FM 2-08.id - Neue Provinzleitung der Deutschen Franziskaner
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2 2008<br />
Ferner Osten<br />
Asien rückt näher<br />
China hat viele Gesichter – So nah wie nie und doch so fremd?<br />
Reiches Land, große Armut – <strong>Franziskaner</strong> in Japan<br />
Grundrechte als Leihgabe – Menschenrechte in China<br />
Partnerschaft auf Augenhöhe – China in Afrika
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<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
von Br. Augustinus Diekmann ofm<br />
China hat viele Gesichter<br />
So nah wie nie – und doch so fremd?<br />
von Barbara Hoster<br />
Verfolgt, aber dynamisch-lebendig<br />
Die katholische Kirche in China<br />
von Katharina Wenzel-Teuber<br />
Vietnamesischer Katholikentag<br />
Vietnamesische Katholiken in Deutschland<br />
von Br. Chi Thien Vu ofm<br />
Reiches Land – große Armut<br />
<strong>Franziskaner</strong> in Japan<br />
Beiträge aus dem Katalog »Zu den Menschen gesandt«<br />
Multikulturelle Saat Gottes<br />
Japanische Kirche mit internationalen Facetten<br />
von P. Hubert Nelskamp ofm<br />
<strong>Neue</strong>s Büro öffnet neue Horizonte<br />
Im Einsatz für die Menschenrechte in Asien<br />
von Neha Sud, Franciscans International<br />
Die »Ware« Frau<br />
Die Menschenrechte von Frauen in China<br />
von Astrid Lipinsky<br />
Grundrechte als Leihgabe<br />
Menschenrechte in China<br />
von Dirk Pleiter<br />
Trauer um P. Rainald Hillebrand O<strong>FM</strong><br />
Am 22.03.2008 ist unser Brasilien-<br />
Missionar, Pater Rainald Hillebrand<br />
ofm, ganz plötzlich und unerwartet<br />
im Alter von 70 Jahren verstorben.<br />
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Partnerschaft auf Augenhöhe?<br />
China in Afrika<br />
von Thomas M. Schimmel<br />
Zwei Welten<br />
Schüleraustausch mit China<br />
von Gertraud Schwab<br />
Deutsch-chinesische Freundschaft<br />
Erfahrungen mit einem chinesischen Gastschüler<br />
von Ulrich Klauke und Qiwei<br />
Ein eigenes Credo für Asien<br />
Porträt eines indischen Theologen<br />
von Br. Stefan Fe<strong>der</strong>busch ofm<br />
Kein Frieden in Sicht<br />
Informationen über Sri Lanka und zwei Erfahrungsberichte<br />
Beiträge aus <strong>der</strong> Missionszeitschrift <strong>der</strong> Schweizer Kapuziner<br />
Aufbruch nach Nie<strong>der</strong>ländisch-Indien<br />
Franziskanische Antwort auf die Nöte in Nord-Sumatra<br />
von Michael Bodin<br />
Buntes Volk Gottes<br />
Interkulturelles Zusammenleben im Essener Kloster<br />
von Sr. Anette M. Chmielorz<br />
Projekt Aussatz in China<br />
von Thomas M. Schimmel<br />
Projekt Vietnam<br />
von Br. Augustinus Diekmann ofm<br />
Impressum<br />
1964 betrat er zum ersten Mal brasilianischen<br />
Boden und war seither dort in<br />
verschiedenen Funktionen tätig. Ob als<br />
Pfarrer in Vitorino Freire, als Hausoberer<br />
in São Luís o<strong>der</strong> als Vikar in Teresina –<br />
überall leistete er in seiner ruhigen und<br />
doch so humorvollen Art wertvolle<br />
Dienste für diverse Hilfsprojekte <strong>der</strong><br />
<strong>Franziskaner</strong>. Seine letzte Wirkungsstätte<br />
lag in Piripiri, wo er zunächst zehn Jahre<br />
lang als Guardian dem dortigen Konvent<br />
vorstand. Im Jahr 2005 gab er die<br />
Verantwortung für die Hausgemeinschaft<br />
in jüngere Hände ab und bezeichnete sich<br />
selbst als »glücklichen Fußsoldat«. Trotz<br />
zunehmen<strong>der</strong> gesundheitlicher Probleme<br />
nahm er weiterhin aktiv am Missionsleben<br />
teil. Geleitet von dem Wunsch,<br />
Geschehenes zu bewahren und weiterzuvermitteln,<br />
betätigte er sich als Chronist<br />
<strong>der</strong> Ordensprovinz und veröffentlichte zahlreiche<br />
geschichtliche Abhandlungen. Nebenbei pfl egte<br />
und aktualisierte er die von ihm geschaffene Internetseite<br />
<strong>der</strong> Pfarrei in Piripiri.<br />
In den frühen Morgenstunden des 22. März<br />
»erlebte P. Rainald sein endgültiges Ostern«. Am<br />
Ostersonntag wurde er unter großer Anteilnahme<br />
<strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> auf dem Klosterfriedhof im brasilianischen<br />
Bacabal beigesetzt. Unser beson<strong>der</strong>es<br />
Mitgefühl gilt seiner Familie, seinen Mitbrü<strong>der</strong>n<br />
sowie den Menschen, die ihn als Seelsorger<br />
schätzen und lieben gelernt haben.<br />
Natürlich laufen die Projekte, die P. Rainald<br />
am Herzen lagen – vor allem in Piripiri – auch<br />
in Zukunft weiter. Pater Ewald Dimon ofm, <strong>der</strong><br />
Pfarrer <strong>der</strong> Gemeinde von Piripiri, wird persönlich<br />
dafür Sorge tragen, dass die von Pater Rainald<br />
begonnene Arbeit in seinem Sinne fortgeführt<br />
wird. Deshalb ist unsere Unterstützung auch über<br />
seinen Tod hinaus wichtig.
Editorial<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
liebe Freunde <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong> Mission,<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission<br />
<strong>Franziskaner</strong>straße 1, 44143 Dortmund<br />
Telefon 02 31/17 63 37 5<br />
Fax 02 31/17 63 37 70<br />
info@franziskanermission.de<br />
www.<strong>Franziskaner</strong>Mission.de<br />
»Du führst uns hinaus ins Weite« war<br />
das Motto des diesjährigen Katholikentages<br />
in Osnabrück. Ich selbst habe<br />
mehrere Tage am Stand <strong>der</strong> Netzwerk-<br />
Initiative clara.francesco verbracht und<br />
erfahren, wie wahr und wie schön<br />
dieser Leitspruch ist: <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
und <strong>Franziskaner</strong> aus verschiedenen<br />
Län<strong>der</strong>n und Gemeinschaften standen<br />
in dem als Café und Aktionsfeld<br />
gestalteten Stand zum Gespräch zur<br />
Verfügung. Beim Kickerspiel, beim<br />
»Tau schnitzen«, beim »Kirche bauen«<br />
o<strong>der</strong> einfach nur bei Keksen und<br />
Kaffee machten die Besucherinnen und<br />
Besucher von unseren Angeboten regen<br />
Gebrauch. Die Tage waren voll mit<br />
interessanten und schönen Begegnungen,<br />
die auf beiden Seiten die Horizonte<br />
erwei terten und im lebendigen Dialog<br />
den Blick für das Gegenüber öffneten<br />
(vgl. www.franziskanermission.de).<br />
»Du führst uns hinaus ins Weite«<br />
könnte auch das Motto <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong><br />
Mission sein. Mit unserer Zeitschrift<br />
und mit unserem Engagement auf vier<br />
Kontinenten dieser Erde wollen wir den<br />
Blick über Europa hinaus erweitern und<br />
helfen, Bewusstsein für den Reichtum<br />
und die Schönheit dieser Welt, aber<br />
auch für die Verantwortung, die wir<br />
alle für Gottes Schöpfung tragen, zu<br />
schaffen.<br />
Die zweite Ausgabe <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong><br />
Mission 2008 richtet ihren Blick<br />
nach Asien. China steht wegen <strong>der</strong><br />
Olympischen Spiele und <strong>der</strong> Erdbebenkatastrophe<br />
seit einigen Wochen im<br />
Zentrum <strong>der</strong> Berichterstattung. Das<br />
ist gut so, und es ist erfreulich, dass<br />
die Frage <strong>der</strong> Menschenrechte immer<br />
wie<strong>der</strong> thematisiert wird. Das Anmahnen<br />
von Menschenrechten und die<br />
Gewährung von humanitärer Hilfe darf<br />
sich allerdings nicht auf eine bestimmte<br />
Region o<strong>der</strong> einen bestimmten Zeitraum<br />
beschränken: Diese Art von Engagement<br />
muss umfassend und dauerhaft sein.<br />
Spenden erbitten wir, unter Angabe des<br />
Verwendungszwecks, auf das Konto 5100,<br />
Volksbank Hellweg eG (BLZ 414 601 16) o<strong>der</strong><br />
Konto 34, Sparkasse Werl (BLZ 414 517 50).<br />
Dieser Ausgabe liegt eine Zahlkarte bei.<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Bewusst nimmt sich unsere Zeitschrift<br />
<strong>der</strong> ganzen Region »Ferner Osten« an.<br />
Es wird nicht nur aus China berichtet,<br />
son<strong>der</strong>n u. a. auch aus Indien, Japan,<br />
Sri Lanka und über asiatische Facetten<br />
in Deutschland. Wir möchten den Blick<br />
fokussieren auf Regionen und Kulturen,<br />
die sehr weit weg sind und <strong>der</strong>en Menschen<br />
mit ihrer ureigenen Mentalität<br />
uns heute oft fremd sind.<br />
Bei den Gesprächen am Stand auf<br />
dem Katholikentag habe ich viele alte<br />
Bekannte wie<strong>der</strong>getroffen – und immer<br />
wie<strong>der</strong> kam es zu Wie<strong>der</strong>sehen und<br />
Zufallsbegegnungen, die zum Ausruf:<br />
»Ach, Ihr kennt Euch auch? Die Welt<br />
ist ja so klein …« führten. Wir möchten<br />
mit diesem Heft den Fernen Osten ein<br />
Stück näher bringen und Gottes Angebot,<br />
uns ins Weite zu führen, annehmen.<br />
Denn unsere Welt wird immer<br />
kleiner und unsere Verantwortung<br />
dafür immer größer. Ich danke Ihnen<br />
auch an dieser Stelle, dass Sie durch Ihr<br />
lebendiges Interesse und Ihre konkrete<br />
Unterstützung diese Verantwortung<br />
mittragen.<br />
Ihr<br />
Br. Augustinus Diekmann ofm<br />
Leiter <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong> Mission<br />
Besuchen Sie unsere Website:<br />
www.<strong>Franziskaner</strong>Mission.de<br />
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2<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
China hat viele Gesichter<br />
So nah wie nie – und doch so fremd?<br />
Straßenszene Shanghai<br />
China ist uns näher gerückt als je zuvor in <strong>der</strong><br />
Geschichte: Täglich gibt es zahlreiche direkte Flugverbindungen<br />
von und nach China; nie gab es mehr<br />
Importe chinesischer Waren auf dem deutschen<br />
Markt; an fast je<strong>der</strong> Ecke fi ndet man ein China-<br />
Restaurant; mehr als 30.000 chinesische Hochschülerinnen<br />
und Hochschüler studieren in Deutschland;<br />
chinesische Touristinnen und Touristen haben den<br />
japanischen hierzulande den Rang abgelaufen. China<br />
ist längst unter uns. Auch in umgekehrter Richtung<br />
vollzieht sich die Annäherung: Zehntausende deutscher<br />
Touristinnen und Touristen bereisen jährlich<br />
das Land <strong>der</strong> Mitte, Tausende von Mitarbeitenden<br />
deutscher Firmen arbeiten und leben mit ihren<br />
Familien längerfristig in den chinesischen Geschäftszentren;<br />
Hun<strong>der</strong>te deutscher Hochschülerinnen<br />
und Hochschüler studieren in China, es gibt viele<br />
deutsch-chinesische Hochschulkooperationen; immer<br />
mehr Schulen in Deutschland bieten Chinesisch als<br />
Unterrichtsfach an. Und dennoch ist uns China nach<br />
wie vor fremd, wir schwanken zwischen Bewun<strong>der</strong>ung<br />
angesichts des chinesischen Wirtschaftsbooms<br />
und Ablehnung angesichts <strong>der</strong> Bedrohung durch die<br />
»aufstrebende Weltmacht« China. Ein Blick zurück in<br />
die Geschichte zeigt, dass unser Bild von China schon<br />
immer großen Schwankungen ausgesetzt war.<br />
China als Faszinosum<br />
China als »das Fremde« hat schon<br />
immer fasziniert. Die »Entdeckung«<br />
Chinas in Europa im ausgehenden<br />
Mittelalter erfolgte durch Augenzeugenberichte<br />
wie zum Beispiel die<br />
»Geschichte <strong>der</strong> Mongolen« (um<br />
1247) des <strong>Franziskaner</strong>s Johannes del<br />
Piano Carpini.<br />
Der Reisebericht Marco Polos mit<br />
seinen detaillierten Schil<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Sitten und Gebräuche von Catai,<br />
dem von Kublai Khan beherrschten<br />
Nordchina, erregte im Europa <strong>der</strong><br />
Renaissance weithin Aufsehen (eine<br />
wissenschaftliche Debatte in jüngerer<br />
Zeit bezweifelt allerdings, ob Marco<br />
Polo wirklich jemals in China war).<br />
Sinnfälligste Chiffre für die Fremdheit<br />
Chinas ist bis heute vielleicht die<br />
Schrift mit ihren Zehntausenden komplizierter<br />
Zeichen. Durch ihre Schrift<br />
grenzten die Chinesen sich traditionell<br />
von den Fremden ab, die eben diejenigen<br />
waren, die die chinesische Schrift<br />
nicht beherrschten. Die Schriftzeichen
eizten bereits früh den europäischen<br />
Forschergeist: Der deutsche Orientalist<br />
Andreas Müller begab sich im<br />
17. Jahrhun<strong>der</strong>t auf die Suche nach<br />
<strong>der</strong> »clavis Sinica«, dem Schlüssel,<br />
<strong>der</strong> das Geheimnis <strong>der</strong> chinesischen<br />
Schrift aufschließen sollte.<br />
China als Wunschbild<br />
Über seine Korrespondenz mit den<br />
Jesuitenmissionaren am chinesischen<br />
Kaiserhof gelangte <strong>der</strong> Philosoph<br />
Gottfried Wilhelm Leibniz zu<br />
detaillierten Kenntnissen über China.<br />
Er zeichnete in seinen Schriften ein<br />
äußerst positives Bild vom Reich<br />
<strong>der</strong> Mitte und sah den chinesischen<br />
Kaiser als aufgeklärten und gebildeten<br />
Monarchen an <strong>der</strong> Spitze eines Beamtenapparates,<br />
mit dessen Hilfe er eine<br />
harmonische, friedliche und gerechte<br />
Herrschaft ausübte. China wurde so<br />
im Zeitalter <strong>der</strong> Aufklärung zu einer<br />
Projektionsfl äche für europäische<br />
Wunschvorstellungen. Kunsthistorisch<br />
fand diese China-Begeisterung<br />
ihren Nie<strong>der</strong>schlag in <strong>der</strong> Mode <strong>der</strong><br />
»Chinoiserie« an europäischen Höfen.<br />
China als Herausfor<strong>der</strong>ung zur<br />
Anpassung<br />
Entscheidend geprägt haben dieses<br />
positive China-Bild die Jesuiten, die<br />
in Europa für ihre Mission warben.<br />
Sie stellten sich <strong>der</strong> Fremdheit <strong>der</strong><br />
chinesischen Kultur: Sie erlernten<br />
die chinesische Sprache, studierten<br />
die chinesischen Klassiker, verfassten<br />
Bücher auf Chinesisch und kleideten<br />
sich wie chinesische Beamte. Sie spürten<br />
allerdings auch, dass sie als Fremde<br />
nicht unbedingt willkommen waren,<br />
und so setzten sie ihre überlegenen<br />
naturwissenschaftlichen Kenntnisse<br />
ein, um die führende Beamtenschicht,<br />
gar den Kaiser selbst, zu gewinnen, um<br />
dann auch die christliche Lehre unter<br />
ihnen zu verbreiten.<br />
Fremde aus chinesischer Sicht<br />
Ablehnung gegenüber Fremden<br />
bekamen die Missionare in China<br />
immer wie<strong>der</strong> zu spüren. Sie erklärt<br />
sich zum Teil aus dem traditionellen<br />
chinesischen Selbstbild: Die Chinesen<br />
verstanden sich als Volk in <strong>der</strong> Mitte.<br />
Die Fremden waren die am Rande<br />
dieser Mitte angesiedelten Völker.<br />
Die Bezeichnung »yi«, ursprünglich<br />
die Bezeichnung für Fremdvölker aus<br />
dem Osten, wurde in <strong>der</strong> ausgehenden<br />
Kaiserzeit und beginnenden Epoche<br />
des Kolonialismus in China allgemein<br />
auf Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong><br />
ausgedehnt. Sie war aber stark negativ<br />
gefärbt und unterstellte die Min<strong>der</strong>wertigkeit<br />
frem<strong>der</strong> Menschen und<br />
Kulturen. Erst als sich mit den Opiumkriegen<br />
im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t die technologische<br />
Überlegenheit des Westens<br />
herausstellte, erkannten chinesische<br />
Gelehrte die Notwendigkeit, von den<br />
»yi« zu lernen. Es erschienen zahlreiche<br />
Werke, die die fremden Län<strong>der</strong><br />
und Kulturen des Westens vorstellten,<br />
die Negativbezeichnung »yi« wurde<br />
durch neutrale Begriffe ersetzt.<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Mädchen in traditioneller Tracht<br />
3
4<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Wasserbüffel<br />
Das China-Bild zwischen den<br />
Extremen<br />
Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t löste ein negatives<br />
Bild von China das positive <strong>der</strong> Jesuitenmission<br />
und <strong>der</strong> Philosophen <strong>der</strong><br />
Aufklärung ab. Nun wurde vor allem<br />
die technologische Rückständigkeit<br />
und scheinbar mangelnde Entwicklungsfähigkeit<br />
des Landes gesehen. Es<br />
gehört zu den Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeiten<br />
in <strong>der</strong> Entwicklung des westlichen<br />
China-Bildes, dass um die Wende zum<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t China dennoch zur<br />
»gelben Gefahr« hochstilisiert wurde.<br />
Und es gehört zu den Merkwürdigkeiten<br />
<strong>der</strong> wechselseitigen Rezeption,<br />
dass nach dem Ersten Weltkrieg viele<br />
Zivilisationsmüde in Europa ihr Heil<br />
in chinesischer Weisheit suchten,<br />
während zur gleichen Zeit in China<br />
viele Intellektuelle eine »totale Verwestlichung«<br />
ihres Landes for<strong>der</strong>ten. Ein<br />
Heilsversprechen politischer Art sahen<br />
in den 1960er Jahren viele europäische<br />
Linksintellektuelle im Maoismus.<br />
Interkulturelles Verstehen<br />
Kein Wun<strong>der</strong>, dass die Fremdheit<br />
Chinas, die so viele wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />
Bil<strong>der</strong> in uns hervorzurufen<br />
vermochte und vermag, zutiefst<br />
verunsichert. Abhilfe dagegen versprechen<br />
eine Fülle von Ratgebern,<br />
Handbüchern und interkulturellen<br />
Seminaren. Doch das Fremde kann<br />
nicht verstanden werden, ohne<br />
dass man sich zunächst auf das<br />
Eigene besinnt. Wenn man »typisch<br />
deutsche« Verhaltensweisen durch<br />
die Brille einer an<strong>der</strong>en Kultur sieht,<br />
erscheint oft das scheinbar Naheliegende<br />
auf einmal fremd.<br />
China und das Christentum –<br />
eine spannungsreiche Begegnung<br />
mit dem Fremden<br />
In <strong>der</strong> Begegnung Chinas mit dem<br />
Christentum traten kulturelle Unterschiede<br />
oft deutlich zutage. Einem<br />
chinesischen Beamten im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
galt Jesus Christus als »westlicher<br />
Barbar« und »Krimineller«,<br />
dessen Verehrung als Himmelsherr<br />
schlicht unverständlich erschien. Ein<br />
chinesischer Gelehrter, <strong>der</strong> zum Protestantismus<br />
konvertiert war, begrüßte<br />
Jesus in den dreißiger Jahren des<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts enthusiastisch als<br />
»Sozialreformer«. Chinesische Schriftsteller<br />
aus <strong>der</strong>selben Zeit sahen in ihm<br />
die höchste moralische Instanz.<br />
Heute trifft das Christentum in<br />
China auf viel positive Resonanz, auch<br />
bei Nichtchristen. So wie Chinesen<br />
sich auf vielfältige Art und Weise mit<br />
dem »fremden« Christentum auseinan<strong>der</strong>setzen,<br />
so sollten auch wir<br />
uns stärker mit China befassen, mit<br />
seiner Sprache, seiner Kultur, seinen<br />
Menschen. Denn schließlich ist dieses<br />
Land uns schon ganz nah.<br />
Barbara Hoster<br />
Barbara Hoster studierte Sinologie und Germanistik<br />
in Deutschland und ist langjährige<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts<br />
Monumenta Serica in Sankt Augustin, das<br />
sich den Studien <strong>der</strong> chinesischen Kultur<br />
widmet.
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Verfolgt, aber dynamisch-lebendig<br />
Die katholische Kirche in China<br />
Vor 400 Jahren begann die Geschichte<br />
<strong>der</strong> katholischen Kirche in Shanghai: Im<br />
Jahr 1603 ließ sich Xu Guangqi, ein hoher<br />
kaiserlicher Beamter, taufen. Bereits als<br />
junger Mann hatte er sich für die naturwissenschaftlichen<br />
Kenntnisse <strong>der</strong> damals<br />
in China missionierenden europäischen<br />
Jesuiten interessiert und so das Christentum<br />
kennengelernt. 1608 kehrte Xu<br />
Guangqi gemeinsam mit dem Jesuiten<br />
Lazare Cattaneo in seine Heimatstadt<br />
Shanghai zurück. Cattaneo blieb zwei<br />
Jahre und taufte in dieser Zeit zweihun<strong>der</strong>t<br />
Menschen – <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> katholischen<br />
Gemeinde in Shanghai.<br />
Nachdem die europäischen Missionare<br />
im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t China verlassen<br />
mussten, hielten die einheimischen<br />
Katholiken das christliche Leben<br />
in <strong>der</strong> Region aufrecht. 1841, kurz<br />
nach dem ersten Opiumkrieg, kamen<br />
wie<strong>der</strong> ausländische Missionare nach<br />
Shanghai. Die Stadt, die sich schnell<br />
zu einem internationalen Handelszentrum<br />
entwickelte, wurde in <strong>der</strong> ersten<br />
Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts auch ein<br />
wichtiges Zentrum <strong>der</strong> katholischen<br />
Kirche Chinas. 1924 weihten die dort<br />
versammelten Bischöfe Chinas das<br />
ganze Land <strong>der</strong> Muttergottes »Maria,<br />
Hilfe <strong>der</strong> Christen«.<br />
Südkirche Peking, Innenansicht<br />
1955, sechs Jahre nach Gründung <strong>der</strong><br />
Volksrepublik China, führte die kommunistische<br />
Regierung einen ersten<br />
schweren Schlag gegen die katholische<br />
Kirche Shanghais und verhaftete in<br />
einer Nacht über 400 Menschen,<br />
darunter den damaligen Bischof Gong<br />
Pinmei. Eine völlige Unterdrückung<br />
allen religiösen Lebens folgte in <strong>der</strong><br />
Kulturrevolution (1966 bis1976).<br />
Erst 1979 wurde die Shanghaier<br />
Kathedrale wie<strong>der</strong> für den Gottesdienst<br />
geöffnet und 1982 nahm das<br />
Shanghaier Priesterseminar als erstes<br />
in China wie<strong>der</strong> Priesteramtskandidaten<br />
auf. Die Zahl <strong>der</strong> Katholiken in <strong>der</strong><br />
Diözese Shanghai ist trotz <strong>der</strong> Jahre<br />
<strong>der</strong> Verfolgung von 100.000 im Jahr<br />
1949 auf <strong>der</strong>zeit 150.000 gestiegen.<br />
Christentum gefragter denn je<br />
In ganz China sind die christlichen<br />
Gemeinden heute sehr lebendig. Sie<br />
sind zwar immer noch eine kleine<br />
Min<strong>der</strong>heit unter 1,3 Milliarden Chinesen,<br />
doch sie wachsen dynamisch.<br />
Im ganzen Land gibt es heute etwa 12<br />
bis 14 Millionen katholische Christen.<br />
Die Zahl <strong>der</strong> protestantischen<br />
Christen wird auf 25 bis 50 Millionen<br />
geschätzt. In zahlreichen katholischen<br />
Gemeinden ist seit einigen Jahren ein<br />
missionarischer Aufbruch spürbar.<br />
An Ostern 2008 wurde die höchste<br />
Zahl von Taufen in <strong>der</strong> katholischen<br />
Kirche in neuerer Zeit gemeldet – über<br />
13.000 im ganzen Land – wobei dies<br />
nur die offi ziell bekannt gewordenen<br />
Taufen sind.<br />
Ein beson<strong>der</strong>es Phänomen in<br />
China ist das wachsende akademische<br />
Interesse am Christentum. Es hat<br />
dazu geführt, dass sich in chinesischen<br />
Buchläden eine ganze Reihe von Publikationen<br />
über christliche Theologie<br />
fi nden lässt, die aus <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> nicht<br />
christlicher chinesischer Wissenschaftler<br />
stammt.<br />
5
6<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Katholische Universalkirche<br />
Im China <strong>der</strong> »sozialistischen Marktwirtschaft«<br />
ist die Kluft zwischen<br />
Arm und Reich dramatisch gewachsen.<br />
Viele Menschen, beson<strong>der</strong>s auf<br />
dem Land, haben keinerlei soziale<br />
Absicherung. Die katholische Kirche<br />
engagiert sich zunehmend im karitativen<br />
Bereich, etwa durch Kin<strong>der</strong>gärten,<br />
kleine Ambulanzen, Hilfe für<br />
Findelkin<strong>der</strong>, Behin<strong>der</strong>te, Alte und<br />
Leprakranke, Stipendien für bedürftige<br />
Schülerinnen und Schüler sowie<br />
Studierende, HIV/Aids-Prävention<br />
o<strong>der</strong> die Arbeit mit Migrantinnen<br />
und Migranten.<br />
Offi ziell sind fünf Religionen in<br />
China staatlich zugelassen: Buddhismus,<br />
Daoismus, Islam, Katholizismus<br />
und Protestantismus. Zwar ist die<br />
»Freiheit des religiösen Glaubens«<br />
in <strong>der</strong> chinesischen Verfassung<br />
verankert, doch zielt die staatliche<br />
Religionspolitik auf eine Kontrolle<br />
<strong>der</strong> Religionen ab. Deshalb ziehen<br />
Das China-Zentrum in Sankt Augustin<br />
beschäftigt sich mit Religion und<br />
Christentum im chinesischen Raum.<br />
Nähere Informationen unter<br />
www.china-zentrum.de<br />
Südkirche Peking,<br />
Außenansicht<br />
es viele Katholiken vor, außerhalb<br />
<strong>der</strong> staatlich zugelassenen Kirche<br />
zu praktizieren. Diese sogenannte<br />
»katholische Untergrundkirche« wird<br />
vom Staat als illegal betrachtet und<br />
teils toleriert, teils mit unterschiedlicher<br />
Härte unterdrückt. Zwar ist die<br />
Spaltung innerhalb <strong>der</strong> chinesischen<br />
Kirche immer noch schmerzlich spürbar,<br />
doch ist die Grenze zum staatlich<br />
anerkannten »offi ziellen« Teil <strong>der</strong><br />
Kirche fl ießend.<br />
Heute empfi nden sich die chinesischen<br />
Katholiken, egal ob staatlich<br />
anerkannt o<strong>der</strong> nicht, entschieden als<br />
Teil <strong>der</strong> katholischen Universalkirche.<br />
Sie wachsen trotz unterschiedlicher<br />
Standpunkte allmählich zusammen.<br />
Obwohl die Volksrepublik China<br />
versucht, eine von Rom unabhängige<br />
katholische Kirche durchzusetzen,<br />
sind heute auch im staatlich zugelassenen<br />
Teil <strong>der</strong> katholischen Kirche<br />
Chinas mindestens 85% <strong>der</strong> Bischöfe<br />
vom Papst anerkannt.<br />
Aufgrund dieser beson<strong>der</strong>en Situation<br />
schrieb Papst Benedikt XVI. am<br />
27. Mai 2007 <strong>der</strong> katholischen Kirche<br />
in China. Allein schon die Tatsache,<br />
dass <strong>der</strong> Papst einen Brief an die<br />
Katholiken eines einzelnen Landes<br />
schreibt, ist ungewöhnlich. Darin<br />
dankt er <strong>der</strong> chinesischen Kirche für<br />
ihr Zeugnis <strong>der</strong> Treue. Er bespricht<br />
sodann verschiedene Anliegen,<br />
unter an<strong>der</strong>em die Einheit innerhalb<br />
<strong>der</strong> chinesischen Kirche und mit <strong>der</strong><br />
Weltkirche. Am Ende des Briefes<br />
bestimmt <strong>der</strong> Papst den 24. Mai – den<br />
Gedenktag <strong>der</strong> Jungfrau Maria »Hilfe<br />
<strong>der</strong> Christen«, die am Sheshan in<br />
Shanghai verehrt wird, – zum weltweiten<br />
Tag des Gebets für die und mit <strong>der</strong><br />
Kirche in China.<br />
Katharina Wenzel-Teuber<br />
Katharina Wenzel-Teuber ist Chefredakteurin<br />
<strong>der</strong> Zeitschrift »China heute« des China-Zentrums<br />
in Sankt Augustin.
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Vietnamesischer Katholikentag<br />
Vietnamesische Katholiken in Deutschland<br />
Vietnamesischer Katholikentag<br />
Als Vietnamese werde ich oft gefragt,<br />
wann und wie ich nach Deutschland<br />
gekommen bin. Viele können sich noch<br />
an die »Boat-People« erinnern, die nach<br />
1975 mit kleinen Booten aus Vietnam<br />
gefl ohen sind, um Freiheit zu suchen. Auf<br />
diese Weise kam auch meine Familie nach<br />
Deutschland. Nach dem Krieg zwischen<br />
Nordvietnam und Amerika (auf Seiten<br />
Südvietnams) ist das gesamte Vietnam kommunistisch<br />
geworden. Die Katholiken leben<br />
unter <strong>der</strong> kommunistischen Regierung<br />
unter schweren Bedingungen. Auch heute<br />
kann man noch nicht von einer echten<br />
Religionsfreiheit in Vietnam sprechen.<br />
In Deutschland können die vietnamesischen<br />
Katholiken ihren Glauben<br />
praktizieren. Sie integrieren sich in<br />
das deutsche Gemeindeleben und<br />
gestalten es aktiv mit.<br />
An<strong>der</strong>erseits for<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Glaube<br />
auch seinen kulturellen Ausdruck.<br />
Jährlich fi ndet zu Pfi ngsten <strong>der</strong><br />
Vietnamesische Katholikentag in<br />
Aschaffenburg statt, zu dem sich<br />
vietnamesische Katholiken aus<br />
allen Teilen Deutschlands und den<br />
benachbarten Län<strong>der</strong>n versammeln.<br />
Sie diskutieren über ihr Glaubens-<br />
und Gesellschaftsleben, zeigen ihren<br />
Glauben nach außen und bekräftigen<br />
ihn nach innen. Das übergreifende<br />
Thema in diesem Jahr lautet »Maria,<br />
Königin <strong>der</strong> Märtyrer«. An <strong>der</strong><br />
Organisation beteiligen sich auch<br />
viele junge Menschen, die unter<br />
an<strong>der</strong>em den kulturellen bunten<br />
Abend mitgestalten und ein eigenes<br />
Programm für die Jugendlichen<br />
anbieten. Als Zeichen <strong>der</strong> Integration<br />
sind hier nicht nur Elemente aus <strong>der</strong><br />
vietnamesischen Kultur, son<strong>der</strong>n auch<br />
deutsche Einfl üsse zu erkennen. Es<br />
ist bemerkenswert, dass nicht nur<br />
Katholiken, son<strong>der</strong>n auch Nichtkatholiken<br />
an diesem Abend zu fi nden sind.<br />
So können die Katholiken aufgrund<br />
<strong>der</strong> gemeinsamen Kultur an<strong>der</strong>en<br />
Menschen ihren Glauben zeigen und<br />
damit zum Verständnis des Zusammenlebens<br />
beitragen.<br />
Die gleiche Sprache sprechen<br />
Neben <strong>der</strong> Zugehörigkeit <strong>der</strong> vietnamesischen<br />
Katholiken zu den deutschen<br />
Gemeinden existieren auch<br />
kleinere vietnamesische Gemeinden.<br />
Sie sind wie deutsche Gemeinden<br />
organisiert und werden von <strong>der</strong><br />
<strong>Deutschen</strong> Bischofskonferenz unterstützt,<br />
auch vietnamesischsprachige<br />
Missionen sind in<br />
einzelnen Bistümern zu fi nden.<br />
Hier herrscht ebenfalls eine enge<br />
Zusammenarbeit mit den deutschen<br />
Gemeinden, denn wir alle, aus<br />
welcher Nation wir auch kommen,<br />
sprechen eine Glaubenssprache, die<br />
uns in Jesus Christus verbindet.<br />
Br. Chi Thien Vu ofm<br />
Br. Chi Thien Vu ist am 5. Mai 2008 zum<br />
Priester geweiht worden.<br />
Heute leben rund<br />
126.000 Vietnamesen<br />
in Deutschland. Davon sind<br />
etwa 38.000 Katholiken.<br />
7
8<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Reiches Land – große Armut<br />
<strong>Franziskaner</strong> in Japan<br />
Von den Anfängen ...<br />
Wenzeslaus Kinold ofm traf 1906 als erster deutscher<br />
<strong>Franziskaner</strong> auf Hokkaido, <strong>der</strong> Nordinsel<br />
Japans, ein. Weitere Brü<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Thüringischen<br />
<strong>Franziskaner</strong>provinz folgten ihm. Sie gründeten<br />
mehrere Pfarreien und waren zunächst vor allem<br />
als Seelsorger tätig. Doch die Brü<strong>der</strong> wollten nicht<br />
nur für die wenigen Christen da sein, son<strong>der</strong>n für<br />
alle Menschen »ihrer« Region. Sie kümmerten<br />
sich deshalb um den Bau von Krankenhäusern,<br />
Schulen, Kin<strong>der</strong>gärten und Armenküchen.<br />
Auch heute noch ist die Zahl <strong>der</strong> Christen auf<br />
Hokkaido – wie in Japan insgesamt – sehr gering.<br />
Wenn es nur darauf ankäme, wie viele Menschen<br />
die Brü<strong>der</strong> getauft haben, dann wäre ihr Erfolg<br />
eher bescheiden. Doch wichtiger ist den <strong>Franziskaner</strong>n<br />
ihr Engagement für diejenigen, die ihre<br />
Unterstützung brauchen, sowie das glaubwürdige<br />
Leben als christliche Bru<strong>der</strong>schaft.<br />
Dies hat ihnen in den letzten Jahrzehnten<br />
Wertschätzung und Respekt auch bei vielen<br />
Nichtchristen eingebracht.<br />
Quelle<br />
Die drei Beiträge dieser Seite stammen aus dem<br />
Katalog »Zu den Menschen gesandt« <strong>der</strong> Thüringischen<br />
<strong>Franziskaner</strong>provinz (2005).<br />
... bis heute<br />
Manfred Friedrich, geboren 1936<br />
in Freiburg im Breisgau, trat nach<br />
seiner Lehre als Schriftsetzer und<br />
dem Abitur 1958 in den <strong>Franziskaner</strong>orden<br />
ein. 1964 wurde er zum<br />
Priester geweiht und 1967 nach<br />
Japan gesandt.<br />
Er ist ein begeisterungsfähiger<br />
und an<strong>der</strong>e begeistern<strong>der</strong> Mensch.<br />
Neben seiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer<br />
in <strong>der</strong> Stadt Bibai, auf<br />
Hokkaido, widmet er seine Zeit und<br />
Kraft seit vielen Jahren Auslän<strong>der</strong>innen<br />
und Auslän<strong>der</strong>n im »House<br />
Friendship«. Diese von ihm gegründete<br />
Initiative im nahen Sapporo, <strong>der</strong><br />
größten Stadt <strong>der</strong> Insel, hat er durch<br />
zahlreiche Kontakte zu einem Hilfswerk<br />
bis nach Korea, China, zu den<br />
Philippinen und nach Bangladesch<br />
ausgeweitet.<br />
Ȇber Kin<strong>der</strong>garten, Krabbelstube,<br />
Pfadfi n<strong>der</strong> und Englischunterricht<br />
suchen wir <strong>Franziskaner</strong><br />
Verbindungen zu Menschen, denen<br />
wir Christus bekannt machen möchten.<br />
Je<strong>der</strong> Mensch ist als Partner<br />
Gottes geschaffen und hat deshalb<br />
eine bedingungslose Würde«, betont<br />
er die Grundlage seiner Sendung.<br />
Urnenwand<br />
Br. Manfred Friedrich ofm<br />
Ahnenkult als<br />
Inkulturation<br />
Der Ahnenkult hat in <strong>der</strong> japanischen<br />
Gesellschaft traditionell eine große<br />
Bedeutung. Das Gebet für die Verstorbenen<br />
ist auch den <strong>Franziskaner</strong>n<br />
wichtig.<br />
»Es ist ein Stück Inkulturation«,<br />
erklären die Brü<strong>der</strong>, wenn sie mit <strong>der</strong><br />
Gemeinde vor <strong>der</strong> Urnenwand beten<br />
und Weihrauch verbrennen.
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Multikulturelle Saat Gottes<br />
Japanische Kirche mit internationalen Facetten<br />
Seit 42 Jahren bin ich in <strong>der</strong> Mission in<br />
Japan. Als ich hier ankam, waren wir<br />
zwölf Missionare aus <strong>der</strong> Provinz Saxonia<br />
und ungefähr 250 <strong>Franziskaner</strong> in Japan,<br />
wovon rund die Hälfte einheimischer<br />
Nachwuchs war. <strong>Neue</strong> Missionare aus<br />
Europa und Amerika halfen personell und<br />
fi nanziell beim Aufbau <strong>der</strong> japanischen<br />
Kirche. Wir <strong>Franziskaner</strong> sind jetzt noch<br />
mit 80 Pfarreien im ganzen Land betraut.<br />
Ich bin hier <strong>der</strong> Letzte <strong>der</strong> Saxonen und<br />
die franziskanische Provinz hat sich auf<br />
120 Brü<strong>der</strong> verkleinert.<br />
Während meiner Anfangszeit war<br />
das große Thema »Inkulturation«, bei<br />
dem es um die Frage ging, wie die<br />
japanische Kirche ein deutlich ausgeprägtes<br />
japanisches Gesicht bekommen<br />
könnte. Dieser Prozess ist bis<br />
heute noch nicht abgeschlossen. Aber<br />
die Prioritäten haben sich verlagert:<br />
Heute stellen wir uns <strong>der</strong> Aufgabe,<br />
<strong>der</strong> japanischen Kirche ein internationales,<br />
multikulturelles Gesicht zu<br />
geben. Die Anzahl <strong>der</strong> japanischen<br />
Christen hat sich mit über 400.000<br />
konstant gehalten. Aber durch die<br />
Zuwan<strong>der</strong>ung aus Südamerika und<br />
den Philippinen hat sich die Zahl <strong>der</strong><br />
Christen verdoppelt. Für die Pfarreien<br />
ist das zugleich ein großes Plus und<br />
eine große Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />
Ich bin hier in Joetsu, einer Stadt<br />
am Japanischen Meer, Pfarrer für<br />
eine kleine Pfarrei mit 130 Christen.<br />
Gleichzeitig bin ich Leiter des Kin<strong>der</strong>hortes<br />
mit 120 Kin<strong>der</strong>n. Von ihnen<br />
sind nur zwei katholisch getauft,<br />
aber alle Kin<strong>der</strong> beten jeden Tag<br />
ihre Gebete und können das »Vater<br />
unser« auswendig. Zu Weihnachten<br />
und Neujahr, zur Kin<strong>der</strong>segnung im<br />
November und zur Entlassungsfeier<br />
besuchen alle Kin<strong>der</strong> unseres Hortes<br />
zusammen mit ihren Eltern unsere<br />
Kirche. So lernen die Kin<strong>der</strong> von<br />
klein an mit ihren Familien den katholischen<br />
Glauben kennen.<br />
Hubert Nelskamp ofm mit einer Kin<strong>der</strong>gartengruppe<br />
Samen Gottes trägt Früchte<br />
Zur benachbarten Pfarrei Takada<br />
gehört ein Kin<strong>der</strong>garten und Kin<strong>der</strong>hort<br />
mit mehr als 300 Kin<strong>der</strong>n,<br />
daneben befi ndet sich ein Wohnheim<br />
für Mütter und Kin<strong>der</strong> sowie ein Seniorenheim<br />
mit 100 älteren Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern. Durch diese<br />
Einrichtungen sind die Kirchen in <strong>der</strong><br />
ganzen Stadt bekannt.<br />
Die Zukunft <strong>der</strong> katholischen Kirche<br />
wird geprägt von <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung<br />
ausländischer Christen und ihre<br />
Integration in die Kirche. Mehr als die<br />
Hälfte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die getauft werden<br />
und zur Erstkommunion gehen,<br />
haben einen ausländischen Elternteil.<br />
Die weitere religiöse Ausbildung <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong> ist eine wichtige Aufgabe. Drei<br />
philippinische Schwestern helfen uns<br />
bei <strong>der</strong> Seelsorge für die philippinischen<br />
Frauen. Ostern 2008 haben<br />
sich zum ersten Mal drei Männer<br />
taufen lassen, die mit Philippinas<br />
verheiratet sind.<br />
Vor mehr als hun<strong>der</strong>t Jahren haben<br />
deutsche Steyler Missionare hier<br />
mit <strong>der</strong> Mission begonnen und den<br />
Samen Gottes ausgesät, <strong>der</strong> seitdem<br />
reichhaltige Frucht getragen hat. Der<br />
Samen ist das Wort Gottes, das wir<br />
den Menschen verkünden, und er<br />
wird auch weiterhin Frucht bringen<br />
in den Herzen <strong>der</strong> Menschen.<br />
P. Hubert Nelskamp ofm<br />
P. Hubert Nelskamp ist Missionar in Joetsu,<br />
Japan.<br />
9
10<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
<strong>Neue</strong>s Büro öffnet neue Horizonte<br />
Im Einsatz für die Menschenrechte in Asien<br />
Am 2. März 2008 wurde in Bangkok<br />
»FI Asia-Pacifi c«, ein neues Büro von<br />
»Franciscans International« (FI), <strong>der</strong><br />
internationalen Menschenrechtsorganisation<br />
<strong>der</strong> Franziskanischen Familie,<br />
eröffnet, das die franziskanische Graswurzelarbeit<br />
im asiatisch-pazifi schen<br />
Raum unterstützen wird.<br />
Zur Eröffnung des Büros waren<br />
70 Gäste anwesend, darunter internationale<br />
Würdenträger und <strong>Franziskaner</strong><br />
aus Australien, Thailand, Vietnam, den<br />
Philippinen, Laos und Sri Lanka. Auf die<br />
Eröffnung folgte ein einwöchiges Trainingsprogramm<br />
für 31 <strong>Franziskaner</strong>, eine<br />
Einführung in das Menschenrechtssystem<br />
<strong>der</strong> UN.<br />
Dieses Programm wurde von Julie<br />
Morgan durchgeführt, Leiterin <strong>der</strong> Regionalstelle<br />
FI Asia-Pacifi c und erfahrene<br />
Anwältin für Menschenrechte.<br />
Julie Morgan hat bereits zuvor eng mit<br />
<strong>der</strong> Franziskanischen Familie und Caritas<br />
Australien zusammengearbeitet.<br />
Im Interview mit einem Vertreter von<br />
Franciscans International hat sie über<br />
ihre Hoffnungen, Pläne und Visionen für<br />
die asiatisch-pazifi sche Regionalstelle FI<br />
gesprochen.<br />
Julie Morgan (rechts) bei <strong>der</strong> Eröffnung des Büros »FI Asia-Pacifi c« in Bangkok<br />
Warum hat FI eine Regionalstelle<br />
im asiatisch-pazifi schen Raum<br />
eröffnet?<br />
Julie Morgan: Zwei Drittel <strong>der</strong> Weltbevölkerung<br />
lebt im asiatisch-pazifi<br />
schen Raum. Er ist so lebhaft wie<br />
komplex – und die einfache Bevölkerung<br />
ist von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen<br />
betroffen.<br />
Unser neu eröffnetes Büro in<br />
Bangkok will die Möglichkeiten und<br />
Aktionen <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>innen und<br />
<strong>Franziskaner</strong> und die <strong>der</strong> mit ihnen<br />
zusammenarbeitenden Laien effektiver<br />
bündeln, um langfristig einen<br />
Wandel für die Armen und Entrechteten<br />
herbeizuführen.<br />
Wie sind die <strong>Franziskaner</strong> in <strong>der</strong><br />
Region einbezogen?<br />
Julie Morgan: <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
und <strong>Franziskaner</strong> engagieren sich<br />
in Asien und im Pazifi k in vielen<br />
Bereichen, das reicht von <strong>der</strong> Arbeit<br />
mit HIV-Infi zierten und Aids-Kranken<br />
über die Arbeit mit Opfern von Menschenhändlern<br />
o<strong>der</strong> mit Arbeitern in<br />
sklavenähnlichen Verhältnissen bis<br />
zur Friedensarbeit mit verfeindeten<br />
Kommunen. Sie führen am Existenzminimum<br />
lebende Bauernfamilien<br />
in Ost-Timor, Indonesien, auf den<br />
Philippinen und an an<strong>der</strong>en Orten<br />
in einen ertragreichen, ökologischen<br />
Landbau ein. <strong>Franziskaner</strong>innen und<br />
<strong>Franziskaner</strong> verteidigen Bauernhöfe<br />
und Ureinwohnerinnen und<br />
Ureinwohner gegen multinationale<br />
Minen- und Abholzungsunternehmen.<br />
Außerdem dokumentieren sie<br />
schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen<br />
im asiatischpazifi<br />
schen Raum.
v.l.n.r.: Julie Morgan, Sr. Denise Boyle, Erzbischof Salvatore Pennachio und Br. John Celichowski<br />
Wie wird die Regionalstelle den<br />
<strong>Franziskaner</strong>innen und <strong>Franziskaner</strong>n<br />
nützen?<br />
Julie Morgan: Wir hoffen, Franziskanische<br />
Bedürfnisse zu befriedigen,<br />
indem wir umfassende Menschenrechts-Trainingsprogramme<br />
anbieten,<br />
um die Kapazitäten <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong><br />
auf den verschiedenen Gebieten zu<br />
erweitern. Soeben haben wir unser<br />
einwöchiges Programm »Einführung<br />
in das Menschenrechtssystem <strong>der</strong><br />
UN« abgeschlossen, das ein gewaltiger<br />
Erfolg war. Wir hoffen, 2008 drei<br />
weitere Trainingseinheiten anbieten<br />
zu können – für die Arbeit mit<br />
benachteiligten und marginalisierten<br />
Kin<strong>der</strong>n und für die Arbeit mit Menschen,<br />
die in die Hände von Sklaven-<br />
und Menschenhändlern gefallen sind.<br />
Dazu kommt ein Training mit dem<br />
Titel »People Centred Ecosystem<br />
Management«. Die Trainingseinheiten<br />
werden in Bangkok stattfi nden,<br />
kommen aber den 24 Staaten im asiatisch-pazifi<br />
schen Raum, einschließlich<br />
Süd- und Ostasien zugute.<br />
Was hofft das Büro langfristig zu<br />
verwirklichen?<br />
Julie Morgan: Grundlegendes Wissen<br />
über die Menschenrechte erweitert<br />
Kenntnisse und baut Fähigkeiten<br />
aus, doch es schafft auch Zuversicht.<br />
Es führt <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
und <strong>Franziskaner</strong> in die passende<br />
juristische Sprache ein – dies wird<br />
ihnen in vielen Situationen helfen<br />
– ob in Verhandlungen mit lokalen<br />
Behörden über Landbesitzrechte, in<br />
<strong>der</strong> Diskussion mit Schulen über die<br />
Frage, warum sie keine indigenen<br />
Kin<strong>der</strong> aufnehmen, o<strong>der</strong> um sich für<br />
Kranke einzusetzen, die an antiretroviralen<br />
Therapien teilnehmen<br />
müssen. Ein solches Training ist auf<br />
regionaler Basis effektiver, weil es auf<br />
die Beson<strong>der</strong>heiten im asiatischen<br />
und pazifi schen Raum eingehen kann.<br />
Das FI-Büro Asia-Pacifi c unterstützt<br />
die <strong>Franziskaner</strong>innen und<br />
<strong>Franziskaner</strong> in dieser Region in ihren<br />
Heimatlän<strong>der</strong>n und Heimatsituationen.<br />
Wir sind in Bangkok in einer<br />
kritischen Zeit vor Ort, in <strong>der</strong> die asiatischen<br />
Län<strong>der</strong> darüber beraten, ob<br />
und wie sie offi zielle Menschenrechtsinstrumente<br />
für die Region etablieren<br />
können. Unsere Präsenz kann dazu<br />
beitragen, eine Kultur <strong>der</strong> Achtung<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte in <strong>der</strong> gesamten<br />
Region aufzubauen.<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Das Interview führte Neha Sud von<br />
Franciscans International im Frühjahr<br />
2008.<br />
Übersetzung aus dem Englischen:<br />
Daniela Böhle<br />
Weitere Informationen zu<br />
Franciscans International unter<br />
www.franciscansinternational.org<br />
11
12<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Die »Ware« Frau<br />
Die Menschenrechte von Frauen in China<br />
Obwohl Mitgift und Kaufehe bereits im<br />
neuen Ehegesetz von 1950 verboten<br />
wurden, verweigert sich die überwiegend<br />
ländliche Bevölkerung Chinas bis<br />
heute <strong>der</strong> gleichberechtigten, nicht an<br />
Geld gebundenen Ehe.<br />
Eheverpfl ichtungen <strong>der</strong> Frau:<br />
Die Frau geht mit <strong>der</strong> Heirat in<br />
den Haushalt des Mannes und<br />
seiner Eltern über. Für diesen<br />
Verlust einer erwachsenen<br />
Arbeitskraft werden ihre leiblichen<br />
Eltern von <strong>der</strong> Schwiegerfamilie<br />
materiell durch einen<br />
Brautpreis entschädigt.<br />
Die Familie des Mannes<br />
betrachtet den Brautpreis<br />
als Vorauszahlung für eine<br />
Leistung, die dann von <strong>der</strong> Frau<br />
eingefor<strong>der</strong>t wird: das Gebären<br />
vor allem von Söhnen und die<br />
Versorgung <strong>der</strong> Schwiegereltern<br />
im Alter.<br />
Großstadtszene<br />
Indirekt beför<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Staat die rein<br />
materielle Bewertung von Frauen,<br />
indem etwa die ländliche Altersversorgung<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Familien bleibt.<br />
Nur in den Städten erhalten die Alten<br />
staatliche Renten.<br />
Staatliche Gesetze, die für den<br />
Altersunterhalt <strong>der</strong> Eltern <strong>der</strong>en<br />
Söhne und Töchter gleichermaßen in<br />
die Pfl icht nehmen, werden ebenso<br />
wie das gesetzlich gleiche Erbrecht<br />
nicht gegen die traditionelle Regelung<br />
durchgesetzt.<br />
Das staatliche Geburtenplanungsgesetz<br />
erlaubt auf dem Land die<br />
Geburt eines zweiten Kindes, wenn<br />
das erste ein Mädchen ist. Implizit<br />
bedeutet dies, dass Mädchen in <strong>der</strong><br />
Gesellschaft nicht zählen.<br />
Warum es im ländlichen China so<br />
wichtig ist, einen Sohn zu haben:<br />
Die Landwirtschaft ist größtenteils<br />
Hand- und körperliche Schwerstarbeit,<br />
die je nach Bodenbeschaffenheit<br />
nur Männer erledigen können.<br />
Nur ein Sohn beziehungsweise<br />
Enkel bleibt im Elternhaus wohnen<br />
und versorgt die alten Angehörigen.<br />
Auf eine sohnlose Familie schauen<br />
alle an<strong>der</strong>en herab.<br />
Dem ersten Punkt könnte die Regierung<br />
mittels <strong>der</strong> Maschinisierung <strong>der</strong><br />
Landwirtschaft entgegenhalten. Doch<br />
Dorffrauen, die in <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />
zu Treckerfahrerinnen ausgebildet worden<br />
sind, geben das heute nicht mehr zu<br />
und üben ihre gelernte Tätigkeit nicht<br />
aus, weil das ein Gesichtsverlust für die<br />
Männer wäre. Von staatlicher Seite wird<br />
dieser Missstand nicht thematisiert.
Viele Eltern würden gerne ihre<br />
Tochter im Haus behalten, die als<br />
anhänglicher und zur späteren Pfl ege<br />
<strong>der</strong> Eltern geeigneter gilt. Traditionell<br />
ist aber die »Einholung des Ehemannes<br />
in das Elternhaus <strong>der</strong> Frau«<br />
eine zweitrangige, das heißt keine<br />
vollwertige Eheschließung. Massive<br />
materielle Unterstützung des Staates<br />
würde in diesem Fall Abhilfe leisten.<br />
Der Staat könnte außerdem Nur-<br />
Tochter-Familien fi nanziell för<strong>der</strong>n<br />
und die Schulbildung <strong>der</strong> Töchter<br />
durch Quoten und Stipendien sicherstellen.<br />
Er könnte dafür sorgen, dass,<br />
wenn das Dorf eine Rentenversicherung<br />
einführt, die Eltern von Töchtern<br />
das Erstnutzungsrecht haben.<br />
Stattdessen vermittelt die aktuelle<br />
Rechtspropaganda den Eindruck, dass<br />
<strong>der</strong> Staat nur die schlimmsten, lebensgefährlichen<br />
Auswüchse zu verhin<strong>der</strong>n<br />
versucht. Sogenannte »Musterfälle«,<br />
die eingedämmt werden sollen,<br />
sind zum Beispiel:<br />
Der Ehemann erschlägt o<strong>der</strong><br />
vergiftet seine Frau und Mutter<br />
einer o<strong>der</strong> mehrerer Töchter<br />
o<strong>der</strong> stellt ihre Tötung durch<br />
Verbrennen als Küchenunfall<br />
dar. Die »kultivierte« städtische<br />
Variante ist, dass die Frau<br />
misshandelt wird, bis sie <strong>der</strong><br />
»einverständlichen« Scheidung<br />
zustimmt.<br />
Die Großmutter tötet ihre<br />
jüngste Enkelin nach <strong>der</strong> Geburt,<br />
um <strong>der</strong> Mutter und Schwiegertochter<br />
trotz <strong>der</strong> staatlichen<br />
Geburtenbeschränkung »noch<br />
eine Chance zu geben« – die<br />
Geburt eines Sohnes.<br />
Die Täter solcher Fälle werden mit<br />
dem Tode bestraft, allerdings nur<br />
dann, wenn jemand sie verklagt. In<br />
vielen Dörfern hat man Verständnis<br />
für das Verhalten <strong>der</strong> Täter.<br />
Es sind meistens auch die Frauen<br />
selbst, die sich ohne einen Sohn<br />
min<strong>der</strong> wertig fühlen und dafür Opfer<br />
bringen: Sie gebären heimlich weitere<br />
Kin<strong>der</strong>, bezahlen illegale pränatale<br />
Geschlechtsbestimmungen, riskieren<br />
ihre Gesundheit durch Spätabtreibungen.<br />
Werden sie nach <strong>der</strong> Geburt<br />
einer o<strong>der</strong> mehrerer Töchter von<br />
ihren Männern verlassen, geben sie<br />
den Töchtern die Schuld bis hin zur<br />
Misshandlung und dem Verkauf in die<br />
Prostitution.<br />
Staatliche Gegenmaßnahmen<br />
müssten langfristig angelegt sein.<br />
Dazu gehören massive Investitionen<br />
in die Bildung <strong>der</strong> Landbevölkerung,<br />
die Fortbildung ländlicher Lehren<strong>der</strong><br />
und die fl ächendeckende Einführung<br />
von Sexualkundeunterricht. Eine<br />
staatliche Informations- und Medienpolitik,<br />
die die Thematisierung<br />
von HIV/Aids verbietet, wirkt sich<br />
indirekt zum Nachteil von Frauen aus,<br />
denen <strong>der</strong> Zugang zu minimalstem<br />
Selbstschutzwissen fehlt.<br />
Landfrauen<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Die Bedeutung von bi- und multinationalen<br />
Menschenrechtsdialogen<br />
China verbittet sich kritische ausländische<br />
Kommentare zur chinesischen Menschenrechtssituation<br />
als Einmischung in<br />
innerchinesische Angelegenheiten. Lei<strong>der</strong><br />
ist bisher kein Versuch gemacht worden,<br />
zu prüfen, ob das auch gilt, wenn sich<br />
die ausländische Kritik ausschließlich auf<br />
frauenspezifi sche Menschenrechtsverletzungen<br />
konzentriert – als mangelhafte<br />
Umsetzung von Selbstverpfl ichtungen, die<br />
China bei seiner Gründung eingegangen<br />
ist. Ebenso wenig ist geprüft worden, ob<br />
das auch gilt, wenn diese Kritik von außen<br />
verbunden ist mit <strong>der</strong> Präsentation adäquater<br />
Lösungswege, mit denen das Ausland<br />
bereits Erfahrungen gesammelt hat.<br />
Die Konzentration auf Frauenrechte wäre<br />
möglicherweise <strong>der</strong> geeignete Umweg, auf<br />
dem die chinesische BürgerInnengesellschaft<br />
gestärkt werden könnte.<br />
Astrid Lipinsky<br />
Astrid Lipinsky ist Universitätsassistentin an <strong>der</strong><br />
Universität Wien (Sinologie). Sie hat in China<br />
und Taiwan studiert und nutzt ihr Chinesisch zur<br />
Durchführung von Interviewprojekten vor allem<br />
im ländlichen China. Ihr Forschungsschwerpunkt<br />
ist das chinesische Recht.<br />
13
16<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Grundrechte als Leihgabe<br />
Menschenrechte in China<br />
Immer wie<strong>der</strong> wird nach Gesprächen mit<br />
chinesischen Regierungsvertretern die<br />
Erfolgsmeldung verkündet: Wir konnten<br />
das Thema Menschenrechte offen diskutieren.<br />
Offen bleibt aber die Frage, ob die<br />
Gesprächspartner das jeweilige Verständnis<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte zuvor geklärt hatten.<br />
Dabei müssten sie davon ausgehen, dass<br />
hier wichtige Unterschiede bestehen. Dazu<br />
zählt, dass es sich aus Sicht <strong>der</strong> chinesischen<br />
Regierung bei den Menschenrechten<br />
nicht um angeborene und unveräußerliche<br />
Rechte, son<strong>der</strong>n um vom Staat verliehene<br />
Grundrechte an die Bürgerinnen und Bürger<br />
handelt, die somit staatliche Gewährungen<br />
darstellen. Individuelle und gesellschaftliche<br />
Interessen sind eng miteinan<strong>der</strong><br />
verknüpft und in <strong>der</strong> Konsequenz die<br />
Grundrechte durch die gesellschaftlichen<br />
Interessen beschränkt. Neben den Grundrechten<br />
werden die Grundpfl ichten gestellt,<br />
die zusammen eine untrennbare Einheit<br />
bilden. Schließlich wird die Bedeutung <strong>der</strong><br />
einzelnen Menschenrechte unterschiedlich<br />
gewichtet. Die zivilen und politischen<br />
Rechte gelten generell als nachrangig.<br />
Hu Jia (links) und Zeng Jinyan mit ihrem im Herbst<br />
2007 geborenen Kind. Beide engagieren sich schon<br />
mehrere Jahre in China für die Menschenrechte. Hu Jia<br />
wurde im April zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt,<br />
seine Frau steht unter Hausarrest.<br />
Bei <strong>der</strong> Diskussion über die Unterschiede<br />
im Verständnis <strong>der</strong> Menschenrechte<br />
wird gerne auf kulturelle<br />
Faktoren hingewiesen. Hierbei läuft<br />
man aber Gefahr, den Einfl uss von<br />
politischen Faktoren zu unterschätzen.<br />
Die diversen »Weißbücher« <strong>der</strong><br />
chinesischen Regierung zu diesem<br />
Thema machen deutlich, dass die<br />
Menschenrechte und <strong>der</strong>en Beschränkung<br />
ganz wesentlich innerhalb des<br />
politischen Systems defi niert werden.<br />
Wie sollte mit den offensichtlichen<br />
Unterschieden beim Verständnis<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte umgegangen<br />
werden? Hier bieten sich mehrere<br />
Ansätze an. Die chinesische Regierung<br />
hat immer wie<strong>der</strong> ihre Bereitschaft<br />
demonstriert, internationale Normen<br />
anzuerkennen, indem sie beispielsweise<br />
einer Reihe von Menschenrechtsabkommen<br />
beigetreten ist. Zwar<br />
hapert es häufi g mit <strong>der</strong> Umsetzung<br />
sowie <strong>der</strong> Bereitschaft, unabhängige<br />
Untersuchungen zuzulassen,<br />
dennoch wird damit eine Basis für ein<br />
gemeinsames Verständnis von Men-<br />
schenrechten geschaffen. Hier gilt es<br />
auch zu betonen, dass die Menschenrechte<br />
voneinan<strong>der</strong> abhängen und<br />
sich gegenseitig bedingen. Der immer<br />
wie<strong>der</strong> vorgenommenen Gewichtung<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Grundrechte kann<br />
entgegengehalten werden, dass die<br />
Gewährung politischer Rechte schon<br />
heute in China eine wichtige Rolle<br />
beim Schutz wirtschaftlicher und<br />
sozialer Rechte spielt. Dazu trägt eine<br />
zunehmende Anzahl von Menschenrechtsverteidigern<br />
bei, die betroffene<br />
Personen unterstützen. Mit diesen<br />
ersten zarten Blüten einer Zivilgesellschaft<br />
in China wächst auch die<br />
Chance dafür, dass das Verständnis<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte nicht mehr allein<br />
durch die Regierenden geprägt wird.<br />
Dirk Pleiter<br />
Dirk Pleiter koordiniert seit 1989 von Berlin<br />
aus ehrenamtlich die Arbeit <strong>der</strong> deutschen<br />
Sektion von amnesty international zur Volksrepublik<br />
China. Der promovierte Physiker<br />
arbeitet an einem Forschungslabor für Hochenergiephysik.
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Partnerschaft auf Augenhöhe?<br />
China in Afrika<br />
Seit dem Jahr 2000 hat sich <strong>der</strong> Warenfl<br />
uss zwischen China und Afrika verfünffacht.<br />
Mehr als 800 chinesische Firmen<br />
sind auf dem afrikanischen Kontinent<br />
aktiv. Angola, Sudan und Nigeria sind<br />
neben dem Iran und Saudi-Arabien die<br />
wichtigsten Öllieferanten. Gleichzeitig<br />
exportiert China billige Fertigprodukte<br />
und Massenkonsumgüter nach Afrika und<br />
leistet Unterstützung bei Infrastrukturmaßnahmen<br />
wie dem Bau von Straßen<br />
und Eisenbahnlinien, Flughäfen, Stadien<br />
o<strong>der</strong> Krankenhäusern. Seit <strong>der</strong> Jahrtausendwende<br />
wurden in und von China<br />
mehr als 16.000 afrikanische Fachkräfte<br />
ausgebildet. 31 Län<strong>der</strong>n wurden die<br />
Schulden erlassen und für 190 Produkte<br />
aus 29 afrikanischen Län<strong>der</strong>n die Einfuhrzölle<br />
gestrichen.<br />
Dabei stellt China – im Gegensatz zu<br />
westlichen Staaten – an die afrikanischen<br />
Regierungen so gut wie keine<br />
politischen Bedingungen. Das Prinzip<br />
<strong>der</strong> Nichteinmischung in innere<br />
Angelegenheiten sowie <strong>der</strong> Respekt<br />
vor Souveränität und territorialer<br />
Integrität werden strikt eingehalten.<br />
China geht es um eine Partnerschaft<br />
auf Augenhöhe zu gegenseitigem<br />
Nutzen – Fragen von Demokratie,<br />
Menschenrechten o<strong>der</strong> »Good-<br />
Governance« (»Gute Regierungsführung«)<br />
spielen keine Rolle.<br />
Diese neutrale Haltung schätzen<br />
vor allem die autoritären o<strong>der</strong><br />
totalitären Machteliten in Afrika. Ihr<br />
Handlungsspielraum hat sich durch<br />
das Engagement <strong>der</strong> Chinesen erweitert.<br />
China kann als Gegenleistung<br />
mit Unterstützung <strong>der</strong> afrikanischen<br />
Staaten in internationalen Gremien<br />
rechnen.<br />
Negative Folgen<br />
Doch die nachteiligen Auswirkungen<br />
des chinesischen Engagements<br />
sind ebenfalls spürbar: Kredite<br />
und Abkommen sind häufi g an die<br />
Auftragsvergabe an chinesische<br />
Firmen gebunden. Das bedeutet, dass<br />
durch Infrastrukturmaßnahmen zwar<br />
Konsum und Müll liegen nah beieinan<strong>der</strong><br />
Arbeitsplätze geschaffen werden, aber<br />
auch etwa eine Million Chinesen in<br />
den Län<strong>der</strong>n Afrikas arbeiten. Dies<br />
sorgt für Unmut in Län<strong>der</strong>n mit hoher<br />
Arbeitslosigkeit. Die einheimische<br />
Produktion hat vor allem in <strong>der</strong> Textilindustrie<br />
oft keine Wettbewerbschancen<br />
gegen chinesische Billigimporte.<br />
So sind in den letzten Jahren<br />
in Südafrika fast 75.000 Arbeitsplätze<br />
verloren gegangen.<br />
Obwohl das Wirtschaftswachstum<br />
Afrikas durch das chinesische Engagement<br />
um 2% gestiegen ist, spürt die<br />
einfache Bevölkerung davon wenig:<br />
Die von China nicht kritisierten<br />
Machteliten wirtschaften die Erlöse<br />
oft genug in die eigene Tasche.<br />
Der Afrika-Journalist <strong>der</strong> Süddeutschen<br />
Zeitung, Arne Perras, schreibt in einem<br />
Beitrag vom 31. Januar 2007: »Chinesen<br />
sind in Afrika beliebt, weil sie nicht<br />
belehren.« Für die westlichen Industrienationen<br />
gibt es keinen Wohlstand ohne<br />
Demokratie und Menschenrechte. Die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung westlicher Entwicklungspolitik<br />
in Afrika in den nächsten<br />
Jahren wird sein, Entwicklung voranzutreiben<br />
ohne zu bevormunden.<br />
Thomas M. Schimmel<br />
Thomas M. Schimmel ist Geschäftsführen<strong>der</strong><br />
Sekretär des Kooperationsrates <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong><br />
<strong>Franziskaner</strong>.<br />
Weitere Informationen unter<br />
www.berlinerseminar.de<br />
17
18<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Zwei Welten<br />
Schüleraustausch mit China<br />
Chinesischer Besuch<br />
Schon beim Besuch <strong>der</strong> chinesischen<br />
Gruppe Anfang Juli 2007 bei uns<br />
in Großkrotzenburg waren Welten<br />
aufeinan<strong>der</strong> geprallt, aber die anfängliche<br />
Unsicherheit und Reserviertheit<br />
auf beiden Seiten wich bald<br />
Offenheit und Herzlichkeit. Unsere<br />
chinesischen Gäste – Lehrerteam wie<br />
Schülergruppe – ließen sich auf alles<br />
ein und zeigten sich äußerst interessiert.<br />
Die Verständigung erfolgte<br />
auf Englisch, was den chinesischen<br />
Jugendlichen wenige Probleme<br />
bereitete, wohl aber den Kollegen.<br />
Nur eine <strong>der</strong> vier chinesischen<br />
Lehrkräfte sprach Englisch, sodass<br />
eine Dolmetscherin unabdingbar war<br />
und offensichtlich unerwünschte und<br />
politisch nicht korrekte Äußerungen<br />
<strong>der</strong> chinesischen Teenager schlicht<br />
und einfach nicht übersetzt wurden.<br />
Entgegen den ausdrücklichen<br />
Wünschen von chinesischer Seite<br />
ließen sich Kontakte mit Religion<br />
nicht vermeiden, sei es beim morgendlichen<br />
Schulgebet o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />
Teilnahme an einer Trauung in <strong>der</strong><br />
Kapelle des <strong>Franziskaner</strong>klosters.<br />
Letztere fand so viel Aufmerksamkeit,<br />
dass wir das anschließende<br />
Grillfest um eine Stunde verschieben<br />
mussten.<br />
Mit unseren Gästen verbrachten<br />
wir eine kurzweilige Woche in den<br />
Familien und bei Aktivitäten inner-<br />
und außerhalb <strong>der</strong> Schule. Seltsam<br />
mutete uns <strong>der</strong>en Reaktion an, als<br />
sie Polizisten sahen und sichtbar<br />
erstarrten. Neu war das Erlebnis, im<br />
Wald spazieren zu gehen, Geschwister<br />
zu haben und mit einer Familie<br />
mit mehreren Kin<strong>der</strong>n um den Tisch<br />
zu sitzen, denn alle unsere Gäste<br />
waren Einzelkin<strong>der</strong>, wie es in China<br />
Politik ist.<br />
»Das ist ja toll!« »Wie könnt ihr nur ein<br />
solches System unterstützen?« »Welchen<br />
Gefahren setzt ihr die Schülerinnen und<br />
Schüler aus?« Ja, wir entschieden uns trotz<br />
aller berechtigten Bedenken und Einwände<br />
dafür und brachen im Herbst 2007 mit<br />
19 Schülerinnen und Schülern des <strong>Franziskaner</strong>gymnasiums<br />
Kreuzburg, Großkrotzenburg,<br />
nach China auf. Die erste Woche<br />
verbrachten wir an unserer Partnerschule<br />
in Shanghai, während wir in <strong>der</strong> zweiten<br />
Woche eine Rundreise unternahmen.<br />
Beeindruckt waren wir von den<br />
künstlerischen Leistungen unserer<br />
Gäste, die an ihrer Schule als Unterrichtsschwerpunkt<br />
Tanz, Theater,<br />
Instrumentalmusik und Gesang<br />
belegen können. Sie erfreuten uns<br />
mit einer perfekten Show, die unsere<br />
Schülergruppe animierte, für den<br />
Gegenbesuch mit etwas Vergleichbarem<br />
aufzuwarten.<br />
Morgenappell
Gemeinsamer Unterricht<br />
Zu Gast in China<br />
In Shanghai erwartete uns eine<br />
überwältigende Gastfreundschaft. Die<br />
Gasteltern nahmen sich Zeit, boten<br />
Spezialitäten an, machten Ausfl üge<br />
und warteten geduldig vor <strong>der</strong> Disco,<br />
um ihre Gäste und das eigene Kind<br />
spät abends nach Hause zu fahren.<br />
Dass Schule in China an<strong>der</strong>s funktioniert,<br />
erfuhren wir gleich am Montag,<br />
als wir den militärisch organisierten<br />
Morgenappell miterleben durften<br />
sowie die für ganz China normierten<br />
Gymnastikübungen an den an<strong>der</strong>en<br />
Wochentagen. Alles ist sehr genau<br />
geregelt – Disziplin, Ordnung und<br />
Ruhe absolute Pfl icht. Etwas neidisch<br />
waren wir auf die Ausstattung <strong>der</strong><br />
Schule: Beamer, Laptop, CD-Player<br />
sind Standard in jedem Klassenzimmer.<br />
Immer wie<strong>der</strong> wurden die Schülerinnen<br />
und Schüler im Unterricht<br />
aufgefor<strong>der</strong>t, die Besten zu werden,<br />
zu lernen, um China voranzubringen.<br />
Offi zielle Vertreter gaben uns<br />
Informationen, die im privaten<br />
Gespräch mehr als richtig gestellt<br />
wurden. Auf <strong>der</strong> Fahrt an einer Fabrik<br />
vorbei wurden wir Zeugen eines<br />
Streiks, bei dem die anwesende Polizei<br />
lediglich den Verkehr regelte, aber<br />
nichts gegen die Streikenden unternahm.<br />
Diese Erfahrungen geben uns<br />
Anlass zur Hoffnung, dass sich Einiges<br />
in China zum Positiven än<strong>der</strong>n wird.<br />
Bei unseren Ausfl ügen wurden uns<br />
die krassen Gegensätze zwischen Alt<br />
und Neu, Arm und Reich, östlicher<br />
Tradition und westlich orientierter<br />
Mo<strong>der</strong>ne deutlich bewusst. Überrascht<br />
waren wir vom Ausmaß des<br />
Hungers nach Information, nach Kontakt<br />
mit dem Westen, nach Austausch<br />
und dem Wunsch, ins Ausland reisen<br />
zu dürfen. Künstler karikieren Mao,<br />
den ohnehin die Jüngeren offensichtlich<br />
nicht mehr kennen. Die »Mao-<br />
Bibel« gibt es im Ramschverkauf.<br />
Nachdem in <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />
religiöse Stätten zerstört worden<br />
waren, werden nun an vielen Orten<br />
buddhistische Tempel vom Staat wie<strong>der</strong><br />
aufgebaut. Überall sahen wir dort<br />
betende Menschen und beobachteten<br />
religiöse Zeremonien. Dieser Trend<br />
gibt Hoffnung, dass die Religionsfreiheit<br />
stärker beachtet wird und<br />
insgesamt die Menschenrechte eine<br />
höhere Priorität einnehmen werden,<br />
auch wenn die aktuellen Ereignisse in<br />
Tibet Sorgen bereiten.<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Horizonterweiterung<br />
Die deutschen wie chinesischen Teilnehmenden<br />
des Austausches machten viele,<br />
viele neue Erfahrungen. Die Chancen zur<br />
Kommunikation, zur Information und<br />
zur Völkerverständigung wurden genutzt<br />
und Freundschaften entstanden. Durch<br />
den Kontrast <strong>der</strong> Kulturen und Traditionen<br />
musste man sich mit <strong>der</strong> eigenen<br />
Identität, auch <strong>der</strong> eigenen historischen<br />
Vergangenheit auseinan<strong>der</strong>setzen und<br />
so manche Selbstverständlichkeit stellte<br />
sich als durchaus nicht selbstverständlich<br />
heraus. Die Themen Menschenrechte<br />
und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung gewannen<br />
plötzlich eine Berechtigung, die die<br />
eher theoretische Diskussion in unserer<br />
westlichen Gesellschaft in einer ganz<br />
an<strong>der</strong>en Dimension erscheinen ließ. Die<br />
China-Reise hat den eigenen Horizont in<br />
einer Art und Intensität erweitert, wie<br />
man es sich nur wünschen kann.<br />
Gertraud Schwab<br />
Gertraud Schwab ist Stellvertretende Schulleiterin<br />
des <strong>Franziskaner</strong>gymnasiums Kreuzburg in<br />
Großkrotzenburg.<br />
19
20<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Deutsch-chinesische Freundschaft<br />
Erfahrungen mit einem chinesischen Gastschüler<br />
Vorbereitungen<br />
In einer Einführungsveranstaltung<br />
für Familien, die Gäste aus Asien aufnehmen,<br />
wurden wir auf Aspekte <strong>der</strong><br />
asiatischen Kultur hingewiesen:<br />
Es ist nicht üblich, über die<br />
eigenen Gefühle zu reden.<br />
Es ist höfl ich, mehrmals abzulehnen,<br />
wenn etwas zu essen o<strong>der</strong><br />
zu trinken angeboten wird.<br />
»Ja« und »Nein« werden selten<br />
klar und direkt formuliert, etc.<br />
Erste Begegnung<br />
Die erste Zeit <strong>der</strong> Eingewöhnung war<br />
unproblematischer als wir gedacht<br />
hatten. Hilfreich waren die sehr guten<br />
Englischkenntnisse unseres Gastes,<br />
außerdem hatte sich Qiwei intensiv<br />
mit <strong>der</strong> deutschen Kultur auseinan<strong>der</strong>gesetzt.<br />
Er begegnet uns mit einer<br />
großen Offenheit und macht aus<br />
seinen Gefühlen kein Geheimnis.<br />
Schule und Freizeit<br />
Qiwei: Die Schule in China ist<br />
sehr unterschiedlich mit <strong>der</strong> in<br />
Deutschland. Wir müssen immer<br />
lernen. Es gibt 40 bis 60 Schülers<br />
in je<strong>der</strong> Klasse. Wir haben immer<br />
viele Hausaufgaben, für jeden<br />
Tag zwei bis vier Stunden. Wir<br />
haben wenig Freizeit, das ist ein<br />
Problem. Wir können nicht so viel<br />
Zeit ausgeben für unsere Hobbys.<br />
In China herrscht ein großer Druck<br />
in <strong>der</strong> Schule. Innerhalb <strong>der</strong> Klasse<br />
gibt es ein »Ranking«, und es ist<br />
das Ziel je<strong>der</strong> Schülerin und jedes<br />
Schülers, auf den ersten zehn Plätzen<br />
zu landen. Während es im deutschen<br />
Schulsystem mehr auf die Eigenverantwortlichkeit<br />
<strong>der</strong> Schülerinnen<br />
und Schüler ankommt, wird in China<br />
mehr kontrolliert und bewertet. Für<br />
unseren Gast war es am Anfang sehr<br />
schwer, mit <strong>der</strong> freien Zeit umzugehen.<br />
Qiwei mit seinem Instrument Hulusi<br />
Familie<br />
Qiwei kommt aus einer typischen<br />
»Ein-Kind-Familie« und lebt hier mit<br />
drei Gastgeschwistern. Er hat sich<br />
schnell auf dieses größere Familiensystem<br />
eingelassen und genießt das<br />
Miteinan<strong>der</strong>.<br />
Deutlich werden die Auswirkungen<br />
<strong>der</strong> »Ein-Kind-Familie« – alle<br />
Hoffnungen <strong>der</strong> Eltern werden auf das<br />
eine Kind projiziert.<br />
Qiwei: Ich mag es, in <strong>der</strong> Familie<br />
Gesellschaftsspiel zu spielen.<br />
Wir scherzen wenn wir spielen.<br />
Gewinnen ist manchmal nicht<br />
wichtig, aber Spaß ist wichtig.<br />
In China muss ich immer lernen<br />
und meine Eltern auch haben<br />
keine Lust. Und ich mag auch das<br />
Gespräch beim Essen. Wir reden<br />
über unseren Tag etwas lustig<br />
o<strong>der</strong> wichtig, manchmal können<br />
wir auch einigen Witze machen,<br />
dann haben wir großen Appetit.
Religion und Glauben<br />
Unser Gast gehört keiner Religionsgemeinschaft<br />
an. Qiwei erzählte uns aber,<br />
dass auch heute <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong> Tempel in<br />
China eine übliche Praxis ist. Auch vor seiner<br />
Ausreise nach Deutschland hatte seine<br />
Familie einen Tempel in seiner Heimatstadt<br />
besucht.<br />
Qiwei: Die Religion in Deutschland ist<br />
auch wichtig. Ich fi nde das sehr interessant.<br />
Ich lerne die Religion kennen,<br />
dass hilft, dass ich die deutsche Kultur<br />
besser verstehe. Zum Beispiel gibt es<br />
viele Feste, die mit Religion verbunden<br />
sind. Und ich mag die lebendige<br />
Geschichte <strong>der</strong> Religion. Das zeigt wie<br />
die Menschen denken. Ich liebe die<br />
schönen Kirchen. Das erhält den Atem<br />
von Geschichte und Brauch.<br />
Lange Gespräche<br />
Die interkulturelle Begegnung braucht Zeit,<br />
vor allem für Gespräche. Manchmal ringen<br />
wir auch noch spät abends um Begriffl ichkeiten.<br />
Wie lassen sich Begriffe übersetzen,<br />
die im Christentum o<strong>der</strong> im Konfuzianismus<br />
von Bedeutung sind? Ein Wörterbuch<br />
alleine hilft da nicht weiter.<br />
Qiwei mit Gastgeschwistern und Gastvater<br />
Qiwei: Allerdings ist die Kultur in<br />
Deutschland ganz an<strong>der</strong>e als in China.<br />
Die <strong>Deutschen</strong> sagen immer direkt,<br />
doch die Chinesisch sagen immer<br />
indirekt. Das tägliche Leben ist auch<br />
nicht gleich. Zum Beispiel wir putzen<br />
die Zähne vor dem Frühstück, aber in<br />
Deutschland nach dem Frühstück. Das<br />
Essen in Deutschland ist nur einmal<br />
warm an jedem Tag, aber in China es<br />
ist immer warm. Es ist immer leise in<br />
dem Restaurant in Deutschland doch<br />
immer laut in China. Es gibt zu viele<br />
Unterschiede aber es ist immer lustig.<br />
Was ich vermisse ist am meisten das<br />
chinesische Essen. Das kann ich nicht<br />
vergleichen. Weil ich sagen würde,<br />
dass das chinesische Essen auch eine<br />
beson<strong>der</strong>e Kultur ist. Und Essen in<br />
China ist wichtig. Wenn Freunden<br />
zusammentreffen, fragen sie: »Hast du<br />
schon gegessen?«, das bedeutet »Wie<br />
geht’s?«.<br />
Erfahrungen<br />
Unser Blick auf China hat sich durch Qiwei<br />
verän<strong>der</strong>t. Überrascht hat uns das Maß<br />
<strong>der</strong> Selbstrefl exion und Offenheit. Die<br />
Gesellschaft in China ist pluraler, als wir<br />
es erwartet hatten. In <strong>der</strong> Schule wird die<br />
Kulturrevolution kritisch beleuchtet und<br />
auch die Unruhen von 1989 werden nicht<br />
verschwiegen.<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Die Grenzen <strong>der</strong> Transparenz werden allerdings<br />
an den Ereignissen in Tibet deutlich.<br />
Eine unabhängige Berichterstattung ist<br />
zurzeit nicht möglich.<br />
Perspektiven<br />
Ein Gastschüler eröffnet neue Perspektiven<br />
und ein an<strong>der</strong>es Verstehen für manche<br />
fremden Ereignisse und Umgangsweisen.<br />
Darüber hinaus ist eine Freundschaft<br />
gewachsen, die wir gerne auch nach dem<br />
gemeinsamen Jahr und über die vielen<br />
Kilometer hinweg lebendig halten wollen.<br />
Qiwei: Insgesamt geht es mir gut mit<br />
dem Kulturschock. Und am Wichtigsten<br />
ist, dass ich viel gelernt und erfahren<br />
habe in Deutschland. Ich denke,<br />
dass ich zurück will nach Deutschland.<br />
Wenn das möglich ist studiere ich in<br />
Deutschland.<br />
Ulrich Klauke und Qiwei<br />
Familie Klauke lebt in Dörenhagen, einem Dorf in<br />
<strong>der</strong> Nähe von Pa<strong>der</strong>born. Ulrich Klauke ist Dipl.-<br />
Theologe und Supervisor und leitet das Referat<br />
Mission, Entwicklung und Frieden im Erzbischöflichen<br />
Generalvikariat Pa<strong>der</strong>born.<br />
21
22<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Ein eigenes Credo für Asien<br />
Porträt eines indischen Theologen<br />
Prof. Francis X. D’Sa gilt als einer <strong>der</strong><br />
fundiertesten Kenner und För<strong>der</strong>er des<br />
interreligiösen Dialogs. Im November<br />
2006 wurde ihm von <strong>der</strong> Johann-Wolfgang-<br />
Goethe-Universität in Frankfurt/Main die<br />
Ehrenpromotion verliehen.<br />
Für Francis D’Sa haben alle Religionen<br />
den gleichen Ursprung und das<br />
gleiche Ziel: Sie kommen aus einem<br />
Geheimnis und gehen auf dieses<br />
Geheimnis zu. Bisher haben für ihn<br />
die Religionen zusammengelebt wie<br />
Öl und Wasser. »Sie haben einan<strong>der</strong><br />
berührt, hatten aber keinen Kontakt<br />
miteinan<strong>der</strong>.« Seiner Meinung nach<br />
hat <strong>der</strong> Dialog <strong>der</strong> Religionen noch<br />
gar nicht richtig begonnen, nicht<br />
zuletzt aus Angst, die eigene Identität<br />
zu verlieren.<br />
Der Dekan Prof. Thomas M. Schmidt überreicht<br />
Prof. D’Sa die Promotionsurkunde<br />
Der zentrale Kern seines Missions- und<br />
Dialogverständnisses liegt für D’Sa in<br />
<strong>der</strong> Maxime: »Die an<strong>der</strong>en so verstehen,<br />
wie sie sich verstehen, damit sie uns<br />
verstehen, wie wir uns verstehen.« Das<br />
bedeutet, den an<strong>der</strong>en nicht nach meinen<br />
Kategorien von außen zu beurteilen (zum<br />
Beispiel die Verehrung <strong>der</strong> heiligen Kuh<br />
sei Götzendienst), son<strong>der</strong>n nach seinen<br />
eigenen. Dazu ist es notwendig, zumindest<br />
ein Stück mit <strong>der</strong> religiösen Erfahrung <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Religion vertraut zu werden.<br />
Das Christentum beruht ganz<br />
wesentlich auf jüdischen, griechischen<br />
und römischen Denktraditionen, die <strong>der</strong><br />
Glaubenswelt <strong>der</strong> Hindus völlig fremd<br />
sind. Die Aussagen des Glaubensbekenntnisses<br />
»geboren, gelitten, gestorben«<br />
beispielsweise ergeben nur innerhalb eines<br />
geschichtlich geprägten Weltverständnisses<br />
Sinn. »Indische Theologie muss sich fragen:<br />
Wie kann Jesus in <strong>der</strong> Glaubenswelt<br />
<strong>der</strong> Hindus verständlich gemacht werden?<br />
Ein eigenes Credo für Asien ist nötig.«<br />
Möglich ist dies beispielsweise über die<br />
»Kenosis« Jesu, seine Selbstentäußerung.<br />
»Die hinduistische Tradition betont<br />
sehr das Loslassen vom eigenen Ich.<br />
Das fi nden wir bei Jesus. Er hat sich voll<br />
und ganz entäußert, damit ihn <strong>der</strong> Geist<br />
erfüllen konnte. Das würden die Hindus<br />
verstehen: Jesus hat sich völlig vom<br />
eigenen Ego entäußert, damit Gottes Geist<br />
ganz in ihm wirken konnte.«<br />
Für die Frage nach <strong>der</strong> Wahrheit<br />
bedeutet das, dass sie immer in ein<br />
bestimmtes System eingebunden ist und<br />
darin ihre Gültigkeit hat. »Wenn es unterschiedliche<br />
Kulturen gibt, können die<br />
Antworten einer Kultur für die an<strong>der</strong>en<br />
Kulturen nicht in gleicher Weise normativ<br />
sein.« Immer geht es darum, den »Geist<br />
Gottes« zu entdecken, <strong>der</strong> auch in an<strong>der</strong>en<br />
Religionen wirkt.
Prof. D’Sa mit seinem Sozialwerk für Frauen<br />
Seine Auffassung von Dialog verdeutlicht<br />
Prof. D’Sa mit einigen Bil<strong>der</strong>n:<br />
Die zwei Augen: Jedes Auge<br />
sieht ein Bild, das verschieden ist<br />
vom Bild, das das an<strong>der</strong>e Auge<br />
wahrnimmt. Das eine Auge<br />
hebt das Bild des an<strong>der</strong>en Auges<br />
nicht auf. Im Gegenteil. Wenn<br />
jedes <strong>der</strong> zwei Augen zu einer<br />
Synchronisierung <strong>der</strong> zwei Bil<strong>der</strong><br />
beiträgt, dann geschieht etwas<br />
Einmaliges: Die Tiefenperspektive<br />
verän<strong>der</strong>t die »Qualität« <strong>der</strong><br />
Bil<strong>der</strong>.<br />
Der menschliche Körper: Je<strong>der</strong><br />
Teil ist in den ganzen Körper<br />
integriert. Das Auge ist grundlegend<br />
verschieden vom Herzen<br />
o<strong>der</strong> vom Gehirn. Aber kein Teil<br />
ist – trotz seiner Identität – von<br />
den an<strong>der</strong>en unabhängig.<br />
Ein Symphonieorchester: Je<strong>der</strong><br />
Musiker hat seine eigene Partitur<br />
zu spielen, aber wenn sie alle<br />
zusammen spielen, spielen<br />
sie nicht einfach ihre Partitur,<br />
son<strong>der</strong>n die Symphonie.<br />
Der Regenbogen: Das Licht<br />
bricht sich in sieben Farben. Es<br />
gibt keine Grenzen, die die Farben<br />
voneinan<strong>der</strong> trennen. Jede<br />
Farbe fl ießt in die an<strong>der</strong>e und<br />
gewinnt dadurch an Identität,<br />
gewinnt dadurch gleichsam eine<br />
»Wir«-Identität. Das Licht-Kontinuum<br />
offenbart sich in vielen<br />
Farben. Keine Farbe lebt aus sich<br />
o<strong>der</strong> nur für sich. Jede hat ihren<br />
Platz und ihre Aufgabe. Die<br />
Farben können nichts aus sich.<br />
Ihre Identität hängt ganz und<br />
gar vom höchsten Licht ab. In<br />
diesem Sinne sind die Offenbarungsfarben<br />
»Komponenten« <strong>der</strong><br />
»Gesamtheit <strong>der</strong> Offenbarung«.<br />
»Dennoch hat jede Kultur eine<br />
Beson<strong>der</strong>heit, die nur im interkulturellen<br />
Dialog zur Geltung<br />
kommen kann, wie jedes Instrument<br />
nur im Gesamtorchester<br />
zur Geltung kommen kann.«<br />
Br. Stefan Fe<strong>der</strong>busch ofm<br />
Br. Stefan Fe<strong>der</strong>busch ist Theologe und<br />
Schulseelsorger am <strong>Franziskaner</strong>gymnasium<br />
Kreuzburg in Großkrotzenburg.<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Francis X. D’Sa<br />
Prof. Francis X. D’Sa SJ wurde am<br />
29.11.1936 in Gokak Falls im Bundesstaat<br />
Karnataka in Westindien geboren.<br />
1953 trat er in die Ordensgemeinschaft<br />
<strong>der</strong> Jesuiten ein. 1957 studierte er<br />
Philosophie in Poona, von 1964 bis 1968<br />
Theologie in Innsbruck, anschließend<br />
Indische Philosophie in Wien. 1973<br />
gründete er in Poona das »Institute for<br />
the Study of Religion«, das sich <strong>der</strong> Erforschung<br />
hinduistischer Traditionen widmet<br />
und <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung des interkulturellen<br />
und interreligiösen Dialogs. Prof. D’Sa<br />
hatte Gastprofessuren in Innsbruck,<br />
Frankfurt und Würzburg inne und hielt<br />
Gastvorlesungen unter an<strong>der</strong>em in<br />
Bochum, Duisburg und Saarbrücken.<br />
Prof. D’Sa hat fünf Jahre in Würzburg<br />
Missionswissenschaft gelehrt. Anfang<br />
2008 ist er mit 71 Jahren in seine indische<br />
Heimat zurückgekehrt. Er arbeitet<br />
unter an<strong>der</strong>em in einem großen interreligiösen<br />
Frauenprojekt, das er vor über<br />
zehn Jahren gegründet hat. Das Projekt<br />
»Maher« bedeutet übersetzt »Zufl ucht<br />
und Schutzkreis bei <strong>der</strong> Mutter«. In 15<br />
Häusern fi nden verlassene und verstoßene<br />
Frauen mit ihren Kin<strong>der</strong>n Zufl ucht,<br />
bisher konnten rund 1.000 Frauen rehabilitiert<br />
werden.<br />
Die in Frankfurt gehaltenen Vorlesungen<br />
fi nden sich in den Bänden:<br />
Francis X., D’Sa: Gott, <strong>der</strong> Dreieine und<br />
All-Ganze. Christentum und Hinduismus.<br />
Reihe Theologie Interkulturell Bd. 2.<br />
Frankfurt/Main. 1987.<br />
Francis X., D’Sa: Regenbogen <strong>der</strong> Offenbarung.<br />
Das Universum des Glaubens<br />
und das Pluriversum <strong>der</strong> Bekenntnisse.<br />
Reihe Theologie Interkulturell Bd. 16.<br />
Frankfurt/Main. 2006.<br />
23
24<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Kein Frieden in Sicht<br />
In Sri Lanka ist wie<strong>der</strong> Krieg<br />
Die Regierung hat am 16. Januar 2008 das<br />
Waffenstillstandsabkommen von 2002<br />
auf gekündigt. Die Gewalt ist wie<strong>der</strong> eskaliert.<br />
Die Zivilbevölkerung ist des Krieges<br />
zwischen <strong>der</strong> Regierung und den Rebellen<br />
überdrüssig, kann das Töten jedoch nicht<br />
verhin<strong>der</strong>n.<br />
Ursachen des Konfl ikts<br />
60 Jahre nach <strong>der</strong> britischen Herrschaft<br />
hat die Regierung und das politische<br />
Establishment den Menschen<br />
vor allem Probleme gebracht: soziales<br />
Elend, zunehmend antidemokratische<br />
Methoden und 25 Jahre Bürgerkrieg<br />
ohne Hoffnung auf ein Ende. In den<br />
letzten 30 Jahren wurde ein Krieg<br />
geführt, um die Dominanz <strong>der</strong> Singhalesen<br />
über die tamilische Min<strong>der</strong>heit<br />
zu festigen.<br />
Es waren die Briten, die während<br />
<strong>der</strong> Kolonialzeit die Insel unter einer<br />
einzigen Verwaltung geeint hatten.<br />
Gleichzeitig legten sie jedoch die<br />
Grundlagen für den heutigen Krieg<br />
zwischen den verschiedenen Volksgruppen.<br />
Macht an die Singhalesen<br />
Nach <strong>der</strong> Unabhängigkeit von 1948<br />
nutzte die singhalesische Mehrheit<br />
das Machtvakuum aus. Sie führte<br />
diskriminierende Maßnahmen gegen<br />
die ehemals gut etablierte tamilische<br />
Min<strong>der</strong>heit ein, die singhalesische<br />
Spuren des Krieges am Strand von Sri Lanka<br />
Sprache wurde einzige Amtssprache,<br />
strenge Bildungskontingente ermöglichten<br />
nur wenigen Tamilen eine<br />
höhere Schulbildung, <strong>der</strong> Buddhismus<br />
wurde zur Staatsreligion erklärt.<br />
Die vermehrte Ansiedlung von<br />
Singhalesen in den traditionell von<br />
Tamilen bewohnten Gebieten im<br />
Norden und im Osten <strong>der</strong> Insel wurde<br />
in den 1980er Jahren gegen die<br />
Wi<strong>der</strong>stände <strong>der</strong> ansässigen Bevölkerung<br />
mit den Sicherheitskräften und<br />
unter Zerstörung tamilischer Dörfer<br />
durchgesetzt.<br />
Die Tamilen wehren sich<br />
Die soziale und politische Dominanz<br />
<strong>der</strong> singhalesischen Mehrheit über die<br />
tamilische Min<strong>der</strong>heit entfremdete<br />
die Tamilen von den politischen wie<br />
demokratischen Institutionen und rief<br />
in den späten 1970er Jahren gewaltsame<br />
Konfl ikte hervor. Seither wütet<br />
vor allem im Norden und Osten ein<br />
Bürgerkrieg.<br />
Von Positionen abrücken<br />
Obwohl <strong>der</strong> Konfl ikt komplex ist,<br />
zeigt sich sein Grundproblem in <strong>der</strong><br />
singhalesischen Vorherrschaft über<br />
die übrigen Bevölkerungsgruppen.<br />
Die Singhalesen sind nicht bereit, das<br />
Recht <strong>der</strong> Tamilen auf Selbstbestimmung<br />
anzuerkennen. Die Tamilen<br />
an<strong>der</strong>erseits sind gefor<strong>der</strong>t – trotz <strong>der</strong><br />
kriegerischen Ereignisse – nichtkriegerische<br />
Wege zu fi nden.<br />
Der Krieg entstand und eskalierte<br />
wegen des politischen Systems in Sri<br />
Lanka. Dieses ist ungeeignet, um auf<br />
die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Tamilen einzugehen.<br />
Das Regierungssystem schafft<br />
keinen Frieden. An<strong>der</strong>erseits müssten<br />
die Tamilen bereit sein, die For<strong>der</strong>ung<br />
nach Unabhängigkeit aufzugeben<br />
und die Souveränität des Staates zu<br />
achten.<br />
Versöhnende Maßnahmen?<br />
Versöhnung sollte unabhängig vom<br />
politischen Klima möglich werden.<br />
Die Menschen könnten sich durch<br />
das Beispiel an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> ermutigen<br />
lassen. Ein erprobtes Vorbild für Sri<br />
Lanka wäre Südafrika. Da haben Versöhnungsaktionen<br />
schon während <strong>der</strong><br />
kriegerischen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
den Frieden geför<strong>der</strong>t.<br />
Es ist nötig, dass die internationale<br />
Gemeinschaft Druck auf die Regierung<br />
Sri Lankas ausübt. Sie hat sich<br />
zu lange auf Maßnahmen gegen die<br />
Rebellen konzentriert. Noch hat sie<br />
jedoch Möglichkeiten, ihren Einfl uss<br />
geltend zu machen.<br />
N.N. (Name <strong>der</strong> Redaktion bekannt)<br />
Übersetzung aus dem Englischen:<br />
Karl Bauer
Noël, Weihnachten geboren<br />
Zusammen mit zwei Schwestern und<br />
drei Brü<strong>der</strong>n wuchs Sajeen Noël Denash<br />
Mariampillai, geboren 1974, <strong>der</strong> nur Noël<br />
genannt wird, im Norden von Sri Lanka<br />
auf. Der schon seit Jahrzehnten wütende<br />
Bürgerkrieg in seinem Heimatland hatte<br />
auch seine Geschwister dazu veranlasst, ins<br />
Ausland zu emigrieren. Seine Eltern leben<br />
in Colombo, <strong>der</strong> Hauptstadt Sri Lankas. Alle<br />
an<strong>der</strong>en Familienmitglie<strong>der</strong> leben weltweit in<br />
verschiedenen Län<strong>der</strong>n, in denen sie sich eine<br />
neue Existenz aufbauen mussten.<br />
Im Jahr 1994 gelangte Noël in die<br />
Schweiz. Nach dem anfänglichen Kulturschock<br />
gewöhnte er sich schnell ein und<br />
erhielt eine Anstellung im Bahnhofbuffet in<br />
Olten. In jener Zeit ergaben sich Kontakte<br />
zum dortigen Kapuzinerkloster.<br />
Seit dem Jahr 2000 arbeitet Noel zur<br />
Hälfte als Speditionsangestellter in <strong>der</strong> Missionsprokura<br />
<strong>der</strong> Schweizer Kapuziner und zur<br />
Hälfte als »Allroun<strong>der</strong>« im Kloster.<br />
Mittlerweile ist er verheiratet und hat<br />
sich in <strong>der</strong> Schweiz sehr gut integriert. »Es<br />
interessiert mich, was in <strong>der</strong> Schweiz, in Sri<br />
Lanka und weltweit geschieht. Ich möchte<br />
aktive Hilfe leisten, wenn es mir möglich ist.«<br />
Dies hat er nach <strong>der</strong> Tsunami-Katastrophe<br />
durch einen freiwilligen Einsatz unter Beweis<br />
gestellt.<br />
Als Mitglied <strong>der</strong> Feuerwehr Olten ist er<br />
ebenfalls gerne gesehen und wird von seinen<br />
Kameraden für seine Lernbereitschaft, den<br />
Einsatz und seine Tatkraft geschätzt. »Ich bin<br />
dort zu Hause, wo ich Freunde habe«, sagt er.<br />
»Natürlich schmerzt es, wenn schlimme<br />
Bil<strong>der</strong> und Nachrichten aus meinem Heimatland<br />
eintreffen. Dann fühle ich mich ohnmächtig<br />
und wünschte mir, dass endlich Frieden<br />
wäre und sich die Menschen gegenseitig<br />
achten und respektieren würden. Irgendwann<br />
möchte ich wie<strong>der</strong> zurückkehren, dorthin,<br />
wo ich geboren bin. Die Hoffnung bleibt.<br />
Wenn je<strong>der</strong> einen Beitrag leistet, kann unser<br />
Land irgendwann wie<strong>der</strong> das Paradies sein,<br />
welches es einmal war.«<br />
N.N. (Name <strong>der</strong> Redaktion bekannt)<br />
Quelle<br />
Die drei Beiträge dieser Doppelseite wurden von<br />
<strong>der</strong> Missionszeitschrift <strong>der</strong> Schweizer Kapuziner<br />
(ite 3/2008) freundlicherweise zur Verfügung<br />
gestellt. Weitere Informationen unter<br />
www.kapuziner.ch/ite<br />
Traumatisierte Kin<strong>der</strong><br />
Der Krieg in Sri Lanka zeigt Folgen:<br />
Die sechsjährige Rani lächelt nicht, spricht<br />
nicht und spielt nicht. Ihre Geschwister sind<br />
drei und acht Jahre alt, die Eltern starben<br />
bei einem Bombenangriff. Seit zwei Jahren<br />
sorgen nun die mit <strong>der</strong> Erziehung überfor<strong>der</strong>ten<br />
Großeltern für die verwaisten Kin<strong>der</strong>.<br />
Das Einkommen reicht nicht aus, und die<br />
Kin<strong>der</strong> sind vernachlässigt.<br />
Bedrückende Erfahrungen<br />
In den vom Bürgerkrieg betroffenen Provinzen<br />
von Sri Lanka sind die Kin<strong>der</strong> durch<br />
vielfache Verluste und Gewalterfahrungen<br />
traumatisiert.<br />
Werden Vater o<strong>der</strong> Mutter getötet o<strong>der</strong><br />
entführt, verliert ein Kind nicht nur primäre<br />
Bezugspersonen, son<strong>der</strong>n auch die materielle<br />
Lebensgrundlage. Es wird abhängig,<br />
lebt in Angst und Einsamkeit und bekommt<br />
Depressionen. Waisen werden in Sri Lanka<br />
oft diskriminiert und wegen ihrer fi nanziellen<br />
Situation an den Rand gedrückt.<br />
Ihre Lage verschlimmert sich zusätzlich,<br />
wenn sie selber Gewalt erfahren haben.<br />
Wenn Kin<strong>der</strong> lange Zeit von fremden<br />
Menschen betreut werden, verlieren sie ihr<br />
Selbstwertgefühl. Noch schlimmer wird die<br />
Situation, wenn die Kin<strong>der</strong> in Lagern leben.<br />
Weitere Erschwernisse ergeben sich aus<br />
Zwangsumsiedlungen und <strong>der</strong> Verachtung<br />
in einem fremden Gebiet.<br />
Ein weiterer Faktor für Traumata ist<br />
die Hoffnungslosigkeit in einer sich verschlechternden<br />
Lebenssituation. Betroffene<br />
Mädchen und Jungen leben in ständiger<br />
Spannung, die durch nächtliche Ausgehverbote<br />
verstärkt wird, und leiden unter<br />
Schlafl osigkeit bzw. Albträumen.<br />
In <strong>der</strong> Schule zeigen traumatisierte Kin<strong>der</strong><br />
wenig Interesse am Lernen. Sie lassen<br />
sich leicht stören und werden oft beim<br />
geringsten Anlass gewalttätig.<br />
Traumatisiertes Kind<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Sri Lanka<br />
Die Demokratische Sozialistische<br />
Republik Sri Lanka, bis 1972 Ceylon,<br />
ist ein Inselstaat im Indischen<br />
Ozean, 31 km vor <strong>der</strong> Südspitze<br />
des Indischen Subkontinents entfernt.<br />
Die Insel wird auch »Perle<br />
des Indischen Ozeans« genannt. Sie<br />
hat rund 20 Millionen Einwohner.<br />
Mit etwa 74% Bevölkerungsanteil<br />
stellen die Singhalesen die größte<br />
Volksgruppe. Die Tamilen bilden<br />
mit 12% die größte Min<strong>der</strong>heit im<br />
Land. 8% sind Nachkommen arabischer<br />
und malaysischer Muslime.<br />
Hilfe für die Kriegswaisen<br />
in Sri Lanka<br />
Es gibt Nichtregierungsorganisationen,<br />
die sich um traumatisierte Kin<strong>der</strong><br />
kümmern. Doch vor dem Hintergrund<br />
von Bombardierungen, Hinrichtungen<br />
und Verschleppungen sind ihre<br />
Möglichkeiten sehr begrenzt. Es<br />
fehlen engagierte Erwachsene, die<br />
den Kin<strong>der</strong>n zuhören und mit ihnen<br />
arbeiten.<br />
N.N. (Name <strong>der</strong> Redaktion bekannt)<br />
Religiöse Vielfalt<br />
Sri Lanka ist ein Land <strong>der</strong> religiösen<br />
Vielfalt. Die Bevölkerungsmehrheit<br />
<strong>der</strong> Singhalesen bekennt sich überwiegend<br />
zum Buddhismus (69,3%).<br />
An<strong>der</strong>e religiöse Gruppen sind<br />
Hindus (15,5%), die hauptsächlich<br />
Tamilen sind, sowie Muslime<br />
(7,6%) und Christen (7,5%).<br />
25
26<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Aufbruch nach<br />
Nie<strong>der</strong>ländisch-lndien<br />
Franziskanische Antwort auf die Nöte in Nord-Sumatra<br />
Fünf holländische Schwestern <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
Salzkotten fcjm gingen 1930<br />
in Genua an Bord eines Schiffes, das nach<br />
Nie<strong>der</strong>ländisch-lndien auslief: Auf Bitte <strong>der</strong><br />
Kapuziner würden sie dort eine Schule und<br />
eine Poliklinik übernehmen.<br />
In Tandjoeng-Balei fanden sie ein<br />
Schwesternhaus mit Kirche, ein<br />
Pfarrhaus und eine Schule vor.<br />
Sogleich wurde ihnen die Leitung <strong>der</strong><br />
nie<strong>der</strong>ländisch-chinesischen Schule<br />
und des angeschlossenen Internats<br />
übertragen.Traditionell lebten viele<br />
Chinesen, meist als Händler, an <strong>der</strong><br />
Ostküste von Sumatra. Außerdem<br />
arbeiteten die Schwestern fortan in<br />
<strong>der</strong> dortigen Poliklinik.<br />
Weitere Mitschwestern aus den<br />
Nie<strong>der</strong>landen und aus Deutschland<br />
kamen in den folgenden Jahren und<br />
eröffneten einen Kin<strong>der</strong>garten und<br />
eine Nähschule.<br />
Geografi sche und politische Lage<br />
Tandjoeng-Balei liegt an einer Flussmündung<br />
und ist umgeben von Sümpfen.<br />
Nicht alle Schwestern vertrugen<br />
Indonesische Schwesterngemeinschaft <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>innen von Salzkotten<br />
das extreme Tropenklima. So zog<br />
eine zweite Kommunität nach Balige,<br />
in die nahe gelegene Bergregion am<br />
Toba-See. Hier im deutlich mil<strong>der</strong>en<br />
Klima sollte die Zentrale <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
Salzkotten in Indonesien<br />
entstehen. Das dort lebende Volk <strong>der</strong><br />
Batak war den Schwestern gegenüber<br />
aufgeschlossen. Die <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
engagierten sich in <strong>der</strong> ambulanten<br />
Krankenpfl ege und erteilten Schulunterricht.<br />
Einige Jahre später erreichte <strong>der</strong><br />
Zweite Weltkrieg Indonesien, die<br />
Japaner – Verbündete des <strong>Deutschen</strong><br />
Reiches – bombardierten Sumatra.<br />
Als Staatsangehörige einer feindlichen<br />
Nation gerieten nun zunächst<br />
die deutschen Schwestern in Gefahr.<br />
Als die Japaner einmarschierten,<br />
waren hingegen die Schwestern aus<br />
den Nie<strong>der</strong>landen gefährdet. Neun<br />
von ihnen wurden bis August 1945<br />
in einem Lager interniert.<br />
Auf den Krieg folgte <strong>der</strong> Unabhängigkeitskampf<br />
und die Schwestern<br />
mussten Sumatra verlassen. Sie<br />
kehrten 1947 wie<strong>der</strong> zurück, zwei<br />
Jahre bevor Indonesien mit seinen<br />
13.000 Inseln unabhängig wurde.<br />
Ausbildung und Wachstum<br />
1954 begannen in Balige sieben junge<br />
indonesische Frauen mit ihrer Ordensausbildung.<br />
Immer mehr Elemente <strong>der</strong><br />
einheimischen Kultur, vor allem von<br />
den Batak, verbanden sich mit dem<br />
Ordensleben. 1972 waren von 64 <strong>Franziskaner</strong>innen,<br />
die in Indonesien lebten,<br />
bereits 56 einheimisch. Die erste<br />
indonesische Schwester wurde 1973<br />
Oberin, seit 1989 existiert die selbstständige<br />
Provinz. Das neue Mutterhaus<br />
steht seit 1996 in Monteluco. Sumatra<br />
ist bis heute die Basis, doch auch auf<br />
den Inseln Nias und Ost-Timor leben<br />
und arbeiten indonesische Schwestern<br />
<strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>innen Salzkotten. Sie<br />
sind in <strong>der</strong> Krankenpfl ege tätig, leiten<br />
ein Zentrum für Menschen mit Behin<strong>der</strong>ung<br />
und unterhalten Schulen und<br />
Kin<strong>der</strong>gärten.<br />
Michael Bodin<br />
Der Journalist Michael Bodin ist tätig für die<br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
Salzkotten.
Buntes Volk Gottes<br />
Interkulturelles Zusammenleben im Essener Kloster<br />
Feier des ersten Pfl egeausbildungstags <strong>der</strong> Schwestern<br />
Die katholische Kirche beheimatet als<br />
Weltkirche ein enorm großes, buntes<br />
Volk Gottes. Für uns Essener Franziskusschwestern<br />
<strong>der</strong> Familienpfl ege<br />
hat sich <strong>der</strong> Erfahrungshorizont in<br />
beson<strong>der</strong>er Weise vergrößert: Die Welt<br />
kommt zu uns in Form von Ordenschristen<br />
aus verschiedenen Kongregationen<br />
und von verschiedenen Kontinenten.<br />
Ursprünglich boten wir einen Ort des Willkommens<br />
und Eingewöhnens für Ordensleute<br />
mit an<strong>der</strong>em Kulturhintergrund. Nach<br />
und nach sind wir zu einer Gemeinschaft<br />
des dauerhaften interkulturellen Zusammenlebens<br />
von Ordenschristen geworden<br />
– Männern wie Frauen.<br />
Zu uns gehören <strong>der</strong>zeit ein Weißer Vater<br />
aus Schwaben, ein bayerischer Redemptorist,<br />
Schwestern aus Spanien und Korea und<br />
indische Schwestern aus drei verschiedenen<br />
Kongregationen. Wir leben und essen<br />
miteinan<strong>der</strong>, beten die Tageszeiten, feiern<br />
unsere verschiedenen ordenseigenen Feste<br />
zusammen und arbeiten gemeinsam, im<br />
Kloster wie außerhalb, an den Aufgaben,<br />
die sich uns als Ordenschristen stellen.<br />
Wir teilen unser Leben in <strong>der</strong> Gestaltung<br />
des Klosterlebens wie bei den Aktivitäten<br />
des Bistums und den Angeboten und<br />
Anfragen <strong>der</strong> Ortskirche.<br />
Gleichzeitig haben wir Schwestern<br />
aber auch den Raum und die Zeit für<br />
unser ureigenes Miteinan<strong>der</strong> in Freizeit<br />
und Gebet. Eine von uns eigens dafür<br />
eingerichtete Etage soll ein Refugium<br />
sein, an dem jede von uns ihre eigene<br />
Kultur und Sprache, ihr Brauchtum und<br />
Gebetsleben gestalten kann.<br />
Von Vorteil ist dabei die Vielzahl<br />
<strong>der</strong> Gemeinschaften und Kulturen. Die<br />
Vielfalt hält dazu an, einan<strong>der</strong> zu respektieren<br />
und die An<strong>der</strong>sartigkeit im Dialog<br />
kennenzulernen und zu verstehen. Und<br />
wenn eine indische Karmelitin beim Vorbeten<br />
mit größter Selbstverständlichkeit<br />
als beson<strong>der</strong>es Anliegen die Erneuerung<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Berufung auswählt<br />
und vorbetet, dann haben wir Franziskusschwestern<br />
unser Gründungscharisma<br />
– die Familienpfl ege in Form <strong>der</strong> »Familienpfl<br />
ege unter den Orden« – in beson<strong>der</strong>er<br />
Weise neu geschenkt bekommen.<br />
Sr. Anette M. Chmielorz<br />
Sr. Anette M. Chmierlorz ist Leiterin einer<br />
Altenpfl egeschule in Essen.<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
Gemeinsames Kartoffelschälen<br />
27
28<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008 — Ferner Osten<br />
Projekte<br />
Aussatz in China<br />
In China sind heute etwa 300.000 Menschen<br />
an Lepra erkrankt. Sie leiden nicht<br />
nur an <strong>der</strong> Krankheit, son<strong>der</strong>n auch unter<br />
gesellschaftlicher Isolation.<br />
Schon immer waren Menschen,<br />
die sich mit Lepra infi ziert hatten,<br />
gesellschaftlich isoliert. Der Evangelist<br />
Lukas berichtet von <strong>der</strong> Begegnung<br />
Jesu mit einem Aussätzigen: Jesus<br />
reicht ihm die Hand und heilt ihn so<br />
von seiner Krankheit und von seiner<br />
Isolation. Für Franziskus wurde die<br />
Begegnung mit dem Leprakranken zu<br />
einem seiner Schlüsselerlebnisse: Er<br />
geht daraus als neuer Mensch hervor,<br />
<strong>der</strong> sich nicht mehr von Armen und<br />
Ausgegrenzten abwendet.<br />
In China stehen <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
und <strong>Franziskaner</strong> mithilfe<br />
<strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong> Mission und <strong>der</strong><br />
Missionszentrale den Leprakranken<br />
bei. Die Krankheit ist vor allem in<br />
den ländlichen Gebieten verbreitet.<br />
Dort gibt es keine Medikamente,<br />
um die Patientinnen und Patienten<br />
zu versorgen und die Ausbreitung<br />
zu stoppen. Sobald die Lepra offen<br />
ausbricht, werden die Kranken von<br />
ihren Familien verstoßen und sind<br />
auf sich allein gestellt, da auch die<br />
staatliche Gesundheitsversorgung<br />
mangelhaft ist.<br />
In <strong>der</strong> Provinz Shaanxi, die im<br />
Norden an die Mongolei grenzt,<br />
kümmern sich <strong>Franziskaner</strong>innen im<br />
Leprazentrum St. Lazarus in Shangluo<br />
täglich um 93 Kranke. Sie versorgen<br />
sie medizinisch, so dass die Krankheit<br />
innerhalb weniger Monate zum<br />
Stillstand gebracht und geheilt werden<br />
kann. Bei leprakranken Müttern<br />
kümmern sich die <strong>Franziskaner</strong>innen<br />
auch um die Kin<strong>der</strong>. Neben <strong>der</strong><br />
medizinischen Behandlung werden<br />
die Menschen ganzheitlich begleitet<br />
und berufl ich geför<strong>der</strong>t.<br />
In Dihua, einer an<strong>der</strong>en Stadt in<br />
<strong>der</strong> Provinz Shaanxi, haben die<br />
<strong>Franziskaner</strong> im Jahr 1998 ein<br />
Leprazentrum gegründet. 95 meist<br />
ältere Patientinnen und Patienten<br />
leben dort und sind auf lebenslange,<br />
intensive Pfl ege angewiesen.<br />
Kin<strong>der</strong>n von Leprakranken werden<br />
Lebens unterhalt und Schulbesuch<br />
ermöglicht. Zudem versuchen die<br />
<strong>Franziskaner</strong>, die lokale Bevölkerung<br />
über Ursachen, Verlauf und Prävention<br />
aufzuklären.<br />
In Liping, in <strong>der</strong> Provinz<br />
Guizhou, gründen <strong>Franziskaner</strong><br />
<strong>der</strong>zeit ein weiteres, dringend<br />
benötigtes Leprazentrum nach<br />
dem Vorbild in Dihua.<br />
Thomas M. Schimmel<br />
Thomas M. Schimmel ist Geschäftsführen<strong>der</strong><br />
Sekretär des Kooperationsrates <strong>der</strong><br />
<strong>Deutschen</strong> <strong>Franziskaner</strong>.<br />
Weitere Informationen unter<br />
Deutsches Aussätzigenhilfswerk<br />
(DAHW)<br />
www.dahw.de<br />
Weltgesundheitsorganisation WHO<br />
www.who.int<br />
Behandlung Leprakranker<br />
Dorf von Leprakranken<br />
Die Infektionskrankheit Lepra<br />
befällt üblicherweise die Nerven<br />
und führt zu Gefühlsstörungen,<br />
Lähmungen und Verstümmelungen.<br />
Heute ist die heilbare Krankheit<br />
nur noch in unterentwickelten<br />
Län<strong>der</strong>n verbreitet. Laut WHO<br />
sind etwa 1,3 Millionen Menschen<br />
erkrankt, jährlich kommen etwa<br />
250.000 hinzu. Zwei Millionen<br />
Menschen leiden an den Folgen<br />
<strong>der</strong> Erkrankung.
Vietnam – Zukunft durch Bildung<br />
Die Bewohnerinnen und Bewohner<br />
des abgelegenen Bergdorfs Dong<br />
Trang führen ein Leben in äußerster<br />
Armut. Das Jahreseinkommen einer<br />
Bauernfamilie beträgt umgerechnet<br />
250 bis 500 Euro. Das Geld reicht<br />
kaum für den täglichen Reis. Die<br />
meisten Kin<strong>der</strong> müssen nach <strong>der</strong><br />
Grundschule die Schule abbrechen,<br />
denn jede Arbeitskraft wird<br />
Impressum<br />
<strong>Franziskaner</strong> Mission wird viermal im Jahr kostenlos den Freunden<br />
<strong>der</strong> franziskanischen Missionsarbeit zugestellt. <strong>Franziskaner</strong><br />
Mission erscheint im Auftrag <strong>der</strong> Sächsischen<br />
und <strong>der</strong> Kölnischen <strong>Franziskaner</strong>provinz, <strong>der</strong> Provinz von Bacabal<br />
sowie <strong>der</strong> Missionszentrale <strong>der</strong> Franzis kaner (Bonn).<br />
Herausgeber <strong>Franziskaner</strong> Mission, Dortmund<br />
Verantwortlich Augustinus Diekmann ofm<br />
Redaktion Daniela Böhle, Stefan Fe<strong>der</strong>busch ofm,<br />
Thomas M. Schimmel, Alfons Schumacher ofm<br />
gebraucht, um zum Unterhalt <strong>der</strong><br />
Familien beizutragen. Der Besuch<br />
einer weiter führenden Schule in <strong>der</strong><br />
15 Kilometer entfernten Kreisstadt<br />
bleibt den Kin<strong>der</strong>n von Dong Trang<br />
verwehrt, denn die Familien können<br />
we<strong>der</strong> das Schulgeld aufbringen noch<br />
die nötigen Bücher bezahlen.<br />
Die <strong>Franziskaner</strong> möchten<br />
58 Kin<strong>der</strong>n den Besuch einer weiter-<br />
Ferner Osten — <strong>Franziskaner</strong> Mission 2 | 2008<br />
führenden Schule und eine Berufsausbildung<br />
ermöglichen, denn Schulbildung<br />
ist <strong>der</strong> einzige Weg, <strong>der</strong> aus dem<br />
Kreislauf des Elends führt.<br />
Bitte helfen Sie den Kin<strong>der</strong>n von<br />
Dong Trang, damit sie eine Zukunft<br />
haben.<br />
Fotos : ite-Archiv: Titel, li. . Augustinus Diekmann: Titelinnenseite. Uwe<br />
Köhne: 2, 3, 4. Renée Rentke: 5, 6. Privat: 7, 8, 9, 18, 19, 20, 21, 26, 27.<br />
Franciscans International: 10, 11. Martin Eick: 12, 17. Katharina Hesse<br />
(epd): 13. amnesty international: Mittelseite. ccfmc: 22, 23.<br />
ite-Archiv: 24, 25. MZF: 28. Barbara Geilich: Rückseite.<br />
Gestaltung sec GmbH, Osnabrück<br />
Druck Mein<strong>der</strong>s & Elstermann, Osnabrück; gedruckt auf Recycling-Papier<br />
29
Shantideva, <strong>der</strong> Legende nach ein Königssohn<br />
aus Südindien, lebte in <strong>der</strong> ersten<br />
Hälfte des 8. Jahrhun<strong>der</strong>ts n. Chr. und<br />
wirkte als Mönch an <strong>der</strong> Klosteruniversität<br />
von Nalanda. Sein »Bodhicaryatara« –<br />
wörtlich übersetzt »Eintritt in den Weg<br />
zur Erleuchtung« – ist bis heute einer <strong>der</strong><br />
meistzitierten und -rezitierten buddhistischen<br />
Texte überhaupt.<br />
So lange <strong>der</strong> Raum besteht<br />
Und fühlende Wesen leiden,<br />
Möge auch ich bleiben,<br />
Die Leiden <strong>der</strong> Welt zu zerstreuen.<br />
Shantideva<br />
Shantideva, <strong>der</strong> Legende nach ein<br />
Königssohn aus Südindien, lebte in<br />
<strong>der</strong> ersten Hälfte des 8. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
n. Chr. und wirkte als Mönch an<br />
<strong>der</strong> Klosteruniversität von Nalanda.<br />
Sein »Bodhicaryatara« – wörtlich<br />
übersetzt »Eintritt in den Weg zur<br />
Erleuchtung« – ist bis heute einer<br />
<strong>der</strong> meistzitierten und -rezitierten<br />
buddhistischen Texte überhaupt.<br />
Ein Bodhisattva aus dem Völkerkundemuseum <strong>der</strong> <strong>Franziskaner</strong> in Werl<br />
Doch seine Verssammlung ist nicht nur<br />
einer <strong>der</strong> wichtigsten buddhistischen<br />
Lehrtexte, son<strong>der</strong>n darüber hinaus ein<br />
Werk von hohem literarischen Rang.<br />
Es schil<strong>der</strong>t auf exemplarische Weise<br />
den Werdegang und das Wirken eines<br />
»Bodhisattva«, eines Menschen, <strong>der</strong> seine<br />
ganze Kraft dem Wohl aller Lebewesen<br />
widmet. Dabei wird deutlich, dass je<strong>der</strong>,<br />
<strong>der</strong> dem Weg des Buddha folgt, durch die<br />
Entwicklung und Pfl ege von Eigenschaften<br />
wie liebende Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit<br />
und Geduld beiträgt zur Überwindung<br />
von Leid und Ungerechtigkeit und<br />
auf diese Weise Erlösung, Erleuchtung –<br />
Glückseligkeit erlangen kann.