Präsentation zu Teil 1 - Institut für Jugendkulturforschung
Präsentation zu Teil 1 - Institut für Jugendkulturforschung
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Handlungsfeld Jugendarbeit<br />
© Universal Music © Universal Music<br />
Bernhard Heinzlmaier<br />
© Universal Music<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jugendkulturforschung</strong>, Alserbachstraße 18/7. OG, 1090 Wien
Medialer Wandel: Fernsehprogramm 10. April 1962<br />
• Es gibt einen TV-Kanal<br />
• Sendebeginn unter der Woche:<br />
19 Uhr 30; Sendeschluss: 22 Uhr<br />
• Hauptabendprogramm ist ein<br />
„deutsches Fernsehspiel“<br />
• Fernsehspiel = Hörspiel im Form<br />
eines Theaters, das <strong>für</strong> die<br />
Wiedergabe im TV bestimmt ist.<br />
• Das Paradies von Pont L´Eveque<br />
(Johannes Hendrich)<br />
• "Zugluft pfeift durch jede Ritze<br />
diesen hier reisst es vom Sitze.<br />
Jener aber macht ihm klar,<br />
dass das gar nicht nötig war.<br />
TESA-Moll ins Fenster kleben<br />
und behaglich weiterleben."<br />
(Kurzfilmmosaik)
Wandel Kommunikation: Sprachgebrauch April 1962<br />
• Austria Wien stellt einen<br />
neuen Stürmer vor: Jacare<br />
kommt aus Brasilien<br />
• Der dunkelhäutige Brasilianer<br />
wird in verschiedenen<br />
Zeitungsartikel ohne Scheu als<br />
„Neger“ bezeichnet.<br />
• Heute wird in sprach- und<br />
kulturwissenschaftlichen<br />
Aufsätzen das Wort selbst dann<br />
nicht mehr verwendet, wenn es<br />
lediglich Gegenstand der<br />
wissenschaftlichen Reflexion<br />
ist. Um es <strong>zu</strong> vermeiden,<br />
verwendet man den Platzhalter<br />
„das N-Wort“.
Einführung in das soziologische Denken
Was ist Aufklärung?<br />
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner<br />
selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das<br />
Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung einer<br />
anderen <strong>zu</strong> bedienen. Selbstverschuldet ist diese<br />
Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am<br />
Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und<br />
des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen <strong>zu</strong><br />
bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen<br />
Verstandes <strong>zu</strong> bedienen! ist also der Wahlspruch der<br />
Aufklärung.<br />
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ei so<br />
großer <strong>Teil</strong> der Menschen, nachdem sie die Natur längst<br />
von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gern<br />
zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so<br />
leicht wird, sich <strong>zu</strong> deren Vormündern auf<strong>zu</strong>werfen.“<br />
Immanuel Kant (* 22. April 1724 in Königsberg, Preußen; † 12. Februar 1804 ebenda) war ein deutscher<br />
Philosoph der Aufklärung.
Kritische und aufklärende Funktion der Soziologie<br />
„Die erste Stufe der<br />
Weisheit in der Soziologie<br />
ist, dass die Dinge nicht<br />
sind, was sie scheinen“<br />
Peter Ludwig Berger (* 17. März 1929 in Wien) ist ein US-amerikanischer Soziologe.
Künstliche Dummheit als Methode<br />
„Nur wenn wir uns darauf verständigen können,<br />
dass die Originalität der soziologischen gegenüber<br />
der alltäglichen Weltsicht vor allem in ihrer<br />
„künstlichen Dummheit“ (Hitzler 1986) besteht,<br />
darin also, die Commonsense-Gewissheit eben<br />
nicht <strong>zu</strong> teilen und vorsichtshalber immer erst<br />
einmal davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass der andere<br />
Mensch, dem wir wo auch immer begegnen, in<br />
seiner Welt lebt, die eben nicht selbstverständlich<br />
auch die unsere und folglich prinzipiell erst einmal<br />
(vorsichtig, nachsichtig) <strong>zu</strong> explorieren ist, nur dann<br />
verstehen wir auch, was Ethnographie in der<br />
Soziologie überhaupt wollen kann.“<br />
Anne Honer (* 30. März 1951 in Spaichingen; † 23. Februar 2012 in Unna [1) ) war eine deutsche<br />
Sozialwissenschaftlerin.
Alltagswissen und Alltagsverständnis<br />
„Her Schmidt ist ja Alkoholiker, die 12jährige Tina flirtet mit<br />
einem Punker, was offensichtlich in der Familie liegt, denn<br />
die Mutter hat ja seinerzeit auch schon früh angefangen.<br />
Der Hausmeister hat eine unsoziale Einstellung, weil er die<br />
Kinder nicht im Rasen spielen lässt.<br />
Für Frau Schmidt ist die die Ehe sicher eine einzige Tortur,<br />
denn man weiß ja, dass Alkoholiker sehr labil sind, sich<br />
nicht beherrschen können und sich so ihr Schicksaal selber<br />
<strong>zu</strong><strong>zu</strong>schreiben haben. Man weiß auch, dass bei Frühreifen<br />
die Triebhaftigkeit im Blut liegt, was man durch geeignete<br />
Erziehungsmaßnahmen sicherlich in den Griff bekommen<br />
kann. Und der Hausmeister mag keine Kinder. Er ist ja<br />
schließlich im ganzen Viertel als Kinderschreck bekannt.“<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.
Aus der Perspektive der Soziologie betrachtet<br />
„Alkoholismus ist weniger ein individuelles als ein<br />
gesellschaftliches Problem, insofern er besonders häufig in<br />
Gesellschaften vorkommt, die den Alkoholkonsum als<br />
Zeichen der Männlichkeit und Lebensfreude ansehen oder<br />
auch als Seelentröster und Konfliktlöser empfehlen.“<br />
Persönlichkeitseigenschaften und bestimmte<br />
Ausdrucksformen des Protests (z.B. Aggression), bilden<br />
sich eigentlich erst im Anschluss an ganz bestimmte<br />
Erfahrungen und Erlebnisse im zwischenmenschlichen<br />
Beziehungsfeldern.<br />
Der unsoziale Hausmeister könnte auch nur Symbol und<br />
Folge von einer mangelhafte Wohnungspolitik <strong>für</strong> Familien<br />
oder kinderfeindliche Leitbilder von Architekten,<br />
Baugesellschaften und Raumplanern sein.<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.
Das „Wesen“ der Soziologie<br />
„Während aber der Philosoph nach dem<br />
„Wesen“ des Menschen fragt, der Theologe<br />
den Menschen im Zusammenhang mit einem<br />
letzten Prinzip (Gott) <strong>zu</strong> verstehen versucht<br />
oder der Psychologe sich auf die<br />
Bewusstseinsstrukturen des Menschen<br />
konzentriert, interessiert sich der Soziologe<br />
<strong>für</strong> das „Zwischenmenschliche“, <strong>für</strong> das<br />
soziale Beziehungsgefüge und wechselseitige<br />
Orientierungsmuster, das ganz verschiedene<br />
Individuen ziel- und zweckgerichtet<br />
miteinander handeln lässt.“<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.
Strukturen soziologischen Denkens und Forschens<br />
Soziologie ist die Wissenschaft vom sozialen Handeln<br />
und zwischenmenschlichen Verhalten<br />
Soziologie ist die Wissenschaft von den sozialen<br />
<strong>Institut</strong>ionen und Organisationen<br />
Soziologie ist die Wissenschaft von der<br />
Gesamtgesellschaft und deren Stabilität und Wandel<br />
Soziologie ist die Wissenschaft von den Ideen über die<br />
Gesellschaft und der Sozialkritik<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.
Austauschprozesse des „sozialen Wesens“ Mensch<br />
Mesoebene: Einfluss von<br />
sozialen Organisationen<br />
(Kirche, Parteien,<br />
Verbände)<br />
Mikroebene: Einfluss<br />
von Kleingruppen<br />
(Peer Group, Familie<br />
etc.)<br />
Mensch als soziales<br />
Wesen<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.<br />
Makroebene: Einfluss der<br />
Gesellschaft und der<br />
Kultur (Milieus, Klassen,<br />
Schichten)<br />
Metaebene: Einfluss von<br />
Gesellschaft und Kultur<br />
konstituierende Ideen<br />
(Liberalismus,<br />
Sozialismus)
Strukturen Soziologischen Denkens und Forschens<br />
Mikrosoziologie: Grundbedingungen und Grundformen<br />
sozialen Handelns und Verhaltens; Aneignung und<br />
Auseinanderset<strong>zu</strong>ng des Individuums mit Kultur,<br />
gesellschaftlichen Rollen und Normen (Behaviorismus,<br />
Verstehende Soziologie)<br />
Mesosoziologie: Zweckorientierte und planmäßige Strukturen<br />
und Prozesse in Organisationen und informelle Dynamiken<br />
(Kirche, Parteien Verbände, Unternehmen)<br />
Makrosoziologie: Analyse großer sozialer Einheiten und<br />
umfassender sozialer Prozesse; Gesellschaftssysteme;<br />
Stände, Kasten, Klassen, Schichten, Milieus (z.B.<br />
marxistische Soziologie, Systemtheorie)<br />
Soziologische Meta-Ebene: Normen und Werte; ideologischer<br />
Überbau ( z.B. Wissenssoziologie)<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.
Typen des sozialen Handelns<br />
Zweckrationales Handeln: Zweck des<br />
Handelns wird gegenüber den Mitteln<br />
vernunftmäßig abgewogen<br />
Wertrationales Handeln: Handeln wird von<br />
einem irrational gesetzten Wert bestimmt<br />
Affektuelles Handeln: Ziel und Verlauf des<br />
Handelns sind von Gefühlen und<br />
Stimmungen abhängig<br />
Traditionelles Handeln: Handeln beruht auf<br />
Gewohnheiten und irrationalen<br />
Überlieferungen<br />
Gesinnungs- und Verantwortungsethik.<br />
Orientierung am Ergebnis und dessen<br />
Verantwortbarkeit oder an Motiv und<br />
Absicht – Ziel ist gute Balance<br />
Maximilian Carl Emil Weber (* 21. April 1864 in Erfurt; † 14. Juni 1920 in München) war ein deutscher<br />
Soziologe, Jurist, National- und Sozialökonom .
Werte, Normen, <strong>Institut</strong>ionen<br />
Erwartungen in Be<strong>zu</strong>g auf das Handeln oder<br />
Nichthandeln der Mitglieder einer Gesellschaft<br />
werden Normen genannten. (Hanecka)<br />
Werte: attraktiv-motivierend (Hans Joas); Sollens-<br />
Erwartungen an Gemeinschaftsmitglieder; abstrakte,<br />
weitgefasste Ideen.<br />
Normen: restriktiv-obligatorisch (Hans Joas) ; Recht<br />
= Kodifizierte Sitten; höchste Verbindlichkeit.<br />
Abgeleitet aus Werten.<br />
<strong>Institut</strong>ionen: Geronnene Sitten. Sie regulieren<br />
sexuelles Verhalten (Ehe), Reproduktion (Familie),<br />
Schule (Ausbildung und Integration) etc.<br />
Hans Joas (* 27. November 1948 in München) ist ein deutscher Soziologe und<br />
Sozialphilosoph.
Vermittlung von Normen und Werten: Sozialisation<br />
Sozialisation als „Vergesellschaftung der menschlichen<br />
Natur“ (Hurrelmann); Mensch wird Mitglied der Gruppe,<br />
der Gesellschaft, wird <strong>zu</strong>r sozial-kulturellen Person<br />
Erziehung: absichtsvolle und bewusst geplante<br />
Bemühungen und Handlungsschritt von Eltern oder<br />
Lehrern, die <strong>zu</strong>m Ziel haben, die<br />
Persönlichkeitsentwicklung des Kindes pädagogisch<br />
positiv <strong>zu</strong> beeinflussen<br />
Sozialisation: schließt den Vorgang der Erziehung mit ein<br />
und umfasst darüber hinaus auch jene ungeplanten, aber<br />
persönlichkeitsprägenden Lernvorgänge, die das Kind<br />
und der junge Mensch durch eigene Erfahrungen<br />
machen kann.<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.
Margaret Mead: Sozialisation und Kulturrelativismus<br />
Was <strong>für</strong> natürlich gehalten wird, ist oft kulturelle<br />
Prägung, d.h. durch Sozialisation bestimmt<br />
Ethnologische Untersuchungen unter Stämmen auf<br />
Neuguinea:<br />
Tchambuli: Rollen von Mann und Frau vertauscht.<br />
Frauen sind aktiv, sachlich, planend und „herrisch“,<br />
ernähren die Familie; Männer: Kostüme, Malerei, Tanz,<br />
Gestaltung von Festlichkeiten<br />
Arapesh: Männer und Frauen haben sanfte<br />
Persönlichkeitsstruktur (altruistisch)<br />
Mundugumor: rücksichtslos, egoistisch, ehrgeizig,<br />
gewalttätig, aggressiv<br />
Grund: Unterschiedliche Sozialisation: Arapeh-Kinder<br />
erfahren freundliche, bejahende Umwelt, <strong>für</strong> die Kinder<br />
der Mundugur ist die Umwelt ein permanenter<br />
Kampfplatz<br />
Margaret Mead (* 16. Dezember 1901 in Philadelphia, Pennsylvania; † 15. November 1978 in New York) war<br />
eine US-amerikanische Ethnologin.
Soziale Position, Prestige, Status, soziale Rolle<br />
Den sozialen sozialen Ort, den ein Mensch in der Gesellschaft<br />
einnimmt, bezeichnet die Soziologie als „soziale Position“<br />
(Vater, Mutter, Lehrer, Marketingleiter, Bürgermeister,<br />
Bundeskanzler)<br />
Soziale Positionen haben unterschiedliche Prestigewerte. Den<br />
Prestigewert einer sozialen Position bezeichnet man als Status.<br />
„Zu jeder Stellung, die ein Mensch einnimmt, gehören gewissen<br />
Verhaltensweisen, die man von dem Träger dieser Position erwartet,<br />
<strong>zu</strong> allem, was er ist, gehören Dinge, die er tut und hat, <strong>zu</strong> jeder<br />
sozialen Position gehört eine soziale Rolle. (…) Mit jeder Position<br />
gibt die Gesellschaft ihm eine Rolle in die Hand, die er <strong>zu</strong> spielen<br />
hat. (…) Soziale Rollen bezeichnen Ansprüche der Gesellschaft an<br />
die Träger von Positionen. (…) Ansprüche an das Verhalten der<br />
Träger von Positionen (Rollenverhalten), <strong>zu</strong>m anderen Ansprüche an<br />
sein Aussehen und seinen Charakter (Rollenattribute).“<br />
Ralf Gustav Dahrendorf, Baron Dahrendorf of Clare Market in the City of Westminster, KBE, FBA (*<br />
1. Mai 1929 in Hamburg; † 17. Juni 2009 in Köln), war ein deutsch-britischer Soziologe, Politiker und Publizist.
Soziale Kontrolle und abweichendes Verhalten<br />
Soziale Rollen sind unausgesprochene Erwartungen<br />
und direkt artikulierte Ansprüche und Forderungen an<br />
das einzelne Individuum.<br />
Vorstellungen und Erwartungen an eine soziale Rolle<br />
werden durch soziale Kontrolle durchgesetzt.<br />
Erfüllung er Ansprüche (=rollenkonformes Verhalten)<br />
wird mit Belohnung und Lob positiv sanktioniert,<br />
Enttäuschte Erwartung (=Abweichendes Verhalten) mit<br />
Missbilligung, Verachtung, Vorwürfen oder mit<br />
disziplinaren Maßnahmen negativ sanktioniert.<br />
Spannweite von Verlet<strong>zu</strong>ngen gesellschaftlicher<br />
Normen, Werte und <strong>Institut</strong>ionen bis hin <strong>zu</strong>r<br />
„Delinquenz“ bis <strong>zu</strong> „aktiver Neugestaltung der<br />
Umwelt“ als Vorwegnahme künftigen normalen<br />
Verhaltens.<br />
Hans Peter Henecka, auch HP Henecka, (* 3. April 1941 in Karlsruhe) ist ein deutscher Soziologe.
Gemeinschaft und Gesellschaft<br />
Gemeinschaft: gefühlsmäßige Zusammengehörigkeit:<br />
Mitglieder einer Gemeinschaft sind <strong>für</strong>einander da,<br />
bedeuten einander etwas, helfen einander in der Not.<br />
Ursprüngliche Form des menschlichen<br />
Zusammenlebens; kleine überschaubare Einheiten wie<br />
Familie, Nachbarschaft, Dorf<br />
Gesellschaft: Verbindung, um in egoistischer Absicht<br />
gewisse Ziele <strong>zu</strong> verfolgen, bestimmte<br />
Tauschinteressen möglichst vorteilhaft durch<strong>zu</strong>setzen.<br />
„Keiner wird <strong>für</strong> den anderen etwas tun oder leisten,<br />
keiner dem anderen etwas gönnen und geben wollen,<br />
es sei denn um einer Gegenleistung oder Gegengabe<br />
illen, welche er seinem Gegebenen wenigstens gleich<br />
achtet.“ Gesellschaft repräsentiert Lebensbedingungen<br />
in industriellen und postindustriellen Kontexten:<br />
Großstadt, Betriebe, Organisationen, moderner Staat<br />
Ferdinand Tönnies (* 26. Juli 1855 bei Oldenswort; † 9. April 1936 in Kiel) war Soziologe, Nationalökonom<br />
und Philosoph.
Besonderheiten des modernen Lebens<br />
In der vormodernen Gesellschaft ist das Leben der<br />
Menschen durch eine Vielzahl von Bindungen bestimmt<br />
(Familie, Dorfgemeinschaft, Religionsgemeinschaft etc.)<br />
Zentrum des Lebens sind die „small communities“, in<br />
denen man seinen festen räumlichen und sozialen Platz<br />
hatte. Dies bedeutete Einschränkung der<br />
Wahlmöglichkeiten und Optionen, aber auch<br />
Vertrautheit und Schutz.<br />
Moderne: Herauslösung der Menschen aus<br />
traditionellen sozialen Bindungen und<br />
Glaubensvorstellungen – Individualisierung (Beck)<br />
Anspruch und Zwang <strong>zu</strong>m eigenen Leben jenseits<br />
traditioneller Vergemeinschaftungen und<br />
überkommener sozial-moralischer Milieus.<br />
Anne Honer (* 30. März 1951 in Spaichingen; † 23. Februar 2012 in Unna [1) ) war eine deutsche<br />
Sozialwissenschaftlerin.
Posttraditionale Formen der Vergemeinschaftung<br />
"Der individualisierte Mensch bevor<strong>zu</strong>gt schwache Bindungen.“<br />
•Individualistische Identität mit dem<br />
Eingehen „starke Bindungen“ häufig<br />
unvereinbar<br />
•Bindungslose Flexibilität (Richard<br />
Sennett)<br />
•Schwache Bindungen: Herausbildung von<br />
so genannten „Posttraditionellen Formen<br />
der Vergemeinschaftung“<br />
•Vergemeinschaftung als ästhetisches<br />
Prinzip?<br />
Ronald Hitzler (* 4. März 1950 in Königsbronn in Baden-<br />
Württemberg) ist ein deutscher Soziologe.<br />
Ronald Hitzler, Thomas Bucher, Arne<br />
Niederbacher: Leben in Szenen. Formen<br />
jugendlicher Vergemeinschaftung heute. VS<br />
Verlag <strong>für</strong> Sozialwissenschaften<br />
(Wiesbaden) 2005. 2., aktualisierte Auflage.
Jugendszenen als schwach gebundene Netzwerke<br />
Die Jugend bevor<strong>zu</strong>gt<br />
schwache Bindungen<br />
• Individualismus mit starken Bindungen<br />
schwer <strong>zu</strong> vereinbaren<br />
• „Bindungslose Flexibilität“ (Sennett)<br />
• Posttraditionelle Formen der<br />
Vergemeinschaftung<br />
• Thematische Netzwerke mit kollektiver<br />
Form der Stilbildung<br />
• Geht es in den Szenen vor allem um<br />
Äußerlichkeiten?<br />
Ronald Hitzler (* 4. März 1950 in Königsbronn in Baden-<br />
Württemberg) ist ein deutscher Soziologe.
Definition Jugendszenen<br />
Szenen sind thematisch fokussierte Netzwerke<br />
von Personen, die bestimmte materielle<br />
und/oder mentale Formen der kollektiven<br />
Stilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an<br />
typischen Orten und <strong>zu</strong> typischen Zeiten<br />
interaktiv stilisieren und weiterentwickeln<br />
Ronald Hitzler (* 4. März 1950 in Königsbronn in Baden-<br />
Württemberg) ist ein deutscher Soziologe.
Angesagte Jugendszenen in Österreich: 2010<br />
Szenenlandschaft Österreich<br />
Fitness<br />
Beachvolleyball<br />
Fußball<br />
Computerszene<br />
House<br />
Mountainbike<br />
HipHop<br />
Skateboard<br />
Ökos/Alternative<br />
Techno<br />
Snow board<br />
Metal/Rocker<br />
Emo-Szene<br />
Inline-Skater<br />
Krocha/Styler<br />
Jugendszenen in Österreich<br />
Welche der folgenden Szenen ist in Österreich gerade angesagt?<br />
Angaben in Prozent<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50<br />
Jugendstudie „timescout“ Österreich 2010, n=900, Altersgruppe: 11 bis 29 Jahre
Szenenlandschaft Österreich<br />
Fitness<br />
Computerszene<br />
Fußball<br />
House<br />
Mountainbike<br />
Beachvolleyball<br />
Ökos/Alternative<br />
Snowboard<br />
HipHop<br />
Inline-Skater<br />
Jugendszenen in Österreich<br />
Welchen der folgenden Szenen fühlst Du Dich <strong>zu</strong>gehörig?<br />
Angaben in Prozent<br />
0 5 10 15 20 25<br />
Jugendstudie „timescout“ Österreich 2010, n=900, Altersgruppe: 11 bis 29 Jahre
Szenenlandschaft Österreich<br />
Fitness<br />
Computerszene<br />
Fußball<br />
House<br />
Mountainbike<br />
Beachvolleyball<br />
Ökos/Alternative<br />
Snowboard<br />
HipHop<br />
Inline-Skater<br />
Jugendszenen in Österreich<br />
Welchen der folgenden Szenen fühlst Du Dich <strong>zu</strong>gehörig?<br />
Angaben in Prozent<br />
Weiblich Männlich<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Jugendstudie „timescout“ Österreich 2010, n=900, Altersgruppe: 11 bis 29 Jahre
Tecktoniks: Neuer „Prolo-Stolz“<br />
Style: Schirmkappen (Neonfarben ohne Logos; Van Dutch; Ed Hardy);<br />
Marken: Lacoste, Adidas (Schuhe), Dolce & Gabbana, Palitücher, De Puta Madre; T-Shirt-<br />
Aufdrucke: „cock of the year“, „italian boy; Solariumsbräune<br />
Sprachcode: „Kroch ma eine in die Schicht!“, „Bam oida“, „Patienten“<br />
(Nachschichtgänger)<br />
Musik: Schranz (Tektonics distanzieren sich von Gabba-Techno); Tanzstil: Jumpstyle<br />
(http://www.youtube.com/watch?v=wlALUel5e6w, http://www.youtube.com/watch?v=TxQAgZIo-Ds)<br />
mehr auf youtube & www.krocha.at
Die Hierarchien der Styler<br />
„Wenn man die Musik hört<br />
wird man einfach <strong>zu</strong> dem –<br />
<strong>zu</strong>mindest war‘s bei mir so“.<br />
Millennium<br />
Nachtwerk<br />
„Die Ausländer sind<br />
im Nachtwerk. Die<br />
nennen sich Styler.“<br />
Club Culture<br />
„Von der Politik halten wir nicht viel: weil da<br />
geht ja gar nichts weiter ...“
Die Emos: Teenager der Mittelschicht<br />
Dresscode: schwarz gefärbter Pony,<br />
Seitenscheitel, Röhrenjeans, enge T-Shirts,<br />
Schweißbänder, Buttons, Sportschuhe, dunkel<br />
geschminkte Augen, Nietengürtel.<br />
Farben: schwarz kombiniert mit rot und pink.<br />
Karomuster. Mix von niedlichen Dingen<br />
(z.B. Hello Kitty-Accessoirs) und Düsterem<br />
(Totenköpfe)<br />
Marken: Converse, Vans (Schuhe)<br />
Musikstil: „emotional Hardcore“ – Wechsel im Gesang<br />
(Clean und Schreien), im Tempo und der Lautstärke;<br />
melodiöse und komplizierte Gitarren-Riffs; emotionale<br />
Texte, in denen es um Liebe, Trauer, Verzweiflung aber<br />
auch oft andere Alltagsprobleme geht; weniger politisch<br />
als andere mit Punk assoziierte Genres.<br />
Acts: Sleepytime Tria, Senses Fail, boysetfire
Gesellschaftsanalytische Betrachtungen
Gesellschaftsanalyse: Ökonomisierung des Sozialen<br />
„Der Wandel der Marktwirtschaft <strong>zu</strong>r Marktgesellschaft geht mit einer<br />
Ökonomisierung des Sozialen einher.“ (Wilhelm Heitmeyer)<br />
• Imperative des Marktes werden verallgemeinert<br />
• Effizienz, Nützlichkeit, Verwertbarkeit,<br />
Funktionsfähigkeit und Rentabilität sind die<br />
Gradmesser menschlichen Denkens und Handelns<br />
• Es kommt <strong>zu</strong><br />
- Veränderung der Qualität sozialer<br />
Sicherungssysteme<br />
- Bedeutungs<strong>zu</strong>wachs der Erwerbsarbeit<br />
- Unterordnung von Familienleben und Schule unter<br />
die Anforderungen des Arbeitsmarktes<br />
- Politik verliert Kontrolle über die Wirtschaft<br />
Wilhelm Heitmeyer (* 28. Juni 1945) ist Professor <strong>für</strong> Pädagogik mit dem Schwerpunkt Sozialisation und<br />
Direktor des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.
Gesellschaft als Anhängsel des Marktes<br />
Die Marktform hingegen, die mit einer eigenen,<br />
spezifischen Zielset<strong>zu</strong>ng verbunden ist, nämlich<br />
Austausch, Tauschhandel, ist imstande, eine<br />
spezifische <strong>Institut</strong>ion hervor<strong>zu</strong>bringen: den Markt.<br />
Dies ist letztlich der Grund, warum die<br />
Beherrschung des Wirtschaftssystems durch den<br />
Markt von ungeheurer Bedeutung <strong>für</strong> die<br />
Gesamtstruktur der Gesellschaft ist: sie bedeutet<br />
nicht weniger als die Behandlung der Gesellschaft<br />
als Anhängsel des Marktes. Die Wirtschaft ist nicht<br />
mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet,<br />
sondern die sozialen Beziehungen sind in das<br />
Wirtschaftssystem eingebettet. (Karl Polanyi: The<br />
Great Transformation, 1944)<br />
Karl Paul Polanyi (* 21. Oktober 1886 in Wien; † 23. April 1964 in Pickering (Ontario)) war<br />
ein ungarisch-österreichischer Wirtschaftshistoriker und Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler.
Ökonomisierung des Sozialen: Beispiel Kultur<br />
• Neoliberalismus ist ein Diskurs, der in alle soziokulturellen Felder<br />
der Gesellschaft eindringt. Der Neoliberalismus ist ein „Gas“<br />
(Gilles Deleuze).<br />
• Kunst- und Musikhochschulen müssen <strong>zu</strong> „Produktionszentren“<br />
ausgebaut werden, „wo im Verbund mit Produzenten am Markt<br />
die Produkte den laufenden Wirklichkeitstest unterworfen<br />
werden“.<br />
• Ziel ist es, „Künstler und Kulturmanager, die vom ersten Tag an<br />
<strong>für</strong> diverse Publika produzieren und sich als Unternehmer<br />
erproben“ aus<strong>zu</strong>bilden.<br />
• „Der Künstler soll endlich einsehen, dass auch er nur ein<br />
Unternehmer ist, der sich den Gesetzen des Marktes <strong>zu</strong> beugen<br />
und nach Nachfrage <strong>zu</strong> produzieren hat; er soll nicht die<br />
Frechheit besitzen, außerhalb der kommerzialisierten Alltagswelt<br />
seltsame Sachen wie Theorien oder Konzeptkunst her<strong>zu</strong>stellen.“<br />
(FAZ: 15. März 2010)<br />
Niklas Maak in der FAZ vom 15. März 2012:
Aufgabe der Kunst: Herausforderung der Gesellschaft<br />
• Öffentlich geförderte Universitäten und<br />
Kunsthallen: Orte, die sich die<br />
Gesellschaft leistet, um von ihnen<br />
herausgefordert <strong>zu</strong> werden; um<br />
Erfahrungen mit Fremdem und<br />
Unverständlichen <strong>zu</strong> machen.<br />
• Maler wie Jackson Pollock oder Mark<br />
Rothko hätte es ohne großzügiger<br />
staatlicher Förderungsprogramme<br />
nicht gegeben.<br />
• Ökonomisierung: Kunst und Bildung<br />
wird auf ihren ökonomische Nutzen<br />
abgeklopft.<br />
Niklas Maak in der FAZ vom 15. März 2012
Zur Kritik der instrumentellen Vernunft<br />
Um <strong>zu</strong> beweisen, dass er mit Recht gedacht wird,<br />
muss jeder Gedanke ein Alibi haben, muss er seine<br />
Zweckmäßigkeit verbürgen. Selbst wenn sein<br />
direkter Gebrauch „theoretisch“ ist, wird er letzten<br />
Endes durch die praktische Anwendung der Theorie<br />
überprüft, in der er funktioniert. Denken muss an<br />
etwas gemessen werden, das nicht Denken ist, an<br />
seiner Wirkung auf die Produktion oder seinem<br />
Einfluss auf das gesellschaftliche Verhalten: wie die<br />
Kunst heute letzten Endes in jedem Detail an etwas<br />
gemessen wird, das keine Kunst ist, ob es sich um<br />
die Theaterkasse oder den Propagandawert handelt.<br />
Max Horkheimer (* 14. Februar 1895 in Zuffenhausen, heute ein Stadtbezirk Stuttgarts; † 7. Juli 1973 in<br />
Nürnberg) war ein deutscher Sozialphilosoph und führender Kopf der Frankfurter Schule.
Ökonomisierung der Bildung und des Denkens<br />
• Katharinenschule in der Hamburger Hafencity;<br />
Kaderschmiede <strong>zu</strong>künftiger Wirtschaftsbosse. „Die<br />
Schulkinder genießen ihre Pause auf dem wohl<br />
höchsten Pausenhof der Stadt mit spektakulärem<br />
Panorama und lernen so eine wichtige<br />
unternehmerische Tugend: den Weitblick.“<br />
(Internetauftritt Katharinenschule)<br />
• Hamburg: Initiative <strong>zu</strong>r Abschaffung des<br />
Kunstunterrichts wurde abgewehrt mit dem<br />
Argument, das Gehirn lerne beim Kunstunterricht<br />
mit komplexen Strukturen um<strong>zu</strong>gehen, was später<br />
im Berufsleben hilft.<br />
• „Die Ökonomisierung des Denkens ist offenbar so weit<br />
vorangeschritten, dass auch die Verteidigung des Kunstunterrichts<br />
nicht mehr auf einen Common Sense setzen kann, nach dem<br />
Beschäftigung mit Kunst nicht begründungsbedürftig, sondern Ziel<br />
an sich ist.“<br />
Niklas Maak in der FAZ vom 15. März 2012:27
Das Steigerungsspiel
Das Steigerungsspiel<br />
„Immer weiter, immer höher,<br />
immer größer – das ist das<br />
wirkungsvolle Grundprinzip<br />
der (Post-)Moderne.“<br />
• Die postmoderne Kultur des permanenten Unterwegssein<br />
hat das Ankommen verlernt.<br />
• Erfüllung finden man am Hausbau und nicht am Wohnen.<br />
• Mögliche neue Tendenz im 21. Jahrhundert: Kultur des<br />
Ankommens.<br />
• Neuer Menschentyp, der sein Heil nicht in einem Mehr an<br />
Konsum, an Steigerungswissen und an materieller<br />
Grenzüberschreitung sucht, sondern in daseinsfroher<br />
Bescheidung und in vitaler Ausschöpfung der bestehenden<br />
Möglichkeiten.<br />
Gerhard Schulze (* 1944): Deutscher Soziologe.<br />
Autor der „Erlebnisgesellschaft“
Hysterie der Veränderung<br />
„Es herrscht eine Hysterie<br />
der Veränderung und ein<br />
Fetisch Innovation“<br />
„Man kann gar nicht mehr über Gehandeltes,<br />
Entschiedenes nachdenken, es hätte auch keinen Zweck,<br />
weil es in seiner Bedeutung schon überholt ist. (…)<br />
Unser hektisches Ausgerichtetsein auf das, was kommt, auf<br />
Zukunft, entwertet im Grund alles, was bereits getan wurde.<br />
Wir werden sukzessive um Genuß und Glück gebracht.<br />
Nicht bloß deshalb, weil wir nach griechischem Vorbild<br />
nicht mehr überlegen, nachdenken können, also um unsere<br />
Eudaimonia gebracht werden, sondern weil wir uns schlicht<br />
nicht mehr „auf unseren Lorbeeren ausruhen können“.<br />
Peter Heintel (* 1940): Österreichischer Philosoph.<br />
Verein <strong>zu</strong>r Verzögerung der Zeit<br />
„History ist bunk“ (Henry Ford)
Zukunft als Zuchtmeister moderner Gesellschaften<br />
„Wer immer seine Interessen durchsetzen will,<br />
macht dies gegenwärtig mit der Drohgebärde,<br />
dass anderenfalls die Zukunftsfähigkeit - des<br />
Landes, der Wirtschaft, des Standortes, seiner<br />
Partei - gefährdet sei.“<br />
• Moderne Gesellschaften sind prinzipiell auf die Zukunft orientiert<br />
• Die Zukunft wird alles verändern, nichts wird bleiben, wie es ist<br />
• Gegenwart = ungemütliche Befindlichkeit: „Durchsetzt von den<br />
Flecken einer Vergangenheit, die es <strong>zu</strong> überwinden gilt – veraltete<br />
Strukturen, veraltete Technologien, veraltete Konzepte, veraltete<br />
Ideen – und schon angesteckt von den Keimen des Neuen, das alles<br />
besser macht – neue Strukturen, neue Konzepte, neue Ideen – darf<br />
die Gegenwart nie bei sich sein.“<br />
• Aber die Zukunft darf nicht kommen. Alles Neue muss sofort<br />
überboten werden. „Der daraus entstehende Taumel wird dann<br />
häufig mit Beschleunigung verwechselt.“<br />
Konrad Paul Liessmann (* 13. April 1953 in Villach) ist Universitätsprofessor <strong>für</strong> Methoden der<br />
Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien, <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Philosophie.
Der Mensch als des Menschen Wolf: „Why I am<br />
Leaving Goldman Sachs“
Die Diktatur der „äußeren Güter“ in der Warengesellschaft<br />
• Alasdair MacIntyre unterscheidet zwischen äußeren<br />
Gütern und inhärenten Gütern<br />
• Man kann Schach spielen, um äußerliche Güter <strong>zu</strong><br />
erreichen (Geld, Ansehen etc.) oder wegen Gütern, die<br />
aus dem Schachspiel selbst erwachsen (analytisches<br />
Geschick, strategische Vorstellungskraft etc.)<br />
• Inhärente Güter sind nur <strong>zu</strong> erreichen, wenn es uns<br />
um die Sache selbst geht….<br />
• … und wenn wir uns in Gemeinschaften (nicht<br />
zweckrationale Interessensgemeinschaften)<br />
einordnen und uns den Gemeinschaftsmitgliedern<br />
gegenüber moralisch (ehrlich, gerecht) verhalten.<br />
• Orientierung auf äußere Güter befördern Betrug und<br />
Korruption<br />
Alasdair MacIntyre (geb. 1929): Schottisch- amerikanischer Philosoph, Tugendethiker
„Homo homini lupus“<br />
„Und in jeder Gesellschaft, die nur äußere Güter kennt,<br />
wäre Konkurrenz das beherrschende und sogar<br />
ausschließliche Merkmal. Wir besitzen eine bestechende<br />
Schilderung einer solchen Gesellschaft in Hobbes´<br />
Darstellung des Zustandes der Natur (…).“<br />
(Alasdair MacIntyre: Der Verlust der Tugend)<br />
„Es ist unleugbar, daß Krieg der natürliche Zustand der<br />
Menschen war, bevor die Gesellschaft gebildet wurde,<br />
und zwar nicht einfach der Krieg, sondern der Krieg aller<br />
gegen alle.“ (Thomas Hobbes)<br />
Alasdair MacIntyre (geb. 1929): schottisch-amerikanischer Philosoph, Tugendethiker<br />
Thomas Hobbes (1588 – 1879): Philosoph und Staatstheoretiker
Why I Am Leaving Goldman Sachs<br />
• Greg Smith, zwölf Jahre lang Geldhändler bei<br />
Goldman Sachs veröffentlicht sein<br />
Kündigungsschreiben in der „New York Times“.<br />
• Kunden heißen dort intern „Muppets“ – kauzig,<br />
weich und manipulierbar.<br />
• Man rühmt sich intern, wer schlichten Gemütern<br />
Hochrisikoprodukte aufschatzt, wer den Kollegen an<br />
Ruchlosigkeit übertrifft.<br />
• Firma spekuliert gegen die Produkte, die sie ihren<br />
Kunden empfiehlt.<br />
• Smith beschreibt eine Firma, in der statt einer Kultur<br />
der Verantwortung nur noch kriminelle Energie<br />
honoriert wird.<br />
• „How did we get here? The firm changed the way it<br />
thought about leadership. Leadership used to be about<br />
ideas, setting an example and doing the right thing.<br />
Today, if you make enough money for the firm (and are<br />
not currently an ax murderer) you will be promoted into a<br />
position of influence.“<br />
Greg Smith is resigning today (March 14, 2012) as a Goldman Sachs executive director and head of<br />
the firm’s United States equity derivatives business in Europe, the Middle East and Africa.
Herrschaft über den Menschen durch die<br />
Aktivierung von Selbststeuerungspotentialen
Individualisierung<br />
"Das Individuum wird zentraler<br />
Be<strong>zu</strong>gspunkt <strong>für</strong> sich selbst und<br />
die Gesellschaft.“<br />
•Das Individuum im Spannungsfeld zwischen<br />
Individuation und Sozialisation<br />
•Individualität als Pflicht: Erfinde dich täglich<br />
ohne Vorlage oder Vorbild<br />
•Das Individuum steht im Mittelpunkt, nicht<br />
traditionelle Gruppen oder Kollektive<br />
•Posttraditonelle Gemeinschaften entstehen<br />
(Szenen, informelle Gruppen)<br />
•Lebensstile und Moden gewinnen an Bedeutung<br />
Ulrich Beck (* 15. Mai 1944) in Stolp in Hinterpommern ist ein deutscher Soziologe
Identitätsbildung durch Konsum<br />
„Konsumgesellschaft: Konsum wird <strong>zu</strong>r<br />
zentralen Integrationsformel überhaupt.“<br />
• Konsum ist das Mittel der Statusrepräsentation, der<br />
Identitätsbildung <strong>für</strong> Individuen wie Gruppen, der Freiheit<br />
und des guten Lebens, ja sogar des nonkonformistischen<br />
Protests.<br />
• Die Vielzahl an Angeboten und Optionen ist Schlüsselelement<br />
der Massenkonsumgesellschaft. „Die Optionenvielfalt ist<br />
zwar in vieler Hinsicht reizvoll, führt aber auch <strong>zu</strong><br />
Entscheidungszwängen und Überforderung bis <strong>zu</strong>m<br />
Überdruss.“ (Stefan Lorenz)<br />
Stefan Lorenz: Überflusskultur und Wachstumshunger. Universität Jena,<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Soziologie.
Konsum als Selbstausdruck und Selbstverwirklichung<br />
• Konsum ist Selbstverwirklichung. Ende der<br />
Konsumkritik<br />
• Konsum als Mittel des Selbstausdrucks.<br />
Waren sind symbolische Repräsentanten der<br />
eigenen Identität<br />
• Warenästhetische Komponente des Konsums;<br />
Konsum als Kultivierung des Lebens<br />
• Leben als Inszenierung von Schönheit<br />
• Formensensibler Konsument: Farben,<br />
Formen, Bilder, Gerüche etc. sind wichtig!<br />
• Qualität wird mit dem Markenprodukt<br />
identifiziert<br />
Stefan Lorenz: Überflusskultur und Wachstumshunger. Universität Jena,<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> Soziologie.
Freizeitkultur als Konsumkultur: Einkommen der Jugend 2011<br />
20-29 Jahre<br />
11-19 Jahre<br />
Gesamt<br />
30-39 Jahre<br />
25-29 Jahre<br />
20-24 Jahre<br />
15-19 Jahre<br />
11-14 Jahre<br />
Männlich<br />
Weiblich<br />
Frei verfügbare Einkommen im Monat<br />
Wievel Geld hast Du im Monat <strong>zu</strong>r Deinen freien Verfügung<br />
Angaben in Absoluten Zahlen<br />
31<br />
87<br />
132<br />
244<br />
249<br />
259<br />
270<br />
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500<br />
Timescout 15. Welle 2011, 11-39, n=1000<br />
310<br />
380<br />
467
Konsumgüer und demonstrativer Konsum<br />
Kleidung/Accessoires<br />
nicht-alkoholische Getränke<br />
Zigaretten<br />
Kosmetik/Körperpflege<br />
Süßwaren/Snacks<br />
Ausgehen<br />
Sparen<br />
Reisen<br />
Handy<br />
Sportausübung<br />
Fastfood<br />
Treibstoff (<strong>für</strong> Auto, Moped etc.)<br />
Im Mittelpunkt stehen Produkte, die sich <strong>für</strong> den demonstrativen<br />
Konsum eignen.<br />
Ausgaben<br />
Wieviel gibst Du <strong>für</strong> folgende Dinge durchschnittlich im Monat aus?<br />
Angaben in Prozent<br />
sehr viel viel<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Timescout 15. Welle 2011, 11-39, n=1000
Manipulation anstelle von Disziplinierung<br />
„Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller<br />
Einschließungsmilieus.“ (Gilles Deleuze)<br />
• Foucault ordnet die Disziplinargesellschaft dem 18.<br />
und 19. Jahrhundert <strong>zu</strong>. Einschließungsmilieus:<br />
Integration des Individuums in Familie, Schule,<br />
Kaserne, Fabrik, Klinik, Gefängnis – konzentrieren,<br />
im Raum verteilen, in der Zeit anordnen<br />
• Kontrollgesellschaft: Kontrollformen mit<br />
freiheitlichem Aussehen. (Unternehmen statt Fabrik,<br />
Tagesklinik statt Krankenhaus). Das Unternehmen ist<br />
kein Körper, sondern eine Seele, ein Gas.<br />
• Kontrollgesellschaft: Aktivierung von<br />
Selbststeuerungspotentialen statt Überwachen<br />
und Strafen – neoliberale<br />
Bildungsinstitutionen<br />
Gilles Deleuze (1925 – 1995): französicher Philosoph
Das Diktat der Selbstverwirklichung<br />
• Die Menschen stehen unter<br />
permanentem Druck, aus eigener<br />
Verantwortung heraus selbst Initiativen<br />
setzen und gestalten <strong>zu</strong> müssen.<br />
• „Die Depression zeigt uns die aktuelle<br />
Erfahrung der Person, denn sie ist die<br />
Krankheit einer Gesellschaft, deren<br />
Verhaltensnormen nicht mehr auf<br />
Schuld und Disziplin gründet, sondern<br />
auf Verantwortung und Initiative.<br />
Gestern verlangten die sozialen Regeln<br />
Konformismus im Denken, wenn nicht<br />
Automatismus im Verhalten; heute<br />
fordern sie Initiative und mentale<br />
Fähigkeiten.“ (Alain Ehrenberg, Das<br />
erschöpfte Selbst)<br />
Alain Ehrenberg, born in Paris in 1950, is a French sociologist.
Herrschaft durch moralisierende Toleranz<br />
Die Geschichte zweier Väter, die ihr Kind auffordern, an einem<br />
Sonntagnachmittag die Großmutter <strong>zu</strong> besuchen.<br />
Der ödipale Vater: „Mir ist es egal, wie dir <strong>zu</strong>mute ist, du musst<br />
deine Großmutter besuchen. Du musst gehen, du wirst gehen. Und<br />
benimm dich anständig.“<br />
Der postmoderne, tolerante Vater: „Du weißt ja, wie sehr deine<br />
Großmutter dich liebt, aber natürlich solltest du sie nur dann<br />
besuchen, wenn du es wirklich willst.“<br />
Im ersten Fall geht es um einen völlig klaren Befehl: Das ödipale<br />
Gebot kann befolgt werden oder nicht. Aber im zweiten Fall enthält<br />
die scheinbar freie Entscheidung untergründig eine noch strengere<br />
Anweisung:<br />
„Du solltest nicht nur deine Großmutter besuchen, sondern du<br />
musst es auch gerne tun.“<br />
Ein Beispiel da<strong>für</strong>, dass eine scheinbar tolerante freie Entscheidung<br />
einen noch stärkeren Befehl in sich bergen kann.<br />
Slavoj Žižek (* 21. März 1949 in Ljubljana) ist ein aus Slowenien stammender Philosoph, Kulturkritiker und<br />
Theoretiker der lacanianischen Psychoanalyse.
Empirie: Druck und Stress
Druck und Stress in der Erfolgsgesellschaft<br />
Was ist Dir im Leben sehr wichtig?<br />
Jugendwertestudie 2011, repräsentativ <strong>für</strong> Österreich, n = 1.500, 14 – 29 Jahre
Druck und Stress in der Erfolgsgesellschaft<br />
Jugendwertestudie 2011, repräsentativ <strong>für</strong> Österreich, n = 1.500, 14 – 29 Jahre
Druck und Stress in der Erfolgsgesellschaft<br />
Die 14- bis 19-jährigen:<br />
Jugendwertestudie 2011, repräsentativ <strong>für</strong> Österreich, n = 1.500, 14 – 29 Jahre
Druck und Stress in der Erfolgsgesellschaft<br />
Ich würde manchmal gerne <strong>für</strong> einige Tage den Schul-, Studiums- und Arbeitsdruck<br />
abschütteln und nichts machen:<br />
Jugendwertestudie 2011, repräsentativ <strong>für</strong> Österreich, n = 1.500, 14 – 29 Jahre
Druck und Stress in der Erfolgsgesellschaft<br />
Geht’s Du gerne in die Schule? (SchülerInnen 14 bis 19 Jahre)<br />
Jugendwertestudie 2011, repräsentativ <strong>für</strong> Österreich, n = 1.500, 14 – 29 Jahre
Druck und Stress in der Erfolgsgesellschaft<br />
Geht’s Du gerne in die Lehre ? (Lehrlinge 14 bis 19 Jahre)<br />
Jugendwertestudie 2011, repräsentativ <strong>für</strong> Österreich, n = 1.500, 14 – 29 Jahre
Das Ungleichgewicht der Wissensgesellschaft und<br />
die Verantwortung der Universitäten
Ungleichgewicht der Wissensgesellschaft<br />
• Was wertvolles Wissen ist, wird bestimmt durch<br />
betriebswirtschaftliche Rationalisierungsprozesse<br />
• Überhang des Wissens in technischen,<br />
betriebswirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen<br />
Bereich<br />
• Unterrepräsentiert: Deutungswissen, reflektierendes<br />
Wissen, politische Urteilsfähigkeit<br />
• Politische Urteilskraft und gesellschaftliche Deutungskompetenz<br />
sind Qualitätsmerkmale einer demokratischen Gesellschaft<br />
• Halbierte Vernunft: Vernunft, die alleine auf technische<br />
Rationalisierung und die Vereinfachung von Verfahren<br />
gerichtet ist<br />
• Betriebswirtschaftliche Rationalität ist o.k. wenn sie auf<br />
Einzelbetriebe beschränkt bleibt. Problem: die halbierte<br />
Vernunft will bestimmend <strong>für</strong> das Ganze sein<br />
Oskar Reinhard Negt (* 1. August 1934 auf Kapkeim in Ostpreußen) ist ein deutscher<br />
Sozialphilosoph. Er gilt als einer der führenden Denker der Kritischen Theorie.
Universitäre Sozialisation im Neoliberalismus<br />
• Verallgemeinerung des Symbol- und Sprachspektrums des<br />
ökonomischen Denkens<br />
• Eindringen des Ökonomismus in die Bildungseinrichtungen<br />
• Universitäten sollten nicht nur Information vermitteln,<br />
sondern auch Menschen erziehen und bilden<br />
• Schulische und universitäre Sozialisationsprozesse sollten immer<br />
auch Bindungsfähigkeit herstellen; Kraftreserven <strong>für</strong> den Umgang<br />
mit dem Gemeinwesen bereitstellen<br />
• Ich-AG: Ich als Kampfplatz ökonomischer Interessen<br />
• Genommen wird dem ICH das Menschrecht auf<br />
Urteilsfähigkeit und Eigensinn<br />
• ICH unterscheidet zwischen Gut und Böse, Wahrheit<br />
und Irrtum; ICH-AG zwischen Vorteil und Nachteil<br />
• Öffentliche Förderungen von der Erfüllung des Erziehungs- und<br />
Bildungsauftrages abhängig machen? Evaluierung gemeinwesen-<br />
bezogenen Bildungsinhalte?<br />
Oskar Reinhard Negt (* 1. August 1934 auf Kapkeim in Ostpreußen) ist ein deutscher<br />
Sozialphilosoph. Er gilt als einer der führenden Denker der Kritischen Theorie.
Unzeitgemäße Betrachtungen: Wilhelm von<br />
Humboldt und Theodor W. Adorno
Bildung bei Humboldt<br />
„Bewiesen halte ich demnach durch<br />
das Vorige, dass die wahre Vernunft<br />
dem Menschen keinen anderen<br />
Zustand, als einen solchen wünschen<br />
kann, in welchem nicht nur jeder<br />
Einzelne der ungebundendsten Freiheit<br />
geniesst, sich aus sich selbst, in seiner<br />
Eigenthümlichkeit, <strong>zu</strong> entwikkeln,<br />
sondern in welchem auch die<br />
physische Natur keine andre Gestalt<br />
von Menschenhänden empfängt, als ihr<br />
jeder Einzelne, nach dem Maasse<br />
seines Bedürfnisses und seiner<br />
Neigung, nur beschränkt durch die<br />
Gränzen seiner Kraft und seines<br />
Rechts, selbst und willkührlich giebt.“<br />
(Wilhelm von Humboldt, 1792)<br />
Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835): deutscher Gelehrter,<br />
Staatsmann und Mitbegründer der Universität Berlin
Bildung als Widerstand gegen das „Aufgedrängte“<br />
• „Kraft des Widerstands durch eigenes Denken.“<br />
• „(...) die einzige wirkliche Konkretisierung der<br />
Mündigkeit darin besteht, dass die paar Menschen,<br />
die da<strong>zu</strong> gesonnen sind, mit aller Energie darauf<br />
hinwirken, dass die Erziehung eine Erziehung <strong>zu</strong>m<br />
Widerspruch und <strong>zu</strong>m Widerstand ist.“<br />
• „Selbstreflexion und kritische Anstrengung – als<br />
das Gegenteil des blinden und verbissenen<br />
Fleißes.“<br />
• „(…) die Menschen sind davon ab<strong>zu</strong>bringen, ohne<br />
Reflexion auf sich selbst nach außen <strong>zu</strong> schlagen.<br />
Erziehung wäre sinnvoll überhaupt nur als eine <strong>zu</strong><br />
kritischer Selbstreflexion.“<br />
• „Die einzige wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von<br />
Auschwitz wäre Autonomie, wenn ich den Kantischen<br />
Ausdruck verwenden darf; die Kraft <strong>zu</strong>r Reflexion,<br />
<strong>zu</strong>r Selbstbestimmung, <strong>zu</strong>m Nicht-Mitmachen.“<br />
Theodor W. Adorno (1903 – 1969): Soziologie und Philosoph
Bildung und Pädagogik in der Kontrollgesellschaft<br />
„Pädagogisierung ist der Prozess des<br />
lebenslangen Einschwörens auf die Logik der<br />
Warengesellschaft. Was in früheren Zeiten<br />
brutale, auf körperliche Bestrafung<br />
ausgerichtete Gesetze in Verbindung mit weit<br />
reichender exekutiver Gewalt erreichen<br />
musste, das systemkonforme Funktionieren<br />
der Menschen, wird heute durch pädagogischpsychologische<br />
Dauerintervention<br />
bewerkstelligt. (…) Pädagogisierung meint die<br />
Ausweitung der „pädagogischen Lüge“ auf die<br />
gesamte Lebenszeit und die gesamte<br />
Gesellschaft. Hatten bisher nur die Lehrer<br />
behauptet, nur unser Bestes <strong>zu</strong> wollen,<br />
behaupten das nun auf einmal alle – vor nichts<br />
sollte man sich allerdings mehr <strong>für</strong>chten.“<br />
Erich Ribolits, geb. 1947 in Wien, Bildungswissenschafter
Bildung <strong>für</strong> die Demokratie<br />
• „Getrieben vom Gewinnstreben (…)<br />
vernachlässigen Gesellschaften und ihre<br />
Bildungssysteme genau die Fähigkeiten, die benötigt<br />
werden um Demokratie lebendig <strong>zu</strong> halten.“<br />
• Es gibt nichts gegen eine gute<br />
naturwissenschaftliche und technische Ausbildung<br />
ein<strong>zu</strong>wenden (…). Meine Sorge ist vielmehr, dass (…)<br />
entscheidende Fähigkeiten in diesem<br />
Konkurrenzgetümmel verloren gehen, die<br />
unverzichtbar <strong>für</strong> das gute Funktionieren einer jeden<br />
Demokratie sind, (…).“<br />
• „Diese Fähigkeiten erwachsen aus den<br />
Geisteswissenschaften und den Künsten: die<br />
Fähigkeit <strong>zu</strong>m kritischen Denken, die Fähigkeit, über<br />
lokale Bindungen hinaus <strong>zu</strong> denken und die Probleme<br />
der Welt als „Weltbürger“ an<strong>zu</strong>gehen; und schließlich<br />
die Fähigkeit, sich in die Notlage eines anderen<br />
Menschen <strong>zu</strong> versetzen.“<br />
Martha Nussbaum, geb. Craven, (* 6. Mai 1947 in New York City auch: Martha C. Nussbaum, Martha Craven<br />
Nussbaum) ist Philosophin und Professorin <strong>für</strong> Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago
„Liberal Arts“ und „sokratische Pädagogik“<br />
• Am Beginn des Studiums „allgemeinbildende<br />
Komponente“. Vier Semester „Liberal Arts“: Vielzahl<br />
von Kursen, bei denen die Geisteswissenschaften die<br />
Hauptrolle spielen.<br />
• Ziel der „Liberal Arts“: Allgemeinbildende Erziehung<br />
<strong>zu</strong>r Heranbildung gut informierter, selbständig<br />
denkender und empathiefähiger demokratischer<br />
BürgerInnen.“<br />
• Aktives Lernen anstelle von standardisierten Tests,<br />
anstelle einer Pädagogik des Drills <strong>für</strong> die landesweite<br />
Abtestung von „Bildungsstandards“.<br />
• Aktives Lernen als „Sokratische Pädagogik“. Im<br />
Mittelpunkt steht die Fähigkeit des „Argumentierens“.<br />
• „Unser Geist erlangt wahre Freiheit nicht durch den<br />
Erwerb von Wissensstoff und die Aneignung der Ideen<br />
anderer Menschen, sondern durch die Bildung eigener<br />
Beurteilungsmaßstäbe und die Formulierung eigener<br />
Gedanken.“ (Rabindranath Tragore)<br />
Rabindranath Thakur , ältere Schreibweise Rabindranath Tagore * 7. Mai 1861 in Kalkutta ; † 7. August 1941 ebenda),<br />
war ein bengalischer Dichter, Philosoph, Maler, Komponist, Musiker, der 1913 den Nobelpreis <strong>für</strong> Literatur erhielt und damit der<br />
erste asiatische Nobelpreisträger war.
Umfassende Bildung als Menschenrecht<br />
„Die Bildung muss auf die volle Entfaltung<br />
der menschlichen Persönlichkeit und auf<br />
die Stärkung der Achtung vor den<br />
Menschenrechten und Grundfreiheiten<br />
gerichtet sein. Sie muss <strong>zu</strong> Verständnis,<br />
Toleranz und Freundschaft zwischen allen<br />
Nationen und allen rassischen oder<br />
religiösen Gruppen beitragen.“<br />
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948
Prinzip Hoffnung: Bleibt der pragmatische<br />
Individualismus die dominierende Grundhaltung<br />
der Jugend?
„Es ist unterhaltsam, mit Titanen <strong>zu</strong> kämpfen“ (Kalle Lasn)<br />
Protest als Mittel <strong>zu</strong>m Kleinbürgerlichen Zweck?<br />
Ging es allein um persönliche Interessen? Wollten<br />
die Protestierenden lediglich materielle Belohnung<br />
<strong>für</strong> ihr braves Mitmachen und den Verzicht auf<br />
Selbstbestimmung und Freiheit einklagen?<br />
Bewusstseinswandel durch gemeinsame Aktion<br />
und Diskussion?<br />
David Graeber: „Revolution beginnt mit der<br />
Transformation des politischen Common Sense.“<br />
Occupy-Bewegung als Populismus von Unten: Ihre<br />
Kritik richtet sich nicht gegen Sündenböcke und<br />
„glückliche Schwache“ (Wilhelm Reich), sondern<br />
gegen Wirtschaftsbosse, Banker und<br />
Parteipolitiker.<br />
David Rolfe Graeber (* 12. Februar 1961) ist ein amerikanischer Ethnologe und Anarchist. Er lehrt<br />
am Goldsmiths College der University of London.
Die Jugend: Definition und ihr Einfluss auf die<br />
Geselslchaft
Definition der Zielgruppe „Jugend“<br />
„Die Jugendphase dehnt<br />
sich aus. Es gibt immer mehr<br />
Menschen, die von<br />
jugendkulturellen Stilistiken<br />
beeinflusst sind.“<br />
• Die Jugendphase beginnt früher (Verschwinden der Kindheit) und<br />
endet immer später (Juvenilisierung / Infantilisierung der Gesellschaft).<br />
• Phasen: Frühe Jugend, Adoleszent, Postadoleszenz (Zeitspanne: 10 bis 35 Jahre)<br />
• Entstrukturierung der Jugendphase: Es gibt keine vorgegebenen Muster, keine<br />
Vorbilder mehr. Die (post-)moderne Jugend ist ein buntes Gemisch an<br />
Lebensentwürfen, Lebenswelten und Lebenslagen.
Juvenilisierung der Alltagskultur<br />
„Die jungen Zielgruppen verfügen über<br />
die kulturelle (symbolische)<br />
Meinungsführerschaft “<br />
• Präfigurative Kultur: „Die Wege, die uns in die<br />
Gegenwart geführt haben, sind nicht mehr gangbar<br />
und werden nie mehr begehbar sein.“<br />
• In einer solchen Kultur lernen die Alten von den<br />
Jungen. Die Jungen kommt die Aufgabe <strong>zu</strong>, die<br />
Älteren bei der Hand nehmen und ihnen den Weg ins<br />
Unbekannte weisen.<br />
Margaret Mead (1901 – 1978), amerikanische Anthropologin und<br />
Ethnologin: Der Konflikt der Generationen. Jugend ohne Vorbild.
Postmoderne: Jugend als eigenständige Existenzform<br />
• 1950er und 1960er Jahre: Integratives<br />
Paradigma (Eisenstadt) –<br />
Altershomogene Beziehungen als<br />
systemfunktionale Notwendigkeit<br />
• 1960er bis 1980er Jahre: Paradigma der<br />
Gegenkultur (Cultural Studies) –<br />
Jugendliche machen sich in ihren<br />
Milieus nicht fit <strong>für</strong> den Einstieg<br />
sondern <strong>für</strong> den Ausstieg<br />
• 1990er Jahre bis <strong>zu</strong>r Gegenwart:<br />
Eigenständige Existenzform, die sich<br />
nicht gegen andere Existenzformen<br />
richtet – Langfristige Existenzform:<br />
jugendliche im Habitus und<br />
erwachsen im Geltungsanspruch<br />
Gerhard Schulze (* 1944): Deutscher Soziologe.<br />
Autor der „Erlebnisgesellschaft“
Das 40igste Lebensjahr: Grenzen der Juvenilität<br />
• Vierzigstes Lebensjahr als Grenzzone zwischen<br />
den Altersgruppen<br />
• Werte der Jugendlichkeit: Erlebnishunger,<br />
Abwechslungsbedürfnis, Offenheit <strong>für</strong> unerwartete<br />
Situationen, Expressivität<br />
• Kognitive Entwicklung: immer unausweichlicher<br />
wird die Erkenntnis, das die subjektive Zukunft<br />
kürzer sind wird, als die subjektive Vergangenheit<br />
• Physiologische Entwicklung: Erscheinungsbild<br />
evidenter Jugendlichkeit geht verloren<br />
• „Der Spielraum sozialer Definitionen von „jünger“<br />
und „älter“ hat in den Jahren um die Lebensmitte<br />
eine Obergrenze. Es ist ein sozialhistorisch neues<br />
Faktum, dass dieser Spielraum tatsächlich bis <strong>zu</strong>r<br />
Grenze ausgenutzt wird.“ (Erlebnisgesellschaft/ 371)<br />
Gerhard Schulze (* 1944): Deutscher Soziologe.<br />
Autor der „Erlebnisgesellschaft“
Die Weisheit des Alters – ein Irrtum?<br />
„Allgemein neigen Tiere <strong>zu</strong>m kumulativen Lernen<br />
durch Erfahrung. Der alte Elephant ist der weiseste<br />
der Herde. Dieser Selektionsprozeß funktioniert beim<br />
Menschen nicht immer. Manchmal ist Weisheit in der<br />
Tat eine Eigenschaft des Alters, öfter jedoch ist dieses<br />
über das durchschnittliche Maß hinaus voll von<br />
Aberglauben, falschen Vorstellungen und<br />
unvernünftigen Dogmen. Man möchte die Vermutung<br />
wagen, dass beim Menschen irrige Identifizierungen<br />
in Worte konserviert werden, wodurch sie – anders<br />
als es bei Katzen und Elephanten der Fall ist –der<br />
ständigen Anpassungskontrolle durch die Umgebung<br />
entzogen sind ….“ (Stuart Chase: The Tyranny of<br />
Words)
Werte und Einstellungen
Was sind Werte überhaupt?<br />
„Ein Wert ist eine explizit gemachte oder implizit<br />
gelassene Auffassung (a conception) vom<br />
Wünschenswerten (the desirable), die <strong>für</strong> ein<br />
Individuum oder <strong>für</strong> eine Gruppe kennzeichnend<br />
sind und die Auswahl verfügbarer<br />
Handlungsweisen sowie Handlungsmittel und -<br />
ziele beeinflußt.“<br />
Clyde Kluckhohn (1905 – 1960): amerikanischer<br />
Anthropologe und Soziologe
Werte als Ideen und Ideale<br />
„A value is not just a preference but is a<br />
preference which ist felt and/or considered<br />
justified.“<br />
Talcott Parsons (1902 – 1979) amerikanischer Soziologe<br />
Werte sind Vorstellungen, Ideen, Ideale (Abgren<strong>zu</strong>ng von<br />
einem ökonomischen Wertverständnis)<br />
Unterscheidung von faktisch vorhandenen und<br />
gerechtfertigten Wünschen (Bedürfnisse und Werte)<br />
Funktion von Werten<br />
a) Auswahlkriterien <strong>für</strong> Modi, Mittel und Ziele von Handlungen<br />
b) Steuern die Selektion von Wahrnehmungen<br />
c) Charakterisieren die personale oder kollektive Identität von<br />
Personen und Gruppen<br />
d) Dienen der Motiv<strong>zu</strong>schreibung und Erwartungsbildung<br />
(konsensstiftende Funktion)
Werte und Normen<br />
• Wichtige Unterscheidung zwischen<br />
Werten und Normen.<br />
• Werte = attraktiv-motivierend,<br />
• Normen = restriktiv-obligatorisch<br />
• Normen sind Spezifizierungen allgemeiner<br />
Werte auf besondere<br />
Handlungssituationen<br />
• Die Einhaltung der Normen ist verbindlich,<br />
wird sanktioniert oder belohnt Normen<br />
entlasten den Einzelnen von permanenten<br />
Gewissensentscheidung.<br />
Hans Joas, Professor <strong>für</strong> Soziologie und Sozialphilosophie<br />
an der Universität Freiburg
Der Wertewandel in den 1960er Jahren<br />
• Werte drücken aus, was wünschenswert ist.<br />
Werte sind „attraktiv-motivierend“.<br />
• Postmaterialismus statt Nachkriegs-<br />
materialismus.<br />
• Anstelle der Mentalität des „Schaffe, spare,<br />
Häusle baue“ tritt bei der Generation der 1968er<br />
eine nicht-instrumentelle, idealistische<br />
Wertorientierung.<br />
• Werte wie ästhetische Kreativität, individuelle<br />
Selbstverwirklichung, Schutz der Natur, sozialer<br />
Idealismus gewinnen an Bedeutung.
Postmaterialismus als neues Wertesetting<br />
• Verschiebung in den Überlebensstrategien.<br />
Nachkriegsgesellschaft zielt auf ökonomischen<br />
Gewinne. Mit <strong>zu</strong>nehmendem Wohlstand geht es<br />
um die Verfeinerung des Lebensstils.<br />
• Von Werten die das Überleben garantieren <strong>zu</strong><br />
Werten, die das Wohlbefinden steigern.<br />
• Mangelhypothese: Den größten subjektiven Wert<br />
misst man den Dingen <strong>zu</strong>, die relativ knapp sind.<br />
• Sozialisationshyothese: Die Wertevorstellungen<br />
eines Individuums spiegeln die Bedingungen<br />
wieder, die <strong>zu</strong> seiner Jugendzeit geherrscht<br />
haben<br />
• Ökonomistische Wertetheorie: Enge Beziehung<br />
zwischen Werteentwicklung und Inflationsrate
Materialismus/Postmaterialismus<br />
• Postmaterialismus: Selbstverwirklichung,<br />
Individualismus, ästhetische Bedürfnisse,<br />
Mitbestimmung, politischer Idealismus<br />
• Materialismus: wirtschaftliche Stabilität,<br />
Wirtschaftswachstum, Statussymbole, Schutz vor<br />
Kriminalität<br />
• Inglehart-Skala<br />
Schutz des Rechtes auf freie Meinungsäußerung<br />
Kampf gegen die steigenden Preise<br />
Mehr Einfluss der Bürger auf die Entscheidung der<br />
Regierung<br />
Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung
Neomaterialismus 2000<br />
„Am Beginn des dritten Jahrtausends<br />
kehrt der Materialismus <strong>zu</strong>rück“<br />
• „Silent Revolution“ am Ende. Anstelle von Selbst-<br />
verwirklichung und idealistischen Gesellschafts-<br />
utopien geht es wieder um Einkommen, Konsum,<br />
Karriere und Sicherheit.<br />
• Gab es unter den Unter-30-jährigen 1980 noch 50%<br />
Postmaterialisten, so waren es 2002 gerade mal<br />
25%.<br />
• Themen wie Finanzierung des Sozialstaates,<br />
Arbeitslosigkeit, Innere Sicherheit, Migration und<br />
Terrorismus verändern die Wertepräferenzen.<br />
• Sicherheit wird <strong>zu</strong>m zentralen Thema. Sicherheit im<br />
Beruf, in der Öffentlichkeit, in der Familie, in der<br />
Partnerschaft, in den Freundesbeziehungen, im<br />
Konsum.
Das „ungebundene Selbst“ und seine Folgen<br />
Atomistische Sozialontologie der<br />
Gegenwart; dem „ungebundenen<br />
Selbst“ fehlt der Sinn gegenseitiger<br />
Verpflichtung.<br />
Die Gesellschaft des „ungebundenen<br />
Selbst“ ist „eine Ansammlung von<br />
Individuen“, die durch ihr „gemeinsames<br />
Handeln“ Vorteile erhalten wollen, „die<br />
sie nicht individuell sichern konnten.<br />
Das Handeln ist kollektiv, doch sein Sinn<br />
bleibt individuell. Das gemeinsame Gut<br />
wird ausschließlich durch individuelle<br />
Güter gebildet.“<br />
Udo Tietz: Die Grenzen des Wir. Eine Theorie der Gemeinschaft. Frankfurt 2002<br />
Michael J. Sandel (* 5. März 1953 in Minneapolis ) ist ein US-amerikanischer Philosoph. Bekannt<br />
wurde er vor allem als Mitbegründer der kommunitaristischen Strömung
Gemeinschaftswerte und egoistischer<br />
Individualismus<br />
• Self-regarding virtues gewinnen die Oberhand<br />
gegenüber other-regarding virtues<br />
• „Individuen sind also nicht wichtig, sondern<br />
nur ihre Wirkung auf uns; sie sind<br />
vollkommen austauschbar – nämlich durch<br />
etwas anderes, das dieselbe Wirkung<br />
hervorbringt.“ (Michael Stocker)<br />
• Vermögen etwas <strong>für</strong> einen Menschen nur um<br />
dieses Menschen willen <strong>zu</strong> tun = Grundlage<br />
<strong>für</strong> Liebe und Freundschaft.<br />
• Instrumentelle Beziehung kann bestenfalls<br />
Bekanntschaft oder freundschaftliche<br />
Beziehungen hervorbringen
Bindung light: Bindungsverhalten in Online Communities<br />
"Der individualisierte Mensch bevor<strong>zu</strong>gt schwache Bindungen.“<br />
•Individualistische Identität mit dem<br />
Eingehen „starke Bindungen“ häufig<br />
unvereinbar<br />
•Bindungslose Flexibilität (Richard<br />
Sennett)<br />
•Schwache Bindungen: Herausbildung von<br />
so genannten „Posttraditionellen Formen<br />
der Vergemeinschaftung“<br />
•Vergemeinschaftung als ästhetisches<br />
Prinzip?<br />
Ronald Hitzler, Thomas Bucher, Arne<br />
Niederbacher: Leben in Szenen. Formen<br />
jugendlicher Vergemeinschaftung heute. VS<br />
Verlag <strong>für</strong> Sozialwissenschaften<br />
(Wiesbaden) 2005. 2., aktualisierte Auflage.
Helmut Klages: Wertesynthese!<br />
• Wertesynthese als <strong>zu</strong>kunftsfähiges Wertesetting<br />
(Helmut Klages). Verbindung von Materialismus und<br />
Postmaterialismus in adaptiv-pragmatischen Milieus.<br />
• Vereinigung gegensätzlich erscheinender<br />
„traditioneller“ und „moderner“ Werte.<br />
• Verbindung von „Materialismus“ und<br />
„Postmaterialismus“ im Typus des „aktiven<br />
Realisten“.<br />
• Der „aktive Realist“ ist leistungsorientiert, handelt<br />
aber trotzdem moralisch.<br />
• Aktive Realisten bei der technischen Intelligenz<br />
(HTL, Landwirtschaftliche Fachschulen) und im<br />
klein- und mittelstädtischen Bereich<br />
überrepräsentiert.
Jugendkulturen<br />
Die Szenen und Milieus der Jugend<br />
© Universal Music © Universal Music<br />
Bernhard Heinzlmaier<br />
© Universal Music<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jugendkulturforschung</strong>, Alserbachstraße 18/7. OG, 1090 Wien
Gesellschaftliches Sein und Bewusstsein<br />
• sozioökonomische Lebensbedingungen<br />
(Einkommen, Bildung etc.) werden in der<br />
Alltagswelt der modernen Gesellschaft in sehr<br />
unterschiedlichen ästhetisch-stilistischen<br />
Inszenierungen wirksam, sichtbar und erfahrbar.<br />
• Gleiche sozioökonomische<br />
Lebensbedingungen können ungleiche<br />
Lebensstile produzieren<br />
• Alltagshandeln nicht nur von demographischen<br />
Merkmalen, sondern auch von kulturellen<br />
Bedingungen und milieuspezifischen Werthaltungen<br />
geprägt<br />
• Soziale Milieus = Zusammenfassung von<br />
Menschen mit ähnlichen Lebensauffassungen und<br />
Lebensweisen
Was sind die Sinus Milieus?<br />
• Menschen und Verbrauchersegmente mit<br />
ähnlichen Auffassungen, Lebens-, Konsum- und<br />
Arbeitsweisen<br />
• Gruppierung nach Werten (Familie, Politik,<br />
Religion etc.), Lebensstil, Geschmack,<br />
Kommunikation, Wohnen und Arbeiten<br />
• Werden seit den 1980er Jahren regelmäßig<br />
durchgeführt<br />
• Je höher ein Milieu angesiedelt ist, desto<br />
gehobener sind Bildung, Einkommen und<br />
Stellung in der Berufshierarchie<br />
• Je weiter rechts ein Milieu positioniert ist, desto<br />
moderner ist die Grundorientierung und<br />
Werthaltung
Sinus-Milieus 2011 – Relative Autonomie der Werte<br />
Österreicher werden meist in<br />
Alte und Junge, Arme und Reiche,<br />
sowie Männer und Frauen in<br />
Zielgruppen unterteilt.<br />
Die internationale Sinus Milieu-<br />
Forschung geht einige Schritte<br />
weiter und zeichnet ein Bild der<br />
Gesellschaft nach ihren<br />
Wertorientierungen und<br />
Lebenseinstellungen.<br />
Die aktuellen Ergebnisse <strong>für</strong><br />
Österreich zeigen, dass sich die<br />
Gruppen seit der letzten Befragung<br />
im Jahr 2001 deutlich verändert<br />
haben.
Sinus-Milieus 2011<br />
Der ehemals dominierenden<br />
Gruppe der bürgerlichen Mitte<br />
gehören aktuell nur noch 15<br />
Prozent bzw. 1,1 Millionen<br />
Österreicher an. Damit ist die<br />
Gruppe des leistungs- und<br />
anpassungsbereiten<br />
Mainstreams seit der letzten<br />
Erhebung im Jahr 2001 um ein<br />
Fünftel geschrumpft. Das Milieu<br />
hat mehr Ängste und Sorgen als<br />
früher und fühlen sich vom sozialen<br />
Abstieg bedroht.<br />
Am aufsteigenden Ast sind die<br />
"digitalen Individualisten", die<br />
bereits 6 Prozent ausmacht. Durch<br />
den Internet-Boom wird die Gruppe<br />
mit einem Durchschnittsalter von 26<br />
Jahren auch in Zukunft weiter<br />
rasant anwachsen.
Sinus-Milieus 2011<br />
Wie die digitalen Individualisten sind die<br />
Performer fest in der digitalen Welt<br />
verankert, die eine leistungsorientierte<br />
Elite bilden und neun Prozent der<br />
Bevölkerung ausmachen.<br />
Auf der anderen Seite gehen<br />
die konservativere Gruppen<br />
<strong>zu</strong>sehends <strong>zu</strong>rück, obwohl das<br />
"traditionelle Milieu" mit 15 Prozent<br />
noch stark vertreten ist, ist das<br />
"Ländliche Milieu", das 2001 noch<br />
sieben Prozent ausmachte,<br />
beispielsweise heute kaum noch<br />
an<strong>zu</strong>treffen.
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Abgren<strong>zu</strong>ng der gesellschaftlichen Mitte<br />
nach unten<br />
Nicht lange rumtrödeln, flexibel sein und<br />
den richtigen Zeitpunkt <strong>für</strong> die<br />
Familienplanung erwischen<br />
(Beschleunigung,Konventionalismus)<br />
Subjektiver Optimismus – „Ich werde<br />
erreichen was ich mir vornehme<br />
(Ausnahme: die Prekären)<br />
Expeditive und Experimentalisten –<br />
starke Orientierung an<br />
Selbstverwirklichung (Autonomie)<br />
Sozialökologische und Konservativ-<br />
Bürgerliche – Verantwortung und<br />
Gemeinwohlorientierung<br />
(Heteronomie)
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Die Prekären schämen sich oft <strong>für</strong><br />
die soziale Stellung ihrer Eltern.<br />
Nehmen sich als ausgegrenzt und<br />
benachteiligt war<br />
Ihnen fehlt das Geld, um mangelnde<br />
<strong>Teil</strong>habe durch Konsum <strong>zu</strong><br />
kompensieren.<br />
Das Leben ein ständiger Kampf unter<br />
ungerechten Bedingungen<br />
Sozialer Aufstieg wird über<br />
Bildungsinstitutionen nicht erwartet<br />
Freizeitorientierung und<br />
„Spannungsschema“, gleichzeitig<br />
aber auch Passivität und Lethargie<br />
(vgl. die Arbeitslosen von Marienthal)<br />
Politisch Desillusioniert
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Die materialistischen Hedonisten<br />
setzen vor allem auf Konsum und<br />
wollen sich nicht kontrollieren lassen.<br />
Sie wollen keine Autoritäten<br />
akzeptieren (Rebellentum) und streben<br />
nach einem "gechillten Leben".<br />
Oper, Theater, klassische Musik - die<br />
Hochkultur insgesamt lehnen sie ab.<br />
"Geld macht jeden glücklich“, lautet ihr<br />
Lebensmotto. (Materialismus)<br />
Ausgeprägte Freizeitorientierung mit<br />
markenbewussten Konsumwünschen<br />
Traditionelle Rollenbilder, traditionelle<br />
Familienkonzepte (Konventionalismus)<br />
Politisch stark an rechts-populistischen<br />
Konzeptionen ausgerichtet<br />
Orientierung am „Spannungsschema“
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Die experimentalistischen<br />
Hedonisten wollen ihr Leben<br />
einfach genießen und<br />
möglichst kreativ gestalten.<br />
Sie distanzieren sich vom<br />
Mainstream, sie sind die<br />
Reserve der Subkultur.<br />
Lebensmotto: "Ich lasse mir<br />
von niemandem sagen, wie ich<br />
mein Leben leben soll, bisher<br />
hat es auch ganz gut geklappt."<br />
Freizeitorientierung,<br />
Spannungsschema aber<br />
posttradtionelle Werte und<br />
Vergemeinschaftungspraxen<br />
Politik: Wenig Interesse
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Die Adaptiv-Pragmatischen sind<br />
so etwas wie die angepassten<br />
Neo-Spießer.<br />
Sie orientieren sich am<br />
Machbaren, planen voraus, und<br />
streben nach dem Wohlstand im<br />
Kleinen (Haus, Auto, Urlaub etc.)<br />
Eher am Status Quo ausgerichtet.<br />
Alles soll am besten so bleiben wie<br />
es ist – Veränderungen machen<br />
Angst.<br />
Statusbewusst: Auf andere, die<br />
weniger leistungsbereit und<br />
erfolgreich sind, schauen sie gerne<br />
herab.<br />
Problem: Den sozialen Status der<br />
Eltern halten<br />
Politik: Traditionelle Parteien der<br />
politischen Mitte
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Die Sozialökologischen sind die,<br />
die sich am ehesten engagieren und<br />
andere von ihren Ansichten<br />
überzeugen wollen<br />
Materialismus und Konsum sehen<br />
sie kritisch. "Ohne Geld würde<br />
unsere Welt viel schöner aussehen",<br />
sagen Jugendliche dieser Gruppe<br />
häufig<br />
Postmaterialistische Werthaltung:<br />
Ideen zählen mehr als Geld<br />
Handeln auf Gemeinschaft und<br />
Gesellschaft gerichtet.<br />
Im Zweifelsfall Heteronomie statt<br />
Autonomie<br />
Politik: Eindeutig Grüne
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Die Konservativ-Bürgerlichen finden<br />
Selbstdisziplin wichtiger als<br />
Selbstentfaltung<br />
Es sind die Frühvergreisten unter den<br />
Jugendlichen. Auch sie wollen, dass sich<br />
möglichst wenig ändert<br />
Es geht ihnen darum, einen Platz in der<br />
Erwachsenenwelt <strong>zu</strong> finden - der Traum ist<br />
die "Normalbiografie„<br />
Traditionsorientierung – die Biographie der<br />
Eltern soll wiederholt werden. Kein<br />
Rebellentum.<br />
Traditionelle Geschlechterrollen und<br />
Lebensstile, hohe Anpassungsbereitschaft<br />
Elitenbewusstsein<br />
Zunehmende Mitleidslosigkeit und<br />
Intoleranz. (vgl. Heitmeyer 2010)<br />
Politik: ÖVP und FPÖ
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
Die Expeditiven wollen flexibel,<br />
mobil und pragmatisch sein<br />
Es sind die Hipster unter den<br />
Jugendlichen, d.h. es ist <strong>für</strong> sie<br />
wichtig die neuesten Trends <strong>zu</strong><br />
kennen und auf<strong>zu</strong>nehmen. Der<br />
Massengeschmack wird<br />
verabscheut<br />
Sie wollen etwas leisten und sich<br />
gleichzeitig selbst verwirklichen.<br />
Wichtig in Allem: sich von der<br />
Masse abheben (Snobismus)<br />
Politik: Unkonventionelle Aktionen<br />
und Thematiken
Materialistische und experimentalistische Hedonisten
Jugend - Sinus-Milieus 2012<br />
(Konsum-)Gesellschaft strukturiert sich nach Werten,<br />
Lebensstilen, ästhetische Praxen. Alleinige Betrachtung nach<br />
sozialstrukturellen Kriterien (Oberschicht, Mittelschicht,<br />
Unterschicht) greift <strong>zu</strong> kurz.<br />
Dem entsprechend greifen rein quantitativ ausgerichtete<br />
Ungleichheits-Analysen <strong>zu</strong> kurz. Wichtig ist es,<br />
unterschiedliche milieuspezifische Sinnstrukturen und<br />
symbolische Vermittlungsformen <strong>zu</strong> kennen.<br />
Zielgruppenkommunikation ist notwendig am verbalen- und<br />
nonverbalen Code des jeweiligen Milieus aus<strong>zu</strong>richten.<br />
Milieuübergreifende Kommunikation ist nur dann möglich,<br />
wenn die verschiedenen Milieus Schnittmengen (Werte,<br />
Symbole etc.) aufweisen.
Jugendkommunikation<br />
Diskursive und Präsentative Symbolik, Medien, Jugendkommunikation<br />
© Universal Music © Universal Music<br />
Bernhard Heinzlmaier<br />
© Universal Music<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jugendkulturforschung</strong>, Alserbachstraße 18/7. OG, 1090 Wien
Medienwelten gestern und heute<br />
• Es gibt einen TV-Kanal<br />
• Sendebeginn unter der Woche:<br />
19 Uhr 30; Sendeschluss: 22 Uhr<br />
• Hauptabendprogramm ist ein<br />
„deutsches Fernsehspiel“<br />
• Fernsehspiel = Hörspiel im Form<br />
eines Theaters, das <strong>für</strong> die<br />
Wiedergabe im TV bestimmt ist.<br />
• Das Paradies von Pont L´Eveque<br />
(Johannes Hendrich)<br />
• "Zugluft pfeift durch jede Ritze<br />
diesen hier reisst es vom Sitze.<br />
Jener aber macht ihm klar,<br />
dass das gar nicht nötig war.<br />
TESA-Moll ins Fenster kleben<br />
und behaglich weiterleben."<br />
(Kurzfilmmosaik)
Mediatisierung der Jugend<br />
„20. Jahrhundert: Medien werden <strong>zu</strong>r Sozialisationsinstanz“<br />
• Neben Eltern, Peers und Schule werden Medien im<br />
ausgehenden 20. Jahrhundert <strong>zu</strong>r einflussreichen<br />
Sozialisationsinstanz<br />
• Medien prägen die individuelle Welterfahrung und<br />
sind an der Konstruktion sozialer Wirklichkeiten<br />
beteiligt<br />
• Medien sind in den Alltag integriert, ihre Nut<strong>zu</strong>ng<br />
findet habitualisiert statt.<br />
• Habitus: Verinnerlichung kollektiver Dispositionen.<br />
Verinnerlichte Denk-, Handlungs- und<br />
Wahrnehmungsschemata
Medientheorie<br />
„The medium is the massage.“<br />
• Medium: Mittel der Kommunikation, Mittel<br />
<strong>zu</strong>r Speicherung von Informationen<br />
• Medien sind bedeutende Faktoren der<br />
Konstitution von Mensch und Gesellschaft<br />
• Mediatisierung der Gesellschaft durch<br />
Entwicklung und Einsatz von<br />
Reproduktionstechniken (Buchdruck,<br />
Fotographie, Film, Fernsehen etc.)<br />
• „Die Botschaft jedes Mediums oder jeder<br />
Technik ist die Veränderung des<br />
Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es<br />
der Situation des Menschen bringt. (…)<br />
Der Druck brachte im sechzehnten<br />
Jahrhundert den Individualismus und den<br />
Nationalismus hervor.“ (Herbert Marshall<br />
McLuhan)
Medienwandel und Wandel der Lebenswelten<br />
„Neuer sozio-technischer Möglichkeitsraum <strong>für</strong> Jugendkulturen“<br />
• Digitalisierung (Umstellung von analoger <strong>zu</strong> digitaler<br />
Technologie, Signale, die mit Computer <strong>zu</strong> verarbeiten<br />
sind)<br />
• Konvergenz (Zusammenwachsen unterschiedlicher<br />
Medien z.B. TV+Internet)<br />
• Pluralisierung (Vervielfachung der Medien; Mp3-<br />
Player, I-Pod, Smartphones, Spielekonsole etc.)<br />
• Diversifizierung (spezielle Radio- und TV-Kanäle und<br />
Webangebote entstehen)
Kommunikationstheorie<br />
Kommunikationsmodell<br />
„Keine Kommunikation ohne Zeichen“<br />
Code (Zeichensystem)<br />
SenderIn Medium EmpfängerIn<br />
encodiert decodiert
Einfluss von Medien auf die Kommunikation<br />
• Medienvermittelter Kommunikation fehlt „Turn-<br />
Taking“. Abwechselndes Turn-Taking führt <strong>zu</strong>r engen<br />
Abstimmung zwischen Alter und Ego.<br />
• Face-to-Face-Kommunikation wird nicht verdrängt,<br />
weil Gegengewicht <strong>zu</strong> <strong>zu</strong>nehmender Unpersönlichkeit<br />
der Kommunikation<br />
• Wesentliche Merkmale von Kommunikationstechnologien<br />
<strong>für</strong> den Aufbau von persönlichen Beziehungen:<br />
Erlauben sie Turn- Taking? Und wenn ja, in welchem<br />
Rhythmus erfolgt das Wechselspiel? Wird zwischen<br />
Alter und Ego kommuniziert?
Verändertes Rezeptionsverhalten: Hypertext<br />
„Von der linearen <strong>zu</strong>r hypertextuellen Lektüre.“<br />
• Hypertextualität des elektronisches<br />
Schreibens/Lesens im Internet: einzelne<br />
Elemente in arbiträren Strukturen verbinden,<br />
verlinken und den Leser leicht von einem<br />
Element <strong>zu</strong>m anderen <strong>zu</strong> führen<br />
• Hypertext greift über sich hinaus, möchte<br />
Verbindungen <strong>zu</strong> anderen Texten herstellen<br />
• Interaktivität des Hypertext: „Jede Lektüre<br />
wird realisiert durch eine Interaktion<br />
zwischen dem Leser und der verlinkten<br />
Struktur. Hypertexte verändern sich, indem sie<br />
auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Lesers<br />
und jeder neuen Lektüre reagieren.“ (Jay D.<br />
Bolter)
Hypertext
Hypertext
Hypertext
Performative Ökonomie der Jugendkultur<br />
• Verwandlung moderner Sozialordnungen in<br />
Marktgesellschaften<br />
• Kommerzialisierung der Jugendkultur<br />
(Kleidung, Accessoires, Events etc.)<br />
• Performative Ökonomie<br />
• Gesellschaftliche Statusmerkmale<br />
verschieben sich von der<br />
Leistungserbringung <strong>zu</strong>m Leistungsverkauf<br />
(Leistung – Sachverwirklichung; Erfolg –<br />
soziale Durchset<strong>zu</strong>ng,<br />
Zuschreibungskategorie)<br />
• Prämiert wird der performative Markterfolg,<br />
nicht die arbeitsbezogene Leistung<br />
Sighard Neckel (* 25. Oktober 1956 in Gifhorn) ist deutscher Soziologe und war bis 2011<br />
Universitätsprofessor <strong>für</strong> Soziologie an der Universität Wien
Laufstegökonomie<br />
„Individuelle Eigenschaften und <strong>zu</strong>geschriebene Merkmale sich<br />
wichtiger als Qualifikationen.“<br />
• Leistungsorientierte Arbeitsgesellschaft: Prüfung<br />
von beruflichen Wissen<br />
• Laufstegökonomie: gelungene <strong>Präsentation</strong><br />
• Casting statt Prüfung (Castingshows als mediale<br />
Degradierungsrituale)<br />
• Erfolgsprinzip: performativer Individualismus, der<br />
nicht durch Zuwachs persönlicher Autonomie,<br />
sondern durch Abhängigkeit von ökonomischen<br />
Märkten entsteht
Der Körperkult in der Lebensstilgesellschaft<br />
Der Körper als Symbol <strong>für</strong> Individualität und Leistungsfähigkeit<br />
• Der Körper ist der „Aufmerksamkeitsgenerator“ unserer<br />
Zeit<br />
• Er steht <strong>für</strong> Vitalität und Leistungsfähigkeit in Beruf und<br />
Freizeit<br />
• Der Körper als Garant von Individualität. Er macht<br />
den Massenmenschen <strong>zu</strong> etwas Besonderem und<br />
Einzigartigem<br />
• Der Körper ist ein wichtiges Kommunikationsmittel in<br />
einer Zeit, in der symbolischer und Bildkommunikation die<br />
größte Bedeutung <strong>zu</strong>kommt<br />
• 45 Prozent der Unter-30-jährigen treiben dreimal<br />
die Woche Sport<br />
• Grosses Wissen über und großes Interesse an<br />
Gesundheitsthemen. Hohe Ausgabenbereitschaft<br />
vorhanden
Eine Gesellschaft im Körperwahn<br />
Der Körper unter Perfektionsdruck – Schöner sein als die Natur erlaubt<br />
• 500.000 Schönheitsoperationen wurden 2011 in<br />
Deutschland durchgeführt<br />
• 30,7 Prozent der Schönheitsoperationen in Deutschland<br />
werden an Patienten unter 30 Jahren durchgeführt<br />
• 19 Menschen sind in Deutschland zwischen 1998 und 2002<br />
bei oder nach einer Fettabsaugung gestorben<br />
• 16,8% der Patienten, die ihren Körper verschönern lassen<br />
sind Männer, ca. 20 Prozent in der Gruppe der unter 30-<br />
jährigen<br />
• 800 Millionen Euro gaben die Deutschen 2011 <strong>für</strong><br />
Schönheitsoperationen aus<br />
• 5.500 Euro koste eine Brustvergrößerung mindesten. Eine<br />
Lidstraffung gibt es um 1.800 Euro. Für eine<br />
Fettabsaugung muss man 1.500 bis 5.000 Euro bezahlen.<br />
• 5% mehr verdient ein gut aussehender Arbeitnehmer im<br />
Vergleich <strong>zu</strong>m durchschnittlich attraktiven Kollegen<br />
(DIE ZEIT Nr. 45, 31. Oktober 2012:15)
Jury bei der Miss Germany Wahl 2012<br />
Arthur Abraham - ehem. Boxweltmeister im Mittelgewicht<br />
Ross Antony - Sänger & Allround-Talent<br />
Bernd Bechtel - Condor-Direktor Group Fleet Management<br />
Reiner Calmund - Fußballfunktionär, Moderator &<br />
Buchautor<br />
Regina Halmich - ehem. Box-Weltmeisterin<br />
Monica Ivancan - internationales Model<br />
Jennifer Knäble - Moderatorin RTL & N-TV<br />
Heiner Lauterbach - deutscher Schauspieler<br />
Ingo Lenßen - Schauspieler & Rechtsanwalt - Sat.1 "Lenßen<br />
& Partner"<br />
Jürgen Mack - Geschäftsführender Gesellschafter vom<br />
Europa-Park<br />
Prof. Dr. Dr. Werner Mang - Schönheitschirurg -<br />
Bodenseeklinik<br />
Yasemin Mansoor - Miss Germany 1996 & Queen of the<br />
World 1997<br />
Tessy Pavelková - Chefredakteurin Zeitschrift Neue Woche<br />
Francèk Prsà - Friseurmeister Francek Friseure<br />
Marcus Schenkenberg - das bekannteste Männermodel<br />
der Welt
Performative Alltags- und Medienkultur<br />
• Gesellschaftliche Statusmerkmale<br />
verschieben sich von der<br />
Leistungserbringung <strong>zu</strong>m<br />
Leistungsverkauf (Leistung –<br />
Sachverwirklichung; Erfolg –<br />
soziale Durchset<strong>zu</strong>ng,<br />
Zuschreibungskategorie)<br />
• Prämiert wird der performative<br />
Markterfolg, nicht die<br />
arbeitsbezogene Leistung<br />
• Der Körper und die<br />
Selbstdarstellungsfähigkeit<br />
rücken in den Focus der<br />
Aufmerksamkeit<br />
Sighard Neckel (* 25. Oktober 1956 in Gifhorn) ist deutscher Soziologe und war bis 2011<br />
Universitätsprofessor <strong>für</strong> Soziologie an der Universität Wien
Ästhetisierung des Lebens<br />
„Sehr allgemein bezieht sich der Ausdruck<br />
‚ästhetisch‘ auf das Sinnenhafte. ‚Ästhetisch‘ kann gerade<strong>zu</strong><br />
gleichbedeutend mit ‚sinnenhaft‘ gebraucht werden. (….) Zum<br />
Ästhetischen gehört eine Tendenz der Überformung,<br />
Überhöhung und Veredelung des Sinnlichen. Sie kann bis <strong>zu</strong><br />
Konnotationen des Überfeinerten, Sublimen, ja Ätherischen<br />
reichen.“<br />
(Wolfgang Welsch: Grenzgänge der Ästhetik)<br />
Doppelcharakter der elementaren Ästhetik:<br />
1. Empfindungen (lustbezogen, gefühlshaft, subjektiv, hedonistisch)<br />
2. Wahrnehmungen (gegenstandsbezogen, erkenntnisartig, objektiv)
Ästhetisierung der Kommunikation<br />
„Wichtiger als die Dinge selbst ist die Art und Weise wie sie arrangiert<br />
sind“<br />
„Die spezifisch ästhetische Lust<br />
bezieht sich beispielsweise auf das<br />
Arrangement von Speisen – statt auf<br />
deren Substanz, oder den Voll<strong>zu</strong>g der<br />
Liebe statt der Triebbefriedigung, oder<br />
auf die Form der Rede – anstelle<br />
dessen Inhalt.“ (Wolfgang Welsch,<br />
Grenzgänge der Ästhetik)<br />
Wolfgang Welsch (* 17. Oktober 1946 in Steinenhausen) ist ein deutscher Philosoph und einer der<br />
wichtigsten deutschsprachigen Theoretiker der Postmoderne.
Medientrend: Gefühl vor Verstand und Vernunft<br />
„Bildzentrierte, nicht-argumentative, symbolische Kommunikation“<br />
• Bilder drängen in den Vordergrund, der<br />
wortsprachliche Anteil der Kommunikation wird<br />
reduziert.<br />
• Nichtbegriffliche Kommunikationen der Verführung.<br />
• Zeigen, Rituale und Inszenierungen anstelle von<br />
Argumenten.<br />
• Kultur des Einfühlens und Verstehens<br />
• Neoromantische Gefühlsrhetorik<br />
• Eskapismus in Fantasiespiele am Computer,<br />
Fantasiekino und Fantasieliteratur
Von der diskursiven <strong>zu</strong>r präsentativen Symbolik?<br />
• Diskursive Symbolik bezieht sich<br />
auf die Logik sprachlich vermittelter<br />
Denkprozesse<br />
• Präsentative Symbolik – Ausdruck<br />
durch mimisch-körperliche Gesten<br />
und Bilder; sprachlose Zeichen<br />
• z.B. Präsentative Symbolik der<br />
Musik: sie wirkt sinnlich unmittelbar<br />
und intuitiv verstanden (vgl. Dieter<br />
Baacke 1997)<br />
• In der Jugendkommunikation<br />
drängen präsentative Symboliken in<br />
den Vordergrund<br />
Susanne K. Langer (* 20. Dezember 1895 in New York; † 17. Juli 1985 in Old Lyme) war eine<br />
amerikanische Philosophin.
Was heißt das in der Praxis?<br />
• Die neuen «Enriched E-Books»<br />
bieten, was das klassische<br />
gedruckte Buch nicht leisten kann:<br />
bewegte Bilder, Tondokumente,<br />
Animationen, Interviews.<br />
• In Ken Follets »Sturz der Titanen« ist<br />
es möglich Zusatzinformationen <strong>zu</strong><br />
den darin vorkommenden<br />
historischen Persönlichkeiten, Orten<br />
und Ereignissen« <strong>zu</strong> bekommen.<br />
Stammbäume und Karten<br />
veranschaulichen darüber hinaus die<br />
Geschichte und Ken Follett berichtet<br />
in Videointerviews über seinen<br />
persönlichen Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>m Roman«.
Bilder als Medium der Werbung<br />
Bilder sind „das Medium“<br />
der Jugendkommunikation<br />
• Bilder werden fast immer <strong>zu</strong>erst betrachtet<br />
• Bilder werden schneller verarbeitet<br />
• Bilder sind glaubwürdiger<br />
• Bilder werden schneller gelernt und besser im<br />
Gedächtnis behalten<br />
• Bilder vermitteln mehr Informationen in kürzerer Zeit<br />
• Bildinhalte werden intuitiver erfasst als Texte<br />
Bildkommunikation ist im Vormarsch:<br />
- Werbung ist immer weniger argumentationsbetont<br />
- Steigender Anteil von Anzeigenwerbung ohne Fließtext<br />
- Wachsender Flächenanteil von Bildern in Anzeigen<br />
- Beachtungschance einer Anzeige ist um so größer, je weniger Text sie enthält<br />
- Es können viele Inhalte simultan erfasst werden (keine sukzessive Abfolge der<br />
Inhalte notwendig)
Die Gebote Jugendkommunikation<br />
in der Postmoderne
Gebote der Jugendkommunikation<br />
Jugendliche haben ein lustbetontes Lebenskonzept<br />
Hervorhebung des Lustaspekts von gesundem Verhalten und keine<br />
Verzichtsakrobatik einfordern.<br />
Junge Erwachsene, 22 Jahre: Ich weiß nicht, ich würde sagen, ich<br />
ernähre mich nicht so ungesund, ich schaue schon, dass ich, also ich<br />
esse auch gerne Salat und Obst und Gemüse oder so was, aber ich trinke<br />
halt auch gerne einmal ein Bier, also wenn ich jetzt Lust auf irgend etwas<br />
habe, dann esse ich das einfach.“
Gebote der Jugendkommunikation<br />
Mens sana in corpore pulcher<br />
Schönheit und Gesundheit sind <strong>für</strong> Jugendliche eng miteinander<br />
verbunden. Zunehmend rückt die Körperästhetik, der Körper als<br />
symbolisches Kapital ins Zentrum des Interesses.<br />
Junger Erwachsener, 22 Jahre: „Natürlich möchte man fesch sein und<br />
nicht daherkommen, wie irgendwas, oder dass man die ganze Zeit hustet<br />
– wegen der Raucherei. Das würde ja auch die Freundin abstoßen. Ich<br />
finde, dass ist ein wichtiger Grund, gesund <strong>zu</strong> leben. Weil natürlich sucht<br />
man sich eine Freundin aus, die fesch ist. Und die Freundin wird das<br />
genau so machen.“
Gebote der Jugendkommunikation<br />
Jugendkommunikation ist Bildkommunikation<br />
Kommunikation muss sich einer starken Bild- und Symbolsprache<br />
bedienen. Junge Menschen lassen sich gerne durch auf Verstehen<br />
und Emotionen gerichtete Kommunikation ansprechen.<br />
Eventbesucher, 25 Jahre: Prinzipiell ist es immer so, dass mir die<br />
Grafikenen oder Stilistiken am Flyer gefallen. (…) Selten eigentlich, dass<br />
ich auf eine Veranstaltung oder auf ein Event stoße, nur weil es dort<br />
steht, nur aus Interesse. Es ist primär schon das Visuelle und dann stoße<br />
ich erst auf interessante Themen.
Gebote der Jugendkommunikation<br />
Schule als wichtiger Ort der Gesundheitskommunikation<br />
Viele Jugendlichen finden, dass die Schule der beste Ort <strong>für</strong><br />
Gesundheitskommunikation ist. Wichtig: Gerade bei<br />
Gesundheitsthemen kann das Internet das direkte Gespräch mit<br />
vertrauten Personen nicht ersetzen.<br />
Weibliche Jugendliche, 16 Jahre: „Ich denke vor allem in der Schule. Ich<br />
denke, wenn da ein gesunder Lebensstil beigebracht wird, dass man<br />
den auch behält, und deshalb sollten in den Schulen öfter Berater<br />
kommen, sympathische Menschen, die einem das alles erklären, würde<br />
mich sehr interessieren im Unterricht.“
Jugendsprache
Jugendsprache: Spiegelung und Gegenspiegelung<br />
Verhältnis von Jugendkultur und Jugendsprache <strong>zu</strong><br />
dominanter Kultur und Standardsprache (Neuland<br />
2008)<br />
Konzept der Spiegelung und Gegenspiegelung<br />
Drei Formen der Be<strong>zu</strong>gnahme auf<br />
Standardsprache/Standardkultur und jugendkulturellen<br />
Sprach- und Lebensstil:<br />
- affirmativ-spiegelnd<br />
- karikierend-ironisierend<br />
- oppositionell-gegenspiegelnd<br />
Kleinwagen (Schlaglochsucher), Kino (Drüsenschau),<br />
Alternativ-Szene (Müslimann, aldinativ)
Jugendtypische Besonderheiten in der<br />
Gesprächsführung<br />
Kategorie jugendtypisch/unterhaltsam erwachsenentypisch/ernsthaft<br />
Länge Redebeiträge kurz und knapp lang<br />
Syntax reduziert, Parataxe Schriftsprache, Hypotaxe<br />
Phonologie expressiv, variantenreich monoton, sachlich<br />
Lexik Neubildungen, Tabuwörter Hochsprache<br />
Stilistik Hyperbolik Präzision, Litotes<br />
Inhalte siuationsgebunden, Tabubrüche abstrakt, ernst<br />
Kohärenz Angebotskommunikation Themenfixierung<br />
Genres Necken, Frotzeln, Dissen Diskutieren, Bitten, Entschuldigen<br />
Gesprächsorganisation kompetitiv redegeleitet<br />
Nonverbales Paralelle Aufmerksamkeitsfoki Konzentration auf das Gespräch<br />
Beziehung Identitätswettbewerb, Vertrautheit Distanz, Höflichkeit, Takt, Indirektheit
Soziolinguistische Stile<br />
Sprache als Ausdrucksmittel von<br />
jugendtypischen posttraditionellen<br />
Gemeinschaftsformen (Szenen) und<br />
Subkulturen<br />
Sprachstile Jugendlicher sind Gruppenstile; sie<br />
setzen die Interaktion in der Gruppe und<br />
gemeinsam geteilte Werte voraus<br />
Stil-Bastelei oder Bricolage: Sprachliche<br />
Elemente werden aus bestehenden kulturellen<br />
Kontexten herausgelöst und in einen neuen,<br />
jugendkulturellen Kontext überführt
Jugendsprache: Stilmittel<br />
Wortschöpfungen,<br />
Neologismen<br />
alken, gruscheln, vloggen,<br />
Brüllwürfel<br />
Verfremdungen,<br />
Umdeutungen<br />
fett = betrunken;<br />
großartig „Ich finde das VLoggen ist eine super Sache um seine Stimme<br />
im Internet <strong>zu</strong> nutzen,<br />
gerade weil die Menschen heute lieber Videos gucken als sich<br />
lange<br />
Texte durch<strong>zu</strong>lesen so wie diesen hier *GRINS*.“
Jugendsprache: Stilmittel<br />
Entlehnungen<br />
chillen, covern, heavy;<br />
abtanzen, mal<br />
Hybridbildungen (verschiedene Sprachen)<br />
ausflippen, gestylt,<br />
abgefuckt, gefakt<br />
Abtauchen <strong>zu</strong>m Abtanzen<br />
Das Unterdeck eines Badeschiffs wurde <strong>zu</strong>r<br />
Partylocation umfunktioniert,<br />
in der Fluc-Wanne feiert die Indie-Szene,<br />
und im Phoenix Supper Club sollten<br />
auch die Socken gestylt sein.
Jugendsprache: Stilmittel<br />
Superlativbildungen<br />
mega-, mörder-, ur-, voi<br />
Metaphorik<br />
Fit im Schritt!, die Sau raus<br />
lassen, am Arsch der Welt<br />
sein<br />
Die Metapher (Übertragung) ist eine rhetorische Figur,<br />
bei der ein Wort nicht in seiner wörtlichen,<br />
sondern in einer übertragenen Bedeutung gebraucht wird,<br />
und zwar so, dass zwischen der wörtlich bezeichneten Sache<br />
und der übertragen gemeinten eine Beziehung der Ähnlichkeit besteht.
Jugendsprache: Stilmittel<br />
Wortverkür<strong>zu</strong>ngen<br />
Alk, Majo, Mäci, Zivi, logo<br />
Wortadditionen<br />
Warmduscher, Festnetz-<br />
Telefonierer<br />
Füllwörter<br />
Oida, Mann, voll, und so,<br />
in echt
Jugendsprache: Beispiele<br />
Diskriminierende<br />
Begriffe<br />
Spasti, Mongo, Bimbo,<br />
Schwuchtel<br />
Comicsprache<br />
grins, igitt, smile, würg,<br />
kotz<br />
Leetspeak und Chat-<br />
Sprache<br />
lg, 4u, u2, sers, lol, afk<br />
Leetspeak (auch Leetspeek; von engl. elite, „Elite“)<br />
bezeichnet das Ersetzen von<br />
Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern<br />
sowie Sonderzeichen.So wird der Begriff Leetspeak<br />
selbst häufig 1337, manchmal 1337 5P34K,<br />
selten auch 31337 bzw. 313373 geschrieben.
Jugendsprache: Beispiele<br />
„Ich mach dich Rogan.“ (Ich mach dich fertig)<br />
„Hast ihn ua gedisst Oida.“ (disrespect; beschimpfen, verbal niedermachen)<br />
„Lass uns chilln.“ (ausruhen, relaxen, sich beruhigen)<br />
„Flash mi ned.“ (Überrasche, erschrecke mich nicht)<br />
„Hast du Face?“ (Bist du auf Facebook?)<br />
„Kannst mich adden?“ (Zur Freundschaftsliste hin<strong>zu</strong>fügen)<br />
„Hast du kein Leben, du Opfa? (Opfa=Synonym <strong>für</strong> Unterordnung, Anpassungsbereitschaft,<br />
Strebertum)
Vielen Dank <strong>für</strong> Ihre<br />
Aufmerksamkeit