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Schaeben/Leseprobe: ES IST EIN HARTES LEBEN IN DER PROVINZ

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Zwischen Mai und Oktober machte die gemeine Stubenfliege<br />

aus unserem Haus eine Fliegenstube – sie und ihre gemeinen,<br />

zahlreichen Verwandten. Sie waren aufdringlich, weil sie sich<br />

uns immer wieder als Landeplatz aussuchten (vorzugsweise<br />

unsere Gesichter); nervtötend, weil sie ständig von unserem<br />

Teller mitessen wollten (vorzugsweise alles); aggressiv, weil<br />

sie uns Tag und Nacht umschwirrten (vorzugsweise, wenn wir<br />

unsere Ruhe suchten). Sie taten, wie sie es als Stubenfliegen in<br />

der Stubenfliegenkinderstube gelernt hatten: Tagsüber besetzen<br />

sie das ganze Haus. Sie hatten eine Antenne für alles, was<br />

essbar war. Nicht nur in der Küche fanden sie ihre Nahrung, sie<br />

saßen einfach überall. An ihren Vorderbeinen haben sie Härchen,<br />

mit denen sie schmecken können. Bei den Stubenfliegen<br />

geht der Geschmack also sozusagen durch die Beine, weshalb<br />

sie sich auf alles setzen. Abends zog es sie zum Licht; bevorzugt<br />

sammelten sie sich in der Leseecke, wo sie ekelhafte Fliegenmuster<br />

an Wand und Decke bildeten. Zwischendurch flogen<br />

sie ihre Attacken auf uns.<br />

Dass Stubenfliegen nicht sehr alt werden, ist nur ein schwacher<br />

Trost. Sie leben nicht länger als 15 bis 25 Tage, dann sterben<br />

sie. Früher sterben sie nur, wenn man ihnen mit roher Gewalt<br />

entgegentritt – mit roher Gewalt, einer Fliegenklatsche, aber<br />

ohne Gewissenbisse. So wird man sie schon vor ihrem natürlichen<br />

Ende wieder los. Aber nicht schnell. Ich war monatelang<br />

beschäftigt der Fliegen Herr zu werden, jedoch fest entschlossen,<br />

den Kampf bis zum Ende aufzunehmen – bis zum Ende der<br />

letzten Fliege. Pro Fliegensaison waren dazu zwischen fünf und<br />

zehn Fliegenklatschen im Einsatz. Keine Einzige überlebte – keine<br />

einzige Fliegenklatsche wohlgemerkt. Für einen derart intensiven<br />

Gebrauch war eine einzelne Klatsche nicht gebaut.<br />

Sie brachen alle irgendwann im Laufe ihres Einsatzes an derselben<br />

Stelle. Sie brachen sich den Hals.<br />

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Wenn man zart besaitet ist und die Fliegenklatsche aus „humanitären“<br />

Gründen ablehnt, kann man auch anders vorgehen. Ad<br />

eins: Fliegen mögen keinen Durchzug. Also immer schön Fenster<br />

und Türen offen lassen; mit Glück flüchten mehr Exemplare<br />

ins Freie, als neue in die Stube fliegen. Ad zwei: Fliegen mögen<br />

keine Kälte. Es reicht die Raumtemperatur auf unter zehn Grad<br />

zu senken, sprich unter die Betriebstemperatur der Fliegen. Im<br />

Sommer – also in der Zeit der Fliegen – braucht man demnach<br />

unbedingt eine Klimaanlage, die vierundzwanzig Stunden auf<br />

Höchstleistung läuft. Ad drei: Fliegen mögen keine Schwalben,<br />

aber Schwalben mögen Fliegen. Baut man sein Wohnzimmer<br />

zum Kuhstall um, hat man gute Chancen auf Stallschwalben –<br />

aber auch auf jede Menge Stubenfliegen.<br />

Zur Verteidigung der Stubenfliege kann ich leider nichts anführen,<br />

außer, dass sie nicht sticht. Die Stubenfliege gehört zur<br />

Familie der Echten Fliegen. Zur gleichen Familiebande zählen<br />

auch die Blutsauger unter den Fliegen, die gemeinen Stechfliegen.<br />

Aber das ist eine andere Geschichte, die mir noch im Kopf<br />

herumschwirrt.<br />

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