Schaeben/Leseprobe: ES IST EIN HARTES LEBEN IN DER PROVINZ
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Monate vor dem Umzug von unserem Plan erzählte, war vom<br />
Ende die Rede. Meine Frau war es, die es aussprach.<br />
Ja, es ist ein bisschen wie das Ende der Welt, musste ich<br />
kleinlaut eingestehen. Gleichzeitig wollte ich damit klarstellen,<br />
dass auch ich Oberammergau nicht für den Nabel der Welt<br />
hielt. So naiv war ich dann auch wieder nicht. Aber es ist weltbekannt,<br />
fügte ich noch hinzu. Was erstens nicht zu widerlegen<br />
war und mich zweitens wieder in eine bessere Verhandlungsposition<br />
brachte.<br />
Zunächst wollte ich den Ort, den meine Frau das Ende der Welt<br />
nannte, gar nicht beim Namen nennen. Einfach, um möglichem<br />
Ärger zu entgehen. Unsere zukünftigen Nachbarn oder der Tourismusdirektor<br />
von Oberammergau hätten meinen Text lesen können.<br />
Unser Sohn wäre im Kindergarten infolgedessen gemoppt,<br />
in der Schule ausgegrenzt worden. Auf der Straße hätte man uns<br />
nicht gegrüßt. Beim Bäcker, beim Metzger nicht beachtet. Und<br />
meine Frau hätte Recht behalten: Das ist das Ende.<br />
Die Mehrheit unserer Freunde zollte uns Anerkennung, einige<br />
beneideten uns sogar. Wir würden etwas tun, von dem viele<br />
immer bloß redeten. Ich: Wir ziehen in den Süden. Meine Frau:<br />
Wir gehen nach unten. Ich: Wir sind freie Bürger in einem freien<br />
Land und ich bin Freiberufler, arbeiten kann ich überall. Sie<br />
wieder: Das ist das Ende.<br />
Was sie mit „das Ende“ genau meinte, sagte sie nicht. Aber<br />
ein Blick in ihr Gesicht genügte – und man bekam mehr als nur<br />
eine leise Ahnung davon. Nein, wir stritten nicht. Auch, wenn<br />
hier vielleicht der Eindruck entsteht. Wir vertraten nur unsere<br />
Standpunkte.<br />
Frauen sitzen lieber am Lagerfeuer, während Männer die<br />
Höhle auch mal verlassen wollen. Das steckt in uns drin, sprang<br />
mir ein anderer Freund zur Seite, als unsere Auswanderungspläne<br />
mal wieder Gesprächsthema waren.<br />
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Der Freund: Frauen und Männer können gar nicht anders.<br />
Frauen sind die Hüterinnen des Heims, Männer die Jäger. Ist<br />
also quasi ein Naturgesetz, ergänzte die Frau des Freundes in<br />
deutlich ironischem Ton – und solidarisierte sich mal eben mit<br />
meiner Frau.<br />
Ihr müsst das so sehen, holte ich aus: Nur vom Rand aus<br />
kann man die Mitte sehen; weiß überhaupt, wo sich die Mitte<br />
befindet. Meine Frau schwieg. Die Frau des Freundes antwortete<br />
statt ihrer: Ja, philosophisch betrachtet hätte ich wohl Recht.<br />
Aber geografisch gesehen ist die Mitte Deutschlands von dort<br />
verdammt weit weg.<br />
Dafür ist Italien ganz nah, konterte ich. Schuhe, Taschen,<br />
Designerklamotten.<br />
Meine Frau: Ha, das sind unfaire Mittel, die du einsetzt. Das<br />
zählt hier nicht.<br />
So kommen wir nicht weiter, meinte mein Freund. Du sagst<br />
es, sagte ich. Mit dieser Einstellung kommen wir nicht mal bis<br />
nach Köln. Schweigen. In dieses Schweigen schoss ich einen<br />
letzten Pfeil: Freunde von uns wandern gerade nach Australien<br />
aus. Was ist schon Bayern dagegen? Bayern ist Deutschland …<br />
Weiterhin Schweigen. Auch ich hielt jetzt meine Klappe und<br />
dachte, dass wir uns das vor dem Traualtar und vor Gott geschworen<br />
hatten: Wo ich hingehe, da willst auch du hingehen.<br />
So oder so ähnlich. Ende!<br />
Ja, ich war mir ganz sicher: Jetzt führte kein Weg mehr zurück.<br />
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