Madagaskar: - Der Falke – Journal für Vogelbeobachter
Madagaskar: - Der Falke – Journal für Vogelbeobachter
Madagaskar: - Der Falke – Journal für Vogelbeobachter
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Projekt Projekt<br />
<strong>Madagaskar</strong>, die viertgrößte Insel der Welt, kaum 400 km entfernt vom afrikanischen Festland,<br />
ist bekannt <strong>für</strong> seine hohe Anzahl nur hier vorkommender Tiere und Pfl anzen, darunter mindestens<br />
fünf endemische Vogelfamilien und 37 endemische Vogelgattungen. Diese Einmaligkeit ist<br />
auf das Äußerste bedroht, vor allem durch die Abholzung der Primärwälder <strong>für</strong> Holzwirtschaft<br />
und Wanderfeldbau. Seit 2003 untersuchen Wildhüter, Studenten von der Universität Antananarivo<br />
und Forscher vom Naturkundemuseum Stuttgart die Tier- und Pfl anzenwelt des Drachenbaumregenwalds<br />
von Maromizaha in Ostmadagaskar, etwa 150 km östlich der Hauptstadt. Das<br />
Projekt soll dem Naturschutz dienen und gleichzeitig einer Bevölkerung helfen, <strong>für</strong> die es um<br />
das nackte Überleben geht.<br />
Traurig schön hallen die Rufe<br />
eines Indri-Pärchens durch<br />
den tropfnassen Wald: Zuerst<br />
beginnt er, sie fällt kurz darauf ein.<br />
Wir freuen uns über dieses Duett des<br />
Lemurenpärchens, denn rufen die Indris,<br />
dann ist die Sonne nicht weit.<br />
Seit Tagen versuchen wir Vögel in<br />
368 <strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006<br />
<strong>Madagaskar</strong>:<br />
Forschung im Regenwald<br />
der Drachenbäume<br />
unseren Japannetzen zu fangen, bei<br />
starkem Regen ist das nicht möglich.<br />
Da schließen wir die Netze, um die<br />
Vögel nicht zu gefährden. Laut kreischend<br />
fl iegt eine Gruppe Kleiner<br />
Vasa-Papageien über unsere Köpfe.<br />
Sie sind wahrscheinlich auf dem<br />
Weg in die kleinen Süßkartoffelfelder<br />
weiter unten im Tal. Auch Bananen<br />
und andere Feldfrüchte verschmähen<br />
sie nicht und richten so <strong>für</strong> die sich<br />
selbst versorgenden Bauern der Region<br />
oft großen Schaden an. Touristen<br />
freuen sich über den Anblick der Papageien.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Madagaskar</strong>fi scher (Ispidina madagascariensis) nutzt Bachläufe im Primärregenwald und auch angrenzende landwirtschaftliche<br />
Flächen. Foto: M. Schmolz.
» Einkommen sichern <strong>–</strong><br />
Brandrodung stoppen<br />
Im dem von der „Stiftung Natur- und<br />
Artenschutz in den Tropen (NAT)“ unter<br />
Federführung von Helmut Zimmermann<br />
neu eingerichteten Schutzgebiet<br />
Maromizaha wird stark auf den Ökotourismus<br />
gesetzt. Er soll den Anwohnern<br />
des am Rand des Gebietes gelegenen<br />
Dorfes Anevoka ein Einkommen<br />
neben der Landwirtschaft ermöglichen<br />
und so die Brandrodung stoppen. Ihr<br />
fallen Jahr um Jahr riesige Urwaldflächen<br />
zum Opfer.<br />
Während die Nutzhölzer <strong>für</strong> den<br />
Holzhandel aus dem Wald geschlagen<br />
werden, werden Wege angelegt, die<br />
den Wald <strong>für</strong> die Landwirtschaft öffnen.<br />
Schätzungen gehen davon aus,<br />
dass auf <strong>Madagaskar</strong> heute weniger als<br />
5 % der ursprünglichen Waldflächen<br />
erhalten sind. Zurück bleiben ausgelaugte<br />
Böden, die oft mit australischen<br />
Eukalyptusarten aufgeforstet werden.<br />
Obwohl der Präsident <strong>Madagaskar</strong>s seit<br />
2005 die Abholzung von Primärwäldern<br />
verboten hat, wird weiter Wald<br />
abgebrannt. Für die meisten Menschen<br />
geht es dabei um das nackte Überleben.<br />
Vor diesem Hintergrund sind Initiativen<br />
wichtig, die den Menschen vor<br />
Von der Säge verschont: ein intakter Abschnitt des Primärregenwaldes<br />
von Maromizaha. Foto: F. Woog.<br />
Ort neue Wege zur nachhaltigen Nutzung<br />
des Waldes aufzeigen. Es gilt die<br />
Menschen zu überzeugen, dass sie sich<br />
durch die ständig fortschreitende Abholzung<br />
ihre zukünftige Lebensgrundlage<br />
vernichten. Aber nicht nur die<br />
Lebensgrundlagen der einheimischen<br />
Bevölkerung stehen auf dem Spiel.<br />
<strong>Madagaskar</strong>, die viertgrößte Insel der<br />
Welt, ist bekannt <strong>für</strong> seine hohe Anzahl<br />
nur hier vorkommender Tiere und<br />
Pflanzen. Besonders die Vögel fallen<br />
auf, gibt es doch hier, kaum 400 km<br />
entfernt vom afrikanischen Festland,<br />
mindestens fünf endemische Vogelfamilien<br />
und 37 endemische Vogelgattungen.<br />
Birdlife International hat 5<br />
EBA’s (Endemic Bird Areas) <strong>für</strong> <strong>Madagaskar</strong><br />
festgelegt <strong>–</strong> die Regenwälder im<br />
Osten, die Trockenwälder im Westen,<br />
die Dornenwälder im Süden und die<br />
Feuchtgebiete im Osten und Westen.<br />
Nur das Gerippe eines mächtigen Drachenbaumes zeugt vom<br />
einst artenreichen Regenwald. Foto: F. Woog.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006 369
Projekt<br />
Obwohl der lange Schnabel auf eine Verwandtschaft zu den Nektarvögeln schließen lässt, gehören Langschnabel-Nektarjalas<br />
(Neodrepanis coruscans) zu den endemisch auf <strong>Madagaskar</strong> vorkommenden Lappenpittas.<br />
Sie sind nur in intakten Primärwäldern anzutreffen. Foto: F. Woog.<br />
Weißkehlfoditanies (Oxylabes madagascariensis) schließen sich oft gemischten Artentrupps an, um gemeinsam<br />
auf Nahrungssuche durch den Wald zu ziehen. Sie sind meist in Bodennähe zu finden und durchsuchen<br />
hier die Laubschicht, aber können auch nach Baumläuferart an Stämmen emporklettern. Foto: F. Woog.<br />
Die grünen Hautlappen dieses männlichen, samtschwarz gefärbten Seidenjalas (Philepitta castanaea)<br />
enthalten keine Pigmente <strong>–</strong> die Färbung entsteht durch Reflexion an Hautstrukturen. Foto: F. Woog.<br />
370 <strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006<br />
» Ökotourismus statt Säge<br />
Um den sanften Tourismus in der<br />
Region voranzutreiben, bildet NAT<br />
seit dem Jahr 2004 systematisch<br />
Wildhüter aus dem an das Gebiet<br />
grenzenden Dorf Anevoka aus. Neben<br />
Patroullien im Gebiet führen sie<br />
kleine, biologisch interessierte Touristengruppen<br />
in den Wald. Giftige<br />
Tiere gibt es kaum, nur vor den ca.<br />
5 cm großen, schwarzen Skorpionen<br />
muss man sich in Acht nehmen. Lästig,<br />
aber völlig ungefährlich sind die<br />
kleinen Blutegel, die sich bei feuchter<br />
Witterung sogar durch die Kleidung<br />
bohren können. <strong>Der</strong> Regenwald setzt<br />
sich aus vielen kleinen Bergrücken<br />
und feuchten Bachtälern zusammen<br />
und erstreckt sich von 1000 m bis<br />
über 1200 m. Morgens sind die Berge<br />
oft noch in Nebel eingehüllt, an<br />
schönen Tagen schafft es die Sonne,<br />
ihn weg zu brennen. In der leichten<br />
Brise klappern die Blätter der zu den<br />
Liliengewächsen zählenden, riesigen<br />
Drachenbäume (Dracaena). Nach ihnen<br />
ist der Wald benannt.<br />
» Wo leben, wann brüten<br />
welche Vögel?<br />
Was mit reinen Artenlisten <strong>für</strong> die<br />
geplante Unterschutzstellung des Gebietes<br />
begann, hat sich immer mehr<br />
zu einer umfassenden Studie von<br />
Ökologie, Verhalten und Taxonomie<br />
der Tiere gewandelt. Während die<br />
Insekten und Pflanzen zur Artbestimmung<br />
mit nach Deutschland an<br />
das Naturkundemuseum in Stuttgart<br />
genommen werden und ihre Bearbeitung<br />
und Bestimmung oft Jahre<br />
dauert, werden Vögel und Kleinsäuger<br />
im Freiland bestimmt, genau vermessen,<br />
gewogen und fotografiert.<br />
Anschließend wird ihnen je eine<br />
Blut-, Feder- oder Haarprobe entnommen,<br />
die <strong>für</strong> spätere genetische<br />
Untersuchungen zur Verfügung steht.<br />
Auch der Kot der Tiere wird gesammelt,<br />
gibt er doch interessante Einblicke<br />
in das Nahrungsspektrum der<br />
untersuchten Arten. <strong>Der</strong> Brutstatus<br />
der Vögel wird bestimmt, ihr Alter<br />
soweit möglich (<strong>für</strong> viele Arten sind
noch keine Kriterien bekannt) sowie<br />
ihr Mauserstatus. Bevor wir die Vögel<br />
wieder in die Freiheit entlassen,<br />
bekommen sie noch einen Ring ans<br />
Bein. Wir verwenden hierzu die Ringe<br />
der südafrikanischen Beringungszentrale<br />
SAFRING. Die individuelle<br />
Kennzeichnung erlaubt, Aussagen<br />
über Alter, Ortstreue oder Ortswechsel<br />
zu gewinnen.<br />
Innerhalb von Maromizaha reichen<br />
unsere Untersuchungsgebiete vom<br />
Primärregenwald über teilweise abgeholzte,<br />
kleine landwirtschaftliche,<br />
vom Wald umgebene Flächen bis zu<br />
einer völlig degradierten Fläche an<br />
einem Steinbruch. Die genaue Habitatbeschreibung<br />
der Fangorte gibt<br />
Aufschlüsse über die Lebensweise<br />
einzelner Arten. Solche ökologischen<br />
Grundlagen sind <strong>für</strong> viele madagassische<br />
Arten überhaupt noch nicht bekannt.<br />
Auch Informationen darüber,<br />
wann die verschiedenen Vogelarten<br />
sich fortpflanzen, welche Nester sie<br />
bauen und wann sie mausern, gibt<br />
es <strong>für</strong> viele Arten nicht. Die meisten<br />
ornithologischen Untersuchungen<br />
in den Regenwäldern <strong>Madagaskar</strong>s<br />
fanden bisher im September und Oktober<br />
statt, in Monaten, in denen es<br />
weniger regnen soll und so <strong>für</strong> Biologen<br />
bessere Freilandbedingungen<br />
herrschen.<br />
Wir können diese Beobachtungen<br />
nicht bestätigen; im Regenwald regnet<br />
es eben, und zwar oft <strong>–</strong> egal in<br />
welchem Monat. In unserem Studiengebiet<br />
fängt die eigentliche Brutaktivität<br />
<strong>für</strong> die meisten Arten im November<br />
an, mit einer nennenswerten<br />
Zahl Jungvögel kann man erst im<br />
Dezember rechnen. In der Literatur<br />
wird oft beschrieben, dass auf <strong>Madagaskar</strong><br />
die meisten Vögel Insekten<br />
fressen und es im Verhältnis zu anderen<br />
Gebieten weniger Fruchtfresser<br />
gäbe. Grundsätzlich mag das stimmen,<br />
könnte aber auch durch den<br />
Zeitraum, in dem die meisten Vogelkundler<br />
dort forschen, beeinflusst<br />
werden. In unserem Studiengebiet<br />
werden Früchte erst ab Dezember reif<br />
und Studien im Januar, Februar und<br />
März könnten sehr interessante, neue<br />
Einblicke geben.<br />
Dieser männliche Langschnabel-Nektarjala (Neodrepanis coruscans) trägt einen Saftroller zum Füttern<br />
eines eben flügge gewordenen Jungvogels im Schnabel. Foto: M. Schmolz.<br />
<strong>Der</strong> Malegassennektarvogel (Nectarinia souimanga) kommt auch auf abgeholzten Flächen vor, wo er beim<br />
Nektarsaugen am nicht heimischen, invasiven Wandelröschen (Lantana camara) zu beobachten ist.<br />
Foto: F. Woog.<br />
Durch die Vogelberingung konnte nachgewiesen werden, dass nur Vogelarten, die auch Nektar oder<br />
Früchte fressen, zwischen dem Primärwald und nahe gelegenen abgeholzten Flächen wechseln. Dort<br />
profitieren sie von eingeschleppten Pflanzen (hier ein <strong>Madagaskar</strong>brillenvogel Zosterops maderaspatanus).<br />
Foto: F. Woog.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006 371
Projekt<br />
Beim männlichen Rotbrust-Paradiesschnäpper (Terpsiphone mutata) gibt es außer einer weißen auch eine<br />
rote Farbvariante. Den rötlich gefärbten Weibchen und Jungvögeln fehlen die verlängerten Schwanzfedern.<br />
Foto: F. Woog.<br />
Mit einer Ausnahme, dem Comoren-Blauvanga (Cyanolanius comorensis), kommen Vangas nur auf<br />
<strong>Madagaskar</strong> vor. Hier ein <strong>Madagaskar</strong>-Blauvanga (Cyanolanius madagascarinus). Foto: F. Woog.<br />
372 <strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006<br />
<strong>Der</strong> Blaue Seidenkuckuck (Coua caerulea) sucht auf bis zu armdicken Ästen nach Insekten. Foto: F. Woog.<br />
» Stubenhocker oder<br />
Wandersleute?<br />
Informationen über die Ortstreue und<br />
mögliche Wanderbewegungen der<br />
Vögel sind <strong>für</strong> eine naturschutzfachliche<br />
Planung wichtig. Meist nimmt<br />
man an, tropische Vögel seien sehr<br />
ortstreu. Für madagassische Vögel<br />
gibt es kaum Daten. Von den 209<br />
Brutvogelarten <strong>Madagaskar</strong>s sind<br />
nur sieben richtige Zugvögel, 51 %<br />
der Arten kommen nur auf <strong>Madagaskar</strong><br />
vor. Jahreszeitliche Höhenwanderungen<br />
und sogar Nord-Ost Zugbewegungen<br />
könnten stattfinden,<br />
aber ohne weit gestreute, größere Beringungsaktivitäten<br />
ist es schwierig,<br />
dies nachzuweisen.<br />
Außerhalb der Brutzeit schließen<br />
sich verschiedene Vogelarten oft zu<br />
kleinen, gemischten Gruppen zusammen<br />
und ziehen auf Nahrungssuche<br />
durch den Wald. Wie weitläufig diese<br />
Wanderbewegungen sind, ist weitgehend<br />
unbekannt. Auch wir konnten<br />
kaum Neues darüber herausfinden,<br />
allerdings gelang es uns, gute Daten<br />
zur Ortstreue der Vögel zu bekommen:<br />
Im Jahr 2004 fingen wir 37 im<br />
Vorjahr beringte Vögel von 12 Arten<br />
wieder (10,8 %). 2005 fingen wir 23<br />
Vögel wieder, die wir 2004 (5,3 %)<br />
beringt hatten und 17 in Vorjahr beringte<br />
(5 %). Acht Individuen (fünf<br />
Arten) hatten wir jedes Jahr in der<br />
Hand. Diese hohe Ortstreue macht<br />
auch den madagassischen Behörden<br />
deutlich, wie sehr sich die Abholzung<br />
auf die dort lebende, einzigartige Vogelwelt<br />
auswirken würde. Besonders<br />
spannend sind auch die kleinräumigen<br />
Bewegungen der Vögel im Wald,<br />
zu denen uns erste Wiederfänge beringter<br />
Vögel handfeste Beweise liefern.<br />
Während manche Arten ganz<br />
streng an den Wald gebunden sind,<br />
nutzen andere die nahe dem Wald<br />
gelegenen Flächen zur Nahrungsaufnahme.<br />
» Nahrungsangebot durch<br />
invasive Pflanzen<br />
Vor allem Arten, die auch Früchte<br />
und Nektar fressen, wie Rotschnabelbülbüls<br />
(Hypsipetes madagascariensis),<br />
<strong>Madagaskar</strong>brillenvögel<br />
(Zosterops maderaspatanus) und
Malegassennektarvögel (Nectarinia<br />
souimanga) können auf landwirtschaftlich<br />
genutzten Flächen häufig<br />
beobachtet werden. Sie verschmähen<br />
auch eingeschleppte Pflanzen nicht,<br />
wie Wandelröschen (Lantana camara)<br />
und Seifenstrauch (Clidemia hirta),<br />
und tragen wahrscheinlich zu deren<br />
Verbreitung bei. Fliegen die Vögel in<br />
den Wald zurück, könnten sie die Samen<br />
dieser zum Teil sehr invasiven<br />
Pflanzenarten in den unberührten<br />
Primärwald tragen.<br />
Vor allem entlang von Wegen und<br />
an durch Abholzung entstandenen<br />
Lichtungen bemerkten wir Sämlinge<br />
dieser eingeschleppten Pflanzen,<br />
während es im unberührten Primärwald<br />
oft zu dunkel <strong>für</strong> sie ist.<br />
<strong>Der</strong> tatsächliche Schaden, den diese<br />
Pflanzen im Regenwald anrichten<br />
könnten, ist schwer einzuschätzen.<br />
Die letzten Regenwälder sind demnach<br />
nicht nur durch Abholzung,<br />
sondern auch durch invasive, nicht<br />
heimische Pflanzen gefährdet. Auf<br />
vielen anderen Inseln haben sie die<br />
Primärwälder bereits unwiderruflich<br />
verändert, wie etwa durch die Invasion<br />
der Weihnachtsbeere (Schinus<br />
terebinthifolius) oder Bananenpassionsfrucht<br />
(Passiflora mollissima) auf<br />
Hawaii.<br />
» Hohe Artenfülle auf<br />
kleinstem Raum<br />
Insgesamt konnten wir im nur 1600<br />
ha großen Maromizaha bisher 82<br />
Vogelarten nachweisen, darunter<br />
den gefährdeten Schopfibis (Lophotibis<br />
cristata), Keilschwanztimalie<br />
(Hartertula flavoviridis), Einfarb-<br />
Stelzenralle (Mesitornis unicolor),<br />
drei Erdracken (Atelornis crossleyi,<br />
Atelornis pittoides, Brachypteracias<br />
leptosomus), die Fanovana-Newtonie<br />
(Newtonia fanovanae), Pollen-Vanga<br />
(Xenopirostris polleni), Grauscheitelbülbül<br />
(Xanthomixis cinereiceps) und<br />
die versteckt lebende Crossley-Timalie<br />
(Mystacornis crossleyi). Unter<br />
den 23 nachgewiesenen endemischen<br />
Säugetierarten sind die elf Lemurenarten<br />
am auffälligsten, darunter neben<br />
dem tagaktiven Indri (Indri indri)<br />
auch der Schwarzweiße Vari (Varecia<br />
variegata), der Diademsifaka (Propithecus<br />
diadema), tag- und nacht-<br />
Diese seltenen Halsband-Nachtschwalben (Caprimulgus enarratus) tarnen sich perfekt. Sie sind auf Primärregenwälder<br />
angewiesen. Ihr Ruf ist noch nicht bekannt. Foto: F. Woog.<br />
Die <strong>Madagaskar</strong>nachtschwalbe (Caprimulgus madagascariensis, hier zwei Jungvögel) bevorzugt offene<br />
Lebensräume und profitiert somit von der Abholzung der Regenwälder. Foto: K. Marquart.<br />
Auf dem Speisezettel des Hakenvangas (Vanga curvirostris) stehen neben größeren Insekten sogar kleine<br />
Reptilien wie Chamäleons. Foto: M. Schmolz.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006 373
Projekt<br />
aktive Arten wie der Braune Maki<br />
(Eulemur fulvus), der Rotbauchmaki<br />
(Eulemur rubiventer) und der Östliche<br />
Graue Bambuslemur (Hapalemur<br />
griseus) und ausschließlich nachtaktive<br />
Arten wie der Östliche Wollmaki<br />
(Avahi laniger), Große Fettschwanzmaki<br />
(Cheirogaleus major),<br />
Kleinzahn-Wieselmaki (Lepilemur<br />
microdon) und die Zwerge unter den<br />
Lemuren, der Goodman-Mausmaki<br />
(Microcebus lehilahytsara) und der<br />
seltene Büschelohrmaki (Allocebus<br />
trichotis).<br />
Besonders spannend sind die auf<br />
<strong>Madagaskar</strong> endemischen Tanreks,<br />
wie Langschwanztanrek (Microga-<br />
374 <strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006<br />
Bei der wissenschaftlichen Arbeit sind die Einheimischen stark mit eingebunden. Die<br />
vor Ort <strong>für</strong> die Vogelwelt geweckte Begeisterung sichert das Fortbestehen und die Nachhaltigkeit<br />
der Naturschutzbemühungen. Foto: F. Woog.<br />
<strong>Der</strong> Wildhüter Jean-Robert Lekamisy ist jetzt lokaler Vogelexperte. Foto: F. Woog.<br />
le longicaudata), Talazac’s Spitzmaustanrek<br />
(Microgale talazaci),<br />
Taiva Spitzmaustanrek (Microgale<br />
taiva), Reistanrek (Oryzorictes hova)<br />
und Streifentanrek (Hemicentetes<br />
semispinosus) und die endemischen<br />
Nagetiere wie die Rote Waldratte<br />
(Nesomys rufus), die Voalavoanala<br />
(Gymnuromys roberti) und die spezialisierten<br />
Quastenschwanzratten Eliurus<br />
(E. tanala, E. minor, E. webbi,<br />
E. spec.).<br />
Diese endemischen Nagetiere sind<br />
<strong>für</strong> Kathrin Marquart, Säugetierkundlerin<br />
am Naturkundemuseum<br />
Stuttgart, Gegenstand detaillierter<br />
Forschung. Sie konnte zeigen, dass<br />
diese Ratten ganz distinkte Nischen<br />
besetzen, die Rote Waldratte am<br />
Tag, die übrigen Arten während der<br />
Nacht. Das Vorkommen der Ratten<br />
erstreckt sich über die unterschiedlichsten<br />
Lebensräume, von feuchten<br />
Flusstälern bis zu Nebelwäldern<br />
entlang der Bergrücken. Erstmals<br />
untersuchte sie auch die Lebensgewohnheiten<br />
dieser versteckt lebenden<br />
Tiere in Gefangenschaft. Direkt im<br />
Studiengebiet baute sie dazu einen<br />
großen Beobachtungskäfig auf, um<br />
die Aktivitätsmuster und Verhaltensweisen<br />
der Tiere genau studieren zu<br />
können. Ein Problem sind Hausratten<br />
(Rattus rattus), die im Schlepptau des<br />
Menschen auch bis tief in die Wälder<br />
hinein vorkommen können. Ihre<br />
Flöhe übertragen die Pest, an der in<br />
<strong>Madagaskar</strong> jährlich zwischen 15<br />
und 582 Menschen erkranken und<br />
einige auch sterben. Unklar ist, ob<br />
die <strong>für</strong> das afrikanische Festland typischen<br />
Buschschweine (Potamochoerus<br />
porcus) hier heimisch sind, oder<br />
vom Menschen eingebracht wurden.<br />
Ihre Wühlspuren sehen wir häufig im<br />
Wald. Auch sie fressen gerne Früchte<br />
wie die der eingeschleppten Passionsblumen<br />
(Passiflora spec.) und tragen<br />
so zu ihrer Verbreitung bei.<br />
» Wald erhalten und neu gewinnen<br />
Das Konzept des Ökotourismus leuchtet<br />
mittlerweile all denen ein, deren<br />
Familien davon profitieren. Aber im<br />
Dorf Anevoka leben zu viele Menschen,<br />
nicht alle können Wildhüter<br />
werden. Jetzt bringt ein zum Teil vom<br />
Bio Carbon Fund der Weltbank finanziertes<br />
Projekt, der Andasibe-Mantadia<br />
Biodiversity Korridor, neue Jobs<br />
<strong>–</strong> die abgeholzten Flächen zwischen<br />
den Regenwäldern von Maromizaha<br />
im Süden sollen durch Aufforstung<br />
wieder mit dem Analamazaotra Special<br />
Indri Lemur Reservat und dem<br />
Mantadia National Park im Norden<br />
verbunden werden. Vertretern des<br />
Bio Carbon Funds geht es dabei vor<br />
allem darum, möglichst viele Bäume<br />
zu pflanzen, um Kohlendioxid aus<br />
der Atmosphäre zu binden. Das wäre<br />
auch mit einigen wenigen Baumarten<br />
möglich.<br />
Vielen der in der Gegend tätigen<br />
Naturschutzorganisationen ist das<br />
zu wenig. Ihnen schwebt eine möglichst<br />
hohe Artenvielfalt in den wie-
der aufgeforsteten Bereichen vor. Ein<br />
Zusammenschluss mehrerer Naturschutzorganisationen<br />
und Spezialisten<br />
in Sachen Wiederaufforstung,<br />
„TAMS (Restoration of Ecosystem<br />
Services) Vohidrazana-Mantadia“<br />
koordiniert die Aktivitäten, verteilt<br />
die Fördergelder und berät über die<br />
besten Techniken. Überall sprießen<br />
kleine Baumschulen, in denen die<br />
Bäume <strong>für</strong> das ehrgeizige Projekt<br />
herangezogen werden. Dabei soll es<br />
Gebiete mit Natur belassenem Wald<br />
auf der einen Seite geben, auf der<br />
anderen Seite Flächen, auf denen<br />
integrierte Landwirtschaft betrieben<br />
wird, die eine längerfristige Nutzung<br />
erlaubt. Über 5000 ha stehen auf dem<br />
Programm, außerdem sollen in dem<br />
nach Norden anschließenden Gebiet<br />
80 000 ha Primär- und Sekundärwald<br />
bis hin zum 100 km entfernten<br />
Zahamena National Park nachhaltig<br />
geschützt werden. Allein in Maromizaha<br />
wurden bereits 38 000 junge,<br />
einheimische Bäume von Mitarbeitern<br />
der NAT gepflanzt.<br />
Das exakte und langfristige Monitoring<br />
der vorkommenden Arten<br />
ist <strong>für</strong> die Beurteilung, ob die Maßnahmen<br />
erfolgreich sind oder nicht,<br />
unverzichtbar. Nachhaltig wird das<br />
Projekt aber nur sein, wenn eine längerfristige<br />
Finanzierung gesichert ist.<br />
Denn junge Bäume bedürfen über<br />
viele Jahre der intensiven Pflege, bevor<br />
sie ein schützendes Kronendach<br />
entwickelt haben. Längerfristig ist<br />
daher auch die Forschung des Naturkundemuseums<br />
Stuttgart angelegt.<br />
Bäume wachsen eben langsam.<br />
Friederike Woog<br />
Die Forschungsarbeiten werden von der Gesellschaft<br />
zur Förderung des Naturkundemuseums<br />
Stuttgart finanziell unterstützt.<br />
www.naturkundemuseum-bw.de<br />
Literatur zum Thema:<br />
Goodman, S. M. & J. P. Benstead<br />
(2003): The Natural History of<br />
Madagascar. University of Chicago<br />
Press, Chicago.<br />
Morris, P. & F. Hawkins (1998):<br />
Birds of Madagascar. A photographic<br />
guide. Pica Press, East<br />
Sussex.<br />
Sinclair I & O. Langrand (1998):<br />
Birds of the Indian Ocean Islands.<br />
Struik Publishers, Cape Town.<br />
Die feinmaschigen Japannetze werden nur entlang bereits vorhandener Wege und Schneisen gestellt.<br />
Je nach Witterung werden sie halbstündlich bis einmal pro Stunde von geschulten Mitarbeitern kontrolliert<br />
und gefangene Vögel befreit. Hochnetze erweitern das untersuchte Artenspektrum. Foto: F. Woog.<br />
Schön aber gefährlich <strong>–</strong> invasive, nicht heimische Pflanzenarten<br />
sind eine Bedrohung <strong>für</strong> die verbleibenden intakten<br />
Ökosysteme <strong>Madagaskar</strong>s (links oben: Wandelröschen Lantana<br />
camara, links unten: Passionsblume Passiflora edulis,<br />
oben: Seifenstrauch Clidemia hirta). Fotos: F. Woog.<br />
Alle Fotos: <strong>Madagaskar</strong>, 2003-2005.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Falke</strong> 53, 2006 375