tennis Times International – die<br />

Zeitung für Tennisbegeisterte, Charlysteeb<br />

GmbH, Stuttgart.<br />

Anzeigen DIE 'Frucht' von Adam und Eva ist<br />

Habgier – ihre Erbin Konsum. ALLEs<br />

spricht imME(H)R bloss Habgier an.<br />

Wegweiser aus dem Labyrinth der Gier<br />

sind die Broschüren im 3er Paket für<br />

25,- Euro frei Haus in Deutschland –<br />

Preise fürs Ausland bitte anfragen:<br />

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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

„Die englische Verdrengung“<br />

Ein Frankokanadier kämpft gegen die Vorherrschaft<br />

des Englischen<br />

Von Walter Krämer<br />

E<br />

s gibt neutrale Sachbücher, parteiische<br />

Polemiken und politische<br />

Kampfschriften. Dieses Buch von<br />

Michel Brûlé ist alles drei. Der Autor<br />

von „Die englische Verdrengung“ ist<br />

Frankokanadier und arbeitet als Autor<br />

und Verleger in Montreal. Und wie es<br />

sich für alle echten Frankokanadier zu<br />

gehören scheint, hat sich in ihm ein<br />

gehöriger Frust gegen die arrogante<br />

Selbstverständlichkeit gestaut, mit der<br />

englische Muttersprachler weltweit im<br />

allgemeinen und im kanadischen Quebec<br />

im besonderen die Dominanz ihrer<br />

Sprache als sozusagen gottgegeben und<br />

selbstverständlich anzusehen pflegen.<br />

So existiert etwa nach Brûlé die angebliche<br />

Zweisprachigkeit in seiner<br />

Heimat nur auf dem Papier – von Frankokanadiern<br />

erwarte man, daß sie Englisch<br />

können, aber englische Muttersprachler<br />

sprächen kein Französisch.<br />

Hier wie anderswo erwarten sie, wie<br />

Brulé an zahlreichen Beispielen nachweist,<br />

daß man sich ihnen anpaßt. Oder<br />

kann man sich irgendeine renommierte<br />

Universität vorstellen, die von ihren<br />

Studenten nicht die Kenntnisse einer<br />

Fremdsprache verlangte? Im englischen<br />

Cambridge wurde diese Bedingung<br />

vor kurzem abgeschafft.<br />

Zu den weiteren von Brûlé aufgeführten<br />

Indizien für diesen Dünkel gehören<br />

auch die Weigerung vieler Angelsachsen,<br />

das metrische System zu nutzen,<br />

die fast schon automatische Gleichsetzung<br />

USA gleich Amerika oder<br />

die Unterdrückung frankokanadischer<br />

Leistungen bei der Besiedlung Nordamerikas.<br />

So melden etwa fast alle englischsprachigen<br />

Lexika das US-amerikanische<br />

Jamestown als die älteste Stadt des<br />

nordamerikanischen Kontinents, während<br />

in Wahrheit der Franzose Samuel<br />

de Champlain schon Jahre früher das<br />

im heutigen Kanada gelegene Port<br />

Royal gegründet hatte. Erinnert das<br />

nicht ein wenig an den bekannten Ausspruch<br />

von Barack Obama anläßlich<br />

seiner Rettung von General Motors<br />

Anfang 2008: „Amerika kann es sich<br />

nicht leisten, die Automobilindustrie<br />

aufzugeben, das Land, in dem das Automobil<br />

erfunden wurde.“<br />

Erfunden wurde das Automobil natürlich,<br />

wie es jeder außerhalb Amerikas<br />

Gutes Deutsch für gute Uhren<br />

ertarbeit und deutsche Spra-<br />

W che, das paßt gut zusammen;<br />

wie zum Beispiel beim Spezialuhrenhersteller<br />

„Sinn“. Bester Beweis ist<br />

das neue Katalogbuch 2010/2011, das<br />

auf Imponierdenglisch und reformierte<br />

Rechtschreibung bewußt verzichtet.<br />

Der Stil der Produktbeschreibungen ist<br />

sachlich, aber von großer Liebe zum<br />

technischen Detail geprägt – ein Lesegenuß<br />

auch für den technikinteressierten<br />

Laien. Die Texte erinnern ein wenig<br />

an die schönen Schilderungen im<br />

Katalog des Versandhändlers „Manufactum“.<br />

– Das ist sicher kein Zufall.<br />

„Sinn“ ist eine Ingenieursmarke, eine<br />

technologische Uhrenmarke. Langlebigkeit,<br />

Robustheit, Genauigkeit, sowie<br />

der Verzicht auf modischen Schnickschnack<br />

haben für den Firmeninhaber<br />

Silvia mag Fraktur<br />

… und Sie?<br />

weiß, in Mannheim von Carl Benz (und<br />

kurz darauf und unabhängig davon von<br />

Gottlieb Daimler in Stuttgart). Bei so<br />

viel Arroganz und Ignoranz kann man es<br />

verstehen, wenn ein in seinem Stolz verletzter<br />

Frankokanadier wie Brûlé einmal<br />

laut und deutlich sagt: „Auf einen groben<br />

Klotz gehört ein grober Keil.“<br />

Und dieser Keil ist in der Tat sehr grob.<br />

„Angesichts dessen, was ich über die<br />

Geschichte der Menschheit weiß, kann<br />

ich behaupten, daß die Engländer und<br />

die US-Amerikaner die beschränktesten<br />

und egozentrischsten Völker<br />

sind, die es je gab!“ Das ist starker<br />

Tobak. Und auch an anderen Stellen<br />

spart Brûlé nicht mit Schlägen unter<br />

die Gürtellinie: „Die US-Amerikaner<br />

und englischen Kanadier sprechen wie<br />

kläffende Hunde und die Briten wie<br />

zischende Schlangen.“<br />

Was sich hier Bahn bricht, ist offenbar<br />

eine Reaktion auf Demütigungen<br />

und intellektuelle Mißhandlungen, die<br />

Brûlé als Frankokanadier von seinen<br />

englisch sprechenden Landsleuten in<br />

seiner Kindheit und während seines<br />

Studiums erdulden mußte, und die er<br />

auch im Buch ausführlich nacherzählt.<br />

Im französischen Original heißt das<br />

Buch „Anglaid“. Das ist ein Kunstwort<br />

aus den Bestandteilen „Anglais“<br />

(Englisch) und „laid“ (häßlich). Daß<br />

Brulé diese beiden Wörter fast schon<br />

reflexhaft zusammenzieht, ist nach<br />

seinen Erfahrungen kaum verwunderlich.<br />

Nicht direkt beteiligte Zeitgenossen<br />

müssen diesen Reflex nicht teilen,<br />

finden hier aber dennoch eine große<br />

Menge wissenswerter Fakten, die<br />

ohne das Buch von Brûlé wohl nie eine<br />

Chance gehabt hätten, in der politisch<br />

korrekten deutschen Medienlandschaft<br />

präsentiert zu werden. Nicht umsonst<br />

hat daher die Provinzregierung von<br />

Quebec die deutsche Übersetzung des<br />

Buches großzügig unterstützt.<br />

Prof. Dr. Walter Krämer ist Vorsitzender<br />

des Vereins <strong>Deutsche</strong> Sprache.<br />

Michel Brûlé: Die englische Verdrengung.<br />

Anglaid – eine Polemik<br />

aus Kanada über eine Herrschaftssprache,<br />

IFB-Verlag <strong>Deutsche</strong> Sprache,<br />

Paderborn 2010, 181 Seiten,<br />

14,20 Euro. Übersetzung aus dem<br />

Französischen: Kurt Gawlitta.<br />

Lothar Schmidt, einen Diplomingenieur,<br />

völligen Vorrang. Die Uhren warten<br />

allein mit technischen Merkmalen<br />

auf, die sinnvoll sind. Schmidt umschreibt<br />

es so: „Produkte müssen für<br />

sich selbst sprechen.“ „Sinn“ hat zum<br />

Beispiel im Magnetfeldschutz und in<br />

der Kratzfestigkeit Maßstäbe gesetzt.<br />

Nicht ohne Grund setzen Menschen<br />

auf „Sinn“-Uhren, die sich unbedingt<br />

auf ihren Zeitmesser verlassen müssen,<br />

wie beispielsweise Piloten, Taucher<br />

oder die Eliteeinheit GSG 9. Im<br />

Inland werden die Uhren ausschließlich<br />

ab Fabrik und über ausgewählte<br />

Depots vermarktet. (dsw)<br />

Sinn Spezialuhren GmbH: Das Katalogbuch<br />

2010/2011, Im Füldchen 5-7,<br />

D-60489 Frankfurt am Main, 215 Seiten.<br />

www.sinn.de<br />

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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

Literatur<br />

Wie schreibt man eine Anti-Sprachschutz-Glosse?<br />

Kleine Anleitung für den fortschrittlichen Sprachbeobachter, der stets über den Dingen steht<br />

Von Thomas Paulwitz<br />

D<br />

ie deutsche Sprache ist in der<br />

Obhut eines erlesenen Kreises<br />

von Sprachwissenschaftlern. Diese<br />

beobachten in aller Stille den „Sprachwandel“<br />

und wollen dabei möglichst<br />

ungestört bleiben. Hierbei sind sie eine<br />

friedliche Symbiose mit Sprachverhunzern<br />

eingegangen, die ebenso ungestört<br />

sein wollen, um die Sprache zu<br />

ihrem Nutzen zu prägen. Denn manche<br />

Sprachverderber wollen die <strong>Deutsche</strong>n<br />

offenbar zu Konsumtrotteln erziehen,<br />

die alles kaufen, worauf „Sale“,<br />

„Event“ oder „Fun“ steht.<br />

Die Sprachbeobachter wiederum stehen<br />

lediglich staunend daneben, bewundern<br />

diesen „Sprachwandel“ und<br />

verzeichnen ihn fleißig in ihren Notizbüchern,<br />

womit sie ihre Arbeit als<br />

erledigt ansehen. Doch diese Idylle ist<br />

gefährdet. Immer mehr Bürger wollen<br />

sich nicht bevormunden lassen. Sie finden,<br />

daß etwas für die deutsche Sprache<br />

getan werden muß. Sie wagen es<br />

mitzureden und den Frieden zu stören.<br />

Das Volk von der Sprache fernhalten<br />

Um dieser für die Sprachbeobachter<br />

unangenehmen Entwicklung entgegenzuwirken,<br />

muß die veröffentlichte<br />

Meinung wieder stärker verbreiten,<br />

daß das Volk in Wirklichkeit keine<br />

Ahnung von der deutschen Sprache<br />

hat. Als besonders wirksam hat sich<br />

das Verfassen von Anti-Sprachschutz-<br />

Glossen erwiesen, mit denen Sprach-<br />

V<br />

ergessen ist heute ein erbitterter<br />

Widersacher Goethes: Der Literaturkritiker<br />

Garlieb Helwig Merkel<br />

(1769 bis 1850) tadelte in scharfen Polemiken<br />

Johann Wolfgang von Goethe<br />

und die Dichter der Romantik. Zu diesem<br />

Zwecke gab Merkel zusammen mit<br />

dem Dramatiker August von Kotzebue<br />

nach 1800 die Zeitschrift „Der Freymüthige“<br />

heraus. Kotzebues Ermordung<br />

durch den Burschenschafter Karl<br />

Ludwig Sand 1819 löste die Karlsbader<br />

Beschlüsse aus, welche die Meinungsfreiheit<br />

empfindlich einschränkten.<br />

Einer läßt sich nicht den Mund verbieten,<br />

während Kotzebue und sein Mörder<br />

Sand längst friedlich nebeneinander<br />

auf dem Mannheimer Hauptfriedhof<br />

ruhen: Merkel ist wieder da; und zwar<br />

in der Gestalt Günter B. Merkels, der in<br />

der Nähe Mannheims wohnt. Weder historische<br />

noch zeitgenössische Dichter<br />

verschont er: „Gernhardt reimte ohne<br />

Sinn / Und unrein – aber immerhin …<br />

/ Er ist berühmt, anstatt begnadet, was<br />

seinem Ruf – bisher – nicht schadet.“<br />

schreibt Merkel neben ein Gedicht<br />

Robert Gernhardts. Selbst vor Goethe<br />

macht er nicht halt: „Über den Gipfeln<br />

ist keine Ruh. / Diese UnRuh spürest<br />

Du / Tag und Nacht und immerzu […].<br />

Selbst Vogel-Nerven liegen blank, /<br />

Dank Lärm und Kerosin-GesTank.<br />

/ Und die Elster krächzt im Wipfel: /<br />

Dieser Fluglärm ist der Gipfel!“<br />

Mit Merkelstolz vor Dichterthronen<br />

setzt der heute 67jährige Merkel die<br />

Kritik seines historischen Namensvetters<br />

fort. Mit den satirischen „Gegengedichten“<br />

fand er eine einzigartige<br />

lyrische Form, präzise verfaßt mit reinem<br />

Endreim und genau gegliedert in<br />

Kurz- und Langvers. So verwundert es<br />

nicht, daß die Anhänger Merkels ihm<br />

bereits den Titel „Reimkanzler“ antrugen.<br />

Dabei hatte ihn einst die <strong>Deutsche</strong><br />

Journalistenschule als untalentiert abgewiesen.<br />

Nun hat er binnen fünf Jahren<br />

acht kurzweilige Bücher – davon<br />

ein Hörbuch – herausgebracht. Die<br />

letzten vier Bücher illustrierte Dietrich<br />

Gondosch. Dieser Nachfahre Friedrich<br />

Schillers lebt als Zeichner in einem<br />

Stadtmauerturm der freien Reichsstadt<br />

Billigheim. Inzwischen liegt das neunte<br />

Buch vor: „Goethe – ungeschminkt.<br />

Vernichtendes über Werk und Charakter<br />

eines Gecken“.<br />

Wer ist dieser Mann, der auszieht, die<br />

Dichtergrößen zu verspotten, um nichts<br />

weniger als „DIE ANTWORT auf die<br />

Dichtkunst der vergangenen 200 Jahre“<br />

zu geben? Er sei „Vegetarier, aber kein<br />

Kostverächter, Pessimist, aber trotzdem<br />

verheiratet“, sagt er von sich. Als<br />

ihn die Journalistenschule nicht wollte,<br />

freunde verhöhnt und verspottet<br />

werden. Vor zehn Jahren waren sie<br />

hierzulande noch gang und gäbe, heute<br />

scheinen sie aber vom Aussterben<br />

bedroht zu sein.<br />

Doch gibt es in der jüngsten Vergangenheit<br />

hoffnungsvolle Versuche, diese<br />

versunken geglaubte Tradition wieder<br />

aufleben zu lassen. Um der gestiegenen<br />

Nachfrage Rechnung zu tragen,<br />

haben wir eine kurze Anleitung zum<br />

Schreiben einer Anti-Sprachschutz-<br />

Glosse entwickelt. Sie besteht im wesentlichen<br />

aus zwei Schritten. Erstens<br />

gilt es, die Sprachschützer lächerlich<br />

zu machen. Zweitens muß der Verfasser<br />

sich selbst unangreifbar machen.<br />

Letztlich geht es darum, eine Diskussion<br />

geschickt zu verhindern.<br />

Dieses Vorgehen hört sich zunächst<br />

ganz einleuchtend an und läßt sich<br />

gewiß auch erfolgreich auf andere<br />

Auseinandersetzungen anwenden.<br />

Es ist ein bewährtes Mittel der Herrschenden:<br />

Jeden, der die gegenwärtige<br />

Ordnung in Frage stellt, kann man<br />

auf diese Weise mundtot machen. Wie<br />

soll jedoch der ambitionierte Verfasser<br />

diese Schritte am besten ins Werk<br />

setzen? Als Hilfestellung bieten wir<br />

aus diesem Grund eine weitergehende<br />

Anleitung mit Beispielen, die sich in<br />

der Vergangenheit schon des öfteren<br />

bewährt haben. Alle Zitate, die nun folgen,<br />

sind echt und haben sich bereits in<br />

Anti-Sprachschutz-Glossen bewährt.<br />

Anzeigen<br />

Die Sprachschützer<br />

lächerlich machen<br />

Schritt 1 ist also, den Sprachschützer<br />

lächerlich zu machen und seine Satisfaktionsfähigkeit<br />

in Frage zu stellen.<br />

Schließlich befindet man sich nicht auf<br />

gleicher Augenhöhe. Zunächst einmal<br />

spricht man dem Sprachschützer folglich<br />

den Sachverstand ab, schließlich<br />

ist er kein staatlich geprüfter Sprachbeobachter.<br />

Hilfreich ist dabei, ihn als<br />

„selbsternannt“ zu bezeichnen und darauf<br />

hinzuweisen, daß er „ohne fachlichen<br />

Hintergrund“ sei. Ein Glanzstück<br />

ist zum Beispiel der folgende Satz:<br />

„Selbsternannte Sprachschützer zeichnen<br />

sich nicht selten durch ein gestörtes<br />

Verhältnis zur deutschen Sprache aus.“<br />

Damit ist ein weiteres Mittel ins Spiel<br />

gebracht. Ratsam ist es nämlich, bei<br />

den Sprachschützern charakterliche<br />

Mängel, ja sogar „Fehlfunktionen“<br />

zu diagnostizieren. Sie „nörgeln“ und<br />

„jammern“, sind „besserwisserisch“<br />

und „kulturpessimistisch“. Sie besitzen<br />

ein „Gefühl von Minderwertigkeit<br />

und Trotz“ und haben eine „pöbelhafte<br />

Lust am Vergröbern, am Denunzieren<br />

und Herabsetzen“. Nicht zuletzt<br />

sprechen sie ein „Altertümeldeutsch“,<br />

während sie auf „Hexenjagd“ gegen<br />

Anglizismen gehen.<br />

So kann man Sprachschützer wirkungsvoll<br />

als nicht ernst zu nehmende<br />

Randgruppe abstempeln: „Da nörgeln<br />

sie also an der angeblich verfallenden<br />

deutschen Sprache herum, die ‚alten<br />

Männer‘ mit erhobenem Zeigefinger.“<br />

Als allerletztes Mittel bleibt dann<br />

noch, die Sprachschützer als Ewiggestrige<br />

in die rechte Ecke zu stellen.<br />

Zu den schwächeren Versuchen gehört<br />

dabei noch die Vermutung, daß<br />

der Vorschlag, statt „Public Viewing“<br />

auch einmal „Rudelgucken“ zu sagen,<br />

„wohl keine Reminiszenz an den<br />

Jagdflieger Hans-Ulrich Rudel ist“.<br />

Ein Volltreffer hingegen ist der Ansatz,<br />

den Sprachschützer auf eine Ebene mit<br />

Massenmördern zu stellen: „Das weiß<br />

man aus der deutschen Vergangenheit,<br />

in der Fremdwörter ausgemerzt wurden<br />

wie Menschen.“<br />

Die eigene Überlegenheit betonen<br />

Ist der Sprachschützer auf diese Weise<br />

in Mißkredit gebracht, folgt Schritt 2:<br />

die Absicherung des eigenen Standpunkts.<br />

Das geschieht selbstverständlich<br />

nicht mit Hilfe von klugen<br />

Begründungen, sondern indem man<br />

seine eigene Überlegenheit hervorhebt.<br />

Während die anderen nörgeln und unter<br />

charakterlichen Mängeln leiden, ruht<br />

man selbst völlig in sich und pflegt einen<br />

„unaufgeregten Umgang mit dem<br />

Sprachwandel“.<br />

Man ist angetreten, um zur „Versachlichung“<br />

beizutragen. Daher ist es an<br />

der Zeit, den Mantra der unfehlbaren<br />

Sprachbeobachter anzustimmen und<br />

Goethes später Gegenspieler<br />

„Reimkanzler“ Merkel rettet den reinen Reim<br />

studierte er Musik, und er gründete als<br />

30jähriger den Musikverlag SWP, der<br />

deutsche Rockmusiker unter Vertrag<br />

nahm. 1992 gab er den Verlag ab.<br />

Heute lebt er zurückgezogen im Odenwald,<br />

inmitten einer malerischen Landschaft,<br />

„weitsichtig, aber kaum fernsehend“.<br />

Dennoch war es gut, daß er den<br />

Fernseher vor zehn Jahren doch einmal<br />

einschaltete. Es lief eine Sendung<br />

über den Komiker und Dichter Heinz<br />

Erhardt, einen Meister der Wortspiele<br />

und verdrehten Redewendungen. „Das<br />

kann ich auch“, sagte sich Merkel –<br />

lange vor Barack Obamas „Yes, we<br />

can“ – und setzte sich ans Werk.<br />

Und er kann es tatsächlich. Trotz freiwilliger<br />

Selbstbeschränkung auf den<br />

reinen Reim sprühen seine Gedichte<br />

vor Witz. Seit seiner Berufung zum<br />

Dichter schreibt er jedes Jahr durchschnittlich<br />

2.000 Zweizeiler, Gedichte,<br />

Essays. Dem genialen Verseschmied<br />

gelingt ein kleines Meisterwerk nach<br />

dem anderen, zum Beispiel: „Was mäkelt<br />

ihr am Stroh herum? / Nicht das<br />

Stroh, der Mensch ist dumm!“ Oder:<br />

„Ihr könnt machen, was ihr wollt, /<br />

Sofern ihr das tut, was ihr sollt!“ Und:<br />

„Der Seitensprung – ein Sprung zur<br />

Seite – / Erst sucht man Liebe, dann<br />

das Weite.“<br />

Seine Vorbilder sind Heinz Erhardt,<br />

Wilhelm Busch, Joachim Ringelnatz,<br />

Erich Kästner oder Eugen Roth. Daß<br />

diese Größen heute nicht mehr angesagt<br />

sind, bedauert er. „Ob Kästner, Erhardt,<br />

Eugen Roth; / Sie sind im Grunde<br />

doppelt tot, / Denn Jurys mögen nur<br />

noch Prosa / Von der linken Haus-Frau<br />

Rosa / Und von fremden Licht-Gestalten,<br />

/ Die Roth für eine Farbe halten. /<br />

Ringelnatz und Busch – längst stumm<br />

– / Drehen sich im Grab herum!“ beklagt<br />

Merkel. Für die Feuilletons der<br />

überregionalen Tageszeitungen ist der<br />

bodenständige Merkel offenbar nicht<br />

abgehoben genug.<br />

Zwar sammelt zum Beispiel das Düsseldorfer<br />

Heine-Institut Merkels Gegengedichte<br />

zu Heinrich Heine für eine<br />

Veröffentlichung, doch trotz Anerkennung<br />

von Fachleuten ist ihm der große<br />

Durchbruch bisher versagt geblieben.<br />

Noch gilt Merkel lediglich als Geheimtip.<br />

Was nützt es da, daß Hellmuth<br />

Karasek ihn als zweiten Eugen Roth<br />

bezeichnet? Daß Martin Walser die<br />

„herzhaft festen Gedichte“ lobt? Daß<br />

dem ehemaligen SWR-Intendanten<br />

Peter Voß „die Gelassenheit und humorige<br />

Distanz“ gefällt, die Merkel als<br />

Dichter zur Dichtkunst wahre? Auch<br />

ein Erfolgsautor wie Bastian Sick, der<br />

bekennt, Merkels Sprüche „mit großem<br />

Vergnügen“ zu lesen, wäre ohne<br />

den Großverlag Kiepenheuer & Witsch<br />

und das Nachrichtenmagazin „Der<br />

Seite 9<br />

die ehernen und unverrückbaren Glaubenssätze<br />

zu beschwören: Nicht die<br />

Menschen verändern die Sprachen,<br />

statt dessen ist die Sprache ein Lebewesen,<br />

das sich selbst verändert: „Lebende<br />

Sprachen verändern sich.“ Da kann<br />

man eben nichts machen. Verstöße gegen<br />

die Sprachnorm sind also völlig in<br />

Ordnung, denn: „Die Fehler von heute<br />

sind die Regeln von morgen.“ Es lohnt<br />

sich auch nicht, Fehlentwicklungen zu<br />

geißeln: „Die Klage vom Sprachverfall<br />

ist so alt wie die Sprache selbst.“<br />

Schließlich ist festzuhalten: „Es gibt<br />

keine reine Sprache.“ Diese Tatsachen<br />

sind so beeindruckend, daß sie jede<br />

Sprachkritik im Keim ersticken.<br />

Den Rest gibt man den Sprachschützern<br />

dann, indem man nie geäußerte<br />

Behauptungen erfindet und sie anschließend<br />

widerlegt; etwa die angebliche<br />

„Überzeugung, der Wandel einer<br />

Sprache sei notwendig Ausdruck ihres<br />

Niedergangs“ oder die Rede vom<br />

„dahinsiechenden, dem Tode geweihten<br />

Patienten Deutsch“ oder, daß sich<br />

Fremdwörter „schmarotzend in unsere<br />

heile deutsche <strong>Sprachwelt</strong> einschleichen“<br />

und sich „parasitär an einem immer<br />

schwächer werdenden deutschen<br />

Wirt festsaugen“.<br />

Nur eines darf man auf gar keinen<br />

Fall: die Kritik der Sprachschützer<br />

ernstnehmen und sich mit ihren Argumenten<br />

auseinandersetzen. Das<br />

wäre viel zu gefährlich!<br />

Spiegel“ im Rücken weitgehend unbekannt<br />

geblieben.<br />

Vielleicht ist die unverdient geringe Beachtung<br />

ein Grund, daß Merkel mit Vorliebe<br />

die Größen des Literaturbetriebes<br />

aufs Korn nimmt. Gegen die „Letzten<br />

Tänze“ des Literaturnobelpreisträgers<br />

Günter Grass hat er gleich ein ganzes<br />

Gegen-Buch geschrieben. Merkel wirft<br />

Grass nicht nur „dilettantische Poesie“<br />

und „gruselige Zeichnungen“ vor, sondern<br />

auch Selbstüberschätzung. Wenn<br />

Grass zum Beispiel bekennt: „Verjüngt<br />

war ich gottähnlich. / Die Pfeife lag abseits,<br />

kalt.“ antwortet der Gegendichter<br />

spitz: „Lieber Günter, das sind Worte; /<br />

Wohlbedacht, genialer Sorte! / Himmlisch<br />

anstatt drastisch, / Gottähnlich<br />

und phantastisch. / DichtKunst in vollster<br />

Reife; / Doch wen meinst Du mit<br />

der Pfeife?“<br />

Günter B. Merkel: Große Sprüche<br />

vom gnadenlosen Dichter, SWP-<br />

Buch-Verlag, Wilhelmsfeld 2007, 128<br />

Seiten, fester Einband, 9,50 Euro.<br />

Bestellung unter Telefon 06220/6310.<br />

www.merkel-gedichte.de<br />

Erschienen in „Die Rheinpfalz“,<br />

18. Oktober 2008.<br />

Wenn das, was du tust, richtig ist,<br />

machen wir alle etwas falsch.<br />

Das kann nicht sein!«<br />

sagte eine Mutter<br />

zu mir, als ich<br />

gerade <strong>41</strong> war.<br />

Doch 14 Jahre<br />

später bewahrheitet sich tatsächlich, dass die<br />

Verständigung Mutter-Kind-Vater<br />

absolut anders als bisher angenommen ist. Das Buch<br />

Ausweg von Ahnne Seinn<br />

ISBN 978-3-00-030701-0<br />

ist ein Meilenstein im Verständnis der Beziehung von<br />

Erwachsenen zu Kleinkindern: beleuchtet die Ursachen<br />

für Gewaltneigung von Kindern an Fremden und sich...<br />

Ausschließlich für Leser der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Sprachwelt</strong><br />

stehen zusätzlich noch zwei Folge-Schriften zur Verfügung, die in<br />

Freundschafts-Ausgaben erschienen sind, und die Einsichten mit<br />

Beispielen aus meiner Kindheit und Jugend vertiefend verankern:<br />

‡BESTELLE 1 • bezahl 1 • BEKOMM 3 ‡‡‡<br />

Preis 25,-€ frei Haus BRD: Ausweg@Biosophie21.de


Seite 10 Werkstatt<br />

Von Jürgen Langhans<br />

em belesenen Bürger dreht sich<br />

D gewöhnlich der Magen um,<br />

wenn er Texte vorgelegt bekommt,<br />

die nach den „Regeln“ der sogenannten<br />

Rechtschreibreform (RSR) verfaßt<br />

worden sind – oder zumindest diesen<br />

Anschein erwecken sollen. Will er<br />

nun solche Texte in einem vernünftigen<br />

Deutsch am Rechner weiterverarbeiten,<br />

begegnet er unwillkürlich der<br />

Frage:<br />

� Wie kriege ich die vermurksten<br />

Texte ohne viel Aufwand wieder<br />

zurück in die altbewährte herkömmliche<br />

Rechtschreibung?<br />

Zwar bietet MS Office selbst in der<br />

Fassung 2007 noch die Möglichkeit,<br />

die „neue deutsche Rechtschreibung“<br />

bei der automatischen Prüfung abzuwählen,<br />

aber bei Spracherkennungssoftware<br />

geht das in aller Regel nicht.<br />

Zudem gelangen zunehmend reformierte<br />

Texte auf den Schreibtisch, die<br />

man so nicht akzeptieren möchte. Der<br />

vom Verfasser entwickelte „Falschnach-Richtig-Konverter“(FNR-Konverter)<br />

versucht, aus einem „staatlich<br />

verordneten“ Reformschrieb wieder<br />

einen vernünftigen Text zu machen.<br />

Warum „versucht“ er es lediglich?<br />

Eine Rückumwandlung von reformierter<br />

in bewährte Schreibung ist weitaus<br />

schwieriger als umgekehrt, denn das<br />

Ergebnis ist nicht immer eindeutig.<br />

Durch die Anwendung der reformierten<br />

„Regeln“ verlieren sich wichtige<br />

Informationen für den Leser. So ist es<br />

einfach, in einem Text alle „ß“ durch<br />

ein „ss“ zu ersetzen (wie man das für<br />

Schweizer Leser gern tut), nicht jedoch<br />

von „ss“ nach „ß“: Aus einer Diskusscheibe<br />

darf ja keine Diskußcheibe<br />

werden. Auch sind sowohl „wieder sehen“<br />

als auch „wiedersehen“ mögliche<br />

Schreibungen; das Programm kann<br />

nicht wissen, was wirklich gemeint<br />

ist. FNR liefert als Ergebnis einen<br />

Hinweis auf eine Mehrdeutigkeit. Der<br />

Anwender des FNR-Konverters muß<br />

dann selbst entscheiden, wie geschrieben<br />

werden soll. Der Konverter nimmt<br />

ihm dabei aber eine gute Portion Routinearbeit<br />

ab.<br />

Der extrem hohe Aufwand bei der<br />

Konzipierung und Programmierung<br />

des FNR-Konverters ist ein Indiz für<br />

den hohen Zerstörungsgrad unserer<br />

Schriftsprache durch die Reformer. Es<br />

ist unglaublich, welcher Schaden hier<br />

angerichtet wurde. FNR ist eine Ehrerbietung<br />

an die Vernunft, ein winziger<br />

Schachzug gegen die Borniertheit<br />

und Uneinsichtigkeit einflußreicher<br />

Einzelpersonen oder Institutionen in<br />

Politik, Bildung und in der Medienwirtschaft.<br />

Was leistet der FNR-Konverter?<br />

FNR konvertiert „ss“ nach kurzem Vokal<br />

(das Markenzeichen der Reform)<br />

wieder nach „ß“; „kennen lernen“<br />

wird zu „kennenlernen“, und aus „im<br />

Allgemeinen“ wird wieder „im allgemeinen“.<br />

Dabei wird berücksichtigt,<br />

ob die Rückumwandlung eindeutig,<br />

mehrdeutig oder gar nicht möglich<br />

ist. Die verbesserten oder für die Korrektur<br />

vorgeschlagenen Textstellen<br />

werden gekennzeichnet und können<br />

dann gegengeprüft werden.<br />

Das Programm untersucht nicht nur<br />

einzelne Wörter auf Neuschrieb, sondern<br />

nimmt sich auch der Themen Getrennt-/Zusammenschreibung,<br />

Groß-/<br />

Kleinschreibung, Zusammensetzung<br />

mit Ziffern, Bindestrich, Eigennamen<br />

und Abkürzungen an. Die Ersetzungsvorschriften<br />

sind in Regeln typisiert,<br />

die der Anwender zu- oder abschalten<br />

kann. So kann er beispielsweise<br />

alle „falschen“ ss-Schreibungen so<br />

lassen und nur den anderen Unfug<br />

beseitigen. Eine besondere Option<br />

ersetzt zum Ende aller Regeldurchläufe<br />

alle „ß“ durch „ss“. Dadurch<br />

können Schweizer Texte ohne „ß“<br />

erzeugt werden, die ansonsten aber<br />

der herkömmlichen Rechtschreibung<br />

entsprechen.<br />

Wie arbeitet der FNR-Konverter?<br />

Der FNR-Konverter ersetzt zunächst<br />

pauschal alle uns bekannten Falschschreibungen<br />

von Wörtern oder Wortkombinationen<br />

durch den richtigen<br />

Text. Da es hier zu Mehrdeutigkeiten<br />

kommen kann, versucht das Programm<br />

anschließend, einige mehrdeutige<br />

Schreibungen wieder in die<br />

ursprünglichen zu verwandeln. Kernstück<br />

des Konverters ist ein VBA-<br />

Makro, das die Daten für die Regeln<br />

aus einer gesonderten Umsetztabelle<br />

(Excel) lädt. Diese Umsetztabelle<br />

ordnet jeder falschen Schreibung die<br />

vermeintlich korrekte zu.<br />

Basis für die Umsetzregeln ist die<br />

reformierte Schreibung, wie sie etwa<br />

ab 1997 eingeführt wurde. Grund dafür<br />

ist das Fehlen eines einheitlichen<br />

„neuesten Standes“ der reformierten<br />

Schreibung: Jeder Verlag oder jedes<br />

Nachschlagewerk definiert noch immer<br />

seine hauseigenen Regeln. Zudem<br />

Die direkte Demokratie<br />

ist schuld<br />

In einem Leitfaden empfiehlt die Schweizerische Bundeskanzlei „geschlechtergerechte“<br />

Sprachverrenkungen. In DSW 40 stand sie deswegen in der<br />

Sprachsünder-Ecke der DEUTSCHEN SPRACHWELT. Daraufhin beschwerten<br />

sich zahlreiche Leser. Im August antwortete für die Bundeskanzlei die Gesetzesredaktorin<br />

Margret Schiedt (Rechtschreibung im Original):<br />

Z<br />

uerst möchte ich etwas richtigstellen:<br />

Wir sehen uns in keiner<br />

Art und Weise als Sprachpolizei<br />

und weder den erwähnten Leitfaden<br />

noch den Leitfaden zur deutschen<br />

Rechtschreibung als „Zwangsmittel“.<br />

Zudem erachtet in der Schweiz<br />

weder Regierung noch Parlament<br />

die Frage des geschlechtergerechten<br />

Formulierens als überflüssig. Vielmehr<br />

hat der Bundesrat 1993 aus<br />

der Überzeugung, dass Rechte und<br />

Pflichten, die den Bürgerinnen und<br />

Bürgern dieses Landes aus Gesetzen<br />

und Verordnungen erwachsen, besser<br />

von Personen beiderlei Geschlechts<br />

wahrgenommen werden, wenn eben<br />

Männer und Frauen explizit angesprochen<br />

werden. Schliesslich müssen<br />

Frauen beispielsweise ebenso<br />

Steuern bezahlen wie Männer. Das<br />

Parlament ist dem Bundesrat in diesem<br />

Entscheid gefolgt. Mittlerweile<br />

ist im Übrigen auch wissenschaftlich<br />

belegt, dass sich Frauen durch Texte,<br />

die im generischen Maskulinum<br />

verfasst sind, deutlich weniger angesprochen<br />

fühlen, als durch Texte, in<br />

denen neben den männlichen Formen<br />

Falsch wird wieder richtig<br />

Ein Hilfsprogramm wandelt Neuschrieb in herkömmliche Schreibung um<br />

auch die weiblichen stehen. Gerade<br />

in einer direkten Demokratie wie der<br />

Schweiz ist es wichtig, dass sich alle<br />

beteiligen, dass alle Verantwortung<br />

übernehmen und beispielsweise an<br />

Volksabstimmungen teilnehmen.<br />

Die geschlechtergerechte Formulierung<br />

widerspiegelt auch eine gesellschaftliche<br />

Entwicklung. Frauen<br />

leisten in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft<br />

einen sehr beträchtlichen<br />

Beitrag. Und dies soll auch in der<br />

Sprache zum Ausdruck kommen. Die<br />

Sprache ist denn auch kein starres Gebilde,<br />

sie verändert sich aufgrund der<br />

gesellschaftlichen Gegebenheiten, im<br />

Kontakt mit anderen Sprachen und<br />

weitere Einflüsse. Man kann sie also<br />

unserer Meinung nach nicht ‚rein‘ bewahren.<br />

Der Leitfaden zur geschlechtergerechten<br />

Formulierung ist wie gesagt<br />

kein Zwangsmittel. Er bietet einen<br />

breiten Fächer an Möglichkeiten an,<br />

die in den verschiedensten Textsorten<br />

angewendet werden können, damit die<br />

Texte dem Beschluss des Bundesrates<br />

entsprechen und gleichzeitig verständlich<br />

und gut lesbar sind.“<br />

befindet sich die Rechtschreibreform<br />

in einem Stadium stetigen Rückbaus,<br />

was jedoch kaum öffentlich verbreitet<br />

und somit der „neuschreibenden“<br />

Bevölkerung eher unbekannt sein<br />

dürfte. Insofern würden Fehler, die<br />

eigentlich gar keine mehr sind, vom<br />

Konverter nicht gefunden – ein Beispiel:<br />

„so genannt“ darf heute wieder<br />

korrekt „sogenannt“ geschrieben werden.<br />

Aber dieses Wörtchen muß auch<br />

heute noch in die Prüfung einbezogen<br />

werden. Es werden jedoch Ausnahmen<br />

berücksichtigt: „Leid tun“ wird<br />

ebenso korrigiert wie das re-reformierte<br />

„leidtun“.<br />

Darüber hinaus versucht das Programm<br />

eine große Anzahl von Einzelwörtern,<br />

Konstrukten, Getrennt-/<br />

Zusammenschreibungen, Anreden,<br />

Eigennamen und Abkürzungen um-<br />

Bild 1<br />

Bild 2<br />

zuwandeln, einschließlich möglicher<br />

Deklinationen, Konjugationen, Singular<br />

/ Plural und Zeitformen. Beispiele<br />

sind „Delfin“, „so genannt“,<br />

„behände“, „zurzeit“, „Abscheu erregend“,<br />

„kennen lernen“, „schwarzes<br />

Brett“, „deine“, „i. Allg.“). Wörter<br />

wie „gräulich“ oder „Fön“ werden<br />

lediglich als „verdächtig“ markiert,<br />

jedoch nicht konvertiert.<br />

FNR ist nicht besonders schnell, dafür<br />

jedoch recht gründlich. Die Komplexität<br />

der Umwandlungsversuche,<br />

das fortlaufende Prüfen auf Plausibilität<br />

und gegebenenfalls eine Wiederrücknahme<br />

der Konvertierung sowie<br />

die große Palette der berücksichtigten<br />

Regeln gehen zu Lasten der Rechenzeit.<br />

Das Programm verbessert keine<br />

Kommasetzung oder „unendliche“<br />

Konstrukte wie beispielsweise „tut<br />

mir nicht Leid“, „der / die Elfte“.<br />

FNR leistet keine grundsätzlichen<br />

Rechtschreibkorrekturen und berücksichtigt<br />

keine fremdsprachigen Texte:<br />

„dress“ wird immer zu „dreß“.<br />

N<br />

Die einzelnen Regeln und Algorithmen<br />

sind im Bedienerhandbuch ausführlich<br />

erläutert. Eine sehr einfache<br />

Regel lautet zum Beispiel:<br />

� Die Zeichenketten „sss“, „ss-S“<br />

sowie die Endungen „sslich“,<br />

„sslig“ und „ssrig“ können in dieser<br />

Form nie auftreten. Außerdem<br />

stehen diese Zeichenketten nie<br />

am Satzanfang. Bei „ss-S“ kann<br />

der Trennstrich allerdings gewollt<br />

sein, daher sind hier Mehrdeutigkeiten<br />

möglich.<br />

Aus dieser Regel ergibt sich der Algorithmus<br />

für das Programm: „Ersetze<br />

im Text alle obigen Zeichenketten immer<br />

und ohne Bedingung und kennzeichne<br />

Mehrdeutigkeiten!“ Insgesamt<br />

gibt es elf Regeln.<br />

Wie bedient man das Programm?<br />

Ein Klick auf die Raute (Bild 1) in der<br />

Symbolleiste öffnet den Bediendialog<br />

(Bild 2). Nach wenigen Sekunden ist<br />

der FNR-Konverter startklar. Nach<br />

Programmende können die Korrekturen<br />

im Text mit Hilfe der Schaltflächen<br />

EK (alle eindeutigen Konvertierungen<br />

übernehmen), ZK (alle<br />

zweideutigen Konvertierungen übernehmen)<br />

und VW (alle verdächtigen<br />

Wörter prüfen) bearbeitet werden.<br />

Wie kommt der FNR-Konverter ins<br />

MS Office?<br />

Für Office 2000 und 2007 gibt es ein<br />

Installierungsprogramm. Andernfalls<br />

wird das Makropaket einfach in das<br />

„Start-Up“-Verzeichnis von Office<br />

kopiert. Damit wird es bei jedem<br />

Word-Aufruf mitgeladen. Laden Sie<br />

einfach alle erforderlichen Dateien<br />

bei www.rechtschreibreform-neindanke.de<br />

kostenlos herunter und folgen<br />

Sie den Anweisungen im Handbuch.<br />

Viel Spasss!<br />

Dr.-Ing. Jürgen Langhans ist der Entwickler<br />

des „Falsch-nach-Richtig-<br />

Konverters“ und Verfasser reformkritischer<br />

Schriften.<br />

und rufen unsere Leser zum Protest auf<br />

achdem sich bereits seit Monaten<br />

zahlreiche Leser der<br />

DEUTSCHEN SPRACHWELT über<br />

das bescheidene Sprachgebaren des<br />

REWE-Baumarkts „toom“ beklagt<br />

haben, ist es nun an der Zeit, ihn endlich<br />

in unsere Sprachsünder-Ecke zu<br />

stellen. Das medizinische Wörterbuch<br />

„Pschyrembel“ bezeichnet das „zwanghafte Wiederholen<br />

von vulgären Ausdrücken aus der Fäkalsprache“<br />

als „Koprolalie“. Von diesem „psychopathologischen<br />

Symptom“ ist offenbar die Werbeabteilung<br />

des Baumarkts befallen. Würde sie sonst massenhaft<br />

in Anzeigen und Werbezetteln das Motto „OHNE<br />

SCH…“ (im Original ausgeschrieben) unters Volk<br />

bringen? Folgende Antwort erhalten die entsetzten<br />

Kunden (Rechtschreibung unverändert):<br />

„Zuerst einmal möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir<br />

uns bereits bei der Konzeption im Klaren waren, dass<br />

das Motto ‚Ohne Sch…‘ auf ein geteiltes Echo stoßen<br />

wird. Daher haben wir Verständnis für Ihre Kritik.<br />

Vor dem Start der Kampagne wurde jedoch eine<br />

repräsentative Auswahl an Kunden, Verbrauchern und<br />

Werbefachleuten befragt. Dabei kam heraus, dass die<br />

Mehrheit der Befragten positiv auf das Motto reagierte.<br />

In erster Linie wurden Begriffe wie Aufrichtigkeit<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

Griff ins Klo<br />

<strong>Deutsche</strong><br />

Wortwelt<br />

Das entbehrliche Fremdwort<br />

Wellness<br />

Das Ungeheuer von „Wellness“<br />

ist leider nicht so scheu<br />

wie sein schottischer Verwandter<br />

„Nessie“ und treibt<br />

in der Freizeitindustrie schon<br />

seit Jahren sein Unwesen. Was<br />

ist so schlecht an Gesundheit,<br />

Behaglichkeit, Erholung oder<br />

Wohlgefühl?<br />

Das richtig geschriebene Wort<br />

Stegreif<br />

Wer weiß, daß der „Stegreif“<br />

nichts mit „stehen“ und „greifen“<br />

zu tun hat, sondern mit<br />

„Steg“ und „Reif“ und ein anderes<br />

Wort für Steigbügel ist,<br />

der wird es nie wieder falsch<br />

„Stehgreif“ schreiben.<br />

Das treffende Wort<br />

ich denke / ich glaube<br />

„Ich denke“ heben viele Politiker<br />

an, wenn sie lediglich etwas<br />

glauben oder meinen. Das<br />

Denken ist jedoch oft nur vorgetäuscht.<br />

Übernommen haben<br />

sie diesen Auswuchs aus<br />

dem Englischen. Dort heißt es<br />

„I think“, wenn jemand seine<br />

Meinung kundtun möchte.<br />

Das richtig gebeugte Wort<br />

gesinnt/gesonnen<br />

Ich bin gesonnen, ihm zu helfen,<br />

denn er ist mir wohlgesinnt.<br />

„Gesonnen sein“ bedeutet<br />

„gewillt sein“; „gesinnt“<br />

bedeutet „von einer bestimmten<br />

Gesinnung“.<br />

Das wiederentdeckte Wort<br />

Grille<br />

Nein, weder ist das zirpende<br />

Heimchen noch eine Rösterei<br />

gemeint, sondern die im 16.<br />

Jahrhundert entstandene Entsprechung<br />

für „Laune“ und<br />

„wunderlicher Einfall“. Goethe<br />

hat einst sogar „eine dramatische<br />

Grille in sechs Akten“<br />

geschrieben<br />

Das willkommene Wort<br />

Warentrennstab<br />

Lange hatte es keine Bezeichnung<br />

für den Klotz gegeben,<br />

der in den Kaufläden auf einem<br />

Kassenband zwischen<br />

die Waren verschiedener Kunden<br />

gelegt werden kann – bis<br />

der „Warentrennstab“ kam.<br />

In Ostfriesland heißt er übrigens<br />

„Miendientje“, also etwa<br />

„Meindeinchen“.<br />

Welche weiteren Wörter sollten<br />

in dieser Wortwelt stehen?<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Der REWE-Baumarkt „toom“ verbreitet sprachlichen Dünnpfiff<br />

und Ehrlichkeit damit in Verbindung<br />

gebracht. Punkte, die auch für toom<br />

BauMarkt zu den Kernaussagen<br />

unserer Werbekampagne gehören.<br />

Dies zeigt aus unserer Sicht, dass<br />

die Formulierung ‚Ohne Sch…‘<br />

heute fester Bestandteil des aktiven<br />

Wortschatzes und allgemeinen<br />

Sprachgebrauchs ist und hat uns dazu bewogen, die<br />

Kampagne in der geplanten Form zu starten.“<br />

Sprachsünder Ecke An dieser Stelle stellen wir Sprachsünder vor, die besonders unangenehm aufgefallen sind,<br />

Leser Wolfgang Doose schreibt: „Über die Begründung,<br />

die Formulierung ‚OHNE SCH…‘ sei heute<br />

fester Bestandteil des aktiven Wortschatzes, bin ich<br />

empört. Umgangssprache und geschriebenes Wort<br />

sind meines Erachtens große Unterschiede. Ich werde<br />

den Markt meiden.“ (dsw)<br />

Fragen Sie den REWE-Baumarkt „toom“, warum<br />

er von Fäkalausdrücken nicht lassen will, und lassen<br />

Sie uns bitte ein Doppel zukommen:<br />

Sprachsünder toom Bau-Markt GmbH, Herren Geschäftsführer<br />

Magel, Kunath und Riesche, Humboldtstraße<br />

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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

Bericht aus<br />

Bozen<br />

Von Andreas Raffeiner<br />

90 Jahre nach der<br />

Einverleibung<br />

Südtirols herrscht<br />

immer noch kein<br />

Frieden. Darf es<br />

sein, daß lediglich<br />

überlieferte<br />

deutsche Namen<br />

auf Schildern<br />

von Berg- und<br />

Wanderwegen<br />

Bild: Roshan-Kofler stehen? Seit jeher<br />

haben der<br />

Alpenverein Südtirol (AVS) und die<br />

Tourismusvereine hölzerne Wegweiser<br />

aufgestellt, die teilweise einsprachig<br />

deutsch, teilweise zweisprachig<br />

beschriftet wurden. Nachdem der<br />

AVS im Rahmen eines einmaligen<br />

Projekts sämtliche Südtiroler Wanderwege<br />

digital erfaßt hatte, wurden<br />

neue Hinweisschilder aufgestellt.<br />

Schon bald protestierten italienische<br />

Nationalisten gegen die einsprachigen<br />

Hinweisschilder, die eigentlich<br />

nichts Neues waren. Lediglich der<br />

Prozentsatz der rein deutschsprachigen<br />

Tafeln hatte sich stark erhöht.<br />

Der Bozner Oberstaatsanwalt Guido<br />

Rispoli leitete eine Untersuchung ein.<br />

So will er ermitteln, ob die Wegweiser<br />

mit öffentlichen Geldern bezuschußt<br />

wurden, denn nur dann kann<br />

die Justiz aktiv werden. Im Auftrag<br />

von Rispoli haben die Carabinieri<br />

angeblich alle rund 36.000 von den<br />

Tourismusvereinen und dem AVS<br />

aufgestellten Holztafeln kontrolliert<br />

und festgestellt, daß die Mehrheit<br />

einsprachig deutsch ist. Daß es auch<br />

vom italienischen Alpenverein (CAI)<br />

aufgestellte Schilder gibt, die einsprachig<br />

italienisch sind, interessiert<br />

den Staatsanwalt nicht.<br />

Rein deutsche Beschilderungen auf<br />

Holztafeln sind auch Rom ein Dorn<br />

im Auge. Auf Betreiben der italienischen<br />

Nationalisten aus Südtirol (vor<br />

allem Michaela Biancofiore aus dem<br />

Berlusconi-Lager) schaltete sich der<br />

aus Apulien stammende italienische<br />

Regionenminister Raffaele Fitto ein.<br />

Die italienische Regierung stellte<br />

der Südtiroler Landesregierung unter<br />

Landeshauptmann Luis Durnwalder<br />

ein Ultimatum. Die rein einsprachigen<br />

Schilder sollten innerhalb von<br />

sechzig Tagen entfernt werden. „Wir<br />

leben in Italien, und es ist nicht hinzunehmen,<br />

daß es in der Provinz Bozen<br />

nur deutsche Wegweiser gibt“,<br />

sagte der Minister der Zeitung „Dolomiten“.<br />

Das sei ihm „wurscht“, erklärte<br />

Landeshauptmann Durnwalder zur<br />

Weisung aus Rom. Daß in der Autonomen<br />

Provinz Bozen-Südtirol Orte<br />

deutsch und italienisch bezeichnet<br />

sein müssen, steht im Sonderstatut<br />

von 1972. Und Schilder der Südtiroler<br />

Landesregierung sind durchaus<br />

zweisprachig. Dagegen sind nicht alle<br />

Schilder auf öffentlichem Grund auch<br />

amtlich. Durnwalder sagte, er könne<br />

keine Ortsnamen vorschreiben, denn<br />

das sei Zuständigkeit des Landtages.<br />

Außerdem sei keines der Schilder<br />

von der Landesverwaltung aufgestellt<br />

worden; folglich könne er keinesfalls<br />

zur Verantwortung gezogen werden.<br />

Regionenminister Fitto habe verlangt,<br />

keineswegs nur Begriffe wie „Hütte“<br />

und „Bach“ zu übersetzen, sondern<br />

alle Flurnamen – 300.000 insgesamt.<br />

Durnwalder hält es ferner für einen<br />

Unsinn, auch historische Namen zu<br />

übersetzen. Darüber, sagt Fitto, solle<br />

aber eine Kommission entscheiden.<br />

Die italienischen, amtlichen Namen,<br />

alles Phantasiegebilde aus der Feder<br />

des italienischen Nationalisten Ettore<br />

Tolomei, gibt es aus der unmittelbaren<br />

Zeit nach dem Ersten Weltkrieg,<br />

nachdem der südliche Teil Tirols<br />

von Österreich an Italien gefallen<br />

war. Gesetzliche und alleinige Anerkennung<br />

fanden sie 1923 und 1940.<br />

Durnwalder erklärte, man könne von<br />

ihm keinesfalls erwarten, daß er die<br />

unter dem Faschismus aufgezwungenen<br />

Namen genehmige.<br />

Am 22. September dieses Jahres unterzeichneten<br />

Durnwalder und Fitto<br />

ein Kompromißabkommen. Es sieht<br />

vor, daß die Namen von Gemeinden<br />

Anstöße<br />

Die Muttersprache<br />

legt den Grundstein<br />

Köthener Sprachtag über zweisprachige Erziehung<br />

Von Lienhard Hinz<br />

V<br />

oraussetzungen und Möglichkeiten<br />

zweisprachiger Erziehung er-<br />

örterte der 4. Köthener Sprachtag. Der<br />

Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft<br />

(NFG) gelang am 21. August dieses<br />

Jahres im voll besetzten Anna-Magdalena-Bach-Saal<br />

des Schlosses Köthen<br />

ein fruchtbringender Streit um das bewußte<br />

zweisprachige Aufwachsen von<br />

Kindern. Schirmherr war der Präsident<br />

des sachsen-anhaltischen Landtags,<br />

Dieter Steinecke. Im Halbstundentakt<br />

folgten Vorträge und Diskussionen<br />

über bilinguale Erziehung durch die<br />

Eltern und im Kindergarten sowie den<br />

sogenannten Immersionsunterricht in<br />

der Grundschule. Darunter versteht<br />

man das Eintauchenlassen von Kindern<br />

in eine für sie neue Sprachumgebung.<br />

Die Vorsitzende des Sorbischen Schulvereins,<br />

Ludmilla Budar, legte mit<br />

Bild und Ton eindrucksvolle und international<br />

beachtete Untersuchungsergebnisse<br />

zur Zweisprachigkeit in den<br />

Kindergärten der sorbischen Lausitz<br />

vor. Den erstaunten Zuhörern begründete<br />

sie die zweisprachigen Fortschrit-<br />

Was bedeutet<br />

Wertigkeit?<br />

Sprachkritik aus naturwissenschaftlicher<br />

Sicht (4)<br />

Von Günter Körner<br />

D<br />

ie in Gehältern ausgedrückte Wertigkeit von Arbeit<br />

entspricht selten dem Anspruch auf Nachhaltigkeit“<br />

(Spiegel Online, 22. September 2010). Warum ist hier das<br />

Wort „Wertigkeit“ falsch? Der Quantitätsbegriff Wertigkeit<br />

bedeutet immer eine ganze Zahl: 1. In der Chemie zählt man<br />

Valenzelektronen oder Oxidationsstufen eines Reagens. – 2.<br />

Mit Hilfe des Referenzwertes für Vollei wird die biologische<br />

Wertigkeit eines Lebensmittels danach eingestuft, in welchem<br />

Verhältnis dessen Eiweiß zu körpereigenem Protein<br />

wird. – 3. Im linguistischen Sinn wird die Wertigkeit eines<br />

Verbs festgestellt hinsichtlich Anzahl und Art von Ergänzungen,<br />

die für eine sinnvolle Satzbildung erforderlich sind. – 4.<br />

Die Anzahl der möglichen Zustände eines Informationsträgers<br />

der Datentechnologie heißt Wertigkeit. – 5. Römische<br />

Zahlenzeichen besitzen Wertigkeiten, gemessen an ihrem<br />

Vermögen, benachbarte Zeichen zu modifizieren.<br />

Andere Verwendungen des Begriffs Wertigkeit muten zweifelhaft<br />

an, denn meistens ist der abstrakte Begriff Wert in<br />

qualitativer Bedeutung gemeint. Diejenigen, welche damit<br />

umgehen, mögen dann bitteschön auch die zugehörigen<br />

Vergleichsmaße beschreiben. Eine beispielhafte Betrachtung<br />

stammt von Lothar Kreiser, Mitglied der Sprachwissenschaftlichen<br />

Kommission in der Sächsischen Akademie<br />

der Wissenschaften zu Leipzig, im Rahmen einer thematischen<br />

Klassensitzung: „Wert – Versuch einer Begriffsbestimmung“.<br />

www.saw-leipzig.de/forschung/kommissionen/sprachwissenschaft/kreiser_1<br />

Anzeigen<br />

und Ortschaften und die allgemeinen<br />

Begriffe wie „See“, „Hütte“ oder<br />

„Berg“ mehrsprachig sein sollen.<br />

Historische Namen, zum Beispiel<br />

Gewässer- und Flurnamen, bleiben<br />

einsprachig. Die freiheitliche Opposition<br />

im Bozner Landtag beanstandet,<br />

daß damit auch die erfundenen<br />

italienischen Ortsnamen anerkannt<br />

würden. Das „faschistische Kulturverbrechen“<br />

würde auf diese Weise<br />

legalisiert. Parteiobmann Pius Leitner<br />

wirft Durnwalder einen „Kniefall<br />

vor Rom“vor.<br />

Bemerkenswert ist, daß im Fassatal<br />

in der Nachbarprovinz Trient letzthin<br />

sämtliche italienischen Wegweiser<br />

durch ladinischsprachige ersetzt<br />

wurden, ohne daß sich jemand aufregte.<br />

Im ebenfalls autonomen Aostatal,<br />

wo die Faschisten ebenfalls alle<br />

Ortsnamen übersetzt und italienische<br />

Ortsnamen aufgezwungen hatten, ist<br />

man schon bald nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg wieder zu den historischen<br />

französischen Namen zurückgekehrt.<br />

Lediglich der Hauptort Aoste trägt<br />

auch den italienischen Namen Aosta.<br />

Auch die erklärenden Beiwörter auf<br />

den Wegweisern wie beispielsweise<br />

Alm, Steig, Seilbahn und so weiter<br />

sind im Regelfall französisch.<br />

te mit der engen Zusammenarbeit von<br />

Kindergärten und Eltern. Dr. Georg<br />

Brankatschk von der Universität Heidelberg<br />

stellte Erkenntnisse aus der<br />

Hirnforschung vor. Eltern und Erzieher<br />

konnten hier für den praktischen<br />

Umgang mit Kleinkindern wertvolle<br />

Anregungen mitnehmen. So nimmt<br />

ein Kind schon drei Monate vor der<br />

Geburt Sprache wahr.<br />

Vor allen Dingen auf die Eltern kommt<br />

es bei der zweisprachigen Erziehung<br />

an, erklärte Prof. Dr. Hermann Dieter<br />

vom Vorstand des Arbeitskreises<br />

Deutsch als Wissenschaftssprache. In<br />

seinem persönlichen Erfahrungsbericht<br />

schilderte er, wie das Französisch<br />

der Mutter und das Deutsch des Vaters<br />

bei den Kindern bewußt und selbstverständlich<br />

von Geburt an entwickelt<br />

wurden. Er unterstrich die Notwendigkeit<br />

der Gleichwertigkeit beider<br />

Sprachen für eine erfolgreiche zweisprachige<br />

Erziehung. Dieter regte an,<br />

eine Handreichung für zweisprachig<br />

erziehende Eltern auszuarbeiten.<br />

Dieser Ausgabe liegen Prospekte<br />

des Atlas Verlages, Weil am<br />

Rhein, (nur Deutschland) und<br />

des Verlages Junge Freiheit,<br />

Berlin, bei. Wir bitten um freundliche<br />

Beachtung. Vielen Dank.<br />

Die Englischlehrerin Birgit Richter von<br />

der privaten Bilingualen Grundschule<br />

„Altmark“ warb mit Eifer und ihren<br />

langjährigen Erfahrungen in Michigan/<br />

USA für den Immersionsunterricht.<br />

In der Diskussion wurden allerdings<br />

zahlreiche bilinguale Angebote als<br />

„Mogelpackung“ erkannt. Denn wenn<br />

Sachfachangebote ausschließlich in<br />

der Fremdsprache unterrichtet werden,<br />

erlernen Kinder für diese Gebiete die<br />

Fachbegriffe in ihrer Muttersprache<br />

nicht. Die Sprachheilpädagogin und<br />

Autorin Margund Hinz verwies in ihrem<br />

Vortrag „Die preußischen Kleinkinderschulen“<br />

auf die frühkindliche<br />

Sprachförderung vor 200 Jahren.<br />

Die Vorträge und Diskussionen an diesem<br />

Sprachtag sind nach Ansicht der<br />

NFG-Vorsitzenden Uta Seewald-Heeg<br />

ein Zeichen, Sprachförderung in Kindergärten<br />

durchzusetzen. Dabei müsse<br />

der Schwerpunkt auf der Förderung<br />

der deutschen Sprache liegen, um einen<br />

Grundstein auch für das spätere<br />

Erlernen von Fremdsprachen zu legen.<br />

Noch mehr<br />

Quantensprünge<br />

Ergänzung zu Körners Sprachkritik<br />

(3) in DSW 40<br />

Von Dagmar Schmauks<br />

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ünter Körner hat in der vergangenen Ausgabe („Vom<br />

Quantensprung zum Tantensprung“, DSW 40, Seite 11)<br />

klargestellt, daß ein „Quantensprung“ wirklich nicht medaillenverdächtig<br />

ist. Ja, deutsche Komposita haben nun einmal<br />

ihre Tücken. Wie ähnlich klingen etwa „Schweineschnitzel“<br />

und „Kinderschnitzel“! Da bürgern sich leicht Wendungen<br />

ein, die sachlich falsch oder mißverständlich sind. Man denke<br />

an das hoffnungsfrohe „Nullwachstum“ und die an einen<br />

Kippschalter erinnernde „Schwangerschaftsunterbrechung“.<br />

Gern gelobt werden „ellenlange Beine“, obwohl die klassische<br />

Elle der Länge des Unterarms entspricht und nur rund<br />

50 Zentimeter beträgt, so daß die Beinbesitzerin nicht gerade<br />

Model-Maße hätte. Weitere schräge Ausdrücke beruhen<br />

darauf, daß wir sehr naturfern leben. Wer etwa von „Waldesstille“<br />

spricht, sollte beim nächsten Spaziergang einmal<br />

seine Ohren spitzen! Noch verfehlter ist der Ausdruck „Totholz“,<br />

der nicht den „Lebensraum Totholz“ (!) sieht, sondern<br />

nur den forstwirtschaftlichen – na ja – „Nullnutzen“.<br />

Sehr tiefsinniger Blödsinn begegnet jedem Rechnerbenutzer,<br />

der immer wieder einmal den „Ruhezustand aktivieren“<br />

muß – eigentlich auch ein nettes Synonym für „einschlafen“!<br />

Eher unheimlich klingt dem gegenüber eine „Seniorenpräventionswoche“,<br />

die im November 2009 in Berlin-<br />

Charlottenburg veranstaltet wurde – wollte man wohl der<br />

überalterten Gesellschaft rechtzeitig entgegensteuern? Und<br />

schließlich gibt es noch die bedauernswerten Autofahrer, die<br />

immer wieder „im Stau STEHEN“ und nie zugeben würden,<br />

daß sie ganz einfach ein Teil dieses Staus SIND.<br />

Seite 11<br />

Bericht aus<br />

Berlin<br />

Von Lienhard Hinz<br />

„Solang noch<br />

Untern Linden /<br />

die alten Bäume<br />

blühen / kann<br />

nichts uns überwinden.<br />

/ Berlin<br />

bleibt doch Berlin.<br />

/ Wenn keiner<br />

treu dir bliebe,<br />

/ ich bleib dir<br />

ewig grün. / Du<br />

meine alte Liebe!<br />

/ Berlin bleibt doch Berlin.“<br />

Getreu der Berlin-Hymne gibt es seit<br />

nunmehr einem Jahr eine Berlin-Werbung<br />

in deutscher Sprache, die auf<br />

die Unverwechselbarkeit der Hauptstadt<br />

hinweist. Deutschlandweit sind<br />

Ansichten von Berlin unter dem Titel<br />

„Von Berlin hat man mehr“ zu sehen.<br />

„Die einzige Weltstadt, die nicht die<br />

Welt kostet“, will sagen, daß die Lebenshaltungskosten<br />

im Vergleich zu<br />

anderen Hauptstädten günstig sind.<br />

„Die freundlichsten Preise hat Berlin<br />

schon. Am Rest arbeiten wir noch.“<br />

Zu diesem Rest zählen die barschen<br />

Taxifahrer. „So günstige Hotelzimmer<br />

und trotzdem geht keiner schlafen.“<br />

Das spielt auf das Berliner Nachtleben<br />

an. Ebenso: „Berlin hat viel durchgemacht.<br />

Jedes Wochenende.“ Und:<br />

„Woanders explodieren die Preise.<br />

In Berlin explodiert die Stimmung.“<br />

Nicht nur auf Feste und Feiern wird<br />

aufmerksam gemacht, sondern auch<br />

auf das kulturelle Angebot: „Berlin ist<br />

die reichste Stadt der Welt. Zumindest<br />

an Opern.“ Mit dem Gepäckband eines<br />

Flughafens wirbt die „Berlin Tourismus<br />

Marketing GmbH“ für Flugreisen<br />

in die Hauptstadt: „Wer noch keinen<br />

Koffer in Berlin hat, kann jetzt günstig<br />

einen hinbringen.“<br />

„Ich hab noch einen Koffer in Berlin<br />

/ Deswegen muß ich nächstens wieder<br />

hin.“<br />

Allen Fluggästen des künftigen<br />

Hauptstadtflughafens teilte der Senat<br />

von Berlin unlängst mit: „Das Wegeleitsystem<br />

im Außenbereich und<br />

im Fluggastterminal des Flughafens<br />

Berlin-Brandenburg International<br />

wird zweisprachig realisiert. Es wird<br />

in Deutsch und in Englisch verfaßt<br />

sowie um Piktogramme der Inhalte<br />

der Hinweise ergänzt. Dabei wird generell<br />

in der ersten Zeile die deutsche<br />

und in der zweiten Zeile die englische<br />

Bezeichnung mit schmalerer Schriftgestaltung<br />

abgebildet. Damit ist ein<br />

schnelles Erfassen möglich.“ Darüber<br />

steht die deutsche Bezeichnung und<br />

drunter mit kleineren Buchstaben die<br />

englische. So kann ein Drunter und<br />

Drüber vermieden werden. Aus der<br />

Revue der 20er Jahre „Drunter und<br />

Drüber“ stammt das flotte, eingangs<br />

angestimmte und zur Hymne gewordene<br />

Berliner Lied „Solang noch Untern<br />

Linden“.


Seite 12 Bunte Seite<br />

Binde-Strichitis als Seuche<br />

Wenn die Sprache auf den Strich geschickt wird<br />

Von Klemens Weilandt<br />

W<br />

as hat der Strich mit der<br />

Sprache zu tun? Auf den er-<br />

sten Blick wenig. Schaut man aber<br />

etwas genauer hin, dann erkennt<br />

man: viel! Das Wort „Strich“ bildet<br />

den Kern sehr schöner, beliebter und<br />

ausdrucksstarker Metaphern: „Einen<br />

Strich ziehen“,<br />

„einen Strich<br />

durch die<br />

Rechnung machen“,<br />

„unter<br />

dem Strich“,<br />

„nach Strich<br />

und Faden“<br />

sind uns genauso<br />

vertraut wie<br />

„strichweise“<br />

oder „Strichregen“<br />

und auch,<br />

w e n n g l e i c h<br />

wenig empfehlenswert,<br />

„auf<br />

den Strich gehen“.<br />

Nicht so<br />

geläufig, aber<br />

dennoch sehr<br />

e i n p r ä g s a m ,<br />

sind Ausdrücke<br />

wie „das geht<br />

(mir) wider den<br />

Strich“ oder „wider den Strich bürsten“.<br />

In der Sprache der Jäger gibt<br />

es neben den „Strichvögeln“ den sehr<br />

geschätzten „Schnepfenstrich“. Und<br />

im Schatzkästlein der Sprichwörter<br />

finden wir „Die stärksten Striche sind<br />

nicht gerade die schönste Musik“.<br />

Diese sprichwörtliche Weisheit läßt<br />

sich neuerdings unmittelbar auf ein<br />

Merkmal unserer Gegenwartssprache<br />

beziehen, das man in Anlehnung<br />

an die „Apostrophitis“ die „Bindestrichitis“<br />

(oder vielleicht doch<br />

„Binde-Strichitis“?) nennen darf. Sie<br />

ist zu einer Seuche geworden. Ihr infektiöser<br />

Charakter läßt sie Bereiche<br />

unserer Sprache in einer Weise zersetzen,<br />

die vor einigen Jahren nicht<br />

einmal erahnt werden konnte. Der<br />

Bindestrich taucht plötzlich allüberall<br />

auf, jedoch in besonderer Aufdringlichkeit<br />

in der Werbung.<br />

Sprachwissenschaftler werden da<br />

hoffentlich bald ein neues Betätigungsfeld<br />

beackern und den Ursachen<br />

auf den (vermeintlichen) Grund<br />

gehen. Ob sie auf die wohl nächstliegende<br />

Ursache dieser verderblichen<br />

-itis, der Bindestrichitis, von allein<br />

kommen werden? Da regen sich<br />

Zweifel, nicht zuletzt deshalb, weil<br />

gerade Linguisten bei der sogenannten<br />

Rechtschreibreform einige der<br />

unheilvollen Räder gedreht haben.<br />

Und genau diese Rechtschreibreform<br />

darf man als nicht mehr versiegende<br />

Energiequelle der Bindestrichorgie<br />

vermuten:<br />

„Zusammenschreibung oder Getrenntschreibung,<br />

was soll’s, der Bindestrich<br />

hilft aus der Klemme. Nur<br />

nicht zögern, einfach einsetzen, wird<br />

schon hinhauen irgendwie, Logik hin,<br />

Logik her. Seit wann soll, bitte sehr,<br />

die Sprache denn noch einer Logik<br />

unterworfen<br />

sein, die sich<br />

in Normen<br />

manifestieren<br />

könnte?<br />

Davon haben<br />

wir uns doch<br />

längst emanzipiert,<br />

seitdem<br />

Emanzipation<br />

von allem und<br />

jedem zum<br />

Grundrecht,<br />

wenn nicht<br />

gar zum Gebotschlechthin<br />

ausgerufen<br />

worden ist.<br />

Also: Auf den<br />

Strich gehen!<br />

Was unter dem<br />

Strich herauskommt,<br />

ist<br />

doch völlig<br />

belanglos, auch wenn manchem ein<br />

Strich durch die Rechnung seines<br />

überlieferten und deshalb, jawohl,<br />

über Bord zu werfenden Sprachverständnisses<br />

gemacht wird. Soll er<br />

doch raten, was gemeint ist. So viel<br />

Phantasie darf man doch zumuten,<br />

oder nicht?“<br />

Sind das Eierband-Nudeln oder Eier-<br />

Bandnudeln, Frau Künast? Bild: obs/CMA<br />

So oder so ähnlich wird man gedacht<br />

oder wohl eher geschwafelt haben,<br />

als man sich, für ein Erzeugnis einen<br />

Werbetext ausheckend, zu folgender<br />

Bereicherung der Bindestrichkultur<br />

entschloß:<br />

• „Eierband-Nudeln“<br />

Werbetext der Firma Jawoll,<br />

24. November 2008<br />

Es ging, keine Frage, um Nudeln.<br />

Aber es drängte sich die Frage auf,<br />

um welche Art von Nudeln es sich da<br />

handelte. Welche Form hatten sie?<br />

Welcher Funktion sollten sie dienen?<br />

Was hatte es mit dem Eierband auf<br />

sich? Konnten und sollten die Nudeln<br />

als Eierband eingesetzt werden?<br />

War eine neue Möglichkeit der Verpackung<br />

oder gar des Transports von<br />

Eiern entwickelt worden? Der nicht<br />

einschlägig bewanderte, einfache Eierkäufer<br />

ist da sehr schnell am Ende<br />

seines Lateins.<br />

Als hilfreich erweist sich dann das<br />

zunächst abstrakte Gespräch mit einem<br />

Mediziner über Krankheitsvorgeschichte,<br />

Diagnose und Therapie.<br />

Legt man ihm bei dieser Gelegenheit<br />

Von Dagmar Schmauks<br />

DSW-Silbenrätsel<br />

1. Dusche für rote Beeren – 2. jemand, der Schmetterlingslarven herumträgt<br />

– 3. nicht seetaugliches Nagetier – 4. Schublade in einem Sitzmöbel – 5. einen<br />

Reim in Blumenerde pflanzen – 6. Gottesdienst für kleine Schiffe – 7. hilfsbedürftiger<br />

Gatte des Huhns – 8. wo militärische Ledergürtel grasen – 9. Barbies<br />

Freund aus dem südamerikanischen Hochgebirge – 10. sofort bezahlter<br />

nordischer Hirsch – 11. jemand, der die Ohren am Haupt hat – 12. Leute,<br />

denen die wichtigste Flüssigkeit fehlt – 13. kleiner Blutsauger in ländlichem<br />

Stoff – 14. aggressives kleines Nichts – 15. wenn eine Maueröffnung einer<br />

anderen schreibt – 16. Nachtlokal, wo man Speisen probiert – 17. Keime der<br />

warmen Jahreszeit – 18. Lob für etwas, das nicht voll ist – 19. Wegabschnitt<br />

den zitierten Werbetext vor, stutzt<br />

er wie selbstverständlich, um dann<br />

aber mit einem erhellenden Beitrag<br />

aufzuwarten: Im Sprachgebrauch<br />

der Mediziner gebe es tatsächlich<br />

das „Eierband“. Bei entsprechender<br />

Heilanzeige werde es zu therapeutischen<br />

Zwecken eingesetzt.<br />

Der Laie fragt zwangsläufig naiv,<br />

wie es sein kann, ob sich denn Nudeln,<br />

wenn erhitzt, angesichts ihrer<br />

dann grundsätzlich sehr hohen<br />

Dehnbarkeit für die Verwendung als<br />

Eierbänder anböten. Er fragt auch,<br />

ganz mitdenkend, ob sich der Teigwarenindustrie<br />

da neue Wege der<br />

Angebotserweiterung eröffneten?<br />

Ob man nicht an eine gewinnträchtige<br />

Zusammenarbeit von Medizin<br />

und Nudelherstellern denken wolle?<br />

Solchen Fragen folgt die Ent-Täuschung<br />

(!) auf dem Fuße. Nachdem<br />

man sich nämlich mit dem Werbetext<br />

angesichts seiner Komplexität etwas<br />

eingehender beschäftigt und den Bindestrich<br />

an eine andere Stelle gesetzt<br />

hat, folgt die erlösende Erkenntnis<br />

wie von selbst: Es waren ganz alltägliche<br />

„Eier-Bandnudeln“ angepriesen<br />

worden, selbstverständlich als besonders<br />

preiswert. Ein hoher Preis war ja<br />

auf ganz andere Weise zu entrichten!<br />

Also: Es ging um Bandnudeln. Aber<br />

nicht um ganz einfache. Sie hatten<br />

schließlich ihren Wert. Ihrem Teig waren<br />

Eier zugeführt worden. Sie stellten<br />

sozusagen das Attribut der Bandnudeln<br />

dar, das sie preiswürdig (oder<br />

preis-würdig?) machte. Attribute aber<br />

sind immer auch eine sprachliche<br />

Herausforderung. Ihr mit dem Wort<br />

„Eierbandnudeln“ zu entsprechen, das<br />

ist schon außerhalb der Vorstellungskraft<br />

der Bindestrichsüchtigen.<br />

Süchtigen wird auch medizinische<br />

Therapie angeboten. Mancher „-itis“<br />

ist bereits erfolgreich der Kampf angesagt<br />

worden. In unserem Falle aber<br />

sollte man nicht auf die Medizin setzen.<br />

Mit der „Bindestrichitis“ hat sie,<br />

wie wir alle, nicht nur diagnostische<br />

Probleme. Sie hat auch keine Therapie<br />

zur Hand. Das gibt der Seuche<br />

weitere Spielräume. Grenzen sind<br />

vorerst nicht auszumachen. Schließlich<br />

können wir unseren Wortschatz<br />

nicht vollständig auf einsilbige Wörter<br />

reduzieren. Wo aber zwei oder<br />

mehr Silben vorkommen, kann der<br />

Bindestrich sein Unwesen treiben:<br />

• „Die schönsten Weihnachts-Hits“<br />

Programmankündigung des ZDF<br />

für den 26. November 2008<br />

Einst hätte man „Weihnachtslieder“<br />

angepriesen, ganz harmlos. Diese<br />

Schreibweise war vertraut. Da man<br />

jedoch inzwischen in der Werbung<br />

deutsche Wörter verachtet, greift<br />

man in die Schundtruhe des Denglischen<br />

und handelt sich ein Problem<br />

ein: Wie schreibt man das Wort nur?<br />

„Weihnachtshits“? Für Denglisch ist<br />

das zu deutsch. Also muß der Bindestrich<br />

her: „Weihnachts-Hits“! Wenn<br />

es nicht so abgrundtief traurig wäre,<br />

könnte man stundenlang lachen. Die<br />

Kombination von Denglisch und<br />

Bindestrichitis, sie bringt unsere<br />

Sprache voran.<br />

Wie abgrundtief altväterlich verhält<br />

sich doch die Stadt Wolfsburg. Sie<br />

wirbt mit Schildern für eine, wie sie<br />

meint, besondere Attraktion. Auf ihnen<br />

steht, wer es nicht glaubt, möge<br />

auf der Bundesstraße 188 durch<br />

Wolfsburg fahren, „Bade Land“. Das<br />

ist der reine Protest der „Wellness“-<br />

Kultur gegen Bindestrichitis als einer<br />

Unkultur. So viel Kultur war nie!<br />

Aber die Lösung des Problems ist<br />

das wohl auch nicht. Jedenfalls nicht<br />

unter dem Strich!<br />

Klemens Weilandt war Schulabteilungsleiter<br />

der Bezirksregierung<br />

Hannover. Buchhinweis:<br />

Klemens Weilandt: Blütenlese. Die<br />

deutsche Sprache – (k)ein Grund<br />

zur Heiterkeit, Verlag Leuenhagen<br />

& Paris, Hannover 2008, gebunden,<br />

400 Seiten, 19,90 Euro.<br />

D<br />

eutschland schafft sich ab – wer<br />

hat sich nicht schon einmal an<br />

dieser Diskussion beteiligt,<br />

egal, ob nach dem Lesen des<br />

gleichnamigen Buches von<br />

Thilo Sarrazin oder ohne es<br />

je gelesen zu haben! Nun sei<br />

einmal dahingestellt, ob sich<br />

Deutschland wirklich abschafft,<br />

es kann aber kaum bestritten<br />

werden, daß die <strong>Deutsche</strong>n Schritt für<br />

Schritt ihre Sprache abschaffen. Denn<br />

das an dieser Stelle immer wieder behandelte<br />

irrsinnige Denglisch ist nicht<br />

das einzige Alarmzeichen. Im Jahr<br />

2003 klagte der Germanist Horst Dieter<br />

Schlosser von der Frankfurter Goethe-Universität,<br />

seine Studenten beherrschten<br />

weder die Rechtschreibung,<br />

noch verfügten sie über grammatische<br />

Grundkenntnisse! Er kündigte damals<br />

an, ein Buch mit dem Titel „Deutsch<br />

für Deutschlehrer“ zu schreiben. Auch<br />

beim diesjährigen Germanistentag im<br />

September in Freiburg wurde ¬– wieder<br />

einmal – die Verarmung unserer<br />

Sprache festgestellt.<br />

Die Muttersprache mit freudiger Hingabe<br />

zur Verfügung zu stellen, zeigt<br />

sich aber auch darin, daß sich noch<br />

zu wenig Widerstand regt. Dieter E.<br />

ohne Getränke – 20. letzte Stücke von Reimen – 21. deutsch-englische Anweisung<br />

„Keine Fliegenlarven!“ – 22. Stifte unter den Fußballschuhen von Jesus<br />

– 23. rastloser Ofen – 24. jemand, der Gartengeräte auf dem Schwarzmarkt<br />

handelt – 25. voyeuristische Schmetterlingslarve – 26. Süßspeise, auf die man<br />

bläst – 27. sehr gekonntes Herumrennen – 28. Dummkopf, der Wäsche plättet<br />

– 29. Ängste in getrocknetem Gras – 30. anregendes Getränk, das sich<br />

rhythmisch bewegt<br />

an – ar – bank – bar – bar – beer – ber – boots – brau – brief – bü – chen – chen<br />

– christ – de – den – den – den – durst – fach – fen – fen – filz – fla – gel – gut<br />

– hahn – he – herd – heu – him – hö – ke – ken – ken – kop – kopf – kost – ku<br />

– kunst – land – laus – leer – len – loch – ma – me – mer – mes – ner – no – not –<br />

pe – pel – pen – per – pu – ra – rat – rau – rau – re – ren – rer – ru – sche – schie<br />

– schlag – schlep – schrek – se – se – sen – sen – sen – ser – som – span – spros<br />

– ste – ster – stol – stop – strek – tanz – te – tee – un – ver – ver – was – wei<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>41</strong>_Herbst 2010<br />

Port Authority<br />

Am Elbstrand ging ich ahnungslos,<br />

doch jäh war mein Erstaunen<br />

groß,<br />

am Schild stand „Port Authority“,<br />

und ich bekam fast weiche Knie.<br />

Bis dahin hatte ich gedacht,<br />

die englische Besatzungsmacht<br />

hätt’ längst verlassen unser Land,<br />

jetzt wußt’ ich, daß sie hier noch<br />

stand.<br />

Statt deutscher Souveränität<br />

galt hier ein britisches Dekret,<br />

und das bestimmte klipp und klar,<br />

daß Baden hier verboten war.<br />

Dahinter steckte, wie mir schien,<br />

wohl gar Her Majesty the Queen,<br />

doch wer beriet sie so genau?<br />

Der alte „Strom- und Hafenbau“?<br />

Georg Winter<br />

Anmerkung der Schriftleitung:<br />

Die Hamburger Hafenbehörde<br />

heißt „Hamburg Port Authority“<br />

und veröffentlicht Studien auf<br />

englisch, zum Beispiel „Benchmark<br />

of Environmental Emission<br />

for Railway“. Aufsichtsbehörde<br />

ist die Freie und Hansestadt<br />

Hamburg, Behörde für Wirtschaft<br />

und Arbeit, Alter Steinweg 4/Wexstraße<br />

7, D-20459 Hamburg, Telefon<br />

+49(0)40-428<strong>41</strong>-0, Telefax<br />

+49(0)40-428<strong>41</strong>-1620,<br />

poststelle@bwa.hamburg.de.<br />

Deutschland schafft<br />

seine Sprache ab<br />

Zimmer befand 1998 in seinem Buch<br />

„Deutsch und anders“: Der Wille,<br />

Deutsch zu erhalten, „ist nicht<br />

vorhanden und würde, wenn<br />

er sich irgendwo regen sollte,<br />

sofort als Deutschtümelei ausgepfiffen.“<br />

Stimmt, davon können<br />

viele <strong>Deutsche</strong> ein Lied<br />

singen! Wenn sie denn noch<br />

singen könnten, muß ich hinzufügen.<br />

Denn schon 2002 beklagten HNO-<br />

Ärzte, daß sich bei deutschen Kindern<br />

im Gegensatz zu anderen europäischen<br />

Kindern die Stimmbänder verkürzen.<br />

Der Grund: Es wird in Deutschland<br />

zu wenig gesungen! Doch das sollte<br />

für uns kein Grund sein, schweigend<br />

zuzulassen, wie sich Deutsch zu einer<br />

Teletubby-Sprache entwickelt. Denn:<br />

Schafft sich Deutschland nicht auch<br />

dadurch ab? fragt sich besorgt.<br />

Ihr Anglizismenmuffel<br />

Wolfgang Hildebrandt<br />

NEU! Wolfgang Hildebrandt, Mal ganz<br />

ehrlich – denglischst du noch oder<br />

sprechen Sie schon?, Band 2, ISBN<br />

978-3-929744-52-1, 6,00 Euro. Bestellungen:<br />

Wolfgang Hildebrandt, Am<br />

Steingrab 20a, D-27628 Lehnstedt,<br />

Telefon +49-(0)4746-1069, Telefax<br />

+49-(0)4746-931432,<br />

hillesimm@t-online.de<br />

Lösungen: 1. Himbeerbrause – 2. Raupenschlepper<br />

– 3. Landratte – 4. Bankfach<br />

– 5. verstopfen – 6. Bootsmesse – 7. Nothahn<br />

– 8. Koppelweide – 9. Andenken – 10.<br />

Barren – 11. Kopfhörer – 12. Wasserarme<br />

– 13. Filzlaus – 14. Schlagloch – 15. Fensterbrief<br />

– 16. kostbar – 17. Sommersprossen<br />

– 18. Leergut – 19. Durststrecke – 20.<br />

versenden – 21. Nomaden – 22. Christstollen<br />

– 23. Unruheherd – 24. Rechenschieber<br />

– 25. Spannerraupe – 26. Pustekuchen<br />

– 27. Kunstrasen – 28. Bügelflasche – 29.<br />

Heuschrecken – 30. Tanztee<br />

Prof. Dr. Dagmar Schmauks ist in der Arbeitsstelle<br />

für Semiotik an der Technischen Universität<br />

Berlin tätig. Semiotik ist die Wissenschaft<br />

von den Zeichen.

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